Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, May 12, 1905, Sweiter Theil., Image 10

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    Das Ritthscl vou Ecvekshiih. I
Roman von Fleinhokd Ortmamx
—----------QQQ-C-----QQ-Qs
(14. FortsehungJ
Diesmat war nicht ein einziger der
fremden Besucher über Nacht auf El
dech geblieben, und fast unmittel
bcr nach der Todtenfeier war es dort
ll und einsam geworden. Editha
tte mtt Umsicht und Energie für
Ihren tranken Bruder die Leitung des
umfangreichen Betriebes übernommen
und die Besprechungen mit dem Ober
inspettor wie die weiten Ritte über
die Felder nahmen ihre Thätigteit
während der meisten Tages-stunden
vollan in Anspruch. Die bangen Be
fürchtungen aber, mit denen der Be
ginn der neuen Herrschaft viele im
Linderode’schen Dienst beschäftigte
Personen erfüllt hatte, vertvirtlichten
sich nicht. Wohl war die Baronesse
Editha eine strenge Gebieterin, die
rücksichtslos Von jedem Einzelnen den
Einsatz aller Kräfte forderte; das Ver
langen jedoch, sich für früher erlittene
Kränkungen zu rächen, schien vollstän
dig aus ihrer Seele gewichen. Sie ließ
niemanden mehr entgelten, was er
früher gegen sie gefehlt, und in ihrem
Verkehr mit den Untergebenen war
eine gewisse ruhige, unnahbare Bor
nehmheit an die Stelle deH früheren
iaunenhaften und herrischen Hoch
muthes getreten. —
Die Untersuchung des an Erwin v.
Linderode be angenen Verbrechens
nahm unter-dessem ihren Fortgang, so
weit eben unter den eigenthümlichen
Umständen, die diesen Fall begleiteten,
um einem Fortschreiten die Rede sein
konnte. Daß der Förster Rudolf
Fabian der Mörder seines unglückli-,
then Dienstherrn gewesen sei, unterlag
sitt niemanden mehr , dem geringsten
Frisch und der Landgerichtsrath
artius hätte seine Aufgabe sicherlich
als vollkommen erfüllt angesehen,
wenn es nur auch schon gelungen
wäre, des in so hohem Grade Ber
tiichtigem ja, beinahe Ueberfiihrten
habhaft zu werden
Hier aber standen die Behörden al
Iem Anschein nach an der Grenze ihres
Vermögens. Weder der hinter dem
Förfter erlassene Steckbrief, noch die
rnit unermüdlichem Eifer betriebenen
polizeilichen Nachforschung-en hatten
auf die Spur des Gesuchten geführt«
und nachdem auch noch alle fiir die
Annahme eines Selbftmordes in Be
tracht kommenden Seen, Teiche und
Wasserläufe vergeblich abgesucht wor
den waren, neigten die mit derAhn
dung des Verbrechens zunächst beauf
kta n obrigteiilichen Personen über
ein immend der Ansicht zu, daß es
dem Förster mit fremder Hilfe gelun
gen fein müsse, sich unkenntlich zu
machen und seinen kurzen Vorsprung «
in erfolgreicher Flucht auszunutzen.
Wie ründlich die klugen Herren
mit dieser Bermuthung im Jrrthum
etoesen waren, brachte am dreizehn
Tage nach der Bestattung des Er
mordeten ein Zufall an den Tag.
In dem entlegensten Theil des
Forsies von Elvershöh, da, wo er nur
noch durch einen alten, seit der Erbau
ungmder neuen Landstraße vollständig
In ußten Hohlweg von den weit
ausgedehnten königlichen Waldungen
geschieden war, befanden sich mehrere
«Steinbrüche, deren Betrieb Werner v.
Linderode des geringen Ertrages we
gen schon vor mehr als dreißig Jah
ren hatte einstellen lassen. hreUeber
tesie bildeten hohe, vom ldrande
nach dem Hohlwege zu beinahe sent
vetcä abfallende Felswande an deren
u e auf den vorgelagerten Schutt
lden sich im Laufe der Jahre allerlei
eippig wucherndes Strauchwert ange
siedelt hatte. An jenem Tage nun
fchah es, daß die Wittwe Hanle aus
·chfelde, eine gebrechliche Almosen
empfängerm die sich durch das Sam
meln von Kräutern für den Apotheter
in der Stadt einen dürftigen Verdienst
seligen Berufswanderung auch in den
hol verwachsenen, oft monatelang
von keinem Menschenfuße betretenen
Lohlweg lam. Während sie unter
sirüpp und Unkraut nach Pflanzen
gugskähth die für-ihre thecte brauch
dar seien, suylte ne ncy immer meyr
von einem widerwärtigen Verwe
Hgsgeruch belästigt, der nach ihrer
mung nur von einem gesallenen
Wild herrühren könne. Die ossnung,
das-es vielleicht ein Kapital irsch sei,
für dessen Geweih man ihr in derFör
sierei oder im Herrenhause von El
vetöhöh ein gutes Trinkgeld zahlen
würde, veranlaßte sie, der Ursache des
Geruchs weiter nachzuspüren, und so
arbeitete sie sich durch das dichte-Busch
werl nach und nach bis hart an den
szuß der schroffen Feldwand heran.
Und plötzlich, nachdem sie eben wie
der die Zweige eines mächtigen Gin
sterstrauches auseinandergebon hatte,
taumelte die Frau mit einem Zlnufschrei
des Entsetzen-H zurück, denn statt des
Hirsches, aus den sie gefaßt gewesen
Mr, hatte sie einen Menschen vor sich
gesehen, einen aus dem Boden sitzen
den mit dem Rücken an einen abge
kennten Steinblock elehnten Men
. n dessen Kopf tie? aus die Brust
end-gesunken war und von dessen
ehi sie darum nichts weiter hatte
"Wedmen tönnen als den langen
"-- rzen Bart, der die grünen Aus
deB Jäs ettoetes bedeckte.
t sei rniI r gnädig —- det ör
sesscsinnst steten-nein die zum ode
i
l
:Erschroclene, denn sie war gleich allen
Bewohnern von Eichfelde über die Er
eignisse auf Elvershöh hinlänglich
unterrichtet, um zu wissen, wie lange
und wie eifrig man überall nach dem
verschwundenen Miitder gesucht hatte.
Nur siir einen Moment hatte sie den
entsetzlichen Anblick Ihabh dann war
sie entsetzt geflohen. ber sie war ihrer
Sache trotzdem gewi , und wenn auch
ihr Herz zum Zer pringen klopfte,
wenn auch die zitternden Kniee sie
kaum noch tragen wollten, machte sie
sish doch mit einer Geschwindigkeit,
wie ihre alten, steifen Glieder sie wohl
seit vielen Jahren nicht mehr ent
wickelt haben mochten, auf den Weg
nach dem Schlosse.
Zufällig stieß sie im Park aus den
Oberinspektor, der vom Wirthschafts
hose herübertam, weil ihn Editha zu
einer Besprechung hatte bitten lassen.
»Na, Mutter Hanle, was sucht Jhr
denn hier-Z« fragte er freundlich.
»Liegt Euch irgend etwas auf dem
Herzen?«
Die Greisin war durch den raschen
Lauf so ganz außer Athem gekommen,
daß sie ihn nur durch Zeichen und
durch unzusammenhijngende Laute be
deuten kannte, zu verweilen und ihr
einen Augenblick Ruhe zu vergönnen.
Als er kopfschüttelnd erwiderte, dazu
habe er jetzt keine Zeit, erfaßte sie ihn
zu seiner Verwunderung am Rock
ijrmel und hielt ihn gewaltsam zurück.
»Ich tann nicht weiter, Herr Jn
spettor,« stieß sie imt äußerster An
strengung hervor. »Sie müssen mich
anhören —ich ——ich habe ihn ja ge
funden.«
m aoer oegrm noch immer man.
»Was heißt das, Mutter Hankei Wen
habt ihr gefundentM
»Nun, den Mörder ——den Förster
Fabiam Er sitzt unten im Steinbruch
aus der Erde und ist todt.«
»Ist das wahr? Jhr selber habt
ihn gesehen? Und ihr könnt euch nicht
etwa geirrt haben?«
»Meine Beine tangen nicht mehr
viel, Herr Oberinspektor, und mit dem
Gehör ist es auch nicht besonders, aber
meine Augen-aus die kann ich mich
noch verlassen.«
Und sie erzählte ibm jetzt, wo sie
allmählich wieder zuAthem tam, die
Geschichte ihrer grausigen Entdeckung
Daran wenigstens, daß sie an jener
Stelle wirklich einen Todten erblickt
hatte, konnte der Jnspektor nicht mehr
zweifeln, und wenn dies der Fall war,
so sprach alleWahrscheinlichteit dafür,
daß auch ihre Vermuthung hinsichtlich
der Persönlichkeit dieses Todten sie
nicht betrog.
»Komm mit, Mutter Haner sagte
er. »Ich will Euch eine Flasche Bier
und einen meiß geben lassen, damit
Ihr Euch ausruhen und stärken könnt,
tig ich die Leute zusammen habe, die
wir zum Abholen der Leiche brauchen.
Aber Jhr müßt mir versprechen, bis
dahin keinem Menschen weiter von
Eurem Fund zu erzählen. Denn es ist
nothwendig, daß oorläu ig alles un
niitze Aussehen vermied wird, und
ich möchte nicht gern mit einem Ge
folge von so tlnd so viel Dutzend Neu
gierigen ausziehen. Dachher habt Jhr
dann ja auch immer it und Gelegen
heit genug, Eure schichte zu er
zählen«
Eine solche Weisung war keines
iwegå ganz nach dem Geschmack der
»Alten, die am liebsten drüben in Eich
sselde von Haus zu Haus gelausen
twäre, damit ihr kein anderer mit der
sgroßen Neuigkeit zuvorkomme. Aber
; er erste Beamte von Elvershöh war
jsiir sie eine Person, der man sich nicht
stoidersesen durste und so humpelte sie
horsam hinter ihm drein, nachdem
s :eseierlich versprochen hatte, vorläu
»sig gegen jedermann zu schweigen.
s Aus verschiedenen Wegen. um teine
Aufmerksamkeit zu erregen. begaben
sich eine halbe Stunde später die von
dem Oberinspektor entbotenen Män
ner nach der Försterei. die er ihnen als
Sammelplah bezeichnet hatte. Es wa
ren ein paar zuverlässige Leute aus
idem Beamtenpersonal des Gutes, der
i Arntsvorsteher vonEichselde als obrigs
Iteitliche Persönlichteit. der Gent-arm
i dessen man durch ein günstiges Unge
tsiihr habhaft geworden war, nnd der
tDorsbader. der einstweilen die Stelle
? des über Land gefahrenen Arztes ver
streten mußte. Jn der Fötsterei. wo
Inian sich mit einer Tragbahre und
jniebreren Decken versah, gesellten sich
ldann noch die beiden Forstgebilsen
’ nebst ihren Hunden zu ihnen, und der
stleine Trupp, in welchem natürlich
auch die alte Hante nicht fehlte, setzte
sich unter erwartungsvollem Schwei
gen nach dem hohlwege zu in Marsch.
Als der Zug dann an einer sanst ab
fallenden Stelle des Hanges in den
Hohlweg hinabgestiegen war, wurden
die hunde von der Leine gelöst, und
nun hätte es der weiteren Führung
durch die Wittwe Hante nicht mehr
bedurft, denn die Thierearbeiteten sich
ungestünc durch dasGestrüpp und wie
sen den Nachfolgenden den Weg nach
dem Steinbruch, wo sie kläglich beu
lend Posto saßten.
Schwei end näherten sich die Män
ner dem odten.
»Da liegt seine Flinte,« sagte end
lich einer halblaut, nach einer Stelle
«—-—.—.I—I
this-deutend die etwa um fünf Schritt
lvon der Leiche entfernt war.
» »Und da oben an dem Felszacken
»sc,sngt fein Hut,«· fü te ein anderer
ihin u. »Es ist tein ioeifel, daß er
!in nSieinbruch hinuntergefiiirztifi.
fDa konnten die Herren vorn Gericht
)freilich viele Steckbriefe hinter ihm
joreinschickem ohne ihn zu fangen.«
i Der Gent-arm und der Bader wa
: ren die ersten, die sich zu einer genaue
Itren Besichtigung der Leiche anschick
; en.
« »Er muß sich in den Hals geschossen
baben,« sagte letzterer. »Da ist ein
ztiefes Loch, das nicht von dem Sturz
lherrühren tann, und die linke Kinn
ilade ist ja auch ganz-»zerfchmettert.«
»Wir wollen ihn auf die Bahre
legen,« befahl der Oberinspettor. »Es
ist nicht unsere Sache. festzustellen,
auf welche Weise er sich vom Leben
zum Tode gebracht hat. Das mögen
nachher die Herren Aerzte besorgen.«
JUls der Körper des Todten aufge
not-m wuroe, erspaer oag scharfe
Auge des Gendarmen auf dem Boden
en kleines Buch« das bis dahin ver
dickt gewesen war. Es erwies sich bei
nöherer Betrachtung als ein mit wei
ssen Notizblattern durchschossenes
Taschenduch fiir Forstbeamtr. Einige
Seiten waren ganz mit dicht zusam
mengedrängien Bleistiftzeilen bedeckt,
aber die Schriftziige waren undeutlich
und so schwer zu entziffern, daß der
Gendarm den Versuch, sie zu lesen,
sehr bald aufgab und das Buch mit
dem daran befestigten Gummiring
verschloß, um es sorgfältig in der
Brusttasche seines Uniformrocles zu
verwahren.
Man hatte den Todten inzwischen
ist die mitgebrachten Decken gehüllt.
und die Heimlehr gestaltete sich noch
schweigsamer als der Hermatsch- was
b:i der Beschaffenheit des Jundes, den
man da gemacht hatte, erklärlich ug
war. Ein jeder wünschte im steiflllen
sehnlichst das Ende des langen Weges
herbei, und es war leiner, der nicht
erleichtert aufgeathmet hätte, als man
endlich die hellen Mauern derFörsterei
wieder zwischen den Stämrnen hin
durchschimfmern sah. Hier sollten die
Ueberreste des unglücklichen Mannes
nach der Weisung des Oberinspettors
einstweilen untergebracht werden, bis
die Behörden anderweitige Verfügun
szgen getroffen haben würden, und es»
war denn auch in der Zwischenzeit be
reits ein Raum für ihre vorläufige
» Aufnahme hergerichtet worden.
Schweigend setzten die Träger die
Bahre in der kleinen Kammer nieder,
um sich dann eiligst zurückzu iehen.
Der Gendarm war pflichtgem ß der
letzte, der den Raum verließ. Er ver
schloß sorgfältig hinter sich die ThürJ
and steckte den Schlüssel in die Tasche. ;
Durch seine Fahrläisigleit sollte leine -
Verdunkelung des Thatbestandes her
beigeführt werden und dann handelte
es sich ja doch auch um die Leiche
eines steckbrieflich verfolgten Verbre
chers, die man nach seiner polizeili
chen Denkungsweise nothwendig hin
ter Schloß und Riegel halten mußte.
So war denn zur Beruhigung aller s
Gemüther der lange gesuchte Mörder
des Barons v. Linderode endlich ge
funden.
Achtzehntes Kapitel.
Sicherlich war es einer der glück
lichsten Momente in Frau Aftrid l- -
lagers Leben, als ihr Sohn, nach m
er mit großem, verwundertem Blick
feine Umgebung gemuftert hatte, in
dem alten liebevollen Ton, den sie so
gut kannte, zu fragen anhab: »Sage
mir, Mutter, was dies alles bedeu
tet! Jch bin nicht daheim in Notwe
gtn und doch seid ihr bei mir ---- Du
und Thyra. Jch meinte immer, es sei
ein Traum —— und er war fo schön,
daß ich nicht sprechen wollte, aus
Furcht, zu früh zu erwachen· Aber
nun währt er schon so lange —sage
iuir doch, Mutter, was das alles be
deutet.«
» Die Matrone vergon keine Thriinen
freudigerRiihrung. wie es wahrschein
lich unter hundert anderen Müttern
neunundneunzig gethan haben wüt
ten, sondern sie neigte sich mit sanftem
Lächeln über den Sprechenden und
strich ihm das blonde lockige haar aus
der noch immer heißen Stirn.
»Es bedeutet, daß Du sehr krank
warst, mein Junge, und daß wir ge
kommen find, Dich zu pflegen. Nun
kifi Du auf dem Wege der Genesung,
:·nd bald telfren wir alle miteinander
heim an un eren schönen, ftillen No
ran fjord.«
her die Erklärung reichte offenbar
roch nicht hin, die Lücken in demErin
nerun«svermögen des jungen Mannes
auszufüllen Mit nachdenklichem Ge
sichtsausdruck schwieg er eine kleine
Weile, um dann von neuem zu fragen:
,.Jch entsinne mich wohl, daß ich trank
war, doch es fehlt mir noch fo viel in
meinem Gedächtnisz. Wo bin ich denn
hier ——und wie bin ich an diesen frem
den Ort gekommen?«
»Er kann Dir nicht fremd sein,
Erit, denn es ist ja das Haus in Eich
felde, darin Du so lange gewohnt
haft.«
Er blickte abermals aufmerksam
umher» »Ach ja —- Hennings ute
Stube,« sagte er leise, und ein Säft
(
ten, der Frau Hallager nicht ek,
verdunkelte seine Züge. »Wie selt am
pas ist!« fügte er nach eint ein u
dern hinzu. »Ich war zule t druben
in Elvershöh, und von da an weiß
ich nichts mehr ——tein nichts. La
mich nachdenken, Mutter, damit es
mit wieder einfallt.«
Er schloß die Augen, und schon- nach
Berlan einer Min war et ent
kununekt Ihm-, ie unten in der
Rote beschäftigt gewesen war, kam
ern Schlafe lag, und sie eruhr
nun ans dem Munde ihrer Pf ge
mutter, was sich inzwischen ereignet
hatte. Auch ihr strahlte die reude
iåder den ersten untriiglikseen eweis
der wiederkehrenden er tgen Reg
samkeit des Kranken he aus den Au
gen. Viel schneller, als man es zu
l,osfen gewagt hatte, war Doktor
Harmsens Prophezei ung zur Wirk
lichkeit geworden. ines nur schien
sie J beunruhigen.
u hast ihm doch nichts von den
Besuchen der fremden Dame gesagt,
Mutter?«
»Nein, denn die it dazu war noch
nicht gekommen Ae er wenn ich sie für
gekommen halte, werde ich es sicherlich
thun. Jch lasse mir von keiner Frem
den Heimlichkeiten ausnöthigen gegen
meinen Sohn.«
Als der Kranke mehrere Stunden
iiväter erwachte, war es nicht mehr
eIrau Hallager, sondern Thnra, die an
iicimm Bette saß. Sie las in einem
Buche, das ihr Doktor Harmsen mit
gebracht, und Erit, der sich nicht ge
rührt hatte, konnte sie ein paar Minu
ten lang beobachten, ohne daß sie es
bemerkte. Das Licht der Lampe,ge
gen das Lager des Kranken hin durch
einen undurchsichtigen Schleier ge
dampst, fiel hell auf ihr Gesicht, und
Erik hatte vielleicht nie vorher mit
gleichem Entzücken wahrgenommen,
wie schön dies rosige Antlitz mit sei
nem unschuldigen Rinderausdruclsei.
lellzn verriiiherisch wohl mochten sich
Bewunderung nnd Zärtlichkeit in sei
nen Zügen spiegeln, denn als Thyra
1e"t von ihrer Lektijre aufblickte und
seinen still auf sie gerichteten Augen
begegnete, strömie ihr das Blut heiß
in die Wangen
»Thyra!" sagte Erik leise. »Liebe
—- liebe Thyra!'«
Gewiß hatte er sie schon oftmals so
genannt, und er hatte ihr auch wohl
noch zärtlichere Namen gegeben, wie
sie gebräuchlich sind unter liebevollen
Geschwistern, aber-ob es nun in der
eigenartigen Betonung lag oder auch
nur in der besonderen Situation —
so wie in diesem Augenblick waren ihr
die beiden Worte noch niemals ins
Herz gedrungen, ein so wundersam!
sußes, wonniges Glückggefiihl hatten
sie noch niemals in ihrer ceele wach- »
gerufen
erTinWWs Zimmer, als er bereits in
fe
»Lieber Erit!'· wollte sie sagen-—
doch seltsam! Die Anrede, die sie un- ’
zähligemal gebraucht hatte, die ihr seit .
vielen Jahren geläufig gewesen war»
wie der alltägllche Gruß, denBetannte
untereinander tauschen -—— sie wollte
ihr jetzt nicht iiber die Lippen, gerade
jetzt. wo doch ihre Brust bis zum
Zerspringen ersijllt war von Zärtlich
teit und schivefterlicher Liebe. Stumm
trat sie zu ibm heran, sind stumm
neigte sie sich über ihn herab: leicht wie
eiiihaiich berührten ihre Lippen seine
Stirn.
»Meine liebe Thora!« wiederholte
der Kranke mit einem glücklichen Lä
cheln. Dann schloß er die Augen, und
es wurde nichts weiter zwischen ihnen
gesprochen.
Am nächsten Morgen aber stellte
Dottor Harmsen triumphirend einen
gewaltigen Fortschritt in dem Besin
den des Kranten fest. und zum ersten
mal sprach er es mit voller Zuversicht
aus, daß man jetzt allen bangen Be
fürchtungen den Abschied eben dürfe
»Es it eine meiner aserschönsten
Kuren,« sagte er scherzend »Schade
nur, dasz ich mir vor meinem eigenen
Gewissen einen gar so geringen An
theil beimessen darf an ihrem Ge
lingen.«
Zuweilen tamen allerdings Viertel
stunden, wo Crit mit offenen Augen
schweigend dalag, unverkennbar be
müht, sich auf etwas zu besinnen, das
wie durch ein Wunder aus seinem Ge
dächtniß entschwunden war, und das
ihm doch wichtig genug schien, um
seine Gedanten immer aufs Neue u
beschäftigen. Dann verdüsterten sich
wohl seineZiige, und die zuversicht
liche Stimmung des Genesenden
konnte vorüber eheiid einer für i n
selbst wie fiir eine Umgebung pein i- ’
then Unruhe weichen. Frau hallager
sob, daß ihn irgend etwas Unaus
Tgisproeheiies quäle, aber sie hatte nie
;mals—auch nicht von ihrem eigenen
I Sohne — ein Vertrauen erbettelt, das
ihr nicht freiwillig entgegengebracht
wurde und sie wartete darum gedul
dig des Au enblieli,- wo er ihr aus
eigenem An rieb offenbaren würde,
was ihn bedrückte.
Sie saß mit Thyra an seinemBette,
als es endlich einmal Nachmittags -
fchah. Wieder hatte Erit, aus rii i
gem Schlummer erwacht, lange Zeit
stumm und mit gesurchter Stirn zu
der weißgetiinchten Decke emporge
starrt, ohne ein Wort zu sprechen- Da
drehte er plötzlich den beiden Frauen
sein Gesicht zu und sagte: »Nein, ich
werde mich niemals darauf besinnen;
es ist wie weggebannt. Jhr aber lönnt
es mir sa n, und ityr dürst’s mir
nicht vers weigen, auch wenn ich da
kei etwas Beschämendes hören muß.
Was ist an dem Abend, da ich hier
antam, mit mir geschehen? Meine
Erinnerungen reichen nur bis zu
einem gewissen Augenblick, darüber
inaut aber ist alles dunkel und leer.
. ch bitte Euch von Herzen: helst mir
ans dieser Ungewißheit heraus.«
»An wir können Dir nur wieder
holen, rit, was man uns hier erzählt
hat, denn wir sandenDich bei unserem
Eintresfen als einen bewuß losen
Kranken in diesem anle. Aber ist es
denn wirklich so not wendig, daß Du.
Die gerade se t, wo Du Deine Nerven
chnnen sollte , den Kopf iiber diese
in zetniarterst?«
« a, liebe Mutter, es quält mich
W
so sehe Ss e mi- qiso auftut-um wa
hat man uch erzählt?«
Er lauschte mit ge paunter Aus
niertsamteit, während grau Hallager
getreulich wiedergab, was sie sich in
der Sorge ihres Mutterherzens von
dem Ehepaar genuing mehr als ein
mal hatte deri ten lassen. Jhre sonst
so ruhige, llangvolle Stimme wurde
unsicher, als sie davon sprach, wie
man ihn in der Morgensrtlhe aus den
Stufen vor der hausthiir gesunden,
nachdem-· man am Abend vergebens
saus seine Heimtehr gewartet hatte,
und auch die tavsere Thhra mußte sich
abwenden, um die schmerzliche Bewe
sgung nicht zu verrathen, die sich bei
jdem Gedanken an jenes Furchtbare
;aus ihrem Antlitz spiegelte.
; Crit aber schüttelte, als seine Mut
ter geendet, unbefriedigt den Kopf.
»Und das ist alles?« fragte er. »Ihr
wißt mir nicht zu sagen, was bis zu
gern-er Morgenstunde mit mir geschehen
l .«« «
»Nein, mein Sohn! Doch vielleicht
wissen es diejenigen, bei denen Du den
Attind zugebracht hast. Wenn Du mir
ihren Namen nennst, und wenn es Dir
wirklich so wichtig ist, es zu erfahren,
lann ich sie ja darum bestagen.«
Doch er machte eine hastige abweh
rszitde Bewegung »Das ist unmög
lich. Mit diesen Leuten hast Du nichts
zu schaffen, und Du darfst nicht mit
ihnen reden, Mutter —— niemals! Sie
sind es nicht werth. Jch werde also
ireiter nachdenken·miissen, um viel
leicht doch noch daraus zu kommen.
Einmal beim Erwachen war mirs
als ob ich es wüßte. Aber es war wohl
nur ein Traum, der mir diese Tän
schisng vorgespiegelt hat, und ein
böser Traum überdies; denn es lag
mir aus der Seele wie die dunlle Er
innerung an etwas Fürchterliches.
Sage mir doch, Mutter: ist in jener
Nacht drüben aus Elvershöh etwas
Schlimmes geschehen —- irgend ein
Unglücks«
Frau Hallager wollte der Wahrheit
gemäß antworten, daß ihr nichts da
von bekannt sei, aber in diesem Au
genblick steckte Frau Henning vorsich
tig den Kopf zurThiir herein und mel
dete halblaut: »Das Fräulein v. Lin
derode ist wieder da und möchte ein
paar Worte init Fräulein Jensen
sprechen.«
Thhra hatte sich schnell erhoben.
roch Erit war is demselben Moment
empor gefahren und hatte mit festem
Druck ihr Handgelent ergriffen. Seine
Augen blitzten, und sein blasses Ge
sicht hatte sich geröthet.
»Nein,'« rief er, und ejs war eine
uberraschende Kraft in dem befehlen
den Klang seiner Stimme, »ich ver
biete es Tir, zu gehen! Wie kann sie
es wagen, hierher zu kommen? Und
was hat sie mitDir zu reden? Man
soll sie sortschicten --— sogleich! Jch
tann es nicht ertragen, sie in Eurer
Nähe zu wissen.«
In äußerster Bestitrzung fah Thhra
zu ihrer Pslegemutter hinüber-Frau
Hallager aber legte besänftigend ihre
band auf Eritg loaigeiz Haar nnd
sagte: »Sei ruhig, mein Sohn! Es
wird alles so geschehen, wie Du es ver
langst. Aber dieses Fräulein v. Lin
derode ist heute nicht zum ersten Mal
hier. Sie giebt vor, Dir befreundet
zu sein, un tam sehr häufig, nach
Deinem Befinden zu sragen.«
Die bittenden und vorwurfsvollen
Blicke des jungen Mädchens hatten sie
nicht abhalten können, auszus re n,
was sie nach ihrer strengen uf as
sung von der Pflicht der Wahrhaftig
teit nirg: berheimlichen zu dürfen
glaubte. uch fie aber mochte jetzt ein
wenig bestürzt sein über die Wirtung
ihrer Worte; denn Erit, der Thyras
Arm freigegeben hatte, grifs mit fei
nen beiden änden an die Stirn und
starrte vor ich hin wie jemand, der an
seinem eigenen Betstunde irre zu wer
den anfiin t.
»Was tpt dass« murmelte er. »Sie
kommt, nach mir zu fragen? Ja, war
denn alles, alles nur ein Traum?«
Eine drückende Stille lag wohl eine
Minute lang über den Dreien. Thu
ras weiche Stimme war es, die sie zu
erst unterbrach. «
»Die Mutter hat wohl nicht gut
gethan, Erit, es Dir schon jept mitzu
theilem Jch hatte dem Fräulein v.
Linderode versprochen, Dir vorläufig
nichts von ihren Besuchen zu sagen.
Es scheint, daß sie guten Grund hatte,
mich darum zu bitten. Wir sehen ja
;nun, wie sehr es Dich erregt.«·
F - Er s iittelte den Kopf und machte
sihr ein eichen, sich wieder neben ihn
szu sehen. »Ich will mich nicht auf
regen, Thurm ich verspreche es Dir.
iNur dürft ihr mich nicht mit halben
Worten abferti n wollen. Das allein
ist es» was i nicht ertragen kann.
Wxnnne schon ofters hier gewesen ist,
diese Dame, von der wir da reden,
und wenn sie Deine Verschiviegenheit
gefordert hat, o inuß sie Dir noth
windig auch iraend welche Mittw
lune en gemacht Haben. Und nun, da
as eine weiß, habe ich ein Recht,
auch das andere zu erfahren. Dii
würdest nicht ichwesterlich an mir han
deln, wenn Du es mir verhehlteft.«
Eine so hochg radige Unruhe malte
siqch in seinen Fugen, daß Thnra nicht
ngedariiber niZweifel sein tannte,
welche Pflicht hier die heiligere siir sie
sei. Sie tonnte Die halb erzwungene
Zusage nicht länger halten, die sie
ener remden gerieben, und sie ver
ichniahe es, irgend eine Lüge zu er
siinen, uin damit zugleich die Unin
diild des Kranken und ihr ei ienesz
wissen ge beschwichti en. ahrheitp?
mäk richtetef iei in über den
alt edes Gespräfches das sie mitLdi:
ttJa Ass- führt
ra innehielt, weil sie nichts
inilzr zu agen wußte fragte er init
t eilu en nur noch geste gert schien:
Dies oilte alles ewesen sein —
wirllich alles? Sie ollte Dir lein
Andeutungen gemacht haben? D,
wem soll ich noch lauben, Thhra,
wenn nicht einmal rnir die volle
Magerkeit sagst?«
» sprach die Wahrheit, Erit, sie
fragte mich sonst nichts außer —« Sie
lockte, und i r Errothen verrieth sei
nem mißtrauischen Blick, daß sie den
noch etwas verborgen hatte.
»Nun, warum zögerst Du?« drängte
er. »War es denn so sürchterlich,daß
Du es nicht einmal aussprechen
magst?«
»Nein, ich glaube nicht, daß es et
was Schlimmes war. Sie erkundigte
s: nach einem Briefe, den sie an Dich
ge chriebern als sie Dich in München
glaubte. und sie bat mich, unter Dei- .
nen Sachen nach diesem Briese zu
suchen, weil sie ihn zuriickzuerhalten
wünschte. Als ich ihr erwiderte, daß
ich etwas derartiges niemals thun
; würde, lächelte sie und meinte, es habe
jauch weiter keine große Bedeutung.«
J »Ich höre von diesem onderbaren
iAusinnen «etzt zum ersten Man
mischte sich z rau Hallaner ein. »Sollte
jener Brief etwa der nämliche sein, der
am zweiten Tage nach unserem Ein
tteifen von dein Postboten hier für
iDich abgegeben wurde? Er war von
« einer Damenhand nnd trug neben vie
Jlsn anderen Verwertung-en auch den
; Poststempel München.«
emek nugevunz vie var ihre Mit
; zieme ver vecoen Frauen ve rin,
warum es in diesem Moment sosfreus
iid g und hoffnungsvoll über das ängst
lich qespannte Antlitz Erit Oallagers
’ hinleuchtete
» »Den Brief—hole mir den Brief,
Mutter!« bater dringend. »Ah wenn
er mir doch Erlösung brächte aus die
sern Wirrfal der Ungewißheit und des
Zweifels!«
i Frau Hallager begab sich in da
Ne enzimrner, eine kleine, enge Kam
nier, die ihr und Thhra als Schlaf
igemach diente, und lehrte unmittelbar
taran mit dem zierlichen schwarz
geränderten Billet zurück, deffen noch
s uneröffneten Umschlag eine Freiherrn
trone schmückte.
(Fortsetzung folgt.)
Strolchenhöhlen im Indianees
gebiet.
Von manchen BanditewSchkupfs
winleln in abgelegenen nordwestlichen
Regionen war schon öfter die Rede;
ein besonderes Interesse in dieser
Hinsicht können aber zahlreiche e
heimnißvolle Berghöhlen im Jnd a
uer-Territorium beanspruchen, welche
ungewöhnliche natürliche Vortheile
für einen derartigen Zweck zu bieten
scheinen und zum Theil nur dem
Strolchenthum bis jetzt bekannt find!
Man wurde darauf zum ersten Mal
tm Jahre 1882 aufmerksam als der
griiirchtete farbige Tesverado Jim
«Fridah, welcher viele Jahre hindurch
Der Schre en des Arbuclle: Gebirges
war, schlie lich eingefangen und ge
hangt wurde. Er hatte u.A. einen
Mann bei Fort Arbuctle ermordet,
dessen Gattin nach einer geheimen
Odhle in der Nachvarichaft geschleppt
und sie gezwungen, längere Seit dort
tu bleiben, bis er sie eines Tages
gleichfalls ermordete. Als er sah, daß
er verloren war, machte er tein ehl
aus dieser und anderen, noch ent eh
licheren Unthaten Dabei zeigte es
sich daß er eine ganze Anzahl wun
dervoller Höhlen tennen mußte, die
fiir ihn und Seinesgleichen als Zu
flucht und als Operatione- Rückhalte
dienten, doch hat man bis zum heuti
aen Tage nur wenig Bestimmte-s über
dieselben erfahren.
Sicher ist es jedoch. daß in diesen
oder anderen, ebenfalls wenig belann
ten Höhlen Banditen oft monatelang
ununterbrochen lebten, und die Poli
zeibeamten nicht im Stande waren,
sie aufzuheben. und dass es an Was
serversorgung in denselben nie gebrach.
Ein Mann, der noch jetzt zu Davis
’lebk, will wissen, dasz es nicht mehr
i ais zehn Meilen von diesem Platz eine
zNeihe höhlen gebe, in welchen geraub
stes Hornvieh massenhaft geschlachtet
iworden sei, und sich Hörner und
Uföpfe desselben noch immer, vollkom
men gut erhalten, finden ließen. Diese
Höhlen sollen Winkel und Gänge ent
halten, in denen sich eine ganze Armee
verbergen tann; aber es soll beinahe
unmöglich sein, den Eingang irgend
einer dieser Höhlen zu entdecken. Die
Geschichte des Banditenwesens in die
sen Regionen und noch andere beson
dere Umstände sprechen dafür, daß ein
g:oßer Wasserstrom durch diese ganze
Höhlenreihe geht; nach der Ansicht von
Viehzuchtern steht der Honey Creet
sowie der Wasserfall, welcher als
,.Klein-Niagara« der Chiaasaw Na
tion weithin bekannt ist, damit in
Verbindung Beiläufig bemerkt, wird
dieser Wasserfall heute jedes Jahr
von Tausenden besucht, und ein alter
Glaube schreibt diesem Wasser eine
große Heilkraft dazu, weshalb Gene
rationen hindurch Jndianer hier Ge
sundung gesucht haben.
Mit dem Rückgang des Banditens
wesens im Jndianer-Territorium
haben diese höhlen in einer Hinsicht
ihre Bedeutung verloren, in anderer
Beziehung aber sind sie um so interes
fanter siir das Publikum geworden,
und es wäre zu wünschen, dafi man
vollkommene Auskunft über sie und
ihre merkwürdigen Eigenschaften er
langte!
Wi
Der UkaQ welcher es den russischen
Soldaten verbietet, aufreizende oder
revolutionäre Aundgebungen zu lesen,
scheint ziemlich überflüssig wenn es
wahr ist, daß von hundert höchstens
einer teseu tann .