Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, May 11, 1906, Sweiter Theil., Image 12

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    : "· König chdnarks Testament
Eine tragitornische Geschichte von
« ! Freiherrn v. Schlicht.
- König Eduard, wie der neue Ontel
messtenfl genannt wurde, war derStolz
der ganzen amtlic, obgleich niemand
so recht wu te. warum, weshalb und
neige
or vielen Jahren war Onkel
Eduard, der damals natürlich n
kein Ontel, sondern ein Neffe war, als
er wegen Faulheit und Trägheit von
der Schule sortgeschictt wurde, nach
Damburg gekommen und dort bei
einem Kaufmann in die Lehre gegeben
worden. Seine Familie war natür
lich außer sich. Daß gerade ihr soi
etwas passiren mußte, wo sie zu den
konntationen der kleinen Stadt ge
örtel Man versuchte, Ebuards Ver-«
alten fo viel wie nur möglich zu vers -
raschen. man sprach von feiner un
iiberwindiichenLiebe zum Kaufmann-z
stand und ähnlichen lehr schön klingen
den Dingen, aber auch dass ließ sich
nicht mehr aufrecht erhalten« als es
eines Tages hieß: Eduard hat seinem
Herrn und Meister den Inhalt eines
Leimtopfes in’es Gesicht geschleudert
und ift auf und davon, wohin. weiß
Niemand, wahrscheinlich nach Ame
rika. Von der Stunde an warlkduard
für die Familie todt, um so mehr, als
er nie etwas von sich hören lief-» Seine
Eltern waren beide schon in srijhester
Jugend verstorben. und seine Ver
wandten schien er ganz vergessen zu
haben. Er war und blieb verschollen.
und alle aihmeten erleichtert auf. Al
lern Anschein nach hatte der liebe Herr
gott ihn zu sich genommen, und das
war von dem lieben Herrgott lehr
freundlich. denn für diese Welt war er
doch nicht zu gebrauchen gewefen
Um to großer war daher das ur:
staunen und vor allen Dingen der
Schrecken, als der todtgeglaubte
Eduard eines Tages gesund und mun
ter in seiner Vaterstadt wieder aufs
tauchte. Er war jetzt beinahe ein
Fünfziger, aber trotzdem ein noch sehr
»ut aussehender Mann mit lachenden,
röhlichen Augen. Auf seine Kleidung
ab er sehr viel, und als äußeres
Zeichen seiner Wohlhabenheit trug ers
eine schwere goldene Kette rcnd an die- :
see eine schwere goldene Uhr, und an
dem kleinen Finger der rechten Hand
einen Diamantring. Und diesem Dia
mantring verdantte er es in«erster
Linie, daß er plötzlich vom verlorenen
Sohn zum Stolz der ganzen Familie
avanrirte.
Mehr als dreißig Jahre war Onkel
Eduard in der Fremde geweiem und
vieles hatte sich seitdem natürlich in
ter Familie geändert, viele waren ge
storben, und aus den ehemaligen
gleichaltrigen Vettern und Cousinern
waren ehrbare Männer und ehrbare:
grauen geworden, die schon wieder
irat fähige Töchter besaßen Das
erste iedersehen war natürlich etwas
sehr verlegen und peinlich gewesen,
zuerst hatte man ihn gar nickt wieder
erkannt, dann hatte man sich geichiimt,
daß man sieh in der ganzen Zeit so
gar nicht um ihn getümmert hatte,
nnd man hatte ihn um Entschuldigung
ebeten. »Aber da Du ja selbst nie
schriebst Eduard, und da wir gar
sticht wußten, wo Tu in der Welt
..tvarft, konnten wirODir ja auch nicht
schreiben. Aber Du mußt deshalb
nicht glauben, daß wir nicht an Dich
gedacht hätten, o nein, wir haben fo
Br sehr viel an Dich gedacht, jeden
eihnachtsabend und natürlich ganz
besonders an Deinem Geburtstag«
Wenn ich jetzt die ganze Verwandt
schaft frage, wann mein Geburtstan
ist, da weiß es natürlich kein Mensch
dachte Onkel Eduard im Stillen be
lusti t, dann meinte er: »Laßteg nn:
gut Lsein, Jir braucht Euch wirklich
nicht zu entschuldigen, und daß Jhr
so viel an mich gedacht habi, beschämt
mich tief, denn ich babe nie an Euck
gedacht, dazu hatte ich gar teine Zeit,
ich hab’ den vcanzen Tag arbeiten
miissen, vom frühen Morgen bis zum
späten Abend.«
Jm stillen meinte man, er hätte
trotdem einmal schreiben können, laut
aber sagte man nur: »Du Aermster,
so hast Du Dich quälen niiisscn? Na,
nun bleibst Du aber vorläufig hier
sen-d ruhft Dich aus.«
»Ich bleibe sogar ganz biet, jetzt
sögen andere arbeiten, ich habe ge:
It « und war es Absicht oder Zufall,
Ha er gerade in diesem Augenblick
den Diamantring an seinem kleinen
Finger drehte?
— «Onkel Eduard bleibt aanz bier.«
»Das Wort rief in allen Kreisen der
Verwandtschaft die größte Befriedi
sxmg hervor, und jeder betrachtete es
Fels etwas ganz Selbstverständliches,
spek- nian ihnin Zukunft durch dop
und dreifache Liebe fiir dieGleichs
tigkeit entschädiaen müsse, rnit der
bisher seinen Lebensweg verfolgt
Fe. Selbstverständlich nur, weil dies
schreftenpflicht gebot. denn daran,
. Onkel Eduard Junaaeselle und
cheinend sehr reich, also der Erb
par excellence sei, dachte man
lich nicht, wenigstens nicht offi
und die geheimsten Gedanken
ja niemand etwas an, beson
dann nicht, wenn man sie nicht
ach. Und das zu thun, hüteten
Und vor allen Dinan schien
»Es-card diese geheimsten Ge
nat nicht zu erratben, er nahm
Mütdigkeisten »als etwas
thstiindlisches hin und nur
M« ei, als blickten feine
M lustige-h gieichsam
, fast-: Rinden gebt
M its Ewile
Euch ganz genau. Aber er sagte
ar nichts. er lebte still nnd fried
» .ich dahin und ruhte aus von den An
sstrengungen eines an schwerer Ar
ibeit reichen Lebens. Und selbst seine
Verwandtschaft mußte ihm das Zeug
niß ausstellen, daß er sich bemühe, der
beste Onlel der Welt zu sein. Er ver
langte sogar nicht einmal, daß ihm
etwas geschenkt würde. »Thut mir
die einzige Liebe,« bat er, »und be
schenlt mich nicht. Was ich brauche,
habe ich, und wenn mir etwas fehlen
sollte, laufe ich es mit selbst, dann
habe ich wenigstens die Gewißheit. daß
ich es auch so bekomme, wie ich es ha
ben will. Vor allen Dingen macht
mir leine Handarbeiten, ich hasse die
Dinger, schon weil während der Arbeit
selbst so viel dabei gescholten wird,
trotzdem sie ein Zeichen der Liebe sein
sollen. Jn derselben Stunde, in der
ich die erste Schlummerrolle erhalte
mit der Ausschrist Nur ein VketteLs
stiindchen«, nandere ich wieder nach
Amerika aus-, und die Nichte, die mir
den ersten Wonnelloß arbeitet, er
würge ich ebenso wie den Neffen, der
mir eine Laubsägearbeit macht's· »
Das dorten aue Richten und Messen
mit Freuden. und auch die Erwachse
nen waren über diese Worte glücklich.
Man hatte so wie so schon so viel
Menschen zu befchenken, und einen
Mann wie Onkel Eduard konnte man
doch nicht mit Kleinigkeiten abfptisen.
Wenn man dem etwas gab, mußte es
doch schon etwas sehr Schönes fein,
und das kostete viel Geld, und gerade
das war in der Familie nicht allzu
reichlich vorhanden.
Und im Anschluß an diese erfte
Rede hielt Onkel Eduard gleich noch
eine zweite: »Damit gleich alles zwi
schen uns klar gemacht wird,« wie er
meinte. Dann sagte er: »Ihr schenkt
mir nichts, und ich schenke Euch auch
nichts, wenigstens nie etwas anderes,
als hartes Geld. Ich habe hier im
ganzen zehn Nichten,s sieben Neffen,
drei Vettern und vier Cousinen, so
daß jede zweite Woche im Jahr ein
Geburtstag ist. Und Ihr könnt von
mir verlangen, was Ihr wollt, aber
daß ich mir jede zweite Woche den
Kon darüber"2erbreche, was Paula,
Anna. Käthr. Bertba, und wie sie alle
heißen, wünschen, daß ich jede zweite
Woche alle Laden durchstöbere. nur
um schließlich irgend einen Unsinn zu
kaufen, das könnt Ihr nicht von mir
verlangen. Ihr bekommt baar Geld
Hund damit bsasta.«
’ »Echt amerikanisch,« dachte die Ver-— (
wandtschaft. Voetisch fanden sie seine s
Worte ja gerade nicht, aber schließ
lich: baar Geld lacht. und wenig
wiirde Onkel .Eduard schon nicht
schenken. So freuten sich denn alle
schon auf die Thaler, die Goldstücke
und die Hundertrnarkscheine, die ein
jeder je nach seinem Alter erhalten
würde.
; Aber in diese Freude mischte sich
i Iar bald ein Wehmuthstronfen, denn
! Onkel Eduard schenkte nicht in baar,
! sondern in Wechseln auf die Zukunft.
; und die höhe derselben verschwieg er.
i »Sieh mal, mein lieber Karl.« sagte
ler eines Tages zu seinem Neffen, der
J seinen Geburtstag feierte und sich den
sKopf darüber zerbrochen hatte, ob er
Tmit seinen vierzehn Jahren in Bezug »
san das Geldgeschenk zu den Kindern ;
zoder schon zu den Erwachsenen ge-I
rechnet werden würde. »sich mal, mein ;
iIunge, wenn ich Dir ietzt baar Geld s
T schenke. dann ist es in wenigen Tagen !
ier nichts und wieder nichts ausgege- j
l ben, und iats habe mir mein Geld viel J
jzu fauer verdient. als daß Du jetzt;
’ auch nur den tleinften Theil davon für l
Bonbons und Kuchen ausaiebiL Des
halb leae ich Dir lieber etwas Geld
auf dieSnartassr. und wenn Du er
lwschsm visi. wisvDich das Gew, das
lTu dann aiisaesrlslt erhältst, mehr
ifreuen, als heute.«
Und wie bei dem Neffen Karl
machte er es bei allen Verwandten, bei
groß und llein, bei jung und alt. Und
wenn er zum Gratuliren tam, saate
er nur stets-: »Ich habe etwas für Dich
auf die Bank gebrachr.« Aber über
das Wieviel schwieg er sich jedesmal
aus, und fragen mochte nsan natür
lich nicht, das hätte ja sonst beinahe
so ausgleichen, als- ob man sich etwas
aus Onkel Edwards Geld mache, und
den Verdacht durfte man doch nicht
aufkommen lassen.
»Wieviel Vermögen Onkel Eduard.
wohl ei entlich haben mags« Das war i
die gro eFrage, die beständi die Ge s
müther der Verwandten befchäftigte.
Man hätte es rasend gern gewußt, »
theils aus Neugierde, theils um we s
niastens ungefähr zu wissen, wieviel’
man später unter Umständen erben
könnte. Aber fragen tonnte man nasi
türlich nicht. Und Onkel Eduard selbst
sprach nie über sein Geld. Nur einmal
hatte-er gesagt: »Wenn ich daran
denke, wie ich früher arbeiten mußte,
nur, um überhaupt leben zu können.
und wie ich jetzt im Ueberfmß dasitze,
dann bilde ich mir wirklich oftein, ich
wäre ein König-« Und ron diesem
Ja e an hieß er in der Familie nur
no «König Eduard«, und halb im
Ernst. halb im Scherz ließ er es sisb
gefallen.
Aber die Hauptsache war, er hatte
erklärt, baßer im Ueberslnß lebe. Das
erweckte im ersten Augenblick große
Hoffnungen, dann aber fah man einU
daß das Wort »Ueberfluf3" sehr dehn- ;
bar fei.» Onkel Eduard brauchte iaI
nichts fur fiel-, er tauchte sehr autel
Figuren nnd trank sehr guten Whigss l
Ted- aber sonst gab er ja lauen etwas j
tue ais-,- ee war ja beständig in
der . ·etoandtfchaft eingeladen und
hatte ne jeder Familie seinen bestimm
ten Mun- ee dort zum Mittag
M ; . M zum Abs-dessen er
schien. Am Anfang hatte rnan ihn
mit tausend Freuden eingeladen, schon
um ihm zu zeigen. wie man iiber seine
Rückkehr glücklich sei, aber aus die
Dauer, jahraus, jahrein. empfand
man es denn doch als Last, ihn so
häufig zu Gast zu haben. Einmal
hatte es seine Schwierigkeiten mit dem
SpeisezetteL denn Onkel Eduardl
konnte doch nicht heute bei Tante So- »
phie dasselbeb essen, das er gestern beis
Onkel Fritz egessen hatte, dann abers
mußte man sich auch mit dem Rein-«
machen, der Wäsche und tausend nn
deren Dingen stets so einrichten, daß
er nichts davon merkte, denn mit sol
chen Sachen durfte er nicht belästigt
werden. Onkel Eduard merkte natür
lich ganz genau, wie er den anderen
häufig zur Last war, und mehr alsi
einmal bat er: »Kinder, laßt mich doch?
im Hotel essen,« aber ein Sturm deri
Entrüstung war jedesmal die Antwort s
daraus: »Das darfstTn uns nichts
anthun. was- Ivijrde die Stadt dazu;
sagen! Es ist ja wenig. was wir siirJ
Dich thun können, und diese FreudH
daß wir uns wenigstens etwas ums
Dich kümmern dürfen, ioirsiDu uns
doch nicht rauben.«
So ging ein Jahr nach dem anderen
dahin. Eigentlicb begriff eI die Ver
wandtschaft nicht ganz. dasz Onkel
Eduard es so lange in der kleinen
Stadt aushielt, und ganz begriss On
rcl Evaan es seiier nicht. Ost eachie
er daran, seinen Wohnsitz noch des
Residenz zu verlegen, aber irgend ek
was hielt ihn hier fest, über das er
sich selbst nicht klar war, bis er eines
Tages zu der Erlenntniß kam, daß
er trotz seiner zweiundfiinszig Jahre
verliebt fei, verliebt bis über beide
Ohren in seine Nichte Mitbe. Das
war ein zwanzigsährigeä lustiges,
junges Ding, zierlich Und araziös wie
eine Eli-U fröhlich und übermüthig
wie ein Kobold, die mit großen, blauen
Augen lachend in die Welt sah, bis sie
dann doch eines Tages traurig den
Kopf hängen ließ.
»Wo drückt dich der Schuh-T fragte
Onkel Eduard in herzlicher Theil
nahme, als er einmal mit ihr allein
war.
Aber statt zu antworten, fiel sie ihm
um den Hals und weinte bitterliche
Lhranetn
Zärtlich streichelte Onkel Eduarb
ihre blonden Locken und tag kleine,
zarte Gesicht. Er versuchte stezutrii
sten, so gut er konnte. nicht durch
Worte, sondern nur durch die Liebe,
dicer in denleisen Druck ieiner Hand
hineinlegte. Und doch war er selbst
todegtraurig denn diese Minute be
wies ihm, daß sie in ihm nie etwas
anderes gesehen hatte, als nur den
Onkel. Es war ja auch ein Wahnsinn
von ihm gewesen, zu glauben, daß sie
ihn anders lieben könne, ihn, der doch
in ihren Augen ein Greis sein mußt-.
Mit einem schweren Seufzer begrub
er seine Liebe, dann fragte er, gleich
sam als hättesie ihm schon die Ge
schichte ihres Kummers erzählt: »Wie
heißt er denn?«
»Ist-itz, Onlel Eduart,'« schluchzte
sie und schmiegte sich wie ein Kind an
seine breite Brust und dann erzählte
sie ihm allegi Er war der erste Provi
scr in der Apotheke, und so schön. und
Yo nett, uno so fleißig, und fte liebten
sich schon lange, aber gestanden hätten
sie es sich erst oor ein paar Tages-»
aber an eine Heirath sei nicht zu den
len, denn er sei ganz arm. und er
müsse seine Mutter rnit ernähren und
auch noch einen Bruder, der vollstän
dig gelähmt sei.
»Ach, Onkel, es ist zu schrecklich —
7ck, habe ihn doch so itber altes lieb.«
Wieder strich er zärtlich über ihre
Haare und über ihr tleines Gesicht
»Na, warte nur« bis ich todt bin,«
meinte er schließlich, »ewig tann das
ia nicht nxehr dauern, und wer weiß,
Vielleicht ist sann so viel sur dich ba,
daß du ihn doch heirathen tannst.«
Mit großen Augen sah sie ihn ganz
entse t an, dann schlang sie ihre Arme
urn einen Hals, als wolle sie ihn fest:
halten für immer: »Nein, Ontel Edi
ard. du sollst nicht sterben, du nicht.
Meinetwegen alle anderen Menschen
aber du mußt bei mir bleiben. du bist
io lieb und so gut. Und wenn ich
den Fritz nicht bekommen kann, dann
will ich dich wenigstens behalten, bis
ich todt bin.«
Er küßte sie zärtlich aus die Stirn
nnd vertuck.te, sie von Neuem zutri
iten. Sie sei noch so jung, vielleicht
lönne doch noch alles gut werden und
die echte Liebe verzage nicht strick-,
sondern blicke freudig und voller Hoff
nung in die Zutunst.
' Käthe versprach, seine Worte zu be
herzigen, aber trotzdem wurde sie von
Tag zu Tag immer stiller und immer
trauriger, und Onkel Eduard ergingT
eåebensa Er konnte es nicht mit an- «
schen, wie Kiithe litt, und beständig
sagte er sich-. mach' sie glücklich. Aber
trenn er dann an den Anderen dachte,
den er haßte, ohne il-,-n je gesehen zu
haben, dann war ihm, als würde er
ei- nicht über-Leben, daß der Andere bei
ihr das Glück finde, das et selbst ver-«
gebens erhofft hatte. «
Bis dann doch der Tag ant, an
dem er Heer über sich selbst wurde,
an dem er als Sieger aus dem Kampf
·de!vorging.
»Aber- dabei sein will ich nicht,«
wenn die Beiden sich verleihen, das ist
mehr, als ein Mensch von mir ver
iangen kann.« «
Aber als am Mittag desselben Ta
geö, gerade als die ganze Familie
eben zu Tisch gehen wollte, der Pro
viso: in Fraet und weißer Binde er
sesiety um seierlichst Kätlaekz Hand zu
eebitien nnd dabei erzählte, er habe
ir: der Lotterie das große Lapi ge
warmen — hunderttausend Markt s-z
nnd er tMe sich nun eine eigene Ipo
tlfeke taufen und eine Frau ernähren,
da saß Onkel Eduard doch dabei und
freute sieh un Stillen an dem namen
losen Gluckjeiner Milde. Und als der
Herr Provisor mit seinem feierlichen
Antrag fertig war, da geschah etwas
canz Unerioartetes, da fiel Milbe nicht
ihrem geliebten Fritz um den hals,
sendern sie küßte Onkel Eduard. »Du
lieber, guter, du einziger Mensch du!"·
»LBas kann ich dunr dafür, daß
dein Fritz in der Lotterie gewonnen
hat?« sragu er ganz ernsthafh aber
seine lustigen Augen versuchten verge- .
dens, den Schalk zu verbergen, und
von Neuem schmiegte sie sich zärtlichs
aii ihn.
Von dem Tage an war es für dir
Familie -eine feststehende Thatsache,
daß LDntellsduard ungezähtte Usiillio
neu besaß. denn an den Lotterieqc
Irinn glaubte.natürlich tein Mensch,
obgleich sowohl Fritz wie Onkel Edui
crd jeden Meineid daraufhin leisten
irsrllten Wes reich muß ein Mensch
sehn der In ennni Tage hunderttau
scnd Mark verschenlen kann? Tag
lvar ja gar nicht augznrechnenl link
aanz unwillkürticks lourden alle noch
freundlicher gegen ihn.
Uin so größertvar daher dn allgek
ngeine Enttiiufchung, als es plötzlich
hieß: »Onlel Eduard will nach Berlin
nbersiedehk das Leben in der Fikin
stadt behagt ihm nicht mehr-«
Wäre die Welt eingestürzt, so hätte
das-« auf die Verwandtschaft « keinen
aröeßren Eindruck machen tönnm Zu
erst waan alle sprachlos. aber als sie
die Sprache wiedergefunden hatten,
mriuchstn M rinphiundzuspmnnm
Onkel Eduard umzustimmen. Der
aber blieb unerbittlich; ieitdem seine
Rathe geheirathet hatte und in eine
andere LEtadt gezogen lvar, hie« ihn
hier ja gar nichts mehr
So traf er denn alle Vorbereitun
gen, um nach der Residenz iiberzusie
deln, aberes tani nickn soivett: eines
Morgens durcheilte die Schreckens
tnnde die kleine Stadt, daß Onlel
Eduard todt im Bett ausgefunden sei
—4tm GchstmchwghmnlrimmLe
den ein fanstes und schnelleå Ende be
reitet.
Onlel Eduard war tooc: uno ou
erste Gedanke, der alle beseelte, war:
ob er wohl ein Testament hinterlasten
hat? Wie oft hatte man ihn früher
nicht fragen wollen, ob er testirt hätte:
Aber man hatte es nicht gewagt, das
hätte ja so ausgesehem als ob man
aus eine etwaige Erbschaft rechnete,
und das ging doch nicht. Jetzt aber
machten sich alle Gewissensbisse, das;
stie nicht doch danach gefragt hatten.
Was dann, wenn er ohne Testament
gestorben trat?
Alle Befürchtungen erwiesen sich als
grundloå, und wenige Tage nach sei
ner Beiseyung versammelte sich die
gan e Familie in dem Rathhaus. um
lsei er Borlesung des Testament-s zu
gegen zu sein. Alle bemühten sich,
ausrichtiqe Trauer zur Schau zu tra
gen, aber trotzdem gelang es Nie
mand, die Aufregung, die Neugier zu
unterdrücken Was würden die nächsten
Minuten ihnen bringen? Gewiß, sie
hatten Onkel Eduard alle sehr gern
ehabt, wenngleich seine häusi en Be
suche ihnen viele Kosten und vi le Ar
beit verursacht hatten, aber trotzdem,
trenn das Geld nun einmal da war,
trarum sollte man es da nicht nehmen?
Da erhob sich der Notar: »Aus
Wunsch des Verstorbenen, der auch
mir ein lieber Freund war, habe ich
Ihnen zunächst die Summen belannt
zu geben, die der Entschlafene fiir Sie
an Geburt-tagen aus der Bank einge
zahlt hat.'«
Er machte eine lleine Pause, gleich
sam, als wolle et die Spannung der
Anwesenden noch erhöhen, dann las
er die Summen vor, und es hätte nicht
viel gefehlt, und alle Anwesenden wäs
ren ohnmiichtig geworden. Onkel
Eduard mußte jedesmal nie mehr als
ein Fünsmartstiick eingezahlt haben,
denn selbst die Erwachsenen erhielten
nur ein paar hundert Mart.
Der Notar that, als beiiserte er das
Entsetzen der anderen gar nicht, son
rern erbrach das Testament· »Ich
bitte um freundliches Gehör.«
Man versuchte, sich zu sammeln —
jctzt kam ja erst die Entscheidung.
Onkel Eduard’5 letzter Wille war
lurz und bündig, aber darum nicht
minder schmerzhaft Er lautete ein
fach: »Ja-, vermache mein ganzes Ver
mögen im Betrage von einer Million
Mart meiner Vaterstadt.'«
Das war zu viel!
Tante Sophie fiel in Ohnmacht
iind der vierzehnjiihriae Karl fins»s bit
ierlich an zu weinen. Dem hatte fein»
Vater fiir den Fall, das er viel erben
würde, ein neue-s- Fahrrad versprochen-,
und nun bekam sein Vater gar nichts«
Und er mußte weiter auf seinem alten .
Rad fahren, das nicht mal ordentlich«
mehr Luit liielt und das nichtmalT
Freilan hatie. Und die anderen hat
ten alle Freilauf, und er hatte schon
seinen« Freunden erzählt, er betiinie
auch eins mit Freilauf, und nun belam
er Hat nichts. Und je mehr er daran s
da
te, desto mehr mußte er weinen
Da trat der Notar aus ihn zu.»Wie
;t)eißt Du init Vornainen?«
»Karl!« schluchzte er.
. »Und warum meinst Du denn so.
’ iiiein Junge?«
, Den ioahren Grund allein an uge
;1-en, genirte er sich plötzlich, uni- so
; scägte er denn mit weinender Stimme: (
» eil Onkel Ediiard todt iit —- —
Jund weil ich nun lein neues Rad be
stomme.« .
; »Na,,ttöste Dich nur,« meinte derT
Notar, «vj«elleicht betonimst Du dochs
noch eini. »Dann nahm etc-seinen
Plas wieder ein· »Der-r wir ans-s
einander schen, habe ich Ihnen miten- l
Weisen, daß noch ein zweites Testa
ment des Verstorbenen vorliegt, und
ich habe die 5Pflicht, Sie mit dem Jn
halt desselben ebenfalls bekannt zu
machen.«
Ein »Aha« ging durch die Reihen
und alle nthmeten erleichtert aus« Und
Tante Sopbie, die man bisher verge
bens versucht hatte. aus ihrer Ohn
n:a t zu erwecken, schlug ganz von
selbt wieder die Augen auf. Es war ja
auch gar nicht möglich, daß sie alle
hätten leer ausgehen sollen!
«Der Notar öffnete das zweiteCou-:
veet und entnahm demselben zuerst ei
nen Brief.
»Meine lieben Verwandten! Fürch
tet Euch nicht! Das Teftntnent, in
dem ich die Stadt zum Erben einsetze,
ist schon deshalb gesetzlich ungitttg,
weil die Unterschriften der Zeugen nnd
des Notar-z fehlen. Ich habe Euch
nur einen kleinen Schrecken einiogcn
wollen. und wenn mir in diesem «Plu:
nenblict etwas aufrichtia leid tl)!!t, so
ist eg, daß ich bei der Bei-listing des
selben nicht vZuaeqen sein kenn, um
Eure entsetzten Gesichter zu sehen und
um über Eure Gnttäuschuna laut auf
zulachen. Jch werde in diesem Au
genblick fiir Euch genau wieder der
schlechte Mensch sein, der ich für Euch
als Junae war, weil ich die griechi
schen Volabeln nicht lernen konnte,
und weil ich meinem Lehrmeister aus
tnisf, der mich ungerechterweise züch
tigen wollte. Als ich reich zurück
kehrte, war ich natürlich der Stolz der
Familie. Aber ich trage Euch das
nicht nach, denn auch Ihr seid ia
Menschen, und dem Gelde beuaen sich
alle. s-- Jhr habt mir viele Freund
lichkeiten erwiesen. aus welchen Grün
den, soll dahingestellt bleiben, Liebe
bat mir nur eine entaeaengebracht,
Mitbe, und sie soll deshalb auch die
Hälfte meineg Vermöaens erben.«
Freundliche Blicke waren es gerade
nicht« die in diesem Augenblick auf die
junae Frau fielen. aber die merkte
nichts davon; in ihrer ausrichtiaen
Trauer um den Verstorbenen war ibr
die Höhe der ihr zufallenden Erbschaft
ganz gleichgültig
Der Notar las weiter:
»Kätlie ist die einzige, die meinen
Tod beweinen wird. Aber vielleicht
irre ich mich doch, nnd deshalb le
stirnnie ich, daß der Rest meines Ver
mögens, abzüglich der Euch auggesetz
ten Leaate. zu aleichen Theilen den
jenigen zufallen soll, die bei der Te
starnentgeröfsnuna mir noch eine
Thrane nachtreinen. Warum sie wei
nen, ob aus Trauer oder aus Ent
täuschuna ——-— die ia schließlich auch
eine gewisse Trauer in sich schließt
soll ganz aleichaiiltia sein. Der No
tar ist verpflichtet, die Namen der
jenigen, die um mich weinen, festzu
stellen und in meinem Sinne iiber
mein Geld Im versiiaen."
llnd da geschah etwa-:- llnertvarte
tes: mit einem Male weinten alle,
die Großen und die Kleinen. die Jun
gen nnd die Alten. die Frauen und
die Kinder. und selbst die Männer
sckneuzten sich nnd trockneten sich die
Auaen. Und als dann eine Stimme
sagte: »Ach, der liebe, aute Ontel
Eduard —-—«, da wurde plötzlich die
Erinnerung an den Todten in allen
wach, und die Thriinen flossen wie
leise Bächlein.
Der Notar sab es, und ein leises,
sböttisckes Lächeln umspielte seinen
Mund, dann saate er: »Die Tbränen
machen Ihnen alle Eber, aber sie tum
men zu spät — nur einem einzigen
haben sie genützt. das ist der junge
Karl, siir den ich das Geld bis zu
seiner Mündigteit zu verwalten
babe.«
Unwilltiirlich blickten alle in diesem
Augenblick aus den Knaben Karl, und
während der bisher der Verzug und
der Liebling aller Tanten, Onkel,
Vettern und Basen gewesen war, san
den sie ibn plötzlich gräßlich und un
sausstebtich und begriffen nicht, was
sie srüber an ibm gehabt hatten. Nur
der Vater zog ibn zärtlich zu ssich
heran, und obgleich er sich vorhin über
sein dummes Weinen gräßlich geär
gert hatte, »tiißte er ihn ietzt voller
Liebe aus den Mund — er war
doch ein sehr guter Junge.
Itstosöeifcheuh
Vor kurzem berichteien vie Blätter
über ein wahres Schlemmer-dicken das
det bekannte Kav Millionär Hatky
Barnato seinen Freunden in London
gegeben hatte, um nachträglich, wie et
es früher versprochen, die Beendigung
des rnffisch - japanischen Krieges zu
feiern. Und jetzt haben sich diese
Freunde revanchikt und ihrerseits
Herrn Barnato zu einem Essen einges
laden, das feiner Zusammensetzung
nach dem ersten nicht nachstand und
das dabei auf eine ganz otiginelle
Weise inizenirt war.
Eli »Dtamantentd·nige« aus Lon
don, aus Hamburg und aus Wien
hatten sich zusaninrenaetham und um
Mister Barnato an die Zeit Zu erm
nern, da er und sein Vater noch selbst
in Kitnberley auf die Goldsnche aus
gingen, war in dein Saale des Gaietyi
Reitauxants am Strand, wo das
Mahl vor sich ging. ein richtigks Zle
ausgestellt, wie es die Goldaraher·zu
bewohnen pflegen. Der Tisch war em
fach gedeckt, Stuhle und Bänte von
verschiedenstenr nrirnitiven Material,
und Petroleumlainpen und Faeleln
verbreiteten nur ein unsichere-e Licht
Zwei ruhige Buren standen als Macht
poiten am Einaange, und die stellner
waren als Kassern verkleidet. Einen
um so größeren Gegensatz hierzu brl
dete dann das Menu, das an Speisen
Und Weinen nur die erlesensten und
theuersten Dinge aufwies und die
Kleinigkeit von fünfhundert Pfund
Sterling, also pro stops 8250 kostete.
iEine tadellofe Clear Real Turtle
iSoup wurde aus einem alten Kessel
sserdirt, neben dem das Plalat ange
Jhracht war: »Man bittet, sich die
Wände var Tisch zu waschen!'« und so
war während des ganzen Mahle der
Kontrast zwkscken dein Einst und dein
Jetzt aus mehr oder minder sckierzhafte
»Weise zur Geltuna gebracht. An Wei
snen gab es einen französischen (5hani
lvaaner, und einen Joahnnigbergcr
Rheinwein iu 8850 die Flasche. Nach
dem einentlichen Tinkr blieb man bei
zeinem Norm-ein zusammen von den
Hdie Flasche sich ans Tit stellte.
i ,...-.. -
Der a össte nnd org uettste Kuchen
der Wett.
Jn der Nähe Londonxi erhebt stets
eine uralte Windmiihte, die bis vor
wenigen Jahren dar-.- beliebte Ziei zabl
reicher ’!liirfiiigler der Mittionenstadt
bildete, aabeg doelz dort neben so
manchen landschaftlizen Reizen anei)
eine srug.ile, billige Betvirthung. In
verschiedenen englischen Romanen ist
diese Windmiihle geschildert worden«
und sie erfreute sich sozusagen einer
mindestens-— lotalgeschichtlichen Be
iijhmtheit Neuerdingg ist der Mülle
reibetrieb dort freilich außer Thätig
strit gesetzt worden, nnd iiker kurz oder
siang dürfte dass ganze Unwesen in der
lutnttarninerung der rauch- und ruß
geschwiirzten Riesenmetropole gänzlich
Tvcrschivindem wie schon so viele ian
lische und anziehende Stätten an der
Themse im Uintreise etlicher Qua
dratineilen, von der City aus gerech
net. Ein tunstgeiidter Engländer hai
sich und anderen nun das Vergnügen
tereitet, jene vielgenannte Mithke
"nachzubilden. Wäre er ein Bildhauer
»in Stein oder Elsenbein, so hätte diese
Nachbildung jedenfalls Aussicht aus
recht langen Bestand. Da die betref
sende Persönlichteit indess dem ehr
samen Bäckergeioerde angehört, so et.
scheint die Dauer des Kunstivertes ---
eg- ist aus Kuchenteig und Zuckerguß
recht nett geformt ——-- immerhin ziem
lich beschrantt, zumal der reZweck des
Stückes selbst ja nicht darin besteht,
allein dein Auge, sondern in erster
Linie dem Gaumen zu dienen. Nicht
nseniger als 8 Fus; betsräat die Höhe
dieses Gebilde-, das im Backe-sen seine
letzte Vollendung erfuhr. Es wiegt
1.(;60 Psund und zu seiner Herstellung
wurden unter anderem mehr als 3000
Eier verwendet. Das Jnteressanteste
ist aber, daß sich trotz der recht em
pfindlichen und bröaligen Masse des
Kuchens die Fliigel der Mühle stott
drehen Lassen.