Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, August 04, 1905, Sweiter Theil., Image 10
Die Graer iJcm Yuclgcnau Roman von K. Z. (7. FortseyungJ Ausathmend sprang er auf. Es war ihm ordentlich leicht ums Herz gewor den. Nun war ihm der Weg lar vor gezeichnet, den er einzuschlagen hatte, um Franziska Bömer zu rehabilitiren und ihren Ruf vor der Oeffentlichkeit wieder herzustellen. Sein Gesicht strahlte von einem besreienden, frohen Entschluß. und mit zitternden Händen kleidete er sich um. Ganz in seierliches Schwarz kleidete er sich, und ein Paar hegfasrbene Handschuhe legte er zu re t. Doch bevor er seine Wohnung Ver ließ, setzte er sich an den Schreibtisch, um nach kurzem Besinnen rasch ein paar Zeilen auf ein Blatt Papier zu werfen. Dann begab er sich aus die Straße hinab und bestie an der näch sien ltesielle eine Dro chie, um nach der brtherstraße zu fahren. Es war in ungewöhnlich früher Morgenstundr. Frau Börner haniirte in der Küche und war noch nicht in Empfangöioilettr. Daß Franziska, die den jungen Mann im »guten Zim mer« empfing, den Zeitungsbericht be reits gelesen hatte, sah er an ihrem verstörten Aussehen. Sie hatte heute ganz ge en ihre sonstige Gewohnheit etwas cheues, Besangenes in ihrem Wesen. »Berzeihen Sie,« sagte er, »daß- ich Jhnen, freilich in guter Absicht, so Lege Flusregung und Aerger bereitet Sie fiel ihm ins Wort. »Wir sind Ihnen Dank schuldig,« erwiderte sie, ihre Blicke vor ihm sen tend. —»Sie haben sich meiner Sache angenommen-« «Jn einer Weise,« fiel er mit einem sich selbst verspottenden Lächeln ein, s,die Sie nun erst recht bloßstellt. Ver-leihen Sie meine Ungeschicklichteit, meinen Uebereifer! Jch seheein, daß etwas geschehen muß, um üblen Fol gen meiner unüberlegten Handlungs tveise zu begegnen.« Er griff in seine Tasche, brachte das Blatt Papier, das er zu hause zu sich gesteckt hatte, zum Vorschein und reichte es ihr mit einem langen, aufleuchtenden Blick. »Ich bitte Sie um Erlaubniß. diese Zeilen an die Zeitungen zur Versendung bringen zu dürfen." Franziska nahm ahnungslos das Blatt, das Gras Dietrich entfaltet hatte, und las: »Seht geehrter Herr Redalteurt Gestatten Sie mir zu Ihrem heuti gen Bericht über einen gewissen Vor gang im Kontor der Firma Karl Wil helm L ermann die höfliche Bemer kung, da verschiedene Einzelheiten in threr Schilderung nicht der Wirklich keit entsprechen. Die von herrn Lega mann in Aussicht gestellte gerichtliche Verhandlung wird ja volle Klarheit darüber bringen. Jch möchte mir heute nur den Zusatz erlauben, daß ich zur Jnschutznahme der beleidigten jungen Dame nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet war, da ich die Fähre habe, der Verlobte derselben zu em. Hochachtungsvoll Graf Dietrich Buchenau, Kammergerichts-Referendar.« Das Blatt flatterte aus den zittern Ven Händen des jungen Mädchens zu Boden. Sie starrte den ihr Gegenüber stehenden aus schsreckensvoll weit geöff neten Augen an. Jhr Gesicht hatte alle Farbe verloren. Ohne eine Ah nung von den Empfindungen, die den jungen Mann beseelten, stammelte fie, während ihre Mienen Schmerz und beleidigtes Schamgefühl ausdrückten: »Das geht zu weit. Wenn es ja auch nicht so ernsthaft gemeint ist, son dern nur dazu dienen soll, den Ver leumdungen vorläufig zu ——« »Aber es ist mir ja ernst,« unter brach der Graf und sah mit strahlen den Augen zu ihr hinüber, »und es ge schieht ja nicht nur deswegen, um Ihnen vor der Oeffentlichkeit eine Ge nugthuung zu geben« Nein! Der Vor gang hat für mich nur dazu gedient, mit mir in’s Klare zu kommen und mir einzugestehen, was ich ja seit Lan xm dunkel empfunden habe, daß ich ie liebe, Fräulein Fran idta, ehrlich und aufrichtig, aus tief em Verzeih M ganzer Gele. Und ich frage Sie nun, können Sie meine Gefühle erwi dern, willigen Sie ein, mir dereinst . anzugehören, als mein süßes, geliebtes Weil-W Die Ueberraschte wurde noch um eine Niiance bleicher, und ihre Er schiitternna war so gewaltig, daß sie wankte nnd in den hinter ihr stehenden Sessel sank. Jhoe Hände vor itzt blasses, zuckendes Antlitz schlage , brach sie ist ein heftiaes Meinen aus. Graf Dieirich sank tiefbewegt vor he in die Kniee nieder und zog ihre ginde vom Gesicht und führte ihre nIr an seine Lippen. , einen Sie nicht« Franziska,« flii te er the mit bebender, zärtlicher c M zu. »Sie sollen nicht mehr Deinen, nein! Sie sollen glücklich sein tu weiser Liebe. Weilen Sie, Fran fes Aste seh sey-ihm heriiher mit seuchten Weh an ren Bin-gern noch helle Tropfen hingen. Unglauhiges Stau M mal-te sich in ihren Mienen. Sie Wes nicht fassen nnd nicht daran M- at das ais-he, htsknelische leiich an das sie wohl in ihren ge heimsten Träumen gedacht, das sie je doch nie für erreichbar gehalten. »Es ist ja nicht mö lich,« stammelte ;sre, noch immer zweifelnd, »es ist ja ’ nicht möglich! Jch bin ja doch ein un ’bedeutendes, armes Mädchen.« Dietrich lächelte voll Rührung und staunte leidenschaftlich zu ihr empor: ; »Du bist nicht arm, Du bist reich, IFranzisla, reich an Schönheit und i Anmuth, und an allen weiblichen Tu ; enden. Für mich bist Du das schön ; te, lieblrchste, liebenswertheste weib sliche Wesen in der ganzen Welt. Und ich werde mich als den glücklichsten al ler Sterblichen fühlen, wenn Du mir ; sagst. daß Du meine Liebe erwiderst, dasi Du mich liebst, wie ich Dich liebe.« Da legte sie überglücklich, ihre ver ziickten, vertliirten Blicke tief in die seinen senkend, ihre Hände aus seine Schultern und neigte sich zu ihm herab und ihre Lippen kamen den seinen ent gegen. Gerade in diesem Moment erschien Frau Börner, die rasch Toilette ac macht hatte, aus der Schwelle und blieb bei dem überraschenden Anblick er schreckt, wie erstarrt stehen. Graf Dietrich aber erhob sich. er griss Franzistas Hand und schritt mit ihr der Staunenden entgegen. »Sie sehen ein glückliches- Braut paar vor sich, gnädige Frau,« sagte er, Zdåst um Ihren mütterlich-n Segen i e .« Dreizehntes Kapitel. Die Erklärung des Grasen Buche nau, die am anderen Morgen in ver schiedenen Berliner Zeitungen er schien, erregte n den weitesten Kreisen Erstaunen und verwundertes stopf schütteln. Der Kammerherr Baron von Glit mer-Rottenfeld war so überrascht, daß ihm das Monocle, das er beim Zei tungölesen ausgesetzt hatte, beinahe in die Kasseetafse gefallen wäre. Er legte das Zettungsblatt auf den Tisch nie der, strich sich mit der Hand über die Augen und las die Notiz noch einmal. Dann schlug er mit der flachen Hand aus den Tisch und rief kopfschüttelnd: »Ja; träume ich denn oder hab’ ich meine süns Sinne nicht recht beisam men?« Und seiner neben ihm sitzenden Gattin das Zeitungsblatt reichend, fügte er hinzu: «Lies Du doch einmal, Erita!« Frau Baronin von Glümer-Rotten: seld that nach dem Willen ihres Gat ten. Auch in ihren Augen malte sich tiefstes Befremden, sassungslose Ent rüstung. ..Keitung5tlatschl« meinte sie end lich verächtlich. Aber der Kammerherr schättelte mit dem Kopfe. »Es steht ja doch sein Name darun ter; es ist doch nur der Abdruck eines von ihm versaßten Briefes. Eine so plumpe Fälschung würde die Zeitung ja doch nicht begehen. Und zu welchem Zwecke?« Baron von Glümer-Rottenseld faßte einen raschen Entschluß, den besten, den er fassen konnte, um sich von dem auf ihm tastenden, peinigenden Zwei fel zu befreien. Er kleidete sich zum Ausgehen an, ließ anspannen und suhr zu seinem Seht-vagen Er traf Dietrich in seiner Wohnung, als er sich gerade fertig machte, um sich nach dem Kam mergerichte zu begeben. Es war ein einfaches Zimmer m der Neuenburger straße, in der Nähe des Kammerge richti. »Hast Du noch ein paar Minuten Zeit für michs« fragte der Eintre tende, seinem Schwager forschend ins Gesicht schauend, um aus seinen Mie nen eine Widerlegung oder Bestäti gung der unerhörtes Zeitungsmeldung zu ergründen Dietrich fah nach feiner Uhr. ,,Eine Viertelstunde bleibt mir noch. die stelle ich Dir gern zur Verfügung.« Dem Kammerberrn war es schon zur zweiten Gewohnheit geworden, so bald er sein wohlgescheiteltes Haar entblößte, nacb seinen beiden Taschen bürsien zu greifen, daß er es auch jetzt trotz der spannenden Situation nicht zunterlafsen konnte. In dem reflelti : renden Glase sein holdes Spieaelbild ! betrachtend und eifrig mit den Bürsten ; bantirend, beaann er: : »Ich habe beute eine überraschende INotiz über Dich oder vielmehr von Dir gefunden und komme nun —« »Um mir Glück zu wünschen?« warf Dietricb mit einem stillen, ironischen Zacken der Mundwinkel ein. Der Kammerherr schnellte herum und schob mit eine-r beftgen Geberde ,- die Bürften in seine Tasche. »Der Brief ift doch nicht etwa au » thentisch?« · T Graf Dietrich verneigte sich leicht, , mit erbeucheltem Ernste. H .Böllia, lieber Tasfilo. Du siehst »ein-en glücklichen Bräutigam in mir.« Der Kammerberr riß beide Augen weit auf, so daß ihm das Monocle "entfiel. »Sage mal, Mensch,« rief er mit :ae·beutbelter Entrüftuna. »ravvelt’t ; denn bei Dir? Pardon! Aber ich faßte die Sache für eine Mystisikation oder dergleichen auf. Du wirft doch nicht xtm Ernst daran denken, Dich mit — mit einer Buchhalterin zu verloben?« s lDer Neferendar zuckte mit den Ach e n. »Ich bin fchon verlobt. Daran läßt sich nichts mehr ändern. Uebrigens, den Vater meiner Braut lennft Du ja." Der Sprechende- deutete durch das Fenster auf die vor der Thiir stehende Cauipage des Barons, »Das Koupee da hat mein künftiger Schwie gervater gebaut.'« »Du meinft doch nicht etwa den banterotten ehemaligen bewogen fabrilanten?« «Denfelben.« Der Kammerherr schlug feine bei den Hände zusammen und starrte sei nen Schwager mit fast ängstlichem Gesichtsausdrucl an, als befürchte er, derselbe befinde sich nicht im rechten Besitze feines Verstandes. »Ja, sage mal,« brach es aus ihm heraus, »was bringt Dich denn eigent lich auf diese ganz —- ganz unmög liche, ganz und gar unbegreifliche Idee? Das Mädchen ist arm und von niederer HertunsL Ja, warum willst Du sie denn eigentlich heirathen? Je der vernünftige Menfch hat doch einen Grund zu seiner Handlungsweife.« Graf Dietrich konnte sich eines Lächean nicht erwehren. »Ja, mein lieber Tassilo,« entgeg nete et. »Den habe ich ja auch, einen sehr triftigen.« »Na, da wäre ich doch wirklich be gierig ——« »Einfach, ich liebe Fräulein Bör ner.« Der Kammeryerr machte eine soe wegung der Geringschätzung und ge stattete sich ein kurze-Z Auflachen. »Du liebst? Mein lieber Dietrich, man heirathet doch nicht immer gleich, wenn man liebt.« Den jungen Grasen hatten die leb haften Protefte seines Schwagers bis her lediglich belustigt, jetzt aber run zelte er seine Stirn und seine Stimme klang sehr ernst und scharf, während er erwiderte: »Ich muß Dich doch btten, Tassilo, die Anaelegenheit etwas ernsthafter zu behandeln Jch liebe meine Braut und achte und verehre sie. Und wenn Du mich nicht ernstlich erzürnen willst, muß ich Dich doch bitten, diese meine Empfindungen zu respektiren und meine Verlobung als eine Thatiache anzusehen, an der nicht zu rühren und nicht zu deuteln ist.« Baron von Glümer-Rottenseld machte ein etwas verdutztes Gesicht zu dieser Erklärung. Dann zuckte er leicht mit den Achseln, und schließlich leate er seine-beiden Hände auf Dietrichs Schultern —- driirtte ihn sanft auf den neben ihm stehenden Stuhl und sagte, sich selbst auf einen der Stuhle nieder lassend: »Lasz uns einmal in aller Ruhe sprechen, Dietrich, und ohne alle Ani mosität! Sieh’ einmal, wenn Du wirklich das Fräulein Börnet heira thest, dann ist doch Deine ganze Kast riere verpfuscht.« »VerPfuscht? Erlaube mal —« »Nun ja. Zur Regierung kannst Du dann doch ganz gewiß nicht mehr gehen, und selbst, wenn Du Dich be gniigft, was ich sehr bedauern würde —- denn es ist unter dem höheren Adel gegen allen Brauch-Dich dem Rich terberufe zu widmen, so müßtest Du ja noch eine ganze Anzahl von Jahren warten, ehe Du im Stande wärest, zu heirathen. Oder glaubst Du, mit den zweihundert Mart monatlich, die Dir Papa giebt, eine Familie begrün den zu können?« Dietrich athmete aus. »Ich habe über diese Frage die gan e Nacht nachgedacht,« erwiderte er erns. »Und ich bin endlich zu dem Entschluß gelangt, weder die Regie rungs- noch die Richter-Karriere ein zuschlagen.« »Ja, und was bleibt Dir denn da noch übrig?« wars der Kammerherr ein und sah seinen Schwager neugie rta an. ,,Jch werde, sobald ich das Assesio- i renexamen bestanden, einfach meine Zulassung als Rechtsanwalt beantra gen.« Der Kammerberr machte einen Ruck mit seinem Stuhl nach rückwärts und betrachtete von da aus den ibm Gegen-« übersitzenden mit starren Augen, in denen sich das höchste Erschrecken spie qelte. Die Ueberraschun hatte ihm füksg Eine überhaupt die Fähigkeit zu sprechen ereaubt So ga ergu unächst seinen Empfin dungen nur urch eine beredte Geste Ausdruck, indem er mit beiden hän den rücksichtölos in seine woblgegliit tete Frisur griff. Endlich machte sich sein Entsehen in dem Ausdruck Lust: »Sage mal, bist Du denn von Sin nen?! Rechtsanwalt willst Du wer den? herrgott, habe ich ein Pech mit meinen Schwiig ern! Der Neserendar lächelte sartastisch. »Ja,« gab er mit bitterer ronie zurück, »da werde ich Dir woh nicht helfen können, lieber Tassilo, so sebr ich Dich auch bedaure Du wirst auch das noch ertragen müssen« Der Kammerherr schüttelte noch immer ganz sassungöloi und außer sich den Kopf. »Aber das ist Ia gar nicht möglich!« rief er. »Das ist ja noch gar nicht dagewesen. Ein Graf als Rechtsan walt, das ist »ja doch einsach gegen alle Traditionen« Der Reserendar, den die Verzweif lung seines Schwa ers halb belustigte und halb ärgerte ätmmte dem Jam mernden mit grimnmn Spottt bei: «Allerdinks, in Berlin gibtes noch beinen ger ichen Rechtsanwalt und wahrscheinlich auch in ganz Preußen noch nicht« Einer muß eben den An ton Wachen »Und der biii ausgerechnet Du, aus gerechnet mein Schwager,« llagteBa ron von Gliimer-Itotteiiseld, sprang auf und rannte wie ein Besessener im Zimmer hin und her. Endlich schien er sich etwas zu beruhigen.« Er blieb am Fenster stehen, bliate gedankenvoll durch die Scheiben und schien über irgend etwas nachzusinnen. An dem wiederholten tiefen Ausseuszen und der Art, wie er still seine Schultern bewegte und mit der nervös zuckenden Hand über die Stirn strich, konnte man annehmen, daß etwas Wichtiges in ihm vorging und daß er mit einem Entschluß rang. Jetzt schien er zu einem solchen gelangt; er kehrte zu seinem Schwager zurück und ihm be schwörend beide Hände aus die Schul ter legend, begann er im Ton eines wohlmeinenden Freundes: »Ich will Dir einen Vorschlag machen. lieber Dietrich. Sieh einmal, die Jdee mit dem Rechtsanwalt mußt Du auf eben. Daran kannst Du doch nicht irn rnste denken. Bedenke doch nur! Die Grasen Buchenau gehören zum hochadelzeine Linie Eures Hause-«- war ehemals reichsunmittelbar. Deine Vorfahren haben alle entweder aus ihrem Besin thum wie tleine Herrscher geschaltet oder befanden sich in den höchsten Stel len des Staates oder des Hofes. Und nun willst Du, ein Graf Buchenau, ein simpler Rechtäanwalt werden, wie ein ixbeliebiger Müller oder Schutze oder Ivie ein Levh oder Cohm Du willst Dich jedem Spießbiirger oder Bummler, jedem Hallunten und Spitz buben, der zu Dir kommt. zur Ver siiguna stellen und aus schmierigen Händen Geld in Empfang nehmen für oft ztveifelhaste Dienstes Nein. Diet rich, das wirst. das lannst Du uns nicht anthun. So tannst Du nicht alle Anschauungen, die uns und Allen un-1 seres Stades heilig und unverleßlich sind, mit Füßen treten wollen. Damit würdest Du Dich ia außerhalb des Kreises der Standes-Genossen stellen. Wenn wir, die wir berufen sind, die alten, guten Institutionen des Staa tes und der Gesellschaft zu schützen, uns selbst so rückstchtslos, ich möchte sagen revolutionär, über alle her kömmlichen Schranten hinwegsetzen, dann ist es freilich tein Wunder, wenn die Grundfesten des Staates immer mehr und mehr ins Wanken gerathen.« Der liammerherr hatte sich ganz warm geredet. Er Pustete und wischte sich den Schweiß von der Stirne. Dann fuhr er fort: »Also, ich will Dir einen Vorschlag matten,«Tietri-;b. Jch will mich ber pslichten, Dir dreihundert Mart mo natlich zu zah!en. das beißt, vorzu sclsießem wenn Du zur Reaierung übertrittst. und ich will Dir diesen Zuschuß so lange zahlen, bir- Du in eine besoldete Stellung anriictst.« Er versetzte dem ihm Gegenüber stehenden einen woblwollenden Klaps auf die Schulter, während von seinem strahlenden Gesicht deutlich das erhe bende Selbstbewußtsein leuchtete, sich von einer höchst noblen. uneigennützi gen. opferwilligen Seite gezeigt zu haben. Dietrich aber schüttelte ernst mit. dem Kopf und ent egnete: T »Ich bedaure. s ist sehr liebens- i wärdi von Dir, aber ich tann Dein ! Anerbieten nicht annehmen. Sechs? Jahre würde es mindestens dauern,« bis ich eine Landraths- oder Re ie- « rungsrathsstelle erhalte. Dann hatte ich mir eine Schuldenlast von iiber wan igtausend Mart aufgeladen. ie sollte ich die von meinem kargen Anfangs ehalt tilgen können?' Der sammerherr räusperte sich und zögerte ein paar Setunden, ehe er rnii einem diplomatischen Ausdrsck fortfuhr-: »R, lieber Dietrich, wenn ich Dir die ittel vorschieße, zur Regierung überzugehen, so setze ich dabei selbst verständlich voraus, daß Du auch auf die-die andere Jdee verzichtest. Als ; Landrath und mit Deiner sozialen Stellun stehen Dir ja doch einmal die » besten Hartien in Aus-« i Dietrich machte eine so heftige, aus- ; fahrende Bemessungse daß dem Kam-; rnerherrn der et s Wortes in der. Kehle stecken blie . »Aha:« brach der junge Mann ent rüstet los, und die Röthe tiefster Erip pöriin flammte auf seinen Wangen. »Al o darauf kommt Dein liebens würdiger Vorschlag wieder hinaus. Ich habe Dich schon vorhin ernstlich ersucht, an die Beziehungen zwischen mir und meiner Braut nicht zu rüh ren. Also das dünkt Dir nicht un ehreniverth, einem armen, bürgerlichen Mädchen das gegebene Wort zu bre chen und aus schmusigen Geldinteres fen eine ungeliebte reiche Frau heim zuführen? Dagegen hältst Du es fiir unehrenwerth, daß ich in einem bür gerlichen Beruf einen Erwerb suchen und mich fiir meine Arbeit bezahlen lassen will? Ja, würde ich als Land rath nicht auch Geld siir meine Dienste in Empfang nehmen? Und kommt das Gehalt des Staatsbeamten nicht auch von den Schulzes und Müllers, aus den Abgaben der Bürger, Bauern und Arbeiter? Deine Geringschätzung des Nechtsanwaltsstandes kann ich nicht theilen. Zweifelhafte Dienste werde ich nie Jemandem leisten, fchmutzige Sachen werden in mir weder einen Vertheidiger noch Beschützer finden, sondern ich werde nur eine Pflicht len nen, dem Rechte zur Anerkennung zu verhelfen. den Unschuldigen vor unge rechter Strafe äu fchiißen und dem reumiithi en chuldigen eine mil dernde urt ilun u verschaffen. Und ich lau , da ene solche Thä tigkeit iemandem Schande machen kann, auch dem Hochgeborenften nicht. finz Gegentheil ich meine, daiift ein choner,« edler Beruf, der mir mehr Befriedigung gewähren wied, als der eines Verwaltungsbeamtem wenn ich auch als folcher vielleicht mehr äußere Anertennung und Ehren einheimsen würde. Und da tvir einmal von diesen Dingen sprechen, so will ich Dir nur sagen, Tafsilv, daß ich nicht nur als Edelrnann Ehre abe, und diese gebie tet mir, dem ädchen meiner Liebe mein Wort zu halten und ihr und mir selbst materieller Vorurtheile we gen nicht untreu zu werden« Und wenn lich einer eingebildeten Standesehre zu Liebe meine Pflicht und Ehre als Mensch verletzen würde, so wiirde ich mich selbft verachten müssen. JmUebri gen, mein lieber Tafsilo, meine ich, unsere Standesgenossen, die da glau ben, in pedantischexn, befchränttem Festhalten an alten Ueberlieferungen ihrer Pflicht zu genügen, verstehen die Zeichen der Zeit sehr wenig. Im Ge gentheiL ich glaube, wir nützen dem Staate und der Aufrechterhaltung der Ordnung weit mehr, wenn wir über lebte, unzeitgemäße Vorurtheile fah ren lassen und endlich einmal die Ein hildung aufgeben, etwas Besonderes, Bevorzugtes zu sein« wenn wir nicht verschmähen in allen gebildeten Be rufen Schulter an Schulter mit den szften des Bürgerthums zu wett » enern.« , Er that einen- tiefen Athemzug, sah . dann nach seiner Taschenuhr und vol lendete: »Meine Viertelstunde ist um. Die Pflicht ruft mich. Wir haben uns ja wohl überdies gründlich mit einander ausgesprochen« ) Er sprach die letzten Worte mit ieinem leichten, ironischen Anflug. ! Baron von Glümer-Rottenfeld er f griff feinen Hut i »Ja — jawohl," erwiderte er, rich s tete sich mit einer stolzen Bewegung in l die Höhe, und sein Gesicht nahm einen jtühlen, hochmüthigen Ausdruck an, i»fa, das haben wir. Jch bedaure, daß IDu mich in die Lage bringen willst, künftig auch noch meines zweiten iSchwagerö wegen vor meinen Kame iraden und Freunden errüthen zu » müssen-« ’ Er nickte turz und verließ mit often tativer Eile Zimmer und Wohnung. « Dietrich zuckte mit seinen Schultern, lächelte und stieg nach ihm langsam Hund ruhig die Treppen hinab· Bierzehntes Kapitel. Dietrich nahm zwzei Tage Urlaub und reiste mit Franzisla nach Schloß Vuchenau, um seine Braut seinen El tern vorzustellen, nachdem er die Sek teren in einem ausführlichen Brie e doii dem Borgefallenen in Kenntniß gesetzt und ihre Einivillgung zu dein Besuch eingeholt hatte. Die Gräfin nahm ihre Schwiegertochter mit jener Apthie aus, die ihr törperliches und seelisches Leiden bei ihr zur Gewohn heit gemacht hatte. Der Graf dagegen begegnete der jungen Dame mit der ganzen achtungsvollen Artigteit Kava liers der alten Schule. sssi sssi sssisiss Als er am Abend mit seinem Sotne noch ein Stündchen unter vier Augen verplauderte, faßte er seine Ansicht in die Worte zusammen: ( »Dene Braut macht einen sehr sym pathischen Eindruck, nicht nur äußer lich· Sie ist bescheiden, ohne schüchtern und befangen zu sein. Sie besitzt An muth und Tast. Jch lann also Deine Wahl nicht tadeln. Freilich, Du kennst meine Ansichten. Jch bin ncht für die Mischehen von einein Stand in den anderen hinüber. Jch bin der Mei i.-nung, man soll möglichst innerhalb feiner Klasse bleiben. Aber ich bin von der alten Generation. Jhr Jünge ren habt andere Anschauungen und andere Ideale. Ich achte Deine Ansich ten und will Dir die meinigen nicht aufzwin en. Du bist immer ein ehren hafter ensch und ein guter Sohn ;gewefen. Darum vertraue ich darauf, daß Du in sittlcher Hinsicht gut ge wählt haft. Jch habe mehr nicht zu verlangen.« Graf Buchenou erwies seiner Schwiegertochter bis zur Minute des Abtchieds die aufmerksamste und herz lichfte Höflichleit, so daß Franziska ganz-entzückt war. »Weißt Du,« schwärmte sie später be eistert, als sie sich auf tir Rückreise be anden, zu ihrem Bräutigam, »Dei nen Papa verehre ich von ganzerSeelr. Nie im ganzen Leben hat mir ein here slo imponirt, wie er. So hatte ich zmir immer die alten Edelleute vorge stellt. Würdeooll und ehrfurchtgebie )tend. Jeder Zoll ein Kavalier!« Weder seinem Vater noch seiner iMutter verrieth Dietrich, daß Bodo Wes gewesen, der die Wendung zum Schlechten in den äußeren Verhältnis Wen seiner Schwiegereltern oetschuldet hatte. Und als seine Mutter ihn während eines kurzen Zusammenieins unter vier Augen nach ihrem ältesten Sohne befragte, antwortete er aus weichend Er habe ihn in lehter Zeit nicht gesprochen. Jedenfalls gehe es ihm gut Als Dietrich wieder in Berlin war, fiihlte er sich durch die Anregung sei ner Mutter veranlaßt, nach Bodo zu forschen. Aus drängte ihn sein Ge fühl, den Bruder von seiner Verlo bung mit Franzisto in Kenntniß zu setzen. Eine an Bodo schriftlich gerichtete Anzeiae lam mit dem Vermert urück: »Adressat verzogen, unbekannt wohin! Auch auf dem Einwohnermeldeamt, an das sich Dietrich wandte, konnte er des Bruders Aufenthalt nicht erfah ren. Der Bescheid lautete: »Ja der letz ten åWohnunq adgemeldet nach außer lonnte er nicht thun und es ones hin nichts innig, an tun Zu fall das Weitere zu il erlassen« Uebri : gens würde Bodo wohl taum verfeh len, sich, sobald es ihm schlecht aehen würde, feines Bruders zu erinnern. Seinem Schwager und seiner Schwester schickte Dietrich eine for melle Anzeige seiner Verlobung, wo ran ihm ein formeller Glückwunöch zuging. Ja, Dietrich überwand ich sogar so weit, aus Rücksicht auf feine Braut und etwaige spätere Begegnuns gen mit seinen Verwandten, denselben eine formelle Visite abzustattem Zum Glück (oder war der Diener vorher dahin instruirt?) waren der Kammer herr und seine Gattin nicht zu use so daß das Brautpaar sich aufat nseend begnügen konnte, seine Karten abzu gekn Gortsetzung folgt.) W Bon wtlhelm dein Ersten werden folgende hiibsche Charatter züge erzählt: Als wir aus dem Kriege 1864 heimlehrten, hörte ich, daß ein junger Ofsizier, dem der König den Orden »pour le merite" verleihen woll te, gebeten habe, ihm den hohen Or den nicht zu geben, sondern feinen Va Iter zu begnadigen, der wegen eines schweren Vergehens verurtheilt wor den war. Der König gab aber dem jungen Manne doch den Orden und be gnadigte den Vater. Nach dem Be griißungsmahl im Palais des Königs, lzu dem die rücktehrenden Offiziere ge j laden waren, sah ich, wie der Monarch san einen jungen Ofsizier zuging,· ihm sdie Hand reichte und hörte dabei die tFrage des Königs: »Na habe ich es « nun gut gemacht?« Der junge Mann imit dem hohen Orden biickte sich, um Lin tiefer Rührung des Königs Hand i zu küssen, dieser aber wehrte es ab mit Hden Worten: »Nein, lassen Sie das.« ; Ein dem alten, lieben Kaiser nahe jstehender hoher Offizier erzählte in ; meiner Gegenwart in einer Gesetlschaft, Her habe vor längerer Zeit —- es muß ;wohl Ende der 60er oder Anfang der ;70er Jahre gewesen sein —- von einer «Dame einen Brief bekommen mit dem jJnhalt, ihr Sohn, der im Kriege im Stabe des Kronprinzen gewesen sei Fund infolge der Kriegsanstrengungen ;trank wurde, befände sich zur Herstel Ilung in einem der Rheinbiiderz dort Lhabe er sich verleiten lassen, an der öf Tfentlichen Bank zu spielen und dabei lall sein Geld verloren und noch 1800 HThaler Schulden gemacht. Da sie kein Vermögen habe, möchte der Gene ral doch beim Kronvrinzen die Bitte fiir sie vortragen, daß Seine töntgliche hoheit ihr und ihrem Sohn helfe und die Schuld bezahle; der Kronprinz sei ja immer so gnädig zu ihrem Sohne gewesen und kenne ihn gewiß als einen tüchtigen, ordentlichen Menschen, der nur unglücklicherweise mal einer Ver suchung erlegen sei. Dieser Bitte ei Iner sorgenden Mutter entsprechend, ging der General zum Kronprinzen und trug ihm die Sache vor. Der Kronprinz zeigte seine volle Theilnah me und sagte, er würde gern helfen, da er der Mutter in dem Urtheil iiber den Sohn nur beistimmen könne, aber er habe lein Geld zur Verfügung; sei nen Ofsizieren des Stabes im lehtetr Kriege habe er jedem sein großes Bild schenken wollen, der Photograph habe aber eine so hohe Summe verlangt. »daß er tn Anbetracht seiner geringes ZMittel nur habe kleine Bilder schenke »tönnen. »Gehen Sie aber zum Könis der giebt Jhnen das Geld«, fügte et ;hinzu. Der General meinte, es fes doch eigentlich nunmehr Sache des Kronprinzem dem König die Bitte vor zutragen, darauf der Kronprinz: »Mit ;giebt er das Geld nicht, aber Sie b ;tommen es.« Nach einigem Hinunds herreden kommen beide dahin überein, ;das3 der General zum Könige geht und Hder Kronprinz verspricht, wenn die ;Bitte des Generals teinen Erfolg ha s ben sollte, sein Heil zu versuchen. Als s der General spät am Abend beim Kö Hnig eintritt, fragt dieser sehr erstaunt, was er in so später Stunde will. Nach idem der General dem Monarchen den ’Jnhalt des Briefes mitgetheilt hat, sagt der König: »Die Sache geht ja mich nichts an, die ist doch an den )Kronprinzen gerichtet.« Der General ’ sagte: »Seine tönigliche Hoheit hat kein Gel,d.« »Ja«, sagte der alte herr, »das ist ja ein recht einträgliches Geschäft; aber gehen Sie doch noch einmal zum Kronpeinzen und fragen Sie ihn, obs-· er sich nicht wenigstens an dem Geschäft betheiligen will.« Der General that wie befohlen und der Kronvrinz erwi iderte auf die Anfrage: »Soeben habe lich erfahren, daß eine laufende Unter s siiitzung von 300 Thalern jährlich frei geworden ist; diese Summe tann lich aeben mehr aber nicht « Mit die Her Nachricht lehrte der General zum Isiönig zurück. »Na sehen Sie«, sagte dieser, »das ist doch etwas. Wiewiel ist denn die Summe?« Jn Betracht da Hauf, daß der junae Mann doch auch ;zun1 Leben noch Geld brauchte, tagte Idee General: ,,2000 Thaler-« NRun dann gehen Sie zu meiner Schatulle und lassen Sie sich das Geld geben ji Der junge Mann stellt mir aber einen Schuldschein aus, denn er muß sich im Einer an seinen Fehler erinnernk Als der General nun hinausgehen will, senkt der König ihn nochmals zurück smit den Worten: »Noch eins Jch mache Sie dafür verantwortlich daß Niemand von der Sache erfährt: das - könnte dem jungen Mann bei seinen Vorgelehten schadenf Was ist Optimismusi Die Philo sophie der Glücklichein I