Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, October 13, 1905, Sweiter Theil., Image 9

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    F« « Yebraska
LTStaatsss Anzeiger Und Yerold
J. P. Windolph, Herausgehen Grund Island. Nein-» Isi. Oktober 1905 (Zweitct TheiU Jahrgang 26 No. 7.
IVeggenosseni y» »
Nun schreitenwtt aus dem Sausen
land,
Aus der Sinne betauschendem Flam
menbrand
Mit müdem Fuß in den heiligen hain
Yes tiihten, wunschloien Stille hinein.
Schwarz steht der Wald· — Es senkt
sich wie ein Traum
Wehmiithigenbyetzichtens schwer her
a .
Und immer weiter führt der Weg
bergan
Wie tief der Schatten, der uns um
fängt; ·
Wir schreiten stumm, die Stirne ge
senkt.
Ringgum das Schweigen — — ganz leise
von weiten :
Rauscht schon der Strom der Verges- j
senheiten
Clata Ensell Kunstga
—--· Op
Hinter blauen Bergen.
Novelle Von A. T r i n i u H
» Ein goldener Spätsommentag weht
uber dem tibbirge, als wallte der
icheidende Sommer noch einmal alle
Lust und Herrlichkeit der Welt schen
.ten, Auf dem weiten Marltplatze des
tleinen Bergstädtchens ist’g heute noch
stiller denn sonst. Alt und Jung der
Bürgerschaft ist ausgeflogen, und
was daheim blieb, das hat sich sicher
lich ein Plötzchen im Garten auf-ge
sucht. Die Sonne liiuft von Fenster
zu Fenster, und es hat sast den An
schein, als wollte sie die Letzten noch
ermahnen, sich doch zu sputen, da sie
in ein paar Stunden jenseits der
Berge sei.
»Gabriele!" tönt es durch ein paar
Stuben hindurch in dem ersten Stock
werk eines altväterlichen Hauses am
Markte. Der Vater ist eg, der zum
Ausgehen fertig neben der Mutter
steht und soeben zum zweiten Male
nach dem Töchterlein ruft. ,
»Gleich, gleicht Ich komme ja so
forti« schallt es jetzt meint Einige
Augenblicke später hüpft eine duntel
äugige, junge Schöne herein, noch da
bei. die hellen Handschuhe sich festzu
tnöpsem »Nicht böse sein,« lacht sie
Liber das ganze liebe Gesicht. »Ich
Tag eben noch einmal Ehrhardfg letz
ten Brief durch. Nicht wahr. ihr
iiitnt nicht?« Sie huscht mit der ei
nen Hand schmeichelnd über das Ge
sicht des Vaters, um gleich daraus der
Mutter um den Hals zu fallen und
dieser einen Stufe stürmisch zu verab
iolgen. »Nun sinds nur noch drei
Monate, dann ist er wieder bei uns.
Jetzt fange ich schon an, die Tage zu
zählen. Hoffentlich hält er Wort.«
Ehrhardt ist der Sohn einer be
freundeten Familie im Orte. Die
Kinder wuchsen auf. zwei Spielge
nassen. die fiir einander durch Dict
und diinn ginaen. Er hatte aus dem
Mädchen einen halben Jungen ge
macht. Die nahm an den Jungen
lpielen regsten AntheiL und mehr
denn einmal durfte Ehrhard von den
Zchultameraden hören: »Du, mit der
kannst Du ja Vserde stehlen! Die thut
alles fiir dichl«
Das fühlte und wußte er auch, daß
er ihr viel geworden war, und als er
zur Universität endlich ging, da wußte
er auch das Andere, daft er nicht mehr
von ihr lassen würde, daß nun auch
sie ihm alles geworden war. Unter
Buchen driiben am Schloßberae hatte
er sie gefragt, ob sie nun auch in der
Irne wolle an ihn denken. Und da
nur erre t nickte, so war auch die
zweite, weit wichtigere Fraae nicht
ausgebliebem ob sie wolle nun für im
neer an ihm hangen; Dann würde er
sich sputen, daß er könne vor ihre
Eltern treten, um ihre Hand zu bit
ten. Auch dazu hatte sie nur «genirtt.
Dann aber war sie plötzlich unter her
vorguellenden Thriinen ihm um den
halt-gefallen und hatte nur noch leise
aestammelt: »Nur siir dich will ich
leben, du mein liebster Kamerad!«
Was an diesem Abend die iunaen
Seelen sich anvertraut, das blieb ihr
siifzeö Geheimnise all’ die nun kom
menden Jahre. Dann aber, an einem
Sonntaamoraen. da trat der funkl
nagelneue Dr. med. Ehrhard Meiniae
vor das erstaunte lflternvaar seiner
Gabriele und bat in schlichten Wor
ten darum, dafe sie ihm möchten ver
itatten, fortan ihre Tochter als seine
Braut zu betrachten. Spiel und Ju
aend habe sie einst zusammengebracht,
das sei der feslete Mit iiir das Leben.
Und so hoffe er, dasr ihre Liebe auch I
über die Klippen sie führen werbe, die
ja teinem auf-Erden erspart blieben.
Gerade war die Kirche aus, da Va
ter und Mutter unter dem Gelänt der
Glocken ihren neuen Sohn an’s Herz
drückten. Gabriele hatte an der an
geleaten Thiir gelauschi, und als man
nach ihr rufen wollte, da lag sie be
reits auf der anderen Seite in den
Armen der Eltern.
Seit jenen Tagen sagte sie so
manchmal: »Wenn ich auch nicht am
Sonntag aelrioren bin. ein Sonntags
iind bin ich doch! Denn ein Sonn
tag bat mir das Liebste auf Erden
zum Geschenk gebracht.«
Zwei Jahre sviiter war der iunae
Doktor. der in einem aroßen Kran
lenhaug in Hamburg Anstelluna ac
sunden hatte, start ertältet auf Ur
laub heimgekommen. Wenige Taae
darauf wars eine schwere Jnfluenza
ihn nieder. Wochen vergingen. Nach
iraniheiten stellten sich ein. und als
er endlich das Bett verlassen durfte,
da erst erkannte man, wie scharf ihn
das lange Leiden angefaßt halte. Der
Hausarzt fand allgemeine Zustim
mung, als er erklärte, es wäre am be
sten und verbürgie die schnellste Wie
derherstellung, wenn der junge Kol
lege einmal fiir längere Zeit einem
Luftwechfel sich unterzöge. Ein an
deres Klima. andere Umgebung wirt
ten stets sehr heilsam. Und da feit
Jahren Verwandte in Neapel um den
Besuch eines Mitgliedg der Familie
Meinicle gebeten hatten, to ward im
Familienrath feierlich beschlossen, dasz
Ehrbard als Vertreter für einige Mo
nate dorthin gehen solle. Weihnachten
lehre er dann wieder heim, und ten
nachsten Frühling solle die Hochzeit
sein.
»Siehst du,« hatte er dann seine
Braut angelacht, »vielleicht erlebe ich
nun auch, was Meister Scheffel uns
gesungen, wenn mich das Schiff nach
Capri hiniiberträat!« Und er faßte
Gabriele bei den Händen und tanzte
mit ihr in der Stube umher, indem
er sang:
»Graziella fuhr im Schiff ivie ich,
Mein Unglück nahm sie wahr
Und bot als Schutz vor Sonnenstich
Jhr Busensürtuch dar.
Und als mein Haupt, derweil sie’s
tniipft’,
Jn ihrem Schoß geruht,
Hat mir das Herz vor Freud ge
hupft.
Fahr wohl, mein grauer Hutt«
»Wie lannst du nur fo ausgelassen
sein?" schmälte Gabriele ein wenig.
,,Mor·aen geht’s fort und dann —- -—«
sie vollendete den Satz nicht, sondern
warf sich an seine Brust.
»Eben deshalb,« lachte er. Dann
aber streichelte er ibr Haar und Ge
sicht. «S-iel)st du. ich reife ja meiner
Gesundheit entgegen, und dann kommt
ja auch für uns die schöne Zeit des
Brieffchreibensl Du hast ja immer
geklagt, daß meine Briefe ftetå an
Länge so viel zu wünschen übrig lie
ßen. Nun, jetzt finde ich mehr Zeit
dafür. meine sehnend-e Braut zu er
freuen. Und was werde ich jetzt alles
melden können! Sobald ich mich irr
die erste dunkeliiugiae Neavolitanerin
werde bis über die Ohren verliebt ba
ben, sollst du er sofort wissen. Ich
verspreche es dir. Denn hinter den
blauen Bergen im Süden, da gehen
die Augen der Frauen bis ins Jn
nerste. Doch nun Scherz bei Seite!
Deine Gedanten werden oft über un
sere blauen Berae stiegen. Gabriele,
meine auch! Und ich will die Stunde
segnen, wenn ich erst als ein gesunder
Kerl wieder vor dir ftehe.«
Tags darauf war er nach dem Sü
den abaefabren. Von da ab waren
regelmäßig seine Briefe nach der thü
rinaer Heimath geflogen.
»Jeden Sonntag Nachmittaa, wenn
das Noli sich in den Ofterias laut
vergnügt, dann sitze ich in unserm
Garten, von dem aus nsan weit über
das blaue Meer bis hiniiber nach
Capri blickt, und schwinae die Feder.«
So hatte er einmal geschrieben.
Das zu wissen, hatte ihr unaemein
Freude bereitet. Nun konnte sie sich
doch stets sein Tbun augmalen, wufite,
dass er um diese Stunden mit all sei
nem Denlen nach der Heimath strebte,
das-. ihr Bild vor seiner Seele stand.
Mit diesen Gedanken schritt sie
heute wieder an der Seite der Eltern
hinein in den Bergwald Ueberall
lichte Gewänder, frohes Größen, hier
und da ein Stehenbleiben, lurzes
Plaudern, um dann die Schritte wei
ter zu lenten.
So waren sie auf eine gerodete
Bergtuppe gelangt, von wo dem Auge
sich mit einem Schlage ein weitge
schwungeneg Bild über einen Halb
tranz von Waldbergen öffnete, deren
fernste sich sacht im blauen Dämmer
duft der Ferne verloren.
»Ach. hier ist’s schön,« rief Ga
briele, »hier wollen wir ein bischen
ausruhen!« Und sie warf sich in das
Moos, während beide Eltern unweit
davon auf einer schlicht gezimmerten
Bank sich niederließ-en
Jetzt tam eine lleine lichte Wollen
barke bei-angeschwommen Nun war
sie iiber ihr, dann ging die Fahrt wei
ter, immer weiter, hinüber zu den
» blauen Bergen der Ferne.
; Sie seufzte leise auf. Ach, wer doch
Ida mittönntet Dort hinter den blauen
Bergen. da safi um diese Stunde ein
Jemand· ein Jemand, mit dem ihr
ganzes Leben fiir immer vertniivft
war· Wenn sie doch Flügel hätte.
Dann hinauf in das weiße Wolken
schiffchen. Da ging es dann schnell
hinab nach Süden. und ehe der Abend
sich niedersenite, iäme sicherlich Neapel
in Sicht, und dann wolle sie mit heller
Stimme seinen Namen hinabrufen.
Wie würde er erschreckt aufschauen!
Und dann spränge sie hinab —- ge
rade in seine Arme, die er weit öffnen
würde, an sein Herz —
Und wie von sehnender Leidenschaft
erfaßt, hatte sie sich plötzlich rasch er
hoben. '
»Mutter! Vatert« Sie wandte sich
nach den im Gespräch vertieften Eltern
lächelnd um. »Seht ihr- da hinten die
blauen Berge? Da sitzt Ehrhard und
denlt jetzt an mich Jch fühl’s, ich
weiß es! Ehrhard!« Und weit breitete
sie ihre Arme aus. »E,hrhard ich
grüße dich!«
Aber dann mit einmal riß sie ihre
Hände an die Brust Bliisse überzog
ihr Gesicht. Wie von einem plötzlichen
Taumel ergriffen, wankte sie leicht
» und sanl dann wieder hinab in das
l Moos.
i »Gewinn« Ein doppelter Angst
I ruf. Jm nächsten Augenblick waren
die Eltern heran
l d ,,?Gabriele! Was haft du? Was ist
! It «
i Mit großen glanzlosen Augen sah
sie in die besorgt zu ihr sich niederbeu
genden Gesichter der Eltern
J »Mir? Nichts nichts! Ein Traum
- —nur ein Traum!" Und dann
schwanden ihr die Sinne.
« Welch eine geheimnißvolle Macht
schlägt über hunderte von Meile von
Herz zu Herz die Brücke? Daß plötz
liches Ahnen in Gewißheit überfließttk
Daß wir mit einem zweiten Gesicht
schauen?
Um dieselbe Stunde, da Gabrielens
Sehnsucht hin über die blauen Berge
sehnend flo , da saß fern am Golf von
Jteapel au einer Gartenterrasse Ehr
hard an einem tleinen Tischchen, vor
sich die Schreibmappe mit dem ange
fangenen Briefe an Gabriele.
Weit von seinen Blicken dehnte sich
in berauschender Schönheit das leicht
aelräuselte, in allen Farben heiter
ichillernde Meer. .
Dort hinüber richtet sich der Lauf
eines Segelbootes. Wie der Sommer
wind doch sich in das Segel setzte! Ein
liebliches Bild fehnender Hoffnung!
lieber den Einsnmen im Garten an
der Berglehnc ranschten ganz heimlich
die Kronen fruchttraaenden sud likk .er
Bäume Wie weicher Harfentonl lind
: der tikinfame lehnte sich, die Feder in
der Rechten leicht in den Stuhl zu
rück. Ein wachsendes Lächeln ging
s über sein leicht gebräunteö Gesicht.
,,Gabriele!« fliiiterte er, ,,(7tabriele!
Jch denke an dichl« .
SI fanden ihn am Abed nach ih
rer Riirttehr noch ieine Gaitfreunde.
Noch hielt er die Feder in der Hand.
,Anf dem Antlitz ein ieliges Lächeln.
» liin Herzschlag hatte seinem Leben ein
Ende gemacht. —
Am nächsten Moraen traf daheim
! die Depescke ein, welche feinen Tod
meldete. Wenige Tage darauf sandte
» man neben einem augfiihrlicken
’Schreiben auch die letzten Zeilen an
Gabriele: Sie lauteten:
»Mein liebes Herzmädelchewi
Alle meine Gedanken sind in dieser
Stunde bei dir. Sie schwinan sich
)auf, um eher noch denn dieser Brief
bei dir in der Heimath zu sein, nach
welcher ich solch arosze Sehnsucht im
Herzen traae Noch vor Weihnachten
qehe ich von hier fort, vielleicht soqar
s noch eher, denn ——— — —
» De r alte Meinicke hat sich dann anf
qemacht, den sterklictsen lleberresten
seines Sohnes die letzte Ehre tu geben
Fern von der Heimath auf dem ein
samen Friedhof zu Neapel ruht Ehr
hard seit zwei Jahren. Eine dunkle
cnpresse hätt die Todtenwacht am
Grabe. Von weitem tönt das Rau
schen des einigen Meeres in die große
Stille.
Ueber den Gottesacker der Heimath
aber sieht man zuweilen in der Däm
Hinernng eine ernste Gestalt lanqsam,
l wie suchend, schreiten. Das ist Ga
; briele. Es ist, als wolle sie den stil
len Schläfern hier saaen, daß fern
i von ihnen einer ruht, der bis euletzt
die Heimath mit seiner Seele suchte —
—--.--—-.—-—
Die Strafpredigt.
Hutnoresle nach dem Leben von
Adolf Thiele.
»Herr Ober, eine Tasse Koffee!«
»Bitte, hell oder dunkel?« entgeg
net-. der mit dem Kassee und der
Milchkanne herbeieilende Dberlellner.
,,Melange!« erwiderte der Gast nnd
der »Ober« stellte die erforderliche
Farbenmischuna her.
.,Oker!« rief ein Herr von einem
Mitteltifche aus.
»Sie wünschen, mein Herr?«
»Einen Maragrhino!« bestellte der
Gast, ein robuster .Herr mit einem
Eifenfresseraesicht, weniaftens ließ der
grimmige Zug, der um den von einem
riefmen Schniirrbart befchatteten
Mund lag, ein Kirschenessen mit die
sem Herrn nicht giinstia erscheinen.
Der Obertellner stellte die geschlif
fene Flasche vor den Herrn und
ickenlte ein Gläschen ein. Der »Ober«
hatte heute viel zu thun. das Cafe
war zu dieser Stunde qui besucht und
geschmeidia eilte er hin und ber.
Geben schoß er wieder durch den
Saal, dicht an dem arimmig aus
lchauenden Herrn vorbei, der soeben
einen Schluck von dem Maraschino
trank. Da —- ein Gleiten, ein Fall
—- und der »Don plazirte eine Tasse
Kalao mit Schlagfahne auf den Rock
des bärbeiszigen Herrn. Da dieser
gerade das Gläschen am Munde hatte,
so ergoß sich auch dessen Inhalt über
den Kalao und bildete mit ihm eine
neue Mischuna
Mit dem Zeichen äußersten Zornes
richtete sich der Herr empor
»Passen Sie doch aufl« donnerte
er. »Eure solche Ungeschicllichteit!«
Alle Gäste wurden aufmerksam.
Unter den lebhaftesten Bitten um
Verzeihung suchte der Kellner die
Flecken vom Rocke des Herrn zu ent
fernen.
Dieser ließ sich dadurch nicht ver
stöhnen
,,.Oolen Sie mir sofort den Wirth!«
rief er.
Unter neuen Entfchuldigungen rieb
der ,,L)ber« an ihm herum.
»Ich verlange von Jhnen,« rief der
Unerbittliche, »daß Sie sofort den
Wirth rufen!«
Der Oberkellner, der seine in dop:
pelter Beziehung aufreibende Thätig
leit beendet hatte, schlich endlich da
Von.
Das war eine verteufelte Geschichte;
der Wirth hielt gerade sein Mittagss
schlijfchen, und da war es nie gera
t then, ihn zu werten. Und nun bei
teinem solchen Anlaß! Nein, das ging
nicht, das wäre ja der reine Mord
t
t
t
t
gewesen!
»Ober!« tönte da schon wieder die
Stimme des fremden Herrn.
»Sie wünschen, mein Herr?«
,,Rufen Sie mir sofort den Wirtb!«
sherrschte der noch immer von Zorn
’ geröthete Gast. «
) »Sogleich, mein Herri« sagte der
Keltner tieiniant und schlich wieder
s hinweg, von den theiknahmgvollen
; Blicken der Gäste begleitet, die den ne
fälligen und höflichen Kellner bemit
leideten.
Nach einer Weile erschien dieser
wieder, von einem etwas torpulenten
Herrn in mittleren Jahren begleitet.
»Mein Herr, Sie wünschen?«
fragte dieser den zornigen Gast.
»Motiven Sie Ihrem Kellner doch
einmal den Standpunkt Hart« rief
tdieser. »Diese Ungeschickkichkeit, den
Nao über mich zu schiitten!«
,,Berzeihen Sie, mein .f)err!« erwi
derte der Angeredete. »Sie aber,«
» wandte er sich an den mit niederge
T schlagenen Blicken dastehenden Ober
tellner, »Sie sollten auch mehr Ge
schick haben, so etwas macht ja kein
Pikkolo! Geben Sie doch besser Acht
und kommen Sie den Herrschaften
nicht so nahe! Keine Widerredet Der
artige Leute passen nicht in ein stot
teg Case; Sie sind hiermit entlassen!«
Es entstand eine Pause. Der Zorn
des fremden Herrn schien bei der
Strafpredigt oerraucht zu sein.
»Nun,'« begann er zögernd, »so
schlimm brauchen Sie eS ja nicht
gleich zu machen --—«
»Wenn Sie eg wünschen, mein
Herr,« entgegnete der Angeredete
! höflich, »so will ich diesmal noch die
Entlassung zurücknehmem aber,«
wandte er sich an den Kellner, »ein
andermal Passen Sie besser ans, sonst
wissen Sie, was vassirt.«
Nach nochmaliger Entschuldigung
ging er davon
Seltsamerweise konnten verschie
dene der anwesenden Gäste ein Lächeln
nicht unterdrücken. Der erst so zor
nige, fremde Herr wurde dies nicht ge
wahr, mit befriedigter Miene trant er
noch einen Maragchino, zahlte und
ging.
»Sie, Herr Ober,« ries da einer der
Gäste laut lachend, »das haben Sie
aber fein gemacht!«
Mehrere andere Gäste stimmten hell
in das Lachen ein.
»Noth bricht Eisen, mein Herri«
sagte der ,,Ober« mit einem süßsauren
Gesicht.
«Wieso sein gemacht?" fragte ein
Fremder Herr einen Stanmigast, mit
dem er am Tische saß.
Alle diejenigen, die«nicht lachende,
sondern erstaunte Gesichter machten,
lauschten gespannt.
,,Nun,« antwortete der Stammgast
lachend, »der Ober hat nämlich —-— gar
nicht den Wirth gerufen, sondern ei
nen alten Stammgast —«
»Der gerade im Billardzimmer lie
bitzte,« ergänzte der korpulente Herr,
der soeben mit behaglichem Lachen aus
der Bildfläche erschien.
Die neue Krankheit
»Na, Haus« was fehlt denn Deinem
Vater!«
»Ja, Herr Lehrer, der Doktor hat
gesagt, der Vater hätt’ a Rübensellent
zündung.«
Höflich.
Gesängnißinspettor (zu einem aus
gebrochenen, aber am nächsten Tag
wieder eingefangenen Hästling): »Na,
hätten Sie sich gestern auch ’mal ein
«bischen frei gemacht?«
Für 10,000 Dollars Asche
Kriniinalgeschichte von W i l h e l m
Neter.
Mein letzter Auftrag war wieder
einmal mit Glück erledigt, und ich
hatte nichts zu- thun. Also bummelte
ich im Schalterraum der Staats-baut
herum und sah mir die Menschen an.
Denn in einem großen Bankhaus
passirt immer etwas.
Richtig, da kam auch schon der No
tar Renten, und bei ihm war oder
vielmehr, er schleppte sich .mit einem
Mann «- das reine Jammerbild. Das
Haar hing ihm in’s bleiche Gesicht,
Thränen liefen ihm über die bärtigen
Wangen, und in den zitternden Hän
den hielt er mit ängstlicher Sorgfalt
ein Kästchen.
Der Notar sprach eifrig auf den
Kassirer ein, und ich drängte mich na
türlich möglichst unauffällig — hinzu.
Das war ja eine ganz schreckliche
Geschichte.
Der Notar hatte seinen erprobten
Schreiber sortgeschickt mit 1.(.),000 in
Scheinen, die er bei der Staatsgbank
einzahlen sollte. Der Schreiber war
aber erst noch einmal nach Haus ge
gangen, um nach seiner Frau zu sehen,
weil die Aermste gerade heute in eine
Jrrenanstalt gebracht werden sollte.
Und da war das Unglück geschehen.
Der Schreiber, dem sein Prinzipal,
der Notar, das glänzendste Zeugniß
augstellte, hatte das Päckchen mit den
Scheinen auf den Tisch gelegt nnd,
wie es tani, konnte man sich nicht er
klären: kurz und gut, auf einmal hatte
die Jrre den Schein erwischt und in’g
Feuer geworfen. Kaum das-; esz noch
gelang, die vertohlten Blätter zu ret
ten, die jetzt der Banl gebracht wur
den. -
Der Notar, das muß man ihm las
sen, legte sich für seinen Schreiber
mächtig in’5 Zeug, und der Direktor,
der mit ihm gut bekannt und auf sei
nen Wunsch herbeigeholt worden war,
versprach denn auch, die Aschenreste so
fort im Laboratorium prüfen zu las
sen und sein Möglichfteg in der Sache
zu thun. Glücklicherweise waren ja
auch die Nummern der Scheine beim
Notar vorher aufgeschrieben worden.
Der ganz in Schluchzen aufgelöste
Schreiber reichte dem Direktor das
inhaltsschwere Kästchen und —- da
durchzuckte es mich, als wäre mir ein
elektrischer Strahl über den Rücken
gefahren.
Dieser Daumen! Diesen glatten,
abgestumpften Daumen, an dem das
oberste halbe Glied fehlte, den kannte
ich. Jch dachte gar nicht daran, das
Gesicht des Menschen zu studiren,denn
das läßt sich entstellen. Aber der
Daumen, da war nichts daran zu
machen. -
Und richtig, jetzt wußte ich’"5 wie
der!
,,Alfo, Herr Notar, das sind die
Nummern der verbrannten Scheine?
Na, ich danke bestens. Aber das in
teressirt mich eigentlich weniger. Jch
s möchte lieber wissen, in welche Irren- .
anstatt die arme Frau Jhreg Schrei- :
» bers gebracht werden soll!«
’ ,,Jn die öffentliche Anstalt nach
Greatfield. Es sind halt arme Leute.«
Jch nickte gerührt. »Und wer bringt
die Frau fort?«
»Mein Schreiber selbst. Er hat sich
dafür einige Tage Urlaub geben las
sen. Natürlich will er jetzt erst die
Entscheidung der Bank abwarten, und
der Direktor hat mir darum auch noch
für heute Erledigung zugesagt.«
Da tam sie schon selbst: Ein ver
traulicher Privatbrief des Direktor-H,
wonach sei-on die oberflächliche Unter
suchung gezeigt hätte, daß die Asche
thatsächlich von den verbrannten
Scheinen herrührte. Nach Erledigung
einiger nothwendiger Formalitäten
stände der Rückerstattung Nichts mehr
im Wege.
Der gute Notar glänzte vor-Freude!
Ja, ja, Protektiont Was sonst Mo
nate gedauert hätte — mit ein bischen
Freundschaft wurde es in ebenso viel
Stunden erledigt.
Natürlich wollte der Notar den
Aermsten nicht länger warten lassen.
Er rief ihn herein, nnd der Schreiber
kam, schon fix und fertig zur Reise
angezogen. Nein, wie der sich freute
nnd sich in Dantsagnngen über
schwänglich erging. Es that mir wirk
lich leid, diese reizende delle stören
zu müssen. Aber mir blieb nichts wei
ter übrig. So legte ich ihm denn mit
raschem Griff Handschellen an und
sagte lachend:
«Fred Paulsom Sie sind verhaf
tet!«
Auf meinen Signalpfisf kam sofort
der bestellte Polizist herauf.
»Heute das Frauenzimmer die
Scheinetm fragte ich.
»Nein,« erwiderte er nnd begann
sofort lunstgerecht den Schreiber, Ver
sich übrigens vollkommen ruhig Tin
sein Schicksal eraab, im untersuchen.«
Nach einer halben Minute hielt er
richtig das Paket in der Hand und
legte es vor den Notar auf den Tisch.
»Aber sie sind doch verbrannki«
stammeltie der ganz verwirrt. »Wnö
haben Sie denn mit meinem Schrei
ber?«
Jch entgegnete mit der mir eige
nen Höflichkeit:
»Ihr Schreiber ist Fred Paulson,
einer der berüchtigtsten Baninotenfäl
scher in Amerika. Jn seinen Kreisen
heißt er der ,,Klumpdaumen«. Und an
dem Daumen habe ich ihn auch er
kannt. Was aber die verbrannten
Scheine anbetrisft, so waren sie — ein
neuer Gaunertrick — natürlich ebenso
falsch wie der Jrrsinn seiner-Gelieb
ten, die wir ebenfalls schon verhaftet
haben.«
j »Aber die Prüfung der Asche im
Laboratorium . . . .?«
Da lachte der Halunke mit Galgen
; humor:
! »O, Herr Notar, die war ja nur —
! eine oberflächliche, dank Jhrer Pro
i tektion.«
I
Zu Willibald Beyschlags fünfzig-.
stem Todestag ist bei Mohr in Tät-in
gen ein Gedenkbuch erschienen, aus
dem die Münchener ,,Allg. Ztg.« eine
hübsche Erinnerung an Kaiser Wil
helm l. mittheilt. Es war bei der
Taufe des Erbgroßherzogs von Ba
den, seines ältesten Enkels, bei der der
Großvater, damals Prinzregent von
iPreußen, den Täufling hielt. Kaum
aber hatte der Akt begonnen und Beh
fchlag, damals Hofprediger in Karls
- ruhe, zu sprechen angefangen, als der
Knabe so kräftig zu schreien anfing,
’dafz von Andacht und Sammlung
kaum noch bei irgendwem die Rede
sein konnte. Ein Stillungsmittel
war wohl zur Hand, aber man wagte
nicht, es zu reichen. Vergebens suchte
der hohe Pathe durch Wiegen und
Schankeln auf den Armen sein Entei
chen zu befchwichtigen Nur noch un
muthiger und lauter ließ dieses die
Stimme ertönen. Und während sich
der Anwesenden mehr und mehr Un
ruhe und peinliche Verwirrung be
mächtigte, begann Angftschweiß die
Stirne des Redenden zu bedecken.
Meinte er doch, die sorgfältig vorbe
reitete Ansprache nicht jählings abbre
chen zu können, und doch war ihre
Fortführung mit Haltung und Ernst
eine wirkliche Pein. Wer je Aehnliches
im Amte erlebt hat, weiß es. Da aber
kam der Prinz - Regent von Preußen
dem Bedrängten zu Hilfe in jener na
türlich liebenswürdigen Weise, welche
den hohen Herrn zeitlebens ausgezeich
net hat; ein wenig sich zu Behschlag
herüberneiaend, fliisterte er—ihm nur
verständlich-: »Herr Hofprediger, der
Kliigere giebt nach!« Darauf machte
Beyschlag seelenvergniigt, daß er zum
Ende und Abschluß kam.
i Der Krügen gibt nach.
W
Auch ein Juvtlämm
tfg war im Jahre des Herrn 1805,
daß die Berliner Akademie der Wis
senschaften, gestiftet bekanntlich auf
Veranlassung von Gottfried Wilhelm
v. Leibnitz, aus dem von ihr heraus
aeaebenen Jahres-Mittwoch den letz
ten Rest des astrologischen Aberglau
bens strich, der sich bis dahin in den
Spalten des Kalenders breitgemacht
hatte. Schon einmal, 1779, hatte die
Alademie den Versuch gemacht und
alles aus dem Kalender entfernt, was
von dem vermeintlichen Einfluß der
planetarischen Ronstellation aus die
Geschicke der Menschen handelte. Aber
sie hatte die Rechnung ohne die Leser
des Kalender-Z gemacht. Diese waren
es gewöhnt, in dem Kalender, ihrem
Freunde und Rathgeber, zu lesen,
wann beispielsweise gut- Pflanzen und
Säen, wann gut Holzfällem gut
Aderlassen und Schröpfen sei. Und
da sie dies im 1779er Almanach nicht
fanden, lausten sie den Kalender gar
nicht oder nur wenig. Aus geschäft
lichen Gründen sah sich die Akademie
nun gezwungen, zu dem ehemaligen
astrologischen Krimskrams zurückzu
kehren, ließ dann aber Jahr fiir Jahr
einen Aberglauben nach dem andern
fort. Jm Almanach des Jahres 1805
» war auch der letzte astrologische Aber
t glaube, der vom guten Holzfällen,
znicht mehr zu finden. Und es ging
i auch so!
Karl Juristerei Gurt-schrift.
Eine von Richard Wagner herrüh
rende Grabinschrist auf dem alten Je
rusalemer Kirchhof in Berlin beginnt
jetzt zu verlöschen. Sie befindet sich an
dem Gedenkstein für den früh dahin
aesebiedenen berühmten Berliner Pia
nisten Karl Tausia. DieJnschrist lau
tet: »Reif sein zum Sterben, des Le
bens zögernd sprießende Frucht, früh
reis sie erwerben in Lenzes jäh er
bliihender Flucht, ———- war es dein
Loos, war es dein Wagen, wir müs
sen dein Loogg wie dein Wagen bekla
gen. (Richard Wagner.)«
Jtu Eisen
Sie: »Ich konnte früher immer so
schön deutsch sprechen und jetzt sage ich
hundertmal iinTag »net« statt »nicht«.
Von wem ich das nur gelernt hab’?"
Er (schnell): »Von mir nett«