Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, September 29, 1905, Sweiter Theil., Image 10

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    Yes-r Ring.
Kriminal - Roman von B. Elster.
th
1.Kapitel.
Freigesprochen wegen mangelnder
Veweifel —
Schwer fiel seine Stirn in die ge
ballten Fäuste, die sich mit dem Ellen
bogen aus den Tisch stüytem und so
saß er eine ganze Weile da in dem
fiillen einsamen Zimmer, dessen
Schweigen das eintönige Tiktat des
großen Regulators an der Wand über
dem Schreibtisch noch mehr hervor
hob, noch vertiefte, noch unheimlicher
machte. Von draußen fluthete der
goldene Sonnenschein des Herbstes
durch die offenen Fenster und umgab
die zusammengesuntene Gestalt des
Mannes wie mit einem Glorienschein,
wie mit einem durchsichtigen, aus gol
denen Sonnenstrahlen gewebten
Mantel.
Zuweilen vernahm man einen fer
nen Ton, wie das Klingen einerSense,
das Kliroen einer Kette oder den lan
gen Ruf eines Mannes, der die Pferde
zum Ziehen antreibt. Dann war Al
les wieder still-— lautlos still ———nur
die große Uhr titte unaufhaltsam
weiter ———tik —-—tak ——tit ——tat —
langsam und bedächtig, als wäre sie
sich ihrer Wichtigkeit, in diefer laut
losen Todtenstille das einzige gleich
fam lebende Wesen zu sein, bewußt.
Plötzlich ertönte aus der Ferne das
lustige Lachen und Kreischen junger
Mädchen; und der einsame Mann in
dem einsamen Zimmer fuhr empor
und starrte mit wilden Augen in dem
HZimmer umher, als habe das Lachen
ihm gegolten, als habe dieses lustige
Lachen und Kreischen ihn verhöhnen
wollen.
Konnten denn die Menschen noch
fröhlich sein und lachen nach diesen
letzten furchtbaren Wochen?! Konnte
denn der Sonnenschein noch so herr
lich strahlen — die Vögel noch so
munter zwitschern und hüpfen —der
himmel in solch tiefern Blau schim
mern —der grüne Wald —die gol
denen Felder — konnte denn die Welt
noch weiter bestehen, leben, athmen,
gätefreuen nach dieser schrecklichen
Der einsame Mann stand auf und
fah sich wie erstaunt um. War das
wirklich das alte Landbaus, in dem
feine Eltern schon gewohnt? War
das wirklich der Hof mit den strohge
deckten Scheunen und Viebställen, dem
bolpriaen Pflaster, dem alterthümli
chen Thorweg, der alten Platanen
Allee und dem fchattigen Garten, in
dem er als Knabe mit seinem Bru
der, der nun da draußen auf dem
Friedhof der kleinen Dokftirche
fchlummerte —todt —erfchlagen von
MörderbanM —
Der Mann fchanderte ufammen·
Dann strich er mit der and über
Stfirn und Augen und athmete tief
an .
Jst-er war wieder daheim! Das
war fein altes Wendessen, die Hei
matb seiner Jugend, die Heimatl) fei
ner Mannes-jahre, die alte Heimath,
dieer in schwerer Arbeit zu erhalten«
Ia befestigen bestrebt geewfen war, die
er geliebt hatte mit der ganzen Kraft
fein-es einfachen, ehrlichen Herzens!
Das war das alte Zimmer mit dem
einfachen Hausaerätb seiner Eltern!
Das der alte große Schreibtiich mit
»dem verblaßten Bild feiner Mutter
darauf —- das das alte Sovha mit
den steilen Lehnen — das der alte
Lehnstuhl neben dem Kachelofen, der
alte liebe Stuhl, in dem sein Vater
fanft zur ewigen Ruhe binüberge
schlummert, in dem et selbst fo oft Von
des Tages Müh und Arbeit ausaerubt
hatte —Alles —Alles war dasselbe.
das Alte, wie er es vor drei Monaten
verlassen —- nur er selbst war ein an
drer» geworden, feine Munterleit war
dahin, feine Kraft, sein Streben. leine
Arbeitslqu fein frisches. fröhliches
sWesen —alles, alles war dahin, und
er war heimaekehrt als ein vernichte
ter Mann aus dessen Stirn das Kains
seichen brannte, auf den die Menschen
mit Finaern wiesen und hinter dessen
Rücken sie slüsterten: er ist es doch
gewesen ——er hat seinen Bruder er
mordet. ..
Verzweiflungva ariss er sich in
die wirren Haare, die an den Schläfen
in diesen letzten Wochen grau gewor
den waren. Er mußte sich aufrafsen.
So gina es nicht weiter, sollte er nicht
wahnsinnig werden.
War er nicht freigesprochen? Hatten
die Geschworenen nicht ihren Spruch
auf »Nicht schuldig« abgegeben und
hatte daraufhin nicht der Gerichtshof
ihn steigesptocheni
Er lachte plötzlich hatt aus
Ja, da lockst Freigesvrochen wegen
mangelnde-: Beweise seiner Schuld!
Seine Unschuld hatte er nicht bewei
sen können. wie der Staatsanwalt
seine Schuld nicht beweisen konnte,
nnd die glänzende Rede seines Vet
tieidigeet hatte daraus die Geschwo
kånentzu dem »Nicht schuldig« be
nnn
« sitt der Verdacht blieb aus ihm
« Reden-Jst Verdacht seinen Bruder
Wdet zu halten« mn sich dessen
. seistan aneignen die »wen
hen nie-: und Juwelen, die wie
; W , MKmdens sitt-sättigen Sdie in
- ; ne m n Inaea -
is W stärkst-ten Saphir-! g
, s
, Man hatte nichts gefunden ——nicht
einen Diamanten —- nicht einen der
werthvollen Steine —- nichts —- nichts
von dem Reichthum seines ermordeten
Bruders hatte man bei ihm gefunden,
und dennoch hatte man ihn angellagt
» und hatte ihn fast verurtheilt und ihn
inur freigesprochen, weil der Staats
Ianwalt keine genügenden Beweise fin
sden konnte.
l Nach dem Freispruch hatte er er
leichtert aufgeathmei. Stolz erhobenen
Ohauptes schritt er aus dem Gerichts
gebiiude —er war frei, er war un
schuldig. Als sich aber feine früheren
Freunde scheu vor ihm zurückzogen,
als sich ihm keine Hand entgegen
streckte, kein Glückwunsch. als der sei
nes kühl lächelnden Vertheidigers ihn
empfing, da legte es sich wie Zentner
laft auf sein Herz —er war ja nur
wegen mangelnder Beweise freigespro
chen, der Verdacht blieb auf ihm lasten,
das Kainszeichen des Brudermordes
leuchtete nach wie vor auf seinerStirn.
Wie im Traum tehrteer nach sei
nem geliebten Wendeffen heim. Die
Ernte war gerade im Gange; er wollte
sich mit Eifer in die Arbeit stürzen,
aber als er den finsteren Blick seines
Verwalters bemerkte, die verlegean
Mienen seiner Arbeiter, die ihn nicht
mehr wie früher fröhlich bewillkomm
neten, sondern schweigend ihre Arbeit
verrichteten und aufzuathmen schie
nen, wenn er den Rücken gewandt, da
zuckte ihn die Verzweiflung und er
Vergrub sich in sein einsames im
mer, um nur keines Menschen nge
ficht mehr zu sehen.
Aber hier in dem einsamen Zimmer
ftürmten die furchtbaren Gedanken mit
um fo stärkerer Wuchi auf ihn ein,
und in quälender Selbsipein hätte-er
am liebsten zur Waffe gegriffen, um
seinem elenden Leben ein Ende zu
machen.
Aus seinem Brüten wurde er durch
ein Klopfen an der Thür aufgeschreckt.
Mit heiserer Stimme rief er Herein!
Die Thüt öffnete sich langsam. und
weit und eine schlanke Frauengestalt
in einem dunklen einfachen Kleide trat
in das Zimmer.
»Ab, Fräulein Wiillbrandt?! —
Was wollen Sie?" sragte er, den er
staunten Blick auf das ernste blasse
Gesicht des Mädchens haftend.
«Verzeihen Sie, Her-c Groller . . .
ich möchte mit Ihnen sprechen .. .«
Das Fräulein erhob wie abwehrend
die Hand und ihr Gesicht ward noch
bleicher.
Sein Auge blieb wie sestgebannt an
ihrer erhabenen band haften, an der
der rothe Stein eines Ringes glühte,
wie ein Blutstropsen.
Nasch, wie erschreckt, ließ das Mäd
chen die Hand sinten und legte sie aus
den Rücken
,.Was haben Sie mir. zu sagen?«
suhr er rauh heraus. .
» Da sah sie ihn mit einem sinsteten.
fast seindseligen Blick an und sagte
mit rauher Stimme: »Ich bitte um
meine Entlassung . . .«
Er lachte schrill aus. »Das war's?«
sagte er dann mit schneidendem Hohn.
»Ah, ganz recht, Sie wollen nicht mehr
in dem Dienst des Mannes bleiben,
der noch immer in Verdacht steht, sei
nen Bruder ermordet zu haben!«"
»Herr Groller . . .«
Eine dunkle Blutwelle oß iiber
ihrfGesicht und ihr graues· uge blitzte
au .
»Sagen Sie es doch nur!« rief er
höhnisch. ·
»Ich sage das nicht, herr Groller,«
entgegnete das Mädchen und schlug
die Augen nieder, so daß ihr Gesicht
den gewöhnlichen ruhigen, sast ver
steckten Ausdruck annahm. »Ich sag’
es nicht und ich glaube, ich habe einen
solchen Vorwurf nicht verdient . . .«
»Ah, Sie meinen, weil Sie zu mei
nen Gunsten ausgesaat haben. daß ich
an jenem Unglückgtage und in jener
Mondnacht den Hof und die-s- Haus
nicht verlassen hätte?«
» a, Herr Groller — das meine
»Na, Sie haben ja nur die Wahr
heit qesagt,« stieß er mürrisch hervor-.
»Aber ich kann Sie nicht halten —
wann wollen Sie geben«-«
»Am nächsten Ersten...«
»Mir-swär’s lieber, Sie gingen schon
morgen. Wer nicht bei uns bleiben
will, mag sofort geben«
»Mir ist es auch recht-«
»So will ich anen Jbr Zeugniß
schreiben. —- Setzen Sie sich.«
Eine kurze Handbewegung, dann
wandte er sich nach dein Schreibtisch
nnd suchte Papier heraus, um das
Zeugniß zu schreiben. .
Fräulein Wüllbrandt setzte sich je
dtch nicht. Hoch bis-b sie siehe-» jedes
Bewegung Grollerö mit dein Blick
ihrer scharfen Augen folgend.
Sie war eine eigenartige Erschei
nung- Schlant nnd doch kräftig ge
baut. ihr Gesicht von einer derben,
düsteren Schönheit die Nase scharf ge
schnitten, um die vollen Lippen ein
schwermüthiges Lächeln; die graue-is
Augen von fast schwarzen Brauen j
iiberwslbt, vie an der No enwurzel zu
sammensinken die bla Stirn uni
geben von einer itvpigen rsthiichsbtow
den hanrnicsr. die nur widerwilli?
vierävie einfw Iris-r geban
Ist
ich
(
Sie stand nicht mehr tn der ersten
Jugend nnd mochte wohl drei ig
Jahre zählen. Ohne gerade eincScls n
heitzu fein, mußte sie doch aufs-allem
Gewöhnlich ruhig und geiaisen,
brach doch zuweilen die verhalten
Gluth einer wilden Leidens st her
vor, vor der die Mit de und elbft dtk
Knechte des Gutes ch scheu ducktern
Als Groller aufstund, senkte das
Mädchen die Augen und stand stumm
und still da.
»So,« sagte er, ,,da ist Jhr Zeug
niß· Ich denke, Sie werden zufrieden
sein. Auch ich war die drei Jahre,
seitdem Sie bei mir Wirthschasterin
waren, durchaus mit Jhnen zufrieden.
Jch kann es nicht anders sagen —
und —und während —meiner Ab
wesenheit haben Sie den Haushalt gut
besorgt. Was beabsichtigen Sie jetzt
zu beginnen? Haben Sie eine andere
Stelle?«
»Nein, Herr Groller... ich weiß
noch nicht . . .«
»Na, mir kann es ja auch einerlei
sein. Jch werde schon ohne Sie aus«
kommen. Weiß auch nicht, ob ich hier
bleibe. Adieu... hier Jhr Zeugniß
für Fräulein Bettha Wüllbrandt.«
Sie nahm das Papier-.
»Ich dante Ihnen, Herr Groller . .«
»Bitte. Adieu." "
»Herr Groller»· wollen Sie mit
nicht die Hand zum Abschied geben?'«
.Wozu? Meine Hand ist Ia doch
nicht mehr rein-— nach Jhrer Mei
nung . . .«
»Herr Groller!«
Es tlang wie ein Auffchluchzen —
wie ein Schrei, sodaß er erstaunt, er
schreckt fast sie anblicktr.
»Was haben Sie?«
»Ihr-e Hand. Herr Groller... ich
bitte Sie drum...«
»Wenn Ihnen so viel daran liegt
—- da haben Sie meine Hand.«
Mit leidenschaftlicher Hast ergriss
das Ntädchen seine Hand Und ehe et
es verhindern konnte, preßte sie ihre«
Lippen in glühendem Kuß darauf.
»Was thun Sie, Mädchen?«
Da sah sie ihn gron und ernft an.
»Ich wollte Jhnen beweisen, daß ich
nicht die Meinung der Menschen theile,
welche Sie eines Verbrechens für
fähig halten«
»Ich danke Ihnen. Aber —trotz
dem wollen Sie mich verlassen?«
b »Ich muß. —Jch darf-Acht blei
en.« . . .
»Sie dürfen nicht?!«
Sie schüttelte das Haupt.
»Wer verbietet es Jhnen2«
»Fragen Sie nicht, here Groller . . .
ich darf nicht bleiben· Haben Sie
Dank für Jhre Güte und leben Sie
wohl«. . .
Noch einmal erhob sie die Hand wie
zum Abschiedsgruß gegen ihn, und
immer wieder sah er den rothen Stein
wie einen Blutstropfen an ihrem
Finger leuchten
Er wollte sie zurückhalten. doch rasch
war sie aus dem Zimmer verschwun
den und hatte die Thüre fest hinter
sich zugezogen !
«Seltsames Frauenzimmer,« mur- ’
melte er. »Na meinetwegen mag sie
gehen, wohin sie will. Jch brauche jetzt «
niemanden mehr . . . niemanden.« . . .
Er trat an das Fenster und blickte
auf den sonnenbefchienenen hof mit
düfter zufammengezogenen Augen
brauen und feft zufammengetniffenen
Lippen.
Plötzlich überflog feine Wangen eine
dunkle Röthe. Ein herr in fchwarzem
Anzug iam über den Hof und grüßte
zu dem Einsamen herauf.
»Der Pfarrer!« flüsterte dieser.
»Natürlich — der « "« gehört zu
dem armen -Sünder,« fuhr er mit
einem bösen menschenfeindlichen Lä
cheln fort und fchritt dann dem Bed
fuch entgegen.
2.Kapitel.
Pfarrer ,Vollmar, ein würdiger,
weißhaariger Geistlicher mit gesund
getöthetern Antlitz, aus dein die gro
ßen, klaren, blauen Augen freundlich
und mild hervorfahen. begrüßte den
gutsbesitzer mit herzlichern Hand
ag. '
»Williom!nen wieder in der alten
Heimaib, mein lieber Ferdinand,«
sprach er mit bewegter Stimme· »Mei
nen Glüctwunfch baden Sie schon auf
fchriftlicheni Wege erhalten, jetzt will
ich denselben auch mündlich ausspre
chen und die herzlichsten Griifze von
meiner Frau und meinen Töchtern
bringen«
»Ich danke Ihnen," entgegnete
Groller mürrisch. «Wollen Sie eintre
ten — oder fürchten Sie, die Schwelle
einees gezeichneten Menschen zu betre
ten «
Das Gesicht des Pfarrers nahm
einen ernsten Ausdruck an. Er fol te
Groller rasch in das Zixnnier, blieb
dann vor dem jungen Mann stehen und
reichte ihm mit herzlicher Bewegung
beide Hände bin.
»Ferdinand Grollen-. Sohn meines
alten Freundeä,« sprach er mit seiner
tiefen, weichen Stimme, die jedem zum
Herzen drang, die schon manchen Un
alücklichen aufgerichtet und getröstet,
so manches starre, trotzige Herz zu in
niaer Reue bekehrte. «Ferdinand Grol
lerqSie haben Schweres ertra en
u dnich verstehe wenn Sie Bitter eit
im setzen empfinden. Aber Sie dür
fen nicht ungerecht gegen hte alten
Freunde sein, die nie an hnen ge
zweifelt haben. Sie dürfen nicht un
gerecht gegen die Welt sein« welche nach
dem äußeren Schein urtheilt, und vor
Allein, Sie Wen nicht mit dem all
giitigen nnd anweisen Gott bade-n,
der Ihnen diese Prüfung auferlegt·
Gottes Wege sind nicht unsere» We ,
nein lieber Sol-n —- wir wissen n ,
Eise-halb ek m diese dunkles-Schmet
izenswege führt, wir wissen nur, baß
Iet biete Wege zu unserem Deile ans
erwählt hat. Deshalb beugen wir
luns demüthig feinem Willen nnd hof
sssen auf ihn —- er wird’s wohl ma
lchen und uns zum Lichte siihren. Las
",sen Sie sich Ihre Seele nicht butch die
»schweten Prüfungen verbittern, glau
ben Sie an den allgiitigen, allweisen
sGott und thun Sie fröhlichen, hoffen
-t-en Herzens Ihre Pflicht. Wollen
Sie mir das versprechen, »Hei-binaan
»Jch tönnte es Ihnen versprechen,«
entgegnete Groller finster. »aber ich
bin nicht sicher, ob ich mein Verspre
kchen halten lönnte." «
»Mit Gottes Hülfe ist alles mög
lich, Fett-maan
»Es mag sein . . . aber die Menschen
machen es einem oft sehr schwer, die
besten Vmsätze auszuführen«
»Was haben Jhnen die Menschen
gethan?«
»Sie fragen noch, Herr Psarrer7«
suhr Ferdinand aus. »Nicht allein,
daß sie mich eines furchtbaren Ver
brechens angellagt haben, nicht allein, .
baß sie mich monatelang gequält und
gepeinigt haben. Daß sie in meinem
Leben gewählt haben, die verborgensten
Dinge an das grelle Tageslicht gezeett
haben, meinen Ruf, meine Ehre, meine
Selbstachtung vernichtet haben, um
mich mit bedauernbem Achselzucken
dem Leben, der Freiheit wiederzu
geben, nur weil sie mir die furchtbare
That nicht bis agfs Kleinste nachwei- »
sen konnten, verfolgen sie mich auch
jetzt noch mit ihrer Verachtung, ihrem
entehrenden Bett-achtf« »
»Sie thun den Menschen unrecht,
lieber Groller.«
»Ich glaube nicht«
»Diejenigen, welche Sie lennen,
werden stets an Sie glauben, und um
die anderen Menschen haben Sie sich
nicht zu tümmetn.'
»Diejenigen, die mich kennen?! —t
Nun, herr Pfarrer, fragen Sie doch:
meine Leute! Jch bin ihnen wahrlich ;
stets ein Freund gewesen, sie haben«
das auch anerkannt. Und jetzt? —;
Mehrere Knechte haben schon gelün-I
diat, alle anderen betrachten mich mit
Mißtrauen; mein Verwalter thut ver- ;
drossrn seinen Dienst, spricht mit mir -
nur das Allernothwendigste: bleibt«
nur, weil er sonst nicht weiß, wovon»
leben, und Fräulein Witllbrandt. die
seit drei Jahren meine Wirthschaft
führte. hat mich heute verlassen. Das
sind die Leute, die mich doch am Besten
kennen sollten!«
Er lachte neton aus und warf sich
in den alten Lehnstuhl, finster vor Ich
hinsiarrend.
»Wenn Fräulein Wüllbrandt M
ar
JDienst verlassen hat,« sagte der
rer ernst, »dann sehe ich darin iein
LUngliiei. Fräulein Wiillbrandt war
)
)
keine sympathische Person«
»Weslmlb nicht? Sie besorgte die !
Wirthschast musterhaft und ihre Aus- ;
sage hat mich gerettet "
»Daß sie die Wahrheit sagte, kann
ihr nicht als Verdienst angerechnet
werden. Aber, mein lieber Groller, des
Mädchens Charakter scheint mir den
noch nicht einwandfrei.«
«us welchem Grunde? Weil sie die
Kirche selten oder nie besuchte?«
»Nein, nicht aus diesem Grunde
obgleich ich natürlich jeden Menschen
betlage der sich des Trostes des gött
lichen Wortes begibt Jch habe einen
anderen Grund. « s
Können Sie ihn nicht nennen?«
,,,Nun da Fräulein Wiillbrandt Sie
verlassen hat, wo Jhr Bruder todt ist,
lann ich es sagen . .. ich hege seit län
gerer Zeit den Verdacht, daß Fräu
lein Wüllbrandt mit Ihrem armen
Bruder in Beziehungen stand.«...
»Ah!—-—Wie kommen Sie aus den
Gedanken?"
»Weil ich Fräulein Wüllbrandt mit
Ihrem Bruder einige Male aus einsa
men Waldwegen gesehen habe. Sie
ainaen Arm in Arm und sprachen sehr
eifrig mit einander, daß sie mich gar
nicht bemerkten.«
utSie haben davon nichts ausge
ag ." . . .
Entsetzung folgt-)
Die Grafen nan Buchenau
Roman von U. Z.
l »sp«
ils-. Fortsetzung nnd Schluß.)
Fünfundzwanzigstes Fia
vitel.
Noch eine volle Woche veritrich, bis
die Staatsanwalischaft die Entlas
sung des Grafen Bade von Buchenau
aus de: Untersuchunashaft verfügte.
Dietrich und der alte Graf erwarteten
ihn vor dem Thore des Gefängnisse-Z
mit einer Bediente Es war schwie
tia. in dem gebeugten, um ein Jahr
zehnt nealtetten, verwitterten ernsten
Mann den lebenslustigen Bruder
Leichtsinn von einit wiederzuerlennen.
»Veraessen nnd vergeben sei das
Veraanaene,« sagte Graf Buchenan
feierlich zu dem tief Erichütteeten nnd
schloß ilin in feine Arme. »Wie Beide
wollen miteinander ein neues Leben
beainnen.«
Schon am nächsten Tage reiste der
alte here in Bodas Begleitung nach
Schloß Buchenan zurück. Seine Ub
sicht war, Bedo in Kulunit bei sich zu
behalten nnd aus tinn einen tüchtigen
Landwirth zu machen, der einst selbst
Gndia die Bewitthschaituna des
Stammautes der Familie zu leiten
im Stande fein iniikbr.s
Kinzel nnd Pauline Menzel wur
den von Hamburg nach dein Unter
fnchnnasaefananiß in Moabit überge
fiihri. Einzel leate lich zwar anfangs
hartnsetia ans-s Lein-nen. aber die
)
Geständnisse feiner Mitschnldigeni
zwangen ihn, sich auch seinerseits end- s
lich zu einer offenen und wahrheitdsj
gemäßen Darstellung des Sachver
balts zu verstehen.
«Das überraschende Resultat,· das
eine nochmalige Haussuchung in .der
Lkakki"schen Wohnung ergab, hatte !
das Ehepaar veranlaßt, ein Bekennt
nisi ihrer Mitschuld abzulegen. Der
mit der Haussuchung beauftragte
Kriminaltommissiir hatte den guteni
Einfall aehabt, die Betten des Ehe-H
Paares einer aanz gründlichen Durch- :
fcrschuna zu unterziehen, under hatte
dabei die Holztheile der Betten achtsam
beklopr Da hatte sich denn ergeben,
daß der eine Bettvfosten ausgehöhlt
war, und nachdem der anfgeleimte
Kon abgenommen worden. hatte sich
in dem seltsamen Versteck ein kostbarer «
Inhalt vorgefunden· Drei Hundert- .
martfcheine fielen dem Beamten in die «
Hände und außerdem die Manschet
tentnöpfe des ermordeten Amerika
nersx von dem einen Knon war die
Perle her-ausgebrochen Eine Brillant
KrabattennadeL die später von den
Freunden des ermordeten Mr. Wat
fon als dessen Eigenthum reiognogzirt
wurde, oervollständigte den Fund.
Die hierdurch ihrer Mitschuld über
fiihrten Lipperi’schen Eheleute gaben
nunmehr an, daß Kinzel, ohne den an »
dem Ameritaner begonnenen Mord ;
einzuaestehem ihnen die Schmucknegem -
stände mit dem Bemerlen zur Aufbe- ;
wahrunn übergeben habe, daß diesel-I
ben bon ihm im Grunewald gesunden .
worden seien. An Baargeld habe er :
behauptet, achtzehnhundert Mart zu
besitzen, und von dieser Summe habe
er ihnen sechs-hundert Mark abaeaeben. !
Auch Kinzels Antheii und die Brief- E
tasche und die Uhr des Ermordeten!
seien bei ihnen in Verwckhruna gewe- I
sen, bis Kinzel Alles am Tage vor der «
Schwuraerichisverhandlung an sich ;
genommen habe. :
Der also in die Enae getriebene
Kinzel bequemie sich endlich zu folgen
dem offenen Gestiindniß: Es sei nicht
seine Absicht gewesen. den Amerilaner
zu ermorden, ja, er habe von der Ext- s
stenz Mr.Watsonö gar keine Ahnung
gehabt. Dagegen habe er aus den
Grasen Bodo aus Eifersucht einen un- .
auslöschlichem brennenden Haß ge
worfen, der ihm Tag und Nacht teine »
Ruhe gelassen und der ihn endlich zu
dem Vorhaben getrieben, seinen Ne
benbuhlek in der Gunst der schönen
Pauline zu tödten. Dabei sei ihm der
Gedanke gekommen, sich der Wasse sei
nes Rivalen, die er einmal gelegentlich
gesehen, bei der That zu bedienen, um
so den Anschein zu erwecken, der Gras
habe Selbstmord begangen. Daß der
Gras täglich Spazierritte im Grum
wald unternahm, habe er von Pauline
ersahren. Er habe also eines Abends
während eines Besuches seine Brautl
unter einem Vortvand aus dem Zim- ’
mer geschickt und den Revolver an sich
gebracht. Dann habe er am Montag. »
den elsten April, den Grasen im
Grunewald ausgelauert. Dabei sei er
Zeuge des Unsalls gewesen. der den
Ameritanet betroffen. Der Gras sei
im vollen Galopp davongesbrengt, so
daß an eine Verfolgung seinerseits
nicht zu denlen gewesen. Er —Kinzel
—— sei vielmehr, hinter einem Baum
versteckt, zurückgeblieben. und hier habe
er beobachtet wie der Ameritaner, der ’
sich aus demNasen niedergelassen habe,
ein Porteseuille aus der Tasche gezo
aen. demselben einen Hausen Vani
roten entnommen und die Scheine zu
zählen begonnen habe. Erst da. bei
dem Anblick des vielen Geldes, sei ihm
die Idee gekommen, den Amerilaner
zu ermorden und sieh des Geldes zu
bemächtian. um mit bülse desselben
seinen Wunsch. Pauline Menzel zu
heirathen, endlich zur Ausführung zu
? bringen.
Der Idee sei die That aus dem Fuße
gefolgt. Durch einen gut gezielten
Schuß habe er Mr. Watson getödtet
und ihn beraubt, und um sür alle
Fälle sicher zu gehen, habe er noch an
demselben Tage die Beweise seiner
Schuld zu seinem Freunde Lippert
getragen-s -
Den Alibibeweis, der seinerzeit den
Untersuchungsrichter veranlaßt hatte,
ihn sreizulassen und siir wirtlich
schuldlos zu halten, hatte Kinzel mit
vielem Rassinement zu Stande ge
bracht. Livvert sei zur selben Zeit wie
er ohne Arbeit gewesen, und da habe
er mit dem Freunde verabredet, daß
sie in Charlottenburg nach Arbeit fra
gen wollten, und unter dem Bor
wande, einander dabei nicht in den
Weg zu kommen, hatte er mit Lippert
die Straßen-vereinbart in denen er
selbst in und in denen Lippert um Ar
beit ansprechen ollte. Während aber
Lipvert dieser erabredung nachtam
und dieSchlossereien in der stummen
slkclßc, M Vck Mosmcllslkasc Und M
der Rirchhoisirasze besuchte, habe er —
Fiinzel ——— sich nach dem Grunewald
l-egeben, um dort seine Rachegelüste an
dem Grasen Bodv zu kühlen, ein Vor
haben, das dann aber nicht zur Aus
führung inm, sondern durch die Um
stände die für den Ameriianer Misier
Waisen so verhängniszwll gewordene
Umänderung ersnhr.
Einzel wurde vom Schwurgerichi
schuldig gesprochen und zum Tode
verurtheilt Pauline Menzel, der
nichi nachgewiesen werden konnte, daß
sie von Kinzeks Verbrechen gewußt
hatte, wurde wieder aus steien Fuß
geschi. Das Ehepaar Lipperi aber
erhielt wegen Hehlerei eine mehrjähs
rige Zuchthaussirgse.
Die-mal entsprang Bodos Vorsch,
ein anderer, ern besserer Mensch zu
werden, nicht, wie es sriiher gelegent
lich ver Fall gewesen, einer augenblick
lichen Gesiihligusmllung sondern
dem Gelübde, das er sich selbst und
seinem Vater gab· die Stunden der
Vergangenheit durch ein arbeitssolles
und ehren stes Leben wieder gut zu
machen, su te aus der tiefgehenden see
lischen Erschittterung die während der
monatelangen einsamen hast fein
ganzes Wesen bis in die ge etm ten
Fasern erfaßt und umgewandelt t.
Aus dem leichtsinnigen Jüngling, der
ohne Grundsätze, dem Vergnügen nach
jagend, in den Tag hineingelebt hatte,
war ein ernster, feines Zieleg sich de
wußter Mann geworden. Graf Ger
hard von Buchenau hatte nie zu be
reuen, daß er feinen harten, strengen
Sinn erweicht und dem Unglücklichem
schuldlos Leidenden Milde und Barm
herzigteit bewiesen hatte. Jhm war
an der Seite seines ältesten Sohnes-,
der sich zu einem geschickten, arbeits
sreudigen Landwirth entwickelte, ein
th et, friedeooller Lebensabend be
schie en.
Auch fiir den jüngeren Sohn, filr
den Rechtsanwalt Graf Dietrich Bu
chenau, führte das gegen Bodo an
hängig gemachte gerichtliche Verfahren
eine Wendung zum Guten herbei. Der
Prozeß, der in ganz Berlin das größte
Aufsehen erregte, bewirtte, daß der
Name des jungen Rechtsanwalts
schnell belannt und populär wurde
und daß die Zahl seiner Mandanten
sich in kurzer Frist oerdoppelte und
verdreifachte. Schon ein Jahr später
tonnte er seinen Wohnort von dem
Vorort halensee nach dem fashiona
blen Westen Berlins verlegen. wo er
heute als einer der gesuchteften und
erfolgreichsten Vertheidiger gilt.
(Ende.)
Japanische Costa-politis.
Ueber den japanischen Arbeiter ves
ösfentlicht Paul Louis in der »Hier-ne
Biene« eine sehr interessante Studie:
Das moderne Japan zählt schon
jetzt 400,000 Arbeiter in der Groß
industrie. Das ist unendlich wem
im Vergleich zu England, Frantreits
oder Italien, von dem viel stärler be
»Es-L
volrerten Deutschland und den Berei
niaien Staaten aar nicht zu reden.
aber es ist eine große Zahl, wenn man
erwägt, daß es vor 25 Jahren in Ja
pan nur einen ileinen Truvb Arbeiter
aab. Diese 4004000 Männer und
Frauen ieden Alters vertheilen sich
auf etwa 1400 Fabritenx die Durch
schnittsziifer fiir iedeFabrik betriit
120 Personen. Einige Fabriten las
sen sich jedoch mit den Webereien und
Spinnereien im Norden Belaiens, is
Lancasbire und in der Rheinprovi
dergleichen. Die Fabrik Kanefugas
in Totio besitzt 45,000 Spulen u
beschäftigt 3000 Anaeftelltex die Bd
seli Osaka-Gruppe 4000 Männer,
Frauen und Kinder, die Ciaarettep
fabrit Maurai in Kioto 5000 Arbei
ter. Die großen Continaente stellt die
Seidenfabritaiion (129,000), Spin
nerei und Weberei l113,000), Hütten
tunde l38,000). Maschinenbau (29,
000), aber man würde sich einen ganz
falschen Beariff von der wirthschafis
lieben Organisation Niooons machen,
wenn man den Großbetrieb von der
Heimarbeit trennte.
Jn keinem anderen Lande der Welt
spielt die Frau eine so wesentliche
Rolle im Wirthfchaftsleben Selbst
in Enaland, in Frankreich und Nuß
land bleibt ibr Antbeil an der Fabrik
arbeit verbiiltnifimäsiia niedriaer. Jn
Totia und Osaka tommt es manch
mal vor. daß sechs-: oder zehnmal so
viel Frauen als Männer beschäftigt
sind. Von den RGO Angestellten von
Kanesuaashi gehören 2700 dein
»lchloachen Geschlecht« an. Uebrigens
lind die Gesetze für den Schutz der
.Arbeiterin so wenig durchqreiiend.
dafk die Unternehmer die Arbeiterin
-iaft schrantenlos beschäftigen und
ausnutzen tönnen Gleich schlecht
Hstebt es mit dem Schutze der Kinder,
; und so bemerkt man überall im Lande
Ieine unerhörte Ueberbiieduna der Ju
! aend und der kleinen Kinder-. Um in
Europa abnliche Verbältni tse zu fin
den wie die, in denen das Proletariat
auf Nipdon lebt, müßte man aus die
Anfänae der großen Fabritinduftrie
in England zur Zeit von Pitt und
For oder in Frankreich zur Zeit von
Laffitte und Kaiimir Perier zurück
neben. Das erste soziale Gesetz wurde
im Jahre 1897 vorbereitet; bevor es
dem Parlament zur Genehmigung
voraeleat wurde, entfesselte es aber
einen Entrüstunassturm der Spinne
reibesitzer, die das Ministerium be
fchuldiaten. es wolle sie aanz verder
ben Schließlich tam es zu einem
Vergleich: man stimmte fiir eine zum
Spott berausfordernde Abfassun
die man noch nicht einmal in Kraft
setzte und die Jnsvektion wurde nie
Imalj wirt s.am
Zwei Besonderheiten tennzeichnen
die Organisation der japanischen
Großindustrie: einerseits überwiegt
die Nachtarbeit die Tagarbeit, und die
Arbeitaeber erklären, das Personal
selbst aiibe die Veranlassung dazu, da
die Fabrilriiume im Sommer frischer
und im Winter wärmet als die Woh
nungen wären. Andererseits hat jede
arosie Fabrit einen Schlossaal und
eine Speiiewirtbschast siir ihre Arbei
ter. Freilich sind diese Betten äußerst
primitiv, und die Betöitiauna ist säm
rnerlieh. Die Industriellen gewinnen
bei diesem System doppelt, da sie aus
die vertausten Nahrungsmittel eine
Abaabe erheben, und da sie die Ar
beitsteiiite leichter zurückhalten, die
ihnen sonst in irgend einem Auges
bliete sehlen könnten. Bei Keines-i
aasbi verlassen die Arbeiterinnen die
Kaserne. in der sie eingesperrt sind,
nur drei-· oder viermal wöchentlich,
bei Boseti sind sie nur von Sblss
Uhr Abends srei, und wehe denen. die
einige Minuten zu spätjorninern