Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, February 09, 1906, Sweiter Theil., Image 14

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    Ada.
Roman von G. Zsraddow
,« ist« ForålesunSJ
W war bereits finster, als Franz
eilt durch die Straßen Londons
Felix Lin kalter Oxiwind fegie
Ich die Luft und der Boden war
ZEIT gefroren. Warmgekleidete Fuß
wget »beschieuuigten iyke Schritte
nd hemaihwfe Wanderer drückten
da und doti, Schutz suchend, in
dunklen Schatten der Einfahrten.
» » er sich von Minute zu Minute flei
s; rot-e Nebel machte ihn-en die Existenz
.·«Fteien nur noch unangenehmen
Muth stieg in einein bescheidenen
viel ab; ertrug kein Verlangen da
»so-in daß Freunde aus dergangenen
Ists-ten Zeiten ihn erkennen sollten.
zzsseie Vergangenheit war todt, ein
EWZ Leben lag vor-ihm. Er wusch sich
Mt und Hände und that nur der
’ ,err.- als ob er von den Speisen
die ihrn ooraefeyt wurden. Ob
er sich Mühe dazu gab, war es
unmöglich« Sein Herz pochte in
k--dermpfem Schmerz; er fühlte sich tief
niedergedrückt, eine Voraiynuna kom
tsm den kleben-; laftete fitrrer auf ihm.
»Ich Ein ein Feialing, ein elender
(-5Wling,« sagte er sich; »aber nicht
M meinetwillen Der Gedanke an
J«,I in geliebtes Weib entnervi mich.
n ich unterliege —«'
Er versank in dumpfe Geübelei und
, je sich die Möglichkeit vor, daß er
r persönlichen Freiheit beraubt
Horden könne. Fälschung wurde als
« oßes Vertrechen angelelren —— war
» maJ die Anzeige erstattet, fo gab es
OR ihn keine Hoffnung mehr. keine
"g—lichkeit eines Entkomniens. Die
Ekssngelegenheit kam in alle Zeitungen
»Es-Und wurde in jedem Klub besprochen:
er mußte entweder als vollkommen
nnfckuldig dargefkellt trerden oder es
J
trat ihn schwere Strafe
Was nützte es, die Wahrheit zu sa
, was stommte sein Wort gegen
jenes eines Lügner-St und Ränteschmies
des, eines Mannes ohne Herz und
Gewissen? Jarvig hatte ihm gesagt,
er solle den Namen seines Oheims un
terzeichnem er hatte ihn zu der-Schand
tdat verleitet, aber jetzt würde er das
iselsohne schlankweg leugnen, wac
ornmte jeder Widerspruchs
Er thte dem Rechtsanwali zu einer
Zeit, da er ihn noch für ehrlich hielt.
volles Vertrauen entgegengehratst und
lHemßte dafür je t büßen. Er war
kricktsinnig getre en, hatte Geld be
darfst und den Entschluß gefaßt, sich
dieses Geld auch urn jeden Preis zu
strick-offen
Der Richter konnte vielleicht den
einer oder den anderen Milderunass
z nd heraussinden, aber die That
gu , daß er gefälscht und betrogen,
kie sich, wie immer man die Dinge
such drehen wollte, nicht leugnen.
»Ich möchte rvis tödten,« mur
æette er vor si hin. «Kein Richter
dann diesen Teufel in Menschengestalt
kennen Elsa! Elsa! O mein Gott,
m und wann werde ich die Geliebte
wiedersehen?«
Er drückte denhut tief in dieStirne,
:.," . Tote den Kragen seines Rockeö in die
J « und verließ das hoteL Die Gas
rnen brannten nur gleich Glütx
-·tss·irmrl:en, so stark war der Nebel.
Mechanisch schritt et weiter, wäh
eend die verschiedensten Gedanken ihn
IMgtem aber wieder und immer wie
«Ur kehrten dieselben auf den einen
vGedanken zurück, aus den hervorstehen
M Standah auf den Zorn des
.-Mianrvaltä Jarvis, aus den Um
- .» d, daß dieser ihn zum Verbrecher
» ln könne, und bei dem Gedanken
jin diese, Möglichkeit sprach er wieder
Jplkklaut vor sich hin:
»Gott im himmel. ich könnte ihn
tsdten!«
Er hörte Jemanden hinter sich, als
et diese Worte sprach. und sich um
wendend, sah er eine in Lumpen ge
« te männliche Gestalt, welche böfe
licle auf ihn richtete. Die beiden be
sanden sich weit und breit so ziemlich
allein.
«Geben Sie mir ein Almosen, Herr,
ich bin Matwfe, ich bin momentan
Jedem-IS und dem Verhungern nahe,
Sie aker find ein vornehmer Herr,
UID haben Geld in Hülle und Fälle«
North lachte unharmonifch auf.
»Ich- tvollte, es läge in meiner
Macht, guter Freund, mit Ihnen zu
iauicken.«
Er reichte dem Manne ein Geldstück
nnd nah-m seinen mit heiserer Stimme
Tmurmelien Dank entgegen. Der Ne
l wurde immer ärger, North hörte
einen lauten Streit zwischen einem
Kutscher und feinem Fahrgaft
Um den Preis von der Weiter-loo
Messe bij nach dem Cliifordplatz,
lauer nnd will ich nicht thun!
; » Sie nur die Polizei, wenn Sie
, , ich sehe nicht nachl«
Wen Sie denn?« fragte
» et, der in WWogen faß, und
M zufammen; erkannte ja
M, kalte Stimme; Jan-is
«-; Mo Mit-et zurütgetorntnen
M Ins ihn erwartet hatte
· H vertan iNicht einen
, disk-W i FUMY
; W on t ask
—- dmen hörte
see Musen Der
Znueschek hatte den Sieg davongetra
gen und North drückte sich tiefer in
eine frnfiere Ecke. Jarvis fuhr offen
bar nach feinem Bureau, vielleicht, um
dort das Gepäck zurückzulassen. Er
wohnte in Crondon, und bei einer
Nacht, wie der heutigen, mußte die
Fahrt doppelt unangenehm sein.
Der junge Mann fand, daß es fiir
ihn keine bessere Gelegenheit geben
könne, um mit Jarvis zu sprechen, um
ihn auszuholen, um ihm schließlich,
wenn es nothwendig war- die ganze,
volle Wahrheit zu sagen. Ter Wagen
fuhr davon und Franz North folgte
ihm im Laufschritt. Es war erst acht
Uhr; aber man hätte meinen sollen,
es sei bereits Mitternacht, so men
schenleer waren die Straßen. Franz
fragte sich, wo er sei, denn er tannte
sich nicht recht aus; plötzlich aber ver
nahm er den dumpfen Schlag einer
Uhr, und an dem dumpfen Klange er
tannte er, daß er sub in der Nähe
von derKanzlei des Rechtsanwaltes
iJarvis befinde. Jhm war es, als ob
Tdas Blut wie Feuer durch feine Adern
Iftriime, er wollte mit seinem Feinde
« jetzt gleich ins Klare kommen.
Der Wagen hielt an, Jarvis ftieg
Taus und der Kutscher lud das Gepäck
auf das Straßenpflaster. Jarvis be
fahl ihm, zu warten. Der Rechtsan
tralt trug seinehandtasche ins us
und ranz folgte ihm auf dem -uß.
’ Of enbar schien sich Niemand im
Haufe zu befinden, denn Alles war
dunkel und menschenleer. Das Haus
thor war hinter den Beiden insSchloZ
gefallen- und Franz sagte sich, daß jetz
der Augenblick gekommen sei« ruhig
mit Jarvis zu sprechen, ohne eine Un
terbrechung fürchten zu müssen. Ge
»eäuschlos folgte er ihm ins Bureaut
er sah, wie Jarois Licht anziindete,
wie er, mit dem Rücken gegen die
Thüre stehend, ein Paaet Schriften
Haus der Tasche holte. wie er sie mit
1mertlicher Befriedigung musterte und
idann auf die feuerfeste Kasse zuschritt,
; um tsje ·zu Yrtoahrensp «
--m .
s »Meine Papiere," sagte lich Ytorryx
j,.ick; bin bereit, sie bis auf den letzten
jheller einzulösew Das Geld ist in
i maßgebenden Händen: er soll und darf
Isie mir nicht verweigern.'«
x Jarbis richtete sich horchend auf.
)Ciligft steckte er die Schriften wieder
in die Tasche seines Ueberziehers- er
hctte herannahende Schritte vernom
men.
»Sind Sie es Kutscher? —-—Nein——
nun wer ift denn sonst da? -—— North?«
fügte er im Tone der Ueberraschung
und des freudigen Willkommens hin
zu. »Nehmen Sie Platz, lieberFreund
Wie wußten Sie, daß ich hier fei?
Mein Schiff ift vierundzwanzig
Stunden früher angetoinrnen. als ich
dachte. Scharfe Winde, im Dezember
häufig. Jch bin von Southarnpton
direk; bergefahren. Entfetzliche Nacht,
was.«
Franz North war todtenbleich, nur
feine Au en glühten.
»Ich in durch Zufall hierher ge
kommen, Jarvisx ich hatte in der
Stadt zu thun und hörte Jhre Ver
handlung mit dem Kutscher, ich bin
Ihnen dann gefolgt.«
« «Wirtlich? Sie würden besser das
Iran thun, mit mir nach hause zu
igehen Meine Frau würde entzückt
fein. Ich telegraphirte ihr von
» Southampton aus.«
»Nein, ich will nicht mit Ihnen nach
HHaufe fahren- ich ziehe ein ruhiges
»Gefbriieh unter vier Augen vor.«
H »Wir-tschi Aber ich hin todmüde;
sum was handelt es sich denn?«
; »Das alte Thema, Jarvis.«
j Der Rechtsnnwalt preßte die dün
nen Lippen feft aufeinander und warf
,dem Anderen einen verstohlenen Blick
föus
,.;-3eitvetlutt; meie Plane lind un
abänderlich, und ich bin auf einigen
Widerstand aefoßt. Jlft Oheim bat
Ihnen geschrieben, meine Tochter that
es, weshalb haben Sie die beiden
Briefe unbeantwoetet gelassen? Es ist
Wahnsinn für uns Beide, wenn wir
Streit suchen. Jch meinerseits will
es nicht.«
»Es wird Jhte Schuld fein, wenn
wir es thun,« tief North mit blitzen
den Augen· »Lassen Sie mich eins fiik
allemal Jbre Träume vernichten! Ich
icnn Ihre Tochter nicht heirathen,
weil ich schon eine Frau habe, ein heiß
geliebtes Weib. Die Tochter jenes Ka
pitäns Lancton, bei welchem Sie mich
eingeführt baben.«
Das Gesicht des Rechtsanwalts
wurde aichfahi.
»Sie scherzen- North!«
»Nein. ich ichetze nicht« ich will nur
meine Papiete zueiickeelangen Mein
Rechtsfreund Brham besitzt schon das
Geld. um sie einzulöien.«
Er warf einen baßeriiillten Blick
auf Jatvii Dieser hatte die Empfin
bang, als miisse er ercickem dann rief
er mit einem Male heftig:
Fälscher! Bei Gott, wenn das
weihe ist. will ich entfehliche Rache
iibenL hören Sie mich? Ich will weder
gnädig-pessian Ginåik bis Sie-fiinl
u e n no e von a -
chern uns Dieben gleich gtljnlenz
III-North drang mit funfeinden Au
, Hei-Zi
Leis- vek mich EITHER-i wiei
rieBeIeiviguu in WW
Halse erfticlen.« I « .
« . Jn feinem Zorn hatte WILL , » -
eines Löwen und mit Wsu
packte er Jarviö am Gerüs- .
»Meine Papiere!« rief er. » , ,
Sie mir die oder ich werde ’ s«
Ei ist um Elfckö wegen. hilft-s »
wohl, Sie Spihbulse2 «
«Geben Sie mich frei, Sie Kinn-»
rief Jarvii zitternd. »Ich habe keine
Bat-irre sie sind bei meinem Vaniier
"deppnirt, mor n -—«
.Sie lügen.«
Mit einer heftigen Bewegung riß
North den Ueberzieher des Rechtsan
lvaltsauf. Es war ein Partei in der
inneren Brufttascke. Triumphirend
griff er danach und schüttelte Jarvis
derb an der Schulter.
»Um Elfcks willen,'« flüsterte er,
während er mit dlutunterlaufenen
Au en vor sich hinftarrte.
Zu waren sie alle, die inlrirniniren
den Papierr. Er faßt-e danach, hielt
fie einen Augenblick unter das Gas
lieht und schleuderte sie dann in den
»»offenen Kantin, in welchem die Gluth
noch glimmtr. denn der Rechtsanwalt
mochte taum eine halbe Stunde nach
dem Abfperren des Bureaus einge
troffen sein. Bald schlugen helle
Flammen empor und nach wenigen
Minuten lachte Franz North leise
aut.
»Um meines Weibes willen» Sie
Judas! Sie möchten mich in den Eier
ler bringen und Elsa tödten — nun,
thun Sie Jhr Aerafteg! Barham hat
das Geld in Händen. welches Ihnen
bestimmt ists er wird Ihnen jeden
Heller auszahlen. wenn ich ihm lage,
daß Sie mir die Papiere gegeben
haben« ’
Jarvis sprach nicht; er war in die
Kniee gesunken, als North ihn von
sich gelingen Hilflos llammerte er sich
an den « ifch. Ein starrer Ausdruck
lag in feinen Augen.
Ein Schauer durchlief die Gestalt
des jüngeren Mannes: er eilte der
Thüre zu und warf dann nochmals
einen Blick zurück. Jardig starrte ihn
immer noch an, dann glitt North
fchweigend die Treppe hinab nnd trat
in die finstere Nacht hinaus. Der Ne
bel war noch dicker geworden, und er
hatte das Gefühl- als müsse er er
sticken; er wußte nicht, wohin er gehen
solle. fühlte sich ganz verwirrt und
konnte den starren, entfesensvollen
Blick des Rechtsanwaltg ncbt ver
gessen. ·
»Ein Schlaganfall,« .rnurmelte er
vor sich hin, »fonft nichts: ich habe
ihm lein Leid zunefiiatl Er ift ein alter
und ich bin ein junger Mann. Viel
leicht wartet der Kutscher unten und
wird ihn finden.«
. ph.
Er hatte me Empfindung, als let et
weit fortgegangen, Hieß an mehrere
Personen und mußte zornige Worte
über seine Achilosigleit entgegenneh
men. Da vernahm ee plötzlickx wieder
die Ubr der nahen Kirche. welche mit
lautem Schng die neunte Stunde ver-f
lündeir.
«Berteufelt,« murmelie er vor sich
bin, »in diesem unseligen Nebel scheint
ich immer auf die gleiche Stelle zurück
zukommen von der ich ausgehe«
Ein Schatten trat plötzlich aus dem
Nebel und stellte sich knapp neben ihn;
es war der Beitlek, welchem er im
Berlatzfe des Abends ein Almosen ge
geben. Mit höhnisch-er Miene starrte
er North ins Gesicht und legte eine
hand auf seine Schulter.
»Sie würden besser daran thun, sich
aus dem Staube ·3u mache-if sprach
et in vertraulichem Ton. «Nicht um
Alle-SEN· der Erde rniichte ich heute
in Ihrer Haut stecken!"
North schüttelte seine Hand ab.
»Na, na, nehmen Sie«5 nur nicht
iidcl,« meinte der Andere frech. »Ich
bebe ja doch gesehen. wie Eies gethan
haben, und der atteRechtHanwalt ist
todt. Als ich Ihnen lzuerst auf dem
Platze begegnete, sagten Sie schon- Sie
wollten irgend Jetnanden tödten. Ich
tin Jtsnen auf dern Fuße gefolgt, nun
machen Sie, daß Sie fortkommen-—
ist« rede nicht, Sie haben also nichts zi
siirchtenl Sie waren gütig ge n mich,
warum soll ich Sie verrathen. Schüt
teln Sie mir die Hand und gehen
Sie! Jch habe mich in das haus ge
schlichen, habe das Licht ausgedrebt
nnd die Thür zugemacht. Er wird
erst morgen gesunden werden. Jch be
nutzte auch die Gelegenheit, seine Ta
schen auszuleeren, warum sollte ich
nicht? Ich habe seine Uhr und ein paar
hundert Gulden an mich gebracht-«
gar nicht so übel! Gute Nacht, es
kommt Jemand, da geh· ich aus und
davon.«
Der Mann verschwand und unmit
telbar daraus kam hustend und
spuckend ein Polizist des Weges daher.
»Halte Nacht, Herrl« sprach er
North bemerkend, der unschlüssig auf
der gleichen Stelle stand.
Gewaltsam schüttette er die Ermat
tung ab, welche sich seiner zu bemäch
tigen drohte.
»Za- ent nete er in möglichst
lei iittigem one; »ich habe den
verloren.«
« n wollten Sie denn gehen,
wenn man ragen darfs«
»Auch P eadilltp,«-’ erwiderte Franz
North, selbsi verwundert über seine
Inst-, welche er an den Tag legte
",Va«nn den Sie nur immer gera
deaus tret er in· der Richtung ort.
Entschuldigen Sie eine Frage, re.
geh M der Man-, mit War
te - krachen- hat Sie in keiner
Weis be " ?
« . a- sit-gis ihn nut. wowir
W Oswril ME«
» »Bist set-arme th- immek is- rru ;
est-ist unt unterdes- Rameu . e
roth Herbst-sand« eine Monate
stetsthh die der ltzet schon
.,
vielerlei zu schaffen gab. Gute Nacht.
rr «
»Bitte Nacht,« entgegnete Nort , in- i
dem er sich mit ziemlich unsi eren
Schritten entfernte. :
9
Die er an jenem Abende fein Hotel
IWD blieb fiir North Zeit e’
sei . ein uner riindliches -
VIIan Er sperrte ch in sein Zim
mer ein« fant rn einen Fauteuil und
bedeckte das Antliy mit den blinden.
Er konnte den starren Blick ans den
Augen dei Rechtsanwalts Jarvis,
konnte die zusammengetauerte Gestalt
und die schaumbedeckten Lippen nicht
vergessen. -
»Ich habe ihn ödtet,« sagte er sich »
schaudernd; «abe ich wollte ed ja gar
nicht, ich wollte ihn nur von mirs
fto en! Sein Kopf muß sich an derj
Ti chtante oerlth haben oder so etwas ;
dergleichen. Was in aller Welt soll ich »
aber jetzt anfangen?« (
Vielleicht war Alles nur ein häß
licher Traum- nur die Ausflüsse einer
überreizten Phantasie! Er hörte es
Zwölf schlagen, er wars einen scheuen
Blick auf seine von Koth bespriyten
Kleider. LI, wenn er nur die Gewiß
heit in sich hätte aufnehmen tönnen,
daß Alles nur ein Wahngebilde fei —
aber ach, es war Wirklichkeit grauen
bolle, tragische Wirklichkeit!
Es pochte an der Thür. Kalt und
fahig stand er ans und fragte, wer da
et.
Es war nur ein Kellner. welcher
wissen woll.e, ob er teine Befehle mehr
entgegenzunehmen habe.
»Nein, weiten Sie mich morgen um
sechs Uhr,« lautete seine Ertoiderung.
Er athmete erleichtert aus« als- er
sich wieder allein sah.
»Gott sei Dant, ich habe hier keinen
Namen angegeben.« murmelte er vor
sich hin. »Ich werde den Rath des
»tothen Ferdinand« befolgen und missi
aus dem Staube machen. Selbster
baltung ist das wichtigste Geseg, mein
Gewissen spricht niich frei, der Himmel
wird es auch thun; aber aus den Ge
rechtigkeitssinn der Menschen tann und
darf ich nicht rechnen. Nein, ich will
fliehen. und habe ich mich erst in Si
cherheit gebracht, dann mag mein ge
liebtes Weib mir folgen."
Gedantenvoll setzte er sich an den in
dem Gemach-e befindlichen Schreibtisch
um einige Zeilen an Etsa aus das
Papier zu werfen. Thränm perlten
über seine Wangen und er schrieb
tanciam:
»Mein geliebtes, theures Wein
Wann werden wir einander wieder
sehen, in dieser Welt oder in einer an
deren? Das weiß der himmel allein.
Du wirst mich fiir todt halten, nnd ich
wollte- daß ich es wäret Der Kummer
welckker mich belastet, ist größer als ich
es zu äriszern vermag! Jch höre Musik
und Gesang aus dem anstoßenden
Haufe herübertkingem und all’ das
peinigt miäyPJeh bin Zum ruhelosen
Wanderer geworden Und muß grauen
volle Kunde mittheilen. Laß mich bald
zu Ende kommen, denn mir schwindelt
und ich vermag taan zu ehen. Ver
zeih mir, Geliebte. wenn u tannftc
Gestern noch ift eine Fölfchung mein
ärgsteö Verbrechen gewesen —-;-- heute
lsin ich zum Mörder geworden. eh
fah arvis nnd folgte ihm nach ei
nern ureau. Jch wollte nur. daß er
Gerechtigkeit iitse --— das magst Du
mir. lanben — es tam mir nicht in
den inn, ihm weh thun zu wollen;
ich verlangte meine Papiete von then,
er wollte aber von deren herausgabe
nichts wissen; er verhöhnte mich und
drohte mir. Er verweigerte mir ihre
Herausgabe; ich sah es ihm an, wie es
ihm eher nach meinem herzbtut getü
stete und nach dem Deinen. Ich wußte,
daß meine Papiere sich in der Tasche
seines Not-les befanden und griff da
i nach. Jch schluåihn nicht, aber er war
»ein fehwacher ann- und als ich ihm
Keinen Stoß derfehta siel er in die»
»Arme; er sah, wie ich bte Papiere Ver
brannte, und es scheint, baß er in
liefern Auaenblick einen Sa,laaanfall
bekam, er tarrte mich an und zitterte
an allen Gliedern. Jch bätte um Hilfe
rufen sollen, aber ich fürchtete mich:
ich dachte, baß er sich erboten würde,
aber es war dies nicht der Fall und
ich weiß jetzt, baß er tobt ift. Auf
welche Art wird die Nachricht in der
Zeitung breiigetreten sein, bas bin ich
ineugieria in Erfahrung zu bringen.
Jch werde fliehen und Dir schreiben
idaß Du mir nachtommen sollst, sobald
ich in Sicherheit bin. Gelb schicke ich
Dir, sobald ich es vermag, Gott fei
Dank bist Du ja noch momentan Der
sehen und hast auch pas Heinr, welches
Deinem Vater aebörtr. in dem Du
eristiren kannst. Vielleicht schöpft man
niemals Verdacht gegen mich, aber
einstweilen bin ich von Angst erfüllt,
es giebt einen Mann, der meine Tbat
mit angesehen s» einen Dieb« einen
Verbrechen Doch einerlei, ich will
mich zur Selbstwebr aufrafien, will
mich vertheidigen, fo lange ich es ver
mag, um meines eliebten Weibes wil
len. Unb nun le wohl. Der Ozean
wird eine Weile lang trennend zzwig
fchen uns liegen. Thränen triiben
meien Blick — o Elsa· mein Engel.
lebe wohll« -
Er siegelte ben Brief und tllfzte ihn.
Dann wusch er sich die Dänbe und bat
Gesicht und wartete auf das Erwachen
bei Tages.
Das Leben begann sich in benStras
zen zu regen, und pünttttch um sechs
te es an seiner Tbllrx et war der
Ae nee, welcher ihn mate.
Schon gut, bringen Sie mir das
Fehl-files und eine Zeitung.«
Eine Viertelstunde später meldete
man ihm- da das Frühstück seevirt
sei; er begab I in das anstoßenbe
Gemach, und sah« part neben feinem
Plah auch schon die Zeitung liegen. ·
»Dan!e," rief er tvpsnickend dem
Kettner zu. »Wie ist denn das Wetter
heute, etwas bessert«
»Nein, herr. Der Nebel ist nicht
ans so schlimm, aber der Baroineter
fällt bedeutend.« «
«Wie Iiiftigsl Jeh reife sehr ungern
im Wintert«
North nahm Plag; er blätterte in
der Zeitung und der Kellner ging sei
nen übrigen Dienstleistungen nach.
Der Wid riittelte heftia an den Pen
Fstern. Franz North fühlte, wie eine
PHand zitterte. Er blickte verstohlen
nach a en Seiten um sich, dann ver
tiefte er sich in die Zeitung und las in
derselben, daß die Leiche des Rechts-·
anwalts Jarvis beiläufig um Mitter
nacht in der Kanzlei von dem Kutscher
eines Wagens, mit dem er gefahren
und der ihn auch zur bestimmten
Stunde hätte ahholen sollen, entdeckt
worden.
Es bestand kein Zweifel dafz es sich
um einen brutalen Mord handelte
denn Herr Jarvig war auch beraubt
worden« Man hatte ihm Uhr und
Kette genommen.
Bis jetzt besaß man keinerlei An
haltsvuntte, wer die leat verübt ha-;
ben könne, man hatte leine Menschen-J
seele gesehen, welrhe die Kanzlei betre- »
ten. Die ganze Angelegenheit hiillte
sieh in den Schleier des tiefsten Ge
heiinnisses.
Der Berblichene war sowohl in ac
schaftlicher. als auch in gesellschaft
licher Beziehuna immer .hochaeachtet
worden« Die Poliiei würde sich alle
Mühe sehen, des Mörders habhaft zu
trerden. Gortseyung folgt.)
Der neue Here in Frankreich
Falliereö ist in Mezin, einem Dörf
chen im Departement Lot-etGaronne.
geboren· Er ist nicht aus dem gleichen
Süden wie Herr Loubet, aber in ge
wisser Hinsicht sind alle Südmänner
sich ähnlich. So hat auch Fallieres ei
nige Züge, die ihm mit seinem
Vorgänger gemein sind. Er ist
mittheilsam, wie Loubet, beredt
wie dieser, und zwar »von einer
lriistigen und volksthijmlichen süd
liindischen Beredsamteit. Er liebt
sein engeres Heimathland, sein
»Nest« leidenschaftlich. Er ist ein länd
licher Philosoph Sein Vater war zwar
Gressier des Friedensgerichtes, aber
durch eine lange Reihe bäuerlicher Ah
nen hängt Fallitsres mit der Schalle
zusammen. Auch hält er das Bauern
t:«c·u3chen, in dem sein Großvater starb,
in hohen Ehren. Dort nett-ringt er im
Kreise der Familie seine Fetienzeit.
Ja, selbst im Winter, wenn tausend
Arbeiten ihn in Paris sesthalten,sent
wischt er est vom Freitag bis Montag
und schließt sich in der alten löndlichen
Wohnung ein, die in seinen Augen
mehr Reiz hat als das Palais des Lu
rembourg.
Falliisres verdantt seine ungeheure
Popnlaritiit, die er in der heimat ge
rieszt. seinen tordialen Umgango
formen. seiner Klugheit," seinem juri
stischen Wissen und seiner guten Lau
ne. Er hatte ehen sein Diplom als
Advotat erobert, als er schon Maire
von Nerac und Generalrat wurde·
Nach 16 Jahren legte er beide Aerntee
nieder und zwar unter sehr originellen
Umstänan
Eines Tages sagte er zu seinen Kol
legen:
»Wir haben die Macht lange genug
bewahrt. Es leimt hinter uns eine
neue Generation.... Wir wollen ge
hen! Platz der Jugendt«
Alle stimmten ihm hei. Aber aks es
sich darum handelte« von den Worten
zur Tat überzugehen, war herr Fal
lis««res der einzige. welcher seine Derniss
sion gab. .
Man hielt ihn siir dieses freiwillige
Opfer schadlos, indem man ihn am
20. Februar 1876 Juni Deputierten
wählte. Der junge Advotat vertauschte
Närac Init Paris. Das war sein erster
Schritt aus der Bahn des Gtiicks.
Niemand glaubte im Anfang daß
tieses Glück so rasch und mit solchem
Glanze kommen würde. Vorn ersten
Tage an nahrn Falliisreg in der Stam
iner eine bescheidene Haltung ein. lsr
drängte sich niemals vor. Er blieb rus
hig aus seiner Bank nnd überliesi ans
deren die Triumphe der Tribüne. Er
selbst degniigte sich mit der Arbeit in
den Bureaur und Kommissionem der
undanibarsten --— und nützlichsten
Dort erbrachte er den Beweis aus
gedehnter Kenntnisse, praktischen Sin
nes und sicheren Urteils. Man brauchte
übrigens den neuen Deputierten nur
an usehen, um zu wissen, daß de: nicht
aus halbem Wege stehen bleiben wiirs
de. Die ganze Persönlichkeit die sich
seither nicht viel geändert hat, atmete
Gesundheit und Kraft. Das volle Ge
sicht, von einem blauen, sehr ruhigen
Augenpaar erhellt, von langem, blon-«
dem, lockigein haar umrahmt, gab den
Eindrukl der Biederteit und sast einer
gewissen Naiviiät. Man fühlte gleich,
daß man einen braven Mann vor sich
hatte, und nach ein paar Augenblicken
des Gespräches tonnte man sich leicht
überzeugen, daß der brave Mann auch
ein sehr kluger, seht scharfsinnigek
Mann war, der immer sehr gut sprach,
weiter nur von Dingen sprach, die er
genau kannte.
Die ganze Kammer hatte diesen Ein
druck, als Falliisres das erstemal die
Tribiine bestieg. Es toae irgend eine
Frage der juristischen Geseh chang, die
ihn dahin gesilhei hatte, un libe- die
ses Thema, tuel i ihm vertraut war.
sprach er mit sit , Klarheit, gesundem
Menschenverstand mit einem senee
Iprachtvollem tönenden Organe del
pLandes von Tonlouse, wo die Min
fchen als Sänger oder Redner zur
Welt kommen. Die haltung war sicher
und behaglich, die Gebärde sparsam F
’eine bei einem Silbmann seltene Et
genschaft.
Von diesem Tage ab war Falliipres
designiert fiir die Macht, und lurz da
irauf begann er seine Laufbahn als
tMinisteL Aber man ging damals we
jniger rasch ins Zeug als heute, nnd
much die befähigsten Ministertandrdas
Jten pflegten erft eine Art von Vorbe
; reitungsdienst im Posten eines Unter
’staatsselretörs durchzumachen Der
«Geist der Gerechtigkeit und des Wohl
wollens, diese Duldsasmleit des Pri
"batmannes, die die Härte des Staats
mannes mildert, haben Herrn Fal
liisres in allen Stellungen, die er be
lleidet hat, die Achtung und hingabe
seiner Untergebenen und die liebevolle
Zuneigung seiner Kollegen verschafft.
Jn weniger als fünfzehn Jahren ist
Jer achtmal Minister gewesen. Man risz
sich um ihn bei allen Kombinationen
Hätte er gewollt, fo wäre er Minister
auf Lebenszeit geblieben. Er be
wahrte sich ebenso im öffentlichen Un
terricht wie im Jnnern, im Jnnern
wie in der Justiz· Von jedem Poete
feuille, das er hatte, wußte man, daß
es bei ihm in guten händen war. Man
wußte auch, dasz er nicht zu denen ge
hörte, welche die Ehren suchten. Hätte
er nur feinen persönlichen Neigungen
gehorcht, so hätte er oft die driielende
Last der ministeriellen Altenmappe ab
gelehnt. Mehr als einmal mußte man
sie ihm mit Gewalt unter den Arm
schieden
Als Durlerc im Jahre 1883 die
Macht verließ, zu einer Zeit, in der
tiefe Spaltungen die republitanische
Partei zertliifteten, urteilte der Prä
sident der Republit, daß der Mann,
welcher die Einheit am besten herstel
len könne Fallidres sei dessen Autori
tiit und Einfluß im Parlament stets
wuchsen
Er tvurde zum Ministerpräsidenten
ernannt, aber man mußte zuvor seinen
lebhaften Widerstand besiegen· Er
traute seiner Kraft nicht, er glaubte
nicht das nötige Zeug zum Pretniermi
nister zu haben. Es standen damals
die Maßregeln gegen die Prätendenten
auf der politischen Tagesordnung
Fallidres stellte sich am nächsten Tage
der Kammer vor und wurde mit war
men Ovationen empfangen. Er war
genötigt, das Wort in dieser heitlen
Angelegenheit zu ergreifen und hatte
die Nacht damit verbracht, seine Rede
vorzubereiten
Die Sympathietundgebung seiner
Koellegem die Verantwortung« die er
übernommen hatte und die er übrigens
leicht tragen konnte, hatten ihn tief
erschüttert· Er hatte den ersten Teil
seiner Rede mit glänzendem Erfolg ge
halten, als er sich plötzlich untoohl zu
fühlen begann und aus der Tribiine
ahnmächtig zusammenbrach Er wur
de nicht unbedentlich traut, mußte das
Bett hüten und reiste nach seinem lie
ben Dorf, das ihm Gesundheit wieder
gab.
Als er im Jahre 1892 zum Senator
gewählt wurde, erklärte er, daß er auf
Würden und Bürden fortan verzichte.
Vergeblich! Er wurde zum Präsidenten
des Senats gewählt. Er mußte auch
den Votsth im Staatsgerichtshof füh
ren. Dieser ländliche Mann, der sich
nur nach Ruhe sehnt, wurde immer
gegen seinen Willen in die Schlacht ge
stürzt. Das ift sein Schicksal. Und statt
daß man ihn heute in Frieden seinen
Weinstock pflanzen läßt, trieb man ihn
an, das höchstsArnt des Landes zu
verwalten.
Zehn wo der Kongkefz von Verbil
les ihn gewählt hat, wird Faun-us
Physiognomie sich nicht ändern. Er
wird der Patriarchvräsident lein. Er
wird zweifellos nicht mehr jede Woche
nach Mcszin fahren tönnen, um seinen
selbitgetelterten Wein zu trinlen, aber
er wird ihn ins Einst-e tommen las
sen. Die Polizei wird viel· Sorgen mit
ihm haben. Er wird bon seiner Lieb
lingsgewohnheit nicht lassen, die darin
besteht, jeden Morgen in aller Her
gottgfrühe einen Spaziergang über
die Boulevardg zu machen. Oft tann
man ihm begegnen, wenn er aus dem
Zentrum von Paris nach dem Luxems
bonrg zurücktehrt Er geht, nein, er
schlendert. Alles an ihm ist umle
gant, aber von einer natürlichen. unge
suchten ltnelegar.z. Ein but, den sicher
lich ein Hntmachu in Ade-rat fabriziert
hat, ist nachliifssg- nie-er ohne Affetta
tion aus die jetzt grauen Locken ge
stiilpt. Das Gesicht ist leicht verzogen
Inan errät, daß here Fallibtei all
seine Geiftestcäfte aus das fchwierigfte
Problem konzentriert: an nichts Zu
denken, um sich von allen gefesgeberis
sehen Sorgen auszuruhen
Als wollte here Fallitsres den schö
nne blauen Winterhimmel, an dem die
helle Sonne glänzt, herausforderm
trägt er einen Regenfchirm
Und tron der Sauberteit der trocke
nen Stra en trägt sein Ueberztehee die
und da nen tleinen Speisen-. Aber
der billige Snmwlismui. der Politik
und Schmutz in Verbindung bringt«
könnte auf keinen weniser Anwendan
finden als ank Deren Fallitsres, defsen
Privat-s und öffentliches Leben von
molellvser Reinheit lit· Reh-re alles
nur in allem: Ein lfravet Mannl
Das ist die drolligste Liet von Neid
vel lich des Andern Verziige durch
Ver teinern erträglich masht.