Vergessenheit ? Stiue von M. Kofsak. Sie saßen sich stumm gegenüber, die Tante unddie Nichte, fast eine halbe Stunde lang. Von Zeit zu Zeit , machte wohl eine von ihnen den schwa jchen Versuch, eine Unterhaltung ein zuleitem aber iiber die ersten paar - Worte kam es tein einziges Mal hin aus. Es wußte eben jede nur zu gut, was in der Seele der anderen vorging, unddaruntbrachtcn sie es beide nicht« - fertig, über Gleichgültiges zu reden. Endlich hielt die alte Dame dies Schweigen nicht länger aus. Sie wollte-diese Reife doch nicht umsonst , gemacht haben, und heute war der - letzte Tag ihres Berliner Aufenthalts « —- da hatte sie also teine Zeit mehr zu » verlieren. So gab sie sich denn inner lich einen Ruck, hob daf- glattgefchei « telte, mit einer löstlichen schwarzen Spitzenbarbe geschmückte Haupt ener « gjsch empor und sagte: »Du weißt, warum ich hergekommen bin, Lena?« Jn dem feinen, blossen Gesicht der jungen Frau zndte es nervös und ein I Ausdruck tiefen ttnbehagens erschien " darin. Doch bezwang sie sich und entgegnete ruhig: »Gewiß, Tante Ka rola, ich weiß e5.« »Nun —— und?« »Ich kann dir nur dasselbe erwi dern, wag ich dir schon vor drei Jah ren sagte, damals, als —« der Schluß des Satzes blieb eingesprochen und Lena Voglers Lippen preßten sich fest aufeinander. « ’,,So beharrst du bei deinem unve greiflichen Eigensinn?" fuhr das alte Fräulein heftig auf. »Es ist nicht Eigenstnn, liebe Tante.« »Ja, was denn sanft? Willst du mir etwa vorreden, daß dir dies ar beits- und entbehrungsreiche Leben gefällt? Daß du dich wohl fühlst in dieser elenden Chambre garnie Woh nung?« Mit einem Ausdruck unaus sprechlicher Verachtung flogen Fräu lein Karola Erlmanns Augen in dem Raum umher, der allerdings mit fei ner ganz und gar unindividuellen, dürftigen und auf Auttionen zufam mengetauften Einrichtung den Stem pel M billigen »möblirten Zimmer-Z« trug. Nur ein einziger Gegenstand fand sich darin, der nicht zum Uebri gen stimnite, nämlich ein Oelbild in einem kostbaren sezessioniftischen Rah men in lupferroth, messinggrün und altgoldfarben ausgemalter Flach schniserei. Es stellte einen jungen Mann in einem braunen Sammetja ckett dar, der, ein Spazierstöctchen in der Hand, auf einer Valuftrade faß. Es war ein fürchterliches Runstwert, offenbar von jemand gemalt, der we der zeichnen konnte, noch nach der rein Ioloristischen Seite auch nur die min deste Schwierigkeit zu bewältigen ver mochte, aber trotz dieser unsiiglichen Stümperei mangelte es dem Bilde doch nicht an jeglichem Reiz. Das lag eben an der dargestellten Persönlich keit, deren Anmuth und leichthnnige, frohherzige Liebengwiirdigleit einfach nicht todtzumachen waren. Wie hin reißend die Lippen unter dem blonden, wie aus einem Strohwisch gedrehten Schnurrbart lächelten, wie sieghaft und unbekümmert die Augen blickten! Der giftgriine, an ein Gericht Spinat erinnernde Hintergrund, die verzeich nete Gestalt, die in dieser Haltung un möglich das Gleichgewicht auf der Balustrade hätte bewahren können, die schiefe Nase —- all’ das mußte zum Lachen reizen, und doch weckte das Gemälde Interesse, wenn nicht Sym pathle. »Warum antwortest du mir nicht?« fragte die alte Dame, da ihre Nichte auf ihre letzten Worte nichts erwi derte. »Was soll ich dir antworten, liebe Tante?« »herrgott, ob dir dies Leben, das du seit nun bald drei Jahren sührst,J behagt? Siehst du, du schweigst, weil J du nicht lügen willst. Also — warum s willst du nicht-zu mir tonnnen, wo du s leben tannst, wie dirs seit deiner Kindheit gewohnt bist's Was?« Jch möchte doch meine Studien zu Ende führen, liebe Tante. Nachdem ich nein Abiturientenexamen gemacht und bereits ein Semester auf der Uni versität —« « , »Ach tvas,« unterbrach sie Fräulein Karola unwirsch, »versuch’ doch nicht, mir etwas weis zu machen. Als ob ich dich nicht tennte! Du bist mir ge- « rade die richtige, die vom Kenntniß drang geplagt wird. Wenn man ein Kind erzogen hat, weiß man doch auch so ungefähr mit dessen Neigungen Be scheid. Du hast immer dein Pensum gewissenhasi heruntergearbeitet, aber von besonderem Enthusiasmus stir die Wissenschaft habe ich dabei nie wag bei dir betnertt.« Lena seufzte leise. Die Tante hatte ja recht, vollkommen recht. Nie wäre H sie daraus verfallen, Medizin zu stu Tsp diren, wenn sie etwas Besseres gewußt Lhätth um zu vergessen· Wenn sie sich - vorstellte, dasz sie nun bald würde Leichen sezieren müssen, so schüttelte sie das Grauen, aber was war da zu machen? Jrgendeinen weiblichen Be ; rus auszufüllen, siel ihr zu leicht un « sie brauchte Arbeit —- eine Arbeit, bei der sie alle ihre seelischen und körperli chen Kräfte daran setzen mußte. -. »Ich will dir sagen, was hinter Halledem steckt«« begann die Tante aufs Neue, indeß ihre scharfen Augen sich ! seit und forschend aus Lenas schmale-s ssestchtchen hesteten, »du kannst den j E Menschen, deinen Mann, noch immer nicht oergessen«. ,,,«Tante suhr die jun e Frau un kniLUig und erregt aus« » ante Karo ) a « i »Du liebst ihn immer noch " fuhr die alte Dame unentwegt fort. ,,Liebst ihn, trotzdem er dich betrogen, dein ! kleines Vermögen in der all-ernsten Weise vergeudet und sich überhaupt sals einen nichtsnutzigem ganz und s gar halt- und charakterlosen Menschen ; ; erwiesen hat. « L »Ich liebe ihn nicht mehr, Tante ; Karola « versicherte Lena leidenschaft ! lich, und man merkte es ihr an, daß ) sie von dem überzeugt war, was sie fang »Du bist vollkommen im Irr i thum — Robert ist todt siir mich. Jch i hasse ihn nicht einmal mehr —- er ist . so ausgelöscht in meinem Empfinden, als ob ich ihn nie gesehen hötte.« »Und warum willst du dann nicht mit mir kommen, dorthin, wo freund liche Eindrücke dich erwarten, wo du vielleicht auch noch Gelegenheit findest, dir ein neues Glück auf den Trüm » inern der Vergangenheit auszubauen? Ernst Arnoldy hat seine Jugendliebe nicht vergessen und —« ; »Ich bitte dich, Tante,« var uena mit aufgehobenen Händen, ,,sprich mir nicht von so etwas. Begreif doch nur, daß ich durch diese unselige entwürdi ! gende Ehe eine ganz andere geworden s bin, als die ich war. Allen Dingen ist sder Glanz für mich abgestreift, alles, was mir früher Freude machte, eteltl s mich an Ernst Arnoldy würde an s s das schwerblittige, verbittetteGeschöpf,i s ! das ich heute bin, nimmermehr sein; Herz verlieren —- dessen sei sicher.« s »Gut denn, so lassen wir Ernst Ar- s noldh beiseite. Mir liegt es ganz fern, dich nach dieser Richtung hin zu. etwas überreden zu wollen. Was ich wünsche, ist nur, daß du zu mir kommst, wieder meine geliebte To ter bist, wie du es ehedem warst, und ich von mir oerwöhnen lässest. Dann ist uns beiden geholfen —- ich bin nicht mehr einsam und du lernst in der hei teren Umgebung deiner Kindheit ver gessen —« »Aber ich sage dir doch, Tante, daß sich längst vergessen habe,« unterbrach sdie junge Frau die Sprecherm unge sstüm. »Nur ich passe eben nicht mehr in die früheren Verhältnisse —- das ist das Ganze, glaub’ mir doch.« Die alte Dame schaute grübelnd auf i das liebliche junge Wesen, das so hef tig und aufgeregt immer von Neuem versicherte, daß die Vergangenheit, in der sie so schwer gelitten, todt für sie sei — todt auch der Mann, den sie so heiß geliebt. Unwilltürlich glitten ihre ’ Augen zu dem Bilde im lostbaren Se « zessionsrahmen hinüber und ein skep tisches Lächeln trat auf ihre Lippen. s»Warum lässest du das Bild da im mer noch hängen, Lena?« fragte sie langsam. »Weil —- weil — mein Gott, es ist das einzige Stück, das mir übrig . blieb, nachdem all’ unsere Sachen ver taust waren und darum —'« Lenas fühlte wohl selbst, daß das leine aus reichende Antwort war und fuhr da ..rum schnell fort, »es ist so eine Art Meinento mori für mich, das mich er mahnt, fortan im guten und schlechten mich nur aus mich selbst zu verlassen. Das ist die einzige Möglichkeit, um sich vor Täuschungen zu bewahren. »Aber es hält die Erinnerung be ständig in dir wach, Lena.« »Was thut das, sofern die Erinne rung nicht mehr ein Theil meines We sens ist? Nur« solange sie lebt in Haß und Liebe, tann sie einein etwas an haben. Du hörst ja aber, daß Robert todt für mich ist, daß die Vergangen heit todt für mich ist!« »So würde ich mich an deinerStelle von ihm scheiden lassen.« »Wozu? Da ich mich doch nie wie der verheirathen werde-« Eine Pause entstand. Ueber das schmale Gesicht ver jungen Frau hat ten sich Schatten gelagert, die es um Jahre gealtert erscheinen ließen. »Wo ran dentt sie?« fragte sich die alte Dame im Stillen. »An ihre elend ge mordete Jugend, an die öde Zukunft oder am Ende doch an — Robert Vog ler? Oder weilen ihre Gedanken bei dem kleinen Grab im sonnigen Ita lien, in das man vor vier Jahren eine welle Menschenlnospe sentte, die den letzten Rest von Vertrauen und Liebe siir einander in den Herzen ihrer El tern mit sich sortnahm? »Es war gut, daß das Kind nicht lebte, denn sonst hätten wir zusammen bleiben müssen,« hatte Lenn zu der mütterli ssen alten Frau gesagt, damals, als sie an einem kalten, regnerischen Herbstabend plötzlich und unerwartet in deren hause erschienen war mit der Anliindigung, daß sie nie wieder zu ihrem Gatten zurückkehren würde. Fräulein Karola hatte sich dazumal über jene Aeußerung entsetzt, aber heute dachte sie doch anders darüber »Doltor Bergemann hat ihn — deinen Mann gesehen,« sagte das alte Fräulein plötzlich »Er war zur Kur nach Baden- Baden gegangen und dort begegnete er ihm wiederholt. Natür lich haben die beiden nicht zusammen gesprochen, aber dasiir hat mein alter Bergemann von — von Vogler erzäh len hören. Nichts Gutes s- weis; Gott! Ganz heruntergelommen soll er sein! Berge ann sagt, daß sogar seine Kleidung chöbig und unsauber ist Niemand weiß so recht, wovon er lebt. Man sieht ihn in Kneipen un terster Gattung verkehren und —« «Still, stillt Um Gottes willen stillt« flehte Lena. Jhr Gesicht schien« wie verzehrt von einem körperlichen Schmerz. »Du sagtest ja, daß die Vergangen-. heit todt für dich ist, Lena·« »Gewiß, gewiß —-aber —- er —- er war doch einmal mein Gatte und nun zu hören, daß —« scheu streifte ihr Blick das schöne, leichtsinnige Männer gesicht aus der Leinwand. Dann stand sie auf und reckte und« streckte ihren schlanten Körper, als wollte sie damit alles, was sie quälte, von sich abwa sen. ,,Konnn’, wir wollen zum Essen gehen, Tante,« sagte sie mit erzwun genem Gleichmuth. »Du wirst hungrig ern.« Fräulein Karola nickte und beide Damen machten »sich zum Ausgehen fertig. Während die Tante sich vor dem Spiegel den Hut aufsetzte, sah sie durch das Glas ganz deutlich, daß Le na beim Ankleiden dem Bilde den Rücken geflissentlich zukehrte. »Sie i fürchtet sich, es anzusehen,« dachte das i alte Fräulein, ,,solange diese unseligej Kleclserei da hängt und die Erinne rung wach hält; kann sie nicht gesun den. Wenn ich mein Kind mir und dem Leben wiedergewinnen will, mußt das Bild fort.« « Während die Damen dann in der Elettrischen saßen, um nach einem Re- s staurant am Potsdamer Platz zu fah- s ren, wo Fräulein Karola während ih- « res Berliner Aufenthalts zu speisen ! pflegte, hingen beide ihren Gedankens nach, und die der einen, wie der ande-! ren drehten sich um das Ungliicksbild.; Wie deutlich Lena der sonnenhelles Frühlingsmorgen, an dem Robert ihrs sein Porträt zum Geburtstag schenkte, z vor Augen stand! Er war Maler —l Gott sei’g geklagt — Maler ohne Ta- i lent, ohne Ausdauer und ohne die Möglichkeit, selbst nur bei handwerks mäßiger Ausübung seiner Kunst eine Familie zu ernähren. Das war aber auch so eine seiner hfrnverbrannten Ideen, daß er, dem jedermann seine» Talentlosigteit vorhielt, sofort nach-» rein er mündig geworden, die Univer- « sität verließ, um nach Miinchen auf die Malerakademie zu gehen. Schließ lich besaß er Vermögen genug, um ein berufloses Leben zu führen, aber dann hätte er das- Seinige eben vernünftig eintheilen müssen, statt das Geld mit vollen Händen fortzuwersen Wie we nig davon nur noch vorhanden mar, als Lena ihn· heirathete, wußte ja keiner, aber alH sie es entdeckte, bean ruhigte sie sich kaum darüber — sie glaubte ja an sein Talent. So blind macht die Liebe! So unoerbriichlich· glaubte sie daran, daß sie ihm sogar ibr bescheideneg, mütterliche-, Erbtheil bedingungslos aushandigte, damit er zu seiner Ausbildung ein paar Jahre in Italien leben könnte. Zum ersten Mal gingen ihr die Augen über seine fehlende Begabung auf, alH er sie vor sein selbst gemalte-J Bildniß, strah lend vor Befriedigung und Eitelkeit, führte. Es war ein ssijrchterlicher Au genblick gewesen, und doch hatte die traurige Erlenntniß auch nicht eine Selunde lang an ihrer Liebe zu rui teln vermocht. Was konnte er dafür, daß er sein« Genie war? Er hatte sie» ja nicht betrogen, als er sich dafiir «ausgab, er hielt sich wirtlich dafür und sie hatte es bis dahin auch ge than. Mit diesem Jrrthum mußte sie sich eben abfinden. Und schließlich liebte sie doch nicht sein eingebitdeteg Genie, sondern ihn selbst, diesen scho- » nen, liebenswürdigen, warmherzigeni Menschen. Das war ihr durch deni Kon gegangen, während sie vor denkt mit den dustenden Blumen des Sü-i dens umtränzten Geburtstagstischi stand, auf dem dag Bild ausgestellt war. So lächerlich sah das Arrange ment aus — Robert besaß ja nicht einmal deioratioen Geschmack —- der Tisch an die Wand geschoben, damit das Gemälde, welches vermöge seiner Größe kaum Platz darauf fand, eine Ruckenlehne erhielt, davor eine winzi ge Brosche —- eine gefälschte Antiqui tat, die ihm irgend jemand aufge schwindelt —- und ringsum die herrli chen, farbenlcuchtenden Blumen! Le na entging nichts von alledem und sie wäre am liebsten in Thränen ausge brochen beim Anblick der vertrijmmten Beine, der schiefen Nase und der gan zen, gemalten Talentlosigteit, aber sie mußte sich bezwingen, um nichts von dein Dir zeigen, was in ihr vorging, denn da neben ihr stand ja das ge liebte Original des schrecklichen Bil des, gespannt und doch seines Künst lerthums sicher, aus ihren Beifall war tend. Er hatte ja seit Wochen gear beitet, um sie mit feinem Selbftpor trat zu überrafchen, und sich fo auf .-;re Freude gefreut. Unter leinen Umständen durfte sie ihn enttäufchen. Und es gelang ihr auch wirklich, ihre Empfindungen zu verbergen. Nur zu loben vermochte sie das Wert nicht, dafür redete sie aber defto mehr von ihrer Dankbarkeit für das Gefchent. Als er dann direlt fragte: »Nun, wie gefällt es dir? Ein braves Stück Ar beit? Was?« da wußte sie in ihrer hilfloer Verlegenheit nichts Besseres zu erwidern, als »und welch' ein herr licher Rahmen! Den haft du wohl auch felbft entworfen?« Nach feiner verneinenden Erwiderung erftielie sie alle feine weiteren Worte in ihren « Küssen, und über den gegenfeitigcn Liebkofungen vergaß er, noch ferner nach ihrem Beifall zu forschen. Ach, wie sie ihn damals liebte! Was mußte nicht alles geschehen, bis diese Liebe starb! Jn diefer Stunde ver achtete sie sich dafür, daß sie auch bei der wachsenden Erkenntniß seiner Charakterlosigleit und sJämmerlichteit jhr Herz nicht von ihm loszureißen vermochte. Wann war ihre Liebe denn eigent lich gestorben? Sie hätte es nicht mehr zu sagen vermocht, sie wußte nur, daß sie todt war, daß er, ihr Gatte, sie systematisch, brutal gewor det hatte. « Gewiß, von den Empfindungen der Vergangenheit lebte kein Funke mehr in ihr — in dem Sinne war die Ver gangenheit todt. Aber wenn sie ihrer gedachte, dann wachten auch die erlit tenen Demüthigungen, all’ die Bitter nisse jener Zeit wieder auf und ließen ihr Herz zucken in Weh. Was sie der Tantc da vorhin gesagt — daß eine Erinnerung, die todt ist in Haß und Liebe, nicht mehr schmerzen kann — war ja eine Thorheit gewesen. »Es gibt überhaupt keine Bergangenheit,« hatte ein alter Oheim von ihr, den die Familie siir eine Art Sonderling ge halten, oftmals gesagt. ,,Alles, was wir erlebt von Leiden und Freuden, Haß und Liebe, ist ein Theil unserer selbst geworden, das niemals ganz vosn uns abfällt.« Ob das seine Richtigkeit hatte? Nein doch, ganz gewiß nicht, denn dann müßte ja immer noch etwas von der einstigen Liebe zu ihrem Gatten in ihrem Herzen zurückgeblieben sein, und das war nicht —- sie liebte ihn weder, noch haßte sie ihn mehr. Er war ihr völlig gleichgültig. Vielleicht hatte die Tante recht, als sie ihr rieth, das Bild fortzunehmen. Wenn es ihre Empfin dungen Robert gegenüber auch nicht mehr belebte, so hielt es ihr doch die Vergangenheit, dies-· sie demüthigende Vergangenheit vor Augen. Darum fort mit dem Bild, damit sie sich wie der cktn Leben freuen lernte. Als sie sich eine Stunde später von der Tante trennte, um sich von einer Studiengenossin ein Buch zu holen, das sie brauchte, flüsterte sie dieser zu: »Tante Karola, du sollst zufrieden mit mir sein· Jch will deinem Rath folgen und — und —- niir this.’ mir die Liebe und laß du es fortschafsen, das Bild —« Das alte Fräulein nickte. Jm Grunde hatte sie sich vorgenommen gehabt, die Unglücksleinwand ohne Le nas Zustimmung zu entfernen, aber nun diese sie dan autorisirte, war sie doch recht froh, daß sie nicht nöthig hatte, einen solchen Gewaltalt zu ris irren. Zufällig larn die junge Frau früher heim, als sie erwartet. Sie hatte die Freundin nicht zu Hause getroffen und daher unverrichteter Sache wieder ihre Wohnung aussuchen müssen. Als sie den Drücker in’s Schlüsselloch steckte, merkte sie,.das3 die Thiir offen war. Wahrscheinlich saß die Tante drinnen und die Hauswirthin hatte ihr, wie schon öfter in Lenas Abwe senheit, das Zimmer ausgeschlossen Richtig, da saß das alte Fräulein aus dem Sopha und hielt ihr Nach mittagsschläschen. Lenae erster Blick fiel auf sie und vorsichtig zog sie die Thiir hinter sich zu, um die Schlum mernde nicht zu werten. Dann trat sie näher. Aber —--— grofzer Gott — was war das? Diese leere Stelle an der Wand? Dort, wo ——— —— das Herz lrampfte sich der jungen Frau zusammen und ein schneidender Schmerz fuhr ihr durch und durch, tote wenn man ein Messer in ihrer Brust umwendete. ,,Tante, Tante, mein Bild! Um Gottes Barmherzigkeit willen, wo ist mein Bild?« Das alte Fräulein war aus seinem Schlummer erwacht, staunend, er schrocken, starrte sie mit weit geöffne ten Augen auf das blasse, junge Weib, das vor ihr am Boden lag und ihre Hiinde umlrallt hatte. »Mein Bild —- Tante, wo ist mein Bild?« »Aber Kind —,« ftanimelte diese, »du hast mich ja selbst beauftragt —« »Wenn auch! Jch will mein Bild! Schaff es mir wieder, ich muß es wieder haben, es ist das letzte, das mir geblieben von —- ihm! Taute, schasf' mir mein Bild wieder.« Fräulein Karola strich sich mit zit ternden Händen das Haar aus dem Gesicht. Was war das? So hatte sie Lena noch nie gesehen. Diese fürchterliche Aufregung? Dann liebte sie ihn also doch noch, den Ehrlosen. den Ehebrecher, den Betrüger! Das war ja entsetzlich! »Du hast mir doch »esagt, daß du ihn nicht mehr liebst, « murmelte sie, »und nun — Lena blickte sie starr an. ,,Liebene« Jch soll Robert noch lieben? Nein« Ich liebe ihn nicht mehr. Aber ichs habe ihn doch geliebt und das bleibt, ! das bleibt für alle Zeiten, das ist ein ! Theil meines Wesens. Das in mir tödten wollen, heißt mich selbst tödten Gib mir mein Bild, Taute, damit ich» wieder ich selbst bin, damit ich wieder « leben kann. Mein Bild, Taute, wo ist mein Bild?« »Du sollst es wieder haben, Kind. Der Dienstmann hat es aus den Spei cher gebracht, ich lass’ es sofort holen. Beruhige dich doch nur,« bat die alte Dame, der Nichte Haar und Wangen streichelnd. »Du sollst es doch wieder haben.« Aus Fräulein Karolas Augen ran nen die hellen Thränen. Jn dieser Stunde wußte sie's sicher, daß sie das trink-, welches sie erzogen, sich doch nicht mehr zurückgewinnen würde, denn sie gehörte —- nicht dem oerlnmp i« s-—-——————————— sten Menschen, der sich in Kneipen zehnten Ranges ein Glas Bier und ei ne Portion Essen zusammenbetteln — sondern dem strahlend schönen, lie , benswürdigen, lachendem Manne, dem l sie einst ihr junges, heißes Herz ge ,schentt. Lena war zwar noch jung und wer konnte wissen, ob nicht all mählich auch in ihrer Seele alles, was gewesen, ausgelöscht werden würde, l ganz allmählich, in Jahren, aber nicht )gewaltsam. Vielleicht — das Leben s verlangt sein Recht. Aber auch selbst Idann würde das Neue sich nur aus i dem Alten aufbauen und ganz aus-lö jschell —- —? Ganz? Es gibt keine Vergangenheit Od« Der Bettchenhut. Stizze von F. Wilde. i s Chiffon, Seide, Blumen. Jn der sausgebogenen Krempe versteckt die lo en lila Veilchensträuße. Er war ein reines Frühlingsgedicht, dieser Veilchenhutl f Dazu ,,Pariser ,,Modell«, dazu in leinem höchst fashionablen Geschäft — ialle diese Eigenschaften brachten ihm idas höchste Interesse der Damenwelt » em. ! Viermal am Tage mußte Kläre vor-« Iüber — und viermal sah sie daher ; diesen Beilchenhut. » Sie hatte sich darin verliebt. l »Ja —- wer sich den leisten kann«, ; seufzte sie jedesmal entsagungsvoll. s Dabei ging es ihr immer durch den ; Sinn —- wie sie dieser Veilchenhut lwohl kleiden möchte. Das locker in die Stirn sallende blonde Haar — umrahmt von der lila s Chiffonkrempe —- die zarte Farbe zu idem zarten Kolorit ihres Teints — t entzückend wäre das! . Aber sie schüttelte gleich wieder sden Kopf. Das geht ja nicht, ihr ganzes Monatsgehalt müßte sie dran setzen. - » Jn solchen Augenblicken wüthete sie ; gegen das Schicksal. s Warum konnte sie sich nicht auch ; mal bewundert sehen, warum nicht sauch mal den Neid des ganzen weib ! lichen Geschlechts heraussordern2 H— Jmmer so als Pauvrettchen um H Perlausem hatte sie schon längst t att. — ! Drei Tage schleppte sie sich mit der ; Absicht, hineinzugehen und zu fragen, s was- der Hut koste sp— das verband je » densalls noch zu nichts. j Der Hut stand immer noch im Fen » ster. Da faßte sie sich ein Herz und s führte ihre Absicht aus. s Filäre nahm eine sehr bestimmte I Miene an, alg hätte sie »aber Tausen j de zu verfügen. I Aber die Vertäuserin kannte das. i Sie maß die Gestalt in dem einfachen Z schwarzen Kostiim mit tritischem Blick , und wußte Bescheid. t i »Das Pariser Modell meinen Sie?« fragte sie kühl. »Ja! — Den Veilchenhut.« Sie machte gar keine Anstalten, ihn j aus dem Fenster zu holen. »Die nimmt ihn ja doch nicht«, dachte sie : bei sich. »Was kostet er?« ,,Sechzig Mart«, antwortete die J Vertäuserin obenhin, als wäre das gar nichts, und blickte Kläte heraus fordernd an. » Die zuclte mit teiner Wimper; sie « warf den Kopf ein wenig zurück und bat dann: »Ich wünsche den Hut mal ausprobiren.« Ein sein ironisches Lächeln der Bertäuscrin, und mit spitzen Fingern driifckt sie den Hzit auf Kläres Blond lop . Und er saß! Wie saß er! Da brauchte man nicht zu drehen und zu wenden. Er war wie extra angefertigt zu dem welligen, lockren Haar, das reich und goldig schim mernd unter der Kreinpe hervorquoll. Kläre klopfte das Herz. Was ihr da ang dem Spiegel ent gegenstrahlte, das anmuthige, siiße Ge sichtchen, war sie denn das selbst? — O —- so schön zu sein! Kein Preis schien ihr zu hoch dafür. Sie beschaute sich nach allen Sei ten. FTII fun- —— Profil —-— in der Nackenlinie. Dann sagte sie entschlossen: «Also, ich nehme den Hut.« Die Berläuferin konnte ihr Erstau nen kaum unterdrücken, aber Kläre zahlte ihr drei Zwanzigmarkstiicke großartig an der Kasse. Gleich Vor der Thür stieg sie in die ,,Elektrische« und fuhr mit ihrem gro ßen, schwarzen Papplartou selig von dannen· II- Ik Ik ; Der Sonntag war da! i Freundlich schien die liebe Sonne, und milde, weiche Luft erweckte die schönsten Frühlingsgedanten i Draußen in den Vororten wimmel- s te es schon von Spaziergängern Man ( freute sich über jede grüne Knospe an Sträuchern und Hecken; über jedes Krolus und Schneeglöctchen, das aus der Erde hervorlugte. —- Und dabei fühlte man sich recht unbequem in sei ner Winterkleidung Kläre hatte das nicht nöthig. Sie trug ihren lila Veilchenhut. Mit wel chem Stolz! Heut wurde sie bneidet! Ach, wie amiisant das war, wenn sich so jeder nach ihr umschaute, nach dem Pracht exemplar von Frühjahrshutt Einmal hörte sie, wie zwei Herren hinter ihr her sagten: ,Donnerwetter —- die sieht schick « - Wq ausl« Da lächelte Kläte ihren Begleiter I alückselig an. »Du bist wohl furchtbar stolz heute, Kläre«, sagte er und legte seinen Arm in den ihren. »Gefalle ich dir denn ein bißchen?« entgegnete sie totett. »Du gefällst mir immet.« » »Aber heut besonders« — s »Ach so — um den Veilchenhutl »Natürlich, der ist sehr fesch. Kostet wohl auch eine Stange Gold?« « Kläre war sehr großartig geworden im Besitz ihres Kleinods, darum ant wortete sie ohne weiteres-: »Ja — sech zig Mark!« ! »Das finde ich ein bißchen happig!« Sie zuckte die Achseln. »Weshalb kann man nicht auch mal leichtsin nig sein! Man muß nicht immer tnausern; Arthur! Das paßt gar nicht mehr in die Welt. Und wenn man sich den ganzen Monat ge quält hat, kann man sich auch was lei sten.« ,,Aber mir ist das Ding zu ausfal lend, Kläre!« »Ach Pfi! — Sich hatte mich so ge » freut aus den heutigen Tag, und nun bist du gar nicht nett. Du solltest doch mich anstaunen und denken: Die Kläre ist doch das beste, schönste Mäd chen! Jch will sie recht lieb behalten — und«. . . »Und?« : »Na — dich endlich mal erklären, so oder so!« . »Davon wollen wir ein andermal reden, Klärel Heut’ habe ich keinen - Mumm. Mir ist was in die Krone ge fahren!« ,,Hab’ ich dir was- gethan?« ,,Laß man! Das geht vorüber. Nach-i her stnd wir beide noch mal sehr ber gniigt — hm?« ,,Wollen wir tanzen?« meint Kläre und schmiegt sich in seinen Arm. Dabei denkt sie gleich an. ihren Veil chenhut; nun soll er erst zu seinem Recht kommen. sc sc II Kliire ist wieder zu Haus. Liebevoll verhüllt sie die lila Schön geit und lächelt berträumt vor sich In. Es war doch heut ein sehr hübscher Tag gewesen. Arthur schien zwar ein bißchen still und nachdenklich, aber das machte ihr keine Sorge. Schließlich ist es ja auch keine Kleinigkeit, wenn jemand plötz lich vor die Frage gestellt wird: »So —- oder so!« Sie hatte es schon lange gehofft, und es war ihr sehnlichster Wunsch, Arthurs Frau zu werden· Er ver diente auch ein ganz schönes Geld und konnte einen Hausstand gründen, aber er zögerte doch noch immer mit seiner Erklärung Das machte Kläre ver drießlich Sie nahm sich vor, dem Glück ein bißchen nachzuhelsen. Arthur liebte eg zwar nicht, wenn ; man Viel Geld aus-gab. Er war selbst schrecklich sparsam. Aber Kläre wuß te auch, daß ihre Schönheit ihn besie gen würde. Und heute Abend hatte sie die feste . Ueberzeugung: J Nun dauerte es keine acht Tage T mehr —- dann bist du am Ziel deiner Wünsche. PL Schon am nächsten Tage kam ein Brief von Arthnr. Kläre lächelte stillvergnügt. Sie wußte gleich, was er brachte. Eine mündliche Erklärung ist ihm also Peinlich gewesen — so schrieb er: »Liebe Kläre! Sei nicht böse, aber aus uns kann nichts werden. Sieh mal, was soll ich mit einer Frau, die Hüte für sech zig Mark trägt? —- Dann bist Du mir auch zu hübsch und zu leichtsin nig. « Mein-e Frau musz mal ganz einfach und bescheiden sein. Für Dich paßt so’n feiner Mann, daß Du Staat machen kannst. Trage Dei nen Veilchenhut noch mit recht viel Vergnügen Jch bin froh, daß ich ihn nicht mehr zu sehen brauche. Er war mir nämlich gestern in die Krone ge stiegen. Arthur.« Kläre ist ganz blaß geworden, sie zittert ordentlich. Aber dann rasst sie sich energisch zu sammen. »Der dumme· alberne Mensch! Hat ja gar keinen Geschmack!« Damit sucht sie sich zu trösten. Doch —- eg will ihr nicht gelingen. Und —- es soll noch viel schlimmer kommen! Denn von diesem Tage an haßt Kläre ihren Veilchenhui. —- Anziiglich. Herr: »Ich be gieise es nicht, wie Sie zu diesen Schleuderpreisen verlaufen können!« Waarenhaug - Inhaber: »Bei mir gilt eben das Prinzip: Die Masse muß es bringen!« Herr: »Hm ja, die Commis masse!« —Gerechte Entriistung. »Ein niederträchtiger Kerl, dieser MU sitdireltor. Zu meiner Vermählung tomponirt er einen »Hochzeitsmarsch«, und zwei Jahre später läßt er ihn im Musikalienhandel erscheinen als »Trauermarsch!« —- W i n l. Herr (zu seinem zukünf tigen Schwiegersohn, einem Lebemann« der sich zum dritten Mal einen Vor schuß auf die Mitgift geben läß’t): »Nun wird’s aber bald Zeit, daß Sie Hochzeit machen, sonst bleibt Jst-nen dann nur noch die Frau!«