Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, June 16, 1905, Sweiter Theil., Image 9

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    R
Novelle bon Luise Westtirch
L
. Das Eoupe mit den Schimmeln
hielt vor der Billa des Professors der
- Pledizin Rudolf Meinhardt. Er
prang aus dem Wagen und trat in
die Halle. Ein Bierziger mit ver
schlossenem Gesicht, das dunkle haat
leicht angegraut. Ein wenig-. müde
war er noch, abgesponnt von zwei
— schweren Operationen.
Er wars Hut und Mantel dem
. Hausmädchen zu.
»Ist meine Frau oben?«
, »Die gnädige Frau sind vor weni
II gen Minuten ausgegangen.«
.««.:s Der Professor ging sinnend im
·«T Zimmer aus und ab. Die Gegenwart
seiner jungen Frau würde ihm wohl
gethan haben.
Wie ein Schmetterling war ihm
die reizende Ada Gräber erschienen,
als er sie zuerst oben an der Treppe
in ihres Vaters Hause in Mannheim
stehen sah, wohin der Großlausmann
ihn, dessen Name als Gelehrter in
Deutschland bereits einen Ruf zu ge
winnen begann, zu einer Konsultation
berufen hatte.
f so «
: Ver skebslörwachem
f Es gelang Meinhardt, mittelst ei
, ner gewagten Operation den Vater
von seinem Leiden zu befreien. Da
bei hatte er nicht sein Wohlgefallen an
der Tochter verbergen können. Um
sie zu werben, zögerte er freilich noch,
feiner vierzig Jahre und ihrer großen
Jugend gedenkend. Aber Gräber, der
seine Neigung und sein Zaudern ge
wahrte, brachte ihm seine Zustim
mung entgegen, und Adas Benehmen
hätte auch ein nicht eitler Mann sich
als Zuneigung deuten dürfen. Er
ward, er heirathete.
heDas war nun- anderthalb Jahre
r.
Seitdem hatte Professor Mein
hardt die eilige Einwilligung seines
Schwiegervaters begreifen gelernt.
Schon im zweiten Bierteljahre feiner
! Ehe war die fällige Rate des als Mit
gift verheißenen bedeutenden Jahres
zuschusfes ausgeblieben. Jm nächsten
Jahre präsentirten die Lieferanten
von Adas Ausstattung dem Ehemann
ihre bisher unbezahlten Rechnungen
Der Schwiegervater bat um Geduld
"und Nachsicht· Sein Haus stehe vor
einer großen Krisev
Kein Wunder-, wenn er vor Jahren
ohne Zögern die gute Gelegenheit er
griffen hatte, sein einziges Kind in
sichere Hut zu bringen.
Alle diese unerquicklichen Verhält
nisse hatte Professor Meinhardt Ada
verschwiegen.
Er war einigemale im Begriff gewe
sen, ihr schonend die Wolle über ihres
Vaters Haus zu zeigen. Hörte er
dann aber ihr helles Lachen, so fehlte
ihm der Muth. Jn ihrer Unwissen
heit war Ada fa überglücklich
Wäre sie nur hier! Jetzt würde er’s
ihr sagen, würde ihr die Noth zeigen,
die über dem Haupt ihres. Vaters
hing.
Er drückte auf den Knopf der elek
trischen KlingeL
Der Diener, der die Tasse Fleisch
brühe und das belegte Butterbrod her
ein brachte, trug ein Papier in der
Hand.
»Vor einer Stunde ist diese Depr
sche gekommen. Herr Professor wa
ren gerade im Operationssaal.«
Unruhig öffnete Meinhardt das»
Blatt. Es trug den Poststempelf
Mannheim. Als der Diener dass
Zimmer verlassen hatte, las er: (
»Heute Morgen auf Herrn Gräbersf
l
Verlangen Konturs angemeldet. Seit
dem Herr Gräber nicht auqu inden.f
Bitte die gnädige Frau schonen vor-!
zubereitem Gerlach, Proturist.« f
Da war es nun, dasUnheil, grauen
voller, als er es hatte voraussehen tön
nen. Und er hatte die kleine, lachende
Frau nicht vorbereitet.
Wo war Ada? Er mußte auf der
Stelle nach Mannheirn fahren. Sie
pflegte zur Frühstücksstunde ihres
Mannes -niemals- auszugehen. Wo
blieb sie heute? Aber vielleicht war
sie gar nicht von Hause fort, vielmehr
saß sie, wie so oft, in ihrem Boudoir
in ein Buch vertieft. Er ging hin
iiber. Nein, sie lehnte nicht in dem
tiefen, weichen Sessel am Fenster, und
schon beim Eintreten fiel ihm etwas
, rerndes, Kahles im Gemach auf.
ie kleinen Bilder ihrer Eltern fehl
ten, die immer über dem Schreibtisch
gehangen, hatten. Und was bedeutete
der bläulichweisze Umschlag mitten auf
der mattgrünen Brief-napr
»An herrn Professor Dr. Rudolf
Meinbardt. .
Lieber Rudolf!
Von Tag zu Tag erlenne ich mehr,
daß ich Dir fremd bleibe, wie Du
mir. Jch bin eben eine viel zu unbe
deutende Frau für Dich, und Du bist
für mich zu sehr der große Gelehrte,
der der Allgemeinheit gehöri. Nur
eine gewaltige Liebe könnte die Brücke
schlagen. Jch habe einmal davon ge
träumt. Jehiisi sie aufgewacht —
Ueberzeugi, daß ich Dir damit lei
nen Schmerz beröiie, lehre ich noch
heuie zu meinem Vater zurück. Die
nöthigen gesetzlichen Schritte zur Wie
dererlangung unserer beiderseitigen
Freiheit zu thun, überlasse ich Dir.
Da ich der verlassende Theil bin,
werde ich mein eingebrachies Vermö
gen einbüßen. Sei gewiß, ich lasse
es Dir ohne Groll. Nur meine per
sönlichesFreiheiL bitte ich Dich, gieb
mir zurück. Ada Gräber.«
Professor Meinhardt steckte lang
sam den Brief in seine Mensch-J
Die Hand zitterte nicht einmal. Nur
die Gedanken jagten in seinem Hirn,
blitzschnell und unpersönlich. Ganz
von selbst reihte sich Schluß an
Schluß. Sie hatte geträumt. Nun
swar sie aufgewacht. Wer aber hatte
sie denn geweckt?
Plötzlich weiteten sich seine Augen.
Ein hochmüthiges, blasirtes Gesicht
trat vor seine Phantasie, Sporen
llirrten. Leo von Matternl Ein seit
zwei Jahren in der Residenz ausge
tauchter Sportsmann und Rennstall
besitzen ein junger Mann ohne be
stimmten Beruf, der aus großem
Fuße lebte, den meisten Männern ein
Greuel, aber trotzdem ein großer
Liebling der Frauen. Der war’s!
Der Professor steckte eine Geld
summe zu sich und wars sich in die
erste beste Droschie.
»Zum Bahnhos!«
Zur selben Zeit ging durch eine der
aus den Bahnhos mündenden Straßen
mit eiligen Schritten eine Frau in
elegantem Reisetleid. Goldblonde
Locken sielen unter dem großen Hut
hervor fast bis aus die schmalen, dun
ieln Brauen· Aus dem runden, rosi
gen Gesicht, der sedernden Bewegungs
der Glieder, dem ungeduldigen Aus
schreiten sprach sorglose, tindliche Ju
gend, aber die großen, dunkelbraunen
Augen spähten unruhig unter dem
breiten Hutrand hervor, und die tin-I
terlippe schob sich unter die Vorder
zijhne wie bei einem trotzigen Kinde,
das mit Bewußtsein eine Unart be
geist. i
Da bog hastig ein eleganter, junger s
Mann um die Ecke und faßte ihre’
Hand. i
»Endtich, Ada! Endrich!« !
Sie schöpfte tief Athem. ,,Leo!«
»Jn welcher Unruhe habe ich Sie
erwartet! —- Hier das Billet. Es ist
Zeit —- tommen Sie!«
« Aber sie zögerte. »Mir ist so wun
derlich. Jch —— ich will lieber doch
nicht reisen.«
»Nicht reisen? Ada, fehlt Jhnen
plötzlich der Muth, einem Zustand ein
Ende zu machen, den Sie selbst ent
wiirdigend nannten?«
»Ja, das habe ich ihm auf Jhren
Rath hin sogar geschrieben. Und
trotzdem — Leo, ich bitte Sie, lassen
Sie mich allein zu meinem Vater rei
sen.«
»Allein! Den weiten Weg? Ada, vor
mir werden Sie sich doch nicht fürch
ten? Sie wissen, daß ein Wort von
Jhnen mich nach Jhrem Willen lenkt.
»So sehr liebe ich Sie! Jch bin Jhr
Reisemarschall, Jhr Kamerad. Jch
übergehe Sie Jhrem Herrn Vater und
warte in Demuth ab, was Sie weiter
iiber mich bestimmen.«
Die Bahnhofshalle lag jetzt vor
ihnen, mit ihren staubigen Perrons
voll durcheinander wirbelnder Men
schen
Ada seufzte. Sie hatte sich den
Bruch ihrer Ehetetten anders vorge
stellt.
Leo von Mattern redete eifrig auf
sie ein« — »Ada, können Sie noch
schwanken? Wollen Sie mein und
Jhr Leben zerstören —- in einer An
wandlung von thörichtern Edelmuth?
Weiß er denn nur, was er an Jhnen
hat? Jch weiß est Jch kenne Sie
ganz. Jhm nehmen Sie nichts. Jch
dagegen-J
Während sie sprach, hatte sie angst
voll forschend ihre Augen liber die zum
Zuge diängende Menge schweifen las
sen; mit einem Aufschrei riß sie ihren
Arm aus dem seinigen.
f »Da ist er! Jch hab’s gewußt!«
; Mattern zuckte zusammen, aber er
faßte sich rasch und richtete sich stramm
s Meinhardt stand schon vor den bei
i den. Er grüßte höflich. Ganz ruhig
sah er aus -—— unheimlich ruhig.
Maiiern nahm die Hacken zusam
men. —- ,,Herr Professor sehen mich zu
jeder Genuguihuung bereit. Jch werde
den ganzen Tag zu Hause bleiben, um
die Freunde des Herrn Professors zu
erwarten.«
Meinhardt sah dein jungen Mann
an. Etwas wie Spott blihte in sei
nen Augen aus.
»Ich vermag nicht in jedem Fall
die Pistole» ais die glücklichste Lösung
anzusehen. Für unsere Vermittelung
scheint mir eine ruhige persönliche
Aussprache vorläufig zweckdienlicher.
Wenn ich Sie also bitten dürste, Herr
Baron, mir zu folgen —- nur in das
hoiel dem Bahnhos gegenüber. Der
Wirth wird uns gern aus eine halbe
Stunde ein Zimmer zu ungestörter
-
Unterredung zur Verfügung ftellen.«
Mattern verbeugte sich.
Durch die Billetthalle wanderten
die drei zurück zur Stadt, zu dem be
zeichneten HoteL
Eine kurze Unterredung mit dem
Portier. Ein Kellner öffnete ihnen
einen kleinen Salon zu ebener Erde.
Sobald sie allein waren, trat Ada
auf Meinhardt zu. Jn ihren Augen
blitz e der Muth der Verzweiflung.
» he du ein Wort sagst, hör’ mich!
Es ift alles wahr, wie ich's in dem
Brief geschrieben habe. Jch fühlte
mich überflüssig in deinem Haus. Da
rum bin ich gegangen. Darum gehe
ich zu Papa zurück. Das ift der
Grund, der einzige! Jch brauche mich
nicht zu schämen. Herr von Mattern
wollte mich nur begleiten. Jch bin
keine Unwürdige.« -
Meinhardt hatte sie mit keinem
Wort unterbrochen. Jetzt sagte er
langsam: »Und wenn du frei wärest
von dem Manne, bei dem du dich
überflüssig fühltest, wie du sagst,
dann wolltest du dich Herrn von
Mattern schenken. ——War’s nicht so?«
. Ada fah ihn an, öffnete die Lippen,
aber die Stimme versagte ihr.
Da sprach Leo von Mattern ftait
ihrer. »Es wäre unwiirdig, Herr
Professor, wollte ich mein Glück ver
leugnen. Ja, die gnädige Frau hat
mir in der That diese Aussicht eröff
net.«
Meinhardt nicktr. »Das ist’s was
ich klar gestellt zu sehen wünschte. Jch
danke Ihnen. Nach der herrschenden
Sitte wäre-ich ja nun verpflichtet,
Sie über den Haufen zu schießen,
Herr Baron. Aber als ich mich vor
anderthalb Jahren als ein schon sehr
reifer Mann entfchloß, eine viel jün
gere Frau zu heirathen, habe ich die
Möglichkeit, daß sich die Neigung
nachträglich einem Mann ihres Alters
zuwenden könnte, von Anfang an ins
Auge fassen müssen. Und nachdem
nun festgestellt ist, daß meine Frau
ihr Lebensglück in einer Verbindung
mit Ihnen, Herr Baron, sieht, will ich
diesem Glück nicht im Wege stehen.
Jch bin bereit, unter gewissen Bedin
gungen zurückzutreten und in eine
Scheidung zu willigenI Unter der
Voraussetzung allerdings-, daß Herr
von Mattern meine Bedingungen an
nimmt.«
,,Jede Bedingung, Herr Professor,
die sich mit meiner Ehre vereinigen
läßt«
,,Andere Jhnen vorzuschlagen,
würde ich mir nicht erlauben,« erwi
derte Meinhardt höflich. »Ich habe
lmich, als ich diese sehr junge Frau
heirathete, stets auch ein wenig als
ihren Vormund betrachtet. Als sol
cher fühle ich mich verpflichtet, ihre
Zukunft zu sichern. Ich stelle also die
Bedingung, daß Sie, Herr Baron,
sich Edurchs-Ihr schriftlich gegebenes
Ehrenwort verpflichten, Ada zu hei
rfithem sobald« ihre Ehe mit mir gelöst
l .«
»Ich wünsche nichts sehnlicher,
J Herr Professor.«
s »Das ist wohl möglich, aber das
ILeben ist voller Wechselfälle und un
sere Wünsche wandeln sich-«
; Mattern runzelte die Stirn. »Herr
fProfessor. wenn die Gewalt meiner
f Liebe nicht einmal vor der Heiligkeit
? der Ehe Halt zu machen vermochte, so
! wüßte ich nicht, was sie sonst zurück
s halten tönnte.«
l
l
s »Ich dars also um eine schriftliche
s Erklärung bitten.«
s Meinhardt drückte auf den Knopf
z der elektrischen Schelle und gab dem
lherbeieilenden Kellner den Austrag.
iPapier und Tinte zu bringen.
Ada saß noch immer starr ausge
richtet, im Gegensatz zu dem Sieger
ausdruck in Matterns Zügen nicht«-J
i als qualvolle Spannung in ihrem
Kindergesich Mit leisem Knirschen
glitt Meinhardts Feder über das Pa- I
ter.
,,Dars ich bitten, den Revers durch
zulesen, Herr Baron? Wenn Sie die.
Güte haben wollen —- laut!«
Mattern las: »Ich gebe hiermit
mein Ehrenwort, daß ich Frau Ada
Meinhardt, aeborene Gräber, heira
then werde, sobald ihre Ehe mit Pro
sessor Meinhardt gelöst worden ist,
und zwar in der türzesten, gesetzlich
zulässigen Frist, und ohne daß ir
gendwelche etwa eintretende Umstände
mich von diesem Ehrenwort entbinden
lönnten.«
»Stat) Sie bereit, diese Erklärung
zu unterschreiber Herr Baron?«
»Selbstverständlich, Herr Profes
sor. Mattern nahm die Feder vom
Tintensaß. Professor Meinhardt hielt
das Blatt Papier noch in der Hand.
»Noch eins-« sagte er, dem jungen
Mann dabei scharf ins Auge sehend,
»Herr von Martern, Sie haben sicher
Verwandte, bei denen Ada während
der Zeit der Scheidung ein anständi
ges Unterkommen finden könnte?«
Mattern sah verwundert auf.
»Sollte die gnädige Frau nicht bei
ihrem Vater am besten aufgehoben
sein?«
,,Jn der That würde das Vater
haus der angemessenste Aufenthalt
sein,« stimmte Meinhardt in seiner
unerschiitterlichen Ruhe bei. »Um so
schlimmer,«daß Ada zur Zeit kein
Baterhaus hat.«
»Kein VaterhausL Kein Vater
haus hätte ich?« rief Ada.
Meinhardt sprach über die vor
Aufregung Zitternde weg.
»Ich weiß nicht, Herr Baron, ob
es Jhnen schon bekannt ist, daß die
Firma Gräber in Mannheim in Kon
kurs gerathen isi?«
»Konturs?« Ada war fassungslos.
»Ja, es ist so!« Er reichte ihr die
Den-fisk
Gierig buchstabirten ihre Augen die
blauen Schriftzeichen, bis sie mit ei
nem Aufschrei das Blatt aus den
Tisch wars-. ,,Papa! Er ist todt!
Mein lieber Papa!«
»Das steht nicht fes ,« erwiderte
Meinhardt weich. »Sie aber, Herr
Baron, sehen nun, daß Herr Gräber
augenblicklich nicht im Stande sein
dürfte, seine Tochter auszunehmen.«
»Ja, ja, —« Leo von Mattern strich
mit der Hand einige Male über seinen
Spitzbart. Jn seiner Berlegenheit
nahm er die Depesche auf und las sie.
»Ein schweres Unglück! Ein sehr be
dauerliches Unglück!«
»Das auch Jhre Zukunft beein
flussen dürfte Herr Baron. Sie be
sinden sich auch in der angenehmen
Lage, eine Frau ohne Vermögen wäh
len zu dürfen.«
»Ja, ja, allerdings. — Wenn auch
ein kleines Nadelgeld — im Interesse
meiner Gemahlin selbst —— ich meine,
in Bezug auf meine Verwandten und
die Welt — Ja, ja, schon ein kleines
Nabelgeld würde schließlich genü
en —« ,
»Ich verstehe. Sie» rechnen aus
Adas in die Ehe eingebrachtes Ver
mögen!« '
Leo von Mattern warf den Kon
zurück. »Ich hab’ an al1’ diese Dinge
überhaupt nicht gedacht, Herr Pro
fessor. Erst Jhre seltsame und unver
mittelte Eröffnung veranlaßte mich
dazu.«
»Ganz recht. Ein ritterliches Ge
müth erwägt dergleichen nicht. Jch
aber als nüchterner.Mann der Praxis
fühle mich verpflichtet, Ihnen mitzu
theilen, daß Ada von ihrem Vater
überhaupt keine Mitgift in die Ehe
mitbetommen hat. Es wird Jhnen
also eine besondere Genugthuung sein,
Herr Baron, der Frau, die Sie lieben,
alles geben zu dürfen. Wenn ich also
jetzt bitten dürfte, den Schein zu un
terzeichnen?«
Unwillkiirlich trat der junge Lebe
mann einen Schritt zurück. Mit der
Tochter eines armen Mannes in en-«
gen Verhältnissen leben!
Er zog sein Taschentuch hervor und
iupste sich die Stirn. »
»Jhre Mittheilungen sind so über
raschend, die Dinge werden dadurch
so wesentlich verändert, daß —«
Er stockte, er begriff, daß diese
Liebelei, die wie ein Lustspiel begon
nen hatte, zur Tragödie seines Lebens
wurde.
»Herr Professor,« sagte er mit
Würde, »meine Hochachtung vor der
gnädigen Frau verbietet mir, unter
solchen Umständen das Blatt Papier
zu unterzeichnen.«
fHerr von Mattern!« schrie Ada
au .
Aber sein Entschluß stand jetzt ganz
fest. »Ja, gnädige Frau, ich schätze
Sie zu hoch, uns. Jhnen ein Leben
voll Demüthigungen zuzumuthen. Jch
weiß, daß ich Sie einem Ehrenmann
lasse, gnädigeFrciu.« Leben Sie wohl!
—— Herr Professor, unsere Wege wer
den sich schwerlich wieder kreuzen, da
ich morgen eine Reise nach Uganda
anzutreten gedenke. Jch habe die
Ehre.«
Die Tbür schlug hinter ihm zu.
Nur ein kurzes Auflachen Mein
hardts erwiderte feinen Gruß.
Ach hatte ihr Gesicht in die Kissen
des Sofas gepreßt. Sie sah nicht
auf.
Da legte Meinhardt ihr die Hand
auf die Schulter. —— »Komm!«
»Wohin? Mein armer Papa ist
todt. Ich bin eine Obdachlofe.«
»Du hast ein Haus, in dem du ge
borgen und als geachiete Frau leben
iannst, wenn du willf.«
Da hob sie den Kopf, fah mit
Eicheuem Blick zu ihm auf. Sein Ge
sicht war undurchdringlich wie wäh
rend des ganaen Auftritts, nur ein
wenig müde, ein wenig traurig.
i
»Willst du mich wirklich wieder bei
dir ausnehmen?« fragte sie kaum hdr
bar.
»Sollte ich dich jetzt verlassen?«
Seine Stimme klang hart.
Da bäumte sich noch einmal ihr
Temperament auf. »O, besser aus
der Straße, als in eines Mannes
Haus, der nichts nach mir fragt, der
mich nur aus Barmherzigkeit duldet!«
»Ada! Hast du das wirklich ge
glaubt? Glaubst du das noch? Nach
dieser Stunde noch?«
Sie senkte den Kopf, erschrocken
vor der Flamme in seinem Blick, den
sie nur kühl und Väterlich nachsichtig
kannte. ,,Bergieb,« sagte sie unsicher,
»ich weiß nicht, was ich denke, glaube
es. Jch bin toll vor Kummer und
Scham. —- Aber was du mich heißest,
thue ich. Habe Geduld!«
Meinhardt winkte eine Droschke
herbei. Kein Wort wurde während
der Fahrt gesprochen. In der Halle
kam ihnen der Diener mit einer zwei
ten Depesche entgegen.
»Von Papa,« murmelte Ada. Die
Angst schnürte ihr die Kehle zu.
Jns Zimmer tretend, hatte Mein
hardt den Inhalt überflogen.
»Armes Weib, « sagte er ernst »Jn
der Siraßenbahn hat ihn infolge der
Aufregung ein Herzschlag getroffen
Jch fahre noch heute nach Mannheim
und sorge dafür, daß ihm die letzte
Ehre in würdiger Weise zutheil
wird.«
Sie fand lein Wort. Nur die Au
gen hob sie endlich und sah ihn an,
scheu und dankbar, und mit einer
schüchternen Bitte —-— ein Blick, so
tief, wie ihn ihre Augen bis dahin
nie gehabt hatten.
Ihn erschütterte dieser Blick.
Stumm streckte er ihr die Hand hin
nnd stumm und bebend leate sie ihre
Finger hinein. Sie war kein Schmet
terling mehr. Die Seele war in ihr
taufgewachL die Seele, die leidet und
H liebt. «Er fühlte es und selige Hofs
nung zog siegreich über seinen ge
lriintten Mannesstolz in sein Herz.
O weh, ich hab’5 gewonnen.
Hutnoreske von A d o lf T h i e l e.
Jn einem Restaurant der Berliner
Friedrichstrafze saß ein jüngerer Herr
und las die Zeitung.
»Mahlzeit!« sprach ihn da ein an
derer Herr an, der soeben eingetreten
war. Der Angeredete dankte, und der
Andere, ebenfalls ein feingelleideter
jijnaerer Mann, nahm Platz.
,,Lese da eben eine ganz unglaub
liche Geschichter, Walter, begann der
Erste, der Bankbuchhalter Kräticke.
»Jn ein Juweliergeschäft tritt eine
Dame, wählt einen Schmuck für vier
hundert Marl und legt einen Tau
fendmarlschein hin. Dem Verkaufer
kommt die Sache faul vor, er schickt
die Note nach einer Bank, um ihre
Echtheit feststellen zu lassen. Die
Dame wird ungeduldig, der Verlän
fer machte Ausflüchte, sie wird ent
rüstet, und als der Bote mit dem
Schein ziirücllommt — er war echt —
verläßt sie stolz den Laden, ohne zu
taufen.«
»Na, und weiter?« fragte der
Freund.
»Noch zwei Stunden kommt sie zu
rück, sagt, sie finde sonst nichts Pas
sendes, sie wolle den Schmuck neh
men. Mit der größten Zuvorlommen
heit wird ihr der Schein gewechselt,
sie verduftet mit dem Schmuck und den
600 Mart, und natürlich —«
»Was natürlich?«
»Na, doch sehr sirnple Geschichte:
Der Schein war falsch!«
»Ein raffinirter Streich!« rief
Walten
»Aber hören Sie mal!« sagte Krä
tide in ijlserlegenem Tone. ,,Solche
dummen Kerle, darauf hineinzufal
len.« ’
»Nun, so sehr dumm finde ich das
nicht,« sagte Walten »Da fällt mir
übrigens ein Geschichtchen ein, das die
ser Tage meinem Schuster passirt ist.
Jn seinem Laden in der Poststraße
probirt ein fremder Herr Stiefel an.
Eben hat er ein paar passende—aller
beste Sorte——an den Füßen, da tritt
ein anderer Herr in den Laden, ruft:
»Ach, da sind Sie ja!« giebt dem An
dern ein paar Ohrfeigen und springt
zur Ladenthijr hinaus. Der Geschle
gene ist zuerst perplex, dann ruft er:
»Das lasse ich nicht auf mir sitzen!
Einen Augenblickl« und springt hin
ter dem Beleidiger her. Mein Schuster
blickt den Beiden voll Spannung nach
und —- tvartet noch heute auf den
Schuhtäufer!«
»Ach, was Sie sagen!« wollte Krä
ticke rufen, besann sich aber auf seine
Ueberlegenheit und hielt mitten im
Ausruse inne, um nachlässig zu sagen:
»Na, so ein dummer Kerl!«
»Wieso?« fragte Walter. »Das ru
hige Auftreten des Käusers, feind-Zut
gespielter Schreck, sein leicht begr sti
cher Wunsch nach Genugthuung—-das
Alles mußte doch den Schuster täu
schen!«
»Wie kann man nur so reinfallen?"
sagte Krätickse von oben herab. »Diese
Spitzbuben wenden doch stets nur ganz
simple Tricks an. Die Dummen wer
den eben nicht alle, das sehen Sie doch
schon an den Taschendiebstählen.«
»O bitte,« entgegnete Walter, »zum
Taschendieb gehört bedeutende Ge
wandtheit. Es ist gar nicht leicht, Je
mand etwas aus der Tasche zu holen.«
,,Blech!« erwiderte Krätickse tolerant.
",,Jeder halbwegs gewandte Mensch
nimmt einem andern etwas aus der
Tasche, wenn er den richtigen Moment
abpaßt.«
»Das möchte ich doch bezweifeln,«
sagte Walten
»Wollen wir swetten?« rief Kräticke.
»Eine Kiste Zigarren, wenn ich Ihnen
unbemerkt etwas aus der Tasche hole.
Aber mindestens Achtpfenniger!«
»Gut, ich halte die Wette!«
Am nächsten Abend um sechs Uhr
verließ Walter sein Bureau. Er ging
die Königsstraße entlang, wo das üb
liche Menschengewoge herrschte, und be
merkte dabei nicht, daß Krätickie ihn
abgepaßt hatte und ihm heimlich folate.
Jn den Berliner Schaufenstern sieht
man alle Tage etwas Neues, und Wal
ter betrachtete daher mit Aufmerksam
keit einige vortreffliche Bilder.
Nicht lange darauf sah ein »Arbei
ter, wie ein feingekleideter Herr einem
andern ein Taschentuch heimlich her
auszog.
»Da is ’n Marder!« Mit diesen
Worten wandte er sich an eine Gruppe
von Männern.
»Wo? Ach der da! Haut ihm!'« mit
diesen Worten drangen die Männer
auf den Taschendieb ein. Der Eine
gab dem feinen Herrn zunächst eine
schallende Ohrfeige, der Zweite besaß
anscheinend eine besondere Fertigkeit
darin, mit der Faust von der Seite zu
stoßen, und versetzte dem Diebe ver
schiedene fühlbare Rippenstöße, ein.
Dritter hieb diesen mit einer Stange
auf die Beine, und ein Vierter helt es
fiir seine Menschenpflicht, ihn am
Haar zu packen und heftig zu riitteln.
Sofort bildete sich ein Menschen
knäuel um die Gruppe.
Der tödtlich erschrockene Taschendieb
rief: »Aber meine Herren, ich bin ja
gar kein Taschendieb!«
»Was, kein Taschendieb?« rief der
Erste »Ich hab’ es doch selbst gese
en.«
»Ich auch, ich auch!« riefen die An
deren, und eine Hochfluth von Büser
prasselte auf den Spitzbuben nieder;
Eobald sein Gesicht frei wurde, fielen
breite Hände wenig anmuthig auf seine
Backen, und ein besonders für Ehrlich
) keit in Handel und Wandel schwärmen
sder Mann hielt es für seine Pflicht,
den herabgefallenen theuren Seidenhut
des feinen Herrn zu einer unkenntli
chen Masse zu zerstampfen.
Der Lärm dieses Vorgang-s veran
laßte Walter, sich von den Reizen Ve
nedigs, die sich ihm eben im Schauer
ster enthüllten, abzuwenden.
Er trat auf den Knäuel zu.
»Was ist denn hier los?« Mit dieser
heiter-kräftigen Frage wandte er sich
an einen der Wallenden.
»Ein miserabler Kerl, ein Taschen
dieb!« hörte er.
»Aber meine Herren,« ertönte es,
»ich bin ja ganz unschuldig, es war ja
nur Spaß!«
Die Stimme kam Walter bekannt
vor, er drängte sich nach der Mitte der
Zwickmühle.
Kräticke stand in trauriger Verfas
sung vor ihm, sein Haar war zerrauft,
seine Backen waren geröthet, seineKra
vatte herabgerissen.
,,Erlauben Sie, meine Herren,« rief
jetzt Walter laut, »hier liegt ein Irr
thum vor, dieser Herr ist kein Taschen
dieb, ich kenne ihn!«
»Ja natürlich!« rief der Zerpriigelte.
»Wir haben ja gewettet ——«
»Was, gewettet?« riefen einigeMän
ner.
»Freilich!« erwiderte Walter und
befühlte seine Taschen.
»Ach, mein Taschsentuch haben Sie
genommen?«
»Jawohl,« Jhr Taschentuchl« seufzte
Kräticke·
Nun klärte sich die Sache auf, und
die vorher so entrüsteten Männer
stimmten ein lautes Gelächter an, das
Kräticte fast noch mehr schmerzte als
die Piiffe. « Die beiden Herren zogen
sich in einen Hausslur zurück, und nach
dem Walter seine Garderobiersdienste
beendet, sagte er: »Gratulire, Sie ha
ben die Wette getvonnen!«
»Ja« leider!« seufzte Kräticte. «
»Noch ein solcher Sieg, und ich bin
verloren! Oshweb, ich hab’s gewonnen!«
— Und zugleich rieb er seine schmer
zenden Rippen-—
- —-—
Stint-ermannt.
Mutter: ,,Hans, Du gehst jeyt zu
Schneider-E- und bleibst dort, bis ich
komme.«
Hans: »Nein, Mama, zu Schnei
ders gehe ich nicht mehr, bei denen
riecht es nicht einmal nach Benzin.«
Bot-haft
Dunklek Ehrenmann (zu einem Be
kannten): »Und was mein Sohn jetzt
fiit ein feiner Kerl geworden ist, der
trägt sogar ein Akmband!«
Der Bekannte: »Aus Gold oder
Eisen!« 3. SBinbotyl), .jperauSfleber. (Sranb 3$lanb. Webr., 16. 1905 (£ioeiter Xfjetl.) ^laljrgang 25 Wo. 42.