Die Spielgefährten. Roman von V. Wiesen. (5. Fortsehungd Wenn Licy mit ihrer Mutter zur Jahrmarktzeit oder um Weihnachten, wo die nöthigen Eintäufe besorgt wurden, nach der eine Meile entfern ten Kreisstadt fuhr, war sie immer an dem diistergrauen Herrenhause vorbei gekommen, das, hinter den uralten Rüstern versteckt, einem verwunsche nen Schlosse glich. Sie hatte es wenig beachtet. Jetzt dünttees sie ein ver schlossenes Märchenreich und der bren tende Wunsch regte sich in ihr,nur ein einziges Mal einen Blick über den rnoosbetvachsenen, von morschen Mauerpseilern gehaltenen Zaun zu thun. Und was hindert sie daran? —- Herr von Waszczewsti ist nicht daheim, warum soll sie nicht, statt geradeaus nach dem Walde, heute den Weg links zum Spaziergang wählen? Schon hat ihr Fuß die Richtung eingeschlagen etwas unwiderstehlich Zwingendes treibt sie vorwärts. Die hohen Rüstern nicken ihr ent gegen. Ein leichter Wind, der sich plötlich erhoben hat, bewegte die Wi pfeL Immer hastiger geht das Mäd chen vorwärts, so schnell, daß sie ihren verstärkten Herzschlag deutlich fühlt. Nun liegt Dobrawitz vor ihr, das Schloß, abseits der Landstraße, irn Hintergrunde des Paris, der mit sei nen düsteren Laubgiingen und versieg ten Sandsteinfontänen ein Bild längst vergangene-e Zeiten bietet. Alice hat sich, einen schmalen, aus getrockneten Graben überspringend, durch Unkraut und wildes Brombeer gerank den Weg gebalynt und späht, aus den Fußspiszen stehend, über die Garteninauer. Neugierig, mit süßem Erschauern blickt das Mädchen aus diese fremde Welt, die Herrlichkeit früherer Tage. —Wunderbar schön erscheint ihr hier alles; geheimnißvoll und poetisch, wie es Dichter schildern. Diese vielfach verschlungenen Wege, diese dunklen Bosketts, hinter denen steinerne Bild werke vorschauen, und am Ende des Laubenganges das-— bunte Tempelchen, vor dem ein kleine-r, nackter Junge Wache steht. der Flügel an den Schul tern trägt und einen Bogen spannt. Das ist alles so ganz anders als daheim in Tanninten, wo die Sonne ungehindert aus lange, gleichmäßige Gemüsebeete scheint, die, als das ein zig Nuybringende, den größten Theil des Gartens einnehmen. Licy zuckte zusammen, es ist ihr plötzlich, als stände jemand dicht hinter ihr. Schnell wendet sie sich um. Das lose Mauer-gestein, an dem sie sich fest hält, Um in den Garten sehen zu kön nen, dröckelt unter ihrer hand. .Borsichtig, mein Fräulein, nicht fallen!« « Von glühender Röthe übergossen, sieht Alice in Wasils schönes, lächeln des Gesicht. »O »Herr von Waszczewsii. ich . .. ich wußte nicht, daß Sie zu Hause —« Wie ein ertapptes Schulmädchen, aber doppelt reizend in ihrer hülflosen Verwirruna, steht sie vor ihm, der sich an ihrer Berlegenheit weidet· »Jch... wirtlich... ich bin-Hi ganz zufällig hier spazeren gegangen,« versicherte sie mt ungeschicktem Eifer. Es wäre dem gewandten Weltmann ein leichtes gewesen, ihr zu Hülfe zu kommen, indem er ihre Neugier igno tirte: aber er thut es nicht, ihre hülf lvse Verlegenheit macht ihm Spaß. ,,Meinem Pakt konnte keine größere iEhre zutheil werden alg Jhr freunds liches Interesse. Darf ich bitten, gnä diges Fräulein, daß Sie ihn sich auf etwas bequemerem Wege ansehen?« »Nein. nein, danke, ich mache mir gar nichts daraus,« versichert Licn eifrig. »Schade. Aber dann geben Sie mir wenigstens die Hand, damit ich Ihnen durch dies verwünschte Klettengestriipp hindurchhelse." Alice gehorcht und läßt sich die Böschung hinunterleiten. Nun stehen sie nebeneinander am Feldrain. Das Mädchen streicht die zerzausten Haare glatt und löst ein paar Kletten von ihrem leichten Som mertleide. Den Hut hat sie abge nommen. —- Es ist drückend schwül. »Nicht wahr,« beginnt Wasil —- er weiß genau, daß die Frage sie peinigt —- ,,Der Dobrawitzer Pakt ist sehr verwahtlosit Jch habe mich lange nicht mehr darum getümmert. Was Sie sahen, hat Jhnen wohl wenig ge fallen?« .Dvch-« gesteht Licy ehrlich. »Ich finde Ihren Garten wunderschön, sehr viel schöner als unsern. Der ist lang weilig und gewöhnlich« »Und ttosdern verlassen Sie ihn so felten,« sagt Wasil im Ton des Vor wurf-. Dann mit leiser, verschleier ter Stimme: »Warum kamen Sie nie W in den Wald? Warum vermei den Sie es, mit zu begegnenlt Was N ichs M Dosten Sie mir nicht hu Mrlpiedtt das PM- Ihrer ask-M - i- mmi sich W j.- »Ist-, d ein sue-schreiten Land . » fett-m Winters-: Gesicht spiegelt sich freudiges Er schrecken. »Ach nicht doch,« murmelte sie ver legen, .,warum reden Sie so was? Das ist doch Unsinn·« «Wieso? Jch versichere, daß ich völlig entzückt . . . . Sehen Sie, nun wenden Sie schon wieder den Kopf weg und eilen so schnell, daß ich Ih nen« kaum folgen kann.« I »Ich musz nach Hause, Papa war ktet. Mutter ist verreist zu Tante jWengk nach Wentitten.« ! »Die Frau Baronin ist Jhre Tan )te?" fragt Waszcetvsti interessirt. Das junge Mädchen nickte flüchtig; was kümmert sie in diesem Augenblick Ue alte Verwandte. Ein sausender Windstoß fährt plötz lich durch die Luft. Jn der Ferne hört man grollenden Donner. »Aha, es geht los,« sagt Wasil und deutet auf das schwarze, rasch heraus ziebende Gewölb »Mir schien es schon am Vormittag, als bekämen wir ein Gewitter. Darum tam ich zeitiger aus der Stadt zurück. Sie sollten an geschützter Stelle die Entladung ab warten, Fräulein Dittmer. sonst überrascht Sie das Unwetter unter wegs.« »Ach, so schlimm ist’s noch nicht. Der kurze Weg. Jn einer halben Stunde bin ich zu Hause, und früher giebt es sicher keinen Regen.« Wie um die Worte des Mädchens Lügen zu strafen, fallen in diesem Augenblick die ersten großen Tropfen. Immer schneller, immer dichter folgen sie einander. Jn wenigen Augen blicken ist der Himmel eine einzige blaufchwarze Wolken-nasse. Noch schreitet Alice tapfer vorwärts und kämpft gegen den Wind. der sich ihr entgegenstemmt und an ihren Klei dern reißt. Den Stohhut bält sie fest an sich gedrückt, um ihn einigermaßen zu schützen. Auch Wasil muß seinen Hut halten. Auf ein Haar wäre er ihm vom Kopf geflogen. »Publ, ist das ein Wetter! Gnii diges Fräulein, Sie sehen, so geht es nicht weiter; in fünf Minuten bleibt lenen kein trockener Faden. Kommen Sie, seien verständig, hier sind wir. gleich unter Dach-« Er hatte recht, es war unmöglich, in diesem Gewitter bis Tanninten zu gehen: der Hut, das gute Sonntags tleid —- alles wärbe hin sein, und Mutter war immer sehr böse über ver dorbene Sachen. »Ich möchte aber wirklich lieber nach hause,« sagte sie trotzdem noch ein mal. »Kind, wie kann rnan nur so thö richt sein. Es wird doch auf zehn Mi nuten nicht ankommen, dann ist das Gewitter bariibergezogen.« Lucy widerspricht nicht mehr. Wil lenlos läßt sie sich durch eine Seiten pforte in den Pakt führen. Wenige Schritte rechts, von dich tem Holundergebiisch umwuchert, steht das chinefifche Irnrpelchem vor wel chem der kleine, geflügelte Bogenschütze Wache hält. »So, da wären wir schon in Si cherheit« sagt Wasil, driickt kräftig gegen die in rostigen Angeln hängenbe Thiir und läßt das Mädchen eintre ten. Der achteckige Raum ist sast leer, nur im Hntergrunde steht ein malte-H rerblaßtes Sosa, dessen von Zeit unb Moderlust zermiirbter Seidenbezug in Fetzen herunterhängt. An der Wand lehnen Harten, Schauseln und meh rer Gartenstühle, denen Die Füße seh len. Wände und Plafonb bedeckt dich teg Spinngewebe, die bunten Glas scheiben der Fenster sind zum Theil her aus-gefallen und liegen zersplittert am Fußboden. »Eintride sieht es hier gerade nicht aus,« sagte Wasil spottend, »aber ich hoffe, das Dach hält noch zusammen und schützt Sie wenigstens vor dem Unwetter.« Er geht an eines der hohen, schma len Bogensenster, um sie zu schließen, da sie, vom Lustzng bewegt, rasselnb hin und her schlagen. Ein greller Blitz zuckt ihm entgegen sast in demselben Augenblicksolgt laut krachender, lang anhaltender Donner. Licy schreit aus und bedeckt das Ge sicht mit den Händen. Sosort ist Wa sil an ihrer Seite. »Haben Sie sich erschreckt? Aengsti gen Sie sich vor dem Gewitter?« »Ja seh-» gesteht sie zaghaft» Ach Gut-, ob der Bliy wohl eingeschlagen hat « Uns jedenfalls hat er nicht getros sen, nnd das ist die hauptsache,« lchetzt Wasil Ein neuer Donnerschlag til-ertönt fein seine-les Laches Btld toben fest Ue entfesselten Naturgetvaltm Versinken peitsch das Hollundw »in-nd en vie »Heute-n v sittliche AMMM M Es ist plii lich ganz duntel gewor- J Nur, hn und wieder zuckt einI areller Blitz vom nachtschwarzen Dim- - mel nieder und erleuchtet sekuuderp lang den engen, dämmerigen Raum» Das iunae Mädchen wagt sich nicht » zu regen. es zittert am ganzen Körper. Wasil hat ihre beiden Hände gefaßt und beuat ich zu ihr. « »Kind, ie brauchen teine Furcht zu haben, das Gewitter geht schnell vorüber.« »Mir ist so beklommen, so schreck lich banae.« Er zieht sie näher zu sich heran. »Auch wenn ich bei Ihnen bin?« sraat er schmeichelnd. » Wie ermuthiaend seine Stimme klingt wie gut er ist. Dankbar will Alire zu ihm aufsehen —- da, ein neuer färchterlicher Blin. ——Sie stößt einen Lauten Schrei aus und schließt« jäh geblendet, dieAuaen. Wasils Arm umschlingt sie. Schutz suchend, halb bewußtlos vor Anast, läßt sie es ge schehen, daß er ihr Köpfchen an seine Schulter drückt. »Siiße5 Liebchen!" Sein Mund be rührt ihre Augenlider, ihre vollen, zuckenden Lippen. Jst das ein Traum-— ist es Wirt lichteit? —Alice hört nicht mehr den tobenden Sturm, den rollenden Don ner, ihr Herz lauscht aus leise tasende Worte. »Siißes, holdes Liebchen,« sliistett Wasil, und wieder küßt er sie. Da wirst sie die Arme um seinen Hals, zärtlich, leidenschaftlich »O Gott« wie bin ich glücklich!« Er streichelt ihr heißes Gesicht. » »Kleiner. lieber Narr! Nun, lsahe ich nicht recht gehabt? Wer wird lich denn so kindisch fürchten. Possen Sie aus« in ein paar Minuten iit das Wetter vorüber: dort hinten im Westen i wird es schon aanz hell." »Ja, aanz hell,« faate Alice, ohne» binauszuiehem Ihr Herz Pacht un-! qestiim, sie ist wie berauscht von dem i unaeahnten, unsaßbaren Glück, sich«l von ihm aeliebt zu wissen. l Der Regen hat aufgehört. Er träu felt nur noch von den Bäumen und rieselt aus der verhoaenen Dachrinne in dünnem Zickiack den Gartenwea hinunter. Das Gartenpförtchen. durch welches Licn vor kurzem eingetreten ist, hat sich wieder hinter ihr geschlos sen. Drei-, viermal wendet sich das Mädchen zurück und winkt und nickt; dann rafft sie ihr Kleid auf, dessen Saum die nasse Erde streift, und läuft meh? als sie acht, den Feldweg entlang, « anninten zu. Die abgetühltr. duftaetriintte Luft umweht erquickend ihr alühendes Ge sicht. Alice kann es taum erwarten, bis sie daheim sein und dem Vater alles erzählen wird. Jauchzen möchte sie — himmelhoch jauchzen, wie es in dem Gedicht heißt, das ihr stets als das schönste von allen erschien. Wie war es doch? »Himmelhoch jauchzend, zum To ...« Nein, das nicht, das ist arundfalsch. So ist die Liebe nicht« sie kennt sie bessert Glückselia lacht das ahnunaslose Kind in sich hinein, und, als könnte sie es nicht ost genug hören. flüstert sie immerzu vor sich hin: »Er hat mich lieh! Er hat mich liebt« Als Lich athemlos zu Hause an langt, steht der alte Dittmer auf der obersten Stufe der Vortreppe. Erbat sich sehr geänastiat und nach allen Sei ten ausaeschaut. wo das Mädchen stecken mag, das sonst beim erstenDon neraroLlen, wie ein verschüchtertes Häschem in Papas Nähe zu flüchten und sich hinter ihn zu ducken pflegt. Da endlich kommt sie gelaufen, quer über den nassen Rasenplatz, gerade auf den Alten zu. »herrqott, Lieschen, wo warst Du? Wir haben Dich überall arsucht.« Lie devoll hetastet er ihr feuchtes Haar und Kleid. »Bist Du bei dem Wetter nicht etwa draußen gewesen?« Sie schüttelte den Kopf. »Nur als die ersten Tropfen fielen, nachher-Papa, komm, ich hah’ Dir koas Wichtiaes zu erzählen, Du wirst Dich sehr freuen. Mian Ungestüm zieht sie ihn, der verwun dert folgt, ins Zimmer, fällt ihm um den Hals und jubelt: »Er liebt mich --dent Dir nur, er liebt mich!« «Wer?« «Wasil!« Dittmer hat sich losgemacht und sieht gespannt in seines Kindes glü hendes Gesicht. .Wer ist Wasil?« »Amt« von Wagzczewöti — Gott, Papa. Du weißt doch, der jetzt wieder in Dobkawitz wobnt.« Leichte Unge duld und etwas wie Gelkänttsein llinat aus den Worten. Wie ist es möalich, Wasil nicht zu kennen! Der Alte findet sich noch immer nicht zurecht. »Was ist das mit dem Herrn von Wasmewsliii Erzähle mir mal ot dentlich, Lim. ich verstehe teinWort.« »Pabachen, ich sagte eg ja schon, eben baben wir uns verlobt « « »Was denn, verloth Du mit dem i Dobrawetzer? Mädel, was redeit Du 1 da fiir unlluaes Zeug, Du kennst ihn ia aar nicht « »Doch, ich lenne Wasil lebt gut. i Wir haben uns oit aettoffen, wenn ich spazieren aina Du glaubst nicht, wie » schön Und lan und vornebm er ist« Und immer sah er mich so besonders ’ an, ich kann das nicht Geschreiben,; aber das. Herz klopfte mir, wenn ich nur an ihn dachte. Ali nun heute das Gewitter plötzlich losbrach und ich mich io iebt önaitiate, batee mich in seine Arme genommen und geküßt und mit aeiaat daß er mich liebt « ! »Gut Dir gesagt, das et Dich liebt —- und LW Du liebst ihn MI« «Ueber alle Masen.« i »So, so. —- Ra ja, dann sreiltch.«1 Der alte Mann läßt sich schwerfällig aus sein Noßhäarlopha nieder; die überraschende rt heilung ist ihm in die Glieder gefahren. Daß er sein Lisel ernst wird sortgeben müssen, daran hat er bisher gar nicht gedacht. Und ge rade dem Dobrawitzer. Hübsch und« vornehm mag er sein, aber- «e sonst? Wer»lennt seinen Choral er, seine Verhaltnisse, wer weiß etwas von ihm? Dittmer reibt sich die kahle. feucht gewordene Stirn. Ungewöhnliche Er eignisse und angestrengtes Denken ver wirren ihn immer. Licy läßt ihm nicht lange Zeit. Sie hat sich, wie sie als Kind zu thun pflegte, aus seine Kniee gesetzt und schmiegt ihr blühen tåes tGesicht zärtlich an seinen grauen ar . »Papachen. was hast Du denniDu bist heute gar nicht nett. Jch dachte,! Du würdest Dich freuen, daß ich so; unmenschlich glücklich bin, und nuns sagst Du gar nichts dazu.« Erregt spielen ihre Finger an dem obersten; Knon seines alten Wirthschastsrocles, i dievrothen Lippen schützen sich schmol- ; en . Den Alten trifft der Vorwurf sei nes Lieblings tief· Er kommt sich selbst sehr hartherzig vor. »Aber nein, Kind, Du brauchst Dich nicht zu tränken. So war es nicht ge meint. Bloß die Ueberraschung — wie lonnt’ ich denn wissen.v —Jch will doch gewiß nichts anderes als Dein Glück.« Schnell versöhnt lacht sie ihn an. .Mein Glück ist Wasil, Papa. Wir lieben uns, und nicht wahr, ihr werdet ihn auch lieb haben und mich ihm ge ben, nicht wahr. Papa-«m drängt Lich· Sanft läßt Dittmer sein stiirmi sches Töchterchen vom Schoß gleiten. Sie will Antwort haben, wo er selber rathlos, verwirrt und unentschlossen ist. Unmöglich lanner es übers Herz bringen, ihr wehe zu thun, ibre Freude zu stören. Soll er sagen, daß etwas in ihm »Nein« ruft? Und warum eigentlich? Weil Waszczewsli ein vornehmer Herr ist, weil er lange im Ausland lebte, das Gut in fremden Händen ließ. Das sind keine Gründe, die aeaen feinen Charakter sprechen. Dittrner wirft sich im Stillen Selbstsucht vor, die Selbstsucht des Vaters, der sein Kind, seine höchste Lebensfreude, den Sonnenschein sei ner mühe- und soraenvollen Tage, nicht missen will. —Ja, das ist es. —Es beruhigt ihn förmlich. die Schuld sich selbst beimessen zu können. Nachdenllich gebt er im Zimmer auf und ab, nimmt die Tabakspfeife vom Tisch nnd legt sie wieder hin, tritt ans Fenster und wirft qewolin beitsrnsißia einen Blick auf den Wirth fchaftsliof. wo eben die Pferde mit lautem Peitschenlnallen zur Tränle aetrieben werden. Dort, weit hinten, das große Brachfeld, das wie ein arauer Abendicksatten sich in der Ferne abreichnet, das ist Dobrawitzer Gebiet. Ditt wendet sich wieder zu Lim. »O ttest es mit nur friiber ereiiblen sollen das mit dem Herrn von Was zczewskif Aber Papa, wie konnte ich denn? Es tam ia so plötzlich Pech weiß es erst seit heute. dasi er mich liebt. « »Saate er das?" Sie nickt verichiimt in den Augen ein Leuchten feliaen Erinnerns. Und was nun weiter. LicniF Verwundert srebt sie ihn an. »Ja, nun gebt ihr einfach eure Ginwillii auna. und dann verloben wir uns.« Es ist lanae ber, seit Dittmer auf Freiersfiißen nim. Wie es bei einer Werbuna ruaebt wein er überhaupt nicht nennt-: nur daß seine eiaene Ver lobuna auch plötzlich und iiberraschend erfolate, ist idrn erinnerlich. Zum ersten Mal ersehnt er die Rück lehr seiner Frau. Sie wird wohl Rath wissen, wird ek- ftch nicht nehmen las sen, in diesem Punkt die Entschei duna zu treffen, und Dittrner sich ilrrer Ansicht fiiaen, wie er es von jeher zu thun gewohnt ist. - Noch ein nnterdriiclter Seufzer — der Gedanke ist doch aar zu schwer, sein liebes Kind fortzugehen —- dann nickt er ihr. die ihn erwartungsvoll ansieht, derudiaend zu. · nHabe nur Geduld bis morgen, bis Mutter kommt, Lischm die rniissen »wir doch zuerst fragen. Wenn sie nichts dagegen hat . . .«' »Sie wird nicht« sie lann nicht, Papa! Wenn ihr Waiil sehen werdet —er ist so lied, so schön!« «Glaub’s fchon,« stimmte der Alte bei. Sein rauhes Organ klingt doch spröde-r als sonst, und jedes Wort lomrnt langsam über die Lippen, als thäte es ihm weh. —,,Jet3i ach’ aber, Kind, aeh’ zu Bett, es ist spät gewor den. Gute Nacht' »Gute Nacht, Papachen. Also,dörst Du —moraen.« Sie küßt ihn flüch tig auf die eingesunlenen Schläfe und buscht aus dem Zimmer. Auf der Treppe hört er sie mit leisem Jubelton ein ziirtliches Vollstiedchen fingen. Das ailt dem andern, dem Frem den. -—-Ja, an dem hängt ihr Herz nunviel mehr als an dem alten Vater. Der so bescheidene, selbstlase Maan stihlt etwas wieM«szgunst in sich aus steigen. Er schamt ch dieser Reaun , und. die Hände ineinander leaeng, murmelt er: «Lieber,s guter Herrgott, ich alter Kerl brauch« sein Glück mehr aus der Welt, meinetwegen wert-' ich Dich um nichts mehr angeben, aber ssra blos dafür- dass der Lisel aller mer Guten ansschtäat.« ·- i i s nur stprkwii W ve haushrrr erst um die zehnte Morgen stunde aufzustehen; dat war eine Ge wohnheit aus dem Großitadtleben, die er auf dem Lande beibehalten hatte. Nach dem Frühstück ließ er gewöhnlich fein Pferd satteln und ritt durch die Felder. um sich in seinem Eigenthum, um das er«sich jahrelang nicht gekäm mert hatte, einigermaßen zu orienti ren. Schon bei Lebzeiten deg vorigen »Besihers. seines Großvaters —feine Eltern hatte er früh verloren —- war die Wirthschaft schlecht imstande ge wesen. Der alte Herr. jeder Neuerung feind, verharrte in hochmüthigem Starrsinn bei einer längst überwun denen Wirthschaftsmethodr. Da er den vrattiichen Vortheil der modernen Maschinen und Ackeraeriithe nicht ein sehen wollte, menschliche Arbeitskräfte aber nur zu sehr hohem Tagelohn und auch dann nicht einmal in genü gender Menge zu haben waren, ließ er lieber einen Theil der Felder liegen, als daß er sich zu einer Abweichung von feinen unzeitgemäßen Ansichten entschloß. Je mehr aber das Gut auf diese Art von Jahr zu Jahr zurückging, desto grämlicher, mißgünstiger und verbit terter wurde sein Besitzer. JedenBauer. auf dessen bescheidenerAclerparzelle die Saaten üppig grünten, betrachtete der alte Herr als persönlichen Feind. Mit den wenigen Gutsnachbarn hatte er schon längst jeden Verkehr abgebro chen. Völlig menschenscheu lebte er in zwei Hinterzimmern seines Schlosses, und wer sich in dessen Niibe wagte, lonnte sicher sein, von ein paar großen Hofhunden scharf angefallen zu wet den. In der Umgegend hieß er nur »der verrückte Alie«: aber als ihm dies einmal zufällig zu Ohren kam, hatte er, trotz seiner 82 Jahre, wü tbend darauf bestanden. die Wehrer bietiae Aeußeruna mit der Pistole in der Hand zu rächen, und nur eine schriftliche Abbitte von seiten des Schuldigen ließ ihn von der Heraus forderung abstehen. lFoitseßung folgi.) - Die Sprache der Urttfrem Das ist ein ganz sonderbareo Deutsch, in der sich das Bolt der Ar- l tisten gefällt. Sie sprechen eines Sprache, die sonst Niemand versteht, und der Laie, der ein artistiiches Fach blatt durchblättert, wird erstaunt aus Ausdrücke stoßen, die seinem be Untertdanenverstand so fremd sind wie Worte des Rothwelsch Sie haben sich eben ihren eigenen Jargon gebildet und nur der Berussgenosse weiß, was sie meinen. Da sagt der Eine bei spielsweise, daß er gut »Spogat machi«, der Andere ist »tip top in Flic-Flor« und der dritte in »Casca den«. Da sich diese Fachausdriicke nur sel ten in die Programme verirren, sind sie eigentlich von geringerem Interesse für das große Publikum. Weit inte ressanter sind die Bezeichnungen arti srischer Fächer. die im Bariete gang und gäbe sind und schon aus dem Grunde von Niemandem verstanden werden, weil sie eben unverständlich sind. Die Unintelligenz einzelner in ihrem Fach ganz tüchtiger Artisten kommt da zum trassen Durchbruch. Was soll es heißen, wenn beispiels weise ein »Contorsionist der hohen Schule der Athletit« sich in einem ziemlich bedeutenden Etablissement vorstellte? Muß das Jeder wissen, daß dieser brave Artist ein tüchtiger Schlangenmensch, aber sonst ein ton suser Kopf ist? Manche Benennungen von Num mern sind so absurd, daß sie dem ge bildeten Menschen nur ein Lächeln ab zloingen können; so machte tiirzlich ein Jtnpresario Retlame für eine Num mer, die eine »Scene aus dem Leben der Berg (!) bewohner in Teva (!)« darstellen sollte. Man könnte ebenso gut von den Bergbetvohnern der Lüm burget Heide reden. Und ebenso lächerlich ist die Sucht der Ariisten nach sremdsprachiaen Be zeichnungen. Da haben wir die »Schulze Brothers", die »Kol)n Sisters« und dann die gemischten Na men, die, wie beispielsweise »Frievrich Rome, Knockabout ei Dies-Gesell schaft«, gleich ein Vierteldutzend Spra chen zu vereinigen suchen. Mit der Ortbograpbie sieht es be sonders schlimm. Die --Nouvaute« kommt genau so häufig vor wie »Ehe world allerbeit attrattion« und wie die »Musicai Comedy Troupe«. ’ Der auch im aroßen Publikum be tannteste Artiitenausdruct iit »die: Nummer«. Von dieser Bezeichnung stammt die geläufige »seine Nummer« ab, und was Lustnummer, New-ne nummer ,Gesangs- und ieriöse Num mer ist, das weiß wohl Jeder. Weni ger bekannt ist die »Bandtvurm«. Die Fachleuie bezeichnen mit diesem Aus druct eine alltägliche, langweilige Dar bietung, die der Artist ink- Endloses auszudehnen sucht. Ausdrücke wie »sich-s auf Kaps« und Haut-stand Zabnstand und Kopf ftand ergeben sich aus der Arbeit, aber« keinesfalls muß der Zuschauer wissen,l was »Obermann«, »Untermann«,x »Flieger« und »Ja-mer« beißt. Und ebensowenig tlerstebt er, warum ders Untermann (der bei Parterrearbeit die ? Anderen trägt) viel schwerer sein mußt als der Obermann (der aus ihm steht) und deshalb in Artiftenbliittern mit den Worten: »Untermann, der auch Lust arbeitet und Dank-stand versieht, siir Mittel-traun mutetljt fitufundfiebzig k au- s , so . Musik« muß Last ist-, set » lieger« muß nur gewandt und ein st sch sein. Auch Fachleuten wird es ost schwer, sich in dem Oewtrr von Namen zur tzustndew Nur die Iwenigsten wer n einen wirklichen Ihumortsten«, einen «modetnen Humo risten«, einen »Originalhu1noristen«, einen «selbstoersaßten Dumoristen« von einander unterscheiden können. Oder —- um aus das modernste Gent-e zu tommen —- wer wüßte die Unter schiede zwischen »Schlas«-, »Tristan«-, »Nebel'«-, »Sugaestoins«- und »Tum tionö"-Tönzerin zu nennen? Zur Illustration dafür, daß es bäu sig vorkommt, daß man die Artisten in ihrem Jargon gar nicht versteht, er «äblt das »Programm« folgende Ge lizctpichtu s Vor längeren Jahren war in einer Jaröszeren Prodinzstadt Preußenö ein IPolizeiverbot ergangen, daß in kleine Jren Varietes nicht im Kostiim gearbei itet werden dürfe. Die angestellten sArtisten unternabmen es, da die Po xlizei teine Einsicht haben wollte, eine jDeputation zu senden. Nach länge Jtem Warten wurden die drei Deputirs ten vorgelassen und der erwählteSprei Hcher derselben begann, als ihn der Rath mit einem latonischen »Sie .wiinschen?« dazu aufgefordert hatte, Tsolgende Rede: i ) ; »Der Regierungsrath, wir sind in Zeigener Angelegenheit zu Jhnen ge ’tommen. Jch heiße Constantinio Bambardini und bin Klischnigger, » mein Kollege ist Herr James D’Entre conte, arbeitet Lawinensturz und Trampolin, und ist nebenbei Knau about, und die Dame ist Fräulein Bianca Schneider, Kanonenlöniain.« Weiter tam er nichts der Regie rungsratb, der schon bei den fremd llingenden Namen und den Worten Lawinensturz und Knockabout die Brauen zusammengezogen hatte, schien bei dem Worte Kanonentönigin zu glauben, er müsse es mit einem Ver rückten zu thun haben, denn er wandte sich nach seinem Pulte um und sagte: »Bitte, meine Herren, wenn Sie mir etwas vorzutragen haben, dann kom men Sie gesälligst wieder, wenn Sie nüchtern sind-« Nun sollen einige Jnserate aus ar tistischen Fachsbliittern folgen, die ge wiß nur von den wenigsten unserer Leser verstanden werden. sGesucht Dame als Obmonn für Hand auf hand und Kopf aus Kopf. Muß einarmig drücken können nnd frei Kon sicher sein." - »Flieger mit eigenem Netz für Luft nunnner verlangi.« »Bäreniutscher mit Auslandspoß gesucht.« »Nun-let Mann, gut komisch, sucht Anschluß bei Jonalitnummer. Jst per fett bis zu füns Willen, Kaslade mit vier Tellern, vier Keulen vorwärts, drei tückwsri.« »Leichter Obermann, welcher dot und rückwärts Solto nach Schulter drei-U »Driicke eine-einig- bin out Hund« aus hand, verstehe eventuell Klischs nma.« Diese Auslese tönnte nach Belieben fortgesetzt werden, aber sie genügt, um das ArtistemNothwelsch zu kennzeich nen. Was kann sich der gewöhnliche Leser auch unter einem »Sprechstoll meister« vorstellen. Wohl ebensowenig, wie sich der herr Regierungsratb un ter einem »Klifchnigaer«, einein «Knockabout«. einem »Latvinensturz arbeiter« oder gar einer Ranuncu iöniain« etwas vorstellen konnte. Ge linat es doch selbst nicht einmal jedem Artisten. sein Geschäft so zu beschrei ben, daß es seinen Kollegen verständ lich ist. So annoncirte Jemand Hitz lich, er sei »Gelentpbantast«, ein An derer nannte sich »Stegreisendenk tünstler". Daß Jemand aelenlia ist« kann man ja beareifen, daß er aber mit den Gelenken phantasirt, lann man sich schon etwas schwerer vorstel len, daß ein Künstler aus dem Steg reif dichtet oder detlamirt, versteht man, daß aber Jemand sich riihmt, daß er aus dem Steareii denti? Sollten das nicht alle Menschen thun? Wunderbar tlinai auch die schön gewählte, etw " lange Bezeichnung »Musik«-Ueber reitl-Niaaer«l Den Preis für die längste Platatbezeichs nung in einem Worte verdienen aber wohl zwei Schwestern, die sich »Mut meiitekichaitsrollschlittichuhläuserin nen« nennen. Aber selbst Genus. die den Artiiten heute geläufig lind, waren wohl auch ursprünglich gerade lo unverständliche Wottiambinationen, zum B «spiel die Zulammenietzungen »Sch eiieniah rek«, »Reifenkollee«, ,,Kovsliiuier«, »Ausbrecheriönig'«, ,,Keulenschwin ger«, «Kicaelläitser'«, »Rauchmalet«. »Münzenbeichwörer« und dergleichen mehr. Das große Publikum wird sich vielfach auch heute noch nichts bei der gleichen Bezeichnunaen denken können, ebensowenig wie es lich ein klares Bild machen tann, was es zu sehen be kommt, wenn auf dem Programm oder den Plalaten von »Pattichen Spie len«, »antnviick-en Suielen'«, »Ma labatiiten«, »Petche-Alten«, »Revrii ienelowns« u. i. w. die Rede ist. Es iit durchaus nicht zu verwundern, wenn das Publikum« das von einer iamolen »Svidentänzerin« erfährt. an Svißenileidey Kostiime mit Spitzen belat denkt. anstatt an die Zehensvihen der Attiiiin. Aber Dttbvaroviiie und lattee Stil sind nicht Alles. Und geräde die unoeioarapbischen Aettsten sind et, die dvtch ihre Leistungen den Man ei jeglicher Intelligenz dem große- « g lituns ver-eilen matten