Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, March 10, 1905, Sweiter Theil., Image 10

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    Das Räthsel von Elvershijh.
Roman von Reinhokd Ertmanw
(5. FortseyungJ
Sie betrafen das Schlug in dessen
Vorhalle ein Theil der ienetschaftz
und der Beamten den neuen Majo- ;
kais-beten erwartete Erwin begnügte
sich, einige ernste Worte, die dem An- .
denken seines verstorbenen- Grofzvnters T
galten, an die Leute zu richten, dann
bot er Edithn mit einer gewissen
Feierlichkeit den Arm nnd führte sie ;
in die Wohngcmächer, in denen er,s
wie sie ihm gesagt hatt-e, ihre Mutter
finden würd-e. H
Frau v. Linderode war nicht allein. ;
Außer ihrem Sohn leistete ihr auch der j
Pfarrer von Eichfelde wieder Gesell- !
schnit, und ihre vermeinten Augen be
wiesen, daß sie des tröstenden Zu-·
spruchs in der That noch seht bedürf- 1
iig wur. I
Mit stummem Gruße gegen die bei- I
den anderen trat Erwin, ohne den 2
Edithas freizugebem vor sie hin !
d fiihrie ihre unter heftigemSchluch- l
sen barg-reichte Hand an seine Lippen
»Ein schwerer Schicksalsschlag hat »
uns betroffen, tbeuerstr Tantel Das
wir nicht die We hatten, ihnabzu
wenden, müssen wir ibn mit Ergebung «
tragen. Wohl sollten diese Augenblicke
einzia unserem Schmerz um den Ent
schlafenen gehören, aber das Leben
macht auch inmitten der iiefsienTtauer
seine Rechte geliend Und weil ich
nach Lage der Dinge annehmen darf,
daß Du inzwischen von unserem Her
zensbunde unterrichtet worden bisi.
erbitte ich vor allem andern für Edi
tba und mich Deinen mütterlichen
Segen« A
Unter vermehrt-en Thronenergietz
ringen warf sich Frau v. Linderode,
noch ehe er ganz ausgesprochen, an
seine Brust. »O meine Kinder —
nieine geliebt-en Kinder! Der Himmel
lasse Euch glücklich werden!« »
Das war alle-Z, wag sie in ihrer
iibernroßen Rührung herausbringen j
konnte.
Editha aber stand starr wie eine;
Statue, mit marmorweißem Gesicht
und festgeschlossenen Lippen. Aus i
nichts war sie so wenig vorbereitet !
gewesen als aus diese seltsame Wer- ?
bang, die ohne Zweifel seine-eigent- I
, liche Antwort sein sollte aus das groß- l
müthiae Anerbieten. das sie ihm so- z
eben unten im Pakt gemacht. Er war F
mit seiner kurzen Rede schon zu Ende «
gewesen, noch ehe sie seine Absicht be- j
griffen hatte, und nun war das heim- i
Eiche Verlöbniß mit einem Schlage zu «
- einem öffentlichen geworden.
Sie duldete die Umarmung ihrer ;
Mutter mit jener beleidigenden Kälte, :
die sie den Zärtlichkeiten der Frau v. s
Linderode schon als Kind entgegenzu- H
setzen pflegte, nnd sre neigte kaum
merklich den schönen Kopf. als nun »
auch der Geistliche herzutrot. um mit
ernsten Worten seinen Glückwunschj
anzubringen Vielleicht sann sie eben
über eine recht hochmüthige und ver
letzende Erwiderung nach, als Erwin
in der liebenswürdigen Weise, die den
sympathischsten Zug in seinem Wesen
ausmachte, den alten Herrn unter
brach. -
»Ich danke Ihnen, Herr Pfarrer.
und ich bin überzeugt, daß Sie als
roettersahrener Mann wie als Freund
meines Hauses die Gründe verstehen
werden, die mich bestimmten, unser
Berlöbniß gerade in diesem Augenblick ;
öffentlich tun-d zu thun. Jch sage»
«iifserrtlich'«, denn Jhre verehrte Per- «
son repräsentirt-sitt mich gegenwärtig :
die Qessentlichteit, und ich ermächtige ;
Sie nicht nur, sondern ich bitte Sie
sogar, von dem, wasSie soeben gehört ;
nnd gesehen haben, unseren Gulsleu- ]
ten und Ihren sonstigen Psarrlindern ·
en geeigneter Form Mittheilung zuj
stehen« Es muß mir daran gelegen I
W daß stock die Stellung mein-J
sum-Wen und meiner lieben Braut
von vornherein für niemanden
Mk weiche Untlarheit bestellt, und
— Ia ich nicht von dem Katasalt meines
Großvaters ans die An ige unserer
Verlobung in die Welt chicken kann,
» nach-e ich um so zuversirhtlicher aus
W äygtung für die Erreichung
-. s« e .·'
Ver Pfarrer berbeugte sich zustim
nrend nnd empfahl sich zugleich, weil
( sei-like Umlsgeschiiste ihn von hinnen
« rr n.
Erst als er das Zimmer verlas-,
fen hatte, ging auch Prosper mit dii i
stetem Gesicht auf seinen Vetter zu
»Ich gratulire Dir, ErwinS Und ichi
wünsche, daß meine Schwester an Dei- E
net Seite iv glücklich werd-en möge, s
Æ es erboste " «
aö an mir liegt diesen Wunsch
. zu erfüllen, wird sicherlich geschehen. «
Die Erwiderung war kühl gewesen I
wie die Armee Sie reichten sich;
webt die Hände, aber sie zogen sie
beinahe zu gieicher Zeit wieder zurück s
Die feierliche Stimmung des bedeut
W Augenblicks hatte die Kluft
sticht Ubert-rücken können, die sie vonl
einander trennte und na dem Pia-l
- spet sich mit schwerer Sei win- -
, Imm- det teuren Höflichkeitspflichti
Kett-di t zögerte er nicht länger, sich
n (
G meine Du hättest ihn wohl
ettse etwas herzlickpere Antwort geben
— «fa9te Editha heil-. »Er liebt !
sich zärtlich mev fürchtet, mich jetzt
cui immer zu verlierenck ·
I
Erwin machte eine ungeduldige Be
wegung mit den Schultern; aber es
klang doch vollkommen Wlich und
rücksichtsvoll, als er entgegnete: »Sein
brüderlicher Egoismng kann sich doch
wohl unmöglich bis zu der Erwar
tung verstiegen haben, daß Du ihm
Juliebe anvermählt bleiben werdest.
Außerdem ist es gewiß nicht meine
Absicht, Dich von ihm zu trennen.
Wenn Du ihm als meine Braut oder
als meine Gattin weniger giltst wie
bisher-, so kann ich das wohl bedau
ern, aber ich sehe nicht« wie ich es zu
ändern vermöchte.«
»Ich bitte Dich von Herzen, lieber
Gewin. ihm seine Launen und unlie
benswiirdigen Schrullen nicht nach
zutragen,« fiel Frau v. Linderode
eifrig ein. »Wir müssen uns zu sei
ner Entschuldigung daran erinnern,
daß er reizbat und gallig ist wie alle
lränllichen Menschen«
»Ich bin auch weit entfernt, ihm
zu zürnen,« versicherte Gewin, »und
ich hosse sogar, daß es mir schließlich
doch gelingen wird, seine Abneigung
gegen mich zu besiegen.«
»Wie gut und liebenswürdig Du
bist! Ja, nun kann ich beruhigt ster
ben. denn ich weiß, daß meer Kind
nirgend besser aufgehoben sein konnte
als unter Deinem Schuhe«
»Du wirst die Güte haben, mich
auf einige Zeit zu entschuldigen, Er
win,« unterbrach Editha den neuen
Gefühlsausbtuch ihrer Mutter. »Ich
sehe Dich wohl noch später drüben in
unserer Wohnung.«
Sie lehnte seine zuvortonimend
angebotene Begleitung ab, und er ber
abschiedete sich von ihr mit einem
Handtuß, da ihm weitergehende Zärt
lichteiten in der Trauerstimmung, die
gegenwärtig aus Schloß Elvershöh
lastete, als nicht schicklich erschienen.
Auf dem halben Wege zum Schlöß
chen holte Editha ihren Bruder ein.
Aber die Begegnung war ihm offen
bar nicht erwünscht, denn seine Stirn
blieb finster umtoöltt, und er vermied
es, die Schwester anzusehen, während
sie Seite an Seite weitergingen.
»Ich hoffe, man wird die Beisetzung
nicht zu lange hinausschieben,« sagte
er, nachdem sie beide eine Zeit lang
eschwiegen. »Jeder Tag, den ich noch
Bier auf Elvershöh zubringen muß,
bedeutet für mich einen Tag der Qual.
Jch wollte wahrhaftig daß ich noch
vor des Großvaters Tode abgereist
wäre. »
»Du wirst auch nach seiner Bei
setzung nicht abreisen wie ich hoffe. !
Es könnte sich leicht genug ereignen,
daß ich Deiner bedarf, und es wiire
wenig brüderlich gehandelt wenn Du
mktr Deinen Beistand versagen woll- ,
te .«
»Meinen Beistand?« wiederholte
er mit einem bitteren Auslachen. »Das
ist doch wohl nicht Dein Ernst. Hast;
Du nicht jetzt einen mächtigen Be
schützer in Deinem Verlobten, der zu(
diesem Amte doch wohl besser geeig
net ift als ich, und wirst Du nicht
binnen kurzem hier unumschräntte
Gebieterin sein? Gegen wen solltest
Du da noch des Schutzes bedürfen?«
Sie legte ihre Hand aus feinen
Arm nnd zwang ihn dadurch, die dü
steren Augen-zu ihrem Gesicht zu er
heben. »Vielleicht gegen mich jelbtt,
Prospert Und dan
nicht Gebieterin auf Eloershöh Jch
glaube es Dir gern, daß Du mir ein
Opfer bringst, wenn Du bleibst. Aber
ich zweisle trotzdem nicht, daß Du
es thun wirft. Ich muß jetzt einen
Menschen haben, dem ich vertrauen
und aus den ich im Fall der Nothl
l
rechnen kann. Wo aber sollte ich ihn
finden, wenn Du mich oerließest?«
»Und das ist alles, was Du mir
offenbaren kann-M Mit diesen An
deutungen, die mich nur beunruhigen, i
.statt mich aufzuklären, soll ich mich j
oegniigeu?« . f -
»Qlllllc Mich UlOL Dir Nicht zu
sagen, ProsperL Vieaeicht ift die
Stunde nicht mehr fern, wo ich Dir
aus freien Stücken alles mittheilen
werde. Bis dahin mußt Du Geduld
mit mir haben, auch wenn Dir mein
Benehmen seltsam und rätdselhaft er
scheint. Und Du mußt mir verspre
chen, zu bleiben.«
s« »Wie dürfte ich versprechen, was ich
vielleicht nur auf Kosten meiner Ehre
nnd meiner Selbstachtung halten
könnte? Du kennst mein Verhältniß zu
Erwin. Es war unleidlich, so lange
wir uns als Gleichberechtigte gegen
überstanden -— wie könnte ich es jetzt
erträglicher finden, wo sich die Ver
hältnisse so gewaltig M feinen Gun
sten verändert haben? uß ich es nicht
als eine Herabwiirdi ung empfinden,
gewissermaßen von einer Gnade zu
leben? So lange wir das Almosen
dieser Gastfrenndschaft aus den Hän
den des Großvaters empfingen, konnte
ich es allenfalls annehmen, Hi aber
bedrückt ei mich wie das Bewußtsein
einer Seh-mein'
»Das ist eine übertriebene Em
pfindlichlei-t, Prospek! Und snoch ken
nen wir ja nicht einmal den . nhalt
des Testamtö. Trotz seiner berei
suns gegen uns kann uns der Guis
vater reicher bedacht haben, als wir
es vermuthen- Er wird schließli
doch nicht gan Cz vergessen haben, da
er Dir die Schersiellung eines ftans
desgerniißen Unterhalts schon des
halb schuldig war, weil Du der Ma
joratöerbe bist, so lange Erwin b. Lin
derode keine männlichen Nachlomrnen
hat.«
I Prosper schiittelte den Kopf, wäh
rend es herb unt seine Lippen zuckte.
»Solchee Erwägungen anzustellen. hat
te er wohl kaum einen Grund. Er
win ist kerngesund und tann achtzig
Jahre alt werden, während ich —«
»Du hast nicht seine kräftige Na
tur« aber Du kannst ihn nichtsdestowe
Iniger überleben. Wäre ich an Deiner
sStellq ich würde die Möglichteit einer
Isolchen Fiigung bei der Gestaltung
meines ferneren Lebens nicht ganz
außer Betracht lassen. «
»Als wenn ich es überhaupt in der
!«Hand hätte, mein ferneres Leben nach
Meinem Gefallen zu gestalten! Jch
« habe weder einen Beruf noch die Kraft,
mich durch angestrenate Arbeit zu ir
gend einem Berufe tauglich zu ma
chen. Meine Gebrechlichkeit ließe mich
Jsichetlich überall schon beim ersten An
Jlauf stürzen. Daß ich dies armselige
Dasein überhaupt noch weiterschleppe.
’tvill mir zuweilen als die jämmerlich
ste Narrheit erscheinen« «
»Und Du glaubst, daß ich Dich
fortlassen werbe, jetzt wo ich weiß,
daß solche Gedanken in Deinem
Kopfe umgehenT Nein, Prosper jetzt
verlange ich nicht nur meinetwegen,
sondern auch urn Deinetwillen das
feierliche Versprechen, daß Du bleibst.
An dern Tage, wo Deine Mannesehre
es Dir in Wahrheit verbieten würde,
die Gastfreundschaft von Elbershöh
langer in Anspruch zu nehmen, an dem
Tage, das gelobe ich Dir mit Wort
und Handschlag ginge ich mit Dir.«
»Du? Die BrBaut des Majorats
herrn?«
»Ich würde treder die Braut noch
die Gattin eines Mannez bleiben, der
Dich beleidigt.«
»Editha, meine treue, «herrliche
Scknvester!« tief er mit halberstickter
Stimme. Und ehe sie es hindern
konnte, küßte er mit leidenschaftlicher
Jnhrunst ihre Hände. »Ja, ich bleibe
so lange Du meiner bedarfst. Und
was auch immer Dich bedrohen mag
—--s ich stehe zu Tir. Ich verlasse Dich
nicht«
,,Und Du wirst Dich mir zu liebe
zwingen, Erwin freundlich zu begeg
nen, nicht wahr? Ich glaube. daß
er die beste Absicht hat, in Frieden
mit Dir zu leben. Auch wenn es
Dir nicht gelingt, Deinen alten Groll
gegen ihn zu überwinden. solltest Du
ihn wenigstens nicht offen äußern, so
lange er Dir leinen Anlaß dazu
giebt.'
»Ich werde es versuchen und werde
Erwin aus dein Wege gehen, roo es
möglich ist. Ach. Editha, daß Du
Dich ihm verloben mußtest, gerade
ihm!«
»Still! Es ist zwecklos und grau
sam, mich darüber jetzt mit Vorwür
sen zu quälen. Und nun laß mich
ein-e Weile allein. Jch habe einige
dringende Briese zu fchreiben.«
Sie setzte sich bald nachher wirklich
an den Schreibtisch, aber der Brief
an Erit Hallager tam nicht zu Stan
de, obwohl sie ihn drei oder vier Mal
von Neuem begann.
«Nein!« sagte sie endlich. die Feder
trotzig bei Seite werfend. »Heute nicht
—- heute noch nicht!«
Sechstes Kapitel.
Die Beisetzungsfeierlichteiten aus
Elvershöh waren vorüber. Unter der
Theilnahme einer vornehmen und
zahlreichen Trauerversammlung wa
ren die sterblichen Reste des Barons
Werner v. Linderode in das Mai-so
leum gebracht worden, darinnen
schon eine stattliche Zahl seiner Bor
sahren ausruhte von den Freuden und
Leiden ihres irdischen Wandern-L
Auch die letzten Gäste, denen man
als Angehörigen der Familie oder als
näheren Freunden sür einige Tage
in den Fremdenzimmern des Schlos
ses Quartier gewährt hatte, waren
abgereist, und das Leben der Zu
rückbleibenden tehrte dem Anschein.
nach allgeniach in seine ruhigen All
tagigeleise zurück.
Erwin, der sofort seine Verab
schiedung nachgesucht und ohne wei
teres den in solchen Fällen üblichen
Urlaub erhalten hatte, war mit ju
gendlicher Freudigkeit und Energie
an die Ausgabe herangegangen, welche
die Verwaltung des ausgedehnten Be
sitzes aus seine Schultern legte. Und
die Gutsbeamtem die ost genug unter
dem strengen Regirnent des alten Ba
rons geseuszt hatten, mußten sehr
hold die Erfahrung machen, daß es
sich mit dem neuen Majoratsherrn
durch-aus nicht bequemer und ange
nehmer arbeiten lasse. Er halte sei e
scharsen Augen überall, war anmutig
lich thätig und duldete nicht die kleinste
Unbotmäßigteit gegen seine Befehle·
»Ein Jnspeitor, der in einer geringfü
gigen Arkelegenheit tros der von Er
wm emp angenen bestimmten Anwei
sungen nach seinem eigenen Ermessen
handelt hatte, war am Morgen des
gräbnisztages vom Fleck weg entlas
sen- roorden, ob. leich er seist mehr denn
ehn Jahre au Elverihöh rechtschaf
en sei- Schmldigdeit gethan hatte.
und esnherrschte seitdemeine sehr ge
drückte Stimmung unter den Leuten,
da jeder die Befürchtung hegte, daß
dinnen Kurzem authihn das gleiche
Schicksal tressen lönsnr.
Ging doch ein slüsterndes Gerede,
jener belanglose U horsatn. der noch
dazu den besten Adrchten entsprungen
Mk- sei gar nicht die eigentliche Ur
sache siir die Entlassung des tüchtigen
Beamten. sondern nur ein willkomme
ner Vorm-and gewesen, mn einen
Wunsch der Baronesse Editha zu er
füllen. Man wußte, daß sie sich vor
Monaten bei ihrem Großvater über
eine vermeintliche Achtunazverletzung
von« seiten des Jnspettors betlagt
hatte. und dasi Baron Werner bei je
der Gelegenheit ziemlich rücksichtslos
auf die Seite seines Untergebenen ge
treten war. Wenn auch selbstverständ
lich Niemand einen areisbaren Beweis
dafür besaß, daß sie jetzt als verspätete
Genngthuung von ihrem Verlobten
die Entfernung des Mannes verlangt
hatte, so entsprach eine solche Annahme
doch zu sehr der Meinung, die man
von ihrem Charakter hegte, um einem
ernstlichen Zweifel zu benennen Und
»e; war fast keiner, der sich aanz sicher
Iaesiihlt hätte, nicht bei diesem oder
zienem Anlaß zu Lebzeiten des alten
»Barons ebenfalls ihren Unwillen er
regt zu haben. Die eigentbümlickte
»Stellnna, die Frau Linderode mit
ihren Kindern damals aus Elvershöh
eingenommen, die Gerinaichätzung, die
der Gutsherr melir als einmal seinen
beiden Enleln gegenüber an den Tag
gelegt, hatte nothwendig auch aus das
Verhalten der Untergebenen zurück
wirten müssen, und Niemand war vor
sichtig genug gewesen, an die MHalickF
teit einer Wendung zu denken. wie sie
jetzt eingetreten war. Freilich beeilte
sich seit dem Belanntmerden der Ver
lobung ein jeder, durch äußerste Un
tertviirfigleit und Dienstwilligteit
wieder gut zu machen. was er nach
dieser Richtung hin früher versäumt
hatte, aber die hochntiithige Kälte und
herrische Unnahbarteit Edithas trat
sehr wenig geeignet, den Glauben an
ein hochberziges Verzeihen in den Ge
müthern der um ihre Existenz besorg
ten Leute wachzurusen
Daß sie bei dem neuen Herrn alles
durchsetzen könne, was sie begehrte,
war trotz seiner soldatisckpschneidigen
Art Niemandem zweifelhaft, der sie
miteinander verkehren sah. Je größere
Beschränkungen sie aus Schicksalsriick
sichten diesem Vertehr Vorläufig noch
auferlegen mußte-ji« desto mehr schien
jedes kurze Zusammentreffen Erwin
zu begliirten. Seine Augen leuchteten
heller, sobald er der schlanlen duntlen
Gestalt mit dem stolzen Antlitz ansich
tig wurde, und er lonnte sich nie ge
nug thun an ritterlichen Aufmerksam-—
leiten und zarter Galanterie. Zwar
bewohnte die verwitttvete Baronin
mit ihren Kindern noch immer das
abgelegene Schwinden aber es war
eine große Anzahl der prächtigsten
Möbel und anderer kostbaren Aus
stattnngsgegenstönde aus dem Herren
haug dorthin geschafft worden: statt
der einen Jungfer. niit der sich die bei
den Dsaulen bis dahin hatten begnügen
müssen, stand jetzt die ganze Diener
schaft zu ihrer alleinigen Verfügung
und bis aus den Titel sehlte Editha
schon jetzt nichts mehr an dem An
sehen und der gesellschastlichen Stel
lung der gebietenden Herrin.
Wie etwas Selbstverständliches das
ihr von Rechtswegen gebühre, hatte sie
das alles hingen-muten Den zur
Trauerfeier eingetroffenen Gästen ge
genüber, unter denen die Nachricht die
ser uberraschenden Verlobung alsbald
vonn Mund zu Mund gegangen war,
hatte sie bereits niit vollendeter Sicher
heit und Würde die Rolle der künfti
gen Schloßsrau gespielt, und der alte
Kamtnerdiener meinte in der Stille
des Herzens, daß seintodter Herr sich
im Sorge umdrehen müsse, wenn er
das Gebahren der von ihni bis ’ zur
letzten Stunde in so demüthigender
Abhängigkeit erhaltenen Enkelin sehen
könne. «
Daß sie bei alledem mit ihrem blei
chen, beinahe starren Gesicht und ihren
kalten Augen nicht das Bild einer
glücklichen Braut gewährte, setzte ei
gentlich Niemanden in Erstaunen
Man sah vielmehr auch darin nur eine
» Aeusrerung ihres Stolzes, der ihr nicht
jgestattete. der Welt die Freude zu zei
n, die sie über den glücklichen Wech
el in ihrem Geschick nothwendig ern
psinden mußte. Und die kühle Zurück
haltung in der Kundgabe ihres Ge
siihlslebens wirkte urn so vornehmer
neben dein Auftreten ihrer Mutter, die
plötzlich unt Jahrzehnte verjüngt er
schien, sieh beruahe lotette Trauerani
ziige anfertigen ließ und beständig von
den herrlichen Reisen sprach, die sie
norhde Edithas Vermäblung machen
wck .
Der einzige, um den sich in dieser
ausgeregten Zeit Niemand zu tiimmern
schien. war der junge Baron Prospek.
Er hatte auch früher aus Elvershöh
nicht viel von sich reden gemacht: jetzt
aber führte er ein so stilles und zurück
gezoaenes Leben, daß ihn außer der
Dienerschast im Schlößckxen nur selten
Jemand zu Gesicht bekam. Unter dem
Vorwande einer plöhlichen Unpäßlich
keit speiste er aus seinem Zimmer, und
sah in der That schlecht genug aus,
um diese Entschuldigung glaubhaft er
scheinen zu lassen. Aber seine ange
grissene fundhieit hinderte ihn nicht,
taalich lange Spaziergänge zu machen,
aus denen er mit Sorgsalt alle Wege
vermied, die ihn mit seinem Vetter
Erwin zusammenfiihren konnten.
Auch heute —- ei war nerade eine
Woche seit der Beiseßung des alten
Barons ver angen -- hatte er schon
in seither orgenstunde das Schlöß
cken verlassen und war im Walde
umhergestreift bit ihn die Ermüdung
veranlaßte. sich unter dem Blätterdach
Weis-er Lache auf dem weichen Boden
niederzustrerlen nnd sich in die Lettiire
des mit enomsmenen ooltsioirthschasts
lichen les zu vertiefen. Ertonnte
so stundenlang aus einer Stelle liegen
ohne irgend ein Bedürfniß nach Speise
und Trank zu fühlen und ohne den
Vorgängen in seiner Umgebung Be
achtung zu schenken. Die Stimmen
waren ihm so vertraut. daß sie sein
Studium nicht zu stören vermochten,
auch wenn sie in unmittelbarer Nähe
laut wurden, und es mußten sich schon
außergewöhnliche Dinge ereignen, um
ihn aus seiner Weltvergessenheit zu
werten.
Etwas so Außer-gewöhnliches aber
roar in der That der schmerzliche Aus
schrei, der plötzlich dicht neben ihm
ertönte. Er konnte nur aus einem
weiblichen Munde aetommen sein, und
betroffen hob Prosper den Kons, urn
seine Hertunft zu ertunden. Er
brauchte nicht lange zu suchen, denn
wenige Schritte vor ihm schimmerte
zwischen den Stämmen ein lichtes
Frauengervand, und leise Klagetöne
verriethcn, daß der Trägerin dieses
Gewande-s ein Ungemach zugestoßen
sein müsse.
Prosper sprang auf und stand im
nächsten Augenblick neben einem jun
gen Mädchen, das mit schmerzlich ver
zogenem Gesicht am Boden lag und
sruchtlose Versuche machte, sich zu er
heben. Der Strohhut war ihr vorn
Kopfe geglitten, und die durch das
Laubwerk vereinzelt einiallrnden Son
nenstrahlen spielten aus ihrem gold
roth leuchtenden Haar. Prosper war
der Nichte des Odergsirtnerå wohl
schon zuweilen sliichtig begegnet, aber
er hatte nie zuvor gemerkt, daß sie so
wunderschönes Haar habe. nnd als sie
jetzt hilsesuchend zu ihm aussah, setzt-e
ihn das eigenthiirnliche Farbenspiel
ihrer großen Nixenaugen vollends in
Verwirruna.
»Was ist Jhnen geschehen?« stam
melte er ungeschickt wie ein Schul
tnabe. »Sind Sie gefallen ——— aber Sie
katzlxepn sich doch hoffentlich nicht ver
e .«
Käthe machte einen erneuten Ver
such. auszustehen, aber mit leisem
Aechzen sant sie wieder zuriick »O
doch -—— ich glaube, ich habe mir den
Fuß gebrochen oder verrenkt —- o, es
thut so weh! Wenn ich mich nur aus
richten tönnte.«
»Wollen Sie mir gestatten, Jhnen
zu helfen? Vielleicht gelingt es mir,
Sie wenigstens bis zu dem Stein
dort zu führen, auf den Sie sich dann
niedersetzen tönnen, bis ich einen Arzt
oder sonst eine geeignete Person zu
Jhrem Beistande herbeiaeholt babe.'«
» a, wen Sie mir diese Freund
schat erweisen wollen, Herr Baron!
Jch gedachte, recht schnell vorüberw
schliipfen, um Sie nicht zu stören, uud
da bin ich wohl iiber eine Baum
wurzel gestrauchelt.«
»So muß ich mir obendrein die
Schuld an Jhrem Unfall beimessen.
Jch wäre untröstlich, wenn Sie in der
That einen ernsten Schaden erlitten
hätten.« «
Er hatte Mühe, sie aufzuheben, und
da sie außer Stande war, den verletz
ten - usz beim Gehen zu gebrauchen,
muß e er sie bis zu dem großen Stein,
der glücklicherweise nicht sehr weit ent
sernt lag, beinahe tragen· Es war fiir
ihn eine nicht geringe Anstrengung ge
wesen; trotzdem aber tvar es nicht die
Anstrengung allein, die sein Herz in so
stiirmischen Schlägen klopfen machte.
Außer seiner Mutter und seiner
Schwester hatte er noch nie ein weib
liches Wesen in den Armen gehalten,
und seltsame, bisher ungekannte,
athemraubende Empfindungen durch
strömten ihn bei der inniqu Berüh
rung· Seine Wangen brannten, als
er sie sanft auf den nioosigen Sitz
hatte niedergleiten lassen. und er wagte
ar nicht mehr, seine Augen biss zu
ihrem Gesicht zu erheben.
»Ich habe Jhnen hoffentlich nicht
weh gethan,« sagte er leise. »Und ist
es Zhnen ietzt bequemer?«
» ja, viel besser. Jch danke Ihnen
her lich, Herr Baron! Vielleicht ist der
Fu doch nicht gebrochen, ich glaube,
ich Zaun ihn schon ein wenig bewe
gen.
»Ich werde nach Eichselde hinüber
lausen. um den Arzt zu holen oder
— wenn ich ihn nicht antreffe —- we
nigstens den Bade-. Jedenfalls muß
doch so bald als möglich ein Verband
sangelegt werden-«
4
»Nein, nein! Ich gebe es unter tei
nen Umständen zu. daß Sie sich mei
netwegen so viel Mühe machen. Die
Schmerzen sind nicht mehr so heftig.
Wenn ich den Fuß hier eine Weile
ausgeruht habe, schleppe ich mich wohl
nach Hause. Sie dürfen mich jetzt ge
trost meinem Schicksal üerlassen.«
,Davon tann selbstverständlich nicht
die Rede sein. Wenn ich nur im
Stande wäre, irgend etwas zu Jhrer
Erleichterung zu thun!«
«Wollen Sie das wirtlich, to bitte
ich Sie, in dem Bache, der ia kaum
hundert Schritte entfernt ist« mein
schentuch anzuseuchten Ein tiihler
Umschlag wird am schnellsten Linde
rung verschassen.«
Er entsprach ihrem Verlangen so
eilsertig, als hätte es gegolten, ein
Menschenleben zu retten. Bei seiner
Rückkehr sah er den zierlichen Schuh
und den feinen schwarzen Strumpf
neben ihr im Grase liegen, während
sie den Fuß unter dem Saum ihres
Kleides verbarg. Ein dankbares Lä
cheln lohnte ihm seinen Ritterdienst.
»Wie freundlich Sie sind! Ich weiß
nicht, was ich ohne Ihren Beistand
hätte anfangen follen.« ,
Prosper stamnrette verlegen ein
paar Worte, die ihren Dank ablehnen
sollten, und trat rücksichtevpll beiseite,
bis Käthens helle Stimme wieder U
tbkkt Prüf-ertönte »Ich habe mkch
Flucklrcherweise umsonst gedagstigt.· Ei
st« nichts gebrochen oder oerrentt.
orhstens etne kleine Berstanchun .
hen Sie, ich kann schon wieder au -
treien.«
Sie stand wirklich aufrecht da:
aber als sie nun, gleichsam um ihn
von der Wahrheit ihrer Versicherung
u überzeugen, das wieder bekleidete
z lißchen ansetzen wollte, erpreßte ihr
der Schmerz von Neuem einen Wehe
ruf, und es war gut, daß Prosper de
reits an ihrer Seite stand, so daß sie
sich an seinen Arm feittlarnmern konn
te. Beim Anblick seiner besoraten
Miene huschte indessen alsbald ein
Lächeln iil«er ihr Gesicht.
»Sie halten mich gewiß fiir recht
zimperlich, Herr Baron: aber ich ver
spreche Ihnen, daß ich mich ietzt JU
sarnmennehmen werde. Es war nur
der erste Schritt der noch ein bischen
;oeh that. Nachher geht es schon des
er.«
»Glauben Sie. den weiten Wea
bis zu Jhrer Wohnung schon jetzt zit
riicklegen zu lönnen2" frante er zuer
selnd. Käthe aber bejabte unbedenk
lich. während ihre gefährlichen Au
gen bittend die seinigen suchten.
»Wenn ich Jhnen znmuthen dürfte,
mir ein wenig zn helfen. Vielleicht be
gegnen wir bald iraend Jcmanden.
der Sie aller weiteren Milbe über
hebt.«
Ptospct reichte lyk Den AMF unu
sie stützte sich, durch die Enipfmdlich
leit des verletzten Fuße-Z dazu gezwun
gen, so fest auf ihn, daß er fast das
ganze Gewicht ihrer Gestalt zu tragen
hatte. Auch mußten sie in kurzen
Zwischenrauinen stehen bleiben, weil
sich der Schmerz durch die Anstren
gung rasch steigerte. Käthes » gute
Laune aber wurde durch die lorper
lichen Leiden nicht beeinträchtigt. Sie
plauderte so heiter und lebhaft, alsob
sie sich auf einem Spaziergang befan
den. und tie eigenthiiinlichenllmstande
aaben ihrer Unterhaltung bald eine
Vertraulichleit, die sie bei Prospers
Schüchternbeit im Verkehr mit dein
weiblichen Geschlecht sonst gewiß me
mals angenommen haben würde.
CFortsetzung folgt-)
Wolken-Bildern
Die Abbildung von Gewässern in
Wollendeclen als Waltenthäler und
Wollenliicken ist wiederholt von Luft
schiffern lemerlt worden. Genauere
Schilderungen dieser rnertwürdi en
Erscheinung hat aber erst Professor
Dr. Ert in München ge«eben. Bei
einer wissenschaftlichen l allonfahrt,
die von München aus stattfand, ist eg
st. v. Bassuo gelungen, die Abbildung
mehrerer Geivässer in der Wollendecke
photographisch festzuhalten, und er
berichtet über diese und einige andere
Beobachtungen in den Jllustrirten
Aeronautischen Illitiheilungem Alls
besonders geeignet für diese Art Ab
bildung der Geiviisser erscheint die
Wollendecte, wenn sie ruhig liegt, nach
oben scharf und nach unten beliebig
abgegrenzt ist· Die meteorologischen
Verhältnisse über dieser Wollendecke
scheinen teinen direkten Einfluß auf
die Abbildungen zu haben. wohl aber
die Windverhältnisse unter ihr. Bei
Windstille bilden sich auch die lleinsten
Gewiisser deutlich ab, bei starkem
Winde nur grö ere Flüsse. Geeigne
tensalls bilden ich nach den Erfahrun
gen v. Bassus’ so ziemlich alle über
haupt vorhandenen Getoässer ab, vorn
tleinsten Bächlein bis zum Strom,
vom Tümbel bis zum ausgedehnten
Moor. Kleine Bäche sehen wie Fur
chen in der Wollendecle aus, größere
Bäche und Flüsse erwecken den Ein
druck eines Wollent lo, in irelcheni
die Bewöltung aus einem Dunst be
steht, der oft so dünn ist« daß die Erde
durchschimmert.
Eine sehr interessante Wahrneh
mung machte v. Bassusn als der Bal
lo·i·i bei»eine«r Gelegenheit aus großßer
Hohe ziemlich schnell gegen eine von
der Sonne grell beleuchtete Wollen
decke herabstieg. Jri die er Walten
decke wurde die Abbil ung eines
Flnßlaufs als seichte Furche erkannt.
auf dieser Furche aber»lag ein Wollen
ballen (Cumusus), ähnlich einein gro
ßen Pilz. Beim Landen aus der Erde
ergab sich, daß die Wolkenfurche von
der Jsar herrührte, der Wollenballen
aber oon einein 10 Meter breiten Ue
berfallwehr, über welches das Wasser
alp rauschender Wo ersall herabfloß.
·Eine ähnliche Beo chtung hat vor
" mehr als 35 Jahren Flammarion ge
macht, der ans dein Ballen eine Wolle
unbeweglich an ihrer Stelle verharren
sah, während der Wind mit Heiligkeit
wehte. Der Anker, durch den dieie
Wolle festgehalten wurde, war eine
Wasseransammlung unter ihr am Bo
den. Ueber die nähere Ursache der
Abbildungen von Gewässern in der
Wollendecle weiß man mit Gewißheit
nichts. Dr. Erd glaubt, sie entständen
dadurch, daß das Fließen des Wassers
in der darüber befindlichen Lust eine
gewisse horizontalbewegung hervor
rufe; allein v. Bassus bemerlt dawi
der, daß man bei einem laum einen
halben Meter breiten Bächlein eine
Beeinflussung in diesem Sinne nicht
annehmen könne. ;
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Castrow wird als Napolevn von
Venezuela bezeichnet. Mag sein, daß
er wenigstens ein ähnliches Ende
nimmt, wie Napoleon.
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Wer toll auf Ruhm nnd Ehren ist,
Gleicht einem, der Arsenit ißt;
Man muß ihm, soll er weiter leben.
Beständig größre Dosen geben.