Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, August 11, 1905, Sweiter Theil., Image 9

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    vie Linde btahk
Die Linde blüht, —- eö reift das
Korn —
Dxr Dimmel strahlt im tiefen Blau-—
Des Sommers goldner Faden webt
Geschäftig sich um Flur und Au —
Die Welt iit wie von Li t durchtränlt,
Von Gold durchwiriet it ihr Kleid,
Und alles strahlt und winkt dir zu:
»'s ist Sommer-, goldne Sommers
zeitl«
Die Linde blüht, —- es reift das
Korn —
Dutchs Weltall zieht ein süßer
Traum, —
Wie warmer Odem weht’s dich an —
Und auch die Frucht prangt schon am
Baum, —
Der Himmel blau —— das Thal voll
Duft, —
Allüberall nur Licht und Freud’, —
Wo ist das Herz, das da nicht ruft
Frohlockend:—-,,Es ist Sommerszeit!«
«—-—
Regina Vereh.
Novellette von Carl Busse.
»Miidchen, Mädchen, was willst
du? Woraus wartest du? Jch verstehe
dich nicht!«
Die gute Mutter! Sie sagte das
jeden Tag mit dem ängstlich-besagten
Gesicht, in dem die halbe Frage stand,
wie sie zu dieser Tochter käme.
Nein. fie wollte nicht quälen! Nur
verstehen wollte sie. Regine war doch
etnundzwanzig Jahre. Jn diesem Al
ter hatte sie, die Mutter, schon ihr
weites Kind gewiegt. Es war ge
storben — wie lange schon! Man ver
gaß selbst, das schmale Grab mit
Kränzen zu schmücken.
Aber Negine verzog noch immer das
Gesicht, wenn man vom Heirathen
sprach. »Thuerei!« sagte die Mutter
zuerst. Da lehnte die Tochter den er
sten. den zweiten, den dritten Bewerber
ab. Das war schließlich doch mehr
als »Thuerei«. Sie forschte heimlich.
Gejubelt hätte sie, wenn sie irgend
etwas gesunden hätte: eine Tagebuch
Schwärmerei, irgendwelche Andenken
die von einer Herzensneigung redeten
Liebesbriefe —- ja, selbst Liebesbriefel
Sie hätte dann doch verstanden!
Aber nichts, garnichtsl Und Regine
war doch gewiß nicht lith; das ent
sprach ihrer Art nicht. Sie träumte
sich ohne Zweifel viel zurecht. Und
Mädchen, die träumen, sind nicht kalt
herzig.
Blieb noch die Möglichkeit einer un
glücklichen Liebe, einer heilig bewahr
ien. Aber Negine war durchaus nicht
unglücklich. Das hätte man merken
müssen. Und in wen hätte sich das
Isäiind auch verlieben sollen?· Ja wen
iitte —- —
Frau Sanitiitsrath Verch ließ mit
einem Male die Hände sinken, als
wäre sie ganz fassungslos.
Timm Jiirgens —! Titani, der
unechte Vetter! Auf das Nächste
kommt man wahrhaftig zuletzt.
Eine ungeheure Freude und Reg:
samkeit ergriff sie. Ordentlich ein
Dankbarkeitsgesiihl gegen Tiknm Jur
gens. Sie klammerte sich in ihren Ge
danlen förmlich an ihn. Er öffnete
ihr das Herz der Tochter wieder. Sie
verstand —- sie verstand endlich! . . .
Regine sah sie erstaunt an. wie sie
lustig und lieb zu ihr war, fcherzhafte
Anspielungen machte. lächelnd drohte.
Und die Mutter gab sich nicht damit
zufrieden. Daß Timm Jiirgens seine
»falsche« Cousine liebte, konnte ihr
nicht entgehen. Warum sollte man
dem lieben Jungen den Muth nicht
stärken? Es paßte alles so gut. Timm
war leidlich wohlhabend und hatte,
trohdem es sich ein Jahr lang als
Rechtsanwalt hier niedergelassen,
schon eine nicht geringe Prxais. Au
ßerdem war er wirklich brav und
hübsch und ——-— und —
Nun eben: passend in jeder Bezie
shungt
Die Frau Sanitätsrath stiirlte sei
nen Muth vorsichtig, aber mit Aus
dauer. Und vorgestern war er ange
ireten. Vor Verlegenheit etwas rosig.
doch eben deshalb wunderhiibsch Man
wußte bei ihm, dasz die Liebe groß
Mk.
—- -. p.
Vscgcstckn s-! Vclk vors-teuern
tappte Madame Verch, die sich alles so
klar und hell gedacht hatte, von Neuem
im Dunkel ess- im allertiessten Dunkel.
Denn Regine hatte abgelegt.
Tinim Jiirgens war sehr bleich,
aber nicht inuthlos. »Ich geb die
Hoffnung nicht auf«, saate er zur
Mutter. Maine wäre förmlich zu
sammengezuckt. »Mus; das immer das
Ende fein, Timm?« hätte sie gefragt.
Aber sie wäre dann sehr lieb und gü
tig gegen ihn gewesen. Er wäre ihr
noch am liebsten von allen, hätte sie
versichert. Und wenn sie sich über
haupt zum Heirathen entschließen
« iiinnte ——- aber das könne sie nun
einmal nicht.
Da hatte er ihr Bedenkzeit aufge
driingt. Jn dreiTagen wollte er wie
bertommen.
Sie aber hatte den Kon geschüttelt.
doch nach langem Bitten versprochen,
sie würde, falls sich ihre Gesinnung bis
dahin zu seinen Gunsten änderte, es
ihn wissen lassen.
Ihre Mutter sithlte eine Schwäche
in den Seinen.
Der Boden war ihr unter den Fit
ßen geschwunden Tini-n war ed auch
nicht — wer in aller Welt gab ihr
U
Yebraska
Staats-Anzeigrr Und Yerttllt
J. P. Winden-D Herausgeber Grund :kslattd.8.1iebt»I1.Attgusst190) ( 1Ztoettek Tltctl) Jahrgang-D No 50.
den Schlüssel für das Räihsel? Sie
entschlosz sich, mit ihrem Manne zu
reden.
»Als Regine Nachmittags in den
Garten wollte, rief ihr Vater sie an.
Er war, immer, in Eile.
»Hast du dich entschieden, Ginei«
Da lachte sie: »Fängst du auch an,
Papa?« «
Er schüttelte den grauen Kopf. »Ich
möchte nur . . . möchte nur . . . .
übrigens ist die Frau Pastor schwer
lrant. Ja, und dann: es ist nicht
gut, Gine, die Träume ins Leben zu
ziehen und das Leben in den Traum.
Die Träume sind fiir die Feierstun
den. Schlimm, schlimm, wenn man
ihretwegen dem Leben ausweichi. Ver
stehst du? Die Frau Pastor ist sehr
sehr iranl.«
Er nickte, war verlegen. trippelte
davon. Regine Verch schritt hastig
durch die kleine Pforte am Ende des
Gartens, schlug einen laum sichtbaren
Pfad durch Wiesen ein und stand bald
am Ufer des stillen Stromes, an dem
riiben die Stadt lag. Sie folgte
auch jetzt noch einem wenig deutlichen
Füßwege, bis sie zu einer Stelle lam,
wo Schilf und Röhricht ihr den Pfad
sperrte. Aber sie mußte wohl jeden
Fußbreit hier kennen. Ohne zu zö
gern, bog sie das Schilf auseinander.
Drinnen war ein schmaler Gang ge
treten.
Man sah sie jetzt weder von der
Stadt, noch vom Wasser und den
Wiesen. Rasch schlüpfte sie vorwärts-,
rauschend schlossen sich die Stauden
hinter ihr· Dann wurde es feucht,
aber da lag ein schmales Brett. Nun
balanzirte sie darauf dahin bis zu ei
nem alten Kahne, auf den sie sich setzte.
Es war ihr eigener Kahn. Aber ihr
Vater wünschte nicht, daß sie darauf
fuhr. Die Ruder fehlten. Und er
war so ins Schilf getrieben, daß so
leicht keines Menschen Auge ihn er
blicken konnte.
Das war Regine Berchs Lieblings
plah. Niemand wußte darum. Wenn
sie hier saß, konnte sie glauben, ein
grüner und gelber, ewig rauschender
Wald IMM- ,
Stundenlang hatte sie hier oft ge
weilt. Hatte mancherlei gedacht und
geträumt. Wie groß nnd weit die
Welt, wie furchtbar und gewaltig und
geheimniszvoll das Leben sei. Das;
iLeben, vor dem sie Furcht hatte nnd
Inach dem sie sich sehnte. O, es hingen
-zu viele Räthsel über die Ferne und
quiunstL
: Timm Jürgens . . . also der Timm
iwollty sie heirathen. Warum nicht? Er
iwar gut, hübsch. wacker. Sie hatte
ihn wirklich von allen am liebsten,
Fast lieb . . . Ja, wenn sie hier — so
ganz gesichert -— es sich überlegte, so
ionnt’ sie sich wohl denken, daß sie
gern seine Frau würde. Timm Jur
gens . . . es war der einzige der sun
gen Leute, den sie länger kannte, mit
dem sie als Kind schon manchmal ge
spielt hatte.
Und als er vor ihr gestanden, wa
rum hatte sie da nein gesagt? Warum
war es wie zitternde Furcht und weh
rende Scheu in ihr ausgestiegen? Das
war die seige Furcht, das seige Aus
weichen vor dem Leben. Jhr Vater
hatte recht.
Die Sonne brannte glühend heiß.
Regine Verch aber nahm noch den
hut ab, daß die Strahlen aus ihr
blondes Haar sielen und es erhitztew
Ja, dachte sie, ich will ja . . . ich
will! Und ihr Gesicht ward roth.
Sie sah vor sich hin.
Nein, nein, ich kann nicht! Das
ging wie ein Schlag durch ihren Kör
per.
Lange saß sie so, irn Innersten aus
gewählt.
Plötzlich- zuclte sie zusammen. Ein
Geräusch ward hörbar. Sie spähte
vorwärts —- aus den ruhigen Strom
hinaus! Nichts! Er war ganz unbe
lebt. Rein Kahn zu sehen, keine
Barte.
Aberdoch... da...
Langsam trieb ein Boot von der
Stadt her. Es war aber keins das
sie kannte. Darin stand, hochgewach
sen und schlank, ein Mann. Vielleicht
ein Jüngling noch. Sie sah ja nie
deutlich, sah stets durch grüne
Schleier.
Er stand aufrecht. mit unbedecktem
Haupt. Das Ruder schleifte nach.
Warum suhr er nicht weiter?
Ganz von Sonne durchglüht ward
das Mädchen. Sie athcnete kaum,
sie rührte sich nicht« sie horchte und
zitterte. Wie lange?
Und jetzt . . . durch den grünen
Schleier schimmert es weiß und
schlank —- und reckt sich und ver
schwindet. Da spriht das Wasser
hoch aus und schäumt und wird ge
schlagen.
«Nein,« saat Regine Buch zitternd,
—- ,,nein!" Sie will ausstehen, gehen.
sSie bleibt. Sie sieht ins Schilf und
zittert. Sie sieht auf den Strom nnd
izittert
Auf dem Strom liegt die Sonne.
Und gleichsam der Sonne entgegen,
Iheben sich aus dem Wasser leuchtend
Hund kräftig zwei Schultern, auf de
iren Feuchte die himmlischen Strahlen
Isich festsaugen. Und siegende, fluth
J bezwingende Arme theilen und beherr
ischen das heilige Element. Und je
Ydes Heben und Senten, Theilen und
qurijckdrängen ist wie ein Lobgesang
Jder herrlichen Freiheit, der Jugend
Hund der Kraft . .
l Regine Verch hat die Augen weit
geöffnet Die alte Angst duckt sich
;darin, wird stärker und späht vor
wärts.
Halb vorgebeugt sitzt das Mädchen
da. Und das leuchtende Weiß taucht
immer wieder aus den Fluthen, die
mit ihm spielen, die es wiegen, tra
gen, küssen.
Sie schließt die Augen, es flimmert
davor.
Langfam neigt sie sich zurück und
öffnet die Augen wieder. Jhre Blicke
hängen an dem Schilf. Das raunt
und wispert. Jhre Blicke suchen,
noch immer scheu, aber ohne die zit
ternde Angst, den Strom, in dem
junge Kraft ringt und siegt. Und ihr
ist mit einem Male, als ringe und
siege auch etwas in ihr, als befreie sich
etwas und steige heiß, selig entschlos
sen empor.
Jhr Gesicht brennt; das ist das
Blut, das ist die Sonne. Und im
mer von Neuem das Zittern, das sie
durchläuft und in dem sie wieder nur
die Augen schließt.
Da schäumt und plätschert es nä
her — purpurner wird die Dämme
rung, die vor den geschlossenen Augen
hängt
Ganz ruhig liegt jetzt das Wasser-.
Lange, lange Minuten. Dann zer
reißt ein Ruderschlag den blitzenden
Spiegel.
Regine Berch tann zuerst kaum se
hen. Ein paar purpurne Dämmer
wöllchen zerflattern noch vor dem in
die Augen brechenden Licht. Mit dem
letzten fährt der Mann — oder der
Jüngling -—— fährt Prinz Goldhaar
an ihr vorbei. Das Boot treibt jetzt
der Mitte zu —- hat sie erreicht —
geht langsam stromab.
Weit hat sich das Mädchen vorge
rectt. Sie fürchtet nicht zu fallen.
Aber sie sieht doch nicht das Gesicht
das ihr vorhin grüne Schleier und
purpurne Wölkchen verhingen. Es
ist ihr nun abgewandt, nach dem We
sten gerichtet.
Die Sonne neigt sich mehr und
mehr. Mit Noth und Gold über
gliiht sie die Wolken. Der ganze
westliche Himmel ift ein ungeheures
orangesarbenes Lichtmeer. Und der
Strom geht jetzt wie ein feurige-ZU
funlelndes, rothgoldenes Band, wie
eine Straße, die hineinführt in allen
Glanz des Himmels.
Unaufhaltsam fährt auf dieser
Straße, die in unirdischer Schönheit
erstrahlt, der Kahn dahin — der
Kahn, in dem die schlanke, sehnige
Mannesgestalt steht. Jmmer weiter
geht es in das große Leuchten hinein.
Das Boot ist nur noch ein Punkt . ..
wo ist es nun?...Da...nein».
Wie ein Traumprinz, ein König
sohn aus dem Märchen ist die Gestalt
in Licht und Schimmer verschwunden,
als sei sie hineingefahren in die seli
gen Thore des Himmels, die sich hin
ter ihr geschlossen hatten. Nur die
verzuckendr. alles iiberströniende roth
goldene Lichtfluth bleibt auch jetzt
noch.
Da biegt sich Regine Verch zurück.
Der Traumprinz ist vorbeigesahren
er wird ihr vorbeifahren in den
Feier-stunden, die das Leben ihr läßt.
Ein großes Dantbarteitsgefiihl folgt
ihm, dem Fremden, nie Getannten.
s Es schwillt etwas empor in ihr, mäch
l iiger als Furcht und Scheu, ein stür
mischer Muth, ein halbes Jauchzen.
Nicht dem Leben anstoeichen».
nicht dem Leben austveichen.«.
Regine Verch nimmt den Weq durch
Schilf und Wiesen zurück. Sie ist
träge, kaum daß sie gehen mag. Und
sie fühlt in sich doch eine Kraft .....
eine neue, siegende, heiße.
Bei den Rosen im Garten steht ihre
Mutter, das alte ängstliche Nicht- -Ver
stehen- Kdnnen im Blick
»Wie roth du bist, Gine!« saigt sie
Sie nickt. »Es ist sehr heiß.«
»Und vorhin . . . . vorhin ging
Timm vorbei der Arme als
ob er suchen und bitten wollt’. Jch
versteh dich nicht, Kind! Timmi
Timm Jiirgensi Jch hab ihm gesagt,
ich schick zu ihm, wenn du anderen
Sinnes bist. Du wolltest woll
test es doch vielleicht überlegen. Was
meinst hat«
—- It
Regine Berch athmete schneller.
Leuchtende Schultern tauchen noch
einmal aus sonniger Fluthz das
Schiff rauscht wieder, als ob es nahe
wäre. Stärker noch wirft sich das
Blut in ihr Antlitz. Rasch dreht sie
sich um, daß ihre Mutter die heiße
Röthe nicht bemerkt und biegt sich
herab zu einer rothen Stvckrofe.
Der ganze Garten steht selig und
sonnensatt in Abendschwiile; alle
Kronen und Kelche scheinen zu zittern
und in wilder Opferbereitschaft ihren
Duft zu verströmen. Die rothe Rose
die Regine gefaßt hat, sendet ihren sü
ßen Hauch zu ihr empor. Man meint
fast sehen zu können, wie die sammt
nenT Blüthenblätter sich weiter und
weiter öffnen und sich den lauen
schweren Lüsten preisgeben wollen.
»Was meinst du?«
Da knickt mit einem Male Regine
Berch die rothe zitternde Rose. Der
Dorn sticht; sie zuckt etwas. Noch
röther wird ihr Antlitz, und ihre
Brust hebt sich.
,,Laß ihn kommen, Mama!«
—-——-—-—-- —
Eine Mahlzeit wider Willen.
Von R. H.Davis.
Der junge von Bibber unterbrach
siir einen Tag seine Lebensgewohnhei
ten und kam nach der Stadt herein.
Diese ungewöhnliche Reise war die
Antwort aus einen Brief seinesRechts
anwaltes, der seiner Unterschrift für
verschiedene Papiere bedurfte. Fünf
Jahre waren vergangen, seit von Bib
ber nicht anders denn als Durchrei
sender auf den Bahnen oder Fährboo
ten hierher gekommen war. Und als
er durch den City Hall Square wan
delte, blickte er mit so lebhaftem Jn
teresse wie ein Neu-Ankömmling aus
die großen neuen Gebäude, die hier
ausragten, wie auf das Getriebe und
Gedränge in den Straßen.
Ihm gefiel eigentlich die Neuheit
der Situation, und nachdem er seine
Angelegenheiten bei dem Anwalt er
iddigi hatte, versuchte er den untern
Broaowah entlang zu schlendern.
Aber die Leute rannten ihn an und
Karren und Handwagen suchten ihn zu
überfahren, als er die Straße treuzte,
um in eine der Seitenstraßen einzu
biegen, und junge Leute aus seiner
Bekanntschaft, denen er begegnete,
schienen in solcher Eile und so über
rascht ihn hier zu treffen, daß er das
Gefühl hatte, er gehöre hier durchaus
nicht hin.
,,Hallo, van Bibber, was siihrt denn
Sie her?« begrüßte ihn einer der jun
gen Leute, die an ihm vorbeihasteten.
»Haben Sie sich verlaufen?«
»Scheint mir so«, sagte van Bibber.
»Wenn Sie mir giitigst sagen wollen,
wie ich zur Civilisation zurücktomn1e,
dann bin ich Jhnen sehr dankbar.«
,,Nehmen Sie die Hochbahn vom
Pakt Place«, sagt der andere über die
Schulter, nickte noch und tauchte in
der Menge unter.
Der Besucher von der oberen Stadt
hatte keine rechte Ahnung, wo wohl
PartPlace sein könnte, aber er wandte
sich nach der Kirchstraße und folgte
dem Zuge der Hochbahn. An der Ecke
der Veseystraße folgte ein erbärmlich
aussehendes, rothäugiges, schmutziges
Wesen seiner Spur und vertrat van
Bibber den Weg und bat ihn urn ein
paar Cents, um sich etwas zu essen zu
tausen. »Ich komme den weiten Weg
von Chicago«, sagte das Wesen, »und
ich habe seit 24 Stunden nicht geges
sen.«
Van Bibbee wich zurück, als litte
das Subjekt an einer ansteckenden
Krankheit, und reichte ihm einen Vier
teldollar, ohne die Segenswiinsche des
Mannes abzuwarten.
»Ur-mer Tenfel«, murmelte van
Bihber. »Wenn man sich vorstellt
daß et den ganzen Tag ohne Mittag-—
drot heruinlänft.« Er konnte sichs
aber nicht vorstellen, wie sehr er sich
auch mühte, und diese Unmöglichkeit
erregte ihn derart, daß er beschloß,
umzukehren und den Mann auszuspü
ren und ihm mehrGeld zu geben. Bau
Witwer Jdeen über ein Mittagbrot
waren ziemlich übertrieben. Er kann
te tein Lokal, wo ein Vierteldollar fiir
ein nettes Mahl ausreichte, inbegrif
fen ein Braten, drei Gemiise, Put
ding. Nach seinem Dafürhalten war
ein Bierteldollar kaum genügendes
Trinkgeld fiir den Kellner, der das
Mahl servikte, und entschieden doch
nicht auch austeichend fiir das Mahl
selbst. Erst sah er den Mann nicht,
und als er ihn erblickte, da sah der
Mann wieder ihn nicht. Ban Bibber
beobachtete. wie er drei here-en auf
hielt, zwei davon gaben ihm Geld;
nun trat der Mann abermals an van
Bibber heran und wiederholte seine
traurige Geschichte mit eintöniger
Stimme. Er erkannte van Bibber
augenscheinlich nicht wieder, und der
Igab ihm noch einen halben Dollar,
überzeugt, daß die inzwischen erwor
benen Gelder sür das Mittagsbrot
des Mannes ausreichen müßten, und
ging seiner Wege.
Aber dieses Umkehren hatte van
lBibber ganz verwirrt, und er ging um
sden ganzen Häuserblock herum, als er
!entdeckte, daß er sehlgegangen. Er
Istand wieder an derselben Stelle und
Ibliclte die Bahnreihe entlang, als die
inzwischen vertrauten Töne des Hun
gernden an sein Ohr schlugen.
Als van Bibber auf den Bettler zu
trat, sah dieser recht unbehaglich aus.
Er war sich nicht genau bewußt, ob er
diesen Herrn nicht schon einmal ange
sprochen habe. Aber van Bibber hatte
einen seinen Gedankens Er täuschte
das Subjekt, indem er mit der Hand
in die Tasche griff. ·
»Nichts zu essen seit vierundzwan
zig Stunden? Lieber Himmel!«
meinte der Elubmann voller Theil
nahme. »Haben Sie denn auch kein
Geld?«
,,Keinen Cent«, wimmerte der
Mann, »und mir ist ganz schwach vor
Hunger. Helsen Sie mir, gnädiger
Herr. Jch bettle so ungern. Mir liegt
nicht am Gelde, sondern gerade nur
am Essen. Jch verhungere, Herr.«
»Gut«, sagte van Bibber plötzlich,
»wenn Sie was zu essen haben möch
ten, so kommen Sie mit mir hier her
ein, und ich gebe Jhnen ein Früh
stück.«
Aber der Mann zögerte. Er wim
merte und klagte, Leute seinesgleichen
würden sie nicht in so ein seines Lo
kal hineinlassen.
»O doch«, sagte van Bibber und
musterte die aus-gehängte Sspeisekarte.
»Es scheint sehr billig. Beessteak zum
Beispiel für 15 Cents. Gehen Sie
hinein«, fügte er hinzu, und in seinem
Tone lag etwas, das den hungrigen
Mann veranlaßte, in das Speisehaus,
wenn auch widerwillig, einzutreten
Ban Btbver wollte es scheinen, als
wäre es ein seltsames Lokal, und die
Leute starrten ihn und seine Hand
schuhe und die Gardenie im Knopsloch
und den ihn begleitenden Vagabunden
ziemlich verwunert an.
»Sie wollen doch nicht zweimal
srithstiicken?« fragte einer der sehr en
ergisch aussehenden Kellner den Hun
gernden. Dieser sah verlegen aus,
und van Bibber, der neben seinem
Stuhl stand, lächelte triumphirend.
»Sie irren sich«, sagte er zu dem
Kellner. »Dieser Herr stirbt vor Hun
ger. Er hat seit vierundzwanzig
Stunden keinen Bissen iiber die Lip
pen gebracht. Geben Sie ihm, was er
verlangt.«
DasSubjett schaute mürrisch drein,
und der Kellner lächelte hinter seinem
Präsentirbrett und hatte die Unver
schämtheit, van Bibber verständnißvoll
zuzunicken, der sich davon eben noch
rechtzeitig erholte, um ihm einen hal
ben Dollar zu geben und ihn dadurch
zum Freunde auf Lebenszeit zu ge
winnen. Das Subjekt bestellte Milch,
aber van Bibber erhob Widerspruch
und bestellte zwei Beefsteaks mit Brat
!artoffeln, heiße Röllchen und zwei
Omelettec5. Kassee und gebrannten
Schinkenspeck.
»Mein Gott, was denken Sie, was
ich bin!« schrie der Mann in Ver
zweiflung.
»Hungrig«, sagte van Bibber sehr
mild, ,,oder sonst ein Betrüger. Und
Sie wissen, sollten Sie letzteres zufäl
klig sein, müßte ich Sie der Polizei
l überliefern.«
i Ban Bibber lehnte sich leicht gegen
jdie Mauer, las die Platate um sich
herum und schielte init einem Auge
nach dem Polizisten auf der anderen
.Seite der Straße. Das Subjekt er
stickte fast und fluchte bei seinem
Frühstück Augenscheinlich letam es
jihm nicht. Sobald der Mann
seine Gefühlspause machte, wies van
eBibber mit seinem Stock aus eine
noch ungeleerte Schüssel, und der
Hungernde machte sich nach einem hei
seren Protest daran, als wäre es Gift.
Die Leute ringsherum fingen zu
lachen an, und der Eigenthümer hin
ter seinem Pult lächelte finster.
»So,« sagte der Mann nun endlich.
»Ich habe soviel gegessen, wie ich kann,
genug fiir’s nächste Jahr. Sie denken«
Sie sind wunder wie schlau, nicht
wahr? Aber wenn Sie soviel fiir Ih
ren Spaß zahlen wollen, müssen Sie’s
wohl können. Nur lassen Sie sich von
mir nicht nach Dunkelwerden hier in
den Straßen kriegen, das rathe ich
Jhnen.«
Und das Subjekt ging, die Faust
schüttelnd, davon.
»Warten Sie noch mal einen Au
genblick,« gebot van Bibl-eh »Sie has «
benl ja noch fiir Jhr Frühstück be-«
zah t.« -
,,.Habe was?« brüllte der Mann.
,,Bezahlt? Wie kann ich denn hier be
zahlen? Sie haben mir ja gesagt,,ich
soll herein kommen und hier essen. ch
habe kein Frühstück verlangt. ie
müssen selbst für Jhren Spaß- bezah
len, oder man wirft Sie hinaus. Seien
Sie nur nicht zu schlau.«
»Ich habe Jhnen,« entgegnete Bib
ber langsam, ,,75 Cents für ein Früh
stück gegeben. Die Rechnung beträgt
80 Cents und ist erstaunlich billig,«
fügte er mit einer Verbeugung nach
dem dicken Eigenthümer hinzu. »Auch
andere Herren haben Jhnen auf Ihre
Behauptung hin, daß Sie hungrig.
seien, Geld gegeben, das Sie in Früh
stück anlegen sollten. Sie haben das
Geld bei sich. Nun bezahlen Sie also
sofort, oder ich rufe den Polizisten
herüber und sage ihm, was ichs weiß
und lasse Sie dahin bringen, wo Sie
hingehören.« «
»Erst verhaue ich Sie aber noch
gründlich-i« schrie der Mann wüthend.
Van Bibber wandte sich an den
Kellner. »Bitte, rufen Sie den Be
amten,« sagte er.
Der Kellner lief nach der Thür und
das Subjekt ebenfalls, aber der ge
wandte Kellner ergriff ihn beim Kra
gen und hielt ihn fest.
,,Lassen Sie mich los!« brüllte der
Mann. ,,Lassen Sie mich los, und
ich will zahlen!«
Nun traten alle die anderen Gäste
hinzu und schlossen einen Kreis um die
Gruppe und beobachteten, wie der
Mann 80 Cents in die Hand des Kell
ners einzählte, so daß ihm gerade noch
10 Cents verblieben.
»Sie haben das Trinkgeld für den
Kellner vergessen,« sagte van Bibber
und zeigte strenge auf das Geldstück.
»Nein, Sie werden doch nicht«-.
ftöhnte der Mann.
»O doch,« sagte pan Bibber, ,,thun
Sie, was sich gehört, oder ich —«
Der Mann ließ die Münze in des
Kellners Hand gleiten, und van Bib
ber ging lächelnd durch die ihn bewun
dernde Menge auf die Straße.
»Ich vermuthe,« sagte pan Bibber
dann später am Tage, als er sein
Abenteuer den Klubgenossen erzählte,
»daß der Bursche, nachdem ich gegan
gen war, versuchte, das Trinkgeld
vom Kellner zurückzubelommen, denn
ich sah ihn sehr plötzlich aus dem Gast
hause herauskommen, und zwar ohne
das Pflaster zu berühren, bis er auf
dem Rücken lag, den Kopf in der Gasse.
Ein ganz vorzüglicher Kellner.«
-——.--.—.—.-—
Schottische Abenteuretn
Auch der russische Kapitän Fersen,
der heldenmüthige Kommandant des
Kreuzers »Jzumrud«, welcher im Ge
gensatz zu so vielen seiner muthlosen
Kameraden in der Seeschlacht von Ko
rea ein Schiff in die Luft sprengte,
um es nicht in die Hände des Feindes
fallen zu lassen, stammt, wie so man
cher berühmt gewordene fremdländi
sche Offizier, aus dem schottischen
Hochlande. Er ist ein Abkömmling
des ,,Clans der Macphersons«, von
denen eine Anzahl sich in Schweden
niederließ· Sie legten dort das»Mac«
ihres Namens ab und nannten sich
einfach Ferson, das sich dann in das
standinavische Fersen abschleifte. Von
Schweden aus verbreitete sich die Fa
milie nach Rußland, wo sie bald Kar
riere machte, ihre Mitglieder in hohe
Staatsstellungen einrücken ah und in
den Adelsstand erhoben wurde. Der
berühmteste Sprößling dieses altfchiot
tischen Geschlechts ist der in französi
schen Diensten zum Feldmarschall auf
gestiegene Graf von Fersen gewesen,
der im Leben der Unglücklichen Köni
ain Marie Antoinette eine so hervor
ragende Rolle gespielt hat. Er war es,
der, als Kutscher verkleidet, das flüch- «
tende Königspaar nach Varennes fuhr.
Er kam später, nach feiner Rückkehr
nach Schweden, durch Mord um’s Le
ben. Er war —— unbegründet, wie sich
herausgestellt hat — beschuldigt wor
den, den schwedischen Thronfolger
durch Gift ans dem Wege geräumt zu
haben. Als er eines Tages eine Spa
zierfahrt in Stockholm machte, fiel der
Pöbel in sinnloser Wuth über ihn her
und riß ihn geradezu in Stücke.
Verändern Situation.
Gast: «Kellner, das Beessteak ist
wenigstens drei Wochen alt, es riecht
schon.«
Kellner: »O, Pardon, mein Herr,
ich habe mich geirrt und Ihnen Wild
gebracht.«
Gast: »Wild? Dann lassen Sie es
nur da! Hm! Schmectt ganz vorzüg
lich!«
Univerfelle Bildung.
»Hm, hin --— also eine vielfeitige
Bildung haben Sie aufzuweisen und
eingesperrt waren Sie doch auch schon
eininal?!«
»Ja, schaiin’s ich bin eben in allem
a bissel zu Haus!«
nehmt-umva
Kahn: »Mein Jsidor hat kürzlich ’n
Witz gemacht und ihn an ein Witzblatt
eingeschickt. Was sagen Sie fo’n Ho
norar. Ver Wort eine Mark hat er ge
kriegt.«
,,Levy: »Und mein Theodor, hat er
gesagt eine Grobheit einem Schutz
mann. Zehn Mark hat gekostet jedes
Wort.« —