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About Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918 | View Entire Issue (June 23, 1905)
oc- Fea von-z Camoreste von Cour. Fisch-k Sallstein. »Das reizende Bild zeigte Amanda sli allerliebstes einjähriges Kind, das aus dein Schoße ihrer damals noch so schönen Mama saß. Amanda hatte diese Photographie ihrem Verlobten heimlich unter die Zapiere gezaubert, die er stets in der rusttasche seinesUeberziehers herum trug. Sie fand das Kunststückchen so amüsant, malte sich so humoristisch das Erstaunen aus, in welches ihr Egon sicherlich gerathen müsse, wenn er das Bild entdecken würde, daß sie nicht aus dem Lachen herauslam. Egon wurde zuletzt etwas ver stimmt, aber mit seiner Vetstimmung wuchs die Heiterkeit Amandas. »Aber mein theures Herz, was reizt dich denn so sehr zum Lachen?« »O, wenn du das wüßtest, bester Egon!« , - »Verlobte sollten keine Geheimnisse haben.« « »Es ist ja auch gar kein Geheim niß —- gewiß nicht. —- Du wirst das bald selber finden-—aber ich darf es dir nicht selber sagen.'« Egon grübelte umsonst darüber nach, mit was er sich bei seiner Amanda nur so lächerlich gemacht ha ben konnte. Die Situation war nacky gerade nicht mehr zum Aushalten. Egon war ein fleißiger, thätiger Mensch. Darum hatte ja auch Papa so gern sein Jawort gegeben. Aus jedem Spaziergang hatte er irgend einen wichtigenGeschäfisbrief zu lesen, auf jedem Postbureau hatte er eine Karte zu schreiben. Amanda wun derte sich daher nicht, als ihr Verlob ter auf einmal in die Tasche seines Sommeriiberziehers griff und eine gehörige Handvoll Briefe und Karten hervornahm Doch seltsam — Amanda wurde setzt purpurroth Sie hielt den Athem an, sie schlug die Augen nieder, die schön-e Sünderin. Jetzt wird er los planem Das Bild ist gerade für einen Ehesiandskandidaten so sehr pi kant. Wie wird er sich freuen, wenn sie ihm erröthend eingesteht: die Kleine da—nun das bin ich! Egon hatte inzwischen das interes sante Bild entdeckt-war starr ge worden, und begrub das fatale Bild mit bewunderungswerther Fixigkeit mitsammt den Briefen wieder in der Tasche seines Ueberziehers. Dann athmete er aus. Donnerkat ter, haben ihm da die Freunde wieder einen niederträchtigen Streich gespielt! Eine hübsche junge Dame mit einem Kinde auf dem SchooßeL Na, ich danke! Welche Schlußfolgerungen könnte Amanda nicht an das Bild heftens Und er müßte auf alle Fragen die Antwort schuldig bleiben. Wer ein solches Bild mit sich herum trägt, der... Egon hielt in seinem Gedankengange inne, der ihn in ein Labyrinth von Möglichkeiten hinab siihrte, und blickte Amanda an. » Diese hatte mit Schrecken das Be nehmen Egons beobachtet. — O Gott, wie er die Farbe wechselte. Er kann kein gutes Gewissen haben. Sie senkt das reizende Haupt und weint. Egon ist wie vernichtet. Sollte sie in jenem einzigen Augenblicke das fatale Bild gesehen haben? »Du weinst, mein theures Heer« Die Unglückliche schluchzte laut. »Ist es nicht deine Pflicht, Amanda, mich an deinem Schmerze theilnehmen zu lassen?« »Ach ja. Du sollst auch alles wissen. —Jch weine um meine unglückliche Freundin Sol-hie —- Du hast doch von dem Prozeß gehört? —Bor einem Zahn heirathete sie den Sir James udleh aus London —und nun hat es sich herausgestrllt, daß Dudley be reits verheirathet war —- Weib und Kind besitzt.« Egon «el beinahe auf den Rücken. »Das st furchtbar!« stießer hervor. »Du lebtesi ja auch zwei Jahre in London « «Allerdings; aber, theuerste Aman da. alles mit Unterschied!« Amanda fröstelte. Egon stöhnte wie ein Mensch, der in eine ungeheuerliche Situation hineingerathen und sich m nicht zu helfen weiß. e er sich hier verthekdigen"-— Gewiß nicht, das hieße sich anklagen. »Egon,« sagte nun Amanda, »es ist nicht alles rein und lauter in deinem Herzen. Du hast ein furchtbares Ge heimniß in deiner Brust vergraben. Enthülle es mir, gestehe mir alles ein; du kennst ja mein verzeihendes Herz, EgonK Egon fuhr mit der Hand nach der Btnfttasche seines Ueberrocks, um das satale Bild hervorzuziehen —- aber, Gott sei Dant, er kam noch zur rechten « ·t zur Vernunft; sieht sie erst das ild, dann ist alles aus! »Aber ich bitte dich um alles in· der Welt, was sollte ich dir denn sär ein särchterliches Geheimniß mittheilen?« Amanda bekam auf einmal einen schweren Ansall von Kopfschmerzen.. In einer Stimmung, in der man geichgiiltig selbst den Untergang der elt hereinbrechen sehen würde, kam nheute· m seiner Garconwohnung tm- nEr riß das Bild aus der Tasche M schleuderte es an die Wand »Dir-mich es ist kein Zweifel, sie set das Bild gesehen und hält mich muss-r —einen Dudley—— siir ver Este-mit Was einein nicht alles pas . kannt« rief er ans und wars sich ·· ank- Sake-. Der sall sährte jetzt seinen Weib lrtbe theebe Bild fährt Egan aus den Arglasen »Mensch« du baß mir dieses Bild in die Tasche meines Ueberzieberö ge steckt? Den Streich dankt dir der Teufel!« »Wie sollte ich denn dazu kommen?« Meine Aussliichie, ich sehr dir das Verbrechen an den Augen an! Dieser Streich muß auf der Stelle wieder ut gemacht werden. Meine Braut fah das Bild und bat mich nun in Ver dacht, heimlich verheirathet zu sein, Weib und Kind zu besitzen! Sei so gut und gehe auf der Stelle hinüber zu meinerBraut und sage ihr, daß du den unüberlegten schlechten Witz gemacht habest; zum Schlusse kannst du sie meinetwegen auch noch versicheru, daß ich noch ledig sei.« Albert lachte. »Na, na, die Geschichte ist nicht schlecht. Aber ebensowenig wie ich dir »dieses Bild« —- er hob es hier vom Boden aus-»in deine Tasche gesteckt habe, kann ich deine Braut mit der .Wucht der eigenen Ueberzeugung ver E sichern, daß du wirklich noch lediäbist Ich glaube sogar, daß an der ache Ietwas ist. haß du den Prozeß von JDudleh verfolgt, der jetzt so vielen ; Staub auswirbelt? — Lieber Freund, Idieser Dudleh sollte dir denn doch als sWarnung dienen. Das Gesetz verbietet uns einmal, und das mit Recht, zwei Frauen zu gleicher Zeit zu besitzen. Meine Privatansichten über diesen JPunckt lauten ja anders, aber ich werde smich hüten, sie der Welt aufdrän en szu wollen. — Weißt du mass-— ie Fjunge Frau hier auf dem Bilde ist gar Tnicht übel, nein, sie ist reizend, und jdieses siiße Kind! —- Donnerwetter, 1wer ein so reizendes Weibchen, ein so herrliches Kindchen besitzt, dem sollte Jdenn doch die Jdee serne liegen, sich noch eine zweite Frau dazu heirathen zu wollen! Du mußt tein Gewissen haben, Egon!« : »Höre auf. Du scheinst das alles siir Jux zu halten?« s « »Gott bewahre! Jch nehme dieSache sbitter ernst. Jch halte es für meine zbeilge Ausgabe, die beabsichtigte neue zbeirath unmöglich zu machen und dich wieder deiner Frau und deinem Kinde s zuzuführen!« ; Egon sah ein, daß mit Albert abso slut nichts anzufangen wäre. Auch Llsatte er sich inzwischen vollständig säberzeugh daß dieser an dem Verbre Tchen unschuldig sei. Nun mußte Ro bert gefoltert werden; einer muß da ran glauben, einer muß sich seiner Braut gegenüber als Sünder, als At tentäter bekennen, damit der unge heuerliche Verdacht aus der Welt ge « schafst werde. I Entschlossen riß Egon dem Freunde E das fatale Bild aus der Hand, wars es zaus den Boden, nahm Stock und Hut, faßte den immer noch predigenden Albert am Arme und verließ mit ihm die Wohnung. Einige Minuten später fuhren sie zu Robert . . . Frau Giese, die Wirthin Egons, war durchaus leine neugierige Frau. ; Gott bewahre; nur ganz zufällig stand Jdiese gute Frau gerade hinter der Thüre. Es läßt sich denken, mit wel chem Interesse sie die Unterhaltung - der beiden Freunde anhörte. s Das war ja fürchterlich! Jhr Mie ther hatte Weib und Kind und wills »sich nochmals verheirathen-! Großer. Gott« kann und darf sie das dulden? I Frau Giese war alsbald mit sichj dahn einig geworden, daß die un glückliche Braut des Herrn Egon —; unterrichtet werden müsse. Das war ja nur ihre Christenpslicht. Als die jungen Männer das im mer verlassen hatten, eilte Frau iese . zhurtig in dasselbe hinein, und das ! :erste, was ihr in die Hände fiel, war l . das reizende Bild. » Es lag unter dem Tische am Boden. z Frau Giese hob es aus, blickte das jreizende Weib, das süße Kindchen an und begann bitterlich zu weinen. Und solch ein Weibchen tonnteer verlassen! ( Fünf Minuten später schon be and s sie sich auf dem Wege zu Cgonss » BMUL s Als Frau Giese vor der Thiir des Kommerzienraths stand, glaubte sie lautes Schluchzen zu vernehmen. Es war in der That Amanda, die sich noch immer nicht beruhigen konnte. Jn hel- ; ler Verzweiflung hatte sie unter Thrä- J nen der Mama erzählt, was sie an« ihrem Egon erleben mußte. » Die Frau Rath fand die Sache na- I türlich sehr bedenklich. Der Fall Dud- I ley bewegte gerade die Herzen und Ge müther der Frauenwelt. ; Man machte sofort dem Herrn Kommerzien-tatk) Mittheilun . Der lPava wollte soeben seine inung jäußerm als Frau Giese von dem zStubenmädchen ins Zimmer geführt l wurde. ’ Frau Giese lnixte, nahm das in Papier eingehtillte Bild aus derTasche i es Mantels, setzte sich aus einen el nieder und schluchztr. »Um Gottes willen, Herr Kommer zienrath, ich beschwöre Sie, lassen Sie die Verlobung zurückgehen! Geben Sie Ihr Fräulein Tochter nicht einem Mann, der-der bereits verheirathet ist, Weib und Kind besitzt« Amanda stieß einen Schrei aus und sank ihrer Marna in die Arme. »Das ist nicht möglich!« donnerte der Kommerziemath. »Welche Beweise haben Sie dasiir?« Mit zitternder Hand hielt sie dem erre ten rru das Bild hin. » ier i das Bild von seinem bra ven Weib, seinem süßen Kinde! Drei Jahre wohnt Herr Egon bei mir, aber nie und nimmer hätte ich von ihm geglaubt, daß . . .« Der Kommerzienrath brach, als er das Bild seiner eigenen Frau XI- Ge sicht deklam, in ein stürmrsches läch er au . . « »Wer hat Ihnen denn g agi, daß das die Frau des Herrn gon seit Wein. wahrhafii ,« wandte er sich an Tdie konsiernirie Frau Rath »das find ja reizende Enthüllungenj Seh war immer der Meinung, das riginal dieses Bildes sei meine Frau? Nun ziommt die Wirthin des Egon und ; will behaupten, daß du mit ihm ver . heirathet seist?« s Dann wandte er sieh an Amanda. ! »Hossentlich sind nun deine Be sorgnifse zerstreut, meine Tochter. Ich möchte aber auch wünschen, daß u aus diesem Ereigniß eine Lehre ziehft: einem jungen Manne soll man nie mals das Bild seiner Schwiegermut ter heimlich in die Tasche stecken; das bringt diesen immer in Verlegenheit. Was Frau Giese veranlassen konnte, die Behauptung aufzustellen, daß Herr Egon« —- der Kommerzienrath be gann hier wieder heftig zu lachen — ,,verheirathet sei seit Jahr und Tag mit meiner Frau, darüber muß sich die gute Dame ja klar sein, wir wollen es aber gar nicht wissen; der Fall Dud leh scheint die ganze weibliche Welt konfus gemacht zu haben!« Das Zimmermädchen brachte in diesem Augenblick die Karte eines jun gen Mannes ins Zimmer, welcher dringend den Herrn Kommerzienrath in einer ungeheuer wichtigen Sache zu sprechen wünsche. Der junge Herr war Robert Mars, das Schlachtopser des verzweifelnden Egon. »Ich erlaube mir, mich Ihnen vor zustellen und Sie zugleich wegen einer unüberlegten Handlungsweise um Verzeihung zu bitten. Jch hatte näm lich die Absicht, meinen Freund Egon ein wenig zu neaen, und beging daher die ungeheure Thorheit, ihm die Pho tographie einer jungen Frau, die ihr einjähriges Kind aus dem Schoosze hält, in die Brusttasche seines Som meriiberziehers zu stecken; natürlich, ohne daß er davon eine Ahnung hatte.« »Sie thaten das?« rief Amanda außer sich vor Staunen. « »Ja, gnädigexz Fräulein, ich muß bekennen, so unüberlegt gehandelt zu haben. Jch gebe dem gnädigen Fräu lein zugleich meine heilige Versiche rung, daß Egon niemals verheirathet war. Schon ehe er nach London ging, also vor acht Jahren, schwärmte er für Sie, mein gnädiges Fräulein und er ist seiner ersten Liebe immer treu geblieben« »Wie rührend, Mama! — Nein, ist; das aber ein Lügner!« J »Mein gnädiges Fräulein,« fuhr; Robert voll geheiligtem Feuereisert fort, »die bis zum Wahnsinn gren zende Liebe Egonz ist keine Lüge!« ( Die Frau Rath reichte das verhäng niszvolle Bild dem begeisterten Lob redner hin. »Frau Giese, welche gerade das Ge gentheil behauptet, fand dieses Bild im Zimmer des Herrn Egon. Sie müssen es ja ertennen.'« »Ja, das ist das Bild,« log Robert krampfhaft weiter, trotzdem er es in diesem Augenblick zum erstenmal sah, »es war meine erste und einzige Liebe. Das Schicksal wollte es nicht, daß wir vereint durchs Leben gehen sollten; sie heirathete einen Militiir, und ich werde ledig sterben müssen, weil ich sie nie vergessen lann!« Jetzt war es mit der Ruhe vorbei. Kommerzienrach lachten, bis ihnen die Thränen in die Augen traten. Ro bert fühlte auf einmal seinen unge heuren -»— Reinfall und ergriff die Flucht. Jn dem Hausslur stand Egon. No bert rannte ihn fast über den hausen. »Nun, theuerster Robert, hast du die Sache aufgeklärt?« »Ja, gehe nur hinauf, es ist alles in Ordnungi« Er stürzte fort. Egon suchte nun schüchtern Amanda auf und wurde von dieser mit einem Jubelschrei em pfangern Einige Wochen später fand die hochzeit statt. Fticktinchen. Von M. Weirauch. Jeden Mittwoch Morgen, wenn wir Kinder zum Kasfee in das Wohnzim mer ftiirmten, saß an ihrem Fenster platz »Flicklinchen". So nannten wir die arme Alte, de ren fleißige Hände emsig beschäftigt waren, die Schaden auszubessern, die vier wilde Kinder die Woche über an ihrer Garderobe angerichtet hatten. . Flicklinchen war nicht schön, war’ös auch wohl nie gewesen, namentlichE nicht für den, der nur Farben undj Formen wahrnimmt, der nicht -fieht,» welche Falte von Kummer, welche von Geiz nnd Hartherzigkeit spricht, dem ein Lächeln nicht zu Herzen geht, dem ein Blick nichts sagt —- turz, der nicht zu lesen versteht in dem menschlichen Antlitz. Vielleicht verstand ich es, ob ngeich ich zu jener Zeit wohl wenig T mehr als zwölf Jahre zählte. T Ich entsinne mich ganz deutlich, daß ? ich mich nie mit Flictlinchens strohgel ben, hin nnd wieder schon weisslich schimmernden Haaren, nie mit ihrer niederm Stirn und ihrer breiten Nase beschäftigte. Aber gar nicht satt sehen konnte ich mich an den vielen, vielen Fältchen, die den eingefallenen Mund umzogen und deren jedes einzelne von Liebe und herzensgiite, von selbstloser Opferwilligteit sprach« und wenn sie dam- iächetre, fah und zufrieden, danibar oder ergeben, idsn fand ich sie nicht selten wahrhaft n. Line hatte es gern, wenn ich, die Aeltesie, mich dann und wann zu ihr sente. Während unter ihrer Anleitung meine ungeschickten Finger das Nähen erlernten, würdigte sie mich mancher hübschen Erzählung, die zuweilen ihrer eigenen Erfahrung entstamme Jhr Leben tvar nicht sehr ewig-riß reich, und ihre Erzählungen drehten sich meist um einen einzigen Gegen stand oder, besser gesagt, um eine ein zige Person. Flicllinchen war eine alte Jungfer und hatte —- wie fast jedes dieser ein samen Geschöpfe —- eine Schwärme rei. ein Etwas, das sie abgiittisch liebte. Aber Flicklinchens Liebe war nicht Hund, nicht Katze, war weder Fisch noch Vogel, sondern ein Junge, »das Maxerl«, der Sohn der Leute« »von denen sie ihr Stäbchen abgewie sthet hatte. Sie hatte dort schon ge s wohnt, als der Kleine geboren wurde » und ihn von der ersten Stunde seines ; Lebens an gehegt und gepflegt. ! So war er ihr ans Herz gewach ; sen, und sie sorgte für ihn wie für ihr « eigen Kind Was sie eriibrigte von dem « targen Verdienst, den ihre Flickarbeit »abwarf, wurde für den Jungen an " gelegt. Jeder Nickel tam in die zierliche Blechbüchse, die unter den Raritäten auf ihrer hübschen Kommode den Hauptplatz einnahm. » Wenn s Jahr um war, dann wurde das Stimmchen auf die große Spar kasse getragen mit einer stillen, heili-; gen Freude wie zur Nachfeier des-! Weihnachtssestes. Hatte Flicllinchen aber einen freien Tag, dann arbeitete sie sicher fiir ihren Liebling, der immer so fein und nett aussah, als wär er bester Leute Kind Und dabei hatte der arme Schelm ei nen Trunkenbold zum Vater und eine Mutter, die nichts nach ihrem eigenen Kinde fragte und froh war, daß die ,,alte Flictmamseil« sich des Kleinen annahm. Stolze Freude leuchtete in dem verrunzelten Gesicht der lieben Alten, wenn sie erzählte, wie hübsch »das Maxerl« schon lesen und schrei ben könne, wie llug und geschickt er sei. Mit fast verschümtem und doch so unendlich glücklichem Lächeln pflegte sie hinzuzufügen: »Und lieb hat der Jung mich auch! Sie können mir’s glauben, Fräulein Mariechen, ich bin sein Bestes auf der ganzen Welt!« Einst schenkte ich ihr ein Bilderbuch aus unserem reichen Vorrath für ihr Marerl und hab’s bis heut nicht ver gessen, wie närrisch Flicllinchen sich ge bärdete, närrisch vor Freude bei dem Gedanken, welch eine Ueberraschung sie ihrem Liebling mit dem Buche bereiten würde. So lebte, dachte und arbeitete sie nur für’s Maxeri. Was von Sonnen schein in ihr armes, einsörmiges Da sein hineinleuchtete, ging von dem Kinde aus« ging aber auch von ihr auf das Kind zurück, und keins von beiden wußte, ob es mehr gab oder mehr empfing. Aber auch die rechte Weihe der Liebe, das Leid, fehlte nicht. Line er duldete alles Mögliche für ihren Lieb ling und zwar immer ohne Murren und Klagen. Als Maxerl sieben Jahr alt war, wurde er krank Da saß denn die arme Alte, Todesangst im bergen, an dem Lager des Fiebernden und pflegte ihn, so gut wie eine Mutter es nur ge lonnt hätte. Etwas Gutes hatte die Krankheit für Flicllinchen im Gefolge gehabt. Um nicht innerhalb ihrer ei genen vier Wände durch die Pflege, welche "die alte Mamsell dem Jungen angedeihen ließ, gestört zu werden, hatte dessen Mutter aus einer kleinen, finstern Kammer, die dicht neben Lines Stäbchen gelegen war, alles alte Gerümpel entfernt und das Bett des Kranken dort hineingestellt. Das war nun auch nach der Gene sung so geblieben. und Niemand war glücklicher als Flicklinchen Sie selbst schlief in der licht- und luftlosen Kammer und richtete ihrem Maxerl in ihrem hellen, freundlichen Stüh chen sein Lager ein. l ! l I " Eines Mittwochs saß ich wieder ne ben Flicklinchen und war ihr —- we nigstens nach meiner Meinung —- he hilflich, Ordnung in unsere Gardes robe zu bringen, als die Alte etwas schüchtern begann: »Fräulein Marie chen!« »Nun, Line?« »Jetzt ift der Cirtus da. Maxerl fchwärmt so fiir Pferde. Was meinen Sie, soll ich mit ihm —?« » »Jn den Cirtus gehn? Na, gewiß . Line, das wird ihm einen heidenfpaß Jmachent Unsere Jungen liegen auch ; schon der ma in den Ohren! Das I wär« präch ig, wenn wir an ein und - demselben Tage hingehen könnten. Insek, Lin-Z fügte ich noch hinzu, »Sie dürfen nicht auf den Steht-las gehn, Sie halten’s nicht aus, und der Junge kann nicht ordentlich fehn.« Und ich versuchte, ihr ein paar kleine Münzen in die Hand zu drücken, die ich aber erst nach energifchem Wider stand von ihrer Seite los wurde. »Fräulein Mariechen,« hob meine fNachbarin aufs neue an und wieder c mtt bem eigenthiimltchen Zögern, baß ich merke, sie habe noch etwas auf dem herzem »Kann ich denn in den Cirius gehn ohne Hut?« Jch hätte ihr diese Frage eigentlich nicht beantworten können, da ich das selbst nicht wußte; aber um meiner 12jiihrigen Weisheit keine Blöße zu geben, verfiel ich auf einen —- wie ich damals meinte —- vortresflichen Aus weg. Jch lief, ohne ein Wort zu sagen, hinweg zu meiner Mutter und kehrte ebenso schnell wieder, einen gelbseide nen Hut, reich mit Stiesmiitterchen garnirt, in der Hand. Meine Mutter hatte er noch vor ei jnem Jahr prächtig getleidetz da sie . ihn aber nicht mehr trug, hatte ich ihn s mir sitt Flicllinchen erbettelt. Wie ich vorausgesehem erregte der Hut ihr « größtes Entzücken. »Ach, Fräulein Mariechen, der» schöne Hut, nein, der ist doch zu kost-; bar für mich armes Mädchen, das werde ich wie eine Gräfin drin aus-i sehen!« Und sie probirte ihn sofort; aus und stellte sich vor den Spiegel. ! Armes Fiickiinchm! Sie sah schau-s derhaft aus in der ungewohntens Kopfbedeckungx aber da sie selbst sich’ so sehr zu gefallen schien, sich so na menlos freute, brachte ich’s nicht über’s Herz, sie ihrem Wahn zu ent reißen. Ja, ich entzweit-: mich ernst lich mit meinen Brüdern, die gerade dazu kamen und beim Anblick »Hut linens«, wie sie sofort unsere liebe Alte benannten, weder ihren Witz noch ihre Heiterkeit unterdrückten. Tante Line war aber viel zu begei stert von dem Hut und von dcr Aus sicht, so geputzt mit Maxerl in den Cirkus zu gehen, als daß sie der Un gezogenheit der Knaben eine beson dere Beachtung gezollt hätte. Der nächste Abend schon führte uns allesammt in den Cirkus. Kaum hat ten meine Brüder »Hutlinen« entdeckt, als sie sie mit Nicten und Kichern be grüßten. Auf dem wohlwollenden Gesicht meiner Mutter gewahrte ich gleichfalls ein Lächeln, gewahrte, wie sie verwun dert und wider Willen belustigt, leise das Haupt schüttelte, und mein kleines Herz schlug ängstlich und reuevoll. War es doch mein Einfall gewesen, die gute Alte, der ich so herzlich zu gethan war, mit dem Hute zu schmü cken, der mir nun auf ihrem Kopf, heute noch mehr als gestern, wie ein Ungeheuer erschien und sie sicher lä cherlich machte. Doch ich tröstete mich schließlich mit der Annahme, daß gewiß nur uns, die wir Flicllinchen in ihrer ganzen Bescheidenheit und Einfachheit kann ten, der Aufputz so sonderbar vor kam. Die Vorstellung nahm ihren Anfang und machte uns allen viel Vergnügen; namentlich war es ein Clown, der durch immer neue Ein fälle Ausbriiche nicht enden wollender Heiterkeit hervorrief. Schon öfter hatte ich wahrzunehmen geglaubt, daß er sein Augenmerk auf den dritten Rang gerichtet und zwar auf. die Stelle, wo Flicklinchen im Schmuck des gelbseidenen Hutes prangtr. Jetzt warf er sogar Kußhände hinauf, und die Augen sämmtlicher Zuschauer rich teten sich zu meinem nicht geringen Schrecken auf unsere Linse, die froh und ahnungslos wie ein Kind, sich der Vorgänge unten im Cirkus freute. Sie hatte ihre ganze Aufmerksam keit der hübschen Reiterin zugewendet, die auf ungefatteltem Pferd halsbre chende Kunststücke zum besten gab. Sobald eine Ruhepause in deren Lei stungen eintrat, lief der Clown herzu, und mit den albernsten Grimassen und den lächerlichften Gliederverreii tungen erklärte er ihr seine Liebe. Die Künstlerin aber wollte nich-IF von ihm wissen, und unmuthig entzog sie ihm die Hand, die er immer wieder auf's Neue ergreifen wollte. Plötzlich schien ihm eine andere Jdee zu koni men. «Well!« tiefer überlaut, »Du willst nicht! Schad’t nichts —ich hab' schon eine Braut-die da oben mit dem schönen, gelben hat« hin zu ihr!« Und mit der Gewandtheit einer Kaße kletterte er hinauf bis in den dritten Ran , gab an cheinend der armen, entse ten Line einen Kuß mit ten auf den Mund, um dann ebenso schnell den Rückng zu bewertstelligen. Das Publikum brüllte vor Lachen, unsere Jungen nicht am wenigsten — ich aber wa te nicht auszusezm Mein Herz stand ll in bangem itgefiihl, und ich hätte mich taum mehr schämen können, wenn mir selbst diese beleidi gende Verhiihnung widerfahren wäre. Als ich endlich die Augen erhob, war licklinchen sammt ihrem Maxerl ver chwunden. s Wieder tvar’5 Mittwoch, wieder saß Flicllinchen an ihrem Fensterplatzz mir aber schien es, als hätten die Runzeln und Falten des alten Gesichis in die sen acht Tagen sich verdoppelt. Kein sswhkk Gedanke huschte wie sonst soi s ost darüber hin, kein liebevolles Erin- « lnern zog wie sonst sanste Linien um die sestgeschlossenen Lippen, kein Lä cheln, lein freundlich Wort helundete wie sonst ihr Wohlwollen gegen mich. Endlich hielt ich'3 nicht länger aus, so schweigend neben ihr zu sitzen, sund chiichtern hob ich an: »Line!« , »Fräulein Mariechen?« »Was sehlt Ihnen, Lineli Was haben Sie?« Sie antwortete nicht gleich, weil die Thriinen, die in ihre armen, rothum riinderten Augen stiegen, sie am Spre chen hinderten. «Friiuleinchenz« brachte sie endlich hervor, »haben "Sie’s denn nicht an dem Abend gesehen, wie-— wie ——das Maxerl von mir wegge riiett ist? Geschiimt hat er Bch meinet, Zerleutznet hat er mich, wie etrus den rrn.'« Ich gestand ihr, daß ich in meiner Betrübniß iiber den ihr angethanm Schimpf nicht zu ihr an gesehen hätte ? »Erst ist er weggeriickt von mir, fuhr sie schluchzend fort, »dann ist et sogar ausgestanden und ohne auf mein Musen zu hören, hinausgewanderi— » ich hinter ihm drein, unter dem schal lenden Gelächter all’ der gefühllosen Menschen um mich her. Frauleinchen« «— und ihre Thränen flossen reichli cher —- ,,er war mein Ein und Alles; viertheilen, rädern ließ ich mich heute noch für ihn, und er, er hat sich ab gewandt, hat gethan, als wenn est nicht zu mir gehörte, weil ein schlech Zerffböswilliger Mensch mich verhbhnt a .« Sie weinte so bitterlich, daß mit das Herz weh that· »Line,« tröstete ich, »der Max ist doch noch ein unverständiges Kind; Parüber dürfen Sie ihm nicht böse em.« ti i i »Ach nein, Fräuleinchen, böse bitt ich ihm gewiß nicht, meinem Herzens jungrn, aber ich hab' ihn so geliebt mit reiner, unvermischter Freude, weil i? überzeugt war, daß auch er mich lie hat. Und jetzt, wenn er noch so ört-« lich sich an mich schmiegt, dann singst in mir empor: er hat sich meiner ge schämt, erhätt’ was d’rum gegebe wenn er nicht zu mir gehört hätt’ Meine schönsten Zukunftspläne waren, einen klugen, feinen Mann aus dem Jungen zu machen, und jetzt denk« ich voll Bitterkeit, wenn’g gelingt, wenn er’s wirklich einmal im Leben zu was bringt, dann wird er—wie im City tus —- der alten Line sich schämen und nicht mehr von ihr wissen wollen. Jch liebe den Jungen, ich möchte sagen mehr alsje, aber die große Herzens freude, die ich allzeit an ihm gehabt, ist hin mit dein Glauben an seine Liebe zu mitt« Und sie weinte auf’s neue, herzt-re chend, jammervoll. Ich war selbst noch ein Kind und wußte ihr und mir nicht zu helfen. Dabei beschlich wieder jenes drückende Gefühl mein Herz, daß eigentlich ich die Schuld trug an dein Unglück der armen Line. Jch war schuld an dein Unglück des armen Geschöpfes-, das so jämmerlich weinend vor niir saß; ich mußte ihr helfen. »Line,« sagte ich und legte ihr zu traulich die Hand aus die Schulter: »der Max kann wahrhaftig nichts da für. Sie sahen so abscheulich in dem Hut aus, daß ein anderer Junge schon gar nicht mit Ihnen in den Cirtus ge gangen wäre. J chhätt’s Jhnen gleich sagen sollen, aber Sie freuten sich so, und da mochte ich Jhre Freude nicht stören. Jhr Junge hat lange genug bei Ihnen ausgehalten, denn der ganze Cirtus war schon aufriihrerisch iibet den untleidsamen gelben Hut« Jhre Thriinen versiegten plötzlich, und sie sah mich mit weit aufgerssieneu Augen an. »So furchtbar sah ich aus?« EEntxzeszläch Line!" b d » in eu ten ging ii er as Gei Flicklinchens. »Fräuleinchen, Sie geben mir da Leben wieder! Mein armer LZunge, wie hab' ich ihn verbannt! nn't wirklich so schauderhaft war, dann kann doch tein Mensch von dein Kind verlangen, daß es sich der alten, eitlen Gans an seiner Seite nicht schämen solle. Nun ist ja alles wieder gutO mein Junge, mein Maxerl hat mi « doch lieb, und nur der gelb eHut das Unheil verschuldet!« Jetzt war ich die Weinendr. Wortlos fiel ich der Sprecherin uni den Hals; mir war so seltsam zu Muth, so feierlich wie in der Kirche oder unter freiem Himmelsdom Auch eine »Verle« in einer Auster-. Ein reicher Pariser Finanzmann saß in einem Restaurant und früh stüctte; da trat, wie der »Gauloi«g« er zählt, ein einfacher Mann in das Lo lal, setzte sich an den benachbarten Tisch und verlangte beim Kellner ein Dudend Austern. Die Austern lamen und das Mahl begann. Kaum aber hatte der Gast die dritte Auster ge gessen, als er, die Hand nach dem Munde führend, leise ausschrie: »Ich glaube, ich habe mir einen Zahn aus gebissen!« Jndern er dies sagte, ent fernte er den Gegenstand seines Lei dens. Es war eine schwarze, pracht volle Perle, noch ganz umgeben vom Fleisch des Molusten, aber von einer Größe, die sie ganz— besonders werth voll machte. Der Nachbar betrachtete natürlich die Perle, bewunderte sie und wünschte dem Manne Glück, der sie aus so unerwartete Weise entdeckt hatte. »Meine: Treu,« versetzte die ser, »es ist wohl möglich, dasz das Ding schön ist« aber ich wünschte es zum Teufel; mein Zahn wächst da durch nicht wieder.« ,,Nun. Sie werden es vertausen.« »Was kann der Kiesel werth seini »Wenigstens zweihundert Frank« »Wenn Sie ihn für die Hälfte ha ben wollen« gehört er Ihnen-« Der handel wird geschlossen, der Finanz mann bezahlt hundert Franken und erhält die Perle. Beim Fortgehen tritt er bei einem Juwelier ein und ’ertundigt sich nach ihrem Werth-. Aber welcher Schreck: Die Perle war sachgch und der Betrüger 100 Fr. seh