Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, September 29, 1905, Sweiter Theil., Image 9

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    M
Märchen
Stafid das Märchen am jungen Tag
Mitten im Wald und lauschte.
Lauschte dem Wind, Idår frisch und
e
Durch die Wipsel rauschte.
Kam ein Bursch des Weges daher,
Sah das Märchen im Walde.
Sang der Wind und sang der Bursch,
Daß es klang und hallte.
Lauschte das Märchen deitn Wind nicht
me r,
Horcht auf das fröhliche Singen.
Schwieg der Wind und schwieg der
" Wald,
Wo die beiden gingen.
Nahm das Märchen den Kranz vom
Haupt,
Sonne war allerorten —
Gab dein Burschen den blühenden
Kranz —
Jst er ein Dichter geworden.
-.---— -----
Der wilde Garten.
Novellette von Josephine Siebe
,An die gelbrothe, fensterlose Sei
tenmauet einer Fabrik geschmiegt,
umschlossen von schmucklosen grauen
Häuserm rechten Miethslasernen, lag
ein von einem hohen Bretterzaun um
arenztes Stück Land, ein Bauplasz, zu
dem sich bisher lein Käuser hatte sin
den wollen. Dieser Theil der Stadt
war reizlos Und nicht sanderlich be
liebt, und das Stück Land, das einst,
in den Tagen unserer Urgroßvater,
der Garten eines Landhauses gewesen
war, begehrte niemand. Die Kinder
aus den benachbarten Höufern hätten
den verlassenen Garten wohl gern als
Spielplatz benutzt, aber der alte Schu
ster, der den Schlüssel hatte, wehrte
der lustigen Schaar den Eintritt und
erneuerte zum Aerger all dieser Mii
dels und Buben immer wieder die
Glasschrrben aus dem Bretterzaun,
so verging den Kindern die Lust,
hinüber zu klettern, zumal driiben
eigentlich nichts Rechtes zu holen war.
Nur ein einziger Mensch betrat seit
Jahren den verlassenen Garten, Anne
arete v.-Olden erhielt, so oft sie wollte,
von dem alten Schuster den Schlüssel.
und so ging sie vom Frühling bis
zum Herbst fast täglich in ,,ihren Gar
ten", wie ihre Angehörigen spottend
sagten.
Sie spotteten überhaupt viel iiber
das stille, blasse Mädchen, die Mutter
und die Geschwister,-die alle etwas
Lautes, Herrisches hatten, die alle sehr
hochmüthig waren. Es war viel täu«
schender Schein, viel Unzufriedenheit
bei den Oldens, der Vater hatte als
Maior seinen Abschied belommen, nun
bekleidete er einen schlechtbezahlten
Ehrenpvsten, der ihm viel Miihe und
viel Arbeit eintrug, und kam er nach
hause, so empfingen ihn Klagen und ;
Vorwürfe derSeinen, seine Frau warf-»
ihm vor, daß der und jener seiner Al
tersgenossen bereits ein Regiment
führte. Annegrete, die mit tiefer Liebe s
an dem Vater hing, empfand wies
ichmerzende Wunden die Vorwürfe,
die den müden Mann trafen. Wie;
viele sorgenvolle Tage und Nächte, wie ;
viele Thränen gab es, um den äuße- ;
ren Schein der Wohlhabenheit zu s
wahren. Die Töchter fertigtenkmiihp s
volle Stickereien fiir laraen Lohn, nur ;
um der nichtigen Zerstreuuna einiger !
Gesellschaften willen, die Brüder ta-!
men nie mit dem aus« was der Vater s
ihnen geben lonnte und for ertenx
trotzig, als sei es ihr Recht, höhere;
Anlagen, und die Mutter, tdie«ei-nst’
eine sorglose Jugend gehabt nam,
lehrte ans keiner Gesellschaft heim»
ohne sich nicht in bitterm Klaaen iiber
die Ungerechtigkeit des Schicksals zu«
ergeben, das sie Zwang jahraus jahr
ein das gleiche Seidentleid zu tragen.
Nur Annearete ivar so anders-, sie
hatte des Vaters stilles, sinniges We-.
sen, ihr galt der äußere Schein so
wenig und so viel dag innere Sein
des Menschen. Namenloe litt sie un
ter der Unrast, der Disharmonie der
anderen-. Auch sie stickte für geringen
Lohn, aber ihr Geld floß in die Kasse
der Mutter, sie ging nie in Gesell
schaften, sondern saß wie ein Aschen
brödei zu Hause, aern hätte sie einen
Beruf ergriffen, aber alle ihre Vor
schläqe wurden als unaussührbar ver
werfen.
»Warte nur,« tröstete die Mutter,
»bis die Schwestern verheirathet sind,
dann tannst du ja noch Diatonissin
iverden!'«
»Bis zu 35 Jahren hast du Zeit da
.iu,« sagten schnippisch die Schwestern
Aus diesem Kreise voller Unrusries
denheit, Egoismus nnd Lieblosiateit,
aus dieser Welt«des Scheins sliichtete
sich Annegrete in ihren Garten. Jn
einer Exte, geschiemt von einem Eichen
bauin stand eine halbzersallene Laube,
die sich Annearete mühsam vor dem
gänzlichen Verfall gerettet hatte, außer
der Eiche aab es nur noch einen krumm
aeivackssenen wilden Apfelbaum, der
nie Früchte trug, aber jedes Jahr
F blühte: eine Heele von Weißdorn und
- einige hpllunderbiische waren noch da
und den Boden bedertte Gras und al
z lerlei wilde Blumen blühten darin,
-; saluthrothe Mohnblumen, Löwenzahn
» und weiße Stank-leimen Heimlich
»z· ass- hatte sich-Annegrete einen Rosen
stock get-sinnst der wuchs und gedieh
und trieb jedes Jahr eine reichefssahl
tiefre-they süß dustender Blüthen.
und diesen Rosenstoct liebte sie sast mit
etlichteit einer Mutter-.
» in dein stillen Gatten wurde
nearetei Seele weit, die Schwere
Nebraska
Staats Anzeiger Und THE-rollt
« J. P. Windolph, Herausgeber Grund Island Nein- 29 Ocptcmbek 190) (ZwettetTlIetl) Jahrgang 26 No. ).
ihres nüchternen, zutunstslosen Lebens
löste sich und hier las sie auch ernste
tiefe Bücher, die sie sich heimlich aus
einer Volksbibliothel holte, ein Ver
gehen, das den Zorn und Spdtt der
Ihrigen erregt hätte.
Einmal an einem heißen Junitag,
an dem zwar die Sonne nicht schien,
ihre Gluth aber hinter den weißen
Wolken wie eine heimliche Liebe
brannte, betrat Annegrete wieder den
wilden Garten. Es war ein häßlicher
fTag gewesen, ein Tag voller Zank
und Streit, voller Klagen und Unzu
Jsriedenhkih in dieser Unrast hatte
Annegrete manchmal wie an ein heim
; liches Glück an den Rosenstock in dem
Estillen Garten denken miissen, heute
s würde er wohl in voller Blüthe stehen
und voller Ungeduld diese Schönheit
zu genießen, eilte sie, nachdem Mutter
«und Schwestern in einen Kassee ge
gangen waren, in ihren Garten
hinab.
»Der Schlüssel steckt,« sagte der
alte Schuster latonisch, und verwun
dert über dissen ungewöhnlichen Por
gang betrat Annegrete ihrHeiligthum,
aber betroffen blieb sie stehen —- sie
war nicht allein, ein Fremder war in
dem Garten.
Plötzlich aber entrang sich ein
Schmerzensschrei Annegretes Munde,
alle ihre Rosen, ihre süß dnstenden
Wunderhliithen hatte der Fremde ab
aeschnitten.
",,Meine Rosen, ach, meine Rosen,«
klagte sie und es war ihr, als wäre
nun alle stille Freude ihres Lebens
genommen, nur Leid und Trauer sah
sie und auffchluchzend preßte sie die
Hände vor die Augen.
Erfchreclt hatte der Fremde sie an
geschaut. »Was ist Ihnen, was ist ge
schehen?« tief er.
»Meine Rosen, meine Rosen,«
klagte Annegrete schluch·zend.
,,Jhre Rosen? O weh, und ich dach
te, sie blühten hier unbemerkt, darum
nahm ich sie,'« rief der Mann be
dauernd.
Die wohllautende Stimme. die et
was von dem Klang einer Glocke
hatte, beruhigte Annegrete wunder
bar, langsam ließ sie ihre Hände sin
ten und schaute dem Fremden ins Ge
sicht, ein kluges, angenehmes Gesicht,
tein fogenannter schöner Mann war
es, der da vor ihr stand. Aber in sei
nen hellen Augen lag viel Gitte.
»Sind Sie oft hier?« fragte der
Fremde.
Annegrete nidte nur, noch erftirlte
das Schluchzen ihre Stimme.
Mitleidig scharrte der Mann auf
das blasse Mädchen, das ihm nicht
sonderlich anziehend erschien, er sagte
ihr, wie leid es ihm thäte, dasz er sie
betrübt habe und fragte sie, wie es
komme, daß sie hier auf dem verlasse
nen Flecke Rosen gepflanzt habe?
Und je länger er sprach, je mehr war
es dem Mädchen, als spräche ein
Freund zu ihr, ein großes warmes
Vertrauen wuchs in ihrem Herzen
und wie es manchmal kommt, daß ein
Mensch vor einem Fremden die
Schleier seiner Seele liiftet, die er vor
Freunden und Verwandten ängstlich
geschlossen hält, so erzählte auchAnne--v
grete dem Fremden von ihrem Leben,
ihrer Einsamkeit in dem lauten tör
menden Zuhause und von dem stillen
Glück, das sie hier in dem wilden
Garten fände, wie sie jauchzte, wenn
der Frühling wieder käme und sie hier
Zuflucht finden könne. »Ist es nicht
schön hieri« fragte sie, während ein
sanftes Lächeln ihr Gesicht verklärte.
Der Fremde schaute sich um und
sah die Dürftigteit dieses Gartens, da
im Grase lagen Scherben, leere Kon
servenbiichsen und ein alter Korb,
Halles Dinge, die von den Küchener
fstern der umliegenden Häuser hinab
geworfen worden waren, er mußte
idarum lächeln und sagte: er könnte
, keine Schönheit sehen.
f Da wurde Annegrete eifrig und
f sprach ihm von der Schönheit, die sich
hier ihr offenbarte, sie schilderte ihm,
wie es im Frühling zu griinen be
ginne, wie zauberhaft-der Apfelbaum
in seinem Blüthenschrnuck aussehe und
sie fand so leuchtende Farben für ihre
Schilderungen, so zarte, schöne Worte,
daß er gefesselt lauschte. Er wunderte
sich, wie ihr blasses stilles Gesicht sich
belebte, wie reizvoll es wurde. wenn
sie sprach und ihn rührte die schlichte
Bescheidenheit ihres Wesens, so viele
Frauen, schöne, geistvolle Frauen
hatte er, der Weit ereiste kennen ge
lernt, von keiner a er war ein so sanf
ter Zauber ausgegangen, wie von
dieser.
lifSie sind eine"Dichterin,« sagte er
e e.
Ueber Annegretes Gesicht flog rosi
ger Schein, wehmiit ig schüttelte re
den Kopf und ein ehnender Glanz
trat in die grauen u en. »ich kann
die Worte nicht nieder chreiben. Aber
H— —«»«»«»-»·— »—«- j
ich wollte, ich könnte eine Lebensdich
terin werden, könnte Poesie, vielPoesie
im täglichen Leben um mich verbrei
ten, verstehen Sie mich?«
O ja, er verstand sie schon, ergrif
fen sah er das Mädchen an, und als
er schied, da fragte er, ob er wieder
kommen dürfe in diesen wilden Gar
ten, und sie erlaubte es ihm, wie eine
kleine Königin, die huldvoll ihrSchloß
dem Gaste öffnet, ahnungslos, daß der
Fremde eigentlich der Herr des Gar
tens war, die Rosen nahm er mit und
Annegrete trauerte ihren Wunderblu
then nicht nach.
Tag für Tag kam nun der Fremde
in den Garten, niemand konnte die
beiden Menschen sehen, die Laube ver
barg sie den Blicken der Nachbarn, der
alteSchufter aber, der es wußte, sprach
nicht davon, denn er war ein« schweig
samer Mann.
Annearete erfuhr auch bald, daß der
Fremde, den sie rasch Freund nannte,
Ider Besitzer des Gartens war, ihm ge
hörte die Fabrik und er hatte den
Platz gekauft, um einen Lagerschuppen
» darauf zu bauen. Aber der Schuppen
blieb angebaut, für die Kinder der
Fabrilarbeiter wurde der Garten ein
gerichtet, das war das Hochzeitsge
schenk, das der Fabrikherr seinem
»innan Weibe da«rbrachte, das er sich
faus dem wilden Garten geholt hatte,
,,esne Wunderblume-U wie er jagte
Sie waren alle sehr erstaunt, die
Oldens, als Annearete ihnen ihrGliick
offenbarte, die Schwestern beneideten
sie und nannten sie ,,eine Heimliche«,
die Mutter zürnte fast, daß nicht eine
der Schwestern das Glück errungen.
des Vaters mühevolles Leben aber
durchsonnte von nun an das Glück
des Kindes-, das seinem Herzen am
nächsten stand.
Und Annegrete schrieb wirklich nie
Gedichte nieder, aber ihr Mann sagte
doch, sie sei eine echte Dichterin, ihr
Wunsch erfüllte sich, sie konnte die fei
nen Goldtörner der Poesie in ihrem
Heim aus-streuen und konnte es licht
und warm machen und ihrem Mann
und ihren Kindern das Haus in einen
bliithenreichen, dufterfiillten Wunder
garten verwandeln.
-—q
Nishi, der Japaner.
Einer wahren Begebenheit nach-erzählt s
von Heinr.Binder. «
Es war von Japan die Rede. Der J
alte Masor hatte eben die Aussagens
eines Arztes über dte Kriegsiiichtigteit !
der Japaner zu widerlegen versuchH
»Alle5 Unsinn, was da von Helden-l
anuth und Todesverachtung gefaselt
wird. Gewiß, sind tüchtige Kerle, —l
aber die Sympathie ist bekanntlich
stets aus seiten der Kleinen, der
Schwachen. Mit dem Kriege ist’s eben
so wie mit dem Leben. Siegt einer
einmal, dann macht er sich von selbst
immer breiter. Glauben Sie mir,
meine Herrschaften, — — wenn Japan
die ersten Schlachten verloren hätte,
dann würde es heute anders ausse
l)en.«
Nach dem Major sprach ein Groß
taufmann: »Ich denke, wir brechen
doch noch nicht auf. Da sann ich
Jhnen ja eine tleine Geschichte erzäh
len. Sie ist nicht langweilig und
ztann dazu dienen, uns den japanischen
YVoltscharalter in verständlicher Weise
zu zeichnen.«
Die Gesellschaft rückte zusammen
und der Sprecher begann: »Wie Sie
alle wissen, wohnte ich im vorigen
Jahre noch in Berlin. Jch hatte mir
aus Japan einen Koch, Namens Nishi,
mitgebracht. Er war bereits zwei
Jahre bei mir und war nicht nur ein
ausgezeichneter Koch, sondern auch ein
ergebener Diener. Man findet selten
beides in einer Person vereint. aber
Nishi bildete eine rühmenswerthe Aus
nahme. Eines Tages kam meine
Frau bestürzt zu mir: »Nis«hi will
fort.« Jn fast vorwurfvolletn Tone
brachte sie diese drei Worte vor.
»Ja ich hab’ doch teine Schuld! —
Weshalb will er denn gehen?«
»Wegen eines Reisiuchens!« ——
Jch konnte ein lautes Auslachen
nicht unterdrücken, und bat meine
Frau, Nishi hereinzurufen.
« Er tam leise und behutsam herein.
»Halte ich recht gehört, daß Du fort
willst?«
»Tsa, Herr. Reiskuchen backen.«
Als ich ihn fragte, ob er verrückt
geworden sei, sagte.er in gebrochenem
Deutsch: «Ntshi allright. Nishi muß
zehn Tage Hamburg fahren. Nisbis
Bruder Koch in Hamburg. Jn we
nige Tage großes Fest siir Herrschaft
und Nishts Bruder nicht kann Reis
kuchen tochen.«
Jetzt verstand ich. Der Kerl wollte
Urlaub haben. Er fuhr fort: »Nishi
bat hier Freund Toki. Toli hier will
arbeiten bis Nishi zurück. Toti guter
r
J
Koch. Sein Vater großer Mann in
unser Stadt.«
Jch wußte, daß der Toti bei der
Gesandtschast angestellt war und
fragte Nishi deshalb, ob sein Freund
Zeit hätte. ,,Toki nicht mehr bei Akat
suia, Toti keine Arbeitsplatz.« Mir
wars recht, daß der andere solange
aushelsen sollte. Jch fragte Nishi,
wann er gehen wollte. —- ,,Aus dem
tPlatz, Herr.« — »Ja, wo ist dennDein
jFreund?« ——,,Jn Küche!« —- Nishi
Everbeugte sich und steckte sein freund
slichsteg Lächeln aus. Dann drückte er
mir, meiner Frau und unserem Baby,
dessen Freund und Beschützer er war,
herzlich die Hand und ging wieder
leise zur Thür. Hier blieb er stehen,
krcuzte unter einer nochmaligen Ver
beugung die Arme aus der Brust und
fort war er. —
. Als Nishi draußen war, sagte meine
Frau in weinerlichem Tone: »Der
kommt nie wieder!«— ,,Unsinn,« sagte
ihch, »der ist in zehn Tagen wieder
ier.«
»Abwarten,« sagte meine Frau, »ich
habe mir den anderen vorhin ange
sehen, der ist nicht so sauber wie
Nishi.« —
Jch tröstete sie, ,,zehn Tage wären
sja nur eine Kleingteit.« Der Erzähler
machte eine kleine Vause und fuhr
dann fort: »Wenn alles mitKochen
anfangen und aufhören wiirde, hätte
es in unserem Hause nach Nishis Ab
reise gut ausgesehen. Nishi hatte recht-:
Toki war ein guter Koch. Aber er
wusch weder Geschirr auf, noch rührte
er sonst irgend etwas im Hause an:
»Toli nur kocht.« Das war die einzige
Antwort, , die wir bei irgend einem
AuftragsS bekamen.
Meine Frau war unglücklich und
wartete ungeduldig auf den zehnten
Tag. Endlich war die Zeit um. Der
Tag verging, aber kein Nishi kam oder
ließ etwas von sich hören.
» Zehn weitere Tage vergingen.
Als ich eines Morgens nach Toti
schickte, um diesen über den Verbleib
des Nishi auszusragen, war das Nest
leer. Toti war ohne ein Wort davon
igelausen Meine Frau tröstete sich in
Iihrem Schmerz mit dem Triumph,
Naß sie »mal wieder« recht behalten
habe. Uns blieb nichts anderes übrig,
als einen einheimischen Koch zu enga
giren. Meine Frau versuchte mir zwar
eine Köchin auszureden, ich wollte ie
doch nicht von meiner Gewohnheit ab
weichen. —- Wir bekamen nun einen
Koch, der meinen Wein trank und mit
meinen Zigarren ziemlich großmiithig
nmging. Sonst war er ein verträg
licher, fleißiger Mensch« der seine Ar
beit gut verstand.
So verging die Zeit und allmählich
war Nishi aus unserem Gedächtniß
entschwunden. Nach etwa vier Mona
ten lag eines Morgens ein Packet bei
der Post, das mit russischen Marien
und Zeichen betlebt war. Jn dem
Partei lag ein Brief und ein sauber
aefchnitztes, ileines japanischesFischers
boot. Den Brief, den ich übrigens
stets bei mir trage, können Sie sich
nachher ansehen, meine Herrschaften.
Er ist originell wegen der unbeholfe
nen Schriftzeichen, —- er ist im wahren
Sinne des Wortes aber auch schön,
weil eine edle Seele diese deutschen
Dierogtuphen gemalt han« ——
Der Ereähler hatte einen Brief aus
feiner Brieftasche genommen. Er fal
tete ihn sorgfältig auseinander und
begann langsam zu lesen: »Liebe Herr,
Mistreß und Baby! Ich schreibe Ver
gebung. Nishi gelogen an Herr,
Mistreß und Baby. Nishi jetzt nicht
mehr lügen kann, da morgen todt.
Russen Soldaten haben Nishi und sein
Bruder in Rußland gefangen, weil
Reiskuchen gebacken, mit dem Eisen
bahnbrücke explodiren sollte. Nishi
dentt oft an Herr, Mistreß und Bahn
und an schöne Tage. Nishi jetzt aber
froh. Russen Offizier gut mit Nishi,
aibt mir Holz ich gemacht Boot siir
Baby. Mit liebe Gruß Dein streue
Nishi.« —
Als ich den Brief gelesen hatte,
meine Herrschaften, stahlen sich zwei
Thzänen der Rührung in meine Au
»gen. ----- Jch sage das ohne Scham. —
»8.Ill)er es geht noch weiterwdie Ge
schichte ist noch nicht aus« Zwei Wo
T cken darauf reiste ich mit meiner Frau
i nach Nizza Wir trafen dort mehrere
russische verwundete Osfiziere an, die
zur Erholung und Kräftigung auf
Staatslasten dort heilten. ——— Ein jun
aer Offizier wohnte in unserem Hotel
Er war ein gebildeter', anstelliaer
Mensch, der übrigens fertig Deutsch
sprach. So wurden wir bald gute
Freunde. Er war in der Schlacht ani
Jalu verwundet worden. Eines
Abends saßen wir aus der Terrasse
und· Thronser so hieß diesenOfsizier.
mahlte uns von seinen Erlebnissem
»Wie jeder von Ihnen wohl weiß,« so
sagte er, »ist die sibirische Bahn nn
sere tuäehtiaste Stärke und gleichzeitig
unsere größte Schwäche, und keiner
wußte das besser, als die Japaner-.
Daher war ihre größte Sorge, diese
Bahn auszureißenund die Brücken zu
zerstören. Ungefähr 500 Werst nach
dieser Seite hin vom Baikalsee ent
fernt, fließt ein tiefer Fluß von Nor
den nach Süden. Er ist von einer
hohen Steinbriicke überspannt, die un
gefähr 80 bis 100 Meter lang ist.
Ueber sie führt unsere endlose, einglei
sige Bahn, und an dem westlichen Ufer
des Flusses liegt das StädtchenRensi.
Hier war ich stationirt, um mit 50
Mann die Brücke zu bewachen und den
Bahnbetrieb zu beaufsichtigen. Ich
stellte Wachen an beiden Ufern und
unter den einzelnen Brückenbogen aus.
Jede Nacht kontrollirte ich diese Wa
chen und schärste ihnen die größtes
Wachsamkeit ein, unter Hinweis aufi
die unendlich große Bedeutung dieser (
Brücke. Jn der Nacht zum 14. April
ging ich wieder über die Brücke. Es
war ein geradezu grauenhaftes Wet- s
ter. Schneesturm und tiefste Dunkel- s
heit. Als ich ungefähr in der Mittel
der Brücke angelangt war, hörte ich ein s
leise tlingendes, rhythmisches Ge- z
räusch. Es tlana, als ob jemand mit ;
Stahl an Stein schlägt. Jch stand
still und horchte athemlos. Ungefähr
15 Minuten lang. Aber nichts regte
sich mehr, es herrschte Todtenstille.
Ich fand aus, daß ich mich auf dem
seitlichen Handtpfeiler der Brücke be
fand, der bereits auf dem Ufer stand.
Ich aina weiter und fragte sofort den
Posten an diesem Pfeiler, ob er dieses
Geräusch vernommen babe Er hatte
nichts gehört. Das war wahrscheinlich,
denn der Vseiler war hausboch Ich
aing wieder zurück und beugte mich
über das Geländer. Es war nichts zu
hören und zu sehen; —— nur der
Sturm heulte und trieb mir eisiaen
Schnee in das Gesicht. Jch hatte mich
nicht getäuscht; das wußte ich be
stimmt. Ich wußte auch, daß mein
Schicksal besieaelt sei, wenn die
Renstbriicke in die Luft slieaen würde.
Jch wartete voller Ungeduld auf-den
arauenden Moraen. Als die Dämme
rung auflam, ging ich von der Brücke
und beobachtete den Pseiler mit mei
nem Glas. Jch bemerkte, daß oben,
in Thurmhöbe, wo sich das Eisenwerk
mit den Steinen verbindet ein Bün
del laa. Und turie Zeit darauf be
weate sich dieses Bündel lanasam. —
Jch wußte genug. —--«Jch ließ meine
Leute mit Leitern und Stricken hin
untertlettern. Als sie zurücktamen,
brachten sie zwei Japaner, zwanzia
Pfund Dynamü, zwei Meißel und
zwei Häinmer mit. Ich sah mir die
beiden Kerle mit einem Gefühl an,
das ein Gesülil von Achtung und Mit
leid war. Wir hatt-en sie nach Recht
und Gesetz selbstverständlich zu erschie
ßen. Jch sraqte sie aus und erfuhr,
daß der eine sehr aut Deutsch sprach.
Dieser mußt-: mir erzählen, wie er
nach Ren-Ist aetommen war. Sie bat
ten sich beide an die Vusfer des letzten
Wagens eine-J Militärzuqes reklam
mert, —- kurs vor den Stationen ab
aesvrunaen, dann aesvartei. weiter
aeschlichen. « und kurz darauf sich
wieder unter den Waaen bis zur Ab
fabrt versteckt arbaltent —- Xch sraate
ihn, wie er das Dnnamit bätte trans
vortiren können ohne daß eH erploi
dirte. Er lachte, antwortete aber
nielit darauf. Sie waren in Rensk
des Nachts an Seiten anf den Pfeiler
geklettert nachdem sie Vorber alles
ausgelundsctastet hatte-n. Als wir sie
entdeckten, waren sie schon drei
Tage an der Arbeit. Ich fragte ibnt
»Wie aedarttet Jsbr denn tveqziikonis
men bei der Erptosion?« ——- Jsch werde
in meinem smnzen Leben die Antwort
nicht vergessen, die er mir mit rubizfler
Miene gab: »Meine Bruder nnd ich
nicht wegkommen, mit in Lust gehen!«
Kann man sich größeren Helden
miitb denken? —- Jch wartete mit der
Vollstrectung des Urtheils noch meh
rere Tage. Der eine, Namens Nishi,
bat mich darum. Er schrieb einen fa
nanischen Abschiedsbrief an seine Ge
liebte in sit'okio nnd einen Brief an ei- s
nen deutschen Herrn. Dann schinitztel
er noch ein kleines Schiff nnd über
gab mir alles zur Besorauna. lfr
nannte trir eine Adresse in Berlin die
ich mir notirte, nnd an die ich später
das Boot nnd den Brief sandte. —
Dser Tar, an dem diese beiden Bur
schen. die ich achten nnd ebren mußte-,
zur Richtstätte geführt wurden war
nsohl der schwerste meines Lebens-.
Der Krieg ist ja nransam, » aber
dieser Tag war einfach schrecklich. Sie
hatten irgendwo ein paar weier Klei
der ausgetrieben, in denen sie wie
Kinder aussaben Als der Seraeant
sie Vorsiihrte, brachte er einen in Seide
gestiaten Plan der sibirischen Eisen
bahn mit, den man bei einem der
beiden gesunden hatte. Rensk war
daran mit einem rothen Kreuz be
zeichnet. Ich sah sie beide an, aber
keiner zuckte mit einer Wimper. Der
eine von ihnen sagte: ,,Viele genug
solche Karten, um Ruszland zu fin
den!« — Sie starben beide ruhig. —
Der eine sogar mit einem Lächeln.«
Der Ofsizier war zu Ende. Er
stand auf und ging zum Rande der
Terrasse. Sie können sich denken,
meine Herrschaften, mit welchen Ge
W
fühlen ich dieser Erzählung gelauscht
habe. Ich ging auch wortloö fort.
EErst am andern Tage zeigte ich dem
Offizier den Brief Nishiö: Er war
natürlich uber das Spiel des Zufalls
höchst erstaunt und in treuem Geden
. ken an einen braven Todten weihten
Hmir dem gemeinschaftlichen Freunde
s ein stille-J Glas. ·
W
Ein Roman aus dem Leben.
Anläßlich des Auftretens derSchul
reiterin Adrienne de» Holstein in dem
in Keil gastirenden Cirkus Beletow
wird den »K. N. N.,, aus Heligenhafen
geschrieben: ,,Vor wenigstens zehn
Jahren erregte unser Fischerftädtchen
Hdie Nachricht, daß eine Tochter des
Fischer-Z Adrian bei Nacht und Nebel
das Vaterhaus verlassen habe und
spurlos verschwunden sei» Jch kannte
das Mädchen und wußte, daß es gern
die kleinen Atrobatentruppen, die sich
alljährlich hier sehen ließen, besuchte
und» auch fiir Theatervorstellungen
ungewöhnliches Jntereffe zeigte. Das
behagte aber dem Vater nicht, der auf
diesen ,,.Kram« verächtlich herabfah.
Infolgedessen blieb Zank und Streit
nicht aus-, bis auf einmal die junge
Adrian Heimath und Vaterhaus ver
ließ. Lange hörte man nichts von
ihr; wie dies immer so zu sein pflegt,
wollte diefer und jener sie gelegentlich
aus einer Reise in einer groß-en
Stadt gesehen haben. Doch war das
alles wohl müßiges Gerede. Erst nach
zwei Jahren lief ein Brief von ihr bei
ihren Familienangehörigen ein, worin
sie mittheilte, daß sie sich als Schul
reiterin in einem Cirkus ausgebildet
habe, und daß es ihr sehr gut ginge.
Bald konnte sie auch praktische Beweise
ihren Worten folgen lassen, indem sie
'größere Geldsummen nach Hause
sandte. Dann vergingen wieder ein
paar Jahre, in denen die Familie von
ihrer Tochter Nachrichten aus der
ganzen Welt empfing; als Fräulein
Adrian, die inzwischen den Künstler
namen Adrienne de Holstein ange
nommen hatte, in Kopenhagen oder
Hamburg austrat, besuchte sie ihr
kleines Gebiirtsstädtchen und führte
eine völlige Versöhnung mit Eltern
und Geschwistern herbei. Dem Vater
pachtete sie eine rentable Landstelle,
nach der er sich schon lange gesehnt
hatte, und der Schwester, einem un
aewöhnlich schönen, stimmbegabten
Mädchen, ermöglichte sie die Ausbil
dung als Sängerin in Berlin. Die
Schwester lernte in Berlin ein adeli
ger Dragonerleutnat kennen und lie
ben. Er mußte um die Tochter des
Fischer-s heirathen zu können, seine
siarriere ausgeben. Die Hochzeit fand
in unserem Orte vor zwei Jahren
statt. Jetzt lebt das Paar in Paris
seinen künstlerischen Neigungen. Der
frühere Offizier ist aus dem besten
Weae, sich als Maler einen Ruf zu
schaffen, und seine Frau unterstützt
und fördert ihn bei seinen Arbeiten.«
Glück und Unglück.
»Ihr meint, daß ich immer glücklich
gewesen bin!« erklärte schmunzelnd
der reiche Kaufmann Hamid im
Freunde-streife. ,,Glücl nnd Unglück
reichten sich stets brüderlich die Hände,
wie ich dies gleich beim Anfange mei
ner Laufbahn erfahren mußte. Da
mals war ich ar:n, jung und fröhlich,
und ich heirathete ein schönes Weib-«
»Da tratst Du also vollkommen
gliictlich?« unterbrach ihn Abdallah.
»Nicht ganz — denn dieses schöne
Weil-s hatte einen bösen Mund und
ein noch böseres Herz ——-«
»Das machte Dich gewiß sehr un
aliicklicli?«
l
»Nicht so sehr s— denn sie besaß
zweitausend Zechinen!«
»Zweitausend ZechinenZ Da konn
test Du sorglos leben!«
»Gewiß, wenn ich mir nicht Ka
meele dafiir einaehandelt hätte, die
flimmtlich von der Klauenseucbe da
hinaerasst wurden!«
»Für-wahr, ein schreckliches Pech!«
»Nicht so schrecklich, denn ich erzielte
siir die Häute mehr, als mich die le
benden Thiere aelostet haben!«
»Da konntest Du wirklich von Glück
sagen!«
»Mit nichten! Denn ich kaufte mir
für das aanze Geld ein schönes Haus,
welches beim großen Erdbeben, das
unsere Stadt heimsuchte, spurlos
Vom Erdboden verschwand!«
»Das war sicherlich das größte
Unaliick Deines Lebens?«
»Gewiß, doch aab es auch hier ein
Glück dabei: Mein böse-«- Weib be
fand sich im Hause drin!«
»Bei Ihre Homzeit in Ber
lin!«
Eine hiibfche Geschichte hat sich in
der Mark zuaetraaen. Der Kron
prinz fuhr dieser Taae mit drei Os
fixieren im Automobil dnreh das Ost
havelland. Jn der Nähe dies Dorfes
Maria brannte aus freiem Felde ge
aen Abend eine Strohmiete. Der
weithin sichtbare Fieuerschein hatte
auch den Kronprinzen veranlaßt. nä
her heranzukommen und das Auto
niobil zu verlassen. Ein Junge, der
mit anderen Dorfbewohnern in der
Nähe stand, erkannte aber den Kron
; Prinzen und machte seine Schulkame
raden aus ihn aufmerksam. Der
Kronprinz hatte dies bemerkt und
staate- den Knaben, woher er Ihn
kenne-, und der Junge antwortete treu
herzig: »Jet· habe Jhnen schon bei
Fehretbochzeit in Berlin zu sehen ge
neg .«
Nach den jüngsten Erfahrungen
kann man Zufriedenheit nicht von
Frieden ableiten.