Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, May 12, 1905, Sweiter Theil., Image 12

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    szVer alte Bekannte.
III-den Erinnerungen eines Irrt-ni
."»-IIIIe-rnten. —- Bon J. O. Hausen.
—«
» Mmißbrod ist ein schweres
est-di- So dachte ich ais jun r
s! -Msch, als ich Soldat werden u
»Ist mein Herz war deshalb seg: be
sMern Es war zu Anfang des
bers, als ich den Abendzug be
- g, tun von meiner Vaterstadt nach
ankfurt an der Oder zu fahren. wo
am folgenden Tage als Rekrut
ei esiellt werden sollte.
dem Wagenabthetl dritterKlasse
befanden sich zuerst außer mich nur
- M zwei andere Passagiere, und
· Mr war der eine ein dicker heiterer
Vie "ndler, der zweite ein ehrsama
Schlachtermeister, wie aus ihrem ge,
sptsch hervorging, dem ich zula YschM
gezwungen war, denn die des-Un un
terhielten sich sehr laut über« ihn mik
einander so nahe verwaan Berufs
interessenz
Als Mk Tisch-Etwa einer Stunde
DR dem SWZIÄUSgedäude eines klei
UM OMT Unsege Minuten hielten,
kam Ulkch M! iotertrr Passagier zu uns,
Dek« Schch kam Eintreten einen derben
WZJ kxß über den der dafür sehr em
Pfqnthtse Biehhändler in ein schal
i kzkbjes Gelächter ausbrach. Der an
. « dig, ja sogar mit einer gewissen
leganz gekleidete Witzbold war ein
Herr von reichlich dreißig Jahren,
mit markirtem, etwas verlebt und
gelblich aussehendem schlauen Gesicht
listig funkelnden Augen, dunklem
Kraushaar und Schaum und Kinn:
bott. Jch betrachtete ihn gleichgültig
und dabei kam es mir so vor, als
müsse ich diesen Menschen schon früher
einmal gesehen haben. Zur großen
Belusti ung der beiden anderen gr:
ten lie er noch weiter seinen itz
länzen und brachte allerlei tolle
« wiinte vor.
So vergingd en Dreien recht ange
nehm eine halbe Stunde. Der Zug
brauste jetzt mit voller Geschwindig
keit durch die einsame Gegend: Aecler
und Wiesen« die herbstlich kahl und
öde aussahen, lagen rechts und lintgs
seits von dem Geleite. Es war heller
Mondschein.
Der Witzbold erzählte eben den
Schwank, wie er einst bei einer frü
heren Eisenbahnsahrt einmal aus Ult
die Nothleine gezogen habe.
»Dafür mußten Sie dann aber doch
dreißig Mart Strafe bezahlen,«
l meinte der« Viehändler.
»Keinen rothen Pfennig have ich
bezahlt," versetzte er.
»Wie haben Sie es denn gemacht,
der Strafe zu entgehen?«
»Will’s Jhnen gern zeigen. Ganz
einfach so.«
Er stand auf und zog die Noth
leine. Ein fchriller Pfifs der Lokomo:
tive ertönte.
»Alle Wetter!« rief der Biehhänd:
ler. »Da bin ich doch wirklich eini
germaßen neugierig, wie Sie sich ohne
Geldbuße aus dieser Geschichte heraus
wickeln wollen«
»Das werden Sie gleich sehen und
dann Jhr Leben lang an diesen schö
M Spaß denken!«
Es wurde gebremst, dann hielt der
Zug. Der sonderbare Witzbold öffnete
Ue Thüre und sprang hinaus. Er
stieg hurtig die schräge, kleine Böse-h
mt hinan und dann übe-r die Draht-·
ein riediåung des Ackers oben.
in chaffner lief jetzt eilfertig
» ier ist die Nothleine gezogen
mir n?" rief er.
m«.:’thlr)ohl,« versetzte der Biehhänd
»Was giebt’s denn hier?«
»Nichts!«
»Es liegt kein Nothfall vors«
»Nein!«
»Dann kostet das dreißig Mart
Strafe; es muß gemeldet werden«
»Wenden Sie sich nur an den
Herrn, der’5 gethan hat."
»Wer ist dag?«
»Er ist ausgestiegen. aber droben
steht er ja noch im Altondschein.«
Der Schaffner wandte sich um. »He,
Sie da!« schrie er.
»Was wünschen Sie?« fragte der
Witzbold von oben herab-.
»Sie haben die Nothleine gezogen ?«
»Ja freilich!«
»Warum haben Sie das gethan?«
»Weil ich hier irgendwo herum in
einem Dorfe ein nothwendiger-) Ge
schäft zu besorgen habe und deshalb
us·nsteigen wünschte.«
»Es muß gemeldet werden."
U«Melder;, SICH immceåbinx ich habe
ge en ur us ni s einzuwen
bin's
«Das kostet dreißig Mark Strafe.«
HahahaL Daraus mache ich mir
's
) »Wer lind Sie, wie heißen Sie?«
« heiße Müller Und bin aus Ber
fiw otiten Sie das, wenn es Jhnen
Vergnügen macht. Adieu, mein lieber
Offenbahntatht Leben Sie wohl,
seine ren! Jch empfehle mich Ih
m ns auf Nimmerwiedersehen!'«
, Danach feste er seine lan nBeine
in Thättglett und lief quer eldein.
M Augenblick schien der höch
M entriistete Schaf net geneigt zu
· u. ihm nachzurennen. ab aber
" diese Jdee auf, wahr cheinlich,
igil er das Unternehmen entweder
— t gänzlich aussichtslos oder doch für
ZIsz — halten mochte.
" ernten Sie den Deren?« fragte
« Its-« Akdlkizs E s
« s, e er. ,, k ie in
II ein-I g
« I weiq ich.«
tin ei tgeroSpsMelt Er hat
J hem- amtisitt!«
»Hei-See bee Teufel! Ich will doch
; W notice-K
«-»-.
—
.Miillet aus Berlin?«
«Jawohl.« , ,
«haha! Jn Berlin giebt es viele
Tausend gute und wohl auch einige
böse Leute,lfdie Müllekmheißew T
dürfte es a o verknu - n
- - » .-.—- sum
Nime LIYk me Herrn ausfindig
Zu niachen."l
sc Wkrießlieher Stimmung ent
LTM . sich der Schaff-irr und gleich
tsUf sitt-te sich der Zug wieder in
Bewegung
Sechs oder sieben Minuten lang
FREESE-et Fahrt wieder gedauert, als
ZcVCIUch der dicke Viehhöndler wie ein
Vqssinniget sich zu gebärden anfing.
. ver:viinscht!« schrie er, indem er
an sich herumtastete. »Was ist das?
Oa, der elende Wicht, der verdammte
Schurlel Der Lump!" Und ehe wir
uns dessen versahen, sprang er wie ein
Besessener von seinem Sitze auf und
zog ungestütn die Nothleine.
Abernials erscholl ein schrillerPfisf.
Es wurde gebremst undd er Zug hielt
an.
Der Schasfner lief höchst aufgeregt
herbei und riß die Thüre zu unserem
Abtheil aus. Er befand sich in der
schlechtesten Laune.
»Schon wieder!« tief er grimmig
,.Wa5 ist denn nun los? Wer zog die s
Ytothleine diesmal?«
»Jch,« versetzte der Viehhändler.
«Warum?«
»Ich bin schändlich bestoblen wor
den« Meine Brieftafche ist verschwun
den.«
»War denn viel darin?-'«
»Dreitausend und siebenhundert;
Mart in Reichstassenscheinen.« ;
»Potztausend, ein schönes Stimm- ;
chen. Und Sie glauben vermuthlich,;
daß der Mensch, der vorhin aus solche
sonderbare und auffallende Art dent
Fuga verließ, den Diebstahl verübt.
,at".« l
,, awohl, davon bin ich überzeugt«
» shalb zogen Sie die Noth
lcine?« .
»Ja. Ter Dieb muß schleunigst ver- !
folgt werden.« I
»Ich muß den Vorfall dienstlichs
melden. Man wird schwerlich JhrenH
Entschuldigungggrund gelten lassenJ
Ein wenig Nachdenken hätte es Its-I
nen gleich tlar machen müssen, daß es
ganz nutzlos sein würde, das zu thun,
was Sie gethan. Was den Diebstahl
betrifft, dessen Opfer Sie geworden,
so rathe ich Ihnen, wenden Sie sich
sogleich nach der Ankunft in Frank
furt an die Polizei.«
Danach ging der Schaffner weg
und die Fahrt wurde fortgesetzt.
Der Dicke befand sich nun gar nicht
mehr in heiterer Laune. Anstatt die
Schwänte des nichtswürdigen Spaß
vogels noch ferner zu bewundern.
schimpfte er mörderisch über ihn und
schwur ihm fürchterliche Nache, wenn
er ihn erwischen tönne.
Der diedere Schlachtermeister
meinte, daß dazu wohl leider nicht
riel Hoffnung sei. Der Bursche sei
zweifellos einer der Schlauesten seines
Gelichters und würde es vermuthlich
verstehen, sich und seinen Raub in
irgend einer Großstadt in Sicherheit
zu dringen, um das erbeutete Geld
isa rasch zu verjubeln.«
Nun mischte ich mich ins Gespräch,
indem ich sagte: »Ich muß diesen
Menschen schon früher einmal gesehen
haben, denn er tam mir gleich detannt
vor.«
»Mit habenSie ihn früher gesehen?«
fragte interessirt der Viehhiindler.
»Duan vermag ich mich leider
nicht zu besinnen.«
,Dann nützt das freilich nicht viel.«
»Mir schien er so etwas wie ein rei
sender Jahrmarttstünstler zu sein,«
sprach der Schlächtermeister. ,,Dasür
möchte ich ihn halten. Vielleicht ein
Taschenspieler, der im Pech ist, und
seinen Vortragswitz und seine geübten
Hägide zu dem Spitzbubenstreich be
nu te.«
,,Nun weiß ich’g,« rief ich. »Die Be- .
Errettung des Herrn da hat mich plötz- s
lich darauf gebracht Ja, im Jahr s
:".czrttgtrubel habe icd ihn geseheu.« s
»Als Taschenspieler?« fragte ders
Viehhändler gespannt. i
»Nein. Als Augrufer und Anlorter
ror einem Affentheater. Er lud auf
lustige Art das Publikum zum Ein
tritt ein.«
»Das ist eine gute Spur. Wissen
Sie, wem das Assentbeater gehorte"s«
»Ich glaube, einem gewissen Mar
tini.«
»Seht gut. Jch dante Jhnen be
strns!«
Wir langten ohne weitere Aben
teuer gegen neun Uhr Abends in
Frankfurt an. Danach begaben wir
uns nach dem Polizeiamt und mach
ten unsere Aussagen über den Vor
fall.
Die Behörde versprach dem Bestoh
lenen, das unverzüglich alles Mögliche
aus eboien werden solle, um den
Spiybuben dingfest zu machen. Durch
meine wichtige Mittbeilung, da er
ein Jahr zuvor beim Martini’ chen
Assentheater thätig gewesen sei, wür
dm rasche und ———walyrscheinlich sichere
Nachforschungen ermöglicht, so daß
Tin iinstrger Erfolg wohl zu erwar
en ei.
Die Bemühungen der Kriniinak
polizei hatten in der That schnellen
Erfolg. Eine Anstexe bei dem in einer
mecklenbur ischen tadt sich aushol
tenden rtzer des Assent aters er
gab, das der Spihbube nechtMiiller
bei e, sondern August heinrich
S ul , under stamme ni t aus der
deuts Reichshauptstadt elbsi,son
dem aus der kleinen Stadt Narren.
Born Assentheater sei er damals fort
Xiagt worden wegen Uneedlichkeiten
oehdeni man so den Namen festge
stellt und einen Steckbries erlassen«
dauerte es gar nicht lange, bis man
—....-——.-.-—-—.-—
den Gauner verb-' M s
und nach
ZZMFXYZEZ dJOHN iransportirtr.
ou sur i andlung war ich
. Schulpe war, loie
M Indem Ikspriinglich ein begabter
U IQ Ind in anständiger Stellung
ARE-M dann aber von einer aben
Leserltchen Existenz zur anderen und
uieyt zum Verbrechertbum herabge
unien. Von dem eraubtenGeld hatte
man den größten åheiL nämlich drei
tausend und zweihundert Mart bei
ihm gefunden. die der Biebhäudler
zurückerbielt. Jn der Freude seines
Herzens schentte der brave Mann
dankbaren Sinnes mir einen Hun
derimartschein, zog dann noch mit mir
in der Stadt umher und trattirte
mich gar berrlich in verschiedenen
Wirtbschaften. Dies hatte zur Folge,
daß ich Abends viel zu spät in die Ka
scrnet am und noch dazu start ange
heitert· Dafür wurden mir drei Tage
Mittelarreit zudittirt.
So gebt-'s im SoldatenlebenKeine
Rose ohne Dornen.
l)
Beim Militär gefiel es mir doch
viel besser, als ich anfänglich gedacht
hatte, und auch das Rommißbrod
fand ich immer recht schmackhaft. Es
gefiel mir so gut, daß ich dabei zu
bleiben beschloß. Jch war Gefreiter
geworden und sollte Unteroffizier
werden, wenn ich tapituliren wollte.
Das that ich. So diente ich denn nach
Ablauf der ersten drei Jahre noch
weitere neun. Nach zwölfjiibriger
Dienstzeit erhielt ich meinen ehrenvol
len Abschied und die Berechtigung zu
einer Cioildersorgung im cubaltern
dienst.
Jsch beschloß, mich dem Polizeifach
zu widmen, wozu ich einigen Beruf in
mir verspürte. ch wurde zuerst ein
facher Kriminal chutzmann in Rosen
Als solcher war ich zwei Jahre lang
thätig und fand Gelegenheit, mich
auszuzeichnen. Man erlannte meine
Fähigkeiten im Aufsdijren und Ent
hüllen arbeimniszvoller Verbrechen,
was zur Folge hatte, daß ich Geheim
potizist wurde und Gehaltszulage er
hielt. Unterdessen hatte ich mich ver
heirathet und lebte recht zufrieden.
Es war an meinem Geburtstage
asn 5. Juni. und das schönste sonnige
Friihlingsmetter, als ich Vormittags
gegen zehn Uhr durch die Straßen
schlenderte. Da sah ich vor Wa ner’s
Hotel den Besitzer stehen im Gespräch
mit einem fremden, sehr elegant ge
kleideten und geschästsmäszig aus
sehenden Herrn schon reiferen Alters
mit glattrasirtem Kinn und langem,
bereits etwas in’S Graue schimmern
den Kotelettenbart nach englischer
Art. Das Gesicht siet mir aus, mir
tam's so vor. alg miisse ich den Herrn
vor langer Zeit schon einmal gesehen
haben, vermochte mich aber doch im
Augenblick nicht tiar daraus zu ent
sinnen, wo das gewesen sein könnte.
Da er aber jedenfalls nicht zu den
vier oder siins damals gerade eifrig
Gesuchten gehörte, auf die ich sahn
dete, und deren steckbriesliche Signale
ments ich im Gedächtniß trug, so«
schritt ich vorbei. Zudem befand ich
mich ja auch in einer gewissen gehobe
nen Geburtstagsstimmung und hatte
deshalb In dem schönen Frühlingstag
eine besonders gute und freundliche
Meinung von der Welt und der ge
sammten Menschheit
« Ein Vierteljahr nachher ereignete
sich Folgendes: Schon seit langer Zeit
betrieben sehr geschickte Fälscher ochst
ersolgreich die Fabrikation rusischer
Rubelbantnoten, die ganz vortrefflich
angefertigt waren. Auch in un erer
Stadt waren zum beträchtltchen
Schaden mehrererBantiets und-taus
lcute derartige falsche Rubelscheine
gegen gutes deutsches Geld umgewech
selt worden. Jch erhielt den Auftra ,
der Sache nachzuspüren, und erfu r
lald, daß der Rubelmann ein sremder
Geschäftsmann schon reiferen Alters
von sicherem, noblem Auftreten und
vertrauenswürdigem Aussehen gewe
sen sei. Jemand gab den dankens
werthen Hinweis, er glaube ihn ein
mal gesehen zu haben, im Restaura
nonszimmer von Wagner’s Hotelz es
erscheine also wohl m" lich, day er
tort logiet habe; es osgei zu An ang
Juni gewesen.
Ich begab mich sosort nach dem
Gasthof und sprach mit dem Wirthe
über die Angelegenheit
herr Wagner sagte nachdenklich:
»Ich entsinne mich eines Herrn, der
vor etwa einem Vierteljahre bei mir
logirte und möglicherweise der Ge
suchte sein könnte, denn er wünchte
damals allerdings einen andert
rubelschein von mir getoechsel zu ha
ben, was ich jedoch zu meinem Glück
ablehnte.«'»
»Wie ist sein Manns-« fragte ich ge
spannt.
»Ja, dessen entsinne ich mich augen
blicklich nicht. Aber das ist sehr leicht
zn ermitteln; wir brauchen ja nur im
Fremdenbuch nachzusehen.«
»Mit er nur das eine Mal bei Ih
nen logirt?«
»Nu: das eine Mal.«
»Längere Zeit?«
»Mir wenige Tage."
Das Fremdenbuch wurde gebracht.
Der Wirth blätterte eine Anza lSei
ten darin zurück, die vielen amen
mit sliichti em Blick musternd. Dann
rief er: «, ier sie t'ö! Dieser ist est
Am 5.Juni: üller, Kaufmann,
Berlin-«
«haha, in Berlin kgibt es viele tau
send Leuie, die Mii er heifßem wohl
auch etliche hundert Kan leute des
Rameni. Nichts bequemer siir einen
Schwindler, der seinen wahren Na
Feste zäakerheilntilicherk begründetehtxg
a , a zu agen, er er
Müller und sei aus Berlin.«
M
aber dur guckte in diee ein
Augen lick eine selt aine Aliant
vielen Jahren, als jung ger ch.
hatte tich ja einmal etwas ti nli z
erlebt niit einein falschen» itller«
aus Berlin, und der dicke Viehhändleh
dem ich damals einen so wee ntli
Dien leistete« hatte dem Eisenba n
schaf net gegenüber die beinahe gleiche
Bemerkung macht von den vielen
tausend Berlinern, die Müller hei en.
Und dann am 5. Juni hatte der aft
dek Hotels diesen Namen ins Frem
denbuch geschrieben. Das war mein
Geburtstag An dem schönen Tage
hatte ich ihn vielleicht gesehen im Ge
spkäche mit dem Witw.
»Bitte, beschreiben Sie mir un es
fahr sein Aeuszeres, so gut Sie ich
dessen noch zu entsinnen vermögen,
sagte ich.
Das that er. Ja, lein Zweifel, es
war richtig der nodel augsehende Ge
ichäftsmann reiferen Alters mit dem
schon ins Grauliche spielenden Kote
littenbart nach englischer Art. Es ist
dir Spaßvogel von damalL,'« dachte
ich »Mein alter Belannters Natür
lich ist er gealtert seitdem, wie ich
selbst ja auch, und sein Bart ist ein
ganz anderer als früher. Aber sicher
lich derselbe Mann; ich bin davon
ulserzeugn deshalb schien mir sein
Gesicht auch nicht unbekannt, als ich
ihn vor dein Gasthofe stehen fah-«
—.——--———»————
Auf meinen Bericht in dieser Sache
wurde seitens der Kriminalbehörden
energisch vorgegangen. Ermittelt
wurde rafch, daß ein Vetter von Au
gust Heinrich Schultze in einem Vor
orte Berlins wohnhaft sei· Dieser
Mann war früher Lithograph gewe
sen, hatte sich mehrere «ahre lang in
Raßland und Polen aufgehalten nnd
galt für wohlhabend, denn er lebte
angeblich von seinenRenteii unv zahlte
eine ziemlich beträchtliche Einkom
mensteuer. Jn einer kleinen Van
wohnte er, etwas abseits von der
Straße-. ««Lliigust Heinrich Schultze
war oaurrg oer ihm zu Besuch, osr
monatelang, dann aber wieder abwe
send, anscheinend aus Reisen. Gerade
gegenwärtig war er da und auch noch
ein anderer Herr, der wie ein Aug
länder aussah.
Eines Abends wurde der verdäch
iiaen Villa von der Kriminalpolizei
ein Besuch abgestattet. Das Resultat
war, dasz man die Fälscher bei der
Arbeit überraschte, wie sie sich gerade
emsig mit der Anfertigung von fal
schen Nubelfcheinen beschäftigten·
August Heinrich Schultze, dessen Vet
ter und noch ein dritter im Bunde
wurden verhaftet, vor Gericht gestellt
und zu schweren Strafen verurtheilt.
Mir brachte meine erfolgreiche Thä
tigleit in dieser wichtigen Sache eine
neue Beförderung im Amte nebst
abermaliaer Gehaltszulagr. Eini e
Zeit später wurde rnir auch ein rufe
scher Orden versiehen.
Solche alte Betanntschasten erwei
sen sich oft als recht nützlich.
Ok—
Ver Gemsbart·
humoreste aus dem Hochlande von
Fr. Pii hringer.
Jeder Anhänger des heiligenHuber-«
tus weiß den Gemgbart, diesen präch
tigen und stolzen Hutschrnuct des Al
penjiigers, zu würdigen. Zu Anfang
des Winters erreichen die dunkeln,
zartgeträuselten Haare Spannenlänge
und darüber, und die weichen Spitzen
sind so weiß »angereimt«, als hätte
sie die letztvergangene Frostnacht der
Hochwelt mit Reif überzogen. -
Diese Zeit rückte heran.
Die hirschbrunft war vorüber und
die zahlreichen Jagdgäste des Gutsbe
sitzers Bergen hatten schon vor einiger
Zeit wieder das Weite gesucht. An
schließend an die am Ausgange eines
tieseingeschnittenen Gebirgsthales ge
legene Besihung stieg das wohlgehegte
Revier an, das oben in den »Hm-kräu
ern« und im »Hochtar" ein Gemsge
biet erster Güte darstelltr.
Vor einigen Tagen war ein Fran
zvse —— Alphonse Lebaud zu Be
such eingetroffen Diesen, der nur
ziemlich gebrochen Deutsch sprach,
hatte der Gutsbesitzer letzten Winter
in der Residenz kennen gelernt und
mit ihm manche vergniigte Abende
verlebt. Der Franzose hatte sich daq
mals aus einen leidenschaftlichen Jä-j
ger hinausgespielt, und so lud ihn
Bergen zu den Herbstjagden ein.
Lebaud hatte dieEinladung zu spät
erhalten ——— als er von einer Reise zu
rückkehrte. So schnell als möglich lei- »
stete er ihr jetzt Folge. i
Sein Ehrgeiz träumte nur von ei
nem idealen Gemsbartr. Dieser mußte
natürlich von einer selbsterlegien
Gemse stammen. Bergen hatte dem
töstlich eifrigen Gaste« der sich sehr
siegessicher fühlte. den alten Bartl
als Jäger beigegeben. Der stapste
schon durch mehr als zwanzig Jahre
das Revier ab und hatte es schnell
herausgebracht, daß der neue Nimrod
imstande war, aus dreißig Schritte
an einem mäßigen Meierhose vorbei
zuschießen Aus diesem Grunde hatte
er ihm, nicht ohne Mühe, begreiflich»
gemacht, daß er sich vorher entspre
chend «einichießen« müsse.
Der Belehrte ließ auch sosort eine
Uebungsscheibe im Garten ausstellen
und betrieb das «Einschießen« mit
übergroßer Gründlichkeit. Er schoß
nämlich auch die meisten fernster des
dort befindlichen Glaöhau es ein.
Wenige Tage später. Bartl und
sein Jagdherr schritten am sriihesienE
Morgen mit der Kugelbiichse ans dem
Rücken riistig betgwärts. Der Wald
psad lag im Schatten und die eisenbe
schlagenen Bergstöcke klangen aus dem
harigesrorenen Boden. Es war über
haupt grimmig lalt. Bartl hatte
schon mehrmals versucht, das un
heimliche Schweigen zu brechen. Der
Ersolg war immer eine kurze, meist
unverständliche Entgegnung. Der
eineverstand jedenfalls den unver
sälschten Aeplerdialelt so wenig, wie
der andere das Kanderwelsch seines
Begleiter-T Dieser Umstand machte
Barth der an eine gemiithliche Aus
sprache beim Gehen gewohnt war, ei
was spießig.
Der Franzose war von seinemGast
gebet ganz stilgerecht ausgerüstet wor
den. Unter der kurzen, abgeschabten
Lederhose lugten ein Paar bliihweisze
Kniescheiben hervor, die infolge der
niederträchtigenTemperatur etwas ins
Violette spielten. Unter ihnen schwi
terten grüneWadenstutzen, die in derb
genagelten Beraschuhen röbster Gat
tung ihren Abschluß san en.
»Schier srisch ig«!« suchte Baril
nochmals die Unterhaltung aan
lnilpsen, während Leband bald seine
erstarrten Hände ztisantmenschltig,
bald seine ungewöhnlich weit von ein
ander abstehenden Rniec niassirte.
Der rückwärts schreitende iiger be
trachtete das heitere Bild mitivchmuw
zeln und murmelte im Hinblicke auf
die krummen Beine etwas von »zwei
in Lederfleck ein’gewi(telten Kipfeln«.
Um sich für das aufgezwungene
Schweigen einigermaßen zu entschii
digen, sprach er dann der Kognal
flasche seines vorangehenden Herrn
fleißig zu. Die Bastumhüllung der
selben verbürgie volle Distretion.
Einen Augenblick standen sie still,
Um zu rasten. Lebaud zündete sich
eine Cigarre an und offerirte Bartl
auch eine. Zum Entsetzen des Fran
zosen biß dieser herzhaft die Hälfte
als und zerlaute sie gemiichlich. Bald
kamen sie über die geschlossene Wald
region hinaus, an die »Hutmiiuer«,
und Lebaud ächzte und leuchte diesen
letzten und gleichzeitig steilften Theil
hinan. Nunmehr befanden sie sich
in der Mitte einer langen. schmalen
Schlucht, die, oben am »Hochlar" be
ginnend, mit mäßiger Senlung nach
vorne in das freie Felsgebiet über
ging. Bartl blieb stehen und vriifte
die Luftstriimung
«Der Wind is« recht,« lonstatirte er
hernach befriedigt
Zwischen den im unteren Theile
selbst für Gemsen unerfteiglichen
»Hutmäuern« zog sich der mit großen
Steinblöcken übersäte Gang dahin.
-Diesen verfolgten sie ein lleinegStiick
abwärts Der Farnzose huinpelte
nur mehr. Bevor die Schlucht en
; dete, machten sie Halt. Hier war lints
eine kleine, niedrig verlaufende Was
»ferrinne, von der man ein zienilirbes
Stück dieses natürlichen Engpasses
übersehen tonnte. Wenn eg gelang,
die Gemsen in diesen Hohlweg zu
drängen, so war dies für einen Schü
tzen der vriichtigste Stand. Dies war
auch Bartls Plan.
Auf diesem Platze angelangt, legte
der Jäger Rucksart und Bergstock bei
seite. Dann machte er dem Schützen
llar, von welcher Seite die Gemsen zu
erwarten seien, gab ihm eine Menge:
Verhaltungsmaßregeln und schärfte
ihm wiederholt ein, seinenStandpuntt «
nicht zu verlassen. -
Die eindringlichen Ermahnungen
schloß er mit den Worten:
.Geben S« fein Obacht und schie
ßen S’ lan’ Goas!«
Dann entfernte er sich mit seiner
Büchse und suchte, einen großen Bo
gen schlagend, uebemerlt das obere»
Ende der ,»·dutmäuerschlucht« zu ge-:
winnen, um das Krielelwild zwischens
tie »Müuer« herabzudrücken (
Der verlaffene Franzofe lud be:i
dachtig fein Schießgervehr und lehnte(
es neben die Bergftöcte an die Felsen.
Dann feste er sich auf einenVorfprung
und machte sich mit dem Ruckfacte zu
schaffe-L Hungrig und durftig, wie
er war, ließ er sich Effen und Trin
teu trefflich munden. Zeitweilig
spähte er hinauf nach der blauen
Spalte, woher das Edelwild kommen
sollte. Aber es kam nichts, wie ge
duldig er auch wartete. Der Aufent
halt in der fchattigen Ninne wurde
immer unangenehmer. Draußen lag
die warme Sonne. Das Warten
wurde auch allmählig langweilig.
Noch einmal lugte er hinaus. Es
kam nichts.
Da fchulterte er die Flinte und mit
Hilfe des Bergftoeles arbeitete er sich
in ängstlicher Unbeholfenheit bis zur
nahen Aujmiindung der Schlucht.
Der Wandriicken links verflachte
hier nämlich, rechts dagegen fand die
Mauer einen plählichen Abschluß.
Unmittelbar neben diesem fentte sich
eine mit· kleinem Kaltfchotter und
grobem Verwitterungsfand bedeckte
Halde ziemlich fteil bis gegen die
Waldgrenze hinab.
Einen Augenblick weidete sich Le
kaud an der wundervollen Aussicht,
dann verglich er feinen früheren
Standpunkt mit dem jetzigen.
Dort waren ihm die Finger vor
Kälte ftarr und steif geworden. Er
hätte beftimmt teinen ficheren Schuß
abgeben können. Das war hier nicht
zu befürchten.
Bis zu feinem derzeitigen Stande
konnten überdies die Gemer nach
seiner Seite enttommen nnd nach
» vorne zu verstand er die Liicte. Ob er
« «!
von da oben seitwärts herüberschok
oder von hier zurück hinaus — das
bliebe dosz einerlei! —- taltulirte er.
Noch immer lam ntchiz. .
Schon lange siiblte er ein Unbeha
gen, das ihm einige lleine Steinchen
tm Schube verursachten. Er lehnte
wieder sein Schießeisen sammt dem
Bergstocle weg, schnürte die Leberm
inen aus und zog den Schuh aus. —
Eben war er in der besten Arbeit
begrifen, als sich plötzlich ein Getrap
pcl vernehmen ließ. Ein starkes Ru
del Gemsen jagte in wilder Flucht die
Schlucht herab.
Da sie den Weg versperrt sahen,
stutzten sie einen Augenblick, dann
übersetzten sie in verzlveiseltem An
sturnie den aus einem Beine gebiiclt
stehenden Waidmann.
Lebaud hatte bei dem ersten An
rralle das Gleichgewicht verloren und
tullerte unauslzaltsgni die unbewach
sene Schutthalde hinunter.
Jn demselben Augenblicke tauchte
Bartl oben in der Enge aus.
»Was schiaßt denn der Höllsalra
nit?« schrie er, roth vor Aerger.
Dann hob er. gerade noch rechtzeitig
genug, die Büchse, um dern letzten la
pitalen Gemsbocle, der eben jenen
Platz an der Ecke passiren wollte, den
der Franzose unfreiwillig verlassen
hatte, eine Kugel nachzusenden.
Der Schuß donnerte in den Wän
den; auf's Blatt getroffen überstiirzte
sich der Bock und rollte den Abhang
hinunter-, dein Hinabgeftoßenen nach.
Jn der Mitte der Nutschbahn holte
er ihn mit einem Rucke ein und, indem
» Lebaud in seiner Todesangst das er
flegte Wild krampfbaft fest umklam
srnerte, vollendeten die zwei als un
sfiirmige Kugel die unbequeme Thal
! fahrt.
j Bartl stand schon in der Lichtung
» Als er das seltsame Paar unter sich
;erblickte, durchfuhr ihn ein fürchter
1 licher Schreck.
l »Herrgott, am Ende . . .!"
Rasch ergriff er den danebenliegens
den Bergstocl, setzte ihn kräftig ein
und blitzschnell fuhr er den Hang hin
ab, daß der grobe Sand hinter ihm
niederhagelte·
» Als Bartl unten anlangte, hatte
sich der Franzose eben aufgerafft und
betrachtete wehmüthig seine blutenden
Knie und Hände.
Die Angst Bartlg verwandelte sich
wieder in den ursprünglichen Groll,
del sich in einer iernigen Strafpredigt
Lust machte.
»So ein’tn Menschen follt’ man «5
Fliegenfangen sogar verbieten!" wet
terte er, als er sich nachher wieder
mühsam iiber das lockere Geröll em
x«orarbeitete, um den zweiten Schuh
und die Büchse des Franzosen nebst
dem Zurückgelassenen herabzuholen.
Bartl wurde erst später wieder et:
was besser gelaunt, als ihm der zer
schunden Schütze in nicht mißzudeu
tender Weise den Vorschlag machte,
ihm gegen entsprechende Belohnung
den Jagdruhm und die Trophäen
die Kricleln und vor allem andern
den wirklich großartigen Gerne-hart
zu überlassen.
»Aber Schweigen -— s’il voug
viait!« meinte er, den Finger an den
Mund legend, während der Jäger
den Bock tunstgerecht ausweidete.
»Freili’ want- bliid«, bestätigte
Bartl mißverstehend halb bruninrig,
halb versöhnt und steckte den ihm dar
gebotenen Oundertkronenschein ein.
Dann wanderten sie heim, Bartl
voran, den erbeuteten »Bartaamg"
am Rücken. Er hat auch wirklich so
lange nichts verrathen, bis die hun
dert Kronen gänzlich vertrunlen wa
ren. Länger fühlte er sich nicht mos
ralisch verpflichtete, zu schweigen.
Uebrigens hat er damit Lebaud,
der dazu schon lange wieder über alle
Berge war, keinen Schaden gethan- —
denn dem hat es von allem Anfange
an niemand geglaubt.
Vom Vogelflug.
Die Höhe des Vogelflugg in der
Luft ift eine Frage, die noch immer
nicht vollständig erledigt erscheint.
Der berühmte Vogeltundige Götte,
der auf Helgoland beobachtete, ift der
Ansicht. daß der Wanderflug vieler
Vögel in höhen don 3000 bis 5000
Meter ftattfindet. Dem gegenüber
macht d. Lucanuo darauf aufnierts
feuri, daß nach den Erfahrungen der
Luftfehiffer, die eigens auf das Pro,
blern hingewiesen worden sind, nur
fetten Vögel in Höhen von iiber -4««
Meter angetroffen werden. Die arößte
Höhe erreichte ein Adler mit Its-un
Meter,eine Lerche mit 19(..)()91teter,
Kriihen wurden bis zu 1400 Meter
Seehöhe angetroffen. d. Lucanuo
weint, daß in einer Höhe von mehre
ren tausend Metern die Luft bereite
fo diinn ift, daf; der Flügelfchlag des
Vogels taum genügenden Widerstand
finden würde, in noch größeren hö
hen würde ihnen auch die niedriae
Temperatur-, die dort ununterbrochen
herrfeht, verderblich werden. Dein ge
genüber ift aber zu bemerken, daß
nach den Beobachtungen von A. v
Humboldt der Kondor bis zu Höhen
von 7000 Meter entdorfteigL Am
Eotopari fah der berühmte Reisende
4500 Meter über der Mitknecht-er
fliåche dieer Vogel fo heim iilier fich,
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