Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, February 23, 1906, Sweiter Theil., Image 12

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    . Die Fluch-träte.
fsiu Schwank aus dem Fasching von
Tea. v nTorrr.
. «Freilich, deinen Brief habe ich be
totnmem Du bist verrückt.«
Er sagtiee das nicht gleich beim Ein
tritt, son rn erst, nachdem er sich ver
setpissert, daß niemand sonst zugegen
war. Vor dem blonden Backfisch, wel
chem er diese kurze und etwas drasti
ehe Ansprache gewidmet, genirie ich
er sahnenjunter Theodor von Egge
vech nicht im mindesten. Die beiden
waren von Kindesbeinen an gewohnt,
garä deutsch miteinander zu reden.
r warf die Mii e auf denTisrh,
und während er fi seiner weißen
Waschledemen mit den ruckweise zer
renden Bewegungen eines gerecztn
Menschen entledigte, suchte sein finste
ter Blick in Hanna Michelsens Zügen
flog einer Bestäti ung der Diagnose.
r and zunächst nichts. Und das
war n immer so gewesen. Die
Eachztröte konnte sich fürchterlich ver
llen. Der lan en Bekanntschaft mit
r verdankte T odor von Eggebrecht
schon in verhältnißmäßig jungen Jah
ren die Erfahrung, daß man sich bei
rauensleuien nie recht augtennt
tte sie i früher gern und freudig
eine ihrer uppen überlassen und ihm
mit Vegeisterung assistirt, wenn er dem
Kinde größere Augen bohrte oder aus
der üblichen Knopfnase eine römische
s nißte, so war ihr Beifall ganz
plötzlich in ein langgezogenes Geheul
umgeschlagen, das dem Verschöne
tungstünstler dann verschiedeneKaßem
löpfe eingebracht Jeden Unfug, den
sie ausgeheclt, hatte sie hinterher so zu
drehen gewußt, daß des Himmels
Strafgericht als Hauptschuldigen im
mer ihn getroffen. Und als er ihr
trotzdem vor zwei Jahren in einem
wunderschönen Briefe seine Liebe cr
lärte, hatte sie zunächst dicke Thriinen
geweint vor Rührung und Entzücken.
um dann zur Frau Konful zu laufen
und ihr Theodor Eggebrechts zucken
des Herz hinzuhalten mit den Worten:
»Na lies blos mal, Martia, wag mir
der Thedje hier für einen Quatfch
schreibt!«
So war es immer gewesen —- und
in allem.
nna Micheisen kniete auf einem
Se el. Den Obertörper ganz auf den
Tisch gelegt, untersuchte sie den Inhalt
einer Katesdose mit Sorgfalt und
Sa tenntniß· Das Haar, dessen Farbe
die eltene Nuance zwischen hemmte-«
nen Semmeln und Asche hielt, war
nur auf dem Scheitel mit einer großen
blauen Schleife gebunden; sonst fiel
es offen in dichten, feidig glän enden
Strähnen über ihre Schlafen, Schul
tern und Arme. Dieses Haar und ihre
Charaktereigenschaften hatten ihr den
Namen Flachsströte eingetragen
Beim Eintritt des Jugendfreundes
te sie ihre Stellung nicht im gering
en verändert. Erst nachdem sie einen
innsperigen Chotoladetate probirt und
Eiter gut befunden, nickte sie ihm zu —
nndiich, aber wieder mit ·enein
lagernd versteckten Lächeln, das - heoi
der Eggebrecht als Banditenschmuns
sein bezeichnete
»Tag. Thedjr. Wie meinteft du?«
»Ich meine genau das, was ich ge
sagt habe,« erwiderte der Fahnenjun
ker knr , indem er sich heftig in einen
Styx fette und mit den Fingern auf
den isch trommelte. »Ich habe deinen
Brief bekommen —und zwar wieder
dar meinen Burschen ——— —«
» htarneradem willst du sagen.«
« urch meinen Bei rsche n. Und
ich will das nicht. Das ist mir unan
Bnebnt Das tompromittirt mich. Du
auchst doch nur eine Treppe höher zu
steigen, dann kannst du mir vortohlen,
was du willst.«
»Sei-reiben ist viel schöner
»Aber ich mag dein Geschreibe nicht!
Soll mich wohl wieder von meiner
Tanie oder deinen Eltern anhauchen
lassen, nicht wahr? Damit du dich
dann wieder freuen kannst wie ein Li
tobersnchs.«
»Thedje —- ist da s deine Liebe?«
Theodor von Eggebrecht erhob sich
und guckte wüthend die Achseln.
»Wenn du mich endlich auglassen
wolltest mit deiner verdammten Liebe.
Du scheinst dich nicht daran gewöhnen
zu können, daß ich kein Primaner
mehr bin, sondern Soldat ——«
»Aber Soldaten lieben doch auch,
Thedje.«
»Ich nicht!« rief der acpeinigte
« nge Krie er so selbstvekgessen laut,
aß er er chrocken nach den Thüren
spähte. Dann dämpste er seine Stim
me. « ch habe keine Lust, mich von dir
verho nacken u lassen. Mir ist nicht
dana zu uth. Das menschliche
Leben ist überhaupt eins der schwie
rigsten. Du wirst auch noch mal da
hinteetominen. Aber lassen wir das
fett. Was du mir da geschrieben
hast, ist doch nur ein schlechter Witz«
nicht wahr »Z«
»Nein — Thatsache.«
»Zas ist nicht möglich!«
«Woher willst du’s wissen?«
»Ich hab’ zufälli hinter der Por
iiere enden, als apa, Mama und
der ral davon gesprochen hat-ein«
»Und du hasi richtig gehört, daß-J
»Ja-wohl, mein Thedie, daß der
Ml tibermsorgen nach Berlin geht«
mher aber noch sich deiner Tante er
klären sied. Oe will sie heirathen.«
- M Minute starrte der Fah
M die Meine an. Wen Zug
"--»Ws uchteer nach ab,
» :.- , « n oft, oder die
« so elten. Dieser
aber · e vorzu
aus-—
titsche-angeln
W
I »He-unal« murmelie er mit Grabes
stimme. »Bei allem, was dir heilig ist
—und dasift leider sehr wenig-—es!
ist also wirklich sow ’
»Nun kannst du mir bald denBuclel
’1:auffteigen. Wenn du nicht glauben;
willst ———« ;
Theodor von Eggebrechi wandte sich (
ab. Ein geknickter Mensch. Er schob;
beide Hände in dise Taschen, und einf
aualvoller Seufzer entrang sich seinerj
Brust. l
»Dann dass geschnappt,« sagte er»
resignirt. »Ich gehe jetzt meine Uni
fokm ausziehen, Hanna, und dann
lasse ich mich von dem Torfkarren
überfahren Denn das überlebe ich
nicht. Mit dem General als Schmiei
geronkel werde ich nie Offizier
und wenn ich das propbetikche Alter
erreiche —«
»Aber wieso denn, Theojek Ich
denke, gerade.« .
»Du hast ’ne Ahnung!« Er trat
Zum Fenster und schaute tfostlog durch
ie States. »Wie ist es blos möglich,
daß ein Mensch soviel ech auf einen
kaufen haben kann. on daß die
aserne hier gegenüber liegt-—damit
haks angefangen. Keinen Moment un
deobachtet. Wenn man in seiner Wob
nung niest, sagen die drüben profit.
Dann hat man einen Oberst —— einen,
den der liebe Gott im Zorn geschaffen
hat. Einen Oberst, der alles sieht und
alles weiß und entsprechend aus einem
herumreitet. Vielleicht wollte er die
Stimme seines Herzens übertönen,
wenn er mich vor allen Anderen durch
Anschnauzen auszeichnete, oder den
Objektiven rausbeißen oder sonst wag.
Jch weiß nicht. Dieser Oberst wird
endlich General — Und versetzt. Man
athmet aus. Man macht in der reude
seines Herzens sämmtliche Fa nriche
und Einjährige des Regimen betrun
ken. Was passirt daraqu Der thenre
Mann wird Schwiegervatel nnd Bise
Papat Und Tante Ursel nimmt ihn,
Hanna. verlaß dich daraus! Jeft wird
mir überhaupt manches tlar, was ich
vorher nicht verstanden habe. Sie hat
so was Lnrisches, Schmelzendes und
mädchenhaft Verschiichtertes ieit eini
ger Zeit. Sie küßt ihren Mode nicht
mehr, schmintt sich wie farbenblind
und trägt fabelhaft enge Stiefel. Ich
habe sie gestern tanm angetriegt ——-"
»Thed«e, was machst du in Tantes
Stiefeln « fragte die Kleine. indem sie
ihre Stellung aufgab und sich neugie
rig heranpiirschte. Alles Ungewöhns
liebe-und wenn es noch so bedeu
thngslos schien-—hatte für sie einen
zwingenden Reiz.
»Ach so ——« korrigirte sich der Fah
nenjunter abweisend. »Nein. Nichtin
»Sag’, bitte —'«
»Nein. Du bist falsch. Du plan
derst alles aus. Und dann wiirde ich
hübsch in den Neffeln sitzen.«
»Wahrhaftig nicht! Lieber, guter,
.süßer, einziger Thedjei Jch werde
ganz gewiß nichts sagen!«
Damit tätschelte sie ihm beide Wan
gen nnd sah so treuherzig und liebe
voll zu ihm auf, daß ihm wieder ein
mal alle Erfahrungen und Vorsätze
abhanden kamen — wie immer, wenn
die Flachötröte es richtig darauf an
legte. Einen Augenblick schwankte er
.noch. Dann:
’ »Als-) gut Jch weiß nicht, ob es
dir betanntift daß wir im Faichina
leben Wenn eS nicht im Kalender
stände, würde man ei— nämlich in vie
fern stumpfsinnigen lknlennest aar
nicht merken. Da bier nichts los iii,
hatte ich mit Pliigloiv und Reimen
einen lleinen Karnevalgicherz auf
eigene Faust verabredet Wir wollten
uns derileiden und dann einiae andere
Kameraden aufsuchen. Ich inanne
der Tante aus, wag ich brauche und
richte mich wunderschön ber. Selbst
einen der graumelirten Zöpfe, die sie
neuerdings nicht mehr trägt, hatte ich
mir —— ——- au zum Donnerioetter,
weshalb lneisst du mich denn!?«
»Du bist ein zu lieber Kerl!« quielie
Hanna Michelsen in unbändiaer Be
geisterung. ,,Weiter! Weiter!«
»Ich tomme glücklich aus demHauie
und auch an der Kaserne vorbei.
Kaum aber bin ich zwei Straßen wei
ter, höre ich Sporentlirren hinter mir
Jch gehe etwas schneller — die Sporen
auch Jch drehe mich um ————— der
Oberst! Jch denke, ich kriege den Tod
in beide Waden. Harme, es ist mir
immer tnbegreiflich gewesen, ioie ihr
Frauensleute euch in dem vielen Plun
der mit einiger Beschleunigung fortbe
wegen könnt. Jetkt weiß ichOS Es
geht, wenn man muß·. Jch habe lange.
Beine gemacht —- wie ein Marktweib,
das Schlangengurken gemaust hat. Da
aber mein Verfolger trotzdem Schritt
hielt, blieb mir nichts Anderes übrig:
Jch naan die Röcke auf und riß aus
wie Schafleder. Bei der Akademie bin
ich dann über den Zaun gegangen-«
«Thedje —!« stöhnte Hanna Mi
chelsen unter Lachthränen. »Noch ein
Wort und ich kann nicht mehrt« Sie
hatte die Arme auf den Tisch geworfen
und den Kon daran gel t Die blaue
Schleise bebte ionvulsivi ch Theodor
von Eggebrecht zuckte die Achseln.
»Du la it Mir war aber gestern
gar nicht lächerlich zu Muth — und
wie mir heute sein wird, weiß ich noch
Tilgt Mein präsumptiver Schwieger
l tit mir noch nicht in die Arme
elausen, daher liegt es vbllig im
mitten, ob errn erkannt oder wirt
lich für Tante Ue el gehalten hat —«
«Tante Urselt Mit hochaufgeschiirz
ten« Böcken nnd-übern Zaum-'
»Nun irr-das ist allerdings etwas
nmhrsseinlichz» und wenn er das
!
FZQ Fahnen unter versank einen
tinteit Ostern-w Das-Mr
»s- Zis- Mä« Mc MO- .
YOU hist reichcich kurs
I
"sichtig. Dieser Umstand und ein bis
chen Frechheit müssen mich retten.
Müssen, hannal Denn wenn der
Oberst die Geschichte spitz kriegt,
sperrt er mich ohne Gnade ein. An
gedroht hat er’s mir schon lange. Und
dann ist's Essig mit Kriegsschule und
mit dem Offizier!" Die Hauptsache
ist, daß du schweigst!«
»Ich schwöre es dir, Thedje —- —
unter einer Bedingung :Du puht dich
noch einmal an. Jch muß dich sehen!«
»Ich werd’ den Teufel thun!«
»Bitte, bitte, bitte -—— thu’ mir die
einzige Liebes« flehte die Kleine mit
aufgehobenen Händen. »Du läufst
teine Gefahr! Tante Urfel und der
General sind heute Abend zu Tisch ge
laden, wo ihnen die Gelegenheit zur
Aussprache gegeben werden soll! Sie
werden sich doch nur im Speisezimmer
und dann vorn im Salon aufhalten.
Wir sind hier also völlig sicher — und
im Nothfalle tneifst du durch Vaters
Akbeitszimmer aus, das nach dem
Flur führt. Mach, Thedje —— du be
tornmst einen Kuß!«
»Ich mag gar seinen. Damit du
hinterher zu Mama läufst und den
Vorfall zu Protokoll giebst, nicht
» wahr?«
Das klang zwa herb und abwei
fend, aber hanna ichelfen war ihrer
Sache bereits fo sicher. daß sie mit
einem hellen Jauchzer davonschwirrte,
»als ihre Manier soeben das Zimmer
betrat. Also um sechs, Thedje!" rief
H sie noch lachend durch die Thür.
l Die Frau Konsul nidte dein ziem
lich verhagelt daftehenden Jugendges
Epielen ihrer Tochter freundlich zusund
kaute
»Was hat denn der Wildsang wie
der ausgeht-ein Theodor?«
»Ach nichts — nichts Besonderes.
Ich soll —- ——- sie bat mich —- ihr eine
Brandmalerei vorzuzeichnen Ja
wohll«
»Bei der mäßigen Behandlung, die
Jhnen das Mädel angedeihen läßt«
würde ich ihr solche Gesälligleiten
nicht erweisen,« bemerkte die Frau
Konsul mit einer Liebenswiirdigleit
welche aus das Haupt des Nothliig
ners einen halben Centner glühender
Preßiohlen sammelte. »Na gleichviel.
Seien Sie so aut, lieber Theodvk,und
bestellen Sie der Tante, sie möchte
schon um sechs herunterlommen
—- weghalb weiß sie. Sie werden
das besorgen?" «
»Seht wohl. Sosort.«
Damit empfahl sich der rauhe Arie
ger—und es war beichlossene Sache
bei ihm, das-, er der Flachgtröte dies
mal den Gefallen nicht thun würde.
sf Il- I
Die weibliche Psvche ist bekanntlich
eine höchst tomplizirte Einrichtungf
Sogar Leute mit größerer Lebenser
fahrung und besserer philosophischer
Anlage. als der Fahnenjunler von
Eggebrecht sie auszuweisen hatte, ha
ben sich in diesem Labyrinth verirrt.
Ja, es soll Frauen geben, die sich
selbst nicht verstehen — das sind dann
die Unverstandenen.
Zu diesen gehörte Hanna Michelsen
nun zwar nicht —- theilö ihrer Ju
gend, theils ihrer robusteren - Seele
wegen; aber verschiedene ihrer Hand
lungen deuteten doch aus einen ziem
lich räthselhasten Impuls.
Seit dreiviertel sechs hatte sie aus
der Lauer gelegen, und als dann wirk
lich eine ohantastisch ausgevußte Ge
stalt die Treppe herabgeschlichen lam,
um mit Diebesgeriiuschlosigteit im
Wohnzimmer zu verschwinden, war sie
quetschveranügt in ihrem herzen und
voller Dankbarkeit siir den guten
Thedje, der ihre Bitte ersiillt hatte.
Das mußte einen prächtigen Spaß
geben —- und den Kuß sollte er dann
schließlich auch betommen, selbst wenn
er sich sträubte. Diese guten Borsätze
waren aber ausgelöscht und wie ein
Hauch verschwunden, als sie, im Be
griff. sich von ihrem Lauerposten zu
rückzuziehen, den General in den- lur
treten sah. Ein wahrhaft satan cher
Gedanke durchzuckte sie und nahm so
völlig von ihr Besitz, daß sie ihn beim
besten Willen nicht niederzuringen
vermochte.
Eine Minute später wußte der Ge
neral, daß der Fahneniunter Theodor
von Eggebrecht, derselbe Fahnenjum
ker, welcher sich bereits gestern auf of
fener Straße in Weibertleidern her
umgetrieben und mit ihm Greischen
gespielt hatte, hinter jener Thiir den
Mummenschanz fortsetzte.
Das schlug dem Faß den Boden
aus. Der General vergaß sasi. wes
halb er eigentlich hierher gekommen
war. Der Wunsch, den Frechdachs in
fla ranti abzusassen und ihn damit
au der gestrigen unerhörien Straf
that zu überführen, beherrschte ihn so
vollständig, daß er ohne Weitereg die
Thiir ausriß und eintrat·
Frau verwiitroete Ursula von Egge
brecht hatte sieh siir die seierliche
Stunde, der sie seit langem entgegen- .
geharrt, so schön gemacht, als re nur i
irgend gekannt. Auch jth ha te sie!
noch vor dein Spiegel an sich herum- !
geputzt — und da wollte ihr scheinen, ’
als wenn ihre Wangen die Farbe der
Freude und fraulnher Besangenheit
hinreichend veranschaulichten. Mit be
henden hönden griff sie nach der
Range-Dunste in der Tasche und hatte
bereits die eine Wange ganz erheblich
ausgesrischt, als sie mit einem Schrei
zusammenfuhr und das theilweise er
rötheie Antliß in ihr Taschenturh ver
barg. Nicht um die Welt hätte sie sieh
ihm so gezeigt. Lieber sterben! Wie
konnte er überhaupt —- —
»Als-) wirklich —,« leuchte der Ge
neral vor sieh hin, indem er die kurz
Hichtigen Augen susanimentniss and
W
die mit allen Merkmalen der Angst
und des Schreckens erschauernde Ge
stalt ins Auge faßte. Dann sammelte
er mit ein paar tiefen Athemziigen
genügend frische Luft und komman
dirte ein dröhnendes »F r o nt !!«
Nichts. Der Fähnrich reagirte nicht«
Der Fähnrich schien überhaupt irr
sinnig geworden zu sein.
»Sie wollen inir also Jhr holdes
Antlitz nicht zeigen!? Sie vertveigern
den Gehorsam!? Nun gut. So werde
ich endlich das Exempel statuiren, wel
ches schon seit gestern über Ihrem
Haupte schwebt, meine schöne
Tante -——- «
Hinter dem lianrpshast festgehalte
nen Taschentuche wimmerte es anf.
" »Jaroohl,« höhnte der General
grimmig, »heulen und zähnellappern
sollen Sie! Wenn ein Mensch in Ih
rem Alter, tut-z vor einer wichtigen
Phase seines Lebens fortwährend
Schindluder treibt, sich zum Standal
der Menschen als alte Tante aufpuyt
aus osfener Straße mit hochgerafften s
Kleidern Aergerniß erregt s-— so solls
ihn der Teufel holen! Jn Rücksichtl
aber aus unsere demnächstigen ver
wandtschastlichen Beziehungen ver
suche ich noch einmal Ihre Renitenz
zu brechen. Machen Sie sich nicht
unglücklich, Mensch! Stillgestanden!·
Hände an die Hosennaht!!" »
Die einzige Antwort war erneu Hei
Aufwimmern und ein Fluchtversuchj
der aber mißlang. DerGeneralsprang
zum Fenster und rief dem Posten von »
der Kaserne einen Befehl herüber. 1
Zwei Minuten später heiraten ein Un
teroffizier und zwei Mann das Zim
mer und wurzelten in der Thür fett.
»Unteroffizier, Sie verhaften dieief
aufgeputzte ,,Dnme« und schaffen fies
unter Bedeckung von zwei Mann nach I
der Hauptwache."
Der Arreftant stieß nun derart gel- L
lende und unverkennbar weibliche
Hilferufe aus, daß der Oitizier fo
wohl Als auch die Soldaten schau
dernd zurückwichen Das ganze Haus
lief zusammen. Herr und Frau Kon
sul Michelien, welche sich dislret au
ßer Hörweite gehalten hatten, stürz
ten herein und bemühten sich um die
iu Ohnmacht. Zusammengehrochene,
in deren blossem Leidensantlitz eine
unaeheuerlich rothe Wange blühte
Als die peinliche Angeleaenheitnach
einer bangen Stunde sich geklärt,
Tante Urfel aber trotzdem sich ent
schieden geweintrt hatte, ihr bisheri
ges ruhtaeg Leben einem so »rohen
Menichen«« zu ovfern, bekam die
Flachströte im Nebenziinmer zwei
Küsse. Zwei richtige Küsse mitten ins
Gesicht· Und sie nahm sich fest vor, der
Mama — nur von einem zu erzählen.
Das Theater-kind.
Novellette Thon-Zitt- Heim.
»Noch immer nicht fertig, Betti?«
»Gleich! Nur nicht so ungeduldig«
»Der Regisseur kann aber jeden
Augenblick kommen und uns aus die
Bühne rufen.« Karla Bret zog
schmollend die Lippen zusammen.
»So, jetzt nur noch hier diese haar
svange und dann tannst du den
Spiegel beut-den«
»Friede, Friede!« saate da mit to
mischem Ernst eine volltönende Män
nerstimme. Kurt Marm, der erste
Liebhaber des Vorstadttheaters, nä
herte sich den beiden jungen Schau
spielerinnen.
Es war in der Antleideloge Betti
Rothers. Maxen hatte beim Eintritt
die Thür halb ofsen gelassen. Jn dem
Halbduntel des Artiitenioyers sah
man die Silhouette einer eleganten
Frauengeitalt, die, ihren langen Man
tel leicht über den rechten Arm ge
schlungen, soeben mit flüchtigem
Schritt die Nebenloge erreicht hatte.
»Ach, unsere sonst io pflichttreue
Hilbrandt hat sich heute verspätet?«
Karla hatte beim Ordnen ihres Haa
res Zeit gefunden, einen neugierigen
Blick ins For-er zu werfen.
»Is. sie und ihr unvermeidlicher
Mantel,« scherzte Maxen.
»Was mag sie eigentlich darunter
haben? Es sieht beinahe aus wie
ein Packet schmutzige Wäsche.«
»Aber was habt ihr denn nur im
mer mit Emmi Hilbrandtt Laßt sie
doch zufriedenf mischte sich ieht Betti
Rot r ins Gespräch
ch! Sie übernehmen die Verthei
digung der Abwesendenf i
«Gewiß, weil Emmi eine gute,
treue Seele ist« Betti war ernst ge
worden
»Weshalb zieht sie sich denn aber
so ausfallig von uns zurück und mei- (
det unsi« Mit unwilliger Gebärde
hours Karla ihr Köpfchen in den Na
en. »
»Du lieber Gott, das arme Rind»
hat großen Kummer gehabt: Es ist
kaum ein Jahr her, daß ihr Mann
gestorben ist. Das kann einen schon
niederdrücken. Es soll übrigens eine
Fahre, aufrichtige Liebesehe gewesen
em.«
,,Wenn’s nur der Kummer wäre!
Aber mir kann diese Geheimniszthue
rei nicht behagen. Wieso hält sie ihre
Lage stets so ängstlich verschlossen?
Das mußt du mal ergründen, Beiti.«
»Aus die Bühne, meine Damen
und Herren, der erste Ali beginnt.«
Der alte, graulöpsige Regisseur
war im Thürrabmen erschienen und
ihaite das Gespräch plötzlich unter
jbrochen
, Wahrenb Karla nnd Maxxen hur
"tig die Treppe erstiegen, blieb Betts,
in Gedanken versunken, noch einen
Augenblick in ihrer Lage. IF Stich
wort siel erst in etwa zehn inuten.
Sie hatte also noch Zeit.
Eigentlich entsachte das sonderbare
Benehmen Emmi’s doch mehr ihre
Neugier, als sie es vor den anderen
eingestehen wollte· Seit vierzehn Ta
gen wirkte Emmi Hilbrandt nun schon
in dem Ensemble mit. ohne daß die
Freundschaft, die ehemals Betti und
Emmi verband, aufs neue in etne
glatte, vertrauensvolle Bahn gelenkt
wäre. Geheimnißthuerei hatte die leb
hafte, kleine Karla das Verhalten Em
mis genannt. War das aber nicht doch
das rechte Wort? Warum vers losz
sie denn stets so sorgsam ihre oge
vor den andern? Das ganze Theater
personal sprach schon davon·
Einigemale versuchteBetti mit Lise
das Geheimniß der Loge zu ergrün
den. Durch die Thiir des Ankleide
raumes bat sie Einmi, ihr mit einer
Agrasse, einer Nadel oder einerSchleisc
auszuhelsen. «
»Geh in deine Loge, ich komme
gleich herüber,« hatte Emmi nur ge
antwortet. Damit war es also auch
nichts. Und dann dieser geheimnis
volle Mantel aus dem Arm Einmis.
Sollte der Schleier dieses Mysterium
denn at nicht zu lüften sein? . ..
Na der Pause des zweiten Altes
hatte mmi die Gewohnheit, iåre Loge
aus kurze Zeit auszusuchen. o war
eF auch heute. Betti folgte ihr.
Aber . .« . war es teine Täuschung?
tte Emmi nicht vergessen, »den
chliissel im Schloß herumzudrekemi
Die Logenthiir mußte alte ossen ein.
Sie drückte aus die Klinke. Die
Thür gab nach...
»Betti!« Es klang wie der unter
drückte Schrei eines Raubthieres, dem
man sein Liebsteg entreißen will. Die
Augen Emmi’s blitzten in zorniger
Erregung. Wie schützend hielt sie mit
beiden Armen ein niedlicheg Kindchen
1:mschlunaen, das an ihrer Brust
ruhte und jetzt mit erschreckten Blicken
den fremden Eindringiina maß.
,,Betti! Psut, das ist häßlich von
dir. Du bist mit nachgeschlichen und
hast dir einen Augenblick der Vergeß
lichhteit zunutze gemacht. Geh sori,
ge 's!
»Aber to veruyige dich doch, gmmn
Jch bitte dich. Jch bin doch deine
Freundin.« Betti hatte die Logenthür
hinter sich geschlossen und war einge
treten. »Gehd«rt dieses kleine Püpp
chen wirklich dir? So laß doch sehen.
Wie reizend der lleine Kerl daliegt.
Und je t lacht er mich auch schon an.
Sag’, lrkmmi. es ist doch ein Junge?«
»Ja, Fred heißt er!« Ein Strahl
inuteren Mutteraliicks brach aus den
trauricen Augen Emmi’s. »Aber hörst
duBetti,« setzte sie leise hinzu, »du
darsst mich nicht verrathen. Jch glaube,
der Direktor kündigt mir, wenn er das
erfährt. Das wäre schrecklich, beson
ders je t, wo ich es doch so nothwen
dig ha e, zu arbeiten, viel zu arbei
ten, um sür Tred zu sorgen.««
»Sei darii er beruhigt . . . Aber
jin verstehe ich auch, was es mit dem
Mantel sür eine Bewandtniß hat«
Ein schwaches Lächeln erhellte die
bleichen Züge Emmi's. »Meine Erfin
dung! O, er nimmt ja so wenig Platz
weg, der kleine Bengel. Erst zwei Mo
nate ist er alt und so artig. Niemals
schreit er oder weint er. Es istsast
so, als wüßte er. daß er sich hier in der
Lage ruhig verhalten muß.«
»Warum hältst du dir aber teine
Amme? «
»Bei 150 Mart Monatsgehalt? Un
möglich! Aber es geht auch so. Vor
mittags, bei der Probe, gibt meine
Auswarterin aus Fred acht. Und
Abends nehme ich ihn dann in’·51heas
ter. So komme ich aus. Meine alten
Kostiime habe ich ein wenig aussrischen
lassen. Bis zur nächsten Saison bin
ich versorgt. Und dann ist das Gröbste
überstanden . . . Wenn nicht der Kleine
gegesen wäre, ich glaube, ich hätte den
S lag nicht überlebt!«
Emmi hatte den kleinen Fred Betti
überlassen müssen, die ibn zärtlich in
ihren Armen tviegte und mit Küssen
bedeckte
Ein Klingelzeichen schrillte durch
das Theater. Die beiden Frauen er.
hoben sich.
»Arme, liebe Emmi!« Eine heiße
Thriine stahl sich in’s Auge Betti’s. ..
Einige Tge später feierte man die
25. Aussiihrung des Lustspiels, das
sich bisher als ausgezeichnetes Kassen
stück erwiesen hatte. Die Schauspieler
wollten sich nach der Jubilöumsvor
stellung, die wiederum ein volles haus
brachte, zu einem aemüthlichen Abend
essen vereinigen. Ernmi hatte aber die
Aufforderung, daran theilzunehmen,
mit Danl abgelehnt. ·
Sie war nach Schluß des le ten
Aktes mit dem Umkleiden beschäs igt,«
tüc- fketti plötzlich an ihre Logenthür
pp e.
»Ich möchte dir etwas sagen, Ennni.
Wirst du mir aber auch nicht böte
sein«-» —
»So sprich doch, Närrchen!««
»Ja weißt du, Emmi... ich habe
das Geheimnis nicht wahren können
Ich konnte nicht . .. wirttich
nicht.
»O . . .Betti!«
«,.Du brauchst dich aber nicht zu
ängstigen. Nein, gar nicht! Wir
wollen heute Abend doch das Lust
spieljubitäum feiern, und da iiei es
doch wieder sehr auf, daß du nicht
daran theilnimmsi. Einige begannen
Jfchon wieder dumme Witze über dich
Izu machen. Und da konnte ich nicht
sanderk ich mußte es ihnen erzählen,
was dich zurückhalt». da. hat keiner
mehr gelacht. Und als dann der alte
Weimar-du weißt, er hat eritvor
ein gen Monaten seinen einzigenEntet
durch den Tod verloren—den Vot
ichlagemachty dir uhelfen, waren sie
lle reit. ch la es dir überbrin
gen... Es i le der nicht viel. Jeder
gab nach feinen Mitteln. Hier sind 40
Mark, Emmi Wie, du zogersts
Und weißt doch, daß es aus gutem
Hetzzn Dom-nis« ·
» etzeih, Betri, ich wollte dir ni i
wehe thun... Dankes« Ernij
die Worte stockend hervor. Dir-K le
trat ihr wie zugefchnüki. «
»Aber nun noch eins, Emm1. Jch
shabe allen versprechen müssen, ihnen
lffted zu zeigen. Sie freuen sichan
»so darauf. Nicht wahr, du gtbst mit
Fred einen Augenblick?«« «
I-«
» Sie wartete Emmi'5 Antwort nat
«ab. Fred in den Armen, eilte fie dem
Künstlerfoyer zu. Langsam« folgte
ihr die junge Mutter. S·ie weinte » .
Das war ein lustiges Lachen und
Schergen, als der kleine Fted von
einem Arm in den anderen wanderte.
Zuerst blickte der kleine Mann go
verwundert auf die vielen frem
Menschen, dann ballte er die Jiiu
chen und ftrampelte ganz vergnügt
feinem Stechtisfen.
Jemand tupfte Enmii leicht auf F
»Schulter. Sie wandte sich um.
war der Direktor. s«
» »Ich habe auch etwas für den Klu·
; nen, unser Adoptiviind, thun wollen«
zDer Direktor zeigte auf ein Blend
; das an der Wand befestigt war, dar
! auf las man:
f »Die Sikafgkcdek fiik Zuspiiuom-.
Einen werden von heute ab fiirntntlich
»Frau Emmi Hilbrandt als Et
’ziehungsbeitrag für ihren Fted über
- wiesen.«
! »Da können wir ruhig die An
sfangszeit fiir die Proben auf eine
frühere Stunde legen.« meinte der
Regisseur lachend·« »Ich glaube, setzt
werden sie sich alle verspäten.«
sertchtsfulidmuoreskem
Einem eben erschienenen Bändchen
J»Wiener und Münchener Gerichts
Iiaal - Humorestem ausgewählt von
dem verstorbenen Wiener Redakteur
Eduard Seidel und dem Münchener
«Schriftsteller Joseph Benno Sailer
entnehmen wir folgende Proben:
j . »Ein jugendlicher Vertheidiger
: machte durch seine Wivpcheniaden viel
bon sich reden. Hier einige seiner am
meisten belachten Aussprüche: »Die
Vertheidigung ist in diesem Prozesse
nicht auf Honig geheitet.'« »Ich werde
das Schwert nicht in die Hosen fallen
lassen, sondern für meinen Klienten
eine warme Lanze einlegen.« »Der
Angeklagte hatte zwei Bräute, mit
deren Mitgift er den Schaden hätte
gutmachen können, er ging sozusagen
auf vier Freiersfiißen.«
Vertheidiger eines angetlagten Wu
chererrn »Der Herr Staatsanwalt hat
gesagt, er begreife nicht« wie es der
Angeklagte mit feinem Gewissen ver
einbaren konnte, fo hohe Zinsen zu
nehmen. Meine Herren! Der Ange
klagte tann nun einmal nichts dafür,
daß der Gewissens-warm nicht zu sei
nen Hausthieren gehört!«
»Meine Klientin,« rief ein Ver
theidiger einmal pathetifch aus. »M
eine. alte Frau mit einer kleinen
Handtafche, die aus dem flachen-Bande
lebt. Sie iann nie und nimmermehr
das Verbrechen des Diebstahls nach
Paragraph bundertnndfechöundsrebs
zig römisch zwei begangen haben.«
Richter: »Sind Sie schon bestraft7"
—-— Angeklagter: »Nein, aber verhei
rathet.«
Ein Vertheidiger sagte: »Der Un
terschied zwischen einem Vagabunden
und einem Touristen ift oft nichts an
deres als das —- Portemonnaie.«
Richter: «Sind Sie schon vorbe
straft?« « Angeklagter: »Ja, leider,
vor fünf Jahren bin ich verurtheilt
worden« ——— Nichter: «Weghalb?« »s
Angetlagter: »Ich bin in einem Bade
mit Jemandem inStreit gerathen und
habe ihm einen Stoß gegeben; da ist
er ausgeglitten und hat den Fuß ge
brochen. Jsch bin dann wegen schwerer
Kürperverletzung verurtheilt worden«
»—— Nichter: »Und seitheri« — Auge
;ilagter: ,,Seither habe ich nicht mehr
;gebadet."
Wurst wieder Wurst.
!
i Als Viktor Scheffel sich aus Ge
isundheitoriickfichten in Italien auf
I hielt, bekam er eines Tages von einem
fFreunde aus Deutfchland einen un
tfrantirten Brief, der nichts weiter
»als die Worte enthielt: »Mir geht es
gut; init herzlichen Grüßen N. N.«—-—
Scheffel, der sich ärgerte, daß er
Strafporto zahlen mußte, hefchloß,
feinem Freunde eine kleine Lettion
zu ertheilen. Er verfchaffte sich einen
großen Stein von angedeutet Schwe
re, packte ihn in eine große Kifte und
schickte ihn durch einen Spediteur nach
Deutschland, und zwar unfrantirt,
Der Freund glaubte, die gewichtt
Sendung enthalte etwas fehr Wertk
volles, bezahlte die nicht unbeträch
lichen Kosten, öffnete die Kiste, fand
aber darin zu feinem Schreck ni s
anderes als einen gewöhnlichen Ste n,
neben dem ein Zettel mit den Worten
lag: »Anbei der Stein, der mir heim
Empfang Deines letzten Briefes vom
Herzen gefallen ift.
—---·s.-.
Gedankenfplitter.
Zerfchlagene Freundschaft,
Zertretenes Ei!
Nichts Ganzes mehr wird
Aus dem Brei!
Manche Sorge wird erft durch lie
bevolle Pflege groß nnd statt.
Die Ur ache des guten Gewissens
ch it i es
æxöehkniß aschm s en fM