Ver Dritte. — Eine Sylvestergelchichte Von M a r - garethe v. Rentz. Das Weihnachtsfeft ist vorüber, der Lichterglnnz erloschen. deDie Kinder schauen nicht mehr nach day-tacht der Schaufensterx sie zie den ie kleinen Schlitten über die schneebedectte Straße oder probiren die neuen Schlittfchuhe. Und wenn die graue Dämmerung den Tag verdrängt, hören fie gern alte Märchen nnd Sagen, nnd je unheim licher diese klingen, desto gemtithlicher finden es die jungen Zuhörer im wodldurchwiirmten Stäbchen s— — Die alte Beate Römer sitzt im gro ßen Lehnstuhl, der nahe an den Ofen gerückt ift. Sie trägt eine gefältelte schwarze baube auf dem spärlichcn weißen Haar, aber ihre alten Augen blicken darunter noch hell und frisch hervor. Die Hände bat sie gefaltet im Schooße liegen —--— hin nnd wieder wendet sie den Kon nach der Thür, als ob sie Jemand erwarte. vDraußen auf der Straße werden schon die Laternen angezündet, cer Schnee blinlt rein und weiß Vater Winter hat ordentlich zuge deckt, wie es sich auch ziemt nnd dem alten Herrn zur Weihnachtgzeit wohl ansteht. —--— « Ueber Beate Römers runzligeg Ge sicht fliegt jetzt ein ftrahlendeg Lä cheln, sie hört auf der Holzftieae dran fzen Kichern und Lachen und die aus getretenen Stufen tnarren. « Hunnen Rose und Lene Weber ste hen gleich darauf im niedrigen Stüh- » Well« Alle drei sehen frisch und rotigs aus, sie kommen direct vom Schlitt- - schuhlaufen zu der Alten, die ihre! ehemalige Kinderfrau ist. Sowohl fiir diese wie fiir die jun: l gen Mädchen war es ein ganz beson deres Vergnügen, in der Dunkelstunde zusammen zu sein. Beate war noch vom alten Schlage. Sie wußte eine· Menge wundersamer Geschichten, an1 die sie selbst steif und fest glaubte, und da ihr früher streng untersagtl worden war, den Kindern so etwas ei·nzureden, holte sie es jetzt, da die Jüngste schon siebzehn Jahre alt war, ( eifrig nach. I Besonders gern erzählte sie Spuk- t und Gruftlgesckichten. Die jungen Mädchen glaubten na tiirlich nicht daran —- nein, entschie den nicht — sie lachten und kicherten viel darüber und machten sich lustig besonders am lichten Tage, oder wenn sie an dem großen Familientisch um die hellbrennende Lampe saßen. Und doch war es merkwürdig --— hier in Beatens kleinem Stäbchen, im Halb dunlel wurde ihnen bei deren Erzäh lungen immer ein wenig grufelig. Auch heute, als die Alte von der letzten Jahresnacht zu erzählen be gann. Lenchen rückte unwillkürlich mit ihrem Schemel ein wenig näher zu Hanna hin. An der Zeit von Weih nachten bis Neujahr tann der Mensch sehr viel über seine Zukunft erfahren, wenn er will," sagte Beate in feier lichem Tone, «und besonders in der Syloesternacht sind alle Geheimnisse offenbar-« ,,host Du auch einmal versucht, über Deine Zukunft etwas zu erfah ren, Beatr?« fragte Rose. Die Alte hob abwehrend die Hand. »Gott soll mich bewahren, Lindeh Es ist immer Teufelswert dabei, und gar manchen hat der Böse schon auf solche Weise fiir sich gewonnen. Wer weiß, ob ich heute hier so gemiithlich Lästzn wenn ich je so etwas versucht ii te·« Sie schwieg einen Augenblick sie schien über etwas nachzudenken — dann begann sie: »Wenn Jhr in der Sylbesternacht zwischen 12 und 1 Uhr an einen Kreuzweg geht und wartet, big ein Mann kommt, müßt Jhr ihn fragen, weß Standes und Gewerbes er ist « besselben ist dann auch Euer Zukünf tiger.« »Das könnte man mal versuchen,« meinte Rose. Beate beachtete den Ein wtirs gar nicht und fuhr fort: »Die Kathi und ich waren Nach barstinder. hübsch war sie wie nur eine, sodaß sich alle aus der Straße nach ihr umdrehten, und lustig war die Kathi auch. Nun und die hatte auch davon gehört. »Was gilt’s »s ich probir’5!« sagte sie zu mir, und aus mein Abrathen lachte sie nur· Sie « ist richtig hinausgegangen in der Z etsrg kalten Nacht an den-Kreuzweg i Und wißt Jhr. wen sie gesehen hat?" i Die Alte beugt den grauen Kopf weit vor, und die jungen Mädchen F. riieten noch dichter zusammen. « »Den Tod hat sie gesehen, und so erschrocken ist sie, daß sie aus der 2.;kell’."-— htngesallen und nicht mehr aus estanden ist.« ’ »Don wie schauerlich!« sagt Hanna. »j- «Woher wißt Jhr denn, daß die atht den Tod gesehen hatt« skagt « ne Beute verschräntt die Arme unter r Brust «Nu sieh mal einer den Kiesindie lt ant Mk sie sonst so erschrocken, nn sie nicht den Tod gesehen hättet« TJTTZ »Wie sah denn die Kathi aus« ats - T-- pl sie sandett« stagt Lenchen noch . ? s. s W »Fein sah sie aus. War sie doch vom Tanzboden weggelaufen.« »Ach darum!« wirst Lenchen ein. s « »Was darum7« Beate ist ärgerlich, daß man ihr die schöne Geschichte nicht glauben will. »Sie ist eben gestorben, weil sie er .hitzt in die Kälte hinausgelausen isi,« meint Lenchen. »Sie hat sterben müssen, weil der Tod ihr am Kreuzweg ausgelaueri hat!« sagt Beate mit erhobener Stim me in einem so bestimmten Tone, daß kein weiterer Widerspruch mehr laut wird. Es war eine geraume Zeit ganz ; still im Stäbchen, auch war es inzwi schen finster geworden, nur der La ternenschein wars von draußen ein wenig Licht in den Raum. Die alte Frau sah von ihrem Lehnstuhle aus hinüber nach den Fen stern; sie überlegte, um etwas recht Schauerlicheg herauszusindein »Es giebt auch noch einen alten Glauben,« begann sie endlich, »von einem stummen Dritten, wißt Ihr da von?« »Nein —- bitte, erzählet« Beute sehte sich befriedigt zurecht, strich die Schürze glatt und begann: ,,Also in der Neujahrsnacht müssen in einem Hause, wo sonst alles schläft, zwei Menschen aufbleiben. Von elf Uhr-ab darf keiner mehr ein Wörtel sprechen —- anz mucksmliuselstill und ruhig miiäen sie zusammen den Tisch für drei Personen decken. Es darf nichts fehlen, und Brot und Salz und Wasser müssen auch da fein. Sind sie damit fertig, miisfen sie sich an diesen Tisch setzen, einander ge acuiiber — das dritte freie Plätzel inuß zwischen ihnen sein. So bleiben sie· dann ruhig sitzen, und wenn die Glocke zwölfe schlägt — dann-— dann «- wird die Thür aufgehen, nnd her ein wird der Dritte kommen sich mit an den Tisch setzen, von demBrot nnd Salz essen, von dem Wasser trinken —-- wohlgemertt auch ohne ein Wort zu reden ----- und um ein Uhr wird er ganz ruhig und still wieder hinauäs gehen.« »Aber das ist ja doch unmöglich, Veate8« sagte Rose. « »Komm denn ein Mensch oder ein Geist?« fragte Hanna Beate zuckte die Achseln. »Das weiß ich nicht. Es gehört aber sehr viel Muth dazu, es zu pro biren.« Die Alte steht auf und zündet die Lampe an, und sobald das Streich hölzchen-aufslammt, lachen die jun gen Mädchen, und alle Spukgeister chen nehmen Reißaus. »Beste« sagt Lenchen und faßt die Hände der Alten« »Du bist unsere liebe, gute, alte Veate, aber was Du uns eben erzählt hast,· ist doch fein schrecklicher Unsinn.« »So? Meinst Dut« Beate sieht das junge Mädchen groß an. »Ihr seid halt fein gebildet » wißt Euch alles zu ertliiren und glaubt an kein Wunder mehr. Aber, Kindel,« sie streicht Lenchen über den blonden Krauskopf, »es giebt halt noch viel, was man sich nicht so leicht erklären kann, und besonders die Zeit nach Weihnachten ist eine geheimniß-· volle. Sag mir, KindeL von wem hast Du denn jetzt am meisten ge iriiumt? Brauchst doch nicht gleich roth wie ein Psingströsel zu werden, kann mir schon denken, daß es nicht «die alte Beate war.« « »Warum willst Du denn das wis ten?« Beute wiegt den tiops hin nnd her nnd lächelt. «Jedensalls vom Doeior Firiiger,« wirst Rose ein. «Woher weißt Du denn beisp« fährt Lenchen aus. »Aha, es stimmt,« meint die Alte schmunzeind, »nun schau, LeneL das ist ein gutes Zeichen. Das zeigt an, daß der junge Herr gerade so ost an unsere Jüngste dentt wie sie an il)n.« »Ich denke gar nicht so ost an ihn,« vertheidigt sich Lenchen Die Schwestern lachen. »Aber inanchmal,« sagte Hamm, »und dann desto länger. Hin und wieder muß man doch schließlich mal an etwas anderes denken·« »Rose, Du bist abscheulich Dn glaubst wohl, ich habe keine Augen Jch weiß auch ganz genau, an wen-« Rose schlief-X mit der Hand ihrer Schwester den Mund ,,Still, meinKleines,« sagt sie, »Du hast ja noch gar nicht mitzureden« Lenchen schweigt Sie spielt nachdenklich mit ihrem Zopse, der ihr blond und schwer über die Schulter hängt. Beate sucht in ihrer großen Kom mode nach einem Kartenspiel. »Richtig- Kartenaufichlagen kann ich nicht,« sagt sie dabei, »aber ein Bissel hab’ ich’s von meiner Urahne gelernt. Die ist jeht lange todt, und ich werd’ wohl manches vergessen ha ben.« Sie miicht und legt aus, murmelt unverständliche Worte vor sich hin und beginnt. Sie sagt ihren drei Lieblin aen nur Schönes aus den bunten Blättern. »nen Brief tue-W kriegen, mit ei net guten Nachricht, hier liegt auch Nie schöne Reise und hier der Herz bube—— schau — kchau —- RoieL « sie nickt dieser lächelnd zu, »ich werd’ Dich wohl noch im Brauttranze sehn — —- — was er ist, der herzbube — wollt’s wissen? Scheint mir auf dem Gericht zu thun zu haben. Wie? Ach, es stimmt —- das freut mich!« Die jungen Mädchen gehen befrie digtnach Hause ,,Bei der Beate ifw doch immer zu geiniithlich," sagt Lenchen. Rose und Hanna schmückten sich zum Balle. Sie hatten zu Weihnach ten sehr schöne zarirosa Kleider erhal ten, die siir den Syldefterball be stimmt waren. Lenchen kam sich in ihrem gewöhn lichen Kleide den geputzten Schwestern gegenüber sierbensungliicklich vor. Sie lag in nachlässiger Stellung auf einem Sessel und sah zu, wie Rose sich die Veilchen ansteckte und Haan an ihren dunklen Löckchen zupfte. »Und ich muß zu Hause bleiben!« klagte die Jüngste. »Wirst noch früh genug zu der Hop serei tommen,« meinte Hamm, die nicht gern tanzte. Lenchen fand aber, es wäre eine große Ungerechtigkeit; sie drehte und riß unbarmherzig an der Quasie des Sti.1hles, bis diese endlich sich Herbste »Geh- mir vaw zu Bett,« rieth Rose, während sie unter ihren Fächern den passenden hervorsuchte, »das Ge scheiteste, was Du thun kanns .« —,,Natiirlichs!« grollte Lenchen, »Ihr dreht Euch nach den herrlichsten Wal- I zerlliingen, und ich tann in’s Bett kriechen. Nein, das schon lange nicht. Jch bleibe auf,' bis Jhr wieder tommt.« — Die Schwestern lachen. »Da möchten Dir wohl die Aeug lein zugefallen sein, mein Kleines,« sagte Rose ’ »Wenn Ihr mich doch nicht immer ? Kind und Kleines nennen wolltet! s Das finde ich nachgerade empörend. Ich bin doch schon ebenso erwachsenl i wie Ihr. Ich kann Euch gar nicht sa- ; ) gen, wie ich mich darüber ärgere« ! : »Wenn ich nur beiin Blumenwalzer nicht sitzen bliebe!« seufzt Rose. j i »Ach holt· natürlich Referendar s Seller. Aber ob ich —« Hanna zuckt ’ ! vie Achseln i T , Lenchen wünscht in diesem Augen- « sblich Hanna und Rose blieben alles ; beide beim Blumenwalzer sitzen s Warum sollte sie sich gerade allein in s neue Jahr hinüber ärgern — das stonnte sie nicht recht einsehen s »Wie das hier abscheulich aussieht!" s begann sie nach einer Weile wieder die Unterhaltung, während sie sich in dem start unordentlichen Zimmer umsah Hier lagen Röcke, dort Ballblumen, Handschuhe, Taschentiicher; der Klei derschrant stand offen, die Kommoden schübe waren halb herborgezogen. »Emma wird dann hereintotnmen und ausriiumeu, « beschwichtiate Rose, aber Lenchen wiederholte mit Nach druet ihre Behauptung —— irgendwie mußte iie ihrem Aerger doch Lust » machen. s Die Schwestern legen sich- die Mein ’ tel um vor der Thüre stehen schon die JEltern Regierungs- Rath Weber ist ein ungeduldiger Herr Er tlopst laut san die Thiir und ruft: »Na, wird-cis s bale« - J Dann gehen sie alle die Treppe hin ;unter, ohne Mitleid siir die Zuriiets : bleibende. Lenchen treten Thriinen in die Augen sie tonimt sich namenlos verlassen bor· Sie vergleicht sich mit Asasenputteh die auch allein zu Hause bleiben mußte aber da tam der Prin,! -. Und die ganzen nächsten Tage wür den Nose und Hanna von dem Balle erzahlen, ihr immer wieder zeigen, wag sie versäumt hatte. Jetzt wiirde bald Doctor Ariiger mit den Schwe stern tanzen —---— er würde sie gewiß reizend finden und an das kleine, dumme Ding, die Leue, gar nicht den-: ten Ein schöner Mann, dieser Doc tor Krügen und so liebenswürdig und gut! i Lenchen weinte jetzt ganz leise in ihr Taschentuch hinein. Regierungsrath Weber war ein strenger Vater, obwohl er seine Töch ter iiber alles liebte. Er freute sich, als er niit Hanna und Rose die Treppe hinabschritt, wie reizend sie aussahem aber er hätte eg sür unter seiner Würde gehalten, et was Davon zu sagen. Er hatte auch bestimmt, daß Lenchen in diesem Jahre noch leinen Ball besuchen diirse, und seine Angehörigen wußten sehr wohl, daß ihn nichts bewegen lonnie, diese Anordnung zu ändern. Der große, ernste Mann hatte leine Ahnung, wie schmerzlich sür Lenchen dies Entsagen war. Er selbst wäre tausendmal lieber zu Hause geblieben, er haßte alle diese Vergnügungen von Herzen-erkunde, aber er bezwang sich und brachte sei ner Familie das Opfer. - Sie gingen zu Fuß; Ivar doch das HoteL in welchem der Ball stattfand, »nur wenige Schritte von der Woh nung des Regierungsratheö entfernt. Lenchen hatte, diesen Umstand in TErivägung ziehend, irn verflossenen Winter einmal lange vor den Fen stern des zu ebener Erde gelegenen Ballsaales gestanden und den Wal zertlängen gelauschi. Durch irgend eine alte Klatschbase war dies dem Vater zu Ohren gewin rnen, und da —- doch nein —- sie sprach nicht gern darüber. Jedenfalls war ihr alle Lust, jemals wieder Zaungast zu sein, gründlich vergangen. Sie mußte fehl wieder daran den len —- nicht einmal das lleine Ver — gniigen ließ man ihr. Lenchen versuchte, im Zimmer et was Ordnung zu schaffen; aber nach kurzer Zeit gab sie es seufzend auf Sie ergriff die kleine Lampe und ging in das Zimmer ihrer Mutter hinein. Hier zog sie erst die Vorhänge an den Fenstern zu, dann warf sie sich seufzend auf den D«ivan. · Sie hielt die Hände hinter dem Kopfe verschränkt, ihre Augen starr ten zur Decke hinauf. Jn ihre Sinnen und Grübeln hin ein erklang plötzlich die Flurglocke. Lenchen fuhr auf und horchte. Ah, es war Tilli! Das war nett von der Freundin, gerade heute Abend l zu kommen. i Tilli stürmte schon zur Thür her fein, ohne lange Umstände. « »Mama und Toni sind aus dem Balle, mir war’s zu Hause allein zu langweilig, und ich bin schnell zu Dir gelaufen.« Lenchen half der Freundin seelen vergnügt den Paletot ausziehen, ihre schlechte Laune war fort, Tilli erschien ihr wie ein guter Engel. Bald saßen die beiden in eifrigem Gespräch beisammen. Da sie sich zwei Tage nicht gesehen, hatten sie sich eine große Menge ungeheuer wichtiger Sa chen zu erzählen. »Richtig,« sagte plötzlich Tilli. »daß wir’s nicht vergessen —- heute Abend Füssen wir selbstverständlich Blei gie en·« —« Sie hatte eine Menge halbzerbro chener Bleisoldaten aus der Tasche ge nommen und auf den Tisch gelegt. — »Die habe ich dem Heinzel wegstibitzt, hoffentlich merkt er nich-t, daß ihm Krieger fehlen.« »Du, das ist eine samose Jede,« rief Lenchen begeistert, ,,iarvohl, das- ma chen wir!« Sie gingen gleich an’s Werk, und mit nachdenklichem Staunen betrach teten sie dann die wunderbaren Blei gebilde. »Sieh ’mal, meinte Lenchen, »das ist beinahe wie ein Strauß.« »Ach nein, Leue, ich würde es eher siir einen Berg oder so etwas halten« »Na, wie Du hier einen Berg her ausfindest, ist mir gerader schwier -haft.« »So ist’5 überhaupt nicht richtig, eg tonnnt darauf an, was es fiir einen Schatten wirst!« Nun war es ganz unverkennbar ein Helni«aber davon wollte Lenchen schon gar nichts wissen. »Heute Abend bin ich in einer Stimmung, dasz ich am liebsten etwa-Z recht Tolle-Z angeben möchte,« sagte « Til1i. »Du, ich weiß wag. Setz’ Dich her zu mir es ist nämlich eine ganz unheimliche Geschichte.« Lene er zählte nun in geheimnifzvolleni flü sternden Tone die Sage von dem stummen Dritten, und Tilli erklärte sofort: »Du, das ist ultig, das machen wir.« »Es ist ja schrecklich dumm, weißt Du,« meinte Lencheu, »und ein haar striiubender Unsinn, aber ich weiß nicht, Tilti, unheimlich finde ichs doch« Tillie lachte laut auf. »Nun miissen toir’s erst recht probi reu. Du mußt doch sehen, dasz abso lut gar nichts geschehen wird. Jch glaube, unheimlich ist e5 Dir nur des halb, weil Du eine volle Stunde tein Wort sprechen darfst. Die Dienstmädchen waren beide zu Bett gegangen; es war schon nach 10 Uhr und ganz still im Hause. « ,,Lange Zeit haben wir nicht mehr,« sagte Tilli, »dann miissen wir anfan gen -—— doch sicher mit dein Schlage 11 Uhr·« Lenchen nickte, sie verfolgte ein Weilchen den Zeiger au Mantos zier ticher Standuht. »Jetzt brauchen wir aber noch nicht zu fchweigen.« »Nein —- aber ich weiß nichts mehr zu erzählen.« »Ich habe gar nicht gedacht, daß Du solch großer Hosenfufz bist, Leite« »Ach, Du glaubst wohl, ich fürchte mich? Na, das wäre doch noch schö ner!« Fiinf Minuten vor elf fragte sie aber: »Wollen wiss denn wirklich probireat Ich meine, wird es Dir nicht zu langweilig sein?« »Wenn Du Dich gar so grufelft, lassen 1oir’s lieber.« »Nein, nein, komm nur, wir wer den immer hinüber in«s Eßzimmer gehen, es muß ja gleich fchlagen·« Eins —— zwei —---- drei --— vier fünf sechs «-— sieben ——— acht — neun —-«-— zehn —- elf. Die jungen Mädchen zählten unwillkürlich rnit, als die kleine BronzesUhr ihr silber helles Glöckchen ertönen ließ. Dann griff Lenchen energifch nach der Lam pe und ging der Freundin voraus. Das Eßzimmer war das größte der Wohnung. Tilli fand die Lampe viel zu tlein fiir den Raum; ihr Licht leuchtete ja nicht einmal ordentlich bis zur Thür, und dort drüben an der Wand ver-schwamm alles in unsiche rem Dunkel. Sogar der muthigen Tilli wurde ein wenig unbehaglich; fie trat zum Tische und fchraubte die Lampe höher. Diese that ihr Möglichstes, das Vertrauen, das man in sie gefeta hat te, zu rechtfertigen —- sre war felbft erstaunt iiber die große Ehre, die ihr heute wider-fuhr, daß sie auf dem Eß tifch Prangen durfte — es war eben eine sehr bescheidene lleine Lampe. Lenchen hätte auch lieber eine grö ßere angezündet, aber sie fürchtete Tilli’s spöttischen Blick und unterließ es deshalb. Schweigend deckten sie den Tisch. Nur von Zeit zu Zeit trafen sich ihre Blicke und sprachen. Die Lenchen’s sagten: »Ich niöchi’s am liebsten lassen,« die Tilli’s: »Un sinn, das wäre noch schöner.« « Und doch fühlte Tilli mit Verwun derung, wie auch sie sich eines ängstli chen Gefühles nicht erwehren konnte. Daran war das stumme Schweigen Schuld. Es hat schließlich immer et was Ungemüthliches, wenn zweiMen schen so stumm um einander herum gehen. Der Tisch war bald gedeckt, es war erst ein Viertel nach 11 Uhr. Schwei gend setzen sie sich an den Tisch —- se hen sich an —- lächeln ein wenig — blicken nach der Thijr —- nach der Uhr. Wie der Zeiger schleicht —- und doch klopft ihnen beiden das Herz, wenn sie an das Ende der Stunde denken! — Jeht nur noch eine halbe Stunde — dann würden sich die verschlosse nen Thüren des Hauses von selbst öffnen — dann würde auch dieseThiir » sich austhun —- ——! Lenthen’s Backen glühen wie im " Fieber — Tilli ist nahe daran, ein er lösendes Wort zu sprechen —— doch sie schweigt weiter. Jede bemüht sich krampfhast, der » anderen die wachsende Furcht zu ver bergen, jede wiederholt sich im Jn nern immer wieder, daß alles Unsinn ist und nichts Außergewöhnliches ge schehen kann. Vielleicht auch werden sie den Drit ten nicht kommen hören, er wird plötzlich in der Thiir stehen! Tilli lächelt Lenchen an, und Len chen lächelt als Antwort. Zehn Minuten vor zwölf —— jetzt musj sich-’s bald entscheiden. Jm Eßzimmer fehlen noch drei Mi nuten zu itternacht — da beginnen plötzlich die Kirchenglocken anzuschla gen und das neue Jahr einzuliiuten Lenchen erschrickt bei den noch nicht erwarteten Klängen so, daß i re Hän de zittern, sie steckt sie schnell unter den Tisch, damit es Tilli nicht sehen soll. --— Doch diese blickt nach der Thür mit eineni.ganz blassen Gesicht. Dann se hen sie sich wieder an —— fragend und ernst. Jetzt schlägt auch die Uhr im Eß zimmer, während die Glocken draußen weiter klingen. Jsts da nicht, als ob die Hausthüre tnarrte, tonitnt es nicht wie leise Schritte die Treppe heraus « tastet es nicht an der Wand — rauscht es nicht wie von einem langen Gewand —-- und jetzt — heiliger Gott! es ist also doch kein Aberglaube — auch die Entreethiir öffnet sich, und leise schleicht es näher nach der Thiir des Eßzimmers. Bebend vor Angst lauschten die bei den jungen Mädchen, ——-- keine Spur von Verstellung mehr — nackte Furcht und Entsetzen liegt aus ihren Gesich tern, nnd ohne Verabredung fahren beide auf und tausen, sich fast über rennend, zur Thür, die in Vaters Ar beitszinimer siihrt, hinaus. Dort stehen sie zitternd aneinander geschniiegt am Fenster und lauschen. »Den meinem ganzen Leben versuche ich das nicht mehr!« betheuert Len chen. Tilli antwortet nicht. Sie horcht nur und vermag es nicht zu begreifen. Der starke Sylvesterpunsch hatte· den Regierungsrath in eine recht mun tere Stimmung gebracht. Seine Töch ter tanzten tüchtig, seine Frau freute sich darüber, und er selbst sasz in ei nein Nebenstübchen und ließ sich von Doctor Krüger Gesellschaft leisten. Der junge Mann hatte ihm eben Vorwürfe gemacht, daß er seine Jüngste zu Hause gelassen hatte, und Weber war nahe daran, dies selbst zu bedauern. »So allein sitzt sie nun zu Hanse.« bedauerte der Doctor, ,,solch’ junges, frisches Blut will sich doch auch ver gnügen.« »Ganz allein wird sie nicht sein, denn eine Freundin wollte sie besu chen, wie ich eben von deren Eltern hörte. Wahrscheinlich ist sie aber schon längst zu Bett.« »Wer weiß! Jch werde gleich mal nachsehen, ob bei Jhnen noch-Licht is Der Regierungsrath suchte seine Frau. »Hast Du denn der Lene wenigstens ein Glas Punsch und einen Pfann tuchen spendirt?« Frau Weber zuclte die Achseln: »Ob ihr das gerade Spaß macht, sich allein dazu zu setzen?« »Es ist Licht im Eßzimmer,« be richtete Dsoctor Krügen Regierungsrath Weber dachte ein Weilchen nach, dann hielt er des Doc ,torg Arm fest und sagte: j »Die Lene soll sehen, daß ich kein ’Rabenvater bin.Jcb werde selbst hin über gehen und ihr Punsch und Ku chen bringen« Dsoctor Krüger schloß sich unter dem Vorwande, den alten Herrn über die vereiste Straße führen zu wollen, sofort an. Er nahm ihm auch dienstbeslissen die Flasche mit dem Punsch und den Ku chen ab. , « So kamen sie in’s Hang, und « gingen sie die Treppe hinausp « Als der Regierungsrath nach der Klinke greifen wollte, hörten sie im Eßzimmer lautes Gepolter —»-—-dmm wurde eine Thiir zugeschlagen —- der-T ran Todtenstillr. Im Scheine eines Wachsstreiche hölzchens sahen sich die beiden Herren verblüfft an. Ihr Erstaunen wuchs, als sie drinnen den gedeckten Tisch ge wahrten. Ja, was sollt-e denn das heißen? Kopfschüttelnd ging der Regie- « rungsrath hin und her. »Es ,,Aha, nun fällt es mir eint« rief der Doktor lachend, »die Geschichte vom Dritten in der Shlvesternachst. ein alter Abserglauhe unserer Heimaih. Da wollen wiir den Spaß doch auch richtig zu Ende führen.« Er setzte sich an den Tisch, goß sich ein Glas Punschs ein und legte einen Pfannkuchen vor sich aus den Teller-. »Nun bitte, Herr Regierungsrath, ziehen Sie sich ein Weilchen dort in die dunkle Ecke hinter der Thüre zu rück. Bei Fri. Helene wird gewiß die » Neugier über die Furcht siegen, unds sie wird einen Blick durch-Z Schiüsse1 Ioch wagen. Da soll sie den Dritten am Tische sehen. Zwar, ob sie gerade diesen Gast erwartet hat —?« Der Rsegierunasrath kam vorerst aus der Verwunderung und dem siopfschiitteln nicht heraus-, aber er gehorchte schweigend. Inzwischen hat ten Lenchen und Tilli leise detach schlaat, wag zu thun sei. Es konnten am Ende Einbrecher sein. Wie schreck lich! Da müßten sie doch- Lärm schla gen. Aber wie sich Gewißheit verschaf sen? »Du, Lene,« sagte Tilli, »der Schliissel in der Thür zum Eßzimmers »steckt nicht, komm, wir sehen mal Hschnell hindurch. — Du wagst es ; nicht? ——- Gut, dann thue ich es, bleib' HDu hier stehen, damit Du im Noth-v sfalle die Mädchen wecken kannst." » Tilli schlich leise wieder nach vorn, wo es ganz still geworden war, und blickte durchs Schlüsselloch. Richtig! Da saß einer am Tische, aber wie ein Geist oder ein Einbrecher sah er nicht » ang. Er hatte sogar einen Frack an! Sie sah schärfer hin; jetzt beugte der räthselhafte Eindringling siehet was vor und hielt ein mit einer dun kelrothen Flüssigkeit gestilltes Glas gegen das Licht ——-- das war ja Dr. Krügerl Mit Windeseile lief Tilli zu der noch immer vor Angst zitternden Freundin, ergriff ihre Hand und zog die Widerstrebende mit sich fort: »So tomm’ doch —— na, Du wirst « Dich wundern!« Als Tilli die Thür öffnete, hob Dr. striiger das Glas empor-und rief-, ihnen lachend zu: »Prosit Neujahr, meine Damen! Jch sei, gewährt mir die Bitte, in Eurem Bunde der »Dritte!« J Jetzt trat auch der Vater aus dene Dunkel hervor. »Aber Kinder, sagt Jmir doch in aller Welt, was hat das »Hu bedenten?- Mir ist von alledem so i dumm, alg ging’ mir ein Mühlrad im Kopfe herum. Heraus mit der Spra a:e! Leite, jetzt beichte inal!« Stockend, glühendroth vor Verke sgenheit, sing sie an zu erzählen« doch mußte sie mehrmals innehalten, denn Idic Herren brachen immer aufs Neue iHi schallendeg Gelächter aus. — « » »Du Närrchen « saate der Vater und strich Lenchen über den Kopf, ’ .und das will eine Dame sein und Bälle besuchen! Doch jetzt wollen wir anstoßen auf ein recht glückliches neues Jahr.« Die Gläser klangen zusammen, auch von der Straße herauf tönten Neu-— jahrsariiße. Und während Tilli zum Fenster tief nnd cg öffnete und neben dem Regie rnngsratb h-inabblieite, faßte der Doc tor nach Lenchens band und sliistertet »Es ist doch ein stummer Dritter einaetrcteu, aber nicht alle sehen ihn. Jcb aber weiß, wer es ist und trie er beißt. Es ist Gott Amor — Heime . sehen auch Sie den lieben Gast oder s bin ich nur allein, der von ihm Iveiß?· Lenchen sieht unter anänen la crelnd zu dem Manne auf und nickt mit dem blonden Kopfe, und am Fen ster steht der Vater und rust einen auten Bekannten ein ,,Prosit Neu jahr!« hinunter. « Neuinhrstarten. Neues Jahr unl; neues Hoffen, Neuer Wandel im Geschick, Neuer Bund der alten Freundschaft, Neue Lust und neues Glück! NeujahrssestgeläuteL Sag, was wünsch’ ich heute? Wenig dars ich schreiben: Woll’n die Alten bleiben! Die Neujahrsglocken schwingen sich, Mein Herz, das schwingt sich mit! Mein Herz, das jubelt heiter: Zieh’n auch die Jahre weiter, Wir halten fröhlich Schritt. Ein neues Jahr, was will das sagen? Im Lebensbuch ein neues Blatt. Hab’ stets viel frohes einzutragen. Und nichts, was Schuld und Fehle hat Jm neuen Jahr: Die Augen klar, Die Worte wahr, Und schätze Gott dich immerdar.