Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, April 21, 1905, Sweiter Theil., Image 9

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    V
·gensten Jungen im ganzen Haus. Das
: -. Stille.
—
»Der Liebe legte yAKlage -I--.-.
og über mir dahin,
ch wandte durch die Tage
Mit stillgewordnem Sinn.
Nach Sternen wollt ich greifen,
Die aber standen weit,
Jch trug des Glückes Reisen
Und sand doch Einsamkeit.
Schön hat des Mittags Helle
Aus meinem haus geruht,
Nun schmiegt sich um die Schwelle
Schon sanfte Abendgluih.
Die Silberblumen blinken
Hoch überm Walde aus —- ;
Mir ist« als ziig ihr Winken 4
Mich aus dem Thal hinaus . . .
Das Mädchen aus der Fremde
Erzählung von Vincenz Chias
vacci.
Die Frühlinggsonne schien in den
geräumigen Hof der 5J.liiethgtaserne,
in dem die Kinder spielten.
Buben und Mädeln tollten lustig
durcheinander· Die Michel-Buben
zeigten, von den kleineren Kindern
bewundert, ihre gymnastischenKiinstr.
Sie waren die stärksten und verwe
größte Kunststück, das die Bewunde
rung seiner Altersgenossen erregte,
machte aber der Franzi. Er ging
aus Händen und schleniekte dabei mit
den Beinen in derLust herum. Mit
ehrsiirchiiger Scheu sahen ihm die an
deren zu. Wer es einmal so weit
brächte! Das war wohl der Höhe
punlt des menschlichen Könnens. Wie l
sehr würde sich meine Mutter freuen,
dachte der Gastl, der Sohn der armen
Näherin im zweiten Stock, wenn ich
auf den Händen gehen könnte! Sie
klagt immer, daß ich so viel Schuhe
brauche. Dein wäre mit einem Male
abgehalten, wenn ich aus den Händen
in die Schule gehen könnte. Da lam
der dicke Hausherr über die Stiege ge
humpelt; er konnte laum aus den
Füßen gehen. Und dennoch bildete er
sich weiß Gott was ein und erwiderte
taum den Gruß des FrinzL der auf
den händen gehen konnte.
Eine andere Gruppe tollte unter
lautem Schreien undLachen durchein
ander, spielte »Vaterl« oder »G’vatter,
G’vatter leih« mir d« Scherz« und der
lustige Bienenschwarm kannte leine
Ermüdung.
Der rückwärtige Theil des Hofes
war von einer niederen Mauer abge
schlossen, in der sich ein schön ver
ziertes eiserne-Z Gitter erhob. Ein
Gitterpsilrtchen, das aber stets ver-—
lchlossen war. fiihrte da in den Hos.
Zuweilen kletterten die waghalsigen
Jungen auf die Mauer, utn durch das
Gitter einen Einblick in den schönen
Garten zu gewinnen, der zu dem Pa
lais des reichen Fabritanten gehörte.
Die Wunder, die sie da erblickten, er
füllten sie mit ehrfiirchtiges Bewunde
rung.
Heute aber im Sonnenschein und
in der lauen Frühlingsluft dachten sie
nicht an das verschlossene Paradies
und merlten auch nicht, daß ein Kind
von etwa neun Jahren hinter dem
Gitterthor sehnsüchtig ihren Spielen
zusah. Erst als das Gitter in seinen
Angeln lnarrte und das Kind über die
Stusen in den Hof stieg. erblickten sie
mit Verwunderung die seltsame Er
scheinung.
Man tonnte sich nicht leicht etwas
Lieblicheres vorstellen. Goldene Lo
cken umrahmten das reizende Gesicht-«
chen, aus dem ein paar liaunende
blaue Märchenaugen blickten. Mit
ihrem dultigen Rolenlleidchen und ei
nem Körbchen voll Blumen am Arme
erschien sie den Kindern wie ein We
len aus einer anderen Welt.
Die Kinder hielten, toie feitgebannt
von dem Anblick, mit ihren Spielen
inne. Am meisten verwirrt war aber
der dreizehnjährige Triebel Franz. Er
glaubte eine Fee vor sich zu sehen. wie
sie in den Märchen beschrieben werden.
Berlegen wischte er sich feine staubigen
Hände-, die von der Promenade auf
dem Pslafter beschmutzt waren, an
seinem Wörtchen ab und starrte das
holde Kind wie verziiiit an.
Dieses näherte sich schüchtern der
Gruppe und sagte: »Ach, bitte, laßt
mich mit euch spielen!« Gleichzeitig
nahm sie die Blumen aus den Körb
chen und ver-theilte sie unter dieSpiel
genossen. Das Zuckerwert und die
Cbotoladepiätzchem die sie ebenfalls
mitgebracht hatte, übten eine noch
größere Wirkung aus. Bald war das
Eis gebrochen und die Kinder wett
eiferten, ihre liebliche Kameradin
durch immer neue Einfälle zu amti
siren. Diese strahlte vor Glück. Ihr-e
Hirten Wangen rötheten sich und ihre
ugen glänzten vor Seligkeit.
Die Mädchen schlossen den Reigen
und sangen: .
Adam ilt in ’n Garten ’gangen.
Wie viel Vöglein bat er g’fangen?
Eini, zwei, drei — du bist sreit"
Wie lachte sie, alt die Gespielen das
drollfge Liedchen anhaben:
»Auch zwei -—- Polizei,
Drei, vier — Arenadiey
Mini- sechs — alte Der
Sieben, acht —- ute Nacht,
Neun, zehn —- s lasen geb’n.«
Yeöraska
Staats-— Anzeiger Und Yerøljc
J P. Windolph, Herausgehen Grund Island Nebe« 21 April l90) HutettetTlictU Jahrgang Zi: No. 34.
Der Franz aber glühte-vor Ver
langen, ihr seine Künste zu zeigen.
Erst machte er einige Purzelbäume,
dann stellte er sich aus den Kopf und
zuletzt kam er mit der stärksten von
seinen Künsten: er ging aus den Hän
den.
Das machte einen übermättigenden
Eindruck aus die tleine Fee. «-Sie
lachte und sprang und tlatschte in die
Händchen und rief laut: ,,Bravo!
Nun überbot er sich in immer neuen
Heldenthatem Er brachte aus der
Küche ein paar hohe Stelzen, auf de
nen er mit großer Geschicklichkeit durch
den Hof tanzte. Pldlich warf er eine
Stelze fort und humpelte auf der an
deren weiter. Doch als er gleich on
raus wie ein Eichkäychen auf der
Feuerleiter bis zum zweiten Stock em
porkleiterte, da stieß das Kind einen
Schrei aus und bat und beschwor
Franz, das waghalsige Spiel aufzu
neben.
Franz war der Held des Tages.
Die neue Wundekwelt hatte einen tie
fen Eindruck auf das vornehme Kind
gemacht, das sich noch nie mit Alters- ;
genossen getummelt hatte, und Franz.
war berauscht vor Glückseligkeit, daßi
das Kind ihn bewunderte. Und alst
ihn die Mädchen Hand in Hand um-’
tanzten und das Liedchen sangen:
,,Grünes Gras frißt der Has’
Unter meinen Füßen, .
( Welche wird die Schönste sein,
Diese werd’ ich küssen.
Küsse, wen du willst . . .«
Da wußte er nicht« wie ihm ge
schah. Er trat auf das Elsentind zu
nnd aab ihm einen Kuß auf dies
Stirne. Sie lachte und blickte mit»
fröhlicher Dankbarkeit aus den brau
nen Jungen· der ihr wie ein Held er- »
schien. Wie sie ihn mit ihren schö-!
nen, sinnenden Augen anblickte! Es»
war ihm mit einein Mal so weh und!
so freudig zu Muthe und alles um ihn I
war so sonnig verklärt. « s
Und das Mädchen lachte und sagte:
»Welcher wird der Schönste sein,
Diesen werd’ ich liifsenl"
und gab ihm einen fröhlichen Kuß aus
die Wange.
Gleich darauf fing der lustige Rei
gen wieder an und das Lachen und
Scherzen wollte kein Ende nehmen.
Franz aber stand still in einer Ecke
nnd kam sich wie verwandelt vor.i
Plötzlich bemerkte er seine schadhasten
Schuhe und sein fadenscheiniges Röck
chen und eine brennende Röthe stieg
ihm ins Antlitz. Und da war es ihm,
alg ob er sehr unglücklich wäre.
Wie in weiter Ferne hörte er eine
lreischende Stimme:
»Uni-« fiilunc, qui« faitiss rast-»
ji.-nti)·? Vom-Z i(:i, n i’inst:rnt!«
Er sah, wie sie sich noch einmal nach
ihm umwandt, ihm freundlich mit
der Hand zuwintte und dann an der
Seite ihrer Gouvernante hinter dem
Gitterthor verschwand, das sich nie
wieder öffnen sollte.
II If Its
Franz war von diesem Tage an wie
umgewandelt. Er ging nicht mehr
auf den Händen. Ein stiller Träumer
war aus ihm geworden. Er tannte
nur seine Bücher und lernte mitFeuers
eiser Der Sohn der armen Wittwe
ma te glänzende Fortschritte. Die
Lichtgestalt des schönen Kindes gelei
tete ihn wie ein holder Traum durch
seine Studienzeit. Einigemale hatte
er sie in den ersten Jahren gesehen.
Sie fuhr im Wagen vorüber oder
ging an der Seite ihrer Eltern. Ein
Schauer durchrieselte ihn, wenn er sie
erblickte. Er drückte sich aber scheu in
eine Ecke. Es wäre wohl nicht nöthig
gewesen, denn sie hätte ihn kaitm«tvi-:
der erkannt. Dann sah er sie nicht
mehr. Mitten in den Sorgen seiner
ireudlosen Jugend stieg zuweilen das
Bild der lieblichen Kleinen vor ihm
auf und es war ihm. als ob sein Le
ben durch dieses Ereigniß eine höhere
Weihe bekommen hätte. Aber allmäh:
lig verblaßte das Bild und der
Kampf des Lebens löschte die Erinne
rung aus. .
Zwanzig Jahre waren verstrichen.;
Franz war ein angesehener und viel-s 3
beschäftigter Arzt geworden. Sein’
mildes Wesen und seine frohe Zuver- i
ficht brachten Licht und Hoffnung in»
die Krankenstube. Er war seinen «
Patienten auch Seelenarzt, Beratber
und Freund, und das ist wohl die er-·
solgreichste Hausapothele fiir leidente i
man-ros- Meinchen. 1
Es war ein Frühlingstag wie da
mals und durch das offene Fenster
drang Bogelgezwitscher und das Ge
wirr sriihltcher Kinder-stimmen an sein
Ohr. Die wohlbekannten Rufe und
Ausdrücke weckten in ihm die Erinne
rung an ferne Jugendtage und mit
diesem Akkord stieg auch das Mär
chenbild des schönen Kindes wieder
empor, das so lange den Inhalts seiner
poetischen Träume gebildet tte.
Da klopfte es leise an de Thitr.
In Erinnerung versunken, überhörte
Her es und merkte auch nicht daß die
IThur sich öffnete. Er sah nur das
jMädchen vor sieh mit dem goldig
«schimmernden Lockentöpfchen und den
großen, fragenden Mädchenaugerk
iUnd da war es ihm auch, als ver
nehme er den süßen Klang ihcm
TStimmu
»Ach, bitte, Herr Doktor, kommen
Sie zu meiner Mutter. Sie ist so
krank!«
Erschreckt fuhr er empor und da
stand das Bild seiner Phantasie leid
hastig vor ihm. Nur ärmlicher ge
kleidet, blässer das Gesichtchen, weh
müthiger und rührender sein Aus
druck.
Das Kind wiederholte seine Bitte
und nun fah er, daß er nicht mehr
träumte. Aber traumhaft war sein
Empfinden. Vergangenheit und Ge
genwart wogten durcheinander und
wortlos folgte er dem Kinde, das ihn
zu einem alten Häuschen in der ent
legenen Gasse führte. Jm zweiten
Stock trat ekin eine armliche Woh
nung. All das Dürftige, das er bie:
erblickt, erinnert ihn an die Tage
feiner foraenvollen Kindheit.
Heftig pochte sein Herz, als er cn
das Krankenlaaer trat. Eine blasse,
fiebernde, abgehärmte Frau lag vor
ihm auf dem ärmlichen Lager. Er
fühlte den Puls und blickte dabei for
sehend in ihre Züge. Und er erkannte
sie, wie uns der Anblick einer welken
Blume an den Frühling qemahnt, da
wir ihren Duft eingestiegen
Bald hatte er ihr Vertrauen ge
wonnen und ihre traurige Lebensge
schichte erfahren. Der Vater kam mit
feinem Unternehmen an den Rand des
Abgrundes. Eine Konvenienzheiraih
mit einem Gefchäftgfreund konnte ihn
retten. Sie brachte llaglos das Opfer
der Kindesliebe Es war umsonst.
An der Seite des- ungeliebten rohen»
Mannes verbrachte sie qualvolle Jahre. «
Der Mann endete durch SelbftmordJ
als er fein Vermögen verschwendet
hatte. Und nun hatte die Märchen-i
prinzeffin von einst —- allein und ver- l
lassen —- den harten Kampf mit dem;
Leben durchzutiimpfen. für ihr Kind»
ihr blondes Glückl- Aber es war zul
viel fiir ihre ungeiibten Kräfte. ;
Wieder durchriefelte ihn ein Gefühl»
des Stolzes, swie damals-, als er vors
ihr auf den Händen gegangen. Sein’
Blick als Arzt hatte sofort erkannt,
daf; er hier nicht zu spät gelommenl
sei.
Tag für Tag trat er an dag- Kran
tenbett und nach einigen Wochen
sprang ihm sein blonder Liebling
freudig entgegen und führte ihn zur
Mutter, die auszer dem Bette war.
Als die Röthe der Gesundheit inj
ihre Wangen zurückgetehrt war und
die Genesene ihren Dank stainmelte,:
da erzählte ihr der Arzt ein Geschicht -
chen aus seiner Rinderzeit und schloß.
mit den Worten: s
»Sie sind wie eine Lichtgestalt durch «
meine Träume gewandelt und haben«
dein wilden Wesen des Knaben einen
Einschlag von Poesie gegeben, der
seine Gaben geweckt und ihn emporge
leitet hat zu höherer Lebensführung
Sie waren das Mädchen aus der
Fremde, das mir ahnungsvoll eine.
schönere Welt erschlossen hat. Ich
tann nun nicht mehr auf den Händen s
geh"’n: aber wenn Sie einverstandeni
find, will ich Sie auf diesen Händen
durch das Leben tragen.« s
Ein sonniger Glanz verklärte ihres
Züge und ihre schönen Augen blickten ’
wie damals bewundernd zu ihm ein !
vor. Und als er ihre Hände in den
seinen hielt, rollte eine Thräne des.
Glücks über ihre Wange·
Novellette von Ariadee Blondeau.
Der Att war eben zu Ende. Die
Künstler saßen im Konversationszini
iner und plauderten von dein Erfolge
deg Stückes-, als der Autor desselben in
das Ziininertrat und sich erkundigte-,
ol- der Theaterarzt nicht da wäre. .
»Der DotiorFlorestan ist unten auf
der Bühne,« sagte der Re isseur, ,,er
unterhält sich init einem - eputirten.« ;
»Ich möchte ihn sprechen,« fuhr der
Dichter fort, »und ihm Glück wün: »
schen« s
»Sie wollen sagen, Sie wollen sich s
von ihm Glück wünschen lassen,« rief s
die jugendliche Liebhaberin. l
»Kerneswegs, meine Liebe, ich ver
wechselte dte Begriffe durchaus nicht;
ich will dein Dot or wegen einer Sache
Glück wünschen, von der morgen ganz
Paris sprechen wird.«
·,,WaB denn, was denn?« fragten
die Schauspieler im Chorus.
Florestan soll heute Nacht einen
Menschen gerettet haben, der sich in
der Seine«ertriinten wollte,"
»Das ist ja eine seltsame Ge
schichte,« sagte der Deldensvater.
« »Wenn es nicht eine Retlame tst,«
sugte dann der jugendliche Held dazu.
j
Der cebensretter.
I
i Jn diesem Augenblicke erschien der
Doktor Florestan an dem Eingange
des Konversationszimmers und der
Kcmiler rief:
« ,,Hurrah«, es lebe der Neufund
länder.
»Wie? Sie kennen die Geschichte
schon?« rief nun der Theaterarzt la
chend.
Dann wandte er sich zu dem Dich
ter und sagte:
»Ich sah Sie ja eben mit meinem
Vater sprechen, er hat Jhnen wohl die
Geschichte mitgetheilt.«
Z »Sie haben recht, Doktor, doch Sie
werden uns jetzt die Sache ausführlich
erzählen« »
»Ihr wollt es, Kinder? Nun gut,
Euer Wille geschehe.«
Man bildete einen Kreis um den
Doktor-, der augenblicklich das Wort
ergriff. Der Doktor Florestan war
30 Jahre alt. Er ist ein wahrer Ko
lrsß und seine Schultern und seine
Brust gleichen denen des sarnesi chen
F)erkules. Wie alle mit großer physi
scher Kraft begabten Leute, ist auch
Doktor Florestan sanft wie ein Kind,
und seine Geduld geht bis zur Lang
niuth. Dennoch darf man ihn nicht
ärgern, dann wird er ärgerlich, und
kvelhe dem, der ihm in die Hände
ii t.
,,Also denkt Euch, Kinder,« erzählte
nun der Doktor, »daß ich mich heute
Nacht bei einem Patienten, der auf der
unterenSeite der Seine wohnt, ver
spätet habe. Jhr wißt, ich wohne auf
dem Boulevard Haußmanm mußte
also die Seine überschreiten. Es war
Zwei Uhr Morgens, teinWagen war
zu sehen, weder auf dem Quai Ma
laaui5, noch auf dein iQuai Voltaire.
Ihr wißt, ich gehe gern und darum
war ich auch durchaus nicht ärgerlich;
die Nacht war übrigens schön, obwohl
es ein wenig talt war, und die Sterne
glänzten am Himmel.
Jch hatte eben die Brücke betreten,
als ich Plötzlich fiihlte, wie sich etwas
schweres und starkes auf meine Schul
tern senkte. Jch blieb stehen, wandte
denson halb um und sah gleichzeitig
ekn sehr blasses und häßliches Män
nergesicht und eine Plumpe Hand, de
ren Druck mir aus der Rechten er
störte, was ich auf der Linien empfun
Fen habe. Das Gesicht sprach. und
eine zischende Stimme flüsterte mir
zu:
,,Weiter wirst du nicht tommen.«
Hastig drehe ich mich um und sehe
mich meinem Gegner gegenüber, einem
Strolch Von hoher Gestalt, mit der
unvermeidlichen Seideniniitze auf dem
stopfe, während die Bluse unter dem
schmutzigen Kragen ein rothes, wie ein
Strick zusammengedrehtes Halsband
sehen ließ· Meine Faust legte sich auf
die Hand oees Mannes und ich rief ihm
»in:
»Herunter mit denPfoten, wag aber
willst du von mir?«
»Ich sage, du wirft nicht weiter ge
ben,« fuhr der Strolch fort, mir fei
nen Tobak-— nnd Schnapsathem ins
Gesicht blasend
»Glaubst du?«
»Ich glaube nicht, ich weiß es ganz
stehen«
Der Mann mit dem rothen Hals
tuch trat nun einige Schritte zurück,
machte eine Bewegung, als wenn er
sich auf mich stürzen wollte Und feine
heitere Stimme rief:
»Willst du nicht ein kleines « ad
nehmen?«
Dann fügte er noch in düsterem Ton
hinzu: »Wenn du nichts spenditest,
lsijt du ein todtek Mann.«
HWenn du willst. will ich dir gleich
was zu trinken besorgen,« rief ich und
stürzte auf den Hallnnten zu, den ich
um den Leib faßte und mit raschem
Fittiff bis zur Höhe des Geländers er
o .
,,Lassen Sie los!« brüllte der Trun
kenbold, ,,lassen Sie los; ich habe tei
nen Dukit.«
»Du hast getrunken Hallunte, undk
ou sollst auch noch mehr trinken«
Mit diesen Worten öffnete ich dies
Arme und lief; den Menschen falten»
der ein dumpfes Geheul ausstieß,
dann blickte ich über das Geländer
und sah in das Wasser, während ich
vor mich hinmurmelte:
»Wollen doch einmal sehen, ob die«
fer Dummtopf auch schwimmen tann.«
Der Bursche- fanl in die hübschen
Wellen der Seine unter, die inhellen
Mondnächten den Eindruck silberner
Itschschuppen machen. Jch zog meinen (
Valetot aus, kletterte iiber das Gelän
der und sagte mir: »Mein Junge, du
wirft dich gewiß erlälten.«
Dann fischte ich meinen Trunken
bold wieder auf, doch ich mußte zwei
mal untertauchem um den ohnmächtig
gewordenen Kerl zu packen, den die
Strömung bereits forttrag. So selten
i.nd spärlich auch die Passagiere nd
Polizisten auf der Seinebriicle Inn
Zwei Uhr »Morgens anzutreffen sind,
so hatte sich doch eine Gruppe von
Nachtschwiirmern am Ufer gebildet,
als ich meinen Halbertrunkenen dort
oblegte. Der Auflan lockte auch zwei
Polizisten herbei, von denen der eine
Imir meinen Paletot übergab, den er
Tauf der Brücke gefunden hatte. Der
siioch immer ohnmächtige Strolch
twurde nach der nächsten Poli eiwache
Ttransportirn wohin ich ihn gleiten
isollte. Dort bat ich, da ichs naß wie
Lein Regenschirm war und unter mei
« nein Paletot vor Kälte mich schüttelte,
lum die Erlaubniß, mich zu Hause
trocknen zu dürfen.
s Der Wach-tmeister, ein altes Rauh
«bein, sah mich bei diesem Verlangen
ron oben bis unten an und versetzte
in brummigem Tone:
»Unmöglich, mein Herr, ganz und
aar unmöglich«
»Aber ich bin der DottorFlorestan.«
»Florestan? kenne ich nicht, und
was kümmert mich FlorestanZ Jch
kenne nur meine Vorschrift; es muß
ein Protokoll über diese Angelegenheit
ausgesetzt und dem Polizei-Kommis
sar vorgelegt werden, der Jhre Erklä
rungen und die dieses Menschen zu
registriren hat.«
»Schön, thun Sie das, aber schnell.«
»Das geht nicht, mein Herrl«
»Warum nicht?« «
»Der HerrPolizeilommissar schläft.«
»Nun aut, so lassen sie ihn von
einem Jhrer Beamten wecken.«
Der Brigadier fuhr langsam über
seinen Schnurrbart, dann sagte er,
verächtlich die Achseln zuckend:
»Diese Verantwortung kann ich
wegen einer solchen Kleinigkeit nicht
auf mich nehmen«
»Ein» solchen Kleinigkeit, Briga
dierZ Ein Taugenichts, den ich eben
dem Tode entrissen, vielleicht einZucht
hätte-let«
»Mein Herr,« fuhr der Brigadier
mit tragischer Geste fort, »hinter die
ser Rettung steckt vielleicht ein Ver
brechen.«
»Es-eigen Sie doch lieber gleich, ich
hätte ihn ermorden wollen«
Meine Kaltbliitigieit ärgerte den
Vertreter der Polizeibehörde
»Aber mein Herr,« ries er heftig,
»das geht mich nichts an, das ist
Sache dec- Polizeikommissar5. Da er
erst um It Uhr hier sein wird, so müs
sen Sie bis dahin warten, übrigens
ist die Zelle ausgezeichnet.«
»Ich danke, ich ziehe mein Bett
vor.«
» »Sie werden dort ganz ungestört
tein.«
»Das ist allerdings ein Trost, aber l
trotzdem ziehe ich es vor, hier zu blei
len; schon vor allem, unt dem Erwa
chen dieses Hallunlen beizuwohnen.«
Ich nahm einen Stuhl und sah den
Beamten zu, die sich um meinen An
aieiser bemühten, der übrigens mehr
von deni genossenen Alkohol, als-Z von
dem Seinetvasser vergiftet war.
»Wie Ihr Euch anstellt, meine Fiini
der, wird der Bursche wohl nie wieder
zu sieh tommen.«
t
Ich erhob mich. ;
»Gestatten Sie, ich bin Arzt und:
werde ihn augenblicklich wieder aufs
die Beine bringen« ;
Ich ergriff nun eine der Hände mei- »
nes Ertruntenen und versetzte ihm
darauf zwei heftige Schläge, daß er er
zitterte und die Augen schnell öffnete.
»Mörder, zu Hilfe, Mörder,« schrie ;
der Mann mit dem rothen Halstuch, E
als er mich erkannte.
,,Ruhe,« rief der Brigadier, wandte
fid) zu mir und fügte hinzu:
»Mein Heck, hören Sie die An- !
klage?« ,
Ich fing an zu lachen.
»Jawohl,« rief der erniichterte
Trunkenbold von Neuem, ,,er hat mich
von der Brücke in die Seine geworfen,
das ist ein YJZörder.«
»Die Sache ist sehr erns,« fuhr der
Vrigadier fort, »und Sie wagten es, !
Herr... Herr Florestan, um href
proviforifche Freiheit zu bitten? or-« ;
wärts, Ihr da, sperrt mal diesen an ’
geblichen Doktor in die Zelle.«
,,Ruhig,« rief ich, «Niemand riihre
first«
l
Jeh steckte die Hand in meine We
stentasehe, nahm zwei Hundertsou5
stücke herang, aab sie meinem Opfer
nnd befahl: »Da, Hallnnke, nun sage
ten Herren hier die volle Wahrheit!«
Der Strolch betrachtete dieGeldstiicls
und saate dann:
»Das sind wahrhaftig zwei ganz
neue und echte Stüan
Dann wandte er sich zu dein Briga
dier und fügte hinzu:
,,Entschnldi·aen Sie, ich habe Unrecht
gehabt, ich bin ein Hallunke . . . der
Angreifer bin ich, das ist die Wahr
heit . » ich hatte Durst, da traf ich den
Herrn, der nebenbei bemerkt, eine tüclx
tige Faust hat, und verlangte einen
kleinen Schnaps von ihm. Doch er
packte mich und schwapp schmeißt er
mich mit der Nase zuerst in die große
Tasse.«
»Und dann hat er dich wieder auf
aefiseht, du Verbrecher-« fragte der
Briaadeir inmilderem Tone.
,,Wahrhaftig!« rief der Strolcli,
»das waren Sie? Dann sind Sie Ja
der reine Neufundländer.« ·
»Na,« sagte ich nun, »ich will ·mi.l) ;
auch gegen Alle liebenswürdig zeigen.
Brigadier, lassen Sie den nachsten f
—
Schankwirth werten, ichspendire einen
Punsch, damit wir die Nacht wenig
stens gemiithlsich hinbringen.«
Um 9 Uhr erschien der Poli Mom
missar; als er mich bemerkte, stieß er
einen Schrei aus und rief:
»Sie hier, Doktor? Das ist ja un
glaublich, was ist Ihnen denn pas
siert?«
Jn einigen Worten erzählte ich ihm
das Abenteuer, er entschuldigte sich
über die schlaflose Nacht, die seine Be
amten mir bereitet hatten und schickte
den unglücklichen Trunkenbold fort, er
solle sich anderswo hängen lassen. Jch
kehrte zum Frühstück nach Hause zu
rück; eg war aber auch die höchstes-zeit,
denn mein Vater wollte eben nachs der
Morgue schicken lassen.
Das war die Erzählung, die der
Doktor den Künstlern des "»Neuen
Theaters« berichtete. Jhr aber, Jhr
Pariser Nachtschwärmer, wenn Euch
jemals aus den Brücken der Doktor
Florestan begegnet, so nehmt Euch in
Acht, besonders wenn Jhr Durst habt.
Reinfte Liebe.
Jch weiß wohl eine Liebe,
So edel, selbstlos rein,
Jhr soll zu Lob und Preise
Mein Lied gewidmet sein! —
,,Und welches ist ihr Name?«
Fragst du, o Menschenkind,
Es ist die »Nächstenliebe,«
So hilfreich, sanft und lind!
Die ganze große Erde «
Umspannt ihr treuer Arm;
Die Trost und Mitleid brauchen,
Nimmt aus sie herzenswarm.
Wo irgend Menschen wohnen,
Da ist ihr Vaterland,
Sie fragt nicht nach der Rasse,
Prüft nicht erst Rang und Stand.
Blindlings sie giebt nach Kräften,
Reicht Labung im Gebet; «
Heil dir, du Gottgesandte,
Heil dir, Humanitätl
Wie keine andere Liebe
Wirlt sie im Krankenhaus,
Geht, -—— Wunden stillend, heilend,
Aufs Schlachtfeld mit hinaus.
Fragt nicht nach Gold und Würden,
Hofft nicht aus Dankeswort;
»Wie Brüder seid und Schwestern!«
Jst Losung ihr und Hort.
Ein Reinfall.
Eine Anetdote von König Leopold
von Belgien und einem Maler erzählt
die »Revue hebdomadaire«: Jn einer
Ausstellung vor zehn Jahren war dem
König ein kleines Bild aufgesallen, das
eine Hammelheerde beim Sonnenunter
gang auf einer Wiese darstellte. Er
ließ den Maler rufen und sagte ihm,
daß er gern das Bild erwerben möchte.
Als nun die Preis-frage behandelt wur
de, meinte der Landschaftsmaler mit
der Miene eines Biedermannes: «C·w.
Majestät werden mir einfach meine
Hammel nach ihrem Fleischwerth be
zahlen 50 Fr. das Thier . ..
Sind Ew. Majestät diese Bedingungen
recht? Der König warf wieder einen
Blick aus die Leinwand und überschlug
in Gedanken: »Es sind 10 bis 12
Schafe - . . . 500 bis 600 Fr. ist wirk
lich nicht theuer für das Bild!« Nach
drei Tagen wurde dieHammelheerde in
das Schloß Laeten gebracht. Man
zählte die Thiere, worauf der Maler
auf einen Haufen kleiner weißerPunkte
im Hintergrunde wies und ernsthaft
sagte: ,,Vergessen Sie die ja nicht! .. .
Es sind wenigstens tausend?« »Aber
ist das nicht Staub?« warf Leopold
verdutzt ein. »Nein, Sire, das sind
Hammel« »Ihr Wort daraus?« »Mein
Ehrenwort.« Und so bezahlte der Kö
nig der Belgier, ohne mit der Wimper
zu zucken, 5l),()0(1) Fr» während das
Bild mit 12()(J)---1400 Fr. reichlich be
zahlt gewesen wäre.
. Pferd besser als Auto.
Ein Farmer von Cambridgeshire
stritt kürzlich mit einem französischen
Chauffeur, der mit seiner Maschine
am Wirthshause hielt, über die Vor
züge von Pferd und Automobil.
»Ich halt’g mit den Pserden,« mein
te der Farmer, ,,mit Euren wandern
den Oeltisten ist mir die Geschichte zu
iicigeivis;.«
»Das ist Vorurtheil,« sagte der
Franzose. »Ihr Engländer geht nicht
mit dem Laufe der Zeit vorwärts; Ihr
werdet noch einmal anders denken.«
»Nicht mit der Zeit vorwärts!?« «
hölmte der Bauer. »Na vielleicht legen
sich die Preußen wieder einmal vor
Paris, da könnt Ihr Euch ans den
Gummireifen Eurer Maschinen Bees
steatg braten. Wenn Jhr Euch dann
die Zähne ausbeisih werdet Ihr Euch
wünschen, dasz Ihr so ,,mit der Zeit
vorwärts« gegangen seid-— Jch bleib
bei meinem Pserde.«
Vielleicht
»Wenn so ein Heuschreckenschtvarni
einfällt, ist der Mensch wehrlos! We
der Wassen noch Feuer nützen etwts!«
»Hm man es schon mit den Autlern
versucht?«
Macht der Gewohnheit
Redakteur (als Reservelieutenant
die Griffe seiner Soldaten kritisi
rend): ,,Alles Papiertorbt«