Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, May 05, 1905, Sweiter Theil., Image 14

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Herrenloses Gut.
Roman sen warte Bernhard.«
"s-s---7’-s- - — -
(31. Fortsetzung)
»Ich weiß es nicht —- vielleicht ———
mit der Zeit. Du sagst, du kennst sie
hundertmal besser und liebst sie viel
mehr als ichs-möglich. obschon . . .
leichdiell Das eine aber kann ich dir
·9en: in dem Punkt, ich meine, was
dke Tragödie ihrer Herkunst betrifft,
da hätte ich sie wohl auch richtig ver
standen und richtig behandelt! Wen-f
man wochenlang solch ein süßes —
solch ein junges Geschöpf um sich hat,
Ieden Tag, jede Stunde —— da lernt
man mehr davon kennen. als im
Brautstand Jch weiß, welch feines-,
kensches Empfinden sie hat, weiß, wie
es sie schmerzte, sich als »herrenloses
Gut« zu fühlen, wenn ich sie, nach län
geoem Zusammenleben, vielleicht in
das Geheimnis ihrer Herkunft einge
weiht hätte . . . es wäre schonend ge
nug geschehen! Ganz zart, leise würd’
ich sie angefaßt haben, mit vorsichti
ger Hand hätte ich einen Schleier um
den anderm lüften wollen und ihr die
wunderbare Schicksalsfiigung erklären,
die mich an ihr das gut machen las
sen will, was ich, ohne mein Wissen.
an den Ihrigen verschuldet. Es
würde sie immer tief ergriffen und et
schiittert haben, kein Zweifel daran-—
aber es kommt unendlich viel im Le
ben daraus an, wie und durch wen
man eine ausregende Thatjache er
fährt, nicht wahr? Und nun kommt
da irgend eine grausame Bestie einher
und reißt ihr roh und gewaltsam die
Binde von den Augen und zeriritt mit
plumpen Füßen die zarten Keime, die
in jeder jungen Ehe geschont werden
müssen —- die bei uns noch kaum zu
sprossen begonnen hatten! Reißt sie
mir von der Seite, jagt sie hinaus in
die kalte, lieblose Welt —- meine
hanna — jetzt, da sie zehnsach der
innigsten, verständnisvollsten Liebe
bedarf! Den Schust, der mir und ihr
das gethan hat —- den will ich finden
und zur Rechenschaft ziehen . . . und
dann will ich gehen und mein Weib
suchen!«
Piotrowskh hatte sich auf den Ell
bogen aufgerichtet, er sah seinen
Schwiegersohn unverwandt an. Der
Ausdruck in dessen Gesicht, der Ton
seiner Stimme —- alles war ihm neu,
er schien ihm ein ganz anderer zu sein.
Immer noch lag ihm der Klang im
Ohr, mit dem Cotta eben »meine
hanna!" gerusen hatte —- es hatte
eine leidenschaftliche Zärtlichkeit darin
gelegen. Kam es auch hier, wie es- so
oft im Leben tommt...daß jemand
den Schatz, den er besessen, erst dann
erkennt, wenn er ihn verloren hat?
»Hast du Verdacht aus einen be
stimmten Menschen?m fragte Pio
ttowsty endlich halblaut.
Cotta fuhr sich ungeduldig mit der
Hand durch das dichte Haar.
«Nein!« stieß er zornig hervor-. »Ich
weiß wohl von Leuten, die mich be
neiden —- von solchen auch, die mich
persönlich nicht leiden können; ich bin
nicht der Mann dazu, meine Sympa
thien und Antipathien zu verstecken —
das pflegt dann aus Gegenseitigkeit
zu beruhen! Aber einen wirklichen
Feind, der aus gemeiner Rachsncht
oder Grausamkeit mir das anthut —
ein wehrloseg, unschuldiges Weib in
dieser Weise mißhandelt . . . nein, ei
nen solchen weiß ich nicht!«
»Hast du das Cuvert gesunden, das
die Adresse trug? Giebt dir die’
handschrist keinen Anhalt?«
»Nicht den geringsten. Ganz indis
serente Schriftzüge ohne jede Eigen
art —- weder ausgesprochen männliche,
noch weiblichehandx ein großer grauer
Briesumschlag wie deren Tausende
durch die Welt gehen!«
»Aber diese alte Zeituna...laß
einmal selten ————— sie datirt zwanzig
Jahre zurück —-—«
»Eben! Die Zeitung! Habt ihr, du
und deine verstorbene Frau, Euch viel
leicht zur Erinnerung an die unglück
selige Geschichte damals solch einBlatt
aufgehoben, und es hat es Euch je
mand heimlich entwendet?-«
Nachdrücklich schüttelte Piotrowsky
ben Kopf.
»Wenn Zeile Gedrucktes von da
mals her ist in unserem Besitz gewe
sen. Jch war nicht dafür und meine
Dota erst recht nicht. Wir wußten die
traurigen Thatsachen, die sich an jene
Tragödie knüpften, »genau genug...
wozu uns da noch gedruckte Berichte
aufbewahren? Also dein Vater ist der
hilfreiche Freund gewesen, der dies
eine verhängnißvolle Mal seinen Bei
stand oerweigern mußte? Uns waren
die Verhältnisse gänzlich fremd, wir
waren vor kurzem erst nach K. gezo
gen, als das Unglück geschah und hat
ten den Direktor und seine Frau nur
stMC in Gesellschaft getrossen.«
Mc sah finster vor sich hin.
W war abwesend von Hause, als
NO das Schreckliche geschah. Wäre
::«Wen, so hätte hildegakd sich
txt-extent, und ich viirde meinen
Vater bewogen haben, Hilfe zu schaf
fen, obschon dies fast über seine Mittel
hinaus-ging —— er hätte aber bei ande
ren ohne weiteres Kredit gefunden.
Jch ahnte nichts, ich war in Groll und
Bitterkeit von meinem Vater geschie
den —- kein Gedanke daran, daß ich
wagen konnte, ihm mit meinem heim- »
lichen Verlöbniß zu kommen. Er hatte;
rnir große Opfer gebracht — die ban
den ihm eben die Hände, als sein
Freund ihn um Hilfe bat! Es kam
wie es kommen mußte!« ;
Schweigend blickten beide Männer
einander an. Mit einer müden, muth- !
losen Bewegung wandte sichCotta end- «
lich zum Gehen.
»Ich gebe dir Bescheid, wenn ich et
was ausgerichtet habe. Bleibsi du da
heim?«
Mit einer entschlossenen Gebärde !
warf der Aeltere die Schlafdecke zu
rück.
»Denkst du, ich werde unthätig hier
warten, während du auf der Suche
bist? Jch verginge vor Angst und Un
geduld. Watte im Nebenzimrner auf
mich, in zehn Minuten bin ich dat«
Cotta nickte und ging hinaus. Nach
kaum einer Viertelstunde stand Pio
trowskh zum Ausgehen gerüftet neben
ihm.
»Wir geben zunächst in ein Koffer
haus und trinken etwas Warmes . ..
nein, nein, keinen Widerspruch! Das
muß sein! Muth, Willsried, sieh nicht
so finster aus! Unsere Hanna kann
nicht ohne weiteres vom Erdboden
verschwunden sein —- wir müssen und
werden sie finden!'«
Cotta blickte aus umflorten Augen
auf.
»Und wenn wir sie wirklich gefun
den haben — was nicht so leicht sein
wird, wie du zu denken scheinst, da sie
alles dazu thun wird, sich nicht finden
zu lassen —- meinst du denn, sie wird
freiwillig mit mir gehen? Sie hat die
Motive durchschaut, die- mich leiteten,
als ich um sie warb..·nun wird sie·
mir nicht glauben, daß — dafz —« !
»Nun, Cotta?«
»Daß ich sie liebe —- daß ich ohne
sie mir mein Leben nicht mehr denken
kann!" ;
Ze· I
Unter dem hohen Portal des- ersten
der vor «dem Wiedheimer Thor gele
genen Friedhofe saßen zwei Frauen,
eine alte und eine junge, eifrig mitein
ander redend. Sie hielten Blumen
feil, Kränze, Sträuße, zierlicheRosen
und Neltentöpfchenz alles war dazu
da, die Gräber zu schmücken, und die
Frauen, die Winters und Sommers
ihre Waare aushoterh standen sich gut
dabei. Das Publikum taufte viel, es
war fo bequem, sich nicht durch die
ganze Stadt mit den Blumen schlep
pen zu dürfen.
Die alte Festungsstadt K. hat be
Erühmt schöne Friedhofe, voll herrli
cher, stolzer Bäume, voll üppiger Ge
büsche, voll saftigen Grasrouchses.
Still und wohlig mag sichs aus-ruhen
beim Säuseln der Blätter, heim Hau
chen des Windes, heim Zwitschern der
kleinen Vögel, die jahraus jahrein in
den alten, breitästigen Buchen und
Linden ihre Nester bauen. Die Denk
mäler waren meist schlicht und in her
gehrachter Form: flache Grabtafeln,
hohe Kreuze, gebrochene Säulen, ein
fache Kopfsteine.« Der Marmor hielt
sich schlecht in diesem Landstrich, der
so viel Regen und feuchte Luft brachte
und im Winter oft wochenlang fuß
hohen Schnee.
i Jetzt aber war gute Jahreszeit, hel
Iler, warmer Frühsornmer. Die Grä
ber prangten im schönsten Blumen
schmuck, im buschigen Jrnrnergriin
schlugen Hunderte von Blüthen ihre
treublickenden blauen Augen aus« die
Drossel pfiff, die Nachtigall slötete.
Wie ein lichtgrünes Meer trogte im
lauen Winde die Blätterpracht der al
ten Bäurne, die Zierstriiucher trugen
fast alle noch ihren Schmuck. Alle
Wege des Friedhofes waren sauber
gehartt, der Schwengel der Pumpe
kreischte oft in harten Tönen.
Schwarzgelleidete Gestalten gingen
mit gefüllten Gießkannen hin und her
Ioder saßen still auf kleinen Bänken
neben den Gräbern ihrer Lieben.
Spielende Kinder liefen dazwischen
umher und wurden häufig von ihren
Mütter-n und älteren Schwestern ge
rufen: »St! Nicht so laut! Keinen
Lärm machen! Jhr seid hier aus dem
Friedhof!«
Die beiden Frauen draußen unter
dem Portal hatten eben ihren Kassee
getrunken, den ihnen ein kleines Mäd
chen in einem Henkeltorbe herausge
bracht
»Dreheirathet- sagen SM« meinte
die ältere, indem sie den Mund mit
dem hat-drücken abwischtr. s
»Na, ich glaub’ ei nich! Das is
doeh n Mädcheni«
Junge Fran!« betonte die andere
mit Nacht-euch
«Kiinnen sich drauf verlassen! Da
ienn’ ich mich mit einem Blick aus,
hab’ mich noch niemals nich geirrt.
Thut mir bloß leid, daß wir nich wet
ten können. weil wir keinen Menschen
haben, der uns sagt, wie es is.«
»J, wer wird um so was wetten!
Jch wunder’ mich bloß, daß sie noch
nich hier is. Um diese Stund’ lam sie
fast all die Tage und lauste uns was
ab — und schön Wetter haben wir
doch! Expreß bab’ ich diese seine Relt’
siir sie herausgebracht, weil sie immer
was Gutes haben muß...ob ich ihr
sonst noch werd’ loswerden, der Nelt’,
das weiß ich nu auch nich!«
»Sind Sie man ruhig, Pluschtatin,
mit Jdre theure Nelt’! Da tommt sie
all den Gang ’raufgegangen, ich seh’
ihr deutlich —- und es is ’ne junge
Frau, sag’ ich!«
»Na, für mich is sie ’n Mädchen!
Js ja schließlich ganz egaL wenn sie
man bezahlt. Die Wagnern, unsere
Kirchhofsfrau, die sagt ja, sie geht
immer bei die Gräber, wo sich die Fa
milie hier vor etliche lange Jahr’ alle
zusammen das Leben nahm —- sechs
Stück —- da braucht einer auch viele
Blumen.«
Indessen war eine schliante junge
Dame in seiner Trauertoilette lang
sam an die beiden Frauen herange
lommen Die alte Diele, die zuletzt
gesprochen» pries ihren Neltentopf an,
ein selten schönes Exemplar, über und
über mit üppigen sleiichsarbenen Blü
then behangen. Die jüngere Frau
stellte ein weißbliihendes reizendeg
Rosenstöckchen recht augenfällig hin
und drehte es langsam herum, damit
es sich von allen Seiten präsentire.
»Ich nehme beides!« Die junge
Dame zog ihr Geldtäschchen, zahlte,
ohne zu seilschen, den geforderten
Preis und schritt mit ihren Blumen
den langen Hauptgang des im Son
nenschein daliegenden Friedhoses her
unter. Sie hatte für ihre Jugend
eine eigene vornehme Ruhe in ihrem
Gang, ihren Bewegungen —- leine
Spur von Hast oder Uebereilung.
Sie wußte nun schon seit Tagen
Bescheid hier, sie durfte niemanden
mehr fragen. Diesen schmalen Neben-—
weg entlang, wenige Schritte nur« da
lagen die sechs Gräber, je zwei und
zwei, nebeneinander, vom vollen Laub
einer großen Atazie halb überschattet.
Der Baum blühte eben jetzt, üppige
weiße Blüthendolden hingen in star
ten Büscheln im zartgesiederten Laub
und hauchten schwüle, süße Düfte aus.
Hanna hatte die Gräber nicht ge
rade vernachlässigt gesunden, als sie
vor einigenTagen zum erstenmal hier
her-gekommen war. Es mußte sich je
mand darum betiimrnert, vielleicht aus
der Ferne Auftrag gegeben haben, die
Hügel. nicht verfallen zu lassen — sie
waren alle mit blühenden Jmmergriin
überzogen, wenn auch sonst ohne wei
teren Schmuck. Zu Häupten eines je
den Hügels war eine kleine, schrägge
stellte Marmortafel in daS strotzende
Blattgrün gebettet —--— nur die Namen
waren darauf zu lesen: Oswald
Schmidt —— Aelxandra Schmin geb.
v. Eschenburg —- Hildegard —- Her
bert — Paul ——— Frieda.
Eine kleine, ehemals weiß ange
strichene holzbant stand zwischen den
Gräbern, dort ließ hanna siq nieder,
nachdem sie den Neltenstock aus das
»Grab ihrer Mutter und die Rose auf
dasjenige hildegards gesetzt hatte.
Sie trugen jetzt alle reichen und schö
inen Blumenschmuck, die sechs Hügel
J— die Leute der unglücklichen Fami
Flie, die »durch Zufall« Ueberlebende,
fhatte dafür gesorgt. Deutlich sah sie
jin ihres Geistes Auge, wie jedesmal
bisher, so auch heute, ein siebentes
Grab vor sich, das die Reihe hätte
schließen sollen, ein kleines, winziges
Kindergrab übersponnen von Immer
griin und blauen Blüthen, und zu
häupten des kleinen Hügels das Tä
selchen mit dem Namen »Hanna.«
Es hatte nicht sein sollen. Sie
senkte das Haupt. War es ein guter,
war es ein böser Engel gewesen, des
sen Hand sie damals zurückgehalten
hatte, sich aus ihrem sanften, schuld
losen Kinderschlas heraus den Tod zu
trinken? Giebt es böse und gute En
gel? War alles im Leben nur Zu
fall?
Atazie iiber ihrem Haupt wölbte, sah
sie in schmalen, zitternden Lücken das
Himmelsblau.— Dorthin hob-sich ihr
Rein —- und närr! Durch daz!
Blätter- und Blüthendach, das die«
i
I
Blick, du unsichtbaren ou unter oa
droben! Bleide mir nicht stumm! Hilf
mit, sei mit gnädig —-— zeige mir den
Weg, den ich wandeln soll!«
Hier saß sie, allein, einsam - ge
trennt von allen, die sie kannte« und
liebte, jung und unerfahren, ein losz;
gelöstes Blatt vons Lebensbaum .«-Z.
war es recht gewesenM , s sie gethan
hatte? Hundertmal h" e sie sich das
gefragt, hundertmal nsh war sie ohne
Antwort geblieben. Sie hatte so viel
schon erlebt, wenn-sie zurückblickc —
wett mehr, als die meQen ihres Ak
ters von sich sagen durften: Krankheit
und Sehn-ers nnd Les-, Lieben und
Hoffen, höchste Seligkeit und» grau-»
sure Enttöuschung, Tod und Tren
W
nung —« ach, und Sehnsucht, namen
lose,« verzehrende Sehnsucht!
Es hatte sie hergezogen, hierher, zu
diesen Gräbern, wie mit hundert hän
den; sie hatte leine Ruhe gehabt, hatte
geglaubt, das Dasein nicht länger er
tragen zu tsnnem wenn sie nicht die
Stätte betreten dürfte, da alle, die zu
ihr gehörten, zu denen sie gehörte, aus
ruhten für immer von Jammer und
Schuld. Und seit sie zum erstenmal,
mit brechenden Knien, mit versagen
dem Herzschlag die Augen geblendet
von unaufhaltsam hervorstürzenden
Thriinen, an diesen Grabhügeln ge
standen und geschluchzt hatte, als
müsse ihre Seele sich auflösen in zit
terndem Mitgesiihl — seitdem war
sie ruhiger geworden. Nicht nur Ge
danken des tiefen Grames. des trost
losen Schmerzes waren ihr hier auf
dein Gottesacker gekommen — auch
Gedanken des Friedens, der Verge
bung, die wir alle, alle haben müssen,
deren wir auch alle, alle bedürfen.
Was Hanna früher wie der harte,
eherne Schritt des Fathums erschienen
war, was sie angeblickt hatte gleich
dem nnerbittlichen, starren Antlitz der
Meduse —- das hatte sich angesichts
dieser Gräber zur schmerzlichen Weh
muth gemildert, die hinabtaucht in
alle Tiefen des Erdenleids, es verste
hen und zugleich verzeihen lernt. Sie
lagen und schliefen, die Eltern. die Ge
schwister — schliefen unter diesen
blumigen Decken, umspielt vom Son
nen licht, nmhaucht vom Morgen- und
Abendwind, umtlungen von lieblichen
Vogeltönen. Gottes Wille war es ge
wesen, sie hinzunehmen, die wellenden,
wie die tnospenden Blumen —- Got
tes Wille auch war es gewesen, daß sie.
allein übrigblieb von allen, damit sich
ihr Schicksal erfülle. »Zeige mir --——
zeige mir den Weg, den ich wandeln
soll! Muß ich allein bleiben, mir
selbst mein Lebensschifs zimmern,
mein Brot erwerben . . . oder . . .«
Nein! Ein Zurück gab es nicht mehr
für siezu dem Mann, der sie aus Mit
leid und um sein mahnendes Gewissen
zu beruhigen, zu seiner Frau genom
men...das nicht! Ob sie sich gleich
nach ihm sehnte zum Sterben —— aber
an Sehnsucht starb man nicht, sie
mußte und würde weiterleben ohne
ihn! Hier, in dieser Stadt, die ihres
einst so glücklichen Hauses Untergang
und Schmach mit angesehen —- hier
wollte sie versuchen, festen Fuß zu fas
sen, zu arbeiten, zu erwerben...oo
es ihr gelingen würde? Und dann,
wenn sie ein neues Leben begonnen,
von dem früheren sich losgeliist haben
würde . . . dann hierhertommen, täg
lich, und mit ihren Todten verkehren,
die sie alle nicht gelannt und die ihr
doch so lieb, so vertraut waren.
Wenn nur ihr Herz nicht gewesen
wäre, jung und heiß, das sich bei sol
chem Zukunftsbilde in ihr empor
bäumte und schrie: »Was? Das soll
alles sein, wag dein Leben dir noch
bieten soll-) Daran sollst du dir ge
niigen lassen? Nur Arbeit und fort
währendes Versenlen in eine siir dich
verschlossene Vergangenheit? Und hast
das Leben gekannt und Liebe und
Glück und die Kunst —«— alles-, was
das Dasein krönt und schmückt! Wird
nicht die Erinnerung kommen und dich
packen mit unwiderstehlicher Gewalt
alltäglich — alltäglich — bis du es
nicht mehr erträgsts Und wenn du es
dir tausendmal vorsagst: er entbehrt
dich nicht, er fragt nicht nach dir, ist
vielleicht gar froh, dasz du von ihm
gegangen bist...deine Seele hungert
und dürstet nach ihm, du lannst nicht
—- tannst nicht ohne ihn bestehen!
Die alten, neuen Gedanken, da wa
ren sie wieder! Da waren die Timä
nen auch, die schwer aus die gesalteten
hände niederträuselten Guter Gott
—- sietoar so jung noch! Wie viel
Jahre mochten ihr noch vorbehalten
fein!
Ein heller Schmetterling lam ge
flogen, er flatterte von einem Grabe
zum andern, als wolle er jedes ein
zeln begrüßen, setzte sich aus die weiße
Rose, loste mit der Rette, tam zu
Hanna herüber, blieb aus ihrem Knie.
Sie regte sich nicht, um ihn nicht zu
verscheuchen, seine Flügelchen Happ
ten sacht aus und nieder. Von sernher
kam ein Kuckucksrus. Jm Ataziew
wipsel über dem Haupt der jungen
Frau haschte sich ein Amselpiirchen,
neckisch zwitschernd. Die kleinen
Schwi n rührten an die weissen
Blüthe rauben, die dusteten stärker
im hellen Nachmittagssonnenschein . .».«
Leisehsknitichen im Sande —- das
iiefhängende Laub der Akazie bebt,
eine hand bat es leicht gestreift. Der
Schmetterling fliegt fort, die beiden
Amseln flattern höher hinauf und
ducken sich un .das Blätterdach..
PS JHbec der Kucku tqu noch drüben.
. Hang fährt empor aus ihrem Sin
hien, will aufstehen —— lann es nicht
i —- will rufen —— vermage cht —-——
i Auf dem alten Holzbäs « neben
sihr sißt Willstied Cotta bat beide
! Arme um sie gelegt und hält sie an
seinem Herzen fest
! Sie bleibt einen Augenblick unbe
weglich. Wenn dies ein Tknmn ist s
detnn weiterteiiumen, weiter!
Wenn dies Wirklichkeit Ost —- dank
W
seht sierben dürfe-! So sterben! Bei
ihm, an feinem herzent
Sie möchte ihn fragen: »Wir
kommst du her? Wie hasi du mich ge
funden? »Aber tein Laut ringt sich
aus ihrer Kehle. Aus dem süßen
blassen Gesichtchen sehen ihre Augen
zu ihm empor mit einem ergreifenden
Ausdruck schmerzlicher Wonne —- —
Augen, die sich satt trinken möchten
am Anblick des geliebtesten Menschen.
Und auch er sagt nichts. Sein al
tes Glück ist ihm treu geblieben; er
hat sie gesunden, er hat sie wieder!
Daß er sie behält, dafür wird er schon
sorgen! Aber von Siegeszuversicht
und Ueberniuth ist nichts in ihm, ihn
beherrscht das eine Gefühl: wir ge
hören ja zufammen, denn wir lieben
einander!
Er nimmt die lleine Hand, die sei
nen Trauring trägt, und küßt sie —
ganz anders, wie sonst, fast ehrerbie
tig. Dann zieht er die behende Ge
stalt fester an sich und küßt Hannas
Lippen —ganz anders, wie sonst, heiß
und lange — und wie seine Augen
dazu werben und flehen und bitten!
»Woher wußtest du —- wie hast du
-« beginnt sie zu stammeln.
»Sagen konnte mir’s keiner, wo du
warst —- wir hatten an die alte Frau
in Breslau erst telegraphirt, dann ge
schrieben. Sie hat geantwortet, du
seiest eine Nacht und einen Tag bei
ihr gewesen und dann weitergereist
— du hättest dich geweigert, zu sagen,
wohin. Da hab« ich es errathen und
bin dir nachgelommen —- ich dachte
mir, es würde dich hierherziehen!«
»Was habe ich sonst auf der Welt,
als diese Gräber?« bricht es mit lei
denschaftlicher Klage aus ihr hervor.
Sie macht sich aus seinen haltenden
Armen frei, die Stimme bebt ihr.
»Z« wem gehöre ich? ,,Herrenloses
Gut« — das war ich von Anbeginn
s--— das bin ich geblieben!«
»Und ich, Hanna?« fragt er sanft
und vorwurssvolL
»Du? Dein Gewissen hast du be
schwichtigen wollen —- Mitleid hast
du mit mir gehabt ——«
lSchluß solgt.) «
Blau-Veilchen.
Schon in den sonnigen Tagen des
März und April heben die Veilchen
schüchtern und verstohlen ihre blauen
Köpfchen unter Gras und Laub her
vor, freudig willkommen geheißen
von uns Menschenkindern, deren
Lieblinge die still und bescheiden an
heimlich-trautenPlätzen blühenden und
so herrlich duftenden Blümchen gewor
den smd. Und ebenso freudig, wie von
uns-, wurden die lieblichen Voten des
holten Frühlings auch schon von un
seren Vorfahren begrüßt. Vig herauf
«.ns späte Mittelalter war es in Süd
und Mitteldeutschland Sitte, denTag,
an dem man das erste Veilchen fand,
festlich tu begehen. Wie der erste
Storch, die erste Schwalbe, der erste
Maikäfer früher feierlich eingeholt
wurde, und wie man beim ersten
stuetucksruf voller Freude in den
Wald stürmte, den Frühlings-boten zu
suchen, so band man das erste Veil
chen auf eine aus grünem Wiesenplan
errichtete, mit bunten Bändern ge
schmückte Stange und tanzte um diese
den Lenzreigeru Jung und Alt gab
sich der ausgelassensten Freude hin,
ivar man doch nach den trüben Win
tertagen, die alle in die engen, dum
pfen Studen gebannt hatten, zum
ersten Mute wieder in der freien Got
tesnatut bei fröhlichem Spiel und
Tanz vereint.
Auch bei den Völkern desJ Alter
tbums toar das Veilchen eine der be
liebtesten Blumen. Die Griechen
hatten dies Blümchen so ins Herz ge
schlossen, dasz selbst mitten im Winter
uns dem Markte zu Athen blühende
Pflänzchen zum Vertaufr standen, im
Frühling blühte und du tete esi nd
bei der Stadt in solcher HäufMeit
daß Vindar Athen die »veilchenbe
tränzte« Stadt nannte.
Bei den Römern ward das Veilchen
ebenfalls sehr gepfkse t, ja, horaz
machte den Römern ogar den Vor
niurf, daß sie utn der Rosen-· und
Veilchengörten die früchtereichen Oli
denhaine vernachlässigten Weniger
ideal aber, als da- Volt der Griechen,
umwunden sie ihr Haupt mit Veilchen
trän en, um gegen Rausch und schwe
ren opf bei den Trinkgelages ge
schutzt zn sein« Auch iourzten sie den
Wein mit Veilchen, um ihm dadurch
ein töstliches Vlroma zu verleihen.
Aehnlich war die Verwendung, die
das Veilchen seit Mohamedg Zeiten
im Orient sand und noch heute indet.
Hier wird der vorzüglichste S rbett
aus einem Absud von Veilchen nnd
Zucker bereitet. Der Propbet selbst
soll der Ueberlieserung nach dieses
Getränt als dasjenige gepriesen ha
ben, das ihm den höchsten Genuß de -
sck,asse, da es im Sommer tiihlerØ
im Winter wärmend witte·
Wie in den meisten start dustenden
Pflanzen, sah man auch i Veilchen
chon seit alter Zeit sein M fiel gegen
He verschiedensten Krankheiten. Nach
Theodorus Priscantus, der um 400
n.Chr. Geburt Hosarzt in Byzanz
war, blieb man das ganze Jahr hin
durch vqr Krankheiten bewahrt, wenn
man die drei ersten im Lenz gesunde
nen Veilchen genoß. Noch heute ist
im solle der Glaube lebendi , daß
das erste, im Frühling geundene,
steil-IF getaut, vor dem tat-i Fie
ser e.
In srhitherer Zeit schrieb man dem
Be leben. ebenso wie dem Vergißnietm
nicht und der Schlüsselblume, die: ge
heimnisvolle sftraft u, verborgeue
Schäße an uzei . o, nimmt es in
einer altschwedszen Sage eine ar
! liebliige Stellung ein. Der böse ott
der enden, der ftnsiere Zernebo h,
besaß eine prächtige Bur , auf wel
er thronte. Doch die chriTtylzichen Send
boten vernichteten seine acht. Seine
HBurg ward in einen elsen verwan
delt, fein liebliches Tdchterchen in ein
Veilchen, das nur alle" hundert Jahre
blühen darf. Wer aber dann das
lGliici hat, dieses Veilchen zu pflücken,
Ider gewinnt dadur die schön te und
reichste Tochter des andes und ist in
feinem ganzen Leben ein glücklicher
Mann.
Wie in der Sage, so hat das Beil-·
cksen auch in der Geschichte mancher
Völker eine Rolle gespielt. Ins-beson
dere ist hier des Veilchen-Z als der
Parteiblmne der Napoleoniden zu ge
denken. Veilchen waren die Liebling-·
dlurnen Josephinen5, der ersten Ge
mahlin Napoleons des Ersten. Jn
Leu Stürmen der Revolution gerieth
auch sie, wie so viele Unschuldige, ins
Gefängniß, Und täglich fürchtete sie,
auf das Blutgerüst geführt zu werden.
In jenen Tagen war es, dasz das
Töchterchen des Aufsehers der freund
lichen Frau ein Veilchenfträuszchen
brachte, zugleich mit der frohen Bot
schaft, daß ihre Entlassung nahe be
vorstehe. Schon am nächsten Tage
öffneten sich die Thore des Gefäng
nisse5, und hatte Jo ephine die Veil
chen schon seit ihrer — ugend ins Herz
geschlossen, so wurden sie nun ihre
angebeteten Viel-singe Jn einem mit
Veilchen gefchmiickten Kleide lernte sie
tsen General Bonavarte kennen, in
einem mit Veilchen bestictten Kleide,
einen Veilchenstrauß in der Hand,
wurde sie ihm am 9. März 1796 als
Gattin angetraut. Mit Thränen in
den Augen bat sie ihn, er möge ihr
stets am Jahrestag ihrer Vermahlung
als Zeichen seiner unwandelbaren
Liebe und Treue ein Veilchensträuszs
chen, »das Symbol des Lebens und
des Glückes«, schenken, und nie hat
der Kaiser diesen Wunsch vergessen,
stets schmückte am Hochzeitstage ein
Strauß frischer Veilchen ihr Betpult.
Am Se.«J-ltärz 1808 fehlte er zum
ersten Male. Böse Ahnungen durch
zogen das Herz der Fürstin, sie hatte
sliistern hören von freiwilliger Ent
fagung, von einer ebenbiirtigen Wahl
des Gatten. Napoleon hatte indes
nicht die Absicht gehabt, ihr die kleine
!Liebesgabe zu versagen. Der Gärt
fnen der sonst das Veilchensträußchen
geliefert hatte, war kurz zuvor gestor
en, und Napoleon mochte teine Blü
then aus dem Garten, dessen Pflew
als Leiche über der Erde stand. Es
sandte Boten nach allen Richtungen.
andere Veilchen zu holen, doch kehrten
alle mit leerenfiinden uriick. Schließ
lich machte er ich selbt auf den Weg,
und dem Mächtigen lächelte auch hier
das Glück, er fand das Gesuchte in
dem Korbe einer alten Frau. Erfreut
griff der Kaiser nach deni gefundenen
Schatz, drückte der überraschten Frau
einige Goldstücke in die Hand und eilte
zu feiner Gemahlin, ihr die so lieb
gewordeneGabe zu überreichen. Dant
bar empfing sie Josephine, Plötzlich
ader schrie sie aus: »Fort, fort, die
Blumen bringen den Tod, sie blühten
ans einem Grabe!« Und in der That,
die Veilchen waren von dem Grab
hügel Ludldigg des Siebzehnten; die
arme Frau gestand, sie dort gepflückt
Zu haben. ·
Sie brachten Josephineu tein Glück,
zm folgenden Jahre mußt-: sie in die
Scheidung willigen. im «ahre 1814
starb sie an gebrochenem )erzen. Auf
ihrem Sarge lag ein drachtvolles
Veilchentissem gesandt von ihrem
ruistigen Gatten, dessen Stern unter
des auch untergegangen war. Als im
sclgenden Jahre die Veilchen wieder
blühten, tehrte Napdleon zwar noch
mals nach Frantreich zurück, begei
stert empfangen von seinen Anhän
geru, die zum Zeichen der Ergebenheit
und Liebe Veilchen im Antwle tru:
gen, jubelnd begrüßt von den alten
Garben, die ihrem Feldberrnt ,,Voila!
Voilat Le pere la Voilette!« zur f u,
aber der Jubel währte nicht .
Abermalg mußte NapoleoMrantreich
--derlassen, diesmal für immer. Be
vor er den Boden des Vaterlandes
verließ, suchte er noch einmal das
Grab Josephinens in Malmaison auf
und pflückte einige der auf ihm blit
henden Veilchen. Treulich at er diese
bewahrt. Nach seinem Tode and man
sie nebst einer Haarlocke sein Sohnes
in einer goldenen Kapsel auf seiner
Brust. -
Die Veilchen aber blieben die Par
teiblume der Napoleoniden.· Als Na
voleon der Dritte Frantreichg Thron
bestieg, trug die gesammte vornehme
Pariser Welt Veilchen, als er einsam
und freut-los in der Verbannnng
starb, sandten seine Getreuen in
Franlreich als letzte Liebegzeichen
zahllose prachtvolle Veilchenlriinze.
Und alljährlich noch besuchen seine
Verehrer die Messe, welche an feinem
Todestage gehalten wird, Veilchen im
Knopsloch tragend.
Auch im Haufe der Haben-zollen
wadi die lleinen Veilchen gern ge
sel) Gäste. Friedrich Wilhelm det
Dritte pflegte das Bild seiner viel zu
sriih verstorbenen Gemahlin, der edlen
itiini in Luise, vorzugsweise mit die
sen lumen zu ischmücken, und Kaiser
Wilhelm der Er te sand jeden Morgen
aus seinem Tische ein duftendeg Veil
upenstriiuszchen Hex, nachdem er einmal
erklärt hatte, er liebe dieses Pflänz
chen ebenso wie die Kornblnmr. Noch
tiesere Sompatbien hegte Kaiser Frie
detch der Dritte für das bescheidene
Blümchen, ian war es seine Liebs «
lingsbluine.