Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, December 15, 1905, Sweiter Theil., Image 9

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    Yeöraska
Staat5-3n2ejger Und THErnlII
I. P. Windolph, Herausgeher. Grund Island. Nebr« Is-. Dezember 1905 (Zweiter TheiU Jahrgang 26 No. lis.
, Höhen und Tiefen.
Von Mai-le Krauie - Kinlei.
Weiß nicht wie's wmmt, an manchen
. » Tagen »
Maria« ich, ich tonnt’s nicht langer
tragen!
Wie ich auch ringe und michwehre,
Zur Erde drücle mit Centner’s
Schwere.
Bis still ich lieg in Dunkelheiten,
Kann nicht mehr kämpfen, nicht mehr
ftzeiten ..
Dann plötzlich kommen goldene Tage,
Wo froh den Flug zum Licht ich wage,
Wo alles Schwere vdn mir gleitet,
Wo meine Brust sich selig weitet,
Wo mir die Welt in Nichts versinkt-i
lind meine Seele Schönheit trinket.
Seine Frau.
Von Hjalniar Högluiid. aus- dein
Schwedischen von B..Mann.
De- Schnek siiiii dicht finis- in kro- H
fien, weißen Flocken mit einem leisen i
«Windhauch, den man nur dann hört,
wenn man stehen bleibt und lauscht.
Der Weg zieht sich wie eine weiße, ge
bogene Linie durch den Wald.
Jn dieser Gegend giebt es noch keine
Eisenbahn. Deshalb müssen sie im
Schlitten fahren.
-- Er war vom Hause fort gewesen
und hatte sich eine Braut geholt, war
fort gewesen und hatte Hochzeit gehal
ten und mehrere Tage in ihrem El
iernhaiise verweilt, und jetzt befindet
er sich mit seiner jungen, eben angeO
trauten Gattin neben sich im Schlit
ten auf dem Weg nach seinem ländli
chen Heim. -
Der Schnee hat sie aber unterwegs
überrascht. Er fällt leise und dicht,
fällt einschliifernd und geheimnifivoll
und wendet die Gedanken nach innen,
und beide sind sie nach nnd nach in
sich selbst versunken, iind sie schweigen
nnd denteii.
Er denkt an das-, was war und war
,ifi und sucht das Eine gegen das An
- dere aiifzuwiigeii nnd zu erforschen,
was das Beste ist. Er denit daran,
baß er jetzt den entscheidenden Schritt 4
gethan und sich verheirathet hat. Er
hatte geglaubt, daß er mit dieseiiii
Schritt das Alte binier sich lasseni
iviirde, uin es nie wieder zu sehen, cr ;
merkt es aber, daß er sich in diesem ;
Punkt geirrt hat, dasi er ihn doch ver-—- .
folgt und daß die andere noch nicht
vergessen ist und daß sie ihin oft dann
gerade in feine Gedanten toiiimt,ir-enn
er es ani wenigsten wünscht; die an- »
dere, die er einst so lieb hatte, die er
aber nich-i geheirathet hat. »
Er ist tein unehrenhafter Mann; er H
ist mit der besten Absicht an den Altar
getreten und hat sich gelobt, das-, er sei- :
ne Pflicht erfüllen nnd gut zu seiner .
Gattin sein will; und deshalb ärgert»
er sich iiber sich selbst, daß er immer.
wieder an die andere denken muß,iind
daß ihr Bild ihn selbst während der
Trauung nicht verließ nnd ihn Zer
streut gemacht hat« und daß er es auch
seßt nicht lassen tann, sie mit ihr, die
neben ihm sitzt, zu vergleichen. Er
denkt darüber nach, ob er wohl seine
Frau betrogen hat, daß er sie des
schnöden Gewinnes halber ohne Liebe
an sich leitete. Ach nein, das hatte er
ja doch nicht gethan. Denn reich war
sie nicht. Er hatte sie nur des An
sehens ihrer Familie wegen genom
men. Eben hierin bestand seine
. Schuld. Jhres Ansehens wegen hatte
er die andere geopfert, denn sie war
nach den allgemeinen gesellschaftlichen
Begriffen ihm nicht ebenbürtig· Und
das hatte er ihr auch ehrlich gesagt,
das heißt, nicht, daß sie zu gering fiir
ihn sei. sondern, daß er sie nicht lieb
genug habe, uin ihr Geschick an das
seinige zu binden
Ueber alles dies denit er nach und
wundert sich, weshalb er die andere
und ihre Abschiedsthriinen nicht ver
gessen tann. Und feine Frau? Er
hatte es versucht, ihr Wesen zu erfor
schen und «n ihr Jnneres zu dringen,
und er wußte, daß sie eine musterhafte
Hausfrau, in seinem Heim eine vor
zügliche Wirthin abgeben würde, auf
die er stolz sein konnte. Er wußte
auch, daß seine Wirthschast sich unter
ihrer Leitung heben würde, daß sie
eine Frau ist wie ein Landwirth sie
sich nicht besser wünschen lann. Alles
dies weiß und begreift er, und doch
fühlt er, daß zwischen ihnen etwas
Fremdes und Kaltes liegt, etwas Un
tlares und Dunkle-D das er nicht ganz
versteht. Und er fürchtet, daß, wenn
sie ihm nicht mehr Vertrauen mit
bringt, wenn sie nicht mehr aus sich
heraus aeht —- daß sie dann beide be
trogen sind.
Und der Schnee fällt dicht und ein
ichläfeend und wendet die Gedanken
nach innen, und er dentt und grübeli.
Und dee Weg zeichnet sich weiß gegen
den duntien Wald ab, bis ek in das
Thal mündet, in dem das Dorf vor
ihnen liegt. Da fiidet er wie aus einem
Traum auf, da erinnert er sich, daß
seine junge Frau neben ihm sitzt, und
et schämt sich seiner Gedanken und sei
nes langen Schweinen-L
«Jett sind wie gleich da,'· sagt et
und wendet sich mit erwachendee Herz
iichteit itye zu.
, »Endlich!« kommt es schwach und
Txxkediimpft aus den Tüchetn hervor.
Das Stille in der Stimme verletzt
ihn, und er schweigt von Neuem.
anwifchen sind sie auf den Hof an
anwifchen sind sie auf dem Hof
angelangt, und er hält vor der Hans
thiirteeppe, wirft die Zügel demKnecht
zu, hilft feiner Gattin aus dem Schlit
ten und nimmt ihr drinnen den Pelz
ab. Dann führt et sie durch die Woh
nung mit dem Glücksgefühh das man
iiher ein eigenes Heini hat. Er führt
sie von-Zimmer zu Zimmer-, und sie be
fieht alles, gründlich und ruhig, und er
fühlt, daß diefe Ruhe sich wie ein
Band über feine eiaenenen Gefühle
leat.
»So sieht Dein zuliinitiges Heim
aus« und ich heiße Dich herzlich will
tommen.« sagte er, als sie im letzten
Zimmer angelangt sind. Dabei beugt
er sich zu ihr nieder und liißt sie.
Aber während er dies sagt und wit
danle. »Er dentt daran. wie die andere
sich wohl in diesem Falle verhalten
würde. Sicher wäre sie in sriihlicher
Ausgelassenheit wie ein Wirbelwind
durch die Wohnung geflogen, und sicher
hätten sich, ehe er zu Worte gekommen,
zwei Arme um seinen Hals geschlun
gen und ihre Lippen sich auf die seinen
gepreßt. Ja, diese überströmende Le
benlust, wie oft hatte er sie ihr vorge
worsen. und wie ersrischend wirlte sie
doch wieder.
Seine junge Frau begegnet aber sei
nem abweisenden Blick und schaut ihn
forschend und sragend an, und dabei
tritt etwas Feuchtes in ihr Auge, das
er nicht bemerkt.
,,Judas!!« sagt sie halblaut und ent
windet sich seiner Umartnung.
Ach, sie wollte das Wort eigentlich
nicht ausspreche-. Der Gedanke über
ruinpelte sie aber förmlich, und schon
im selben Augenblick hatte er sich, ohne
daß sie wußte wie, Bahn gebrochen
Und jetzt ist es gesagt, und er hat es
gehört, und er stutzt, und es ist ihm
tlar daß sie ihn durchschaut Und er
schreitet einige Male im Zimmer auf
und ab und macht plötzlich vor ihr
aHltl -
»Nicht möchte ich unsere Ehe in Un
frieden beginnen,« sagt er, und es liegt
etwas weiches und zärtliche-Z in seinem
Ton· »Meine Vergangenheit tennst
Du. und ebenso weißt Du, wie es heute
mit mir bestellt ist. Jch habe Dich nicht
nur aus kalter Berechnung geheirathet,
ich will meine Frau lieben, ich will es!
Da gieb Du mir aber auch außer Dei
nem äußeren Menschen etwas, das ich
lieben lannt Gieb mir etwas, das mich
die Vergangenheit vergessen macht! Ah,
ich weiß sa, daß Du ein prächtiges
Weib bist. Jch lenne Deine Tüchtigkeit,
Deinen Odrnungssinn, Deinen Fleiß.
Aber sage mir, wo hast Du Dein
Herz, Deine Seele? Weshalb verbirgst
Du vor mir? Zeige sie mir, scheut
mir einen Theil von ihnen, und Du
wirst nie in die Versuchung kommen,
mich Judas zu nennen.«
So spricht er, und seine Stimme
zittert vor innerer Bewegung, und die
Lippen bitten, und die Augen bitten.
Sie weicht aber seinem Blick aus
und wendet sich mit dem Stolz des ge
sträntten Weibes von ihm·
« «
Seine Arbeit zwingt ihn, während
des Winters viel von Haufe fort zu
sein. Er ist draußen im Walde, an
den Seen, auf dem stfer befchäftigL
Er scheut teinen Strum, teinen Regen,
keinen Frost. Mit feinen hohen Stie
feln ist er überall, wo seine nwefenheit
nöthig ift, im Walde, und im Früh
ling, wenn die Flöfzerei beginnt, auf
dem Eise.
Er ist lange im Walde gewesen« hat
die zum Fällen bestimmten Bäume ge
zeichnet, die Hölzer gemessen und schickt
sich jetzt an, den Heimweg anzutreten.
Er benutzt den Waldweg, den langen
Waldweg, der über Berg und Thal
führt und sich zwischen Steinen und
Bäumen, zwischen Felsblöcten und
Dickicht und unter langen, mit Schnee
und Eis bedecktenBaumftämmen durch
windet.
Und soeben hat ihn ein Schneefall
überrascht, nicht weich und leise, fon
dern hart und peitschend, vom Sturm
getragen. Der Schneesturm fegt über
das Land, und die Luft ist ganz weiß
von wirbelndem Schnee. Er sitzt mit
über die Ohren gezogener Mütze und
aufgefchlagenem Pelzlragen auf seinem
Schlitten und bemüht sich, das Gleich
gewicht zu halten. Der Schlitten
schwankt in dem tiefen Schnee hin und
her, während das Pferd sich mühsam
Schritt für Schritt durcharbeitet nnd
hier und da stehen bleibt. Schließlich
steigt er ab, legt den fchweren Pelz in
den Schlitten und schreitet dem Pferde
voraus, um ihm den Wea zu bahnen,
und das Pferd versteht ihn und folgt
ihm ohne Weiteres. In weitem Um
kreis lennt er kein schützendes Dach,
unter dem er bei diesem fürchterlichen
Wetter Unierlunft finden könnte. Er
muß vorwärts, immer vorwärts-, und
versuchen, einen alten Bretterfchuppen
zu erreichen. der ihm und seinem
Pferde wenn auch nur einen schwachen
Schutz geqen die Unbilden des Schnee
siurmes bieten würde.
Er betritt den Schuppen nnd blickt
sich um. Drinnen findet er glücklicher
weise Brennholz und Reisig. Er holt
seine Streichhölzer heraus und zündet
ein Feuer an. Dann führt er das
Pferd hinein und stellt es in einen
Winlel, breitet die Schlittendecke unter
sich aus, deckt den Pelz iibet sich nnd
beschließt, so lange zu ruhen, bis der
Sturm ausgetobt hat.
Aber während er ruht und liegt und
dem Unwetter draußen lauscht, glaubt
er schon halb im Schlaf plötzlich Schel
lengeläute draußen aus dem Wege zu
hören. Er eilt hinaus und ruft.
Da hört er eine Stimme, ein weiche,
weibliche Stimme, die ihn in gewaltige
Erregung versetzt. Er stürmt dem sich
nähernden Schlitten entgegen, und in
swenigen Schritten steht er an ihrer
», Seite.
»Aber mein Gatt, was willst Du bei
diesem Wetter im Walde?« fragte er
athernlos.
»Verzeih, aber ich fürchtete, daß Dir
etwas zugestoßen,« antwortete sie.
Ihre Augen leuchten unfglänzem
und in ihrem Schein liest er ihre Ge
danken und Emsindungen. pOhne ein
Wort zu sagen, nimmt er sie aus seine
starken Arme und trägt sie in die
Hütte, während der sie begleitende
Knecht das Pferd absclzirri. Und dort
drinnen vor dem Feuer setzt er sie aus »
feinen Schaf-. und küßt sie, während sie
ihren velikedectten Arm um seinen
Hals schlingt. j
Dann berichtet sie iiber das-»s, was
sich zugetragen hat.
Alsdasllnwetter hereinbrach und er ;
noch immer nicht heinitehrte, war sie
seinetwegen ängstlich geworden, und ie
mehr die Zeit versloß, desto grösser
wurde ihr Angst. Sie bat die Knechte, .
sich auf die Suche zu begeben. Diese
hatten sich aber bei dem Schneesturm
nicht hinausgewagt Da hatte sie
schnell den Entschluß gefaßt, selbst zu
sahren udn ihn zu suchen.
Dies kerichtete sie halb scherzend,
halb dem Weinen nahe, und er küßte
sie auss Neue, seine Gedanken weilten
aber nicht mehr bei der anderen, son
drn sie rraren ganz bei ihr. Und wäh
rend der Schneesturm dort draußen
rast uiid das Dunkel iiber dem Walde
liegt, blickt er in ihr Jnneres und be
greift, daß sie unter ihrer scheinbaren
Gleichgiltixskeit "ein sühlendeS, hinges
bendes Herz birgt, und daß dieses
Herz ganz und allein ihm gehört·
—-.
Zwei Welten.
Berliner Stizze von Stessi iltoseii.s
» Noch ein scheuen ängstlicher Blicks
flog über den Bahnhos. Gott seij
»Dant, es hatte sie kein Mensch, tein s
Bekannter gesehn. Sie hatte ihn sehr l
gebeten, sich erst am »Zoologischen
»Garten« auf dein Perron zu treffen.
EDort ivar sie wenigstens sicher, das;
steiner von Papa-, Freunden Dienst
’ that.
s Papa ließ in der Be,iehiing nichts
i mit sich spaßeii, ebenso pslichttreu, wie ;
Her als Beamter war, ebenso streng»
war er als Vater. Und doch gut da- T
bei, als wolle er die Kinder nie mer
ten lassen, daß sie arme mutterlosH
Wesen seien.
Gewiß, sie vergalt ihin seine zärt«
liche Fürsorge, sie brauchte sich gar
keine Mühe zu geben, eine gute Toch—
ter zu sein, es machte sich sanz von
selbst, —— dieses kleine Vergnügen
aber wollte sie sich trotzdem gönnen, sie
war nun schon zweiundzwanzig Jahre
alt, und hatte noch ineinals Gelegen
heit gehabt, einen Mann kennen zu
lernen, warum sollte sie sich ängstlich
verbergen, wenn der Lenz sich auch
ihr einmal nahen wollte?
Ost freilich zweifelte sie daran, das;
Paul von Connitz ernste Absichten
hatte, einen zu große Kluft trennte sie
von ihm, von seinen Ansichten und
Lebensansprüchen, eine Kluft, die
durch seinen Reichthum noch tiefer
wurde, — aber schließlich vergab sie
sich ja nichts, -—— in letter Zeit spra
chen auch ihre Freundinnen von den
Rechten des Weibes, von der Pflicht,
sich auszuleben, feiner Individualität
gerecht zu werden, sie that also wirt
lich nichts Schlimmes, wenn sie in
seiner Begleitung eine Spazierfahrt
machte.
Und dann —— vielleicht führte die
Freundschaft zu einer späteren Hei
rath, solche Fälle kamen ost, sehr oft
vor. Sie war doch hübsch, es sahen
sich so viele Menschen nach ihr uni,
wenn sie ierzengerade, mit leichten,
federnden Schritten, wie ein Rasse
vserd, über die Straße ging, und ge
«lernt hatte sie weit mehr, als es Mäd
chen ihres Standes sonst thun. Be
schlagen in Geographie, in Geschichte,
sie fühlte ein lebhaftes, leidenschaft
liches Interesse für die Kunst, sür die
Bildwerke der Alten, die Prachtbau
ten des Mittelalters, und verstand die
Schönheiten des modernen Stils, sie
konnte sehr gut mit ihm Schritt hal
ten -—- in jeder Beziehung, es wäre
doch gar nicht so zum Erstaunen,
wenn er sie heimsührte.
Susanne lächelte in Gedanken und
ein helles Noth slog über das kluge,
runde Gesicht. Ach, wäre das schön!
Papa müßte sofort seinen anstrengen
den, verantwortungsvollen Bahndienst
aufgeben, Lottchen, die kleine Schwe
ster, müßte wie ein Prinzeßehen ge
zhalten werden, und sie selbst würde
ihm dankbar alles durch eine riihrende
iLiebe vergelten.
Da suhr der Zug in die Station
ein. Schon »Zoologiseher Garten!«
Jn ihren Träumen hätte sie beinahe
das Ziel verfehlt. stanne neigte
sich aus dem Coupesenster. Er stand
schon wartend, winkte ihr mit der
Hand, sitzen zu bleiben, nnd stieg zu
ihr ein.
Susanne betrachtete ihn mit einem
verliebten Entzücken. »Wie hübsch er
ist«, dachte sie, alles paßte so gut zu
ihm, der braune Herbstanzug saß wie
ansgegossen, der Mantel sah so elegant
aus zu der übergroßen, schlanlen Ge
stalt. Nur die Augen lbickten laltx
aus dem etwas gebräunten Gesicht;
und um den Mund mit dem blonden, i
gepflegten Schnurrbart lag ein her
rischer Zua
Ordentlich schäbig -kam sie sieh
neben ihm vor, in dein billigere sto
stiim vom vorigen Jahr.
Aber er schien das gar nicht zu
sehen Mit großer Freude streckte erj
ihr beide Hände entgegen: »Fräulein
Susanna, liebes kleines Fräulein
Susi, dass ist reizend von Ihnen, ichs
dachte schon, Sie würden mich ver i
setzen, seit einer Viertelstunde warte
ich bereits-. «
Sie zuckte ein wenig verletzt die
Aehselnx glaubte er, daß sie so
schlecht ihr Wort halte?
»Wir fahren nach Potgdain, nicht
wahr? »s-- es soll ein vergnügter Tag
werden«
An den Stationen vorbei fuhr der
Zug, ließ Berlin mit seinen Riesen
häusern hinter sich, und trug sie
hinaus in den kleinen Ort, mit den
historischen Stätten, den Erinnerun
gen an friihere Zetien·
Stumm wanderten sie nebeneinan
der her. Ueber ihnen ein wolkenlos
tiefblauer HerbsthimmeL müde Son
nenstrahlen fielen in das tiefrothe
Laub, tanzten auf gelben, grüngerän
derten Bläiern, die leise der Wind
bewegte. Unter ihren Füßen raschel
ten die verstorbenen, braunen Herbst
blätter, von den Borgärten der Billen
leuchteten Herbstblutnen zu ihnen
herüber, Altweibersommer versing sich
in ihrem Hut und legte sich dann aus
seine Schulter, daß es wie ein zartes,
silberfarbenes Band aussah·
Sie freute sich darüber und gab
dein kleinen Zufall eine abergläubische
Vorbedeutung
Ein Trupp Arbeiter kam vorbei,
machte einige Bemerkungen iiber sie
und ging weiter
»Bande!« knirschte Paul leise durch
die Zähne.
Susanne hob die braunen Augen
niit fragendem Blick zu ihm auf.
»Meinen Sie, daß die es böse mei
nen?« fragte sie.
»Das ist mir gleichgültia.« Er
zog finster die Stirn zusammen.
,,Niemals können die ihren Mund;
halten, wenn sie Leute sehen, die nicht J
zu ihnen gehören. Respekt sollen sie
haben, den Hut ziehen, das ist ihre
Sache.«
Wie ein kalter Reif legte es sich
um das Herz des jungen Mädchens.
Eigentlich gehörte sie doch auch zu
jenen ——— hätte sie einen Bruder, viel
leicht wäre er auch irgendwo Arbeiter
in einer Fabrik. ’
»Sie machen doch nur Scherz«, kam
ses zur Entschuldigung noch einmal
von den Lippen, die leise zu zittern
began en. »Man kann doch nicht von
then rlangen...«
»Das sollten meine Leute sein«
Paul von Connitz richtete sich Joch
höher auf, die Mundwinkel zogen sich
hart herab, und er ließ seinen Stock
durch die Luft sausen, daß ein pfei
fender Ton hörbar wurde.
Mit einer Art visionärer Deutlich
teit sah Susanne seine große Fabrik
von der er hier immer erzählte, sah
Männer und Frauen arbeiten, Lasten
tragen, und sie hörte feine befehlende
Stimme, vor der alles zitterte, ebenso
wie vor dem kalten Glanz seiner eis
blauen Augen.
s Etwas Fremde-T Eissisges brach
Fdarauf in ihm sie fchauerte zufam
men. Jhr Gesicht verfinsterte sich,
»und sie fand nur noch einsilbige Ant
worten auf feine Worte.
; ,,Wollen wir nicht irgendwo ein
;tel)ren, Fräulein Susi?« bat er nun.
!,,Es wird doch spät, ehe wir nach
Hause kommen. Sie müssen doch
» auch Hunger beiommen?«
l Jetzt schaute er sie wieder so lieb
.an, seine Stimme klang einschmei
lchelnd hatte sie vielleicht zu streng ge
urtheilt, war er am Ende doch ein
guter Mensch mit einem warmen,
fühlenden Herzen?
»Ich muß nach Hause«, bat sie.
»Papa kommt um acht Uhr, er darf
nicht merken, daß ich länger fort ge
wesen bin.«
Der junge Fabrikherr schüttelte be
dauernd den Kopf. »Ok) —- ah —
ist der Herr Vater denn so streng ge
gen sein schönes Töchterchen? —Danin
wollen wir uns aber beeilen, daß wir
den nächst-en Zug noch erreichen, ich
möchte dann den Abend im Klub ver
bringen. Jm Grunde hätte ich ja
sehr gern Jhre Gesellschaft gehablh
tleins Fräulein Susi, vielleicht ein
andert- Moll«
Ganz .ili«c- gingen sie den dunklen
Weg, der zur Station führte, und
traten in die Halle ein. Der-Zug stand
abfahrtbereit.
,,Fiihrt dieser nach Berlin?« fragte
Paul, nnd feine Stimme klang, als
wollte er ein ganzes Personal zur
Ordnung rufen.
Der Beamte fah ihn erstaunt an,
und zögerte mit der Antwort.
»Jawohl,« sagte er dann, etwas
iibettrieben langsam
Jm selben Augenblick ertönte das
Signal zur Abfahrt, Paul riß die
Thiir auf und versuchte, sich auf das
Trittbrett zu schwingen. Der Thür
schließer stoarf sich dazwischen, von
den Lippen des- Stationgvorfteherg
tönte ei- laut nnd energisch: »Zurück
Oleiben!«
Jmmer rascher, immer schnell-er ent
fernten sich die rothen Laternen, und
waren bald nicht mehr sichtbar
Für wenige Augenblicke blieb alles
still, verdutzt sahen die beiden jungen
Tilienschen sich in die Augen. ;
Dann trat Paul vor den Thür- T
schließen und seine Stimme bebte vor»
verhaltener Wuth: »Können Sie denn
nicht Jhren Mund aufmachen, wenn
man Sie fragt, wag fällt Ihnen denn
eigentlichl ein?«
»Ich habe zur Zeit geantwortet,«
entgegnete der Beamte zur Entschul
digurig.
»Herr von Conit3»« bat Susanne,
nnr fiir ihn verständlich, ,,bitte, seien
Sie doch nicht bös-. Die Leute sind
doch auch nur Menschen, es hat ihn
verletzt, daß Sie so barsch fragten,
dann war es allerdings zu spät.«
Doch er hörte nicht auf sie. »Men
nen Sie mir Jhren Namen,« befahl
er.
»Habe ich nicht nöthsig,« antwortete
der Thürschließer.
Der Stationsvorsteher trat hinzu,
und versuchte, den Streit zu schlichten.
Susanne zittert-e am ganzen Kör
per, als die harten Worte ihres Be
gleiters herniedersausten, sie wagte
nicht inhr, ein Wort zu sprechen und
konnte auch nicht. Sie sah ihren
Vater hier stehen, müde, ärgerlich,
nnd Paul von Cosnnitz herrschte ihn
an, wegen eines geringen Vergehens.
Die Thränen strömten hernieder,
als sie ihm in den Raum folgte, wo
das Beschwerdehuch lage
Und mit wachsendem Entsetzen be
obachtete sie sein Gesicht, das immer
härter wurde, seine Augen, die immer
tälter und zorniger blickten. Dann
beruhigte sich sein Antlitz und sah
ang, wie aufs Stein gehauen, während
er mit schneller, gewandter Hand
schrieb und schrieb, vielleicht einen
Menschen brodlog machte.
»Herr von Connitz," sie raffte sich
noch einmal zusammen. ,,Lass-en Sie
doch die Beschwerde, Sie haben ja
nun den Leuten Jhre Meinung ge
sagt, der Mann wird sieh das nächste
Mal sicherlich zusammennehmen solch
eine Beschwerde ist für die betreffen
den immer besonders unangenehm
nnd kann sie ihre Stellung losten.«
Das Mitgefiihl mit dem Manne
machte ihre Augen beredt, ihre Stim
me bat flehend und weich.
,,Nein,« entgegnete er barsch-. »Der
soll einen ordentlichen Denkzettel be
kommen, wäre er mein Angestellter,
würde ich ihn auch entlassen.«
Sie legten die Fahrt verstiinnit zu
rück. Jn dem jungen Mädchen ers
starben alle Hräume an ihr einstiges
Glück, und gleichzeitig beweinte es
den Verlust einer Menschenseele, von
der es Gutes, Schönes erwartete-.
Ein milder Herbstabend, von tau
send Lichtern durchsluthet, durchtränlt
von dem Gewirr zahlloser Stimmen,
empfing sie, als sie aus dem Zuge
stieg.
»Adieu, Herr von Connitz, ich
möchte allein nach Hause gehen.«
»Adieu, kleines Fräulein Syst«
Und dann fragte er zögernd, als
fühlte er, was sie soeben erlebt:
»Wer-net sehen wir uns wieder?«
Das junge Mädchen zuckte die
Achseln, Thränen stiegen in die ,
Augen, das Licht der Lampen brach
sich darin, daß sie nichts sehen konnte.
»Ich weiß noch nicht, wenn es geht,
werde ich Jhnen schreiben.,, Sie
wandte sich zum Gehen, er rief eine
Droschke an: ,,Linden« hörte sie noch.
Dann führte ihn das Gefährt davon.
Für immer ——- das wußte sie.
Vom Moltkesteusmah
Bei der Schluß-Sieinlegung des
Moltke-Denkmals anI Königsplatz in
Berlin ist auf Anregung des Kaisers
eine Urkunde eingefügt worden, die die
Geschichte des Denkmalbaues wieder
giebt, sowie fünfzig vom Direktor des
Kaiserpanoramas A. Fuhrmann ge
stiftete Glas Stereostope, die auf
das Leben und die Beisetzungsseier
lichteitendes großen Feldherrn Bezug
haben. Sowohl Urkunde wie Steno
stope waren vorher in eine Kupfer
lapsel gefügt worden. Als Schlußstein
dient eine Granitplatte, die folgende
Inschrift trägt:
Was dieser Marmorkern einbindet,
Wohl kei es Menschen Auge findet,
Solange ieses Denkmal steht.
Doch wenn es einst in Trümmer geht,
Lobpreise in letzter Stund’
Der Felsen hier aus unser’m Mund:
»Wie immer sich wenden des Schicks
sas Wege,
sMoltke war nnd bleibt der größte
s Stratege.«
»Gott gebe in seinem gnädigen Walten
JUnS Deutschen stets solche Heldenge
. stalten.
i Gras v. Schlieffen, Exz» Chef deg
Generalstalze5.
Bildhauer J. Uphues.
Architekt O. Schmalz.
Aktiengesellschaft für Marmor-Jn
dustrie Kiefer-« «
Stenograpyte zur Zeit Christi.
Als das älteste literarische Denk
mal, das von dein ersten Auftreten
griechischer Stenographie Zeugniß
ablegt, galt bisher ein im vorigen
Jahre von Grener und Hunt publi
zirter Papt)rus, der einen Lehrver
trag eines egyptischen Vornehmen mit
einem sturzschristlehrer darstellte. Der
Vapyrus stammte aus dein Jahre 155
n. Chr. Nunmehr macht im 10 Hefte
des ,,.lrchivs für Stenographie« (Ver
lag G Reimer in Berlin) der als Pa
pyrussorscher bekannte Gelehrte Dr.
Friedrich Preisigte in Straßburg
Elsas-J aus ein literarisches Denkmal
aus weit früherer Zeit aufmerksam,
das über das Bestehen einer griechi
schen Stenographie berichtet. Jn
Oxyrhynchos, jener bekannten -reichen
Fundstätte an Naphri in Eghpten, ift
ein Brief aufgefunden worden, den ein
gewisser Dhonysios an seine Schwester
Didyme richtet, er ist mit dem Datum
des 15. November 27 n. Chr. verse
hen. In dem Schreiben beklagt sich
Diont)sios, daß ihm seine Schwester
weder einen Brief in gewöhnlicher
noch in stenographischer Schrift zu
gehen lasse. Nicht unmöglich ist es,
daß in dem Ausdruck »in stenographi
scher Schrift« ein mit Spott durchsetz
ter Humor verborgen ist, und dasz die
Schwester sich gar nicht auf das Ste
nographiren verstand; ist das richtig,
so deutet der Scherz immerhin aus
eine starke Verbreitung der Stenogra
phie in Egypten in den ersten Jahr
zehnten unserer Zeitrechnung, denn
auch der Scherz hat zur Voraussetz
ung, daß die Schwester von der Kunst
des Stenographirens gehört hat.
-—-—-.-—-—
Die Vogelschießmuftk.
Als Liszt’s .-Seilige Elisabeth« in
einer thüringischen Stadt einstudirt
wurde, leitete der Komponist selbst
die Proben. Das Orchester war aus
den Stadtmusitern zusammengestellt
nnd durchaus nicht nach dem Ge
schmacke Liszt’s. Nach einigen Tatten
klopfte er ab nnd sagte: »Meine
Herren, so geht das nicht. Das ist ja
»die reinste Vogelschießmusit!« Da
;sprang der Kapellmeister zornig auf
und rief: »Herr Doktor-, wir können
nichts dasiirx wir haben sie nicht ge
macht!«
--
Sprüche der Lehensweisheih
Nichts schenkt sich leichter her nle
Titel, Orden nnd Cigarren.
ä- sk II
Dng Gewissen ist der einzige Spie
gel, der weder betrügi, noch schmei
cheli.
sk- -l· sp
Wen das Elend verdirbi, den ver-s
dirbt auch der Ueberfluß.
di- sk IS
Es kann einein nichts Schlimmeres
pasfiren, als von einem Halunken ge
lobt zu werden.
si- -l- Ist —
Jch maq die nich-i, deren Leben mit
ihren Werken nicht im Einklang sie
hen.
sssc Ik Il·
Der Jiiinqling erläutpr feinen
Platz, der Miann behauptet ihn, der
Greis wird auf ihm geduldet.