Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, February 10, 1905, Sweiter Theil., Image 9

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    Yebraska
Staats-Zuzeigtr Und THmlII
J P. Winden-it, Herausgeber . Grund Jsltmd Nebr 10.Frbrttar190t ( 1Zweiter Theil) Jahrgang 25 No. 24.
Nachi""gebet."«
Von Amelie Godin.
Nichts greift so tief in mein Gemüih,
Nichts kann mit so das hekz bewegen,
Als wenn mein Kind im Beitchen
kniet,
Laut betend seinen Abendfegen.
Den Gott, von dem es nichts versteht,
Nimmks von det Mutter voll Ver
trauen,
Und spricht so gläubig sein Gebei,
Als könni' es in den Himmel schauen.
Geheimnisvollet Kindesblicik
Durch dich hab' ich erfassen lernen
Des Daseins räihselvoll Geschick,
Und was uns lockt zu ew’gen Sternen.
-
Jhr einziges Glück.
Novellette von C. Thaler.
Klein Ruth ging bedrückten Ge
niiich aus dem hause, und sinnend.
traumverloren schritt das Mädchen die
Gasse hinab.·
Wie lange hatte sie sich auf diesen
Tag gefreut! Schon vor Monaten
war ihr von den Eltern versprochen
worden. daß sie am Tage nach ihrem
zehnten Geburtstag allein « zur
Schule gehen dürfe.
Nun hatte sie geschlagen, diese lang
ersehnte Stunde; allein Ruthchen
lonnte sich der Erfüllung ihres stolzen
Wunsches nicht freuen. Wie hätte sie
sich iiber irgend etwas freuen tönnent
Hatte doch lieb Miitterchen iiber ihrem
»wist mit Papa vergessen, sie vor dem
Weggehen zu liissen.
Warum die großen Leute nur im
mer so viel streiten! »
An der Straßenecte blieb Ruth
stehen. um nach dem Erterfenster zu
rückzublicken, aus dem ihr die Mutter
freundlich nachzuwinten pflegte. Jn
defz zeigte sich heute das liebe mütter
liche Gesicht nicht.
Seufzend ging-das tleine Mädchen
weiter und fuhr fort zu grübeln. Rutb
war-so vertieft in ihre Gedanten, das;
sie an dem Schulhaus vorbeiging,
ohne es zu bemerken.
Sie schritt weiter und weiter, bis
ihr endlich eine hochgewachsene Dame
den Weg vertrat.
,,Ruthchen, was machst du hier
Zur Schulzeit?« fragte die Dame er
staunt .
Das Kind sah verblüfft um sich.
»Ach Gott!« rief es, »ich hatte so
viel zu deuten, daß ich die Schule ganz
vergessen habe." ·
Die Dame sah das Kind forschend
an.
»Du bist blaß, Nuthchen. Komm,
ich führe dich nach Haus«
Ruth schüttelte den Kopf.
»Ich muß um fünf in dieKlavier
schule.«
»Es ist noch nicht drei Uhr: komm
knit mir, wir trinten zusammen
Kasfee.«
II il If
Jn Frau Mathildeng behaglicher
Wohnstube war der Kasfeetisch schon
gedeckt
»Sehe dich, Ruthchen,« sagte Frau
Mathilde freundlich.
Ruth tranl gierig den Laffen um
ihren brennenden Durst zu löschen
Von dem Kuchen aber afz sie nur einen
einzigen Bissen.
»Warum ißt du nicht« Herzchen?«
»Ich lann nicht ich tann ivirtlich
nicht!"
Frau Mathilde beobachtete die
Kleine. Es betrübte sie, daß das
ziind unglücklich schien. War ihr doch
Muth als gemiithvolles, zärtlichesstind
und als Tochter ihrer liebsten Jugend
ireundin tief an’s Herz gewachsen·
Leise trat sie zu der Kleinen hin und
fragte: »Woran dentst du, Ruth
chen?«
»Frau Mathilde, darf man sich das
Leben nehmen« wenn man jemand
einen Gefallen damit erweist?'«
»Kind, Kind, stelle teine so sünd
haften Fragen! Wie lommst du da
rauft«
»Die Eltern sagen so oft: O, wenn
das Kind nicht wäret -—— Und da
dachte ich — dachtie ich —dachte ich"
Hestiges Schluchzen erstickte ihre
Worte. f — »
Herzlich umschlang Frau Matyitoe
das Kind.
»Liebes. thörichtes Kindchem wer
wird denn so einfache Worte derart
mißveriteheM Mama wird dir das
deute Abend noch alles erllären, und
jetzgelaß dir zeigen, was ich für dich
ua .«
Sie hou- ihk Schmuckkästchen hu
iiei und nahm ein goldenes Armband
daraus hervor. »Gott schätze dich«
stand darauf.
Ruthg Thrönen versiegten. Ein ers
ftes Armband ist fiir ein kleines Mäd
chen nichts Geringfügiges.
Frau Thilde fab, daß der Schmerz
des Kindes bis auf weiteres verfloan
war. Beruhigt führte sie Rath in die
Klavierfchulr.
III
Ali Rath im haugthor verschwun
den war, fühlte Frau Thilde, daß die
Last, die ihr durch die Worte des len
fttiven belürnmerienMädchens auf das
Herz gewälzt worden, nicht von ihr
aetoichen war. Es drängte sie, mit
Nutlpcheus Mutter u sprechen und
diese zu warnen. un lie beschloß, es
noch heute, ei gleich zu thun.
»Was hat ei segeln-IN fragte Frau
Thilde, als sie- bald darauf in der
Wohnung-ihrer Jugendfreundinsilara
seligen rMutter Raths, erschien.
»Was es immer giebt, « sagte die
junge Frau, indem sie aus der Fenster
scheibe einen etwas triegerischenMarsch
zu trommeln begann.
»,Ach Klara, March laß das leidige
Streiten Du erzielst nichts damit. «
»Ich bin iv thöticht. zu hoffen. daß
die eisersüchtigen Auftritte seine Liebe
zu mir wieder ansachen werden, aber
ich sehe, du hast recht « fuhr Klara
mit nachdenklicher Mene fort. »Ich
werde den thörichten Liebestraumen
entsagen und mich irgend einem Be
rus widmen.«
»Nein, Klara, das wäre gesehltt
Du hast mich mißverstanden. Einen.
Beruf darfst du nicht ergreifen« —
,.Das sagst du, eine berussthätige
Frau!«
»Ach, das ist bei mir etwas ganz
anderes. Jch besaß nie ein Kind. Jch
durfte meine Fesseln sprengen-, ich
durfte den Mann abfchiitteln, der mich
zur Sklavin, zum Spielzeug, zur
Mörtyrerin machen wollte. Du aber!
Die löstlichste Blüthe der Frauenliebe
ist die Mutterliebe. Die sollst du in:
deinem Herzen hegen und pflegen, der s
sollst du leben.«
»Ruth bedarf teiner so romanti-.
schen Liebe. Sie hat ihre Schule, ihre
Freundinnen, ihre Spiele und ihre
Ansichtstarten.« -
»Du verlennst fie, Klara.«
Und nun erzählte sie der betroffen
Lauschenden, was sich am Nachmittag
zugetragen, und wie bitterlich Rath
chen geweint hatte.
Klara schlug beide Hände vor s Ge
sicht. Weinte sie, oder sann sie nur
nach? i
Frau Thilde meinte, dieses reumii
thige Sinnen könne tlein Ruth nurj
zugute tommen. Darum küßte sie;
Klara leise auf den Scheitel iind ging. s
Regungslos blieb Klara sitzen, eins
unruhig sluthende5, schmerzlicheg Ge j
fühl im setzen.
Da pochte es leise aii der Thür, und
eine süße Kinderstimme fragte bit
tend: »Dars ich hinein?"
Die Mutter sprang zur Thür, riß
sie aus und schloß ihr Kind siürmisch
ans herz.
»Goldeneo Ruthchen,« rief die Muts »
ter und umarmte das Kind inniger
als je zuvor im Leben. !
Da Ruth seinsiihlig ioie alle Kin
der war, entging ihr die ioärmere lliii i
armiing nicht. i
»Hast du dein Ruthcheii noch immer !
ein klein wenig lieb?'· i
»Nicht ein klein ioenig, Närrchenli
Was fiir dumme Fragen stellst dii?!
Komm, Herz, bleib bei mir!« f
Bald saßen die beiden einander ge
genüber, das Kind bei seiner Rechen
ausgabe, die Mutter mit einer Hand
arbeit. Ruth arbeitete emsig, allein
von Zeit zu Zeit sah sie zu ihrer Mut l
tet hinüber. l
Blieb diese eriisi, so trat eiii flehen- !
der, zärtlicher Blick in die Augen des
Kindes; lächelte aber die Mutter, so.
nictte Nuth der Mutter mit vertlärter
Miene zu
,,Papa wird gleich nach Hause kom
men, Kindchen.«
»O, da muß ich mich beeilen,« sagte
Ruth und trißelte eifrig weiter·
.
Da erscholl im Flur die Klingei.
Das Kind ränmte rasch seine Bücher»
in die Schultasche, und Klara ent
fernte das Schreibzeug vom Tisch.
Die Tbiir ging geräuschvoll aus«
und aus der Schwelle erschien der Herr
des hauses, ein stattlicher, breitschul:
triger Mann mit schwarzem, lockigem
Haar und braunem Vollbart.
»Guten Abend!« sagten Mutter und
Kind sast einstimmig.
«Guten Abend!« gab er zurück, in
dem er seinen Hut aus den nächsten
Stuhl stellte. »Warum ist das Mädel
noch aus, Klara? Kinder ihres Alters
gehören um diese Stunde ins Bett.«
»Sie wollte dir noch »gute Nacht«
sagen.«
»So, so, also tomm!« sagte er ziem
lich freundlich. Das Kind sprang
herbei nnd reichte dem Vater die Lip
pen zum Kasse.
«Gute Nacht, Kleine, und jetzt geh
schlafen.«
Das Kind stand betrübt und ver
schüchtert.
«Klara, du brauchst mir kein
Abends-rot bringen zu lassen. Jch bin
in die Oper geladen.«
Damit ging er in das anstoßende
Schlaszimmer und drehte das elel
trische Licht aus.
Klara legte ihre band liebtdsend
aus den Scheitel des Kindes-. »Geh
in dein Zimmer, herz, und sange an,
dieg auszutleidem Jch komme bald
na .«
»Bergisz das ja nicht, Mutterchen.
Ich schlase nicht eher, als bis du mir
einen Gutenachttuß gegeben hast.«
»Ich tonnne bestimmt,« sagte Klara
und trat zu ihrem Gatten in das
Schlafzimmer.
»Wer bat dich geladen?« fragte
Nara
»Die Baronin von Möhren.« ·
»Ah!«
»Wie meinst dass« fragte er scharf.
»Ich meinte gar nichts —-—— ich habe
nur ein ganz gleichgiltiges »Ah« ge
fagt.«
Er sah sie überrascht an, sagte aber
nichts, sondern fuhr ·fort, seine wohl
gepflegten Hände zu waschen.
Klar-a legte ihm die Kleidungsstücke,
die er brauchte, aufsv Bett, und er be
gann sich fiir das Theater mitzuwi
den.
»Danle, danke,« sagte er höflich.
»Seht freundlich, daß du mir behilf
lich bist. Die Baronin thäte das nicht
—- o gewiß nicht! Sie würde dort
auf dein Sopha sitzen, und ich müßte
mir meine sieben Sachen selbst suchen.
Eine moderne Frau, weißt du, piiant,
nicht liebenswürdig nicht gütig, aber
verteufelt schön und interessant Uebri
gens bist du auch in die Loge geladen,
aber ich habe höflich abgelehnt. Das
ist kein Umgang siir meine Frau. So,
nun bin ich fertig.«
Klara blickte ihren Gatten unver
wandt an, rybig und leise verächtlich.
Sie fühlte le..-.s«-öediirfniß, aufzubrau
’sen. Es war so still geworden in ih
rem Herzen, so wonnig still, so selig
mütterlich. Was stand sie noch hier?
Drüben lag ihr Kind und sehnte sich
nach ihr, während sie hier nicht von.
Nöthen war
Zögernd schritt Herr Fellner nach
der Thür. Plötzlich wandte er sich nm
nnd sagte: »Wenn du willst, bleibe ich -
noch eine Weile bei dir.«
»Und dann-«
»Dann gehe ich zur Baronin.«
»Geh lieber gleich.«
»Wie du willst s— - gute Nacht.«
»Guie Nacht.«
Erging. —
Klara starrte ihm nach. Dann legte
sie die Hand auf ihr Herz. Es zuctie
doch noch schmerzlich drinnen, eine«
letzke Schwäche. »O! Wenn das Kind »
nicht wäre, ich liefe auf und davon.'«
Da ging die Tbiir zum Nebenzims
mer auf, und eine kleine Lichtgestalt
im wallenden Nachthemd mit einem
Glorienfchein von glänzendem Gold
haar iiber dein lieblichen Kinderantlitz
erschien auf der Schwelle
»Mein Kind! Mein Rutlichen!« .
Das Kind flog in die weit geöss I
neten Arme der Mutter und brach in
bestiaes Schluchzen aug.
,,Fiind, Kind! Warum weinst du in
bitte:lich? Schau, ich had’ dich so lieb,
so lieb --——«
»Ach nein, Mutterchenl Du fagii
doch immer: »Wenn das Kind nicht (
«
wäre.
»Ja, ja, ich sage das oft ——— aber du s
darfst die Worte nicht mißversteben ;
Jch meine damit nur: Wenn Rath i
chen nicht wäre, möchte ich nicht ansi
der Welt sein. Wenn ich Ruthelsen
nicht hätte, wäre ich eine arme, arme »
Fran. Aber durch dich, durch dein
zärtlickes kleines goldene-j- Heri lsini
ich reich, so reich.« ;
i
HO-»
Schwerbörig.
Slizze von Max Pollaczet
Jch wunderte mich ja selbst iiber die
Freundsichleit, mit der man mir iibxr
all entgegenkam, und die Beliebthci1·
der ich mich in Gesellschaft erfreute.
Gewiß, ich war ein ganz netterMensch
von guten Manierem von angenehmeni
Aeuszeren, ich lvar reich, sehr reich so
gar, aber ebenso, tvie ich mir über diese
Vorzüge tlar war, lvufzte ich auch.
daß eine Unterhaltung mit mir alles
andere als ein Vergnügen war. Ich
besaß auch eine iiber das Mittelmasi
hinaus-gehende Bildung, aber meine
Lehrer, ich batte natürlich Privatun
:erricht genossen, werden wohl nur mit
Entsetzen an die Lehrstunden zurüaae
dacht haben, denn sie losteten ihnen
übermenschliche Anstrengungen. Und !
da bin ich ja bei dem, was ich sagen
nollte, ein Gespräch mit mir musite
von der anderen Seite mit einein Auf
gebot von Lungenlrast geführt wer
den, wie Komtnandos aus einem lixer
zierplatz, ich war im höchsten Grabes
schlverhörig
Das Leiden hatte sich nach und nach
entwickelt, und obgleich meine Eltern
nichts versäumt hatten, ihtn entgegen
zuwirlen, so hatte doch lein Arzt sein
Fortschreiten aushalten können. Man
hatte tnich allen möglichen, meist recht
schmerzhasten Kuren und Operationen
unterzogen, und ich war daher aus die
medizinische Wissenschaft recht schlecht
zu sprechen. Als nun Vater und Mut
ter rasch nacheinander abberusen wur
den und ich mein eigener Herr wurde,
ver-richtete ich auf jede weitere Behand
lunÅ
ozu auch? Sie quälte mich nur«
brachte doch keinen Nutzen und, wie ich
schon im Anfang erzählt habe, mein
Leiden machte sich mir nicht sonderlich
unangenehm bemerkbar. Man kam
mir überall ungemein freundlich ent
gegen, bemühte sich mir zu Liebe, so
laut wie angängig zu sein« und wett
eiferre überhaupt in Zuvortommenheit
gegen mich. Damen und Herren mach- .
ten darin keinen Unterschied. So ist
zu erklären, daß ich nicht jener mürri
fchen Gedrücktheit verfiel, welche sonst
das Schicksal der meisten Schwerhöri
gen oder Tauben ist, daß ich mich nicht
vom geselligen Verkehr zurückzog, son
dern mich in lebhaftem, gesellschaftli
chem Treiben wohlsiihlie. Ja, noch
mehr. Jn der Mittelstadt, in der ich
lebte, wurde die in Betracht kommende
junge Männerwelt durch Offiziere und
Juristen, Assessoren und Reserendore
repräsentirt. Es waren sehr nette,
schneidige und liebenswürdige Herren
darunter-, und doch hatte ich das ke
stimmte Gefühl, daß ich vorgezogen
wurde. Das erhöhte mein Selbstbe
wußtsein ungemein. Jch sagte mir, s
wenn ich trotz meines Leidens so os
senbar den Vorzug genieße, so muß
meine Persönlichkeit eine besonders
angenehme sein. Jch war also, was
bei Schwerhörigen selten der Fall ist,
auf dem besten Wege, ein im höchsten
Grade eingebildeter Gect zu werden
Vielleicht war ich es sogar schon
oder wurde es, als die unbezweiselt
schönste Dame unseres Kreises, die ein
zige Tochter des Regierungspräsiden
ten, mich besonders aus-zeichnete Jo
lanthe, so hieß sie, war eine Erschei- !
nung, so apart wie ihr Name. Groß, s
schlank mit wundervollem Blondhaar !
und tiesblauen Augen, erregte sie über
all Aussehen, und natürlich wurde sie
viel umschwärmt. Man kann sich mei
ne Freude und meinen Stolz denken,
als ich sah, daß ich in ihrer Gunst of
fensichtliche Fortschritte machte. Auch
ihre Eltern tamen mir wohlwollend
entgegen, obgleich der Vater ein lah
ler, strenger Bureautrat und die Mut
ter eine im höchsten Grade adelsstolze
Dame war. Ich fing an, im Hause
des Präsidenten zu verkehren und galt
ossiziell als Bewerber um die Hand
der Tochter.
Uebrigens lebte in der Familie noch
eine Cousine Jolanthes -, eine Waise
und tein häßliches Mädchen, mit der
stolzen Schönheit aber nicht zu ver
gleichen. Ihre Stellung mochte die an
genehmste nicht sein, aber ich machte
mir damals darüber leine Gedanken.
Auch tamen wir nur sehr selten ins
Gespräch, da sie sich meistens in be
scheidener Zurückgezogenheit hielt.
Jch fühlte, das; es nun bald an der
Zeit wäre, mich zu erklären, und ich
nahm mir vor, es bei erster passender
Gelegenheit zu thun. Eine Abweisung
hatte ich, das wußte ich genau, nicht
zu befürchten.
Da kam etnsag Unersoartetes dazwi
schen. Jn einer heireren Herrengesell
schaft, in der man einer Bowle sehr
fleißig zugesprochen hatte war man im
Gespräch auf das Reisen gekommen.
Man hatte mich damit geneckt, daß ich
ständig zu Haufe hockte, und ich hatte
den Spötteru recht geben müssen, ich
hatte mich in der That daheim förm
lich eingesponnen. Man wars mir
Mangel an Muth vor, ein Wort gab
das andere, dazwischen wurde scharf
getrunken, und so kam es daß ich mich
anheischig machte, innerhalb vierund
zwanzig Stunden eine große Reise an
,zutreten, etwa nach Paris-. Aanicht:
einhaliung dieses Versprechens stand
ein Champagnerfriihstiick siir die ganze
übermüthige Korona
Als ich am Morgen darauf mit ei-:
nem gehörigen Katzeniammer erwach-v
te, fiel mir mein unbedachker Ent
fchluß schtver auf die Seele. Nun
konnte ich mich ja, da die Kosten siir
mich keinerlei Rolle spielten, durch ein
solennes Dejeuner davon los-laufen,
aber ich fürchtete mich vor den unzäh
ligen Spottreden, denen ich ausgesetzt
sein würde, und so dampfte ich toii
thend, mich und meine Betannten
vertoiinschend, ab.
Urspriinglich hatte ich die Absicht ge
habt, Paris nach einem dreitiigigen
Aufenthalt den Riilten zu kehren, aber
das Seinebabel nahm mich gefangen,
und da ich nun schon einmal da war,
beschloß ich, einige Tage zuzugeben
Dieses Vornehmen wurde mir um so
leichter, als ich eine sehr angenehme
Bekanntschaft gemacht hatte, einen
jungen Arzt. In den Folies bergeres
hatte ich ihn kennen gelernt. und da er
etwas deutsch sprach, er hatte einige
Zeit inHeidelberg ftudirt, war mir das
Zusammentreffen sehr angenehm ge
wesen. Um so angenehmer, als sich
meine Schtverhörigleit in dem fremden
Lande als ein sehr großes· Hindernis-i
zeigte. Der junge Arzt ribke große
Geduld, er sprach sehr langsam, sehr
laut und sehr deutlich zu mir, und ich
war ihm für seine Güte seht dankbar
Wäre er nicht gewesen, so wäre ich
doch wohl früher nach Hause gefahren,
tvo man um meines Wesens halber
meinen Deselk gern in den Kauf
nahm
Natürlich unterhielten wir uns auch
über die Art meines Leidens, ich muß
te dem Aeskulapjiinger eine genauere
Krankheitsgeschichte geben, und eines
Tages überraschte er mich mit der Er
klärung, daß er mich für heilbar halte.
Allerdings müßte ich mich bei einer
Autorität auf diesem Gebiete, er nann
te mir einen Professor, einer längeren
Behandlung unterziehen. Ich sträubte
mich, theils ängstigte ich mich vor
schmerzhaften und doch erfolglosen
Eingrisfen, theils sehnte ich mich nach
Jolantbe und wollte sie je eher, je lie
ber wiedersehen. .
Aber mein neugewonnener Bekann
ter wußte so überzeugend zuzureden
und mir vorzustellen, welche Freude
Jolanthe über meine Herstellung haben
würde, daß ich endlich einwilliqte, den
berühmtenSpezialissten zu konsuliiren.
Der untersuchte mich auf das Genaue
ste und lündigte mir zuletzt an, daß
eine sechs- bis achtwöchentliche Kur
mir vollständige Genesung bringen
würde.
Nun willigte ich natürlich ein. Der
gerbst war unterdessen hereingebro
n, und dabei nahm die ,,Saison«
ihren Anfang. Jch fing an, unter der
Eifersucht zu leiden- ich sah Jolanthe
vor mir, wie sie überall als Balltöni
gin glänzte, wie eine Schaar von Ver
ehrern ihr auf Schritt und Tritt folg
te, und ich zitterte. Wenn nun mein
Bild in ihrer Seele verblaßte, wenn
ein anderer meine Stelle einniihme,
was dann? Oft war ich nahe daran,
die Kur zu unterbrechen, aber der jun
ge Arzt hielt mich immer wieder zu
rück, und allmählich begann ich auch
den Erfolg zu spüren. Mein Gehör
lehrte wieder, und ein unendliches
Wonnegesiihl beseelte mich. Mit Ent
zückee lauschte ich jedem Tone, der an
mein Ohr drang und hörte ich auf je
deg leise Wort, das neben mir gespro
chen wurde.
Der letzte Tag der Behandlung kam.
Ich verabschiedete mich von dem Pro
fessor mit Worten ausrichtigen Dankes
und überreichte ihm ein sürstlicheg Ho
norar. Während ich noch von dem gro
ßen Glück sprach, das er mir bereitet
haxte, richteten sich seine schwarzen
Augen mit steptischem Blick auf mich.
Jn den langen Wochen, da ich täglich
zu ihm lam, hatte er genug von mei
nen Verhältnissen kennen gelernt und
mein-en Charakter wohl durchschaut.
Er lies; mich ausreden und sagte
dann: »Also Sie sind mir von Herzen
dankbar, das; ich Ihnen das Gehör
wiedergegeben habe?«
Wortreich wollte ich meine Versiche
rungen wiederholen, aber er unterbrach
mich, indem er fortfuhr: »Ich fürchte,
Sie werden mir späterhiti Borwiirse
darüber machen.«
Lebhaft betheuerte ich, daß dies un:
deutlich sei.
,,.Ltaben Sie nach Hause geschrieben,
daß Sie in Behandlung standen?«
Ich verneinte die Frage. Zuerst
glaubte ich nicht an einen Erfolg, und
als dieser sich endlich einstellte, ver:
schwieg ich ihn, um mit der Freuden
botschast daheim jedermann zu über-s
raschen.«
»Nun gut, so fahren Sie heim, nnd
versprechen Sie auf Ehrenwort, in
den ersten drei Tagen Niemandem von
Ihrer Wiederherstellung zu erzählen.
Stellen Sie sich, als wären Sie nach
wie vor schwerhörig!«
Was blieb mir übrig? So schnur
rig mir sein Begehren vortam, ich
mußte es ihm versprechen. ----- «
Kaum angelangt, machte ich bei
dem Präsidenten Besuch. Man em
Pfing mich. Jrn Salon befand sich
Jolanthe, ihre Mutter nnd ihre Cou
sine. Wie gewöhnlich ließ man mich —
jetzt fiel mir das erst auf -— reden und
begnügte sich ab und Zu mit dem
Kopfe zu nicken oder ein Wort einzu
wersen. Sehr natürlich, einem
Schwerhörigen gegenüber war eg das
beauemste.
Man zeigte mir Bilder von einer
Kostiimquadrille und schickte die Cou
sine hinaus, um noch andere zu holen.
Während ich mich über die Photogra
Phien beugte, hörte ich Jnlanthe sagen:
»Er ist noch so fade, wie früher, so ein
Tauber ist doch entsetzlich«
Und die Mutter erwiderte: »Ach
was, er ist mehrfacher Millionär, und
ein tauber Mann ist ein bequemer
Mann; hoffentlich hält er um dich
an.«
Das Blut stieg mir zu Kopf. Einen
ersten Augenblick hatte ich gar nicht
gewußt, von wem die beiden Frauen
sprachen, dann aber wurde mir sofort
alles klar. Die Verblendung, in der
ich mich während meines ganzen frü
heren Lebens befunden hatte, schwand
und mit einem Schlage meine Selbst
gefälligteif und —- mein Glück.
Als ich mich ausrichtete, mqu ich
sehr lonfus gewesen sein, denn als ich
mich schnell verabschiedete, hörte ich die
Cousme nur sagen: »Ach, der arme
Mensch, er ist wohl durch die Reise
noch sehr mitgenommen,« während
Jolanthe kurz äußerte: »Nun hat er
sogar an seinen Manieren auch schon
Schiffbruch erlitten.«
Was soll ich weiter erzählen. Jch
stellte die Probe noch weiterhin an,
und immer, Gott sei’s geklagt, immer
mit demselben Erfolge. Nun erfuhr
ich erst, wie ein unleidlicher Geselle ich
sei, wie viele Fehler ich habe, und wie
nur mein Reichthum den Umgang mit
fmir erträglich machte.
i So hat also der Professor recht be
Ihalten?
’ Beinahe, zum Schluß doch nicht.
Als ich viel später mit meiner jungen
Frau, der mitleidigen Cousme Inlan
the's, die Hochzeitsreise nach Paris
antrat, besuchte ich ihn und erzählte
ihm alles-.
Er antwortete mir, wir könnten bei
de zufrieden sein. Jm Prinzip habe er
recht behalten, und mein Glück sei eine
Ausnahme, welche die Regel bestätige.
Meinetwegen, ich freue mich doch, daß
ich wieder höre, denn meine Frau hält
keine Gardinenpredigten
Ein altes Gasthauö.
Wie wir jüngst mittheilten, ist der
»Löwe« in Adors (Sachsen) schon im
Jahre 1440 ein Gasthaus gewesen
und bisher in derselben Familie ge
blieben. Inzwischen sind in der
Presse auch noch andere Gasthöfe ge
nann tworden, die ebenfalls einige
Jahrhunderte bestanden haben, so der
,,Adler« in Nimwitz (1.483). Das
älteste deutsche Wirthshaus ist wohl,
wie der »Frts. Zig« geschrieben wird,
der ,,Riese« in Miltenburg am Main,
der ununterbrochen seit dem 12. Jahr
hundert besteht und einige Jahrhun
derte hindurch von der Stadt zur
Fürstenherberge auserlesen war (laut
amtlichem Rathsproiokoll). Kaiser
Friedrich der Erste wohnte dort 1158
und 1168. Ludwig der Bayer karn
mit großem Gefolge im Jahre 1316
nach Miltenberg und nächtigte eben
falls in der Fürstenherberge zum
»Riesen«. Der Kürze halber wäre
noch zu erwähnen, daß Kaiser Karl
der Vierte im Februar 1868 acht
Tage im ,,Riesen« weilte, 1448 Kur
fijrst Theodorich von Mainz. Außer
den vielen Fürst-en sei nur noch Luther
erwähnt, der im Jahre 1518 aus sei
ner Reise nach Heidelberg im »Ric
sen« Unterkunft fand. Am Z. No
vember 1621 kam General Tillh mit
dem Grafen von Anhalt in den »Me
sen«, und die Rechnung des damali
gen Wirtheg fiir diese Beherbergung
betrug Zinsn- Gulden. Wirklich, viel
kiinnte der alte Bau, wenn er zu er
zählen vermöchte, erzählen.
—
Derselbe.
Den sast stets überflüssigen, ge
schmaellosen und so oft übertriebenen
Gebrauch des Fürwortes »derselbe«
Hnacht die folgende kleine Erzählung
itachekiich vie der Zeitschrift des Allg.
fDeutschen Sprachvereinöt entnommen
»ist. ,,Adolf war Angestellter in einem
«Gesch«cif:e. Jn demselben befanden sich
»auch einige VerkäUferinnem mit einer
»derselben war derselbe berlobt. Die
selben batten sich kennen gelernt, als
»dieselben daselbst das Waarenlager
H aufnehmen mußten.
. Dieselben hatten längere Zeit daran
zu thun, da dasselbe sehr umfangreich
war, nnd da dieselben nicht allein den
Bestand desselben, sondern auch den
Werth desselben festzustellen hatten.
Dabei wurde derselbe von der Lieben-s
iwiirdigleit derselben derart entzückt,
jdafz derselbe um die Hand derselben
. bat und dieselbe von derselben auch er
sbieli Seitdem trafen dieselben sich
sallabendlich nach dem Verlassen des
Geschaftgbanses draußen unter einem
IBetkon desselben woselbst dieselben
sunter dein borsbringenden Dache des
! selben Schutz gegen das Wetter fanden.
s Eines Abends hatte derselbe unter
sdemselben schon einige Zeit auf diesel
s be gewartet, wobei derselbe ungeduldig
sunter demselben hin- und herging, als
zvon dem Dache desselben einigeTropsen
auf den Hut desselben niederfielen, wo
durch derselbe beschmutzt wurde. Als
Jderselbe denselben verdrießlich zu rei
J nigen suchte, lam dieselbe endlich, aber
jderselbe begrüßte dieselbe wenig
freundlich.
J Anfangs sah dieselbe denselben ver
s wundert an, alg dieselbe aber sah, was
sdem Hute desselben geschehen mar,
Inabm dieselbe demselben denselben ab,
sum denselben zu reinigen, worauf die
selbe demselben denselben daselbst zu
’rijelgab. Dieselbe lickte denselben
freundlich an, und bald lächelte auch
seinerseits derselbe dieselbe freundlich
an. Heiter Plaudernd zogen dieselben
bou dannen. (
———--——-—
tlsiinstiqe Gelegenheit
; Onlelx »Ich weiß nicht, was mir
s heute ist, ich habe solch gräßlich-e Ma
, qenschnierzen«
Neffe: «Daran leide ich oft.«
Onkel: »Ich habe schon alle Mittel
dagegen vergeblich gebraucht; was
brauchst Du denn?«
,,.f,)undert Mart, lieber Onlel.« ·
Jni Bilde
,,Denle Dir nur Frau, was heute
unserem Kassirek passirte. Er zündet
sich eine Cigakre an, da fällt ihm ein«
brennendes Ziindholz aus den Rock
und el) man sichs versieht, ist sein
Rvck durchgebrannt, sein Gilet »Er-arch
gebrannt, sein Hemd durch
»Um Gottes-willen er ist doch nicht
am Ende selbst durchgebrannt?«
Ball-seinen i
»Wie denken Sie über «Königj
Lent«, Herr Leutnanl?«
»Tai-Rose Tragödie —- abet unans
sjenehme Familienerhiiltnifse!« »F