Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, June 16, 1905, Sweiter Theil., Image 13

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    Vergessenheit ?
Stiue von M. Kofsak.
Sie saßen sich stumm gegenüber, die
Tante unddie Nichte, fast eine halbe
Stunde lang. Von Zeit zu Zeit
, machte wohl eine von ihnen den schwa
jchen Versuch, eine Unterhaltung ein
zuleitem aber iiber die ersten paar
- Worte kam es tein einziges Mal hin
aus. Es wußte eben jede nur zu gut,
was in der Seele der anderen vorging,
unddaruntbrachtcn sie es beide nicht«
- fertig, über Gleichgültiges zu reden.
Endlich hielt die alte Dame dies
Schweigen nicht länger aus. Sie
wollte-diese Reife doch nicht umsonst
, gemacht haben, und heute war der
- letzte Tag ihres Berliner Aufenthalts
« —- da hatte sie also teine Zeit mehr zu
» verlieren. So gab sie sich denn inner
lich einen Ruck, hob daf- glattgefchei
« telte, mit einer löstlichen schwarzen
Spitzenbarbe geschmückte Haupt ener
« gjsch empor und sagte: »Du weißt,
warum ich hergekommen bin, Lena?«
Jn dem feinen, blossen Gesicht der
jungen Frau zndte es nervös und ein
I Ausdruck tiefen ttnbehagens erschien
" darin. Doch bezwang sie sich und
entgegnete ruhig: »Gewiß, Tante Ka
rola, ich weiß e5.«
»Nun —— und?«
»Ich kann dir nur dasselbe erwi
dern, wag ich dir schon vor drei Jah
ren sagte, damals, als —« der Schluß
des Satzes blieb eingesprochen und
Lena Voglers Lippen preßten sich fest
aufeinander.
«
’,,So beharrst du bei deinem unve
greiflichen Eigensinn?" fuhr das alte
Fräulein heftig auf.
»Es ist nicht Eigenstnn, liebe
Tante.«
»Ja, was denn sanft? Willst du
mir etwa vorreden, daß dir dies ar
beits- und entbehrungsreiche Leben
gefällt? Daß du dich wohl fühlst in
dieser elenden Chambre garnie Woh
nung?« Mit einem Ausdruck unaus
sprechlicher Verachtung flogen Fräu
lein Karola Erlmanns Augen in dem
Raum umher, der allerdings mit fei
ner ganz und gar unindividuellen,
dürftigen und auf Auttionen zufam
mengetauften Einrichtung den Stem
pel M billigen »möblirten Zimmer-Z«
trug. Nur ein einziger Gegenstand
fand sich darin, der nicht zum Uebri
gen stimnite, nämlich ein Oelbild in
einem kostbaren sezessioniftischen Rah
men in lupferroth, messinggrün und
altgoldfarben ausgemalter Flach
schniserei. Es stellte einen jungen
Mann in einem braunen Sammetja
ckett dar, der, ein Spazierstöctchen in
der Hand, auf einer Valuftrade faß.
Es war ein fürchterliches Runstwert,
offenbar von jemand gemalt, der we
der zeichnen konnte, noch nach der rein
Ioloristischen Seite auch nur die min
deste Schwierigkeit zu bewältigen ver
mochte, aber trotz dieser unsiiglichen
Stümperei mangelte es dem Bilde
doch nicht an jeglichem Reiz. Das lag
eben an der dargestellten Persönlich
keit, deren Anmuth und leichthnnige,
frohherzige Liebengwiirdigleit einfach
nicht todtzumachen waren. Wie hin
reißend die Lippen unter dem blonden,
wie aus einem Strohwisch gedrehten
Schnurrbart lächelten, wie sieghaft
und unbekümmert die Augen blickten!
Der giftgriine, an ein Gericht Spinat
erinnernde Hintergrund, die verzeich
nete Gestalt, die in dieser Haltung un
möglich das Gleichgewicht auf der
Balustrade hätte bewahren können, die
schiefe Nase —- all’ das mußte zum
Lachen reizen, und doch weckte das
Gemälde Interesse, wenn nicht Sym
pathle.
»Warum antwortest du mir nicht?«
fragte die alte Dame, da ihre Nichte
auf ihre letzten Worte nichts erwi
derte.
»Was soll ich dir antworten, liebe
Tante?«
»herrgott, ob dir dies Leben, das
du seit nun bald drei Jahren sührst,J
behagt? Siehst du, du schweigst, weil J
du nicht lügen willst. Also — warum s
willst du nicht-zu mir tonnnen, wo du s
leben tannst, wie dirs seit deiner
Kindheit gewohnt bist's Was?«
Jch möchte doch meine Studien zu
Ende führen, liebe Tante. Nachdem
ich nein Abiturientenexamen gemacht
und bereits ein Semester auf der Uni
versität —« «
, »Ach tvas,« unterbrach sie Fräulein
Karola unwirsch, »versuch’ doch nicht,
mir etwas weis zu machen. Als ob
ich dich nicht tennte! Du bist mir ge- «
rade die richtige, die vom Kenntniß
drang geplagt wird. Wenn man ein
Kind erzogen hat, weiß man doch auch
so ungefähr mit dessen Neigungen Be
scheid. Du hast immer dein Pensum
gewissenhasi heruntergearbeitet, aber
von besonderem Enthusiasmus stir die
Wissenschaft habe ich dabei nie wag bei
dir betnertt.«
Lena seufzte leise. Die Tante hatte
ja recht, vollkommen recht. Nie wäre
H sie daraus verfallen, Medizin zu stu
Tsp diren, wenn sie etwas Besseres gewußt
Lhätth um zu vergessen· Wenn sie sich
- vorstellte, dasz sie nun bald würde
Leichen sezieren müssen, so schüttelte
sie das Grauen, aber was war da zu
machen? Jrgendeinen weiblichen Be
; rus auszufüllen, siel ihr zu leicht un
« sie brauchte Arbeit —- eine Arbeit, bei
der sie alle ihre seelischen und körperli
chen Kräfte daran setzen mußte.
-. »Ich will dir sagen, was hinter
Halledem steckt«« begann die Tante aufs
Neue, indeß ihre scharfen Augen sich
! seit und forschend aus Lenas schmale-s
ssestchtchen hesteten, »du kannst den j
E
Menschen, deinen Mann, noch immer
nicht oergessen«.
,,,«Tante suhr die jun e Frau un
kniLUig und erregt aus« » ante Karo
) a «
i »Du liebst ihn immer noch " fuhr
die alte Dame unentwegt fort. ,,Liebst
ihn, trotzdem er dich betrogen, dein
! kleines Vermögen in der all-ernsten
Weise vergeudet und sich überhaupt
sals einen nichtsnutzigem ganz und
s gar halt- und charakterlosen Menschen ;
; erwiesen hat. «
L »Ich liebe ihn nicht mehr, Tante
; Karola « versicherte Lena leidenschaft
! lich, und man merkte es ihr an, daß
) sie von dem überzeugt war, was sie
fang »Du bist vollkommen im Irr
i thum — Robert ist todt siir mich. Jch
i hasse ihn nicht einmal mehr —- er ist
. so ausgelöscht in meinem Empfinden,
als ob ich ihn nie gesehen hötte.«
»Und warum willst du dann nicht
mit mir kommen, dorthin, wo freund
liche Eindrücke dich erwarten, wo du
vielleicht auch noch Gelegenheit findest,
dir ein neues Glück auf den Trüm
» inern der Vergangenheit auszubauen?
Ernst Arnoldy hat seine Jugendliebe
nicht vergessen und —«
; »Ich bitte dich, Tante,« var uena
mit aufgehobenen Händen, ,,sprich mir
nicht von so etwas. Begreif doch nur,
daß ich durch diese unselige entwürdi
! gende Ehe eine ganz andere geworden
s bin, als die ich war. Allen Dingen ist
sder Glanz für mich abgestreift, alles,
was mir früher Freude machte, eteltl
s mich an Ernst Arnoldy würde an s
s das schwerblittige, verbittetteGeschöpf,i s
! das ich heute bin, nimmermehr sein;
Herz verlieren —- dessen sei sicher.« s
»Gut denn, so lassen wir Ernst Ar- s
noldh beiseite. Mir liegt es ganz
fern, dich nach dieser Richtung hin zu.
etwas überreden zu wollen. Was ich
wünsche, ist nur, daß du zu mir
kommst, wieder meine geliebte To ter
bist, wie du es ehedem warst, und ich
von mir oerwöhnen lässest. Dann ist
uns beiden geholfen —- ich bin nicht
mehr einsam und du lernst in der hei
teren Umgebung deiner Kindheit ver
gessen —«
»Aber ich sage dir doch, Tante, daß
sich längst vergessen habe,« unterbrach
sdie junge Frau die Sprecherm unge
sstüm. »Nur ich passe eben nicht mehr
in die früheren Verhältnisse —- das
ist das Ganze, glaub’ mir doch.«
Die alte Dame schaute grübelnd auf
i das liebliche junge Wesen, das so hef
tig und aufgeregt immer von Neuem
versicherte, daß die Vergangenheit, in
der sie so schwer gelitten, todt für sie
sei — todt auch der Mann, den sie so
heiß geliebt. Unwilltürlich glitten ihre
’ Augen zu dem Bilde im lostbaren Se
« zessionsrahmen hinüber und ein skep
tisches Lächeln trat auf ihre Lippen.
s»Warum lässest du das Bild da im
mer noch hängen, Lena?« fragte sie
langsam.
»Weil —- weil — mein Gott, es ist
das einzige Stück, das mir übrig
. blieb, nachdem all’ unsere Sachen ver
taust waren und darum —'« Lenas
fühlte wohl selbst, daß das leine aus
reichende Antwort war und fuhr da
..rum schnell fort, »es ist so eine Art
Meinento mori für mich, das mich er
mahnt, fortan im guten und schlechten
mich nur aus mich selbst zu verlassen.
Das ist die einzige Möglichkeit, um
sich vor Täuschungen zu bewahren.
»Aber es hält die Erinnerung be
ständig in dir wach, Lena.«
»Was thut das, sofern die Erinne
rung nicht mehr ein Theil meines We
sens ist? Nur« solange sie lebt in Haß
und Liebe, tann sie einein etwas an
haben. Du hörst ja aber, daß Robert
todt für mich ist, daß die Vergangen
heit todt für mich ist!«
»So würde ich mich an deinerStelle
von ihm scheiden lassen.«
»Wozu? Da ich mich doch nie wie
der verheirathen werde-«
Eine Pause entstand. Ueber das
schmale Gesicht ver jungen Frau hat
ten sich Schatten gelagert, die es um
Jahre gealtert erscheinen ließen. »Wo
ran dentt sie?« fragte sich die alte
Dame im Stillen. »An ihre elend ge
mordete Jugend, an die öde Zukunft
oder am Ende doch an — Robert Vog
ler? Oder weilen ihre Gedanken bei
dem kleinen Grab im sonnigen Ita
lien, in das man vor vier Jahren eine
welle Menschenlnospe sentte, die den
letzten Rest von Vertrauen und Liebe
siir einander in den Herzen ihrer El
tern mit sich sortnahm? »Es war
gut, daß das Kind nicht lebte, denn
sonst hätten wir zusammen bleiben
müssen,« hatte Lenn zu der mütterli
ssen alten Frau gesagt, damals, als
sie an einem kalten, regnerischen
Herbstabend plötzlich und unerwartet
in deren hause erschienen war mit der
Anliindigung, daß sie nie wieder zu
ihrem Gatten zurückkehren würde.
Fräulein Karola hatte sich dazumal
über jene Aeußerung entsetzt, aber
heute dachte sie doch anders darüber
»Doltor Bergemann hat ihn —
deinen Mann gesehen,« sagte das alte
Fräulein plötzlich »Er war zur Kur
nach Baden- Baden gegangen und dort
begegnete er ihm wiederholt. Natür
lich haben die beiden nicht zusammen
gesprochen, aber dasiir hat mein alter
Bergemann von — von Vogler erzäh
len hören. Nichts Gutes s- weis;
Gott! Ganz heruntergelommen soll
er sein! Berge ann sagt, daß sogar
seine Kleidung chöbig und unsauber
ist Niemand weiß so recht, wovon er
lebt. Man sieht ihn in Kneipen un
terster Gattung verkehren und —«
«Still, stillt Um Gottes willen
stillt« flehte Lena. Jhr Gesicht schien«
wie verzehrt von einem körperlichen
Schmerz.
»Du sagtest ja, daß die Vergangen-.
heit todt für dich ist, Lena·«
»Gewiß, gewiß —-aber —- er —- er
war doch einmal mein Gatte und nun
zu hören, daß —« scheu streifte ihr
Blick das schöne, leichtsinnige Männer
gesicht aus der Leinwand. Dann stand
sie auf und reckte und« streckte ihren
schlanten Körper, als wollte sie damit
alles, was sie quälte, von sich abwa
sen. ,,Konnn’, wir wollen zum Essen
gehen, Tante,« sagte sie mit erzwun
genem Gleichmuth. »Du wirst hungrig
ern.«
Fräulein Karola nickte und beide
Damen machten »sich zum Ausgehen
fertig. Während die Tante sich vor
dem Spiegel den Hut aufsetzte, sah sie
durch das Glas ganz deutlich, daß Le
na beim Ankleiden dem Bilde den
Rücken geflissentlich zukehrte. »Sie i
fürchtet sich, es anzusehen,« dachte das i
alte Fräulein, ,,solange diese unseligej
Kleclserei da hängt und die Erinne
rung wach hält; kann sie nicht gesun
den. Wenn ich mein Kind mir und
dem Leben wiedergewinnen will, mußt
das Bild fort.« «
Während die Damen dann in der
Elettrischen saßen, um nach einem Re- s
staurant am Potsdamer Platz zu fah- s
ren, wo Fräulein Karola während ih- «
res Berliner Aufenthalts zu speisen !
pflegte, hingen beide ihren Gedankens
nach, und die der einen, wie der ande-!
ren drehten sich um das Ungliicksbild.;
Wie deutlich Lena der sonnenhelles
Frühlingsmorgen, an dem Robert ihrs
sein Porträt zum Geburtstag schenkte, z
vor Augen stand! Er war Maler —l
Gott sei’g geklagt — Maler ohne Ta- i
lent, ohne Ausdauer und ohne die
Möglichkeit, selbst nur bei handwerks
mäßiger Ausübung seiner Kunst eine
Familie zu ernähren. Das war aber
auch so eine seiner hfrnverbrannten
Ideen, daß er, dem jedermann seine»
Talentlosigteit vorhielt, sofort nach-»
rein er mündig geworden, die Univer- «
sität verließ, um nach Miinchen auf
die Malerakademie zu gehen. Schließ
lich besaß er Vermögen genug, um ein
berufloses Leben zu führen, aber dann
hätte er das- Seinige eben vernünftig
eintheilen müssen, statt das Geld mit
vollen Händen fortzuwersen Wie we
nig davon nur noch vorhanden mar,
als Lena ihn· heirathete, wußte ja
keiner, aber alH sie es entdeckte, bean
ruhigte sie sich kaum darüber — sie
glaubte ja an sein Talent. So blind
macht die Liebe! So unoerbriichlich·
glaubte sie daran, daß sie ihm sogar
ibr bescheideneg, mütterliche-, Erbtheil
bedingungslos aushandigte, damit er
zu seiner Ausbildung ein paar Jahre
in Italien leben könnte. Zum ersten
Mal gingen ihr die Augen über seine
fehlende Begabung auf, alH er sie vor
sein selbst gemalte-J Bildniß, strah
lend vor Befriedigung und Eitelkeit,
führte. Es war ein ssijrchterlicher Au
genblick gewesen, und doch hatte die
traurige Erlenntniß auch nicht eine
Selunde lang an ihrer Liebe zu rui
teln vermocht. Was konnte er dafür,
daß er sein« Genie war? Er hatte sie»
ja nicht betrogen, als er sich dafiir
«ausgab, er hielt sich wirtlich dafür
und sie hatte es bis dahin auch ge
than. Mit diesem Jrrthum mußte sie
sich eben abfinden. Und schließlich
liebte sie doch nicht sein eingebitdeteg
Genie, sondern ihn selbst, diesen scho- »
nen, liebenswürdigen, warmherzigeni
Menschen. Das war ihr durch deni
Kon gegangen, während sie vor denkt
mit den dustenden Blumen des Sü-i
dens umtränzten Geburtstagstischi
stand, auf dem dag Bild ausgestellt
war. So lächerlich sah das Arrange
ment aus — Robert besaß ja nicht
einmal deioratioen Geschmack —- der
Tisch an die Wand geschoben, damit
das Gemälde, welches vermöge seiner
Größe kaum Platz darauf fand, eine
Ruckenlehne erhielt, davor eine winzi
ge Brosche —- eine gefälschte Antiqui
tat, die ihm irgend jemand aufge
schwindelt —- und ringsum die herrli
chen, farbenlcuchtenden Blumen! Le
na entging nichts von alledem und sie
wäre am liebsten in Thränen ausge
brochen beim Anblick der vertrijmmten
Beine, der schiefen Nase und der gan
zen, gemalten Talentlosigteit, aber sie
mußte sich bezwingen, um nichts von
dein Dir zeigen, was in ihr vorging,
denn da neben ihr stand ja das ge
liebte Original des schrecklichen Bil
des, gespannt und doch seines Künst
lerthums sicher, aus ihren Beifall war
tend. Er hatte ja seit Wochen gear
beitet, um sie mit feinem Selbftpor
trat zu überrafchen, und sich fo auf
.-;re Freude gefreut. Unter leinen
Umständen durfte sie ihn enttäufchen.
Und es gelang ihr auch wirklich, ihre
Empfindungen zu verbergen. Nur zu
loben vermochte sie das Wert nicht,
dafür redete sie aber defto mehr von
ihrer Dankbarkeit für das Gefchent.
Als er dann direlt fragte: »Nun, wie
gefällt es dir? Ein braves Stück Ar
beit? Was?« da wußte sie in ihrer
hilfloer Verlegenheit nichts Besseres
zu erwidern, als »und welch' ein herr
licher Rahmen! Den haft du wohl
auch felbft entworfen?« Nach feiner
verneinenden Erwiderung erftielie sie
alle feine weiteren Worte in ihren «
Küssen, und über den gegenfeitigcn
Liebkofungen vergaß er, noch ferner
nach ihrem Beifall zu forschen. Ach,
wie sie ihn damals liebte! Was
mußte nicht alles geschehen, bis diese
Liebe starb! Jn diefer Stunde ver
achtete sie sich dafür, daß sie auch bei
der wachsenden Erkenntniß seiner
Charakterlosigleit und sJämmerlichteit
jhr Herz nicht von ihm loszureißen
vermochte.
Wann war ihre Liebe denn eigent
lich gestorben? Sie hätte es nicht
mehr zu sagen vermocht, sie wußte
nur, daß sie todt war, daß er, ihr
Gatte, sie systematisch, brutal gewor
det hatte. «
Gewiß, von den Empfindungen der
Vergangenheit lebte kein Funke mehr
in ihr — in dem Sinne war die Ver
gangenheit todt. Aber wenn sie ihrer
gedachte, dann wachten auch die erlit
tenen Demüthigungen, all’ die Bitter
nisse jener Zeit wieder auf und ließen
ihr Herz zucken in Weh. Was sie der
Tantc da vorhin gesagt — daß eine
Erinnerung, die todt ist in Haß und
Liebe, nicht mehr schmerzen kann —
war ja eine Thorheit gewesen. »Es
gibt überhaupt keine Bergangenheit,«
hatte ein alter Oheim von ihr, den die
Familie siir eine Art Sonderling ge
halten, oftmals gesagt. ,,Alles, was
wir erlebt von Leiden und Freuden,
Haß und Liebe, ist ein Theil unserer
selbst geworden, das niemals ganz vosn
uns abfällt.«
Ob das seine Richtigkeit hatte?
Nein doch, ganz gewiß nicht, denn
dann müßte ja immer noch etwas von
der einstigen Liebe zu ihrem Gatten in
ihrem Herzen zurückgeblieben sein, und
das war nicht —- sie liebte ihn weder,
noch haßte sie ihn mehr. Er war ihr
völlig gleichgültig. Vielleicht hatte die
Tante recht, als sie ihr rieth, das Bild
fortzunehmen. Wenn es ihre Empfin
dungen Robert gegenüber auch nicht
mehr belebte, so hielt es ihr doch die
Vergangenheit, dies-· sie demüthigende
Vergangenheit vor Augen. Darum
fort mit dem Bild, damit sie sich wie
der cktn Leben freuen lernte.
Als sie sich eine Stunde später von
der Tante trennte, um sich von einer
Studiengenossin ein Buch zu holen,
das sie brauchte, flüsterte sie dieser zu:
»Tante Karola, du sollst zufrieden
mit mir sein· Jch will deinem Rath
folgen und — und —- niir this.’ mir
die Liebe und laß du es fortschafsen,
das Bild —«
Das alte Fräulein nickte. Jm
Grunde hatte sie sich vorgenommen
gehabt, die Unglücksleinwand ohne Le
nas Zustimmung zu entfernen, aber
nun diese sie dan autorisirte, war sie
doch recht froh, daß sie nicht nöthig
hatte, einen solchen Gewaltalt zu ris
irren.
Zufällig larn die junge Frau früher
heim, als sie erwartet. Sie hatte die
Freundin nicht zu Hause getroffen
und daher unverrichteter Sache wieder
ihre Wohnung aussuchen müssen. Als
sie den Drücker in’s Schlüsselloch
steckte, merkte sie,.das3 die Thiir offen
war. Wahrscheinlich saß die Tante
drinnen und die Hauswirthin hatte
ihr, wie schon öfter in Lenas Abwe
senheit, das Zimmer ausgeschlossen
Richtig, da saß das alte Fräulein
aus dem Sopha und hielt ihr Nach
mittagsschläschen. Lenae erster Blick
fiel auf sie und vorsichtig zog sie die
Thiir hinter sich zu, um die Schlum
mernde nicht zu werten. Dann trat
sie näher. Aber —--— grofzer Gott —
was war das? Diese leere Stelle an
der Wand? Dort, wo ——— —— das
Herz lrampfte sich der jungen Frau
zusammen und ein schneidender
Schmerz fuhr ihr durch und durch,
tote wenn man ein Messer in ihrer
Brust umwendete.
,,Tante, Tante, mein Bild! Um
Gottes Barmherzigkeit willen, wo ist
mein Bild?«
Das alte Fräulein war aus seinem
Schlummer erwacht, staunend, er
schrocken, starrte sie mit weit geöffne
ten Augen auf das blasse, junge Weib,
das vor ihr am Boden lag und ihre
Hiinde umlrallt hatte.
»Mein Bild —- Tante, wo ist mein
Bild?«
»Aber Kind —,« ftanimelte diese,
»du hast mich ja selbst beauftragt —«
»Wenn auch! Jch will mein Bild!
Schaff es mir wieder, ich muß es
wieder haben, es ist das letzte, das
mir geblieben von —- ihm! Taute,
schasf' mir mein Bild wieder.«
Fräulein Karola strich sich mit zit
ternden Händen das Haar aus dem
Gesicht. Was war das? So hatte
sie Lena noch nie gesehen. Diese
fürchterliche Aufregung? Dann liebte
sie ihn also doch noch, den Ehrlosen.
den Ehebrecher, den Betrüger! Das
war ja entsetzlich!
»Du hast mir doch »esagt, daß du
ihn nicht mehr liebst, « murmelte sie,
»und nun —
Lena blickte sie starr an. ,,Liebene«
Jch soll Robert noch lieben? Nein«
Ich liebe ihn nicht mehr. Aber ichs
habe ihn doch geliebt und das bleibt, !
das bleibt für alle Zeiten, das ist ein !
Theil meines Wesens. Das in mir
tödten wollen, heißt mich selbst tödten
Gib mir mein Bild, Taute, damit ich»
wieder ich selbst bin, damit ich wieder «
leben kann. Mein Bild, Taute, wo ist
mein Bild?«
»Du sollst es wieder haben, Kind.
Der Dienstmann hat es aus den Spei
cher gebracht, ich lass’ es sofort holen.
Beruhige dich doch nur,« bat die alte
Dame, der Nichte Haar und Wangen
streichelnd. »Du sollst es doch wieder
haben.«
Aus Fräulein Karolas Augen ran
nen die hellen Thränen. Jn dieser
Stunde wußte sie's sicher, daß sie das
trink-, welches sie erzogen, sich doch
nicht mehr zurückgewinnen würde,
denn sie gehörte —- nicht dem oerlnmp
i«
s-—-———————————
sten Menschen, der sich in Kneipen
zehnten Ranges ein Glas Bier und ei
ne Portion Essen zusammenbetteln —
sondern dem strahlend schönen, lie
, benswürdigen, lachendem Manne, dem
l
sie einst ihr junges, heißes Herz ge
,schentt. Lena war zwar noch jung
und wer konnte wissen, ob nicht all
mählich auch in ihrer Seele alles, was
gewesen, ausgelöscht werden würde,
l ganz allmählich, in Jahren, aber nicht
)gewaltsam. Vielleicht — das Leben
s verlangt sein Recht. Aber auch selbst
Idann würde das Neue sich nur aus
i dem Alten aufbauen und ganz aus-lö
jschell —- —? Ganz?
Es gibt keine Vergangenheit
Od«
Der Bettchenhut.
Stizze von F. Wilde.
i
s Chiffon, Seide, Blumen. Jn der
sausgebogenen Krempe versteckt die lo
en lila Veilchensträuße.
Er war ein reines Frühlingsgedicht,
dieser Veilchenhutl
f Dazu ,,Pariser ,,Modell«, dazu in
leinem höchst fashionablen Geschäft —
ialle diese Eigenschaften brachten ihm
idas höchste Interesse der Damenwelt
» em.
! Viermal am Tage mußte Kläre vor-«
Iüber — und viermal sah sie daher
; diesen Beilchenhut.
» Sie hatte sich darin verliebt.
l »Ja —- wer sich den leisten kann«,
; seufzte sie jedesmal entsagungsvoll.
s Dabei ging es ihr immer durch den
; Sinn —- wie sie dieser Veilchenhut
lwohl kleiden möchte.
Das locker in die Stirn sallende
blonde Haar — umrahmt von der lila
s Chiffonkrempe —- die zarte Farbe zu
idem zarten Kolorit ihres Teints —
t entzückend wäre das!
. Aber sie schüttelte gleich wieder
sden Kopf. Das geht ja nicht, ihr
ganzes Monatsgehalt müßte sie dran
setzen. -
» Jn solchen Augenblicken wüthete sie
; gegen das Schicksal.
s Warum konnte sie sich nicht auch
; mal bewundert sehen, warum nicht
sauch mal den Neid des ganzen weib
! lichen Geschlechts heraussordern2
H— Jmmer so als Pauvrettchen um
H Perlausem hatte sie schon längst
t att. —
! Drei Tage schleppte sie sich mit der
; Absicht, hineinzugehen und zu fragen,
s was- der Hut koste sp— das verband je
» densalls noch zu nichts.
j Der Hut stand immer noch im Fen
» ster. Da faßte sie sich ein Herz und
s führte ihre Absicht aus.
s Filäre nahm eine sehr bestimmte
I Miene an, alg hätte sie »aber Tausen
j de zu verfügen.
I Aber die Vertäuserin kannte das.
i Sie maß die Gestalt in dem einfachen
Z schwarzen Kostiim mit tritischem Blick
, und wußte Bescheid.
t
i
»Das Pariser Modell meinen Sie?«
fragte sie kühl.
»Ja! — Den Veilchenhut.«
Sie machte gar keine Anstalten, ihn
j aus dem Fenster zu holen. »Die
nimmt ihn ja doch nicht«, dachte sie
: bei sich.
»Was kostet er?«
,,Sechzig Mart«, antwortete die
J Vertäuserin obenhin, als wäre das
gar nichts, und blickte Kläte heraus
fordernd an.
» Die zuclte mit teiner Wimper; sie
« warf den Kopf ein wenig zurück und
bat dann: »Ich wünsche den Hut mal
ausprobiren.«
Ein sein ironisches Lächeln der
Bertäuscrin, und mit spitzen Fingern
driifckt sie den Hzit auf Kläres Blond
lop .
Und er saß! Wie saß er!
Da brauchte man nicht zu drehen
und zu wenden. Er war wie extra
angefertigt zu dem welligen, lockren
Haar, das reich und goldig schim
mernd unter der Kreinpe hervorquoll.
Kläre klopfte das Herz.
Was ihr da ang dem Spiegel ent
gegenstrahlte, das anmuthige, siiße Ge
sichtchen, war sie denn das selbst? —
O —- so schön zu sein! Kein Preis
schien ihr zu hoch dafür.
Sie beschaute sich nach allen Sei
ten. FTII fun- —— Profil —-— in der
Nackenlinie.
Dann sagte sie entschlossen: «Also,
ich nehme den Hut.«
Die Berläuferin konnte ihr Erstau
nen kaum unterdrücken, aber Kläre
zahlte ihr drei Zwanzigmarkstiicke
großartig an der Kasse.
Gleich Vor der Thür stieg sie in die
,,Elektrische« und fuhr mit ihrem gro
ßen, schwarzen Papplartou selig von
dannen·
II- Ik Ik ;
Der Sonntag war da! i
Freundlich schien die liebe Sonne,
und milde, weiche Luft erweckte die
schönsten Frühlingsgedanten i
Draußen in den Vororten wimmel- s
te es schon von Spaziergängern Man (
freute sich über jede grüne Knospe an
Sträuchern und Hecken; über jedes
Krolus und Schneeglöctchen, das aus
der Erde hervorlugte. —- Und dabei
fühlte man sich recht unbequem in sei
ner Winterkleidung
Kläre hatte das nicht nöthig. Sie
trug ihren lila Veilchenhut. Mit wel
chem Stolz!
Heut wurde sie bneidet! Ach, wie
amiisant das war, wenn sich so jeder
nach ihr umschaute, nach dem Pracht
exemplar von Frühjahrshutt
Einmal hörte sie, wie zwei Herren
hinter ihr her sagten:
,Donnerwetter —- die sieht schick
« -
Wq
ausl«
Da lächelte Kläte ihren Begleiter
I alückselig an.
»Du bist wohl furchtbar stolz heute,
Kläre«, sagte er und legte seinen Arm
in den ihren.
»Gefalle ich dir denn ein bißchen?«
entgegnete sie totett.
»Du gefällst mir immet.«
» »Aber heut besonders« —
s »Ach so — um den Veilchenhutl
»Natürlich, der ist sehr fesch. Kostet
wohl auch eine Stange Gold?«
« Kläre war sehr großartig geworden
im Besitz ihres Kleinods, darum ant
wortete sie ohne weiteres-: »Ja — sech
zig Mark!«
! »Das finde ich ein bißchen happig!«
Sie zuckte die Achseln. »Weshalb
kann man nicht auch mal leichtsin
nig sein! Man muß nicht immer
tnausern; Arthur! Das paßt gar
nicht mehr in die Welt. Und wenn
man sich den ganzen Monat ge
quält hat, kann man sich auch was lei
sten.«
,,Aber mir ist das Ding zu ausfal
lend, Kläre!«
»Ach Pfi! — Sich hatte mich so ge
» freut aus den heutigen Tag, und nun
bist du gar nicht nett. Du solltest
doch mich anstaunen und denken: Die
Kläre ist doch das beste, schönste Mäd
chen! Jch will sie recht lieb behalten
— und«. . .
»Und?«
: »Na — dich endlich mal erklären,
so oder so!«
. »Davon wollen wir ein andermal
reden, Klärel Heut’ habe ich keinen
- Mumm. Mir ist was in die Krone ge
fahren!«
,,Hab’ ich dir was- gethan?«
,,Laß man! Das geht vorüber. Nach-i
her stnd wir beide noch mal sehr ber
gniigt — hm?«
,,Wollen wir tanzen?« meint Kläre
und schmiegt sich in seinen Arm.
Dabei denkt sie gleich an. ihren Veil
chenhut; nun soll er erst zu seinem
Recht kommen.
sc sc II
Kliire ist wieder zu Haus.
Liebevoll verhüllt sie die lila Schön
geit und lächelt berträumt vor sich
In.
Es war doch heut ein sehr hübscher
Tag gewesen.
Arthur schien zwar ein bißchen still
und nachdenklich, aber das machte ihr
keine Sorge. Schließlich ist es ja auch
keine Kleinigkeit, wenn jemand plötz
lich vor die Frage gestellt wird: »So
—- oder so!«
Sie hatte es schon lange gehofft,
und es war ihr sehnlichster Wunsch,
Arthurs Frau zu werden· Er ver
diente auch ein ganz schönes Geld und
konnte einen Hausstand gründen, aber
er zögerte doch noch immer mit seiner
Erklärung Das machte Kläre ver
drießlich Sie nahm sich vor, dem Glück
ein bißchen nachzuhelsen.
Arthur liebte eg zwar nicht, wenn
; man Viel Geld aus-gab. Er war selbst
schrecklich sparsam. Aber Kläre wuß
te auch, daß ihre Schönheit ihn besie
gen würde.
Und heute Abend hatte sie die feste
. Ueberzeugung:
J Nun dauerte es keine acht Tage
T mehr —- dann bist du am Ziel deiner
Wünsche.
PL
Schon am nächsten Tage kam ein
Brief von Arthnr.
Kläre lächelte stillvergnügt. Sie
wußte gleich, was er brachte.
Eine mündliche Erklärung ist ihm
also Peinlich gewesen — so schrieb er:
»Liebe Kläre!
Sei nicht böse, aber aus uns kann
nichts werden. Sieh mal, was soll
ich mit einer Frau, die Hüte für sech
zig Mark trägt? —- Dann bist Du
mir auch zu hübsch und zu leichtsin
nig. « Mein-e Frau musz mal ganz
einfach und bescheiden sein. Für
Dich paßt so’n feiner Mann, daß Du
Staat machen kannst. Trage Dei
nen Veilchenhut noch mit recht viel
Vergnügen Jch bin froh, daß ich ihn
nicht mehr zu sehen brauche. Er war
mir nämlich gestern in die Krone ge
stiegen.
Arthur.«
Kläre ist ganz blaß geworden, sie
zittert ordentlich.
Aber dann rasst sie sich energisch zu
sammen.
»Der dumme· alberne Mensch! Hat
ja gar keinen Geschmack!« Damit sucht
sie sich zu trösten.
Doch —- eg will ihr nicht gelingen.
Und —- es soll noch viel schlimmer
kommen!
Denn von diesem Tage an haßt
Kläre ihren Veilchenhui.
—- Anziiglich. Herr: »Ich be
gieise es nicht, wie Sie zu diesen
Schleuderpreisen verlaufen können!«
Waarenhaug - Inhaber: »Bei mir gilt
eben das Prinzip: Die Masse muß es
bringen!« Herr: »Hm ja, die Commis
masse!«
—Gerechte Entriistung.
»Ein niederträchtiger Kerl, dieser MU
sitdireltor. Zu meiner Vermählung
tomponirt er einen »Hochzeitsmarsch«,
und zwei Jahre später läßt er ihn im
Musikalienhandel erscheinen als
»Trauermarsch!«
—- W i n l. Herr (zu seinem zukünf
tigen Schwiegersohn, einem Lebemann«
der sich zum dritten Mal einen Vor
schuß auf die Mitgift geben läß’t):
»Nun wird’s aber bald Zeit, daß Sie
Hochzeit machen, sonst bleibt Jst-nen
dann nur noch die Frau!«