Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, August 04, 1905, Sweiter Theil., Image 10

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Die Graer iJcm Yuclgcnau
Roman von K. Z.
(7. FortseyungJ
Ausathmend sprang er auf. Es war
ihm ordentlich leicht ums Herz gewor
den. Nun war ihm der Weg lar vor
gezeichnet, den er einzuschlagen hatte,
um Franziska Bömer zu rehabilitiren
und ihren Ruf vor der Oeffentlichkeit
wieder herzustellen. Sein Gesicht
strahlte von einem besreienden, frohen
Entschluß. und mit zitternden Händen
kleidete er sich um. Ganz in seierliches
Schwarz kleidete er sich, und ein Paar
hegfasrbene Handschuhe legte er zu
re t.
Doch bevor er seine Wohnung Ver
ließ, setzte er sich an den Schreibtisch,
um nach kurzem Besinnen rasch ein
paar Zeilen auf ein Blatt Papier zu
werfen. Dann begab er sich aus die
Straße hinab und bestie an der näch
sien ltesielle eine Dro chie, um nach
der brtherstraße zu fahren.
Es war in ungewöhnlich früher
Morgenstundr. Frau Börner haniirte
in der Küche und war noch nicht in
Empfangöioilettr. Daß Franziska,
die den jungen Mann im »guten Zim
mer« empfing, den Zeitungsbericht be
reits gelesen hatte, sah er an ihrem
verstörten Aussehen. Sie hatte heute
ganz ge en ihre sonstige Gewohnheit
etwas cheues, Besangenes in ihrem
Wesen.
»Berzeihen Sie,« sagte er, »daß- ich
Jhnen, freilich in guter Absicht, so
Lege Flusregung und Aerger bereitet
Sie fiel ihm ins Wort.
»Wir sind Ihnen Dank schuldig,«
erwiderte sie, ihre Blicke vor ihm sen
tend. —»Sie haben sich meiner Sache
angenommen-«
«Jn einer Weise,« fiel er mit einem
sich selbst verspottenden Lächeln ein,
s,die Sie nun erst recht bloßstellt.
Ver-leihen Sie meine Ungeschicklichteit,
meinen Uebereifer! Jch seheein, daß
etwas geschehen muß, um üblen Fol
gen meiner unüberlegten Handlungs
tveise zu begegnen.« Er griff in seine
Tasche, brachte das Blatt Papier, das
er zu hause zu sich gesteckt hatte, zum
Vorschein und reichte es ihr mit einem
langen, aufleuchtenden Blick. »Ich
bitte Sie um Erlaubniß. diese Zeilen
an die Zeitungen zur Versendung
bringen zu dürfen."
Franziska nahm ahnungslos das
Blatt, das Gras Dietrich entfaltet
hatte, und las:
»Seht geehrter Herr Redalteurt
Gestatten Sie mir zu Ihrem heuti
gen Bericht über einen gewissen Vor
gang im Kontor der Firma Karl Wil
helm L ermann die höfliche Bemer
kung, da verschiedene Einzelheiten in
threr Schilderung nicht der Wirklich
keit entsprechen. Die von herrn Lega
mann in Aussicht gestellte gerichtliche
Verhandlung wird ja volle Klarheit
darüber bringen. Jch möchte mir
heute nur den Zusatz erlauben, daß
ich zur Jnschutznahme der beleidigten
jungen Dame nicht nur berechtigt,
sondern auch verpflichtet war, da ich
die Fähre habe, der Verlobte derselben
zu em.
Hochachtungsvoll
Graf Dietrich Buchenau,
Kammergerichts-Referendar.«
Das Blatt flatterte aus den zittern
Ven Händen des jungen Mädchens zu
Boden. Sie starrte den ihr Gegenüber
stehenden aus schsreckensvoll weit geöff
neten Augen an. Jhr Gesicht hatte
alle Farbe verloren. Ohne eine Ah
nung von den Empfindungen, die den
jungen Mann beseelten, stammelte fie,
während ihre Mienen Schmerz und
beleidigtes Schamgefühl ausdrückten:
»Das geht zu weit. Wenn es ja
auch nicht so ernsthaft gemeint ist, son
dern nur dazu dienen soll, den Ver
leumdungen vorläufig zu ——«
»Aber es ist mir ja ernst,« unter
brach der Graf und sah mit strahlen
den Augen zu ihr hinüber, »und es ge
schieht ja nicht nur deswegen, um
Ihnen vor der Oeffentlichkeit eine Ge
nugthuung zu geben« Nein! Der Vor
gang hat für mich nur dazu gedient,
mit mir in’s Klare zu kommen und
mir einzugestehen, was ich ja seit Lan
xm dunkel empfunden habe, daß ich
ie liebe, Fräulein Fran idta, ehrlich
und aufrichtig, aus tief em Verzeih
M ganzer Gele. Und ich frage Sie
nun, können Sie meine Gefühle erwi
dern, willigen Sie ein, mir dereinst
. anzugehören, als mein süßes, geliebtes
Weil-W
Die Ueberraschte wurde noch um
eine Niiance bleicher, und ihre Er
schiitternna war so gewaltig, daß sie
wankte nnd in den hinter ihr stehenden
Sessel sank. Jhoe Hände vor itzt
blasses, zuckendes Antlitz schlage ,
brach sie ist ein heftiaes Meinen aus.
Graf Dieirich sank tiefbewegt vor
he in die Kniee nieder und zog ihre
ginde vom Gesicht und führte ihre
nIr an seine Lippen.
, einen Sie nicht« Franziska,«
flii te er the mit bebender, zärtlicher
c M zu. »Sie sollen nicht mehr
Deinen, nein! Sie sollen glücklich sein
tu weiser Liebe. Weilen Sie, Fran
fes
Aste seh sey-ihm heriiher mit seuchten
Weh an ren Bin-gern noch helle
Tropfen hingen. Unglauhiges Stau
M mal-te sich in ihren Mienen. Sie
Wes nicht fassen nnd nicht daran
M- at das ais-he, htsknelische
leiich an das sie wohl in ihren ge
heimsten Träumen gedacht, das sie je
doch nie für erreichbar gehalten.
»Es ist ja nicht mö lich,« stammelte
;sre, noch immer zweifelnd, »es ist ja
’ nicht möglich! Jch bin ja doch ein un
’bedeutendes, armes Mädchen.«
Dietrich lächelte voll Rührung und
staunte leidenschaftlich zu ihr empor:
; »Du bist nicht arm, Du bist reich,
IFranzisla, reich an Schönheit und
i Anmuth, und an allen weiblichen Tu
; enden. Für mich bist Du das schön
; te, lieblrchste, liebenswertheste weib
sliche Wesen in der ganzen Welt. Und
ich werde mich als den glücklichsten al
ler Sterblichen fühlen, wenn Du mir
; sagst. daß Du meine Liebe erwiderst,
dasi Du mich liebst, wie ich Dich liebe.«
Da legte sie überglücklich, ihre ver
ziickten, vertliirten Blicke tief in die
seinen senkend, ihre Hände aus seine
Schultern und neigte sich zu ihm herab
und ihre Lippen kamen den seinen ent
gegen.
Gerade in diesem Moment erschien
Frau Börner, die rasch Toilette ac
macht hatte, aus der Schwelle und blieb
bei dem überraschenden Anblick er
schreckt, wie erstarrt stehen.
Graf Dietrich aber erhob sich. er
griss Franzistas Hand und schritt mit
ihr der Staunenden entgegen.
»Sie sehen ein glückliches- Braut
paar vor sich, gnädige Frau,« sagte er,
Zdåst um Ihren mütterlich-n Segen
i e .«
Dreizehntes Kapitel.
Die Erklärung des Grasen Buche
nau, die am anderen Morgen in ver
schiedenen Berliner Zeitungen er
schien, erregte n den weitesten Kreisen
Erstaunen und verwundertes stopf
schütteln.
Der Kammerherr Baron von Glit
mer-Rottenfeld war so überrascht, daß
ihm das Monocle, das er beim Zei
tungölesen ausgesetzt hatte, beinahe in
die Kasseetafse gefallen wäre. Er legte
das Zettungsblatt auf den Tisch nie
der, strich sich mit der Hand über die
Augen und las die Notiz noch einmal.
Dann schlug er mit der flachen Hand
aus den Tisch und rief kopfschüttelnd:
»Ja; träume ich denn oder hab’ ich
meine süns Sinne nicht recht beisam
men?« Und seiner neben ihm sitzenden
Gattin das Zeitungsblatt reichend,
fügte er hinzu: «Lies Du doch einmal,
Erita!«
Frau Baronin von Glümer-Rotten:
seld that nach dem Willen ihres Gat
ten. Auch in ihren Augen malte sich
tiefstes Befremden, sassungslose Ent
rüstung.
..Keitung5tlatschl« meinte sie end
lich verächtlich.
Aber der Kammerherr schättelte mit
dem Kopfe.
»Es steht ja doch sein Name darun
ter; es ist doch nur der Abdruck eines
von ihm versaßten Briefes. Eine so
plumpe Fälschung würde die Zeitung
ja doch nicht begehen. Und zu welchem
Zwecke?«
Baron von Glümer-Rottenseld faßte
einen raschen Entschluß, den besten,
den er fassen konnte, um sich von dem
auf ihm tastenden, peinigenden Zwei
fel zu befreien. Er kleidete sich zum
Ausgehen an, ließ anspannen und suhr
zu seinem Seht-vagen Er traf Dietrich
in seiner Wohnung, als er sich gerade
fertig machte, um sich nach dem Kam
mergerichte zu begeben. Es war ein
einfaches Zimmer m der Neuenburger
straße, in der Nähe des Kammerge
richti.
»Hast Du noch ein paar Minuten
Zeit für michs« fragte der Eintre
tende, seinem Schwager forschend ins
Gesicht schauend, um aus seinen Mie
nen eine Widerlegung oder Bestäti
gung der unerhörtes Zeitungsmeldung
zu ergründen
Dietrich fah nach feiner Uhr.
,,Eine Viertelstunde bleibt mir noch.
die stelle ich Dir gern zur Verfügung.«
Dem Kammerberrn war es schon
zur zweiten Gewohnheit geworden, so
bald er sein wohlgescheiteltes Haar
entblößte, nacb seinen beiden Taschen
bürsien zu greifen, daß er es auch jetzt
trotz der spannenden Situation nicht
zunterlafsen konnte. In dem reflelti
: renden Glase sein holdes Spieaelbild
! betrachtend und eifrig mit den Bürsten
; bantirend, beaann er:
: »Ich habe beute eine überraschende
INotiz über Dich oder vielmehr von
Dir gefunden und komme nun —«
»Um mir Glück zu wünschen?« warf
Dietricb mit einem stillen, ironischen
Zacken der Mundwinkel ein.
Der Kammerherr schnellte herum
und schob mit eine-r beftgen Geberde
,- die Bürften in seine Tasche.
»Der Brief ift doch nicht etwa au
» thentisch?« ·
T Graf Dietrich verneigte sich leicht,
, mit erbeucheltem Ernste.
H .Böllia, lieber Tasfilo. Du siehst
»ein-en glücklichen Bräutigam in mir.«
Der Kammerberr riß beide Augen
weit auf, so daß ihm das Monocle
"entfiel.
»Sage mal, Mensch,« rief er mit
:ae·beutbelter Entrüftuna. »ravvelt’t
; denn bei Dir? Pardon! Aber ich faßte
die Sache für eine Mystisikation oder
dergleichen auf. Du wirft doch nicht
xtm Ernst daran denken, Dich mit —
mit einer Buchhalterin zu verloben?«
s lDer Neferendar zuckte mit den Ach
e n.
»Ich bin fchon verlobt. Daran läßt
sich nichts mehr ändern. Uebrigens,
den Vater meiner Braut lennft Du
ja." Der Sprechende- deutete durch
das Fenster auf die vor der Thiir
stehende Cauipage des Barons, »Das
Koupee da hat mein künftiger Schwie
gervater gebaut.'«
»Du meinft doch nicht etwa den
banterotten ehemaligen bewogen
fabrilanten?«
«Denfelben.«
Der Kammerherr schlug feine bei
den Hände zusammen und starrte sei
nen Schwager mit fast ängstlichem
Gesichtsausdrucl an, als befürchte er,
derselbe befinde sich nicht im rechten
Besitze feines Verstandes.
»Ja, sage mal,« brach es aus ihm
heraus, »was bringt Dich denn eigent
lich auf diese ganz —- ganz unmög
liche, ganz und gar unbegreifliche
Idee? Das Mädchen ist arm und von
niederer HertunsL Ja, warum willst
Du sie denn eigentlich heirathen? Je
der vernünftige Menfch hat doch einen
Grund zu seiner Handlungsweife.«
Graf Dietrich konnte sich eines
Lächean nicht erwehren.
»Ja, mein lieber Tassilo,« entgeg
nete et. »Den habe ich ja auch, einen
sehr triftigen.«
»Na, da wäre ich doch wirklich be
gierig ——«
»Einfach, ich liebe Fräulein Bör
ner.«
Der Kammeryerr machte eine soe
wegung der Geringschätzung und ge
stattete sich ein kurze-Z Auflachen.
»Du liebst? Mein lieber Dietrich,
man heirathet doch nicht immer gleich,
wenn man liebt.«
Den jungen Grasen hatten die leb
haften Protefte seines Schwagers bis
her lediglich belustigt, jetzt aber run
zelte er seine Stirn und seine Stimme
klang sehr ernst und scharf, während
er erwiderte:
»Ich muß Dich doch btten, Tassilo,
die Anaelegenheit etwas ernsthafter zu
behandeln Jch liebe meine Braut und
achte und verehre sie. Und wenn Du
mich nicht ernstlich erzürnen willst,
muß ich Dich doch bitten, diese meine
Empfindungen zu respektiren und
meine Verlobung als eine Thatiache
anzusehen, an der nicht zu rühren und
nicht zu deuteln ist.«
Baron von Glümer-Rottenseld
machte ein etwas verdutztes Gesicht zu
dieser Erklärung. Dann zuckte er leicht
mit den Achseln, und schließlich leate
er seine-beiden Hände auf Dietrichs
Schultern —- driirtte ihn sanft auf den
neben ihm stehenden Stuhl und sagte,
sich selbst auf einen der Stuhle nieder
lassend:
»Lasz uns einmal in aller Ruhe
sprechen, Dietrich, und ohne alle Ani
mosität! Sieh’ einmal, wenn Du
wirklich das Fräulein Börnet heira
thest, dann ist doch Deine ganze Kast
riere verpfuscht.«
»VerPfuscht? Erlaube mal —«
»Nun ja. Zur Regierung kannst
Du dann doch ganz gewiß nicht mehr
gehen, und selbst, wenn Du Dich be
gniigft, was ich sehr bedauern würde
—- denn es ist unter dem höheren Adel
gegen allen Brauch-Dich dem Rich
terberufe zu widmen, so müßtest Du
ja noch eine ganze Anzahl von Jahren
warten, ehe Du im Stande wärest,
zu heirathen. Oder glaubst Du, mit
den zweihundert Mart monatlich, die
Dir Papa giebt, eine Familie begrün
den zu können?«
Dietrich athmete aus.
»Ich habe über diese Frage die
gan e Nacht nachgedacht,« erwiderte er
erns. »Und ich bin endlich zu dem
Entschluß gelangt, weder die Regie
rungs- noch die Richter-Karriere ein
zuschlagen.«
»Ja, und was bleibt Dir denn da
noch übrig?« wars der Kammerherr
ein und sah seinen Schwager neugie
rta an.
,,Jch werde, sobald ich das Assesio- i
renexamen bestanden, einfach meine
Zulassung als Rechtsanwalt beantra
gen.«
Der Kammerberr machte einen Ruck
mit seinem Stuhl nach rückwärts und
betrachtete von da aus den ibm Gegen-«
übersitzenden mit starren Augen, in
denen sich das höchste Erschrecken spie
qelte. Die Ueberraschun hatte ihm
füksg Eine überhaupt die Fähigkeit zu
sprechen ereaubt
So ga ergu unächst seinen Empfin
dungen nur urch eine beredte Geste
Ausdruck, indem er mit beiden hän
den rücksichtölos in seine woblgegliit
tete Frisur griff. Endlich machte sich
sein Entsehen in dem Ausdruck Lust:
»Sage mal, bist Du denn von Sin
nen?! Rechtsanwalt willst Du wer
den? herrgott, habe ich ein Pech mit
meinen Schwiig ern!
Der Neserendar lächelte sartastisch.
»Ja,« gab er mit bitterer ronie
zurück, »da werde ich Dir woh nicht
helfen können, lieber Tassilo, so sebr
ich Dich auch bedaure Du wirst auch
das noch ertragen müssen«
Der Kammerherr schüttelte noch
immer ganz sassungöloi und außer
sich den Kopf.
»Aber das ist Ia gar nicht möglich!«
rief er. »Das ist ja noch gar nicht
dagewesen. Ein Graf als Rechtsan
walt, das ist »ja doch einsach gegen alle
Traditionen«
Der Reserendar, den die Verzweif
lung seines Schwa ers halb belustigte
und halb ärgerte ätmmte dem Jam
mernden mit grimnmn Spottt bei:
«Allerdinks, in Berlin gibtes noch
beinen ger ichen Rechtsanwalt und
wahrscheinlich auch in ganz Preußen
noch nicht« Einer muß eben den An
ton Wachen
»Und der biii ausgerechnet Du, aus
gerechnet mein Schwager,« llagteBa
ron von Gliimer-Itotteiiseld, sprang
auf und rannte wie ein Besessener im
Zimmer hin und her. Endlich schien
er sich etwas zu beruhigen.« Er blieb
am Fenster stehen, bliate gedankenvoll
durch die Scheiben und schien über
irgend etwas nachzusinnen. An dem
wiederholten tiefen Ausseuszen und
der Art, wie er still seine Schultern
bewegte und mit der nervös zuckenden
Hand über die Stirn strich, konnte
man annehmen, daß etwas Wichtiges
in ihm vorging und daß er mit einem
Entschluß rang. Jetzt schien er zu
einem solchen gelangt; er kehrte zu
seinem Schwager zurück und ihm be
schwörend beide Hände aus die Schul
ter legend, begann er im Ton eines
wohlmeinenden Freundes: »Ich will
Dir einen Vorschlag machen. lieber
Dietrich. Sieh einmal, die Jdee mit
dem Rechtsanwalt mußt Du auf eben.
Daran kannst Du doch nicht irn rnste
denken. Bedenke doch nur! Die Grasen
Buchenau gehören zum hochadelzeine
Linie Eures Hause-«- war ehemals
reichsunmittelbar. Deine Vorfahren
haben alle entweder aus ihrem Besin
thum wie tleine Herrscher geschaltet
oder befanden sich in den höchsten Stel
len des Staates oder des Hofes. Und
nun willst Du, ein Graf Buchenau,
ein simpler Rechtäanwalt werden, wie
ein ixbeliebiger Müller oder Schutze
oder Ivie ein Levh oder Cohm Du
willst Dich jedem Spießbiirger oder
Bummler, jedem Hallunten und Spitz
buben, der zu Dir kommt. zur Ver
siiguna stellen und aus schmierigen
Händen Geld in Empfang nehmen für
oft ztveifelhaste Dienstes Nein. Diet
rich, das wirst. das lannst Du uns
nicht anthun. So tannst Du nicht alle
Anschauungen, die uns und Allen un-1
seres Stades heilig und unverleßlich
sind, mit Füßen treten wollen. Damit
würdest Du Dich ia außerhalb des
Kreises der Standes-Genossen stellen.
Wenn wir, die wir berufen sind, die
alten, guten Institutionen des Staa
tes und der Gesellschaft zu schützen,
uns selbst so rückstchtslos, ich möchte
sagen revolutionär, über alle her
kömmlichen Schranten hinwegsetzen,
dann ist es freilich tein Wunder, wenn
die Grundfesten des Staates immer
mehr und mehr ins Wanken gerathen.«
Der liammerherr hatte sich ganz
warm geredet. Er Pustete und wischte
sich den Schweiß von der Stirne.
Dann fuhr er fort:
»Also, ich will Dir einen Vorschlag
matten,«Tietri-;b. Jch will mich ber
pslichten, Dir dreihundert Mart mo
natlich zu zah!en. das beißt, vorzu
sclsießem wenn Du zur Reaierung
übertrittst. und ich will Dir diesen
Zuschuß so lange zahlen, bir- Du in
eine besoldete Stellung anriictst.«
Er versetzte dem ihm Gegenüber
stehenden einen woblwollenden Klaps
auf die Schulter, während von seinem
strahlenden Gesicht deutlich das erhe
bende Selbstbewußtsein leuchtete, sich
von einer höchst noblen. uneigennützi
gen. opferwilligen Seite gezeigt zu
haben.
Dietrich aber schüttelte ernst mit.
dem Kopf und ent egnete: T
»Ich bedaure. s ist sehr liebens- i
wärdi von Dir, aber ich tann Dein !
Anerbieten nicht annehmen. Sechs?
Jahre würde es mindestens dauern,«
bis ich eine Landraths- oder Re ie- «
rungsrathsstelle erhalte. Dann hatte
ich mir eine Schuldenlast von iiber
wan igtausend Mart aufgeladen.
ie sollte ich die von meinem kargen
Anfangs ehalt tilgen können?'
Der sammerherr räusperte sich
und zögerte ein paar Setunden, ehe er
rnii einem diplomatischen Ausdrsck
fortfuhr-:
»R, lieber Dietrich, wenn ich Dir
die ittel vorschieße, zur Regierung
überzugehen, so setze ich dabei selbst
verständlich voraus, daß Du auch auf
die-die andere Jdee verzichtest. Als ;
Landrath und mit Deiner sozialen
Stellun stehen Dir ja doch einmal die »
besten Hartien in Aus-« i
Dietrich machte eine so heftige, aus- ;
fahrende Bemessungse daß dem Kam-;
rnerherrn der et s Wortes in der.
Kehle stecken blie .
»Aha:« brach der junge Mann ent
rüstet los, und die Röthe tiefster Erip
pöriin flammte auf seinen Wangen.
»Al o darauf kommt Dein liebens
würdiger Vorschlag wieder hinaus.
Ich habe Dich schon vorhin ernstlich
ersucht, an die Beziehungen zwischen
mir und meiner Braut nicht zu rüh
ren. Also das dünkt Dir nicht un
ehreniverth, einem armen, bürgerlichen
Mädchen das gegebene Wort zu bre
chen und aus schmusigen Geldinteres
fen eine ungeliebte reiche Frau heim
zuführen? Dagegen hältst Du es fiir
unehrenwerth, daß ich in einem bür
gerlichen Beruf einen Erwerb suchen
und mich fiir meine Arbeit bezahlen
lassen will? Ja, würde ich als Land
rath nicht auch Geld siir meine Dienste
in Empfang nehmen? Und kommt das
Gehalt des Staatsbeamten nicht auch
von den Schulzes und Müllers, aus
den Abgaben der Bürger, Bauern und
Arbeiter? Deine Geringschätzung des
Nechtsanwaltsstandes kann ich nicht
theilen. Zweifelhafte Dienste werde
ich nie Jemandem leisten, fchmutzige
Sachen werden in mir weder einen
Vertheidiger noch Beschützer finden,
sondern ich werde nur eine Pflicht len
nen, dem Rechte zur Anerkennung zu
verhelfen. den Unschuldigen vor unge
rechter Strafe äu fchiißen und dem
reumiithi en chuldigen eine mil
dernde urt ilun u verschaffen.
Und ich lau , da ene solche Thä
tigkeit iemandem Schande machen
kann, auch dem Hochgeborenften nicht.
finz Gegentheil ich meine, daiift ein
choner,« edler Beruf, der mir mehr
Befriedigung gewähren wied, als der
eines Verwaltungsbeamtem wenn ich
auch als folcher vielleicht mehr äußere
Anertennung und Ehren einheimsen
würde. Und da tvir einmal von diesen
Dingen sprechen, so will ich Dir nur
sagen, Tafsilv, daß ich nicht nur als
Edelrnann Ehre abe, und diese gebie
tet mir, dem ädchen meiner Liebe
mein Wort zu halten und ihr und
mir selbst materieller Vorurtheile we
gen nicht untreu zu werden« Und wenn
lich einer eingebildeten Standesehre
zu Liebe meine Pflicht und Ehre als
Mensch verletzen würde, so wiirde ich
mich selbft verachten müssen. JmUebri
gen, mein lieber Tafsilo, meine ich,
unsere Standesgenossen, die da glau
ben, in pedantischexn, befchränttem
Festhalten an alten Ueberlieferungen
ihrer Pflicht zu genügen, verstehen die
Zeichen der Zeit sehr wenig. Im Ge
gentheiL ich glaube, wir nützen dem
Staate und der Aufrechterhaltung der
Ordnung weit mehr, wenn wir über
lebte, unzeitgemäße Vorurtheile fah
ren lassen und endlich einmal die Ein
hildung aufgeben, etwas Besonderes,
Bevorzugtes zu sein« wenn wir nicht
verschmähen in allen gebildeten Be
rufen Schulter an Schulter mit den
szften des Bürgerthums zu wett
» enern.«
, Er that einen- tiefen Athemzug, sah
. dann nach seiner Taschenuhr und vol
lendete:
»Meine Viertelstunde ist um. Die
Pflicht ruft mich. Wir haben uns ja
wohl überdies gründlich mit einander
ausgesprochen«
) Er sprach die letzten Worte mit
ieinem leichten, ironischen Anflug.
! Baron von Glümer-Rottenfeld er
f griff feinen Hut
i »Ja — jawohl," erwiderte er, rich
s tete sich mit einer stolzen Bewegung in
l die Höhe, und sein Gesicht nahm einen
jtühlen, hochmüthigen Ausdruck an,
i»fa, das haben wir. Jch bedaure, daß
IDu mich in die Lage bringen willst,
künftig auch noch meines zweiten
iSchwagerö wegen vor meinen Kame
iraden und Freunden errüthen zu
» müssen-«
’ Er nickte turz und verließ mit often
tativer Eile Zimmer und Wohnung.
« Dietrich zuckte mit seinen Schultern,
lächelte und stieg nach ihm langsam
Hund ruhig die Treppen hinab·
Bierzehntes Kapitel.
Dietrich nahm zwzei Tage Urlaub
und reiste mit Franzisla nach Schloß
Vuchenau, um seine Braut seinen El
tern vorzustellen, nachdem er die Sek
teren in einem ausführlichen Brie e
doii dem Borgefallenen in Kenntniß
gesetzt und ihre Einivillgung zu dein
Besuch eingeholt hatte. Die Gräfin
nahm ihre Schwiegertochter mit jener
Apthie aus, die ihr törperliches und
seelisches Leiden bei ihr zur Gewohn
heit gemacht hatte. Der Graf dagegen
begegnete der jungen Dame mit der
ganzen achtungsvollen Artigteit Kava
liers der alten Schule. sssi sssi sssisiss
Als er am Abend mit seinem Sotne
noch ein Stündchen unter vier Augen
verplauderte, faßte er seine Ansicht in
die Worte zusammen: (
»Dene Braut macht einen sehr sym
pathischen Eindruck, nicht nur äußer
lich· Sie ist bescheiden, ohne schüchtern
und befangen zu sein. Sie besitzt An
muth und Tast. Jch lann also Deine
Wahl nicht tadeln. Freilich, Du kennst
meine Ansichten. Jch bin ncht für die
Mischehen von einein Stand in den
anderen hinüber. Jch bin der Mei
i.-nung, man soll möglichst innerhalb
feiner Klasse bleiben. Aber ich bin
von der alten Generation. Jhr Jünge
ren habt andere Anschauungen und
andere Ideale. Ich achte Deine Ansich
ten und will Dir die meinigen nicht
aufzwin en. Du bist immer ein ehren
hafter ensch und ein guter Sohn
;gewefen. Darum vertraue ich darauf,
daß Du in sittlcher Hinsicht gut ge
wählt haft. Jch habe mehr nicht zu
verlangen.«
Graf Buchenou erwies seiner
Schwiegertochter bis zur Minute des
Abtchieds die aufmerksamste und herz
lichfte Höflichleit, so daß Franziska
ganz-entzückt war.
»Weißt Du,« schwärmte sie später
be eistert, als sie sich auf tir Rückreise
be anden, zu ihrem Bräutigam, »Dei
nen Papa verehre ich von ganzerSeelr.
Nie im ganzen Leben hat mir ein here
slo imponirt, wie er. So hatte ich
zmir immer die alten Edelleute vorge
stellt. Würdeooll und ehrfurchtgebie
)tend. Jeder Zoll ein Kavalier!«
Weder seinem Vater noch seiner
iMutter verrieth Dietrich, daß Bodo
Wes gewesen, der die Wendung zum
Schlechten in den äußeren Verhältnis
Wen seiner Schwiegereltern oetschuldet
hatte. Und als seine Mutter ihn
während eines kurzen Zusammenieins
unter vier Augen nach ihrem ältesten
Sohne befragte, antwortete er aus
weichend Er habe ihn in lehter Zeit
nicht gesprochen. Jedenfalls gehe es
ihm gut
Als Dietrich wieder in Berlin war,
fiihlte er sich durch die Anregung sei
ner Mutter veranlaßt, nach Bodo zu
forschen. Aus drängte ihn sein Ge
fühl, den Bruder von seiner Verlo
bung mit Franzisto in Kenntniß zu
setzen.
Eine an Bodo schriftlich gerichtete
Anzeiae lam mit dem Vermert urück:
»Adressat verzogen, unbekannt wohin!
Auch auf dem Einwohnermeldeamt,
an das sich Dietrich wandte, konnte er
des Bruders Aufenthalt nicht erfah
ren.
Der Bescheid lautete: »Ja der letz
ten åWohnunq adgemeldet nach außer
lonnte er nicht thun und es
ones hin nichts innig, an tun Zu
fall das Weitere zu il erlassen« Uebri
:
gens würde Bodo wohl taum verfeh
len, sich, sobald es ihm schlecht aehen
würde, feines Bruders zu erinnern.
Seinem Schwager und seiner
Schwester schickte Dietrich eine for
melle Anzeige seiner Verlobung, wo
ran ihm ein formeller Glückwunöch
zuging. Ja, Dietrich überwand ich
sogar so weit, aus Rücksicht auf feine
Braut und etwaige spätere Begegnuns
gen mit seinen Verwandten, denselben
eine formelle Visite abzustattem Zum
Glück (oder war der Diener vorher
dahin instruirt?) waren der Kammer
herr und seine Gattin nicht zu use
so daß das Brautpaar sich aufat nseend
begnügen konnte, seine Karten abzu
gekn
Gortsetzung folgt.)
W
Bon wtlhelm dein Ersten
werden folgende hiibsche Charatter
züge erzählt: Als wir aus dem Kriege
1864 heimlehrten, hörte ich, daß ein
junger Ofsizier, dem der König den
Orden »pour le merite" verleihen woll
te, gebeten habe, ihm den hohen Or
den nicht zu geben, sondern feinen Va
Iter zu begnadigen, der wegen eines
schweren Vergehens verurtheilt wor
den war. Der König gab aber dem
jungen Manne doch den Orden und be
gnadigte den Vater. Nach dem Be
griißungsmahl im Palais des Königs,
lzu dem die rücktehrenden Offiziere ge
j laden waren, sah ich, wie der Monarch
san einen jungen Ofsizier zuging,· ihm
sdie Hand reichte und hörte dabei die
tFrage des Königs: »Na habe ich es
« nun gut gemacht?« Der junge Mann
imit dem hohen Orden biickte sich, um
Lin tiefer Rührung des Königs Hand
i zu küssen, dieser aber wehrte es ab mit
Hden Worten: »Nein, lassen Sie das.«
; Ein dem alten, lieben Kaiser nahe
jstehender hoher Offizier erzählte in
; meiner Gegenwart in einer Gesetlschaft,
Her habe vor längerer Zeit —- es muß
;wohl Ende der 60er oder Anfang der
;70er Jahre gewesen sein —- von einer
«Dame einen Brief bekommen mit dem
jJnhalt, ihr Sohn, der im Kriege im
Stabe des Kronprinzen gewesen sei
Fund infolge der Kriegsanstrengungen
;trank wurde, befände sich zur Herstel
Ilung in einem der Rheinbiiderz dort
Lhabe er sich verleiten lassen, an der öf
Tfentlichen Bank zu spielen und dabei
lall sein Geld verloren und noch 1800
HThaler Schulden gemacht. Da sie
kein Vermögen habe, möchte der Gene
ral doch beim Kronvrinzen die Bitte
fiir sie vortragen, daß Seine töntgliche
hoheit ihr und ihrem Sohn helfe und
die Schuld bezahle; der Kronprinz sei
ja immer so gnädig zu ihrem Sohne
gewesen und kenne ihn gewiß als einen
tüchtigen, ordentlichen Menschen, der
nur unglücklicherweise mal einer Ver
suchung erlegen sei. Dieser Bitte ei
Iner sorgenden Mutter entsprechend,
ging der General zum Kronprinzen
und trug ihm die Sache vor. Der
Kronprinz zeigte seine volle Theilnah
me und sagte, er würde gern helfen,
da er der Mutter in dem Urtheil iiber
den Sohn nur beistimmen könne, aber
er habe lein Geld zur Verfügung; sei
nen Ofsizieren des Stabes im lehtetr
Kriege habe er jedem sein großes Bild
schenken wollen, der Photograph habe
aber eine so hohe Summe verlangt.
»daß er tn Anbetracht seiner geringes
ZMittel nur habe kleine Bilder schenke
»tönnen. »Gehen Sie aber zum Könis
der giebt Jhnen das Geld«, fügte et
;hinzu. Der General meinte, es fes
doch eigentlich nunmehr Sache des
Kronprinzem dem König die Bitte vor
zutragen, darauf der Kronprinz: »Mit
;giebt er das Geld nicht, aber Sie b
;tommen es.« Nach einigem Hinunds
herreden kommen beide dahin überein,
;das3 der General zum Könige geht und
Hder Kronprinz verspricht, wenn die
;Bitte des Generals teinen Erfolg ha
s ben sollte, sein Heil zu versuchen. Als
s der General spät am Abend beim Kö
Hnig eintritt, fragt dieser sehr erstaunt,
was er in so später Stunde will. Nach
idem der General dem Monarchen den
’Jnhalt des Briefes mitgetheilt hat,
sagt der König: »Die Sache geht ja
mich nichts an, die ist doch an den
)Kronprinzen gerichtet.« Der General
’ sagte: »Seine tönigliche Hoheit hat kein
Gel,d.« »Ja«, sagte der alte herr, »das
ist ja ein recht einträgliches Geschäft;
aber gehen Sie doch noch einmal zum
Kronpeinzen und fragen Sie ihn, obs-·
er sich nicht wenigstens an dem Geschäft
betheiligen will.« Der General that
wie befohlen und der Kronvrinz erwi
iderte auf die Anfrage: »Soeben habe
lich erfahren, daß eine laufende Unter
s siiitzung von 300 Thalern jährlich frei
geworden ist; diese Summe tann
lich aeben mehr aber nicht « Mit die
Her Nachricht lehrte der General zum
Isiönig zurück. »Na sehen Sie«, sagte
dieser, »das ist doch etwas. Wiewiel ist
denn die Summe?« Jn Betracht da
Hauf, daß der junae Mann doch auch
;zun1 Leben noch Geld brauchte, tagte
Idee General: ,,2000 Thaler-« NRun
dann gehen Sie zu meiner Schatulle
und lassen Sie sich das Geld geben ji
Der junge Mann stellt mir aber einen
Schuldschein aus, denn er muß sich im
Einer an seinen Fehler erinnernk Als
der General nun hinausgehen will,
senkt der König ihn nochmals zurück
smit den Worten: »Noch eins Jch
mache Sie dafür verantwortlich daß
Niemand von der Sache erfährt: das -
könnte dem jungen Mann bei seinen
Vorgelehten schadenf
Was ist Optimismusi Die Philo
sophie der Glücklichein I