Die Graer von Buchenim Roman von Jä. Z. (11. ForifetzungJ »Sei ruhig!« sagte er. »Ist glaube ichDir ja. Franziska, die keine Mi nute an Dir gezweifelt, hat Recht. Das kannst Du nicht begangen haben. Und nun fasseDichi Es wird mir ja gekingen, Deine Schuldlosigkeit zu be weisen. Der wirkliche Thäter wird gefaßt werden. Laß uns- einmal die Angelegenheit ruhig besprechen! Vor Allem sind es zwei Momente, die Dich schwer belassen. Erstens das Auffin den der Saphir-Kravattennadel bei Dir, die, wie einwandfreie Zeugen de kundet haben sollen, des Ameritaners Eigenthum gewesen —" »Er hat sie mir geschenkt« fiel Bodo eifrig ein und sah dem Bruder voll ins Auge. »Weil mir die Nadel immer so sehr gefallen hatte« hat et sie mir gegeben zum Andenken, denn im Frühjahr wollte Mister Watfon nach feiner Heimath zurückkehren.« »War Jemand zugegen, als er Dir das Geschenk machte?« Bodo stöhnte. »Niemand. Niemand kann es be zeugen. Es war bei Gelegenheit eines Spazierrittes. Ich ritt ja faft jeden Nachmittag mit Schülern nach dem Grunewald. An jenem Tage ritt ich mit Misier Waisen allein, es war nur wenige Tage vor dem verhängnisvol len Nachmittag.« «Und wie erklärft Du Dir, daß Dein Revolver unweit des Thatvrtes gefunden werden konnte?« fragt Dietrich weiter. Bodo griff sich mit einer Gebärde der Verzweiflung ins H ar. »Er muß mir gesto n worden sein,« stieß er hervor. »Natürlich. das glaubt mir ja Niemand« »Alfo es ift wirklich Dein Revol ver?« fragte Dietrich weiter. Bodo nicktr. »Er ist es Jch kann es nicht leug nen. Es ist der Revoloer, den mir Papa einst geschenkt hat und den ich immer in Ehren gehalten und den ich nie aus der Hand gegeben habe, so Jfckjilecht es mir auch zeitweise ergangen i .« »Du hast ihn also in Deine jetzige Wohnung mitgebracht?« »Ja. Das weiß ich ganz genau." »Und wo hast Du ihn aufbewahrt?« Der Gefragte griff sich an die; Stirn und schien aufgeregt nachzu denken. Mit einem Seufzer ließ erz endlich die Hand sinken. »Das weiß ich nicht. Jch tann mich abfolut nicht daran erinnern. Hatte iat ihn in den Schreibsetretiir gelegt, oder lag er noch im Koffer, oder hatte ich ihn vielleicht in die Kommode ge steckt-—- ich kann es wirklich nicht sag en« »Seit wann hast Du ihn denn vermißt?« »Erst feit dem Tage vor der Er mordung Mister Watfons." Ein leichtes Zacken flog über Diet rich’5 Züge. »Und warum haft Du gerade an diesem Tage tonftatirt daß Dir der Revoloer adhanden getommen wart« Bodo zögerte mit der Antwort. Er schlug die Augen vor den forschend auf ihn gerichteten Blicken seines Bru ders nieder und ließ den Kon auf die Brust linken. »Weil ich ihn gefucht hatte,« stam melte er. »Du hattest ihn gesucht? Verban dest Du irgend einen Zweck damit?« Er sah mit durchdringendem Blick zu dem Bruder hinüber. Der stand in seltsamer Bewegung. Eine glühende Milde flammte in seinem Gesicht. Die eine Hand preßte er gegen seine Au gen; sein Athem ging schwer und teu chend. »Nun, Bodo, warum antwortest Du mir nicht?« Ein Ruck ging durch den Körper des häftlings. Er ließ die Hand sinken. Verzweiflung Scham und Angst wühlten in feinen Mienen. »Man wird es mir ja nicht glau ben,« stieß er klagend hervor. »Was wird man Dir nicht glau hen'i« fragte Dietrich und sah befrem det u seinem Bruder hinüber. « aß—daß ich gerade an diesem Sage, an dem Tage vor der That, die tun mir zur Last legt, den Ent Entschluß gefaßt hatte. —" In ge stammelten, abgerissenen Sätzen waren die Worte herausgekommen; jetzt brach Der Sprechende plötzlich ab. .We1chen Entschluß denn, Bndo? So erkläre Dich doch deutlich! Wenn Du willst, daß ich Deine Vertkieidis cum-a übernehme, dann mußtTu mit nichts. auch nicht den geringsten Um stand verfchweigen.« »Ich-mein Gott« Dietrich, es ist wahr, so wahr ich unschuldig bin an der Ermordung Mister Watsons — Maske mich erschießen, wie damals in Schtpß Buchenau, Du etinnetsf Dich, vor Jahren. Ich war in so verzwei Mit-I Stimmung, ich schämte mich ;"·--. wieder Fu Dir zu kommen und zu , Akte-h während ich doch in der ganzen « nichts hatte von mit hören lassen Mulden fs vielen Leuten Geld, schönsten mich hart, dazu gekün M keine Zussiehh so bald MUSA a erlangen. Ich war muthlpj , Miste IW mehr ans noch ein. IMIM erschie- mie das Leben schal und widerlich. Und so beschloß ich ein Ende zu machen.« — ,,Und da suchteit Du Deinen Re volver?« Bodo nickte. »Ich suchte ihn überall und fand ihn nicht. Und ich rief Frau MenzeL meine Wir-thin, und fragte, ob sie nicht den Holzlasten gesehen, in dem ich den Revolver bewahrte. Aber Frau Menzel wußte von nichts.« »Und die Tochter Deiner Wir-i thin?« i Bodo senkte unwillhküriich vor ; Scham sein Gesicht. ; »Die hatte ja freilich den Kasten! mit dem Revolver gesehen, aber wo er nun geblieben war, wußte auch sie· nicht. Und da ich kein Geld hatte. mir eine andere Waffe zu tausen, so unterließ ich mein Vorhaben. Ueber baupt, die tleinmiitbige Stimmung war schon wieder versiegen, und ich faßte einen anderen Entschluß." «Einen anderen Entschluß?« »Ja. Ich faßte mir ein Herz und ging zu Mr.Watson.« Zu Mister W«atson?« »Ja. Jch bat ihn, oder mir nicht druben irgendwo eine passende Stel lung verschaffen könne« und ob er mich nicht mit hinübernebmen wolle.« aUnd Mister Watson'i« »Er sagte mit Freuden ja. Mein Gott« er war immer nett undliebenss würdig zu mir gewesen. Auch das Reisegeld wollte er siir mich auslegen und wegen meiner Anstellung wollte er mit seinem Vater sprechen« der große Farmen in Texas destrer »Und hast Du das Alles nicht dem Untersuchungs - Richter derichiet7« fragte Dietrich. mit Spannung die Antwort erwartend. Bodo seufzte. »Freilich,« antwortete er. »Aber er meinte, ich sollte ihm doch keine Mär chen erzählen« Auch Dietrich seufzte. »Deine Vertheidigung wird teine leichte Ausgabe sein,« demerlte er. »Wenn man nur einen Anhaltspunkt fände, von dem aus man nach dem Tbäter forsche könnte!« Und nachdem er eine Weile sinnend vor sich bin ge blickt hatte, nahm er seine Fragen wieder anf: »Wie verhält es sich mit den Bantnoteni Jst es wahr, daß der Ameritaner in Deinem Beisein einen Hundertrnartschein gewechselt bat. daß dabei noch mehrere Bantnoten in sei ner Briefiasche sichtbar wurden?« »Ja. Das verhält sich so· Jch scherzte noch darüber und sagte zu Mister Watson: Wer doch auch so wie Sie mit einem Vermögen in derTasche spazieren reiten iönntet —- »Well,« sagte er, »Sie werden in Amerika auch Millioan werden, Gras, wie· mein Vater, der auch einst als armer Teufel aus England herübertam.« »Und bat noch Jemand außer Dir die Banknoten gesehen?« »Nu: der Kellner.« Dietrich zuckte mit den Achseln. ; »Der kann doch unmöglich der Thä i ter gewesen sein.« ! »Ganz unmöglich«, pflichtete Bedo ibei. »denn wie lollte er in den Besitz lmeines Revoloers gelangt sein, mit dem doch, wie die Untersuchung er geben hat. der Mord vollführt wurde?« »Das ist es ja eben, das ist ei ja eben!« äußerte Dietrich und griff sich an die Stirn. »Die Frage ist, wer kann Dir den Revolver genommen haben? Hast Du denn gar keinen Verdacht?« »Keinen,« gestand der Häftling dumpf. »Hast Du denn nie Besuch gehabt?" »Ich erinnere mich nicht.« «Wohnte denn außer Dir noch ie mand bei Frau Menzel?« »Niemand.« «Oder verkehrten bei der Frau fremde Männer, etwa männliche Ver wandte?« Der Bäftling drehte feine Stirn zwischen seine beidenshiinde und stieß mit einem Anflug von mntvloser Vet zweiflung hervor: »Ich habe ia til-er diese Frage schon soviel nachgedacht. Aber ich erinnere mich nicht« je einem fremden Manne in der Wohnung mei ner Wirthin begegnet zu sein. Mir ist es rein räthselhait, wie der Mevower auc- rnemem Zimmer binauåaekommen fein kann. Und on diesem Rätbfel werde ich in Grunde gehen. Kein Wunder, wenn man mich für den Mörder hält. wenn ich es felbfi für unmöglich erklären muß, dieer dunklen Punkt aufzuhellen.« Da flammte es plötzlich wie ein Blitz in Dieirichs Augen und es schoß ihm wie ein Fenerfieom ins Gesicht »Aber die Wirtbin bat doch einen Sohn!« rief er und erfaßte in feiner heftigen innerlichen Bewegung Bot-es Arm Der Häfiling fah seinen Bruder erfiaunt em. »Einen Schni« »Jawohl!« Der Sprechende schlug fich mit der Hand auf die Stein. «Dafz ich nicht gleich daran dachte! Freilich, es ist wohl über einen Mo nat her. Als ich eines Abends bei Die war und Dich nicht traf, da tem ein Mensch aus Deinem Zimmer. u mir: Mein Vruderl Ja, das agie lie, fest erinnere ich mich ganz genauf Bedo machte ein sehr überrasch tes Gesicht nnd sah feinen Bruder zweifelnd an. «Jrrst Du Dich auch nicht, Dieii richi Von einein Sohn meiner "Wirthin habe ich nie gehöri. « »Alfo wohnt er nicht bei seiner Mutter? « »Nein. Das ift unmöglich. Son müßte ich ihn ja doch gesehen ha ben.« . Dieirich schüttelte mit dem Kon »Merlwürdiq«, murmelte er vor sich hin. «Höchst merkwürdig? » Und dann fuhr er lebhaft auf:. »Da ifi etwas nicht in Ordnung. Hier müssen wir einsehen. hier ha ben wir einen Anhaltspunki.« Er zog seine Uhr. Wichtige Ge schäftigieit kam plötzlich über ihn. »Hoffentlich treffe ich den Untersu chunggrichier noch. Adieu, Bodo!« Er legte dem Bruder feine bei Een Hände auf die Schulter und lickie ihm noch einmal tief in die Augen. »Sei guten Muthes! Wenn Du ein gutes Gewissen hast, hast Du lei nen Grund zu zagen. Deine Schuld losigkeii muß sich ja herausstellen.« Bodo schlug seine Arme um den Hals seines Bruders, und aus der Tiefe seines Herzens iam es heraus-: »Noch seinmah Dietrich, ich bin un schuldig, so wahr ich wünsche, Mama wäre noch am Leben, so wahr ich bit ter bereue, ihr je Kummer bereitet zu haben.« T Die Brüder hielten sich eine Weile Jsiumm umfaßt. Dann machte sich "Dieirich los, drückte Bodo noch einmal die Hand und ging. i im vix irr-check des W ist i i i i i Zwanzigstes Kapitel. Der Untersuchungsrichter hörte Dietrichs Bericht von der Untern dung mit seinem unschuldigen Bruder aufmerksam ari Der skeptisch lä chelnde Zug in seinem Gesicht, der überlegene Blick seiner Augen änderteJ sich auch nicht eine Selunde lang. j »Ihr Glaub-e an Ihren Bruder«, ’ sagte er, als Dietrich seine Mitthei-; lung bendet hatte, »ist schön und he greiflich, und als Mensch empfinde ich ! mit Ihnen und wünsche ich könntej mich von Ihnen überzeugen lassen l Aber Sie dürfen es dem Juristen ins mir nicht verargen, wenn ich Ihnen offen erkläre, das alles, was Sie mirx da berichet haben, erscheint mir we nig entlastend für Ihren Bruder.« »Aber der geheimnißvolle Sohn derE Frau Menzel!« wandte Dietrich eif- ; rig ein. »Warum diese merkwürdige Verleugnung meinem Bruder gegen-I chtf« l Des Untersuchungsrichters über legenes Lächeln prägte sich noch deut licher aus. - s »Mein Gott, dafür lassen sich doch wohl leicht Gründe finden. es Sohn kann ein Thunichtgut sein und ist deshalb von seiner Mutter ausi dF Wohnung verwiesen worden. Oder - e ist gar nicht ihr Sohn, sondern es steckt eine Liebesgeschichte dahinter Damen« — der sartastische Zug trat stärker in dem Mienenspiel des Spre chenden hervor —- »Damen vomSchlag der Pauline Menzel pflegen sich selten mit einem Verehrer zu hegnügen.« Der Untersuchungsrichter svkeizte seine Finger dozirend von einander. «Do nehmen wir einmal an,« fuhr er ««sort «der Mensch, dem Sie einmal in der Wohnung der Wittwe Menzel begegnet sind, sei in der That ein schlechtes Subjekt, dem die That zuzu trauen sei« nehmen wir feiner an, er habe sich den Revolver, der als der Ichres Bruders rekognoszirt worden ist, wirklich angeeignet: wie erklären Sie tich das merkwürdige Zusammen Htresien des vermeintlichen Mörders mit seinem Opfer-)- Ter Mensch hat den aeladenen tltevolver bei sich aehaht, hatte also dieAbsicht zu tödten. Wie konnte er wissen, daß der Anieritaner des Weges tommen würde? Woher wußte er, daß Mistee Watson auf dem Spazierritt eine Summe bei sich führte, die seine Mordlust herausfor derte? Und wie konnte der Mensch den Unalückssall mit dem aevlatzten Sat telaurt. der den Mord ja überhaupt erst ermöglichte, voraiisberechnen? Nein, ·nein, mein verehrter Herr Rechtsantvalt, Ihr Verdacht erscheint mir inhaltlos, abgesehen davon, daß ia noch die anderen Verdachtstnotnente vorhanden sind. die bei Ihrem Bru der aesundene KravattennadeL die als Eigenthum des ermordeten Mister Watson erkannt worden ist.« »Ich theilte Ihnen schon mit, Herr Landaerichtörotb. daß diese Nadel ein Geschenk des Ametilaners an mei nen Bruder war.« Der Untersuchunasrichter war zu höflich. um diesmal zu lächeln. Frei lich. ein ironischei Rucken der Mund winlet konnte er nicht aanz unter desickere »Ja, mein bester herr Rechtsan toalt,« erwiderte er, »das ist eine Auc saae JheeöBruders. Wenn ich auch als Mensch aeneiat wäre, ihm zu glauben. als Untersuchunaörichter darf ich ei ohne weiteres nicht. Welche Zeuan kann Ihr Bruder namhaft machen fiir feine Pedant-trank etne.« erwiderte Pietrtckt gepreßt, irrend ihm eine siedende httse aus stieg« Er hatte sich ia schon sodo Müder dahin auzaesproschm da die Vertheime eine außer-these · »I. ; schwierige sein wurde Allei- wat der Untersuchung-richtet da vorbrachte, hatte er sich ia bereits selbst gesagt. Dennoch besaekte ihn der Wunsch, sei nen Bruder zu vertheidigen, und, von seinem Eifer hingerissen. erwiderte er lebhaft: .Jch vertenne nicht die Schwierigkeit der Lage meines Bru ders. Sehr vieles spricht gegen ihn, und ich selbst war ia im ersten Au genblick versucht, an seine Schuld zu glauben. Aber nachdem ich ihn ge sehen und gesprochen habe. weiß ich, daß er schuldlos ist. Und wenn ich auch meine Ohnmacht fühle, Ihnen, Herr Landgerschtsrath, meine Ueber zeugung einzufliißem so will ich doch nichts unversucht lassen, um, wenn es zur Anklage kommen sollte, dieSchuld losigieit meines Bruders an den Tag i zu bringen und den wahren Schul-; digen der Gerechtigkeit zu iiherliefern. Jn dieser Beziehung bitte ich um Jhre 1 Mitwirkung, Herr Landgerichtsrath.« Der Untersuchungsrichter verneigte sich aus seinem Stuhl; sein Gesichtl zeigte die kalte, ernste Amtsmienr. »Ich werde meine Pflicht thun, Herr Rechtsanwalt. Jede Spur, die zur Aufklärung des heggngenen Verbre chens dienen tann, wird von mir ver folgt werden und sei sie auch noch so geringsiigig und aussichtslos.« Dietrich erhob sich. »So dars ich auch darauf rechnen, daß Sie auch meine Mittheilung be treffs des Sohnes der Wittwe Men iel nicht unberiiclsichtigt lassen?« »Sccherlich nicht, Herr Rechtsan walt. Der Mensch wird vorgeladen und von mir verhört werden. Von dem Ergebniß des Verhöts werde ich meine weiteren Maßnahmen gegen ihn abhängig machen.« Dietkich empfahl sich. froh. daii sich nun wenigstens eine Aussicht er össnete, die zur Entdeckung des wirklichen Mörders führen konnte. Jn seiner Wohnung wartete des Heimlehrenden eine ausregungsvolle Ueberraschung Der alte Graf war, ohne sich vorher angemeldet zu ha ben, aus Schloß Bucheau angekom men. Dietrich erschrak heftig, als ihm sein Vater gegenübertrat. Was hat ten die letzten Wochen aus dem alten Herrn gemacht! Ein Greis war er geworden, ein hinfälliger, - gebroche ner Greis. Die ehemals so traftvoll sich emporreckende Gestalt war förm lich in sich zusammengesunten. Die Schultern hingen weit vorniiber. Der Gang war schwerfällig geworden und unsicher. Er war das Bild einer Eiche, deren majestätischen Stamm einer vernichtender Blitzstrahl bis zu ihren Wurzeln erschüttert, deren stolze Krone er schonungslos zu Boden ge streckt hatte. Dietrich neigte sich, um die hand seines Vaters zu küssen. Der alte herr aber zog ihn an seine Brust und tiißte ihn auf beide Wangen. »Die Schande!« stöhnte er. »Die Schande!« Und mit müder schleppen der Stimme siigte er hinzu: »Du tommst aus dem Untersuchungs-Ge sängniß?« Ein sichtbarer Schauder lief durch seinen Körper und man sah seinen gramgesurchten Mienen an und hörte es aus dem Ton seiner Frage, wie schwer es ihm wurde, das unglückse lige Wort, das fo viel Leid, so viel schwere Verschuldung und so viel Schmach bedeutete. ausgezusprechen. »Ja, ich tomme aus dem Untersu chungsgesiingniß,« anwortete Dietrich und hob sein Gesicht zu seinem Vater, »und ich bringe die Ueberzeugung mit ;heim, Papa« daß Bodo schuldlos lei kdet.« ’ Ader der alte Herr nickte nur trüb. i 1 i l »Ich dante Dir,«' sagte er, »Du hast H Mitleid mit mir und willst mich tro sten, wie es Franziska schon bereits versucht hat, aber ich habe leider schon zu schlechte Erfahrungen mit dem« —«— : das Auge, das schon erloschen zu ieth schien, sprühte plötzlich In—leidenschaft- s lichem Zorn —-— »dem menoen - macht, als das-, ich ihm nicht auch noch dieses zutrauen sollte.« Tietrich ergriff die Hand seines Va ters und sagte energisch: »Du itrst. Papa, meine Absicht ist nicht, Dich zu täuschen. Jch schwört Dir bei Allem, was mir heilig ist, dasz ich ehrlich an seine Schuldlosigteit glaube. Jch habe seine juristische Vertheidigung über nommen, und ich würde das nicht thun, wenn ich ihn im Verdacht hoben müßte, schuldig zu fein.·' Der alte Graf blickte lange in seines Sohnes Gesicht. das im Wiedeeschein aufeichtiaen. freudian Gefühls strahlte. Die zitternde Hand des Greises preßte die des Sohnes mit tramdfbaftem Druck. Dann ließ et sich schwach. von seiner Gemütss beweauna übermannt, in den ihm zu nächst stehenden Stuhl sinken. Ein erlösendes Aufaihmen kam von seiner Brust. »Du nimmst eine schwere, schwere Last von mir, Dietrich,« sagte er. und seine tnochigen hände, auf denen die Adern dick lagen, in einander schlin aend, stöhnte er aus tiefster Seele ..Hiittest Du doch Rechts —-—Futcht bar bade ich aelittent Seit drei Tagen ist kein Schlaf in meine Augen gekom men. Nacht fiie Nacht bin ich in mei nem Zimmer umheraetoandert und habe mir Brust und Stirn geschlagen, unter auiilenden Selbstvorwiiefen. Hätte ich ihn doch nicht hinausge stosient Wuste·ich doch. wie schwach er wen-, wie wema Halt er hatte. Wäre es nicht meine Pflicht gewesen, ihn bei mie zu behalten. ihn mit siartee Dank zu siicmn und auf einen bese W ren Wen zu leiteni Bin ich nicht mit tchuldiai« Der alte Herr fchlu seine zittern dendiinde vor das Ge cht, nnd feiner Btnft entrang sich ein kampfban aualvolles Auftchluchzew Auf's Tiefste erschüttert tankDiet rich vor dem weinenden Greise in die Kniee .Quiile Dich doch nicht« Papa!« bat er. »Du hast Dir keine Vorwürfe zu machen. Bodo hat es nicht gethan. Es wird sich ja herausstellem daß er die ihm zur Last aelegte That nicht begangen hat« Graf Buchenau ließ feine hände sinken. »Dietrich,« sagte er feierlich, und seine Stimme klang wieder fest und bestimmt, »wenn tnir das erspart bliebe, wenn das Schwere von mir ge nommen würde, wenn Bodo ohne Makel aus dieser furchtbaren Anklage hervorgeht, dann —- das schwöre ich Dir bei dem Andenken Eurer Mutter —- dann will ich ihm all das Uebrige verzeihen, das er mir angethan hat, dann. will ich ihm noch einmal die band reichen.« Der alte Herr erhob sich und zog seinen Sohn mit sich in die Höhe. »Und nun komme, berichte mir aus führlich, damit ich glauben kann, was ich ia so gern glauben möchte.« Dietrich hatte eben erft angefangen, seinem Vater den Verlauf seiner Un terredung mit Bodo zu schildern, als here von Gliimer-Rottenfeld eintrat. Er schien nicht überrascht, sich seinem Schwiegervater gegenüber zu sehen. »Du kommst vermuthlich in dersel ben Sache«. sagte er, den alten Herrn höflich grüßend, »die mich veranlaßt hat, Dietrich aufzuiuchen Da können wir ia aleich Familienrath halten« Der Kammerherr war in einen del len, modefarbiaen Frühjahr-Büber zieher artleidet. Der ganze äußere Mensch war wie immer tadellos. Mit seinen vrall sitzenden hellen Hand schuhen, der modernen, breiten Kra vatte, der sorafiiltiaen Frisur und dein lunstvoll mittelst Brenneisen und Schnurxrbartbinde emporgereckten Schnurrbart hätte er getrost als Mo-" dell für das Bild eines eleganten Mo deiournais dienen können. »Du stehst angegriffen aus, Papa,« sagte er, seinen Schwiegervater erst» ietzt näher in Augenschein nehmend, nachdem er sich seines Paletots entle digt und nach seiner Gewohnheit seine beiden Taschenbiirsten in Thätigteit gesetzt hatte. »Auch mich hat die Sache scheußlich irritirt. Schauderhaft, so« gewissermaßen das Schwert des Da motles ewig über sich schweben zu sehen, in ieder Minute zittern zu müssen var der Entlassuna! Bis ietzt hat man mich ia noch gnädig geschaut. und vermutblich will man erst den Ausgang der Sache abwarten. Aber wenn erst der Urtheilsspruch erfolgt ist. dann freilich werde ich wohl sprin aen müssen.« Der Kammerherr ließ sein wohl frisirtes Haupt betiimmert auf die Brust sinken, seine Schuttern neigten sich vorniiber unter der Last des » schweren Schicksal-L das ihn bedrohte. Dietrich sab mit einem ironisch lä- s chelnden Blick zu seinem Vater hin über. uBeruhiae Dich.« nahm er das Wort. »Du wirst Deinem wichtigen Amte erhalten bleiben.« Der Kammerherr erhob rasch den Blick und sah erstaunt zu dem Spre chenden hinüber· «Erhalten? Wieso? Daran ist gar nicht zu denten. Du scheinst nicht zu wissen, wie empfindlich und diffizil man bei Hofe in solchen Dingen ist. Daß ich noch im Amte bleiben könnte, wenn der Bruder meiner Frau wegen Raubmordes zum To—'« Graf Buchenau machte eine so heftig aussahrende Bewegung, daß dem-kam merherrn das Wort in der Kehle stecken blieb. Auch Dietkich runzelte die Stirn, während er mit Nachdruct ver sicherte: «Bodo wird überhaupt nicht verurtheilt werden« Baron von GlitmersRottenfeld glickte verwundert von einem zum an ern. ,.Ueherhaupt nicht verurtheilt? llnd das saast Du als Jurist? Erlaube mal, ich habe die Details der Sache natürlich mit arößiem Interesse ver solat, denn mein eigenes Schicksal ist ja leider damit ena vertniivft. und da muß ich doch saaen, daß nicht der ne rinaste Zweifel mehr an Bodos Schuld und an seiner voranssichtlichen Ber urtheiluna bestehen tann.« »Es würde Deinem derwandtschast lichen Gesiihl und Deinem Herzen mehr Ehre machen," wars der alte Gras ein, »wenn Du zweifelst, wenig stens so lange, bis der Urtheilsspruch erfolat ist.« Der Kammerherr rüekte aus seinem Sessel und wars sich in die Brust, während er hitzia erwiderte: »Ja, Papa, es wäre doch aeradezu kindisch von mir, zu zweiselm wenn eine Sache so klar ist, wie diese· Es hat doch keinen Zweck, sich selbst zu täuschen. Ich meine, als Mann muß man doch den Dingen mit Fassung ins Gesicht sehen und seine Maßregeln treffen, urn zu retten, was noch zu retten ist. Und darum schlage ich vor, da sich ja doch nichts mehr vertuschen läßt und die Anaelegenheit in der Oeffentlich teit den üblichen Verlauf nehmen wird, dass wir in der Presse erklären lassen —die Nottz werde ich schon zu umzi ren wissen-Mast der Angeschuldigte längst von seiner Familie in Acht und Bann gethan und schon lange vor der That nicht mehr all sur Familie ge hsktg betrachtet worden ist, daß wir icht«·G·Wsck-ast mit ihm wett von unt weisen nnd daß er von uns längst . quasi den Schlag. der lonsi auch uns treffen würde.« Dein alten Gran stieg dunkle Zornesritthe ins Ge n,t und ftig mit seiner Rechten auf den Tisch chla gend, tiefer .Eine solche Ert rung wäre insam. Wenn wir alt seine nächsten Angehörigen den Angeschul digten, auf dem vorläufig doch nur l ein Verdacht ruht schon fett aufgeben iund ihn öffentlich gewissermaßen all schuldig bezeichnen würden noch de vor das Gericht gesprochen hat, so wäre das eine That des gemeinsten Egoismus und der schändlichsten nip ralischen Feigheit.« Herr von Gliimer-Rottenseld reckte« sich in den Schultern. ,,,Erlaude Papa, " sprudelte er ek regt hervor, »ich muß doch gegen Deine fstarlen Ausdrücke ganz ernstlich pro testiren« —— die shmmende Entrüstung des alten Herrn aber, dessen gebeugte lGestalt sich straff aufgerichtet hatte, wie einst in den Tagen feiner vollen J,Manneslraft und dessen Augen sprühten und blitzten, wie die eines leidenschaftlichen Jünglings, ließ sich nicht zügeln. »Protestire so viel Du willst, « er widerte er mit starker Entschiedenheit, ich habe nichtg zurückiunehmen son dern im Gegentheil, ich erkläre noch keinmal mit allem Nacht-weh daß es sichmachvoll und gewissenlos wäre, ; wenn wir als feine nächsten Verwand Y ten gegen einen Menschen öffentlich ; Stimmung machten. dessen Schuld losigleit nicht ausgeschlossen ist. Unsere YPflicht ist es vielmehr, ihm in dieser Eichwersten Zeit zur Seite zu stehen, ihm die Mittel zu gewähren, sich von dem schimpflichen Verdacht, unter dem esr vielleicht unschuldig leidet« zu reini gekichtet wurde. nur parte-u damit aen und ihn auch moralisch der Oes fentlichteit gegenüber zu stützen.« Und als der Kammerherr wieder eine Einwenduna versuchte, schnitt er ihm mit einer energischen Oandbewes auna das Wort ab. .Erspare Dir jede weitere Bemüh una,« sagte« er energisch. »Ich kann Dich nicht hindern, fiir Deinen Theil zu handeln, wie Du siir aut besindesi. Aber ich muß mir aus der anderm Seite jede weitere Einwirkung aus mich entschieden verbitten. Du wirst mich nicht abhalten, meine Pflicht zu thun, und die ist: meinen letzten Gro scken daranzusetzen an den Versuch, die Schuldlosiateit meines Sohnes, an die ich nun alaube, so vieler auch sonst gefehlt hat, an den Tag zu bringen Fortsetzung solgt.) W Das cechztg stimmten-Reich Ganz unbemerkt ist ein gewaltiges Ereigniß siir das Deutsche Reiskeins getreten. Ter sechziginillionste ent sche hat das Licht der Welt erblickt. Wann, wo und wie, das meidet leider tein heldenbuch· Wir wissen nur, schreibt die Rheinifch - Westsölische Zeitung, daß, wie etnTropsen ehließs lich den Becher bis zum Rande an stillt, irgendwo ein tleiner Antömms ling die sechzigste Million erfüllt hat und daß damit ein gewaltiges natio nales Ereigniß eingetreten ist. Deutschland ist ein nationaler Staat von sechzig Millionen Einwohnern ge worden. Tag zeigte mit wenig Wor ten das Laiserliche Statistische Amt Jan. Es hat die mittlere Bevölkerzæ ’des Jahres 1905 aus 60,164, Köpfe berechnet; hieran mag einiges unrichtig sein, jedensalls haben Ivit mit dem 1. Juli die sechzigste Milliss überschritten. Das Aufsteigen der deutschen Bos völterung ist bewundern-werth. Uns dem heutigen Reichsgediet hatten wir 1816 24,383,0t)(t, 1850 35,397,M Einwohner. Der Geschichtsschreihrr. welcher etwas tiefer sieht, weiß sehr wohl, daß der tiefste Grund der ge waltigen Expansion Frantreichs un-. ter Napoleon dem Umstande zu ver danken ist, daß Franlreich damals der bevölkerungsreichste Staat Europas war. 1870 stand das Verdöltniß zwischen Frantreich und Deut chland gleich. Beide hatten (ivir verwenden hier und in Zukunft nur runde Zah len) 381«.T- Millionen. Jndem wir Elsaß - sothringen etoberten, stiegen tvir aus 40 Millionen, Frankreitix siel aus 37 Millionen. Seitdem ha sich Frankreich langsam aus 39 Mil lionen Einwohner entwickelt, Deutsch land stieg jedoch von 40 Millionen aus 60 Millionen. Die 20 Millionen unserer Bevölke rungs unahme würden genügen, 10 neue rrneecorps auszustellen. Und diese körperliche und damit auch ei stige wirthschastliche Ueberlegen it sichert für dieses Jahrhundert unse rein Volke das Uebergetvicht in Eu ropa. Und diese-:- Teutsche Reich ist durch die ungeheure Vermehrung der Einwohnerzahl nicht witthschaftlk und gesellschastlich herunter dtit toorden, wie z. B. China, de en se völterun verarmt. Jtn Gesund-M dcis Me r von 20 Millionen M en ist bereitwilligst von der Jndu rie ausgenommen und oersorgt wor n. eOie Löhne und Einkommen sind seit 1870 nicht gesunken, sondern gewal tig gestiegen. Nicht nur mtlttärisch, sondern auch wirthschastlich erzwingt das deutsche Volk mit der Wucht ser ner Schtverkrast seinen Antheil an der Erde. Deutschland hat 540,000 Quadrattilometer Flächengebiey Großbritannien und Jrland 314,000. Deutschland hat 60 Millionen Ein wohner, Großdritannien 42 Millio nen. Was ist« da Wunder, dass Deutschland beginnt, mit seiner Jn bU » muchtvFll auswärts u streben un dasz es uberall als in usttiellek Nebenbubler Englands erscheint«