Herrenloses Gut. Roman sen warte Bernhard.« "s-s---7’-s- - — - (31. Fortsetzung) »Ich weiß es nicht —- vielleicht ——— mit der Zeit. Du sagst, du kennst sie hundertmal besser und liebst sie viel mehr als ichs-möglich. obschon . . . leichdiell Das eine aber kann ich dir ·9en: in dem Punkt, ich meine, was dke Tragödie ihrer Herkunst betrifft, da hätte ich sie wohl auch richtig ver standen und richtig behandelt! Wen-f man wochenlang solch ein süßes — solch ein junges Geschöpf um sich hat, Ieden Tag, jede Stunde —— da lernt man mehr davon kennen. als im Brautstand Jch weiß, welch feines-, kensches Empfinden sie hat, weiß, wie es sie schmerzte, sich als »herrenloses Gut« zu fühlen, wenn ich sie, nach län geoem Zusammenleben, vielleicht in das Geheimnis ihrer Herkunft einge weiht hätte . . . es wäre schonend ge nug geschehen! Ganz zart, leise würd’ ich sie angefaßt haben, mit vorsichti ger Hand hätte ich einen Schleier um den anderm lüften wollen und ihr die wunderbare Schicksalsfiigung erklären, die mich an ihr das gut machen las sen will, was ich, ohne mein Wissen. an den Ihrigen verschuldet. Es würde sie immer tief ergriffen und et schiittert haben, kein Zweifel daran-— aber es kommt unendlich viel im Le ben daraus an, wie und durch wen man eine ausregende Thatjache er fährt, nicht wahr? Und nun kommt da irgend eine grausame Bestie einher und reißt ihr roh und gewaltsam die Binde von den Augen und zeriritt mit plumpen Füßen die zarten Keime, die in jeder jungen Ehe geschont werden müssen —- die bei uns noch kaum zu sprossen begonnen hatten! Reißt sie mir von der Seite, jagt sie hinaus in die kalte, lieblose Welt —- meine hanna — jetzt, da sie zehnsach der innigsten, verständnisvollsten Liebe bedarf! Den Schust, der mir und ihr das gethan hat —- den will ich finden und zur Rechenschaft ziehen . . . und dann will ich gehen und mein Weib suchen!« Piotrowskh hatte sich auf den Ell bogen aufgerichtet, er sah seinen Schwiegersohn unverwandt an. Der Ausdruck in dessen Gesicht, der Ton seiner Stimme —- alles war ihm neu, er schien ihm ein ganz anderer zu sein. Immer noch lag ihm der Klang im Ohr, mit dem Cotta eben »meine hanna!" gerusen hatte —- es hatte eine leidenschaftliche Zärtlichkeit darin gelegen. Kam es auch hier, wie es- so oft im Leben tommt...daß jemand den Schatz, den er besessen, erst dann erkennt, wenn er ihn verloren hat? »Hast du Verdacht aus einen be stimmten Menschen?m fragte Pio ttowsty endlich halblaut. Cotta fuhr sich ungeduldig mit der Hand durch das dichte Haar. «Nein!« stieß er zornig hervor-. »Ich weiß wohl von Leuten, die mich be neiden —- von solchen auch, die mich persönlich nicht leiden können; ich bin nicht der Mann dazu, meine Sympa thien und Antipathien zu verstecken — das pflegt dann aus Gegenseitigkeit zu beruhen! Aber einen wirklichen Feind, der aus gemeiner Rachsncht oder Grausamkeit mir das anthut — ein wehrloseg, unschuldiges Weib in dieser Weise mißhandelt . . . nein, ei nen solchen weiß ich nicht!« »Hast du das Cuvert gesunden, das die Adresse trug? Giebt dir die’ handschrist keinen Anhalt?« »Nicht den geringsten. Ganz indis serente Schriftzüge ohne jede Eigen art —- weder ausgesprochen männliche, noch weiblichehandx ein großer grauer Briesumschlag wie deren Tausende durch die Welt gehen!« »Aber diese alte Zeituna...laß einmal selten ————— sie datirt zwanzig Jahre zurück —-—« »Eben! Die Zeitung! Habt ihr, du und deine verstorbene Frau, Euch viel leicht zur Erinnerung an die unglück selige Geschichte damals solch einBlatt aufgehoben, und es hat es Euch je mand heimlich entwendet?-« Nachdrücklich schüttelte Piotrowsky ben Kopf. »Wenn Zeile Gedrucktes von da mals her ist in unserem Besitz gewe sen. Jch war nicht dafür und meine Dota erst recht nicht. Wir wußten die traurigen Thatsachen, die sich an jene Tragödie knüpften, »genau genug... wozu uns da noch gedruckte Berichte aufbewahren? Also dein Vater ist der hilfreiche Freund gewesen, der dies eine verhängnißvolle Mal seinen Bei stand oerweigern mußte? Uns waren die Verhältnisse gänzlich fremd, wir waren vor kurzem erst nach K. gezo gen, als das Unglück geschah und hat ten den Direktor und seine Frau nur stMC in Gesellschaft getrossen.« Mc sah finster vor sich hin. W war abwesend von Hause, als NO das Schreckliche geschah. Wäre ::«Wen, so hätte hildegakd sich txt-extent, und ich viirde meinen Vater bewogen haben, Hilfe zu schaf fen, obschon dies fast über seine Mittel hinaus-ging —— er hätte aber bei ande ren ohne weiteres Kredit gefunden. Jch ahnte nichts, ich war in Groll und Bitterkeit von meinem Vater geschie den —- kein Gedanke daran, daß ich wagen konnte, ihm mit meinem heim- » lichen Verlöbniß zu kommen. Er hatte; rnir große Opfer gebracht — die ban den ihm eben die Hände, als sein Freund ihn um Hilfe bat! Es kam wie es kommen mußte!« ; Schweigend blickten beide Männer einander an. Mit einer müden, muth- ! losen Bewegung wandte sichCotta end- « lich zum Gehen. »Ich gebe dir Bescheid, wenn ich et was ausgerichtet habe. Bleibsi du da heim?« Mit einer entschlossenen Gebärde ! warf der Aeltere die Schlafdecke zu rück. »Denkst du, ich werde unthätig hier warten, während du auf der Suche bist? Jch verginge vor Angst und Un geduld. Watte im Nebenzimrner auf mich, in zehn Minuten bin ich dat« Cotta nickte und ging hinaus. Nach kaum einer Viertelstunde stand Pio trowskh zum Ausgehen gerüftet neben ihm. »Wir geben zunächst in ein Koffer haus und trinken etwas Warmes . .. nein, nein, keinen Widerspruch! Das muß sein! Muth, Willsried, sieh nicht so finster aus! Unsere Hanna kann nicht ohne weiteres vom Erdboden verschwunden sein —- wir müssen und werden sie finden!'« Cotta blickte aus umflorten Augen auf. »Und wenn wir sie wirklich gefun den haben — was nicht so leicht sein wird, wie du zu denken scheinst, da sie alles dazu thun wird, sich nicht finden zu lassen —- meinst du denn, sie wird freiwillig mit mir gehen? Sie hat die Motive durchschaut, die- mich leiteten, als ich um sie warb..·nun wird sie· mir nicht glauben, daß — dafz —« ! »Nun, Cotta?« »Daß ich sie liebe —- daß ich ohne sie mir mein Leben nicht mehr denken kann!" ; Ze· I Unter dem hohen Portal des- ersten der vor «dem Wiedheimer Thor gele genen Friedhofe saßen zwei Frauen, eine alte und eine junge, eifrig mitein ander redend. Sie hielten Blumen feil, Kränze, Sträuße, zierlicheRosen und Neltentöpfchenz alles war dazu da, die Gräber zu schmücken, und die Frauen, die Winters und Sommers ihre Waare aushoterh standen sich gut dabei. Das Publikum taufte viel, es war fo bequem, sich nicht durch die ganze Stadt mit den Blumen schlep pen zu dürfen. Die alte Festungsstadt K. hat be Erühmt schöne Friedhofe, voll herrli cher, stolzer Bäume, voll üppiger Ge büsche, voll saftigen Grasrouchses. Still und wohlig mag sichs aus-ruhen beim Säuseln der Blätter, heim Hau chen des Windes, heim Zwitschern der kleinen Vögel, die jahraus jahrein in den alten, breitästigen Buchen und Linden ihre Nester bauen. Die Denk mäler waren meist schlicht und in her gehrachter Form: flache Grabtafeln, hohe Kreuze, gebrochene Säulen, ein fache Kopfsteine.« Der Marmor hielt sich schlecht in diesem Landstrich, der so viel Regen und feuchte Luft brachte und im Winter oft wochenlang fuß hohen Schnee. i Jetzt aber war gute Jahreszeit, hel Iler, warmer Frühsornmer. Die Grä ber prangten im schönsten Blumen schmuck, im buschigen Jrnrnergriin schlugen Hunderte von Blüthen ihre treublickenden blauen Augen aus« die Drossel pfiff, die Nachtigall slötete. Wie ein lichtgrünes Meer trogte im lauen Winde die Blätterpracht der al ten Bäurne, die Zierstriiucher trugen fast alle noch ihren Schmuck. Alle Wege des Friedhofes waren sauber gehartt, der Schwengel der Pumpe kreischte oft in harten Tönen. Schwarzgelleidete Gestalten gingen mit gefüllten Gießkannen hin und her Ioder saßen still auf kleinen Bänken neben den Gräbern ihrer Lieben. Spielende Kinder liefen dazwischen umher und wurden häufig von ihren Mütter-n und älteren Schwestern ge rufen: »St! Nicht so laut! Keinen Lärm machen! Jhr seid hier aus dem Friedhof!« Die beiden Frauen draußen unter dem Portal hatten eben ihren Kassee getrunken, den ihnen ein kleines Mäd chen in einem Henkeltorbe herausge bracht »Dreheirathet- sagen SM« meinte die ältere, indem sie den Mund mit dem hat-drücken abwischtr. s »Na, ich glaub’ ei nich! Das is doeh n Mädcheni« Junge Fran!« betonte die andere mit Nacht-euch «Kiinnen sich drauf verlassen! Da ienn’ ich mich mit einem Blick aus, hab’ mich noch niemals nich geirrt. Thut mir bloß leid, daß wir nich wet ten können. weil wir keinen Menschen haben, der uns sagt, wie es is.« »J, wer wird um so was wetten! Jch wunder’ mich bloß, daß sie noch nich hier is. Um diese Stund’ lam sie fast all die Tage und lauste uns was ab — und schön Wetter haben wir doch! Expreß bab’ ich diese seine Relt’ siir sie herausgebracht, weil sie immer was Gutes haben muß...ob ich ihr sonst noch werd’ loswerden, der Nelt’, das weiß ich nu auch nich!« »Sind Sie man ruhig, Pluschtatin, mit Jdre theure Nelt’! Da tommt sie all den Gang ’raufgegangen, ich seh’ ihr deutlich —- und es is ’ne junge Frau, sag’ ich!« »Na, für mich is sie ’n Mädchen! Js ja schließlich ganz egaL wenn sie man bezahlt. Die Wagnern, unsere Kirchhofsfrau, die sagt ja, sie geht immer bei die Gräber, wo sich die Fa milie hier vor etliche lange Jahr’ alle zusammen das Leben nahm —- sechs Stück —- da braucht einer auch viele Blumen.« Indessen war eine schliante junge Dame in seiner Trauertoilette lang sam an die beiden Frauen herange lommen Die alte Diele, die zuletzt gesprochen» pries ihren Neltentopf an, ein selten schönes Exemplar, über und über mit üppigen sleiichsarbenen Blü then behangen. Die jüngere Frau stellte ein weißbliihendes reizendeg Rosenstöckchen recht augenfällig hin und drehte es langsam herum, damit es sich von allen Seiten präsentire. »Ich nehme beides!« Die junge Dame zog ihr Geldtäschchen, zahlte, ohne zu seilschen, den geforderten Preis und schritt mit ihren Blumen den langen Hauptgang des im Son nenschein daliegenden Friedhoses her unter. Sie hatte für ihre Jugend eine eigene vornehme Ruhe in ihrem Gang, ihren Bewegungen —- leine Spur von Hast oder Uebereilung. Sie wußte nun schon seit Tagen Bescheid hier, sie durfte niemanden mehr fragen. Diesen schmalen Neben-— weg entlang, wenige Schritte nur« da lagen die sechs Gräber, je zwei und zwei, nebeneinander, vom vollen Laub einer großen Atazie halb überschattet. Der Baum blühte eben jetzt, üppige weiße Blüthendolden hingen in star ten Büscheln im zartgesiederten Laub und hauchten schwüle, süße Düfte aus. Hanna hatte die Gräber nicht ge rade vernachlässigt gesunden, als sie vor einigenTagen zum erstenmal hier her-gekommen war. Es mußte sich je mand darum betiimrnert, vielleicht aus der Ferne Auftrag gegeben haben, die Hügel. nicht verfallen zu lassen — sie waren alle mit blühenden Jmmergriin überzogen, wenn auch sonst ohne wei teren Schmuck. Zu Häupten eines je den Hügels war eine kleine, schrägge stellte Marmortafel in daS strotzende Blattgrün gebettet —--— nur die Namen waren darauf zu lesen: Oswald Schmidt —— Aelxandra Schmin geb. v. Eschenburg —- Hildegard —- Her bert — Paul ——— Frieda. Eine kleine, ehemals weiß ange strichene holzbant stand zwischen den Gräbern, dort ließ hanna siq nieder, nachdem sie den Neltenstock aus das »Grab ihrer Mutter und die Rose auf dasjenige hildegards gesetzt hatte. Sie trugen jetzt alle reichen und schö inen Blumenschmuck, die sechs Hügel J— die Leute der unglücklichen Fami Flie, die »durch Zufall« Ueberlebende, fhatte dafür gesorgt. Deutlich sah sie jin ihres Geistes Auge, wie jedesmal bisher, so auch heute, ein siebentes Grab vor sich, das die Reihe hätte schließen sollen, ein kleines, winziges Kindergrab übersponnen von Immer griin und blauen Blüthen, und zu häupten des kleinen Hügels das Tä selchen mit dem Namen »Hanna.« Es hatte nicht sein sollen. Sie senkte das Haupt. War es ein guter, war es ein böser Engel gewesen, des sen Hand sie damals zurückgehalten hatte, sich aus ihrem sanften, schuld losen Kinderschlas heraus den Tod zu trinken? Giebt es böse und gute En gel? War alles im Leben nur Zu fall? Atazie iiber ihrem Haupt wölbte, sah sie in schmalen, zitternden Lücken das Himmelsblau.— Dorthin hob-sich ihr Rein —- und närr! Durch daz! Blätter- und Blüthendach, das die« i I Blick, du unsichtbaren ou unter oa droben! Bleide mir nicht stumm! Hilf mit, sei mit gnädig —-— zeige mir den Weg, den ich wandeln soll!« Hier saß sie, allein, einsam - ge trennt von allen, die sie kannte« und liebte, jung und unerfahren, ein losz; gelöstes Blatt vons Lebensbaum .«-Z. war es recht gewesenM , s sie gethan hatte? Hundertmal h" e sie sich das gefragt, hundertmal nsh war sie ohne Antwort geblieben. Sie hatte so viel schon erlebt, wenn-sie zurückblickc — wett mehr, als die meQen ihres Ak ters von sich sagen durften: Krankheit und Sehn-ers nnd Les-, Lieben und Hoffen, höchste Seligkeit und» grau-» sure Enttöuschung, Tod und Tren W nung —« ach, und Sehnsucht, namen lose,« verzehrende Sehnsucht! Es hatte sie hergezogen, hierher, zu diesen Gräbern, wie mit hundert hän den; sie hatte leine Ruhe gehabt, hatte geglaubt, das Dasein nicht länger er tragen zu tsnnem wenn sie nicht die Stätte betreten dürfte, da alle, die zu ihr gehörten, zu denen sie gehörte, aus ruhten für immer von Jammer und Schuld. Und seit sie zum erstenmal, mit brechenden Knien, mit versagen dem Herzschlag die Augen geblendet von unaufhaltsam hervorstürzenden Thriinen, an diesen Grabhügeln ge standen und geschluchzt hatte, als müsse ihre Seele sich auflösen in zit terndem Mitgesiihl — seitdem war sie ruhiger geworden. Nicht nur Ge danken des tiefen Grames. des trost losen Schmerzes waren ihr hier auf dein Gottesacker gekommen — auch Gedanken des Friedens, der Verge bung, die wir alle, alle haben müssen, deren wir auch alle, alle bedürfen. Was Hanna früher wie der harte, eherne Schritt des Fathums erschienen war, was sie angeblickt hatte gleich dem nnerbittlichen, starren Antlitz der Meduse —- das hatte sich angesichts dieser Gräber zur schmerzlichen Weh muth gemildert, die hinabtaucht in alle Tiefen des Erdenleids, es verste hen und zugleich verzeihen lernt. Sie lagen und schliefen, die Eltern. die Ge schwister — schliefen unter diesen blumigen Decken, umspielt vom Son nen licht, nmhaucht vom Morgen- und Abendwind, umtlungen von lieblichen Vogeltönen. Gottes Wille war es ge wesen, sie hinzunehmen, die wellenden, wie die tnospenden Blumen —- Got tes Wille auch war es gewesen, daß sie. allein übrigblieb von allen, damit sich ihr Schicksal erfülle. »Zeige mir --—— zeige mir den Weg, den ich wandeln soll! Muß ich allein bleiben, mir selbst mein Lebensschifs zimmern, mein Brot erwerben . . . oder . . .« Nein! Ein Zurück gab es nicht mehr für siezu dem Mann, der sie aus Mit leid und um sein mahnendes Gewissen zu beruhigen, zu seiner Frau genom men...das nicht! Ob sie sich gleich nach ihm sehnte zum Sterben —— aber an Sehnsucht starb man nicht, sie mußte und würde weiterleben ohne ihn! Hier, in dieser Stadt, die ihres einst so glücklichen Hauses Untergang und Schmach mit angesehen —- hier wollte sie versuchen, festen Fuß zu fas sen, zu arbeiten, zu erwerben...oo es ihr gelingen würde? Und dann, wenn sie ein neues Leben begonnen, von dem früheren sich losgeliist haben würde . . . dann hierhertommen, täg lich, und mit ihren Todten verkehren, die sie alle nicht gelannt und die ihr doch so lieb, so vertraut waren. Wenn nur ihr Herz nicht gewesen wäre, jung und heiß, das sich bei sol chem Zukunftsbilde in ihr empor bäumte und schrie: »Was? Das soll alles sein, wag dein Leben dir noch bieten soll-) Daran sollst du dir ge niigen lassen? Nur Arbeit und fort währendes Versenlen in eine siir dich verschlossene Vergangenheit? Und hast das Leben gekannt und Liebe und Glück und die Kunst —«— alles-, was das Dasein krönt und schmückt! Wird nicht die Erinnerung kommen und dich packen mit unwiderstehlicher Gewalt alltäglich — alltäglich — bis du es nicht mehr erträgsts Und wenn du es dir tausendmal vorsagst: er entbehrt dich nicht, er fragt nicht nach dir, ist vielleicht gar froh, dasz du von ihm gegangen bist...deine Seele hungert und dürstet nach ihm, du lannst nicht —- tannst nicht ohne ihn bestehen! Die alten, neuen Gedanken, da wa ren sie wieder! Da waren die Timä nen auch, die schwer aus die gesalteten hände niederträuselten Guter Gott —- sietoar so jung noch! Wie viel Jahre mochten ihr noch vorbehalten fein! Ein heller Schmetterling lam ge flogen, er flatterte von einem Grabe zum andern, als wolle er jedes ein zeln begrüßen, setzte sich aus die weiße Rose, loste mit der Rette, tam zu Hanna herüber, blieb aus ihrem Knie. Sie regte sich nicht, um ihn nicht zu verscheuchen, seine Flügelchen Happ ten sacht aus und nieder. Von sernher kam ein Kuckucksrus. Jm Ataziew wipsel über dem Haupt der jungen Frau haschte sich ein Amselpiirchen, neckisch zwitschernd. Die kleinen Schwi n rührten an die weissen Blüthe rauben, die dusteten stärker im hellen Nachmittagssonnenschein . .».« Leisehsknitichen im Sande —- das iiefhängende Laub der Akazie bebt, eine hand bat es leicht gestreift. Der Schmetterling fliegt fort, die beiden Amseln flattern höher hinauf und ducken sich un .das Blätterdach.. PS JHbec der Kucku tqu noch drüben. . Hang fährt empor aus ihrem Sin hien, will aufstehen —— lann es nicht i —- will rufen —— vermage cht —-—— i Auf dem alten Holzbäs « neben sihr sißt Willstied Cotta bat beide ! Arme um sie gelegt und hält sie an seinem Herzen fest ! Sie bleibt einen Augenblick unbe weglich. Wenn dies ein Tknmn ist s detnn weiterteiiumen, weiter! Wenn dies Wirklichkeit Ost —- dank W seht sierben dürfe-! So sterben! Bei ihm, an feinem herzent Sie möchte ihn fragen: »Wir kommst du her? Wie hasi du mich ge funden? »Aber tein Laut ringt sich aus ihrer Kehle. Aus dem süßen blassen Gesichtchen sehen ihre Augen zu ihm empor mit einem ergreifenden Ausdruck schmerzlicher Wonne —- — Augen, die sich satt trinken möchten am Anblick des geliebtesten Menschen. Und auch er sagt nichts. Sein al tes Glück ist ihm treu geblieben; er hat sie gesunden, er hat sie wieder! Daß er sie behält, dafür wird er schon sorgen! Aber von Siegeszuversicht und Ueberniuth ist nichts in ihm, ihn beherrscht das eine Gefühl: wir ge hören ja zufammen, denn wir lieben einander! Er nimmt die lleine Hand, die sei nen Trauring trägt, und küßt sie — ganz anders, wie sonst, fast ehrerbie tig. Dann zieht er die behende Ge stalt fester an sich und küßt Hannas Lippen —ganz anders, wie sonst, heiß und lange — und wie seine Augen dazu werben und flehen und bitten! »Woher wußtest du —- wie hast du -« beginnt sie zu stammeln. »Sagen konnte mir’s keiner, wo du warst —- wir hatten an die alte Frau in Breslau erst telegraphirt, dann ge schrieben. Sie hat geantwortet, du seiest eine Nacht und einen Tag bei ihr gewesen und dann weitergereist — du hättest dich geweigert, zu sagen, wohin. Da hab« ich es errathen und bin dir nachgelommen —- ich dachte mir, es würde dich hierherziehen!« »Was habe ich sonst auf der Welt, als diese Gräber?« bricht es mit lei denschaftlicher Klage aus ihr hervor. Sie macht sich aus seinen haltenden Armen frei, die Stimme bebt ihr. »Z« wem gehöre ich? ,,Herrenloses Gut« — das war ich von Anbeginn s--— das bin ich geblieben!« »Und ich, Hanna?« fragt er sanft und vorwurssvolL »Du? Dein Gewissen hast du be schwichtigen wollen —- Mitleid hast du mit mir gehabt ——« lSchluß solgt.) « Blau-Veilchen. Schon in den sonnigen Tagen des März und April heben die Veilchen schüchtern und verstohlen ihre blauen Köpfchen unter Gras und Laub her vor, freudig willkommen geheißen von uns Menschenkindern, deren Lieblinge die still und bescheiden an heimlich-trautenPlätzen blühenden und so herrlich duftenden Blümchen gewor den smd. Und ebenso freudig, wie von uns-, wurden die lieblichen Voten des holten Frühlings auch schon von un seren Vorfahren begrüßt. Vig herauf «.ns späte Mittelalter war es in Süd und Mitteldeutschland Sitte, denTag, an dem man das erste Veilchen fand, festlich tu begehen. Wie der erste Storch, die erste Schwalbe, der erste Maikäfer früher feierlich eingeholt wurde, und wie man beim ersten stuetucksruf voller Freude in den Wald stürmte, den Frühlings-boten zu suchen, so band man das erste Veil chen auf eine aus grünem Wiesenplan errichtete, mit bunten Bändern ge schmückte Stange und tanzte um diese den Lenzreigeru Jung und Alt gab sich der ausgelassensten Freude hin, ivar man doch nach den trüben Win tertagen, die alle in die engen, dum pfen Studen gebannt hatten, zum ersten Mute wieder in der freien Got tesnatut bei fröhlichem Spiel und Tanz vereint. Auch bei den Völkern desJ Alter tbums toar das Veilchen eine der be liebtesten Blumen. Die Griechen hatten dies Blümchen so ins Herz ge schlossen, dasz selbst mitten im Winter uns dem Markte zu Athen blühende Pflänzchen zum Vertaufr standen, im Frühling blühte und du tete esi nd bei der Stadt in solcher HäufMeit daß Vindar Athen die »veilchenbe tränzte« Stadt nannte. Bei den Römern ward das Veilchen ebenfalls sehr gepfkse t, ja, horaz machte den Römern ogar den Vor niurf, daß sie utn der Rosen-· und Veilchengörten die früchtereichen Oli denhaine vernachlässigten Weniger ideal aber, als da- Volt der Griechen, umwunden sie ihr Haupt mit Veilchen trän en, um gegen Rausch und schwe ren opf bei den Trinkgelages ge schutzt zn sein« Auch iourzten sie den Wein mit Veilchen, um ihm dadurch ein töstliches Vlroma zu verleihen. Aehnlich war die Verwendung, die das Veilchen seit Mohamedg Zeiten im Orient sand und noch heute indet. Hier wird der vorzüglichste S rbett aus einem Absud von Veilchen nnd Zucker bereitet. Der Propbet selbst soll der Ueberlieserung nach dieses Getränt als dasjenige gepriesen ha ben, das ihm den höchsten Genuß de - sck,asse, da es im Sommer tiihlerØ im Winter wärmend witte· Wie in den meisten start dustenden Pflanzen, sah man auch i Veilchen chon seit alter Zeit sein M fiel gegen He verschiedensten Krankheiten. Nach Theodorus Priscantus, der um 400 n.Chr. Geburt Hosarzt in Byzanz war, blieb man das ganze Jahr hin durch vqr Krankheiten bewahrt, wenn man die drei ersten im Lenz gesunde nen Veilchen genoß. Noch heute ist im solle der Glaube lebendi , daß das erste, im Frühling geundene, steil-IF getaut, vor dem tat-i Fie ser e. In srhitherer Zeit schrieb man dem Be leben. ebenso wie dem Vergißnietm nicht und der Schlüsselblume, die: ge heimnisvolle sftraft u, verborgeue Schäße an uzei . o, nimmt es in einer altschwedszen Sage eine ar ! liebliige Stellung ein. Der böse ott der enden, der ftnsiere Zernebo h, besaß eine prächtige Bur , auf wel er thronte. Doch die chriTtylzichen Send boten vernichteten seine acht. Seine HBurg ward in einen elsen verwan delt, fein liebliches Tdchterchen in ein Veilchen, das nur alle" hundert Jahre blühen darf. Wer aber dann das lGliici hat, dieses Veilchen zu pflücken, Ider gewinnt dadur die schön te und reichste Tochter des andes und ist in feinem ganzen Leben ein glücklicher Mann. Wie in der Sage, so hat das Beil-· cksen auch in der Geschichte mancher Völker eine Rolle gespielt. Ins-beson dere ist hier des Veilchen-Z als der Parteiblmne der Napoleoniden zu ge denken. Veilchen waren die Liebling-· dlurnen Josephinen5, der ersten Ge mahlin Napoleons des Ersten. Jn Leu Stürmen der Revolution gerieth auch sie, wie so viele Unschuldige, ins Gefängniß, Und täglich fürchtete sie, auf das Blutgerüst geführt zu werden. In jenen Tagen war es, dasz das Töchterchen des Aufsehers der freund lichen Frau ein Veilchenfträuszchen brachte, zugleich mit der frohen Bot schaft, daß ihre Entlassung nahe be vorstehe. Schon am nächsten Tage öffneten sich die Thore des Gefäng nisse5, und hatte Jo ephine die Veil chen schon seit ihrer — ugend ins Herz geschlossen, so wurden sie nun ihre angebeteten Viel-singe Jn einem mit Veilchen gefchmiickten Kleide lernte sie tsen General Bonavarte kennen, in einem mit Veilchen bestictten Kleide, einen Veilchenstrauß in der Hand, wurde sie ihm am 9. März 1796 als Gattin angetraut. Mit Thränen in den Augen bat sie ihn, er möge ihr stets am Jahrestag ihrer Vermahlung als Zeichen seiner unwandelbaren Liebe und Treue ein Veilchensträuszs chen, »das Symbol des Lebens und des Glückes«, schenken, und nie hat der Kaiser diesen Wunsch vergessen, stets schmückte am Hochzeitstage ein Strauß frischer Veilchen ihr Betpult. Am Se.«J-ltärz 1808 fehlte er zum ersten Male. Böse Ahnungen durch zogen das Herz der Fürstin, sie hatte sliistern hören von freiwilliger Ent fagung, von einer ebenbiirtigen Wahl des Gatten. Napoleon hatte indes nicht die Absicht gehabt, ihr die kleine !Liebesgabe zu versagen. Der Gärt fnen der sonst das Veilchensträußchen geliefert hatte, war kurz zuvor gestor en, und Napoleon mochte teine Blü then aus dem Garten, dessen Pflew als Leiche über der Erde stand. Es sandte Boten nach allen Richtungen. andere Veilchen zu holen, doch kehrten alle mit leerenfiinden uriick. Schließ lich machte er ich selbt auf den Weg, und dem Mächtigen lächelte auch hier das Glück, er fand das Gesuchte in dem Korbe einer alten Frau. Erfreut griff der Kaiser nach deni gefundenen Schatz, drückte der überraschten Frau einige Goldstücke in die Hand und eilte zu feiner Gemahlin, ihr die so lieb gewordeneGabe zu überreichen. Dant bar empfing sie Josephine, Plötzlich ader schrie sie aus: »Fort, fort, die Blumen bringen den Tod, sie blühten ans einem Grabe!« Und in der That, die Veilchen waren von dem Grab hügel Ludldigg des Siebzehnten; die arme Frau gestand, sie dort gepflückt Zu haben. · Sie brachten Josephineu tein Glück, zm folgenden Jahre mußt-: sie in die Scheidung willigen. im «ahre 1814 starb sie an gebrochenem )erzen. Auf ihrem Sarge lag ein drachtvolles Veilchentissem gesandt von ihrem ruistigen Gatten, dessen Stern unter des auch untergegangen war. Als im sclgenden Jahre die Veilchen wieder blühten, tehrte Napdleon zwar noch mals nach Frantreich zurück, begei stert empfangen von seinen Anhän geru, die zum Zeichen der Ergebenheit und Liebe Veilchen im Antwle tru: gen, jubelnd begrüßt von den alten Garben, die ihrem Feldberrnt ,,Voila! Voilat Le pere la Voilette!« zur f u, aber der Jubel währte nicht . Abermalg mußte NapoleoMrantreich --derlassen, diesmal für immer. Be vor er den Boden des Vaterlandes verließ, suchte er noch einmal das Grab Josephinens in Malmaison auf und pflückte einige der auf ihm blit henden Veilchen. Treulich at er diese bewahrt. Nach seinem Tode and man sie nebst einer Haarlocke sein Sohnes in einer goldenen Kapsel auf seiner Brust. - Die Veilchen aber blieben die Par teiblume der Napoleoniden.· Als Na voleon der Dritte Frantreichg Thron bestieg, trug die gesammte vornehme Pariser Welt Veilchen, als er einsam und freut-los in der Verbannnng starb, sandten seine Getreuen in Franlreich als letzte Liebegzeichen zahllose prachtvolle Veilchenlriinze. Und alljährlich noch besuchen seine Verehrer die Messe, welche an feinem Todestage gehalten wird, Veilchen im Knopsloch tragend. Auch im Haufe der Haben-zollen wadi die lleinen Veilchen gern ge sel) Gäste. Friedrich Wilhelm det Dritte pflegte das Bild seiner viel zu sriih verstorbenen Gemahlin, der edlen itiini in Luise, vorzugsweise mit die sen lumen zu ischmücken, und Kaiser Wilhelm der Er te sand jeden Morgen aus seinem Tische ein duftendeg Veil upenstriiuszchen Hex, nachdem er einmal erklärt hatte, er liebe dieses Pflänz chen ebenso wie die Kornblnmr. Noch tiesere Sompatbien hegte Kaiser Frie detch der Dritte für das bescheidene Blümchen, ian war es seine Liebs « lingsbluine.