Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, July 28, 1905, Sweiter Theil., Image 9

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    Yeöraska
Staats-— Inzriger nnd Ist-rollt
J P. Windolph, Herausgeber Grund Island Nebr 28.k11i190.') RwetterThekU Jahrgang 25 No. 48.
Dei-Eichensan
ch trat in einen heilig diiftern
ichwald, da hört’ ich leif’ und lind
Ein Bächlein unter Blumen flüstern,
Wie das Gebet von einem Kind.
Und mich ergriff ein süßes Grauen,
Es kaufcht’ det Wald geheimnisvoll,
Als möcht’ er mir was anvertrauen. i
Als möcht’ er heimlich mit entdecken,.
Das noch mein Herz nicht wissen foll.
Was Gottes Liebe sinnt und will; «
Doch schien er plötzlich zu erschrecken·
Vor Gottes Näh — und wurde stle
N. L e n a u.
-.--—
Gelähmte Flügel
Novellette von B. R it t w e g e k.
Dr. med. Susanna Hartwig,
Frauen- und Kinderiirztin. Sprech
ftunden Morgens von 8———9,Nachmit
tags oon 3——4 Uhr. 1. Treppe.
So liest ein stattlicher, biirtiger
Mann, der kopfschüttelnd vor dem
Porzellanschilde steht. Dann eilt er
raschen Schrittes die Treppe hinan
und schellt an der Flurthiir, hinter der
Dr. med. Susanna hartwig zu finden
sein soll. Ein sauberes Mädchen öff
net und läßt ihn auf seine Bitte in
das Wartezimmer ein.
Bald darauf erscheint FräuleinDok
tor in der Thitr des Sprechzirnmers.
— »Herr Dr. Metz! Sie — in meiner
Sprechstunde?« Dunkle Röthe steigt
der auffallend hübschen, noch jungen
Aerztin ins Antliß, und sie befindet
sich in sichtlicher Verwirrung, die sie
nur mit Mithe durch einen Scherz zu
bekämpfen sucht. »Sie kommen doch
nicht als Patient —- ich bin ja nur
Aerztin fiir Frauen und Rinden«
»Hm, wie Sie's nehmen wollen!
Es giebt Leiden, ich weiß es, für die
auch ein Mann lHilfe bei Jhnen suchen
mag. Wenn der Mann nämlich Ro
bert Merz heißt. Haben Sie ein we
nig Zeit siir mich, liebe Susanna?
Es ist schon neun Uhr —- nunmehr
werden wir wohl kaum gestört wer
den. Jch wählte diese Zeit, weil ich
sie da sicher zu Hause wußte-"
»Zeit? Aber gewiß liber Freund,
so beschäfti t bin ich noch nicht«
»Das i mir lieb, Susanna.
Sehen Sie, ich hätte Ihnen ja schrei
ben tönnen, aber ich wollte nicht.
Aug in Auge! Susanna, sagen Sie
mir nur um himmels willen, wie
sind Sie auf diese Jdee getommen?«
»Auf welche Jdee —- ich verstehe
nicht ——?«
»Nun, auf die mit dem Porzellan
schild da unten. Jch traute ja mei
nen Augen nicht, als ichs im Anzei
ger last Daß Sie es soweit treiben
würden, ohne mir ein Wort davon
Zu sagen. Mir, von dem Sie wissen,
aß ———nein, Suse, das war nicht
hübsch von Jhnenl Sie wissen doch,
daß ich Sie liebe, Suse, daß Sie,
nur Sie, mein Weib werden müssen
Hören Sie, mein Weib. Und nicht
praktische Aerztin Das taugt nicht
für Sie Kind. Sie sind ja ——— aber
erst die Hauptsache. Wär' ich nur
eher so tlug gewesen, vor meiner
Reise! Aber wie konnt’ ich ahnen,
daß Sie so hats über Kopf, gleich
nach Ziirich, sich niederlassen wür
den? Und vorher durft’ ich ja nicht
reden. Sie hatten sich’s ja nun ein
mal in den Kon gesetzt, das mit dem
Dotiorhut. Und allen Respekt vor
Jhrere Energie. Doch damit hätten
Sie’s genug sein lassen sollen, Suse!
Soweit brauchten Sie’s nicht zu trei
ben, bis zu dem Schild da unten.
Denn Sie mußten ja wissen, daß ich
Sie liebe. Und also, kurz und gut,
Suse, wollen Sie mein Weib wer
den? Jch fühle, ich bin Jhnen nicht
gleichgültig, ja, ich weiß es, trotz al
len und allem. Und ich habe gewar
tet, Jahr um Jahr, ich habe Geduld
gehabt mit Jhren Jdeen aber nun,
da Jhrem Ehrgeiz Genüge geschehen,
nun tann ich nicht länger warten.
Werden Sie mein, Suse, ich brauche
Ste, und ich habe so lange gewartet.
Jhre Antworts« «
Blaß bis in die Lippen steht sie
vor ihm. »Ich tann nicht, es geht
nicht. Es sei denn, aber das werden
Sie nicht wollen, es sei denn, ich
tönnte meinem Beruf treu bleiben
und zugleich Jhr Weib sein«
»Nein, Suie, so mein ichs nicht.
Und das kann ja gar nicht Jhr Ernst
sein. Jch suche keinen Associe, ich
suche eine Gattin. Die es nicht bereuen
soll, mehr gelernt zu haben als An
dere ihres Geichlechteg. Ihr Wissen
Suie. wird nicht verloren sein. Und
vielleicht wird es Stunden geben, in
denen ich selbst Sie daran erinnern
werde, daß Sie mein Fachgenosse
sind. Aber das kommt erst in zwei
ter Reihe. Jn erster suche ich das
Weib in Ihnen, eine Gefährtin für
ich. Und Sie sind die Einzige, die
r mich paßt, denn ich liebe Sie, ich
habe nie eine andere geliebt. Sie
miissen die Meine werden. Sie mits
ien wählen, Suse, zwischen mir und
Ihrem Berus.«
»Ich habe gewählt. Aus Jhnen
spricht männliche Ueberhebung. Wie
könnten Sie mir sonst einen solchen
Vorschlag machen? Jeßt, wo ich am
Ziel bin, seht kommen Sie und sor
dern, ich sall alles ausgeben, wostir
ich geschafft und gestrebt, soll nichts
sein, ais eine demüthige Gattin und
Hausfrau. Bedenken Sie, was Sie
damit verlangen: die Früchte jahre
langen Strebens. O. Jhr Männer!
Wenn das von Euch jemand ver
langte, den Beruf aufgeben um eines
Weibes willen! Jch gestehe, ich liebe
Sie, Robert, und ich hätte gewünscht,
Seite an Seite mit Jhnen in die
Reihe der siämpfenden eintreten zu
können. Sie wollen es nicht, und so,
in der schweren Wahl zwischen mei
ner Liebe und meinem Beruf, bleibt
mir nur ein Trost; ich leide siir die
Allgemeinheit.«
»Miige die Allgemeinheit Jhnen
das Opfer lohnen, Suse. Aber ich
fürchte das Gegentheii. Sie gehören
nicht zu den Frauen, die siir Kampf
geschaffen sind. Sie haben viel zu
viel Phantasie, ein zu weiches Herz.
Heute machen Sie sich ja nur künst
lich hart. Wenn Sie Praxis bekom
men, werden Sie bald einsehen, daß
ich recht habe. Es ist ein Unterschied,
Theorie und Praxis! Versprechen
Sie mir eins: Wenn Sie einsehen,
daß ich recht habe, wenn Sie »fliigel
lahm« sind, wenn Sie in Konflikt
kommen mit sich selbst, mit Ihrem ei
genen weichen Herzen, dann kommen
Sie zu mir· Jch warte.«
»Ich verspreche es Ihnen, mein
Freund« Ernst und fest sollten die
Worte klingen, aber die Stimme der
Sprecherin zittert und es blinkt
feucht in ihren Augen«
,,Leben Sie wohl, Suse!«
Etwas über ein Jahr ist vergan
gen. Fräulein Dr. Susanna Hart
wig ist bereits viel beschäftigt. Frauen
und Kinder nehmen ihre Zeit und
Kraft in Anspruch, und sie dient«
ihnen mit ihrem ganzen Können und
Wissen. Mit fortwährender Ueber
windung ihrer selbst und ihrer
Schwäche. Denn merkwürdig was
ihr in der Theorie leicht erschien, in
der Praxis wird’s ihr furchtbar schwer.
Jmmer leiden sehen und so selten
wirklich helfen können! Und in den
Stunden des Alleinseins, der Muße
welche Niedergeschlagenheit und Mii
digteit da in ihr ist! Sie hat ja
Belannte genug und gute Freunde, sie
lännte sich erholen im geselligen Kreis.
Aber-Mit die Frische dazu, die
harmlose Freude am Verlehr. Sie
sorgt unausgesetzt um ihre Patienten
und trägt jedes Einzelnen Geschick aus
dem Herzen. Wie könnte sie in froher
Gesellschaft weilen, wenn sie weiß, eben
bangt eine Mutter um das Leben des
einzigen Kindes! Es mag ja Frauen
geben, die das trennen können, den
Beruf und das innerste Fühlen. Sie
vermag’s nicht. und das reibt sie auf.
Sie nimmt Alles ganz persönlich,
und so leidet sie unausgesetzi. Ob
doch — ob sie doch nicht geeignet war
zu diesem Beruf? Ob es ihr Beruf
gewesen wäre, eines geliebten Mannes
Weib zu sein? Ob die Sehnsucht
nach ihm, nach Robert. schuld ist an
diesem ganzen Zustand? So fragt
sich Fräulein Dr. Suse oft, und es
kommen ihr reuevolle Gedanken. Aber
sie wehrt ihnen mit dem ganzen Rest
ihrer viel geprüften Energie. Gäbe
sie das zu, dann wäre sie ja ver
Pflichtet, ihm Alles zu gestehen.
Nimmermehr! Sie hat die Last ihres
Berufs auf sich genommen, sie muß
sie weiter tragen.
Heute ist die Sprechstunde am
Morgen recht besucht gewesen und
Susanna fühlt sich schon vom Beginn
ihres Tageswerts grenzenlos ermüdet.
Da schellt es noch einmal und dienst
bereit, denn das ist sie immer, wintt
sie mit freundlicher Miene der schwäch
lich aussehenden, nicht mehr ganz
jugendlichen ·Frauenerscheinung, ins
Sprechzimmer zu kommen.
,,Fr«ciulein Harttvig, ich bin Jhnen
fremd, natürlich. Aber gerade des
halb komme ich zu Ihnen. Bitte, un
tersuchen Sie mich. Jch huste immer
nnd bin so matt. Und nun stehe ich
vor meiner Hochzeit. Sieben Jahre
sind wir verlobt gewesen, und ich habe
ihn so lieb. Und nun bin ich trank.
Er ioiil’s nicht glauben. Aber ich
fühl’s, ich darf keine Ehe eingehen.
Und ich muß Gewißheit haben."
Die Sprechende iff in furchtbarer
Aufregung Susanna, tief ergriffen,
ftammelt ein paar Worte von übertrie
bener Aengstlichteit. Aber das Aru
ßere des Mädchens sagt ihr genug.
Und nach der Untersuchung ist kein
Zweifel mehr. Doch nicht um eine
Welt hätte sie der Armen das Ergeb
niß mittheilen können: Lungentuber
iuiofe im vorgeschrittenen Stadium.
»Ich würde Ihnen rathen, einen
Specialisten aufzusuchen, ich bin nicht
ganz sicher, Fräulein, und in solchen
Fällen -—-« s
»O bitte, bitte, Sie wollen mich
nur schonen. Sagen Sie mir die
Wahrheit. Es ist so hart, nochmals
zu einem Arzt, und ich hatte so großes
Frau sind« .
Weil ich eine Frau bin, kann ichss
nicht. Weil ich selbst liebe, weil ich
weiß, was es heißt, entbehren, wo
man besitzen- möchte, deshalb eben
tann ich Dir nicht Dein Todesurtheil
sprechen. —- So hätte Susanna ru-l
fen mögen. Aber sie thut’s nicht.
Sich gewaltsam zur Ruhe zwingend,
spricht sie: »Es ist doch besser,
tonsultiren den Geheimrath Höfer
Er ist Autorität.« Die Arme geht
trostlos, wie sie gekommen.
Suf fanna Hartwig aber verfällt,
allein, in eine Art Weintrampf, aus
dem sie sich nur mühsam aufrafft.
»Flüsgellahm", so flüstert sie nach ei
ner Weile— » zu ihm!«
; Dr. Merz hat feine Sprechstunde
;beendigt. Er greift nach Hut und
sStoct Da,- ein schüchternes Klopfen,
und sie fteht vor ihm —- Susanna
J— blaß, mit gesenkten Augen, aber
«lieblich, unendlich lieblich in ihrer de
müthigen Haltung.
,,Suse, was führt Sie zu mir, und
fo blaß sind Sie -— was ist Jhnen,
fehlt Jhnen etwas — sprechen Sie
ein Wort —
,,Flügellahm, Robert!«
,,Suse!«
»Nein, hören Sie erst. Sie hat
ten Recht, tausendmal recht, Robert.
Jch bin nicht dazu geschaffen, ich kann
nicht länger, ich habe getämpst, ge
rungen, gelitten für meinen Beruf —
vergebens. Und ich hatte Zähnen ver
sprochen, wenn es soweit—
»Und endlich ist s soweit! Gott sei
Lob und Dant, Suse! Jch hab s er
.hofft, ersehnt, erfleht — endlich!
Mein Weib, meine Suse, endlichl
tommft Du zu mir! Und ich lasset
Dich nicht mehr. Und mach’ Dir tei
nen Vorwurf, lieb’ Herz, über Deine
,yahnenslucht. Sieh, wenn Du mir
all das wirst, wasich von Dir hoffe,
dann nützest Du auch der Allgemein
heit, denn ein Mann, dem ein gelieb
tes Weib zu eigen dem verdoppeln sich
die Kräfte, der wirkt und schafft für
»zwei. Es ist also alles in Ordnung
; Find-nun, Suse, wann soll die Hochzeit
ein «
,,Sobald Du willst Liebster«
Vertrauen zu Ihnen, weil Sie eine
nach d?m"FTiiIk-iifksg.
Novellette von P a ut B l i ß.
Die armen Junggesellen!
Wenn sie nicht schon früher die
ganze Einsamkeit ihres inhaltlosen
Daseins fühlen, dann geschieht es
ganz unzweifelhaft um die Zeit her
um, von der empfindsame Seelen
sagen: es ist die eit, da der Früh
ling schwindet —- —— .
Kurt Neumann war nun 30 Jahre,
er hatte — wie man das so schön
nennt —- sein Leben genossen. Er war
in der Wahl seiner Eltern recht vor
sichtig gewesen, und so brauchte er sich
keine Sorgen zu machen und konnte
leben, wie es ihm gestel. Aber wie das
so geht —-— selbst ein sorgloses Dasein
wird auf die Dauer zur Plage, wenn
man die Strapazen des Vergnügensi
nicht durch die Wohlthat irgend einer
ernsten Arbeit ausgleicht.
Kurt Neumann aber war nie ein -
Freund der Arbeit gewesen, er hatte
stets nur Lust und Zeit, der Göttin
Lustbarteit zu opsern, —- na, und so
kam, was denn kommen mußte: eines
Tages sah er voll Entsetzen in den
Spiegel und machte die grauenvolleE
Entdeckung, daß sein Haupthaar sich
zu lichten begann, daß sein schöner
brauner Vollbart schon einige weiße
Fäden auszuweisen hatte, und daß die
verrätherischen Krähensiiße sich ganz
bedenklich bemerkbar machten; als er «
alles Dies ionstatiren mußte, ließ er
den Spiegel sinken, machte ein melan- .
cholisches Gesicht und dachte: Die er l
sten Anzeichen, daß der Frühlings
kvcicht. j
Und von jenem Tage an erkannte er T
dann die Oede feines inhaltlosen Da- !
feinst, -—— er fand die Vergnügungen
seiner Mut-genossen fade und abge- »
schmackt; er fand das Essen in dens
Restaurants indifferent und auf dies
Dauer ungenießbar; et fand sein sonst s
sso traulich wirkende-B Garcon - Logiss
Höde und langweilig; er merkte, daß,
TWirthe und Diener ihn bestahlen, —
siurz und gut, er hatte jenen großen
moralischen Katzenjammer, von dem
eine geistvolle Frau einst behauptete
daß er der einzig höhere Weg zur Ehre l
ser.
»Ja, was soll denn aus mir wer
den·?« fragte er sich eines Tages und
zog dann den Gedanken an eine Hei
rath ganz ernsthaft in Erwägung.
Und so ließ er die Damen feiner
Bekanntschaft im Geiste Revue pas
stren.
Aber troßdekn er eine ganz statt
liche Reihe schöner, geistvoller und rei
L)
cher Damen zu seinen Bekannten zäh
len durfte, war doch nicht eine Ein
zige darunter, mit der er einen Bund
für das Leben hätte schslie en mögen.
Der gute Kurt war näm ich eine et
was romantisch angelegte Natur, und
obgleich er ein Drittel seines Lebens
im tollen Jubel und Trubel verpraßt
hatte, war er im Grunde seiner Seele
'der ideal angelegte Junge geblieben,
der nun, nachdem die Wildheit ausge
tobt hatte, wieder sich zurücksehnte nach
der Stille eines harmonisch schönen
Lebens.
So saß er eines Tages zur Däm
merskunde im Schautelstuhl, sah träu
mend den blauen Rauchringen seiner
Zigarette nach und dachte an die glück
selige Zeit seiner Jugend, als er im
ersten Erwachen seines Frühlings die
ersten Liebesabenteuer erlebt hatte . .
hei! Das war ein Glück gewesen! Da
hatte er des Daseins Wonne als ein
keines, ungetrübtes Glück empfunden!
Da war es ihm noch möglich gewesen,
sich in das erste beste Mädchen aus
dem Volk zu verlieben. wenn sie nur
ein reines Herz und ein treues Auge
gehabt hatte! Ach, es war eine so
herrliche, unvergleichliche Zeit gewe
sen! Das ganze wilde Kraftgesiihl
der Jugend war noch da, so daß man
meint, es gäbe in der ganzen Welt kein
Hinderniß daß nicht überwunden
werden könnte! Alles-, Alles hatte ihm
gehört, denn die Kraft und Phantasie
war so stark, daß er sich Allem gewach
sen fühlte!
Und wie er so saß und seinen Träu
men nachhing, kam ihm urplötzlich ein
Mädchen in Erinnerung . . . . Lucie
hieß sie, hatte blonde—Zöpfe, blaue
Augen — ach, so liebe. treue Augen-—
und war ein so schlankes, zartes We
sen, daß er zuerst gar nicht wagen
wollte, sie fest in seine Arme zu schlie
ßen, —- und ein Schalk war sie dabei,
immer ein Lächeln aus den Lippen und
immer ein« heiteres Wort in Bereit
schatf, — ein liebes, herziges Mädel,
mit dem er Wochen des ungetrübten
Glücks genossen hatte, des Glücks rei
ner, teufcher Liebe, die so hoch und
heilig über allem erischen dasteht,
daß kein rohes Wort des Alltags sie
entheiligen kann.
Ach, ein rechter Narr ist er aewe
sen, daß er sich dies Glück nicht ge
wahrt hat! Denn erst jchh nun er des
Lebens Oede kennen gelernt, weiß er
ja, wo das einzig wahre Glück zu fin
den ist.
Plötzlich aber springt er aus. Ein
Entschluß durchrüttelt seine müden
Nerven, —- nein! es ist noch nicht zu
spät! er weiß ja, wo sie ist, er wird sie
aufsuchen, und wenn sie noch frei ist,
und wenn sie ihn nicht verschmäht
dann wird er sie noch ietzt nehmen,
dann wird er nun noch das Glück sich
holen, das er damals in blinder Thor
heit verscherzt hat!
Und unu ist er mit einem Male wie
umgewandelt. Verschwunden die Mü
digkeit, verslogen die Blasirtheit. Er
richtet sich vor dem Spiegel auf, streicht
den Schnurrbart hoch, läßt die tadel
losen Zähne sehen undlächelt, voll
froher Hoffnung, seinem Spiegelbild
zu: nur Muth, nur Vertrauen, noch ist
es nicht zu spät!
Und dann, in fiebernder Eile, wer
den die Vorbereitungen zur Reise ge:
macht. Es kann ihm jetzt Alles nicht
schnell genug gehen, er hat immer das
Gefühl, als tönne ein Anderer ihm
zuvortommem als könne diese letzte
Rettung ihm vielleicht doch noch ge
raubt werden, —- schnell, nur schnell,
bis er ihr erst wieder gegenüber steht.
Endlich, endlich sitzt er im Zug, der
ihn nach den Gefielden der Heimath
bringen soll. Aber ach, obgleich es ein
Schnellzug ist, es geht ihm doch viel,
viel zu langsam vorwärts. Das Herz
pocht ihm in jugendlicher Ungeduld
und die Gedanken eilen voraus, vor
aus zu ihr.
Es ist ihm, als habe er sie erst Vor
wenigen Tagen verlassen, so sonnen
hell steht ihre ganze Erscheinung nun
vor ihm, es ist ihm, als sei Zeit und
Raum vermischt, alg sei die ganze Zeit
feines wilden Leben-z nicht gewesen,
so stark, so machtvoll wirkt die Erinne
rung, die ihm das lichtumflossene Bild
der Geliebten vorsiihrt.
Er preßt die Hände zusammen und
erfleht vom Himmel dies Glück, dies
letzte große Glück; von dem er Alleg,
Alles erhossh
Und endlich dann, nach einer qual
vollen Stunde, hat er das Ziel seiner
Reise erreicht.
Er säh-It in das HoteL macht Ini
lette. sehr, sehr sorgfältig, dann kaust
er einen Strauß, Veilchen natürlich,
denn Veilchen waren ja ihre Lieblings
blumen und dann macht er sich aus den
Weg en ihr.
Se ne Aufregung ist so groß, als
wäre er ein Primaner und ginge zu
seinem allerersten Riendezvous. Als er
vor dem Hause ihrer Eltern steht, wagt
er nicht, gleich hinein zu gehen, sondern
geht erst einige Male davor auf und
ab, so daß er den Vorübergehenden
schon auffällig wird, — endlich, dann
faßt er sich ein Herz, drückt auf die
Thürllinke und betritt den Flur des
Hauses. «
Tiefe Stille umfängt ihn. Alles ist
noch so wie es- damals war, —- der alte
Schrank, die große Uhr, die schwere
Truhe, sogar die alte Lampe hängt
noch da, —- als ob er es gestern erst
verlassen hätte.
Plötzlich kommt Jemand.
Fast wagt er kaum zu athmenJ
Zaghaft bleibt er stehen und wartet.
Eine dicke Frauensperson kommt;
sie ist nachliissig gekleidet, ein fettiger
Morgenrock umschließt die üppige Ge
stalt; auf dem unordentlichen Haar
thront eine ehedem weiß gewesene Hau
be. Erstaunt sieht die Frau den Frem
den an. Endlich sagt sie mit heiserer
Stimme: »Sie wollen wohl zum
) Herrn, —- bitte, die erste Thiir rechts.«
Nun rafft Kurt sich auf und sagt
imit leisem Erzittern: »Verzeihung.
lich möchte gern Fräulein Lucie spre-»
; chen.« ' I
; »Fräulein Lucie?« Erstaunt siehtl
»die Frau den Fremden an.
! Und Kurt nickt: »Jawohl, Fräu
lein Lucie Müller·«
» Plötzlich lacht die Frau laut schal
lend auf und ruft mit hattet Stimme:
«,,Ach, Sie sind ja der Herr Neumann,
I na, Sie hätt’ ich, weiß Gott, nicht wie
der ertannt!«
; Und dem armen Kurt ist es, als ob (
i plötzlich Alles um ihn her versinkt, als
job er allein, mutterseelen allein da
j stände.
« »Na, dann treten Sie nur näher,
Herr Neumann; aus dem Fräulein ist l
s’ne Frau geworden, und auch an mir
list die Zeit nicht spurlos vorüberge
L gangen, wie Sie wohl sehen.«
, Langsam, saft mechanisch, tritt Kurt
,in das Zimmer. Er kommt sich plötz
" lich vor, als sei er eine Figur, die im
Rahmen dieses Zimmers einen un
glaublich komischen Eindruck machen
smuß.
- Und nun sitzen sie sich gegenüber,
diese beiden Menschen, aus denen das»
Leben so verschiedene Geschöpfe ge-l
Lmacht hat, und nun sprechen sie von
Iden gleichgiltigsten Sachen, und keiner
i wagt es, an die Vergangenheit zu rüh
» ren.
Endlich, nach qualvollen zehn Mi
nuten, erhebt er sich; er giebt vor, in
sder Stadt noch ein paar Geschäfte zu
. haben, und deßhalb empfiehlt er sich
« jetzt.
s Langsam, wie träumend, geht er,
sgeht zurück ins Hotel, packt seine Sa
; eben, fährt zur Bahn, steigt in den Zug
,und fährt ab, und dann erst, dann
i
»als er den Fluren der kleinen Stadt
sfern und entrückt ist, dann erst weicht
H diese Lethargie von ihm.
s Und jetzt, je mehr er der Hauptstadt
Jnäher kommt, jetzt überfällt ihn eine
Jneue eigenartige Stimmung, ein mü
jdes Lächeln der Resignation umspielt
Hseinen Mund, und ganz still und zu
frieden denkt er jetzt: es ift vielleicht
ganz gut, daß sie nicht dein Weib ge
worden ist.
J Dann fuhr er in den Bahnhof der
Hauptstadt ein, und hier umbrauste
ihn dieltausendfaches Leben und Trei
ben, das seine sentimentalen Anwand
Jungen vergessen machte.
Der Iruthahn in Europa.
Die europäischen Truthühner haben
mit den wilden Truthühnern in dens
Ver. Staaten und in Meriko so große l
iAehnlichteit, daß man die sHeimathI
dieser Hauschiere wohl in der neuen
Welt suchen muß. Demnach müßten
: auch die Leute unrecht haben, die in al
Eten lateinischen Werken Erwähnungen
Ioder Beschreibungen dieses Vogels ge
i sunden haben wollen.
! Nach den neuesten Untersuchungen
iliaben die llrahnen der europäischen
Puter in Mexilo und Tean gelebt,
und zwar sind es vermuthlich die al
ten Mexilaner gewesen, die sich zuerst
s mit der Züchtung dieses Gesliigels ab
Igeqeben haben. Als Fernando Cortez
1520 Mexilo eroberte, fand er mehrere
Tausende von Truthühnern in den Hö
sen des Palastes des Kaisers Monte
zuma. Natürlich war Spanien das
erste Land Europas, das diese exoti
schen Vögel zu sehen bekam, die da
mals den Namen der indischen Pfauen
erhielten. Es dauerte aber wahrschein
lich nur wenige Jahre, bis sie von
Spanien auch nach England lamen.
Ein altes Gedicht berichtet, daß die
Truthühner, die Karpfen und das
Bier in demselben Fahr (1524) ihren
Einzug nach Engiand gehalten hät
ten. Zu vielen Jrrthiimern hat auch
die englische Bezeichnung des Puter
als Turteh Cocks Gühner aus der
Türkei) Anlaß gegeben. Man kann
ihre Entstehung wohl nur durch die
Annahme erklären, daß man damals
M o
den Ursprungder Truthühner wirk
lich in die Türkei verlegte. Es wäre
möglich,- daß man in jener Zeit, ulö
das neuentdeckte Weftindien mit dem
eigentlichen Ostindien verwechselt
wurde, auch die indischen Pfauen
nicht richtig unterzubringen wußte.
Die Bekanntschaft ’rnit den indischen
Hühnerm namentlich mit denen aus
Calicut, mag diese Verwechslung noch
befördert haben. Jm 16. Jahrhundert
waren die Puter in England eine
Kostbarkeit allerersten Range-T und
der Erzbischof Cranmer erließ 1541
ein Verbot, bei einem Gastmahl mehr
als ein Stück der großen Geflügel
arten zu servirem zu denen Kraniche,
Schwäne und Puter gezählt wurden.
40 Jahre darauf waren die Truthüh
» ner schon zahlreicher geworden, so daß
sbei einem Bankett neben anderen De
lilatessen im ganzen sechs Exemplar-e
erschienen, von denen jedes nur 4
Schilling gekostet hatte, während
Schwäne und Kraniche damals noch
10 Schilling und die Kapaunen eine
halbe Krone kosteten. Auch bürgerte
sich nun schon die noch heute in Eng
land herrschende Sitte ein, zu Weih
nachten einen Truthahsn zu braten.
Die Grafschaften Norfolk und Sus
folk bemächtigten sich hauptsächlich der
Truthahnzucht und schon vor 100
Jahren schickte die Stadt Not-wich in
drei Tagen allein über 4000 Puten
nach London. Jn Frankreich wurden
nach der Ueberlieserung dem König
Karl dem Neunten beim Durchzug
durch Amiens von der Bürgerschaft
zwölf Truthühner als Seltenheit zum
Geschenk dargebracht, aber schon viel
früher war dies Geflügel auch dort
bekannt geworden. Als im Jahre
1546 ein reicher Bürger von Rouen
ein Baniett veranstaltete, wurde in
einem Festgedichi von 442 Versen
auch der auf der Tafel vertretene
Truthahn befangen.
Die Benennqu ver Taschen
U ro
Es ist Thatsache, daß mit den Ta
schenuhren meist recht sorglos und
gleichgiltig umgegangen wird. Jn
folgedessen hat man oft über Unregel
mäßigkeiten zu klagen und bereitet sich
selbst unnöthige Unkosten. Eine wirk
lich gute Taschenuhr ist aber ein so
werthvolles Objekt, daß man bei der
Behandlung desselben schon etwas
Aufmerksamkeit und Sorgfalt anwen
den soll. "
Um einen gleichmäßigen und zuver
lässigen Gang der Uhr zu gewinnen,
ist es unbedingt nöthig, daß sie täg
lich und zwar stets zu derselben Zeit
aufgezogen wird; am besten geschieht
dies Morgens. Es ist diese Pünkt
lichkeit im Ausztehen sehr wichtig!
Gilt es sodann die Zeiger zu stellen,
so thut man dass in der Weise, daß
möglichst wenig gedreht werden muß
Kann das leichter gesche en, wenn
man den Zeiger rückwärts reht, drehe
man rückwärts. Es ist eine irrige
Annahme, daß das Rückwärtsdrehen
dem Uhrwert Schaden bringt. Kann
man dadurch ein längeres Drehen er
sparen, nehme man es ruhig vor.
Müßte man beim Vorwärtsdrehen
den Zeiger mehr oder weniger fast den
ganzen Kreislauf machen lassen, ist
äahs viel weniger vortheilhaft für die
r.
Außerdem vermeide man es, sie
Abends beim Abnehmen auf eine
Marmorplatte oder sonst eine kalte
Fläche zu legen. Bei feinen Uhren,
besonders bei Damenuhren, kann es
sehr schnell und leicht passiren, daß
der jähe Temperaturwechsel durch u
sammenziehen des Metall-s die Fe er
absprengt. Die Kälte verursacht aber
auch das Gerinnen des Oeles, mit
dem die Räder und Zapfen beseuchtet
sind; sie arbeiten dann weniger mühe
los und beeinträchtigen die Exaktheit
des Ganges. Das Günstigste für die
Uhr ist, sie in schräger Stellung, ähn
lich der, die sie in der Westentasche
oder im Gürtel einnimmt, an einen
weichen Gegenstand zu lehnen.
Von Zeit zu Zeit sollte man seine
Uhr übrigens gründlich vom Uhr
macher saubern lassen. Nach und nach
trocknet alles Oel ein, Staub sammelt
sich immer mehr an. und es werden
dadurch nicht allein die Funktionen
unregelmäßig, sondern es wird auch
noch die feine Maschinerie ganz erheb
lich ftrapazirt und abgenutzi. Wer
darum eine gediegene Uhr besitzt und
sich selbe lange in gebrauchsfähigem
Zustande erhalten will, lasse sie alle
zwei Jahre von einem Fachmann rei
nigen, vertraue sie aber nur tüchtigen
und zuverlässigen Händen an. Er hat
da eine kleine Ausgabe, im andern
Falle leicht größere, denn Uhrrepara
turen sind meist kostspielig
Ausswa
Baron ann vonPumpwitz sitzt zwar
ewig in der Klemme, aber er erträgt
die Sache mit Humor, und mit den
Mahnbriefen tipezirt er sich seine feu
dale Junggesellenwohnuna. Doch die
Situation wird immer schlimmer; alle
Wände sind schließlich vollgeklebt mit
Mahnbriefen. Da meint er zum Die
ner: »Johann, weißt Du denn keinen
Rath, schau nur, jetzt sind alle Wände
mit diesen scheußlichen Brieer voll?!«
»O,· ganz einfach,« antwortet der
Diener, »wir können ja noch ein Zim
mer dazu miethen!«
» Böse Zungen.
i »Du, was sagst Du denn zu dem
lalten Oberst mit seiner blutjungen
sFtau«
- »Na —- sie sieht aus, wie wenn sie
aus der Pension käme und er sieht aus,
wie wenn er in die Pension gingt«