Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, March 17, 1905, Sweiter Theil., Image 10

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Das Räthfel von Elvershöh.
Roman von Fieinhocd Ertmanw
(6. Fortsetzung)
Käthe hatte von einem ähnlichen Un
Jall erzählt, der sie vor Kurzem bei
einein von Sorrent aus unternomme
nen Ausfluge nach der Fnsel Capri
betreffend und es hatte fast von
selbst ergeben, daß sie im Ans luß
daran über ihren Au enthalt in ta
lien zu sprechen begann und über alle
die Herrlichkeiten, die sie dort gesehen.
Mit Bewunderung lauschte Prosper
ihren Schilderungen, die nicht nur
eine außerordentliche Beweglichkeit des
Geistes, sondern auch weit über das
Durchschnittsmaß hinaus-gehende
Kenntnis-se verriethen. Nie zuvor
glaubte er ein gleich anmuthiges und
liebenswürdiges Geplauder gehört zu
haben, und obwohl et seine ganze
Willenslraft aufbieten mußte, um mit
den geringen Kräften, über die seine
ichwiichliche Konstitution verng te, den
einmal übernommenen Ritterdienst zu
Ende zu führen, hätte er doch ge- "
wünscht, daß der Weg bis zum Gärt- »
nerbause noch viel länger gewesen ’
wärt »
»zu- vag einfache wevaude endlich
vor ihnen auftauchte, blieb Käthe aber
mals stehen. »Das lleine Stück muß
ich nun wohl ohne Jhre Hilfe zurück
legen. Jch möchte nicht, daß die Gärt
nerburfchen sehen, wie freundlich Sie
sich meiner angenommen haben. Es :
wird hier auf Elvershöh selbst über
die harmloseften Dinge soviel geredet, »
und es wäre ein schlechter Lohn für.
Ihre Güte, wenn Jhr Name obendrein
für das Geschwätz der Leute herholten
müßte.«
Prosper hatt-e nie daran gedacht,
daß man seinePerson mit irgend einem
interessanten Abenteuer in Verbindung
bringen könne. Jnfolge der hypochon
drischen Vorstellung, die er selbst von
seiner Kränklichkeil hatte, war er sich
immer wie ein Ausgestoßener vorge
kommen, der weit abseits stand von
allen Freuden der Glücklichen und Ge
sunden. Zum erstenmal durfte er die
Wahrnehmung machen, daß diese me
lanchvlische Auffassung nicht — wie er
bisher geglaubt hatte — auch die aller
anderen war. Und es- rvar nicht bloß
ihörichte Eitelkeit, die feine Brust bei
dieser Wahrnehmung mit einem un
aussprechlichen Glücksgefiihl erfüllte.
Denn die freudige Ueberraschung war
ibm aus dem Munde des holdesten und
liebenswürdigsten Geschöpfes gekom
men, dem er bisher auf feinem freu
bcnarmen Lebensjvege hatte begegnen
diirfenx und daß er nicht auch in ihren
Augen ein armseliger Kranter war,
den schon seine Gebrechlichkeit vor
Cller Nachrede schätzte -—— das weckte in
seinem Herzen eine Reihe von berau
schenden Vorstellungen und Bildern.
Shien doch ihr dankbaren leuchtender
Blick noch viel, viel mehr zu sagen als
ihre Lippen, und jagte doch der warme
Druck ihrer and einen Gluthstrom
durch seine A rn!
»Aber Sie werden mir nicht verbie
ben, daß ich mich morgen nach Ihrem
Zefinden erkundige,« sagte er mit einer
Kühnheit die für ihn selbst etwas bei
nahe Verbliiffendes hatte. Und mit
einem schelmischen Lächeln, das sich
a " m blassen, traurigen Geicht
nug ausnahm, fügte er in
könnte doch sein, daß ich zu
aö sehr Wichtiges mitJhrem
- besprechen wüßte«
Mithe gab ihm das Lächeln zurück,
und er glaubte wahrzunehmen, daß
ihre rosigen Wangen sich dunkler
Ia en.
«Fveili.ch- wenn das der Fall ist,
habe ich selbstverständlich kein Recht,
MS gegen Ihren Besuch einzuwen
«Aus Wiederseherh also, Fräulein
Redlichk«
»Auf Wiedersehen, Herr Baron!
Und noch einmal tausend Dank fiir
Ihre Güte!«
Er blickte ihr nach, wie sie zwischen (
den Blumenbeeien und Glashäusern
oer Gärtnerrvohnung zuschritt, und es
erhob sie als ein bewunderunggwiir
biger Beweis von Selbstiiberwindung s
in seinen Augen nur noch mehr, daß
ihr Gang jeht trotz des schmerzenden
7 ußes leicht, beinahe elastisch war.
»aß sie ihm gegenüber Komödie ge
spielt haben gönn-, kam ihm nicht einen !
Au enblick in den Sinn, ja, er würde !
ers-a rsrheinlich in heftigstem Zorn aus- i
gefahren sein, wenn ein anderer es ges .
wagt hätte, angesichts der überraschend
piöklichen Besserung einen solchen
Argwohn zu äußern. Nein, alles, was "
sie thei, war für ihn nur noch der Be
weis einer neuen Tugend, einer anbe
inngsswiirdigen Eigenschaft wie nur
sie in einein bis dahin unberührten
Herzen ausflammende erste Liebe sie
mit naives Uebersehivenglichieii dein
vergöiierten Wesen anzudichien ver
W
Or wartete, bis sieh die Thür des
»Hm-sei hinter ihr geschlossen hatte,
M es machte ihn ii rgliicklich, daß
M sie von der kleinen Treppe aus
K Inn-at nach jener Richtung zu
se chnui ite, wo sie ihn vermu
ihm mußte · wares nur m lieh,
M er bisher an diesem herr ehen
M hatte vor-übergehen können,
I ihr mehr secchinn zu s nken
der Kommeriuräier · r utter
Idee als einer ver ägde vom Wirth
,MHe! So greifbare nahe war
-
"rl;m das Glück gewesen, daß er nur
sseine Hände danach auszustrecken
Tbrauchte, und doch war er blind und
taub daran vorbeigestreift, oft genug
vielleicht mit einem Herzen voll hoff
nungsloser Verzweiflung und düsterer
Borsätzr. Denn es war viel mehr als
erne bloße Redensart oder als die
flüchtige Eingebung eines Augenblicks
gewesen, wenn et neulich feiner Schwe
sler gegenüber geäußert hatte, es
dünlte ihm jämmerlich und närrisch.
dies armselige Dasein zwecklos weiter
zuschleppem Jn den traurigen Näch
len, da seine tranken, uberreizten Ner
ven ihm nicht eine einzige Viertel
stunde erquickenden Schlummers ver
gonnten, an den dunklen Tagen, wo
der Schmerz mit Geiertrallen in fei
ricm Gehirn wühlte und er die Schat
:en des Wahnsinns bereits um sich
herabsinken zu sehen vermeinte, in der
Einsamkeit seines Zimmers, das nie
ein Besucher betrat, wie in der Gesell
schaft der Starten und Gesunden, wo
er die Last eines siechen Körpers nur
noch schmerzlicher fiihlte ——— immer
waren sie auf’s neue an ihn herange
krochen, die lockenden Selbstmordge
danken. Er hatte sich gern mit ihnen
beschäftigt, hatte sich zu ihnen gefliich
tei, wenn es keine andere Zuflucht
usehr fiir ihn gab, und die Gewißheit,
daß er selber den Termin beftimmenT
werde für- das Ende seiner Leiden,4
trar zuletzt die einzige Quelle gewesen,
aus der er seinen Muth geschöpft.
Nun aber war das alles von ihm
abgethan wie ein häßlicher, vom hellen
Tageslicht bis auf ein blasses Erin
nern ausgelöschter Traum. Das Da
sein erschien ihm plötzlich wonnig und
tebenswerth! Welch ein thörichtes
Verlangen, diesem goldenen Sonnen
schein zu entfliehen, dies-er prangenden
Fülle von Schönheit, Duft und Glanz,
die sich bei jedem Schritt in neuer,
unerschöpflicher Mannigfaltigkeit of
fenbatte! EinSchleier mußte bis heut-:
vor seinen Augen gelegen haben, denn
nie zuvor hatte er die Weit gesehen,
toie er sie heute fah. Höher und
leuchtender wölbte sich der Himmel
iiber seinem Haupte, linder und wei
cher umschmeichelte die würzige Som
merluft seine heißen Wangen, süßer
und lieblicher zwitscherten die tleinen
Bö el in Busch und Baum.
Fa, das Leben war schön, und nir
gends auf der weiten Erde war es
schöner als hier auf Eloershöh. Er
selber nur hatte sich-s verbittert mit
trübseliger Kopfhängerei und tleinli
chem Haß. Mit dem einen tvie mit
Lein anderen war es nun auf immer
vorbei. Er haßte niemanden mehr
auch nicht den gliicilichen, gesunden
Vetter, der doch, genau betrachtet, fo
llutwenig von ihm voraus hatte·
Wenn jener ihn durch fein aninaßen
des, ja brutales Benehmen früher zu
nseilen getränkt hatte —- war das
kenn ein ausreichender Grund, ihm
Zeitlebens zu grollen? Nein, essollte
fortan fiir ihn leinen Mißton mehr
geben in dieser schönen, harmonischen
Welt. Er wollte mit jedermann in
Frieden und Freundschaft leben.
»Was hast Du, Prospek? Deine
Augen liinzen so sonderbar. Jst Dir
etwas ußergewöhnliches be egnet?«
Vor dem Schlößchen tra er mit
Cditha zusammen, die offenbar wil
lens war, ins Hurenhaus zu gehen,
und so ungestüm drückte er ihr die
hand, daß sie ihn befremdet an ah.
Er nickte bedeutsam und lachte leise
in sich hinein. »Etwas ganz Außer-ge
wöhnliches-. Jch bin dahinter getom
men, daß ich bis heute ein Narr gewe
fen bin ——-ein rechter Narr! Aber Du
tarfft niemandem weitererziihlen, daß
ich Dir’s ein estanden habe.«
»Du bist Feltsaun Ja solcher Stim
Fizrng habe ich Dich ja noch nie ge
e en.«
»Will’s wohl lauben. Unter dem
Siegel der Bersegwiegenheit sollst Du
auch erfahren, wie das Wunder e
schah. Ich bin im Walde einer
begegnet mit goldenen Haaren und
smaragdenen Augen. Die hat mich
mit ihrem Zaubers-taki berührt, und da
wurde ich an Ler und Seele gesund.
Eieb acht. Schwesterchen ich werde auf
Deiner Hochzeit zchließtich n der
slotteste von allen anzern sein
Um Edithas Lippen zuckte es, und
die kleine herrifche lte zwis n ihren s
Brauen wurde tie er. »Es oll mich·
—- Deinettvill t« te
IM« Mk sich-« « M si«
Profper war ein wenig betroffen,
denn er hätte fv gern von feinem klei
nen Abenteuer erzählt, under begriff
nicht« womit er die unfreundliche Ab
sertigung verdient haben könne. Aber
sr war viel zu glücklich, als daß Feine
rosige Laune dadurch hätte ernttich
beeinträchtigt werden tönnen, und es
vermochte feine junge Seligkeit auch
Tnicht zu verfcheuchen, als fein Blick
Heim Betreten des fchmucklofen Stu
dirftiibchens auf die halbgeleerten
Arzneifliischchen und Pulverfchachieln
fiel-, deren verhaßtes Dasein ihn fv oft
daran gemahnt hatte, daß ein grau
samei Berhängniß ihn ausgeschlossen
aus der Gemeinschaft der allein zu
Gliicl und Genuß berufenen Gefunyen
Siebentez Kapitel.
Hätte Prasper die Fähigleit befef
len, in Evilhas Seele zu lesen, fp
wiirde er ihre Mitewahrlich nicht als
Laune oder Lieblosigteit empfunden
haben. Sie befand sich seit einer Woche
in einem Zustande der guälendsien
Ungewißheit, dem selbst eine starke
Natur wie die i rige auf die Dauer
unmöglich gen-ach en sein konnte.
I Ein einziges al noch hatte Erik
hallagee aus München geschrieben
» einen kurzen aufgeregten Brief, den sie
kam Morgen des Beisenungstages er
ikyilten und vierund wanzig Stunden
’ lang uneröffnet bei ich getragen hatte,
weil es ihr an Muth gebrach, ihn zu
» lesen. Er wußte nichts von dem Tode
ihres Großvaters und von den Ver ·n
berungem die dadurch auf Elvers "h
xherbeigefiihrt worden waren; denn er
Thatte es ja einzig durch sie erfahren
.tönnen, und sie hatte ihm noch nicht
Egeschrieben Aber er selber hatte ne
ben einer Todtenbahre gesessen, wäh
rend er die hastigen Zeilen hingewor
fen, aus deren jeder seine tiefe Bewe
aung sprach. Wohl hatte er den alten
notwegischen Maler, den er fast wie
einen Vater verehrte, noch lebend an
getroffen, wohl hatte er an ihm die
letzten Liebesdienste erweisen dürfen,
indem er sich drei Tage und Nächte
hindurch mit der greifen Schwester in
die Pflege des Typhuskranken theilte;
aber alle seine Liebe und Opferwillig
keit hatten den Ton nicht aufhalten
sonnen Erit hatte zu seinem Kummer
ncch die fchmerzliche Aufgabe, die ver
zweifelte Schwester zu trösten, die dem
furchtbaren Ereigniß vollkommen fas
snngslos gegenüberstand « «
or schrien das er vie Utchr.weiche
nach einem letzten Wunsche Thormuds «
in heimischer Erde ruhen solle. nach
Not-wegen geleiten werde, und daß er ;
darum nicht vor Ablauf einer Woche
wieder in Eichfelde eintreffen könne.
»Wenn ich minder fröhlich zu Dir
zurückkehre, mein Lieb, als ich mich bei
unserem tetzten trauten Stelldichein
von Dir getrennt habe, so wirst Du
nir darum nicht zürnen· Jch habe so
schwere Stunden durchlebt, und meine
Stimmung ist so trübe, daß ich nicht
einmal einen Abstecher zu meiner ge
liebten Mutter machen werde, wie nahe
mich auch die Erfüllung meiner trau
rian Pflicht ihrem Wohnort dringt.
Einzig von Deiner beglückendrn Ge
sellschofL von dem troftreichen Klang
Deiner süßen Stimme, eittoffe ich Er
tbsung aus dem Bann dieser liihtnen
den Niedergeschlagenheit, die meiner
Natur sonst so fremd ist, und deren
ich umsonst Herr zu werden versuche.
Jst es doch neteii der Trauer um den
aeschiedeneii Freund vor allem die
Trennung von Dir, die fast mit dem
Druck einer körperlichen Krankheit auf
mir lastet. Jch muß wieder den Wald
Von Elvershöh um mich tauschen hören
und dabei ties in Dei ne Augen sehen,
inn zu genesen.«
Das waren die Schlußworteseines
Brieer gewesen, und daraus hatte sie
ihm antworten müssen, da er nie
mehr kommen dürfe, weil sie ihm aus
cxvig verloren sei. Sie hatte sich nicht
b-niiil)t, ihre Handlungsweise Du be
schönigen und eine rührende Geschichte
zu ers-unen, die ihren Truhen-h in
inilderem Lichte erscheinen lassen sollte.
Rückhaltslos hatte sie ihm bekannt,
daß sie die Verlobte eines anderen ge
nesen sei, während sie seine Küsse ge
duldet und erwideit hatte, mit un
barmherziger Offenheit hatte sie ihm
erklärt, daß der sonnige Frühlings
traum zu Ende sein müsse, jetzt, wo
der andere gekommen sei, uni zu for
dern, was ihm kraft seines älteren
Rechtes qebiihre Seiner vollen Ver
achtung hatte sie sich preis egeben, in
Osem sie ihm gestand, das er sich in
der Opfersiihigteit ihrerLiebe getäuscht
tade, daß sie nicht start genu sei. aus
ein Leben voll Glanz und eichthum
und Macht zu verzichten, nur um den
holden Traum nochioeiter zu träumen,
aus dem es früher oder später ja doch
für ihn wie fiir sie ein erniichterndes
Erwachen hätte geben müssen.
Sobald er den Brief gelesen hatte,
würde er sie als eine Unwiirdi e auf -
geben dessen war sie gewiß. A rdasz
ne ihm nicht einmal einer Antwort
ircrth sein sollte daran vermochte sie
nicht zu glauben. Und sie harrte
Stunde uni Stunde auf diese Ant
wori, die noch immer nicht tain, oh
aleich er sich nun schon seit siins Ta en
im Besis ihres Schreibens besin n
mußte. Die vergebliche Erwartung
kostete sie den Schlummer ihrer Nächte.
Sie wich den Begegnungen mit Erwin ;
aus, weil ihr feine Lieber-warte uner- »
triialich waren, so lange der andere sie »
noch nicht ausdrücklich freiaegeben
hatte, und io lange sie in qualvoller
Herzensangft darauf aefafzt fein muß
te, daß er plötzlich leibhaftig vor ihr
ftehe, Um den Treubruch zu rächen.
Als sie auch heute unter den Post
sachrn vergebens nach einer Runde von
Crit aeforfcht hatte, war es ihr zur
Erwifzheit geworden, daß fie diesen
Zustand ohnmiichtigen Wartenö und
Furchtens nicht länger mehr ertragen
tönen. Und sie war zu einem Ent
tchluß gekommen, mit dessen Ausfüh
lruna fie ungesäumt beginnen wollte.
Ihre Mutter war drüben im men
haufe, und Editha wu daß te auch
trrwin um diefeStunde ort antreffen
werde. Es entsprach nur ihren Wün
fri,en, daß sie beide bei einer lebhaften
Erörterun über den Termin der he -
zeit antra , die Erwin trotz feiner ot
betonten Pietiit für den kaum Ent
fchlafenen durchaus noch vor Ablan
des Trauerjahres stattfinden lassen
wollte. Man hatte es bisher vermie
den,’Editha gerade um ihre Meinung
zu befragen; jeht aber be hrte Erwin
;nit Ungestümihre Entf iduna.
»Wir werden ja au alles laute
Fettgepränge verzichten müssen. wenn
wir untere Vermittelung etwa fchan
mit dem Eintritt des Winters feiern.«
fügte er seiner Bitte hinzu, »aber was
bedeutet diese ringfrigige Cntsagung
neben dem Gl« et, da wir uns endlich
aanz angehören diir en. Zu fröhlichen
Festen giebt es ja auch später noch
Gelegenheit genug, und meine junge
Frau soll an meiner Seite über Man
gel an Zerstreuung wahrhaftig nicht
I tlagen dürfen.«
»Ich lege kein Gewicht aus eine rau
schende Hochzeitsfeier,« erwiderte Edi
tha ruhig. »Aber wir werden das
Mkßfällige Urtheil der Welt heraus
sordern, wenn wir nicht einmal den
Ablauf des Traueriahres abwarten.
Willst Du es daraus ankommen lassen,
so sollten wir wenigstens jetzt behut
sam alles vermeiden, was den Leuten
tcjjtosts zu überslüssigem Gerede geben
onn e."
Die Zustimmung, die er aus ihren
Worten heraushörte, machte Erwin
glücklich. »Natürlich müssen wir das,"
tiefer eifrig. »Ich wüßte zwar nicht,
wie wir unser Verhalten noch vorsich
tiger einzurichten vermö ten; aber
irenn Du der Meinung bi t, daß wir
es in irgend etwas versehen haben—«
»Ja. Jch halte es nicht für richtig,
als Deine Braut hier auf Elvershdh
Izu bleiben. Es giebt ohne Zweifel
« Leute, die daran Anstoß nehmen, und
ich möchte gerade für diejenigen, die
unser Vertöbnisz ohnedies nicht mit
freundlichen Augen ansehen, nicht gern
einen Gegenstand hämischer Betrach
tungen abgeben.«
Auf eine solche Erklärung war Er
win nicht vorbereitet, und es ließ sich
von seinem Gesicht lesen, wie unange
nehm sie ihn überraschte.
»Aber ist es denn nicht genug, daß
Du Dich hier unter dem Schutze Dei
ner Mutter befindest? Hältft Du es
im Ernst für dentbar, daß irgend je
mand wagen könne —"
»Für boshafte Klatschsucht ist tein
Wagniß ungeheuerlich Und der Ge
tante an die bloße Möglichkeit reicht
icdenfalls hin, mich zu beunruhi en.
Ich möchte Elvershöh auf einige Zeit
vtrlassem so bald als möglich, am
liebsten schon morgen oder übermor
gin.«
»Das ist eine sehr unerfreuliche
Neuigkeit,'« meinte er betrübt. »Wie
ade müßte es hier für mich werden
ohne Dich! Und zu solcher Ueber-stür
iung wenigstens. haben wir doch wohl
feinen Grund. Man müßte doch auch
erst über die Wahl eine-J passenden
Aufenthalts ins Reine tommen.«
»O, was das anbetrifit,« mischte
sich Frau v. Linderode, die insgeheim
nor Angst zitterte, dafz sie von der in
Aussicht stehenden Vergnügungåreise
unter irgend einem Vorwandc ausge
schlossen werden tiinne, in das Ge
spräch, »so wäre die Auswahl jetzt in i
der guten Jahreszeit wohl nicht allzu ;
schwer-. Wir tönntstn ja zunächst nach ?
Baden-Baden oder nach Hdmburg l
gehen, und nichts würde Dich hindern, .
lieber Erwin, uns recht häufig dort zu ;
besuchen. Daß der jetzige Zustand j
sucht ganz angemessen i t, hat auch mir
iiu stillen schon manche -orge bereitet.«
Da er sah, dasz er bei weiteren Ein
wendungen beide Damen gegen sich
hsben werde, und da er namentlich
zeine Tante hinlänglich tannte, um zu
wissen, daß sie sich jetzt unter leinen
Umständen mehr um die erhosfte Zer
streuung würde bringen lassen, gab(
Erwin seufzend allen weiteren Wider .
sprach aus. Frau v. Linderode strahlte »
vor Freude und bemächtigte sich mit !
einein wahren Feuereifer der neuen
Idee. Vor allem besann sie sich fo- z
gleich, daß weder ihre Toiletten noch .
dreienigen ihrer Tochter für den Be- «
Tuch eines eleganten Badeortes aus
reichend seien. Auch in die eintönige
Farbe der Trauer erklärte sie. tönne
man sich mit Schick und Geschmack
tleiden, und da die Modiftin·«aus der
Kreisstadt für beides leider nur sehr
geringes Verständnis zu besitzen
scheine, werde wohl nichts anderes
isbrig bleiben, als einige Kostiime aus
Berlin kommen zu lassen. So sehr
lag ihr diese wichtige Angelegenheit
am herzur, daß sie nach eingen Minu
ten aufgeregt das Zimmer verließ. um
unverzüglich die nöthigen Bestellungen
tu bewirken. «
»Wir müssen meiner Mutter ihre
ileinen Schwächen wobl zu gute hal
ten," sagte Editha mit einem gering
schätzigen Achselzucken »Es ist die
lange Entbehrung, die sich jetzt auf
folche Weise rächt. Natürlich werden
wir weder nach Homburg noch nach
Baden-Baden gehen, sondern in ir
gend eine ruhige, wenig besuchte Som
merfrifche, wo wir ganz still und zu
rückgezogen leben lönnen.«
»Und muß es denn wirklich fein.
liebste Editha? Offen gestanden, hege
ich in einem Winkel meines Herzens
roch immer die Hoffnung, es werde
T sich irgend ein anderer, für mich weni
fier betrübender Ausweg finden laf
en.«
»Ich wüßte leinen. Und außerdem
sehne ich mich wirklich fort.«
«Wie?« fragteer betroffen· »Fortm
von mir? Und von der Scho e, auf
ter Du doch Dein anzes tünftigeö
Leben zubringen folltjizW
»Deshalb gerade möchte ich sie auf
eine Weile verlassen. ch werde dann
okelleicht schneller die atalen Erinne
rungen los werden, die für mich mit
tiefer meiner zweiten heimat vorder
band leider noch verknüpft sin . Uebri
aenö, da wir einmal auf dies Thema
gekommen find —- wann wird der neue
Förfter hier eintreffen?«
Erwin drehte verle en an feinem
blonden Schwert-ein« dithas Frage
war ihm offenbar nicht fehr bequem.
»Tai-be Fabian noch nicht getün
diat. r Mann ftand bei dem Groß
vater in besonderer Gunst, und auch
ich halte ihn für gewissenhaft and tüch
txh Liegt Dir nn fo viel an feiner
Masan
«Jch empfinde seine Anwesenheit
nie eine persönliche Kränkung Aber
wenn Dir die Pietiit gegen den Groß
vater höher steht als die Rücksicht aus
meine Wünsche —«
»Nicht doch,« lenkte et artig ein. »Du
hast mein Berspr n, und das werde
ich unter allen Um tänden halten. Nur
hin ich, ehrlich gesa t, um einen Vor
wand siir die Entla ung des Försters
verlegen.«
»Bedarsst Du Deinem Angestellten
gegenüber erst eines VorwandeSZ Und
ist die Thatsache, daß ihn hier «eder
mann als einen Mörder verab cheut,
nichtGrund genug, ihn wegzuschicke11?«
»Vergieb, wenn ich gerade in diesem
Punkte Deine Auffassung nicht zu der
meinigen machen tann. Oh es hier
Leute giebt, die Fabian trotz seiner
Freisprechung für einen Verbrecher
halten, weiß ich nicht. Jch aber habe
dazu die qeringste Veranlassung; ob
sich nun die Erschießung des Wild
diebes hätte vermeiden lassen oder
nicht, jedenfalls dars ich nicht verges
sen, daß es unser Eigenthum war, bei
vessen Vertheidigung Fabian jenen
verhängnißvollen Schuß abgegeben
hat. Wenn ich den Mann jetzt ohne
seien einleuchtenden Grund brodlos
MADE- so werde ich bei den Außen
stehenden schwerlich dem Verdacht einer
schnöden llndantbarieit entered-ein«
i
l
l
»Allerdings ein schrecklicher Ge
danke! «Danehen will es in der That
wenig bedeuten, daß mich der Anblick
Les unheimlichen Gesellen jedesmal
aufs Neue beunruhigt und erschreckt.
Ich brauche ja auch am Ende künftig
nur aus meine Proinenaden und Spa- «
zierritte zu verzichten.«
»Das sollst Du gewiß nicht, Editha!
Alles, was ich von Dir erbitte, ist. daß
Tu mit der Kündigung Zeit iehst, bis
ich einen anderen geeigneten osten sür
Fabian gesunden habe. Jch tönnte ihn
sreilich schon jetzt bei einem meiner
ehemaligen Negimentstameraden un
terhringen, der einen Förster sür seine
Waldungen in Litauen sucht. Ader es
tväre hinsichtlich des Einkommens sür
Fabian teine Verbesserung, und das
Leben in der wilden Einsamkeit jener
Gegend bedeutet außerdem geradezu
eine Verbannung aus der zivilifirten
Welt. Jch zweisle nicht, daß er ein so
wenig verlockendes Anerbieten ableh
nen würde.«
,·Thäte er’s, so hätte er jedenfalls
dag Recht verwirkl, Dich des Undanks
anzutlagen Läßt Dein Gewissen Dir
aber gar teine Ruhe-, so kannst Du
ihm ja seine Heldenthat gegen den un
glücklich-en Wilderer durch ein nach
trägliches Geldgeschent lohnen. Mit
einigen Kassenscheinen lassen sich die
Leute dieses Schlages noch über ganz
andere Dinge trösten als über einen
Wechsel ihrer Stellung.«
Ihre wachsende Crregung setzte Er
!—-in mehr und mehr in Staunen. »Du
beurtheilst den Mann zu hart, Edi
tha,« suchte er zu beschwichtigen »Ich
cis-be ja zu, daß fein Aeuszeres nicht
ionderlich sympathisch ist« und aug
mir wöre es lieber, er hätte sich na
der satalen Geschichte mit dem erschaf
senen Arbeiter einen anderen Wir
tungstreis gesucht. Da er« aber mit
seinem stillen, menschensetxeuen Wesen
niemandem zu nahe tritt, und da Du
mit der Absicht umgehst, Elverghöh auf
einige Zeit zu verlassen —·«
»So hältst Du es nicht erst sür nö
thig, mir diesen kleinen Beweis liebe
voller Rücksichtnahme zu gehen. Ich
tann also nur bedauern, Dich über
haupt darum geketen zu haben. Laß
uns nicht weiter davon reden-«
Sie warf mit einer stolzen Bewe
gung den Kopf zurück und stand aus,
um sich Ei entfernen. Gan-; erschrocken
Ertrat r junge Guts-here ihr den
«- eg.
»Das ist ein Mißverständniß, mein
Liebling! Ich hätte nicht die erin sie
Einwendung gemacht, wenn i gea nt
hätte, daß Du die Sache so tragisch
nimmst. Natürlich werde ich die An
gele enheit noch heute ordnen. Du
sollt wahrlich nicht länger an meiner
Bereitwilligkeit zweifeln, jeden Deiner
Wünsche zu ersiillen.«
Sie wandte sich ihm zu, und ein
sliichtiges Lächeln glitt über ihr kaltes
Gesicht. »Und in der Stille Deine-s
Herzchens hältst Du mich dabei natür
lich für schrecklich launenhast und ei
gensinnig, nicht wahr?«
Sie sah in diesem Augenblick wieder
so bezaubernd aus, daß seine einzige
Antwort darin bestand, sie stürmisch
isii seine Brust zu ziehen und mit tei
denschastlichein Ungestüm ihren stolzen
Mund zu tiissen.
Mit geschlossenen Augen duldete
tfditha ein paar Selunden lang die
Lieblosungen, dann fragte sie leise, in
lem sie sich sanst aus seinen Atmen
befreite: »Und Du sorgst dafür, daß
Fabian sort ist, noch ehe wir unsere
Reise antreten? Später —nach un
serer Hochzeit —— werde ich Dir erzäh
len, warum mir so viel daran lag.'« s
Die blo e Erwähnung jenes be- s
glückenden ages, nach deni er sich mit
so heißer anrunst segne, reichte hin,
auch das letzte kleine edenten in sei
nem Gewissen zu erstiaen.
»Als-) es steckt noch etwas anderes
t hinter?« scherzte er. »Jrgend ein
ttt chterliches Geheimniszi Ja, Liebste,
warum hast Du niir das nicht gleich
aesagtt Der Mann hatte dann natür
lich längst aussetzt-en Dich durch seine
Reihe zu beunruhigem Noch ute soll
er daran geben« seine Siebe achen zu
packen, ob er sich nun entschliesz den
Posten anzunehmen oder nicht.
»Ich danke Ditt« slitsterte sie bei
nahe zärtlich. »Und nun laß mich sort.
Meien Mutter wäre sonst tin Stande,
eine ganze Wagenladung von Trauer
tqstitinen zu verschreiben.« ;
»Mag sie doch!« rtes der junge Ma
ioratsherr übermütbig, indem er Edi
Ikha den Arm reichte, Um sie zu geleiten
Nachher fchicketßwir das ug an ir
gend einen WohlthätigkeissBereia
zur Vertheilung an arme Witwen.
Denn hier auf Elvershöh wird sickk
wie ich hoffe, nicht sobald ein Anla
zu neuer Trauer finden.«
Der Ausgang ihres Gespräches
hatte ihn in die glücklichste Laune ver
setzt, und auch Editha athmete freier,
ietzt, da es ihr endlich gelungen war,
den gefährlichen Menschen zu entfer
nen, den sie haßte und fürchtete, seit
dem er am Ufer des Waldsees ein
Zeuaei Mes- heimlichen Treubruchs ge
worden war.
AchtesKapiteL
Nur wenige Stunden hatte es Pro
sder Oder Stille seines Zimmers ge
s duldet. DieBücher, die so oft sein Trost
Hund seine Zuflucht gewesen waren,
vermochten ihn heute nicht zu fesseln
und die fröhliche Unruhe seines Her
zens trieb ihn von einer Beschäftigun
zur anderen, ohne daß er darüber aus
tiur minuienlang das holde Abenteuer
dieses Mor ·enö hätte vergessen können.
Von dem ittagessen, das ihm auf
sein Zimmer gebracht wurde, aß er,
wie immer, nur sehr weni ; aber er
trank ganz gegen seine ähwohnheit
mehrere Gläser Wein, und der feurige
Rebensaft steigerte das beglückende
Gefühl von Kraft und Gesundheit,
das seit der Begegnung mit Käthe
über ihn gekommen war.
Als die Nachmittagssonne ihre gol
digen Strahlen in breiten Strömen
über feinen Schreibtisch goß, litt es
ihn nicht länger in den engen vier
Wänden. Er drückte den Strohhut arg
das dunkellockige Haar, und ohnesi
wie sonstdurch Halstuch und Ueber
rock vorsorglich gegen die zu erwar
tende Abendtühle zu schützen, eilte er
in den Pakt hinaus.
Es war nicht seine Absicht gewesen«
nach dem Gärtnerhause hiiiüberzu
gehen, aber jenes wundersam-süße
Verlangen, das seine Brust so weit
und sein Herz so froh machte, trieb
ihm wieder und wieder nach dieser
liiichtiing hin, wie oft er auch aus hal
tein Wege innehalten und zagend um
tehren mochte. Nun sah er die Fen
sler der Treibhäuser wie eitel Silber
vor sich ai:sblicken. und ehe er noch
wußte, wie es geschehen war, wanderte
er zwischen ihnen dahin, dein freund
lickien kleinen Hause zu. Er wollte
nur in einiger Entfernung daran vor
übergehen, beglückt durch die-Hoffnung,
von deni geliebten Wesen wahrgenom
men zu werden; aber als er jetzt eine
der dicht bewachsenen Geisblattlauben
vassirte, die neben den langgestreckten
Plumenbeeten standen, durchzuckte es
ihn mit unnennbar wohligemSchrecken,
denn eine wohlbekannte weiche Mäd
chenstimme hatte ihn halblaut mit
sreundlichem Gruße angerufen.
tFortsehung solgtl)
-.---..
Faserstosse.
Die Wissenschaft von den Faserstof
sen wird in einein umfangreichen
Wert von Dr. Mathews mit einer
Gründlichteit behandelt, wie sie bisher
kautn in einer solchen Zusammen as
sung geboten worden ist. Das uch
hat den besonderen Zweck, den Stu
denten und den Industriellen dasStus
dium der Gewebefasern zu erleichtern.
Zunächst werden sämmtliche Fasers
stofse in Klassen eingetheilt und dann
diejenigen einzeln beschrieben, die zur
Fabrikation benutzt werden. Die von
den Thieren herrührenden Fasern wie
Wolle, Haare und Seide tbnnen sich
mit einer verhältnißniäszig kurzen Be
schreibung begnügen, tveil sie treni er
zahlreich und auch sonst schon ost -
iyandelt worden sind. Von Pflanzen
sasern ist dagegen eine schier unabseh
bare Fülle vorhanden, und hier ist
eine tlare und zuverlässige Beschrei
vung besonders werthvoll.
Namentlich werden der Ursprun ,
die Spielarten, die physitalischen un
chemischen Eigens sten der Baum
wolle in einer gro sn Reihe von Ca
piteln behandelt. Dann folgen Schil
derungen der Leinenfasern, weiterhin
der Jute, Rainier, des Hans und an
terer Faserstosse von geringerer Wi -
iigteit. Ein eigenartiges ntere e
tann die Abhandlung über nstliche
Seide beanspruchen, zu deren Her tel
lung jetzt s on vier verschiedene er
fahren zur « ersiigung stehen. Danach
sind die Arten der künstlichen Seide
solgende:
Pyroxylinseide aus einer Lösung
:on Schießbaumwolle in einer Mi
schung von Altohol und Aether; Fo
sern aus einer Lösung von Cellulose
in amtnoniatalischem Kupferoxyd und
Chlorzinl; viscose Seide aus einer
Lösung von Cellulose - Thiocarbonatx
Gelatinseide aus Gelntinesosern, die
durch Behandlung mit Formoldehnd
unlöslich gemacht worden sind. Es
wird ausdrücklich hervorgeht-dem daß
tie titnstliche Seide bereits ein hon
Lelsortitel geworden ist und schon in
beträchtlichen Mengen - verarbeitet
wird. Weimus die größte praktische
Wichtigkeit hat die Pyroxylinseide ge
wonnen, die in Deutschland, England,
Frankreich und in der Schweiz herge
stellt wird. Die Fasern werden gebil
det durch Pressu des in Aether und
Altohol gelösten yroxylin durch sei
ne Glasrohren Da die Lösun sehr
säh ist, so ist ein Druck von 45 into
sphiiren erforderlich, um sie durch die
seinen hohlräume der Glasröhren
hindurch zu pressen. —
Man hat kürzlich gesunden, daß
auch die Insekten eine groxe Vorliebe
sur den Alcohol haben. omit hat
sich sitt die Temperenzbestrebungen
un neues und gewiß recht dankbares
Feld erössnet -—