Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, January 27, 1905, Sweiter Theil., Image 13

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    Unsere höhere Tochter.
Humoresle von Frib Bren
tano.
Warum lachst du, Fritzei fragte
Frau Anning, die eben ihrem Gatten,
einem vielbeschäftigten jungen Rechts
antvalt einen großen gefüllten Kohl
topf, das Prachtstiick ihres heutigen
Menüs servirte.
»Lachen? Jch? entgegnete der
also Jnterpellirte, »daß ich nicht
wüßte! Wie käme ich dazu?«
»Na, höre«, sprach leicht indignirt
die Hausfrau, »das ist denn doch ein
bißchen komisch. Jch bringe diesen
Kohllopf, auf dessen Zubereitung ich
einigermaßen stolz bin, auf den Tisch
—- du witfst einen flüchtigen Blick
auf meine lulinarische Schöpfung
und lächelst verächtlich. Auf meine
Frage nach dem »Warum« aber heu
chelst du Unwissenheit. Da möchte
ich denn doch um eine Erklärung ersu
chen, Herr Gemahl. Wenn dir ge
füllter Kohl nicht behagt, brauchst du
es ja nur zu sagen — er soll dich ge
wiß nicht mehr durch seinen Anblick
beleidigen !«
Nun lachte der junge Ehemann
wirklich.
»Mein lieber Schatz,« erwiderte er,
»bitte« rege dich nicht auf. Zunächst
stelle ich fest, daß du zuerst von »La
chen«, alsdann aber von »Lächeln"
sprachst. Das sind zwei verschiedene
Begriffe. Das erstere negire ich mit
gutem "«Gewissen, das zweite geb’ ich
bedingungsweise — keinenfalls aber
in »verächtlichem« Sinne —- zu.
Lächelte ich wirllich, so geschah es un
willkürlich —- ich möchte sagen unbe-!
wußt —- vielleicht infolge einer Jdeen- i
verbindung zwischen diesem Meister-’
stiick deiner Kochtunst und dem Briefs
meiner Schwester Trude, den unss
vorhin der Postbote brachte —« »
»Und den du noch gar nicht gelesen ;
hast«, fiel Frau Anning ihrem Gat-;
ten in die Rede. »Woher also diese
geheimnisvolle Jdeen - Verbindung?
Das ist mir schleierhaft!«
»Ich will den Schleier lüften,
Schatz«, antwortete der Rechtsan
walt, »allein erst, wenn wir die causa
movens meiner dir so befremdlichen
heiterteit, diesen aggetztlichen Kohl
kon gegessen haben. Er duftet so ver
führerisch, und ich möchte ihn gern heiß
genießen, da kalter Kohl nicht gerade»
meine Leidenschaft ist. Also beenden
wir, ehe ich mein Plaidoyer beginne,
zunächst unsere Mahlzeit!«
Das thaten sie denn auch. Frau
Anning allerdings mit einer gewissen
nerviisen Hast, denn sie war cin biß
chen neugierig veranlagt.
Endlich war der Tisch abgedectt.
Der Dottor zündete sich seine iibliche
Nachmittagscigarre an, pflanzte sich
behaglich neben sein erwartungsvolles
Frauchen in die Sophaecke und be
gann:
»Wie du weißt, sind wir vier Ge
schwister. Wir verloren früh unsere
gute Mama und an ihrer Stelle re
gierte Fräulein Brigitte Schnabel un
seren Haushalt, um den sich Papa,
der mit der Vewirthschaftung seines
Landguteg vollauf zu thun hatte, we
nig —-- vielleicht ein bißchen zu wenig
—- lümmerte und alles seiner Reprä
sentantin überließ. Fräulein Schna
bel aber, ein ganz wider Willen stark;
«versvätetes Mädchen« von sünfund
vierzig bis achtundvierzig Jahren,
war keine angenehme Dame. Sie
war hart und spitzig wie ihr Name
und brachte uns Kindern keine Liebe
entgegen, was allerdings auf Gegen
seitigkeit beruhte. Auch das Haus-»
und Gutspersonal hatte viel unter ih
rem nichts weniger als »lieblichenr«
Temperament zu leiden, und so
konnte sie sich infolgedessen · schmei
cheln, die bestgehaßte Persönlichkeit
auf eine Meile in der Umgegend zu
sein.
»Meine jüngeren Schwestern, Else
und Hedwig, sowie ich, trugen die
lieblose Behandlung, die uns der
»Schrecken des Hauses« angedeihen
ließ, mit stummem Ingrimm, aber
Trade, unsere Aetteste, lebte in be-s
stündiger offener Fehde mit deri
Haushälterin, über die sie sich wieder- !
holt bei Papa, freilich ohne greifbare-Z
Resultat, beschwerte, da Fräulein
Brigitte diesen mit so ausgesuchter
Sanftmuth und Aufmerksamkeit be: (
handelte, daß er absolut nicht ant
Trudens Schilderung von dem bös
artigen Charakter seiner »Stiitze'«
glauben konnte. s
i
»waturna)," brummte etwas re
spettwidrig unsere Aeltesie, als wieder
einmal einer ihrer Angrisse gegen die
Schnabel abgewiesen war, »Papa wird
von ihr verhiiifchelL Er ist ja ein
stattlicher Wittwer und sie hofft! Aber
so lange ich lebe, aeschiehi es nicht —
ganz gewiß nicht!«
»Aus wag Fräulein Schnabel hoffte
und was nicht geschehen sollte, blieb
unserem kindlichen Begriffs-vermögen
damals unklar trotzdem haßten
wir die »olle Brigitte« seit dieser
dunklen Andeutung dcsto heftiger —
weil sie hoffte.
Alles in allem führten wir ein nn
behagliches Dasein. Und nun verlo
ren wir auch noch unsere letzte Stütze
—- unsere Trude. Sie avancirte zur
»höberen Tochter«, indem sie nach Ber
«dort sitt ihre künftige soziale Stel
B lin in das Jnstitut gebracht purde, um
E lung als heirathssöhige Gutsbesitzers
tochtee abaeschlissen nnd sein potirt zu
werden. Wir aber waren nach ihrem
Weggang den Schikanen unseresHaus
drachens ganz und gar verfallen und
hatten vor dessen Nörgeleien nur in
den paar Stunden Ruhe, während de
ren sich die Schnabel ihrer Lieblings
erholung widmete, die Lektiire irgend
eines jener Romane, die vorzugsweise
empfindsarne Küchenseen und Borsier
frauen zur Befriedigung ihres Litera
turbediirfnisses lesen.
»Und wieder studirte Fräulein
Schnabel ein solch fesselndes Werk,
betitelt: »Die kalte Todtenhand oder
der Geisterbesuch um Mitternacht«,
über dem sie manche Abendstunde mit
glühendem Gesicht saß, als nach Jah
resfrist unsere hübsch herangereiste
,,höhere Tochter« zum ersten Mal aus
Berlin zum Besuch kam, von der bra
ven Brigitte mit scheelen Augen, von
uns mit Jubel empfangen. Selbst
verständlich schütteten wir ihr beim er
sten traulichen Alleinsein unsere über
vollen Herzen aus und ebenso selbst
verständlich bildete die liebliche »Stü
tze« und deren thrannische Herrschaft
das Hauptthema unserer erregten Un
terhaltung, in der auch an der Hand
eines Heftes der »kalten Todtenhand«,
das wir der Alten gemopst hatten, der
literarische Geschmack der Hausregen
tin gründlich durchgehechelt wurde.
Die ,,höhere Tochter« hörte unsere
Klagen aufmerksam an, blätterte
nachdenklich das rothe Zehnpfennig
hest mit dem greulichen Titelbild
durch und bemerkte dann lakonisch:
»Kinder, ich habe einen Plan! Vor
läufig aber laßt uns zu Bette gehen,
ich bin müde!«
»Am nächsten Tag bekamen wir
Trude wenig zu sehen. Sie machte mit
Papa Besuche in der Nachbarschaft,
speiste sogar mit ihm auswärts und
erst gegen Abend hatten wir Gelegen
heit ein paar Worte mit ihr zu reden.
Wir weiten doch so schrecklich neugie
rig auf ihren »Plan«, allein, was die
sen betraf, glich sie einem japanischen
Generalissimus — stumm, wie ein
FIW
»Oder hatte sie gar keinen Plan?
Sie plauderte den ganzen Abend so
überaus liebenswürdig mit der etli
chen Schnabel, die majestätisch hinter
dem Samowar thronte, daß wir grün
und gelb vor Aerger wurden und uns
gegenseitig mit den Ellbogen in die
Rippen stießen, um unserem Unmuth
über diese Jntonsequenz unserer »bö
heren Tochter« einen fühlbaren Aus
druck zu geben.
,,Diele aber ignorirte uns und un
seren Aerger vollständig. Sie hatte
sich, während Papa in seiner Sofaecke
sanft duselte, mit der Verhaßten in
ein höchst interessantes Gespräch über
Geister und Geistersput vertieft, wo
bei sie so schauerliche Geschichten er
zählte s-— die schauerlichste sollte sich
sogar in ihrer Berliner Pension abge
fpielt haben —— daß der an sich schon
lächerlich abergläbischen Haushälterin
im Eifer des Zuhörens die Augen fast
aus dem Kopfe quollen und ihre-Haare
eine bedenklicher Neigung zum Sich
sträuben zeigten.
»Um elf Uhr ging die aitßergetvöhn
lich lange Abendsitzung zu Ende. Wir
waren gewohnt, in dieser Jahreszeit «
im November -— viel früher zur Ruhe
zu gehen und schliefen daher, als es
diesmal geschah, sofort wie die Rassen.
Aber nicht lange. Eben dröhnte
von dem alten Kirchthurm des Dorfes
drüben die Mitternacht, als wir durch
ein langanhaltendes gellendesGeschrei,
das unheimlich durch das ganze Haus
klang, aus unserem festen Schlaf auf
geschrectt wurden.
»Im Nu war alles alarmirt und
während wir jüngeren uns in das
Schlafzimmer Trudens flüchteten, die
noch vollständig angelleidet war und
sehr ruhig blieb, als wir sie zitternd
umdrängten, stürzten draußen Knech
te und Mägde, die ersteren theilweise
mit den unglaublichsten Dingen be
waffnet, nach dem oberen Korridor,
wo sie auf Fräulein Brigitte Schna
bel stießen, die halb wahnsinnig, in ei
nerEcke tauerte und immer wieder, wie
geistesabwesend, nach ihrer Schlaf
zimrnerthür stierend, zeterte:
»Dort, dort —- das Gespenst — die
kalte Todtenhand!«
»Na, ich will’s kurz machen,Schatz,«
so schloß der Rechtsanwalt seine Ge
schichte, »damit Du endlich erfährst,
wag eg mit derJdeenverbindung zwi
schen unserem heutigen Rohllops und
dem Brief Trudens«siir eine Bewandt
niß hat. Am Abend des nächsten Ta
ges bereits war Fräulein Schnabel
abgeteilt und siir immer aus unserem
Gesichtskreis verschwunden. Sie hatte
unserem, über diese Störung seiner
Nachtruhe höchlichst indignirten Papa
und dem entsetzten Gesinde eine schau
erliche Geschichte von einer eisigenTod
tenhand erzählt, die sich im Bett plötz
lich ihres rechten Beine-s bemächtigt
hatte, und als Papa sie in seinernAer
ger siir eine total verrückte Schraube
ertliirte, hinzugefügt, daß sie nicht ei
nen Tag mehr in einem Hause bleibe,
wo nicht nur dergleichen greulich-un
heimliche Dinge vortämen, sondern
auch diejenigen, denen sie passirten,
noch überdies verhöhnt würden.
»Und so ging sie denn wirtlich.
Während aber der Wagen sie zur
nächsten Bahnstation brachte, wintte
uns unsere »höhere Tochter« nach dem
Gemüsegartem wo sie uns einen riesi
gen, zu einem Eistlumpen gestorenen
Kohltops zeigte und schmnnzelnd er
Iklärte: »Ich hatte ihn zu Füßen ihres
Bettes versteckt! Jch wollte sie freilich !
nur mal gründlich anlaufen lassen,
daß er sie aber aus dem Hause trieb,
übersteigt meine lühnsten Erwartun
gen.«
,,Verstehst Du nun, Anning?«
«Allerdings,« erwiderte lachend die
junge Frau, »aber ich hätte nie ge
glaubt, »daß meine liebe Schwägerin,
die würdige Frau Geheimräthin, mal
eine solche Schwindlerin sein lonnte.«
»Ja, stille Wasser smd ties!« entgeg
nete der Doktor lustig und gab seiner
kleinen Gattin einen herzhaften Kuß
Aus dem Leben eines Prinzen.
Anläßlich des Todes des Prinzen
Friedrich von Hohenzollern werden
viele Züge aus dessen Leben mitge
theilt, die für die Liebenswürdigteit
des Verstorbenen sprechen. Ein ehema
liger Einsähriger des 2. Garde«Dra
gorierregiments, das der Prinz einst
tommandirte, schreibt: »Versucht da
eines Nachts, wie es ja öfters vor
kommt, ein Dragoner, der seinen Ur
laub überschritten hatte, in derSchlei
eimacherstraße die Kasernenmauer zu
übersteigen. Aber alle seine Anstren
gungen sind vergeblich. Da hallen
Schritte durch die einsame Straße;
scheu duckt sich der Soldat zur Seite,
aber, gottlob, es ist nur ein Civilist.
An ihn wendet sich der Reitersmann
in seiner Noth: »Sie, Civiliste, kom
men Sie doch mal her und helfen Sie
mir über die Mauer!« Der Herr wil
ligt lachend ein, legt auf Geheiß seine
Hände zusammen, als helfe er einer
Dame aufs Pferd, der Soldat tritt
darauf und schwingt sich auf die
Mauer, um im nächsten Augenblick
drüben im Dunklen zu verschwinden.
Ungesehen gelangt er gleich darauf in
seine Stube und in sein Bett. — Am
nächsten Tage tritt auf Regimentsbe
fehl das ganze Regiment auf dein Fia
sernenhof an. Niemand weiß, wes
halb. Da erscheint der Kommandeur
und sagt: »Es ist mir mitgetheilt wor
den, daß heute Nacht zwischen 1 und 2
Uhr ein Dragoner in der Schleierma
cher Stratzen über die Mauer gestiegen
ist. Der ann trete vor.« Ein paar
Augenblicke ist alles still, dann kommt,
wenn auch zögernden Schrittes, der
Uebelthäter aus dem Gliede hervor
Der Oberst läßt sich von ihm genauen
Bericht erstatten, wie er es fertig ge
bracht hat, hinüberzutommen, und
zum Gaudium des gesammten Regi
ments und der Straßenpassanten muß
der Dragoner mit Unterstützung eines
Kameraden noch einmal das Hinder
nis; überwinden. Dann fragt ihn der
Kommandeur, ob er denCivilisten wie
der erkennen würde, und theilt auf ver
neiiiende Antwort dem auf’s höchste
Erschreckten mit, dasz er selbst, Prinz
Friedrich von Hohenzollerm der Herr
in Cibil gewesen sci. -—-- Eine Strafe
erhielt der Soldat nicht, aber er hat
auch nie wieder seinenllrlaub übertre
ten, und an ihm hat sich mancher ein
Beispiel genommen.
—-«
Der liebenswürdige Minister.
Aus Gotha wird dem ,,(5.rfurter
Auzeiger« berichtet: Auf dem Bahnhof
einer Thüriugischeu Residenz steht der
Zug, der nach dem Walde führt, zur
Abfahrt bereit. Jn einem stupee L.
ttlasse sitzt wohlgefällig der Schneide
miihlenbesitzer X. aus Y. Er hat heute
einen der wichtigsten Tage feines Le
bens hinter sich. Der Minister hatte
deiGiiadQ ihn zur Audieiiz zu fordern.
Mit äußerster Liebenswiirdigteit war
er empfangen worden, um über diese
und jene Verhältnisse Auskunft zu ge
ben. Ja, am Schluß hatte Excelleni
sogar den lebhaften Wunsch ausge
iprochen, eine solche schätzenswerthe
Kraft im nächsten Landtag begriisien
zu können. Was wollte er mehr! tfr
war mit sich zufrieden. Da öffnete sich
kurz vor Abfahrt des Zuges noch ein
mal die Thür und herein stürzt sein
Freund Z. aus Z. Auch er ist tadel
los gekleidet von oben bis unten, auch
er erlaubt sich heute 2. Güte. »Aber
woher kommst Du denn?« fragte ihn
X. »Ja, denke Dir,« berichtet nun
Freund Z» nachdem er sich einiger
maßen verschnauft hat, »ich war heute
zur Audienz beim Minister empfehlen
Aeußerst gnädiger Empfang. Ereellenz
fragte nach diesem und jenem u. s. w.
Ja, schließlich s—« »Schleißlich«, fiel
ihm X. in’s Wort, »sprach Exeellenz
den lebhaften Wunsch aus, eine solche
schätzenswerthe Kraft« u. s. w." --—
»Aber woher weißt Du denn das,«
sagte verwundert sein Freund. »Ja,
dasselbe hat er mir ja auch gesagt,«
erwiderte X. »Ich war nämlich auch
beim Minister.« . . . .
—--—-——-—.--———
Ueber-schäm.
,,Werti)es Fräulein, meine Liebe zu
Ihnen ist wahr und aufrichtig, sie ist
so innig, so wahr, so heiß, so uner
Ineßlich, daß ich ——« — ,,.HBren Sie
aus —— so viel Mitgift habe ich ja gar
nicht«
Hilfst-neit
Student fzu seinem Kollegen, der
ihm über Geldmangel klagt): »Wenn
Du Geld brauchst, dann konan nur
zu mit, dann suchen wir zusammen
einen —- dee uns pumpt!"
Durch die Blume
Prinzipal: »Also der Schulz will
nichts mehr kaufen; hat ess- Jhnen
geradeaus gesagt?« —- Reisender:
»Das nicht, aber verblümt«. —- Prin
zipal: »Wie denn?« —- Reisender:
»Er ließ mich eausschmeißen.«
Die wilde LieseL
Novellette von Louise Bruhn.
Vor einem großen schönen Hause in
B stand eine alte Linde. In set
nem Studirzimmer saß am Fenster
der junge Doktor Johannes Riedel, in
tiefe Gedanken versunken.
Draußen senkte sich schon leise die
Dämmerung auf die Häuser nieder,
und ein lindes Abendliiftchen strich
sanft durch die Aeste des alten Bau
mes und wehte ein Paar weiße Blü
then herab aus den Boden.
Es war dem jungen Arzte, als
säße dort unter der Linde ein kleines,
zierliches Geschöpfchen von fünf bis
sechs Jahren, mit widerspenstigen,
braunen Locken und mit großen,
blauen, fragenden Kinder-augen.
Das liebliche kleine Mädchen trug
ein lurzes, blaues Kleidchen mit einer
blendend weißen Schürze, und die klei
nen Fäßchen steckten in niedlichen
Schuhen.
Das war die kleine Liesel, die
wilde, lustige Liesel, des verstorbenen
Lehrers Töchterlein, mit dem der
junge Doktor jeden Tag seiner Kna
benzeit unter der alten Linde gespielt
hatte.
Das arme, kleine Liesel verlor friih
die Mutter und bald darauf auch den
Vater. Die alte Tante Justine hat
es dann zu sich genommenund wohnte
immer noch im Schulhaus, dicht ne
ben dem stattlichen Hause des Dok
tors.
Kam Doktors Hans aus dir
Schule, so stand das Liesel schon in
der Pforte und schaute sehnsüchtig
nach ihm aus. Das arme kleine D·«:«g
.hatte ja nur die alte Tante Justine,
die, so lange die Kinder denken konn
ten, am Fenster faß, mit der Brille auf
der Nase und strick-e
Darum war die kleine Liesel auch
so gerne drüben bei Doktors-.
Wenn sie nur konnte, entwischte sie
sder alten Tante mit dem kalten We
»sen und den strengen Augen und sie-a
dahin, wo sie sich mit dem Instinkt
ihres kleinen Herzchens willkommen
I fühlte.
i Da stand sie auf den Reben neben
,der Frau Doktorin; mit ernsten-· Ge
slchtchen schaute sie zu ihr auf, wenn
sie die Suppe kostete. Dann setzte sie
sich neben den Hans aus ein niederes
Schemelchen, wenn er seine Schulwes
gaben machte und sah mit athemloser
stummer Bewunderung, was er fiir
Krakelsüße in sein Schulheft malte.
Dann aber, wenn es ihr zu lange
dauerte, flog sie wie ein Pfeil in die
Hohe: »Fang’ mich, Hansl« -—— und
»ehe er sichs versah, war sie, husch, um
die Ecke, und wie eine kleine Eidechse
schlüpfte sie hervor: »Ach, Du du«-u
nter, dummer Hansl«
Wie gerne ließ er sich so nennen,
wie gern!
’ Dann mußte sie auch in die Schille,
die wilde Liesel, mit einem Schreib
hest und der Fibel Drollig sah sie
alust Die Tante Justine hatte ihr
sur diesen wichtigen Tag die wider
zspenstigen Haare sein säuberlich niit
tWasser glatt gekämmt und einen
IZops geflochten, der wie ein Wegwei
s ser abstand.
l Und sie hatte eine so drollige Wiirte
»aufgeset3t und ging so stol: daher bin
» ter den großen Mädchen die wilde
tkleine Liesel! Nachher flogen die
Bücher in die Ecke und, hast du mich
gesehen, huschte sie hinaus unter die
große Linde.
,,Gel:, Haan, so kannst Du mir’g
doch nicht nachmachen?«
; Flint wie ein Eichhörnchen, leicht
»wie eine Else huschte sie hin und her,
schwang sich auf die Linde und wiegte
sich wie ein Vögelchen aus schwanken
dem Aste. Lachenden Auges sah sie
»dann in das entsetzte, angstvolle Ge
i sicht unter der Linde.
»O Du dummer, dummer Hans-,
gelt, hast Angst Z«
! Und die Tante Justine wurde im
imer älter und Klein-Liesel immer
;·hübscher. Sie kletterte jetzt nicht mehr
iaus die alte Linde und geht nun auch
« nicht mehr in die Schule. Fein sittsam
lsitzt sie neben der Tantc Justine und
»näht, nur manchmal schaut sie sehn
Istichtigen Auges zum Fenster hinaus
s in's-H Blaue.
Und Doktors Hans muß morgen
»Abschied nehmen; er geht nach Heidel
Tberg, um dort zu studiren, weil er
doch auch wie sein Vater Doktor wer
den will. Das Schwerste ist ihm die
Trennung von der LieseL Das Herz
sschlug ihm bis iu den Hals hinauf,
als er ihr Lebewohl sagte. Sie neekte
ihn und lachte ihn aus, weil er so un
; behilflich vor ihr stand.
! Als er aber am sriihen Morgen des
landeren Tages fortging, stand sie vor
Dem Hause, und mit: »Da, lieber
«Hans!« slog ihm etwas in’s Gesicht.
»Als er eg aufhob, war es ein kleines
tStkäufzcheu, in der Mitte ein Ver
gißmeinicht. ——- Die Liesel war da
von.
Vier Jahre sind seitdem vergangen
Die Nachrichten vonHause laineii nicht
allzu ausführlich Die Eltern schrie
ibeii ihm, die alte Tante Justine seH
stirbt, und die Liesele sei sori. Ein vor- s
inehmer Herr sei qekoniiiien, der die
s Liesel in der Kirche singen hörte Jhre
schöne Stimme habe es ihm angethan
s und er wolle sie zur berühmten Sän
gerin machen Seine Eltern hatten
iihr abgeredet, so sehr sie konnten, die
»Liesel aber lockte die schöne bunte
sWelt mit ihrem Glanz und Flimmer
fund so ging sie mit dem vornehmen
: Herrn nach Italien.
I Das war ein böser Tag sür iden
Hans, als er das erfuhr! Ein böser
i Tag! Aber nicht schlimmer als der, an
’dem er sie später einmal aufsuchte,
; Um ihr mit aller Gewalt seines treuen
und ehrlichen Herzens zuzureden, daß
sie doch zurückkehrte in die alten, ein
fachen Verhältnisse
i Sie könne ja seiner alten Mutter
»eine Stütze sein bei der Arbeit. Jhre
unschuldigen Kinderaugen strahlten
Hihn übermüthig an, und ihr rother
iMund lachte ihn aus, wie früher so
soft: »O Du dummer Hans, gelt, ge
Irade jetzt, wo ich ausgelernt habe und
feine große, berühmte Sängerin wer
» den kannt« . . . Sie hatte hell aufge
s lacht . . .
l Und so würde sie Viele anlächeln,
Iund Viere würden ihren Blick in die
; großen, sragenden Sterne tauchen, bis
Hder unschuldige Kinderblick daraus
? entschwand!
i Und nun ist er Doktor geworden
Han seines Vaters statt, und seine
jberwittwete Mutter hält ihm Haus.
» Er wußte wohl, sie hätte es gerne ge
sehen, wenn eine junge Frau Dokto
rin in’s Haus gekommen wäre; denn
sie hatte ihren Hans so lieb und
möchte ihn gern glücklich wissen.
H Aber es ging nun einmal nicht,
nein! Hier in dem alten Haus mit
den lieben, alten ..... Erinnerungen...
Der junge Doktor beschattete die
Augen mit der Hand, so vor sich die
alte Linde, die immer noch so schön
blühte . . . heiliger Gott, was war
Idasls — —- Da stand’s, da sah’s mit
. großen, scheuen Augen zu ihm hinüber
—- sein Liebstes auf der Welt!
i Und bald daraus stand der junge
HDoktor unter der Linde und hielt eine
liebende, zitternde Gestalt in den Ar
men.
; »Hans", schluchzte sie, ,,bin ich noch
bei Dir zu Hause, Hans-I«
Sie athmete tief auf, dann brach
zihre Stimme in Schluchzem
; ,,Hans, ich bin elend und unglück
lich, sie haben mich gequält und ge
hetzt, sie haben mich belogen und be
trogen . . . ich war so allein unter
ihnen allen . . . und ich hatte solche
i Sehnsucht nach der lieben sixten Kin
jderzeit . . . und da bin ictk nun . . .
sund so lebensmiide . . . Hansl«
s Und dann leiser:
i »Ich war nur thöricht . . . nicht
’schlecht . . . und nicht wahr, Hans-,
wenn sie wag Schlechteg von mir sa
gen . . . Du glaubst nicht . . . Du
nicht, .Han5?«
Statt aller Antwort hob er sie ein
ror wie ein Kind und trug sie hinein
in’s Zimmer. Dort ließ er sie auf·
einem Stuhl nieder, kniete vor sie hin
und bedeckte ihre Hände mit unzäh
ligen Küssen. -
»Du böse, liebe Liesel, Du bist also
zu mir gekommen, willst all denGlanz
und die Pracht verlassen und mit Dei
nein Hang oorlieb nehmen? —- Sieh
inich doch nicht so ungläubig an, Liesel
. . . Dich will ich . . . unglücklich und
elend . . . krank und lebengmitd . . .
Dich will ich, nur Dich allein! Sag,
daß Du mein sein willst, Liesel . . .
aber so sag-s doch. . . liebe, süße Lie
sel. . .
,,Hans!« jubelte sie, ,,inein treuer,
guter Hansl«
Sie lag in seinen Armen. Da trat
die Doktorin ein.
»Ja, wag ist denn da geschehen,
Hans?«
,,Mutter,« sagte er einfach, aber eine
jubelnde Zuversicht klang durch seine
sStiinme »Mutter, unsere wilde,
; liebe, kleine Licsel ist wieder da.«
Und alg die Doktorin fragend Von
eineni zum andern blickte, flog Liesel
ihr um den Hals.
»Er liebt mich —- er liebt mich,
Miitterchen!«
»Wir feiern Verlobung, Mutter,«
sagte der junge Doktor, ,, gieb uns
Deinen Segen!«
»Mutterchen,« slüsterte Licsel mit
einem unbeschreiblich seligen Lächeln,
«Miitterchen, segne Deine glücklichen
Kinder!«
Erziehung des Mannes.
Von Jennh Riese.
Anna, Mina nnd Helene waren
Pensiongsreundinnen gewesen, nnd
ihre Freundschaft blieb auch bestehen,
als sie bereitsv alle drei verheirathet
waren. Einst saßen sie beisammen
nnd stritten dariiber, wessen Ehe am
aliicklichstcn sei nnd welche von den
Dreien ihren Mann »am besten erzo-s
aen hätte.«
»Das lange Streiten niitzt nichtg.«
sagte Anna schließlich, »die Wahrheit
wird sich nicht eher herausstellem als
bis wir Alle die Probe daraufhin
gemacht haben· Wir miißien jede un
seren Männern die gleichen Unan:
nehmlichteiten bereiten, nnd dann se
hen, wer sich dabei am sanftesten oder
nngebiihrlichsien benimmt.«
»Welche Unannehmlichkeit denn"5«
»Nun, mein Mann giebt sehr viel
aufs Essen, und da er durch meine
Kochlunst etwas verwöhnt ist, so ist
ihm nichts ungemüthlicher, als wenn
einmal etwas mißrathen ist· Beson
ders am Sonntag wünscht er eine ta
dellose Tafel. Wie ist es denn bei
Ench?«
Die anderen Beiden mußten zuge
ben, daß auch ihre Gatten auf einen
schmackhaften Sonntagöbraten viel
Werth legten.
»Wenn wir ihn also anbrennen
ließen!« riefen Mina’.und helene
gleichzeitig. -
»Richtig!« schloß Anna, »und da
mit wir uns gegenseitig eontrolliren
können, wollen wir uns an den nächst
folgenden drei Sonntagen zum Essen
einladen.«
»Wer-den unsere Männer dann aber
auch mit dieser Einladung einverstan
den sein?« fragte Helene.
»Diejenige, die das nicht einmal bei
ihrem Manne durchsetzen lann,« erwi
derte Anna achselzuckend, ,,ist von der
Concurrenz von vornherein auszu
schließen.«
Bei Anna kam man zuerst zusam
men. Alles, war in heiterster Stim
mung bei der Tafel, bis — ein ver
brannter Kalbsbraten erschien. Die
bis dahin liebenswürdige Miene des
Wirthes wurde finster, seine Augen
schossen Blitze aus die »schreckensblei
che« Anna, er brummte unverständ
liche Worte in den Bart, welche sich die
Besucherinnen so berdolmetsehtem
»Wenn nur nicht Fremde hier wären,
ich wollte Dich lehren —«
»Nun, lieber Mann,« sagte Anna,
um ihre Erziehung in voller Parade
vorzuführen, »Du scheinst etwas miß
gestimmt zu sein.«
»Ich wünschte«, lautete die Ant
wort, »Du hättest Deine sonst so be
währte Koch-Wust vor unseren lieben
Gästen auch heute in besserem Lichte
gezeigt.«
»Der Braten ist tadellos-, ichs mache
ihn nie anders,« behauptete Anna
kühn.
Der Gatte erwiderte etwas darauf, «
und so entspann sich ein kleiner eheli
cher Streit, der nur durch dasDazwi
schentreten der anderen beiden Frauen
beigelegt wurde.
Ein ganz anderes Bild zeigte sich,
als am nächsten Sonntag der ver
brannte Braten in Minas HäuslickF
keit auf den Tisch kam. Jhr Gatte
ließ seinen Unmuth über das bitter
schmeckende Gericht nicht im Gering
sten merken und aß ohne Widerspruch
die Stücke, die ihm Mina auf den
Teller gelegt hatte.
Noch wohlgezogener zeigte sich He
lenes Gatte, als die sechs Personen in
der folgenden Woche bei ihr um einen
verbrannten Schweinebraten herum
saßen. Nicht nur, daß er selbst sich
ein Stück nach dein andern nahm und
mit augenscheinlichem Behagen ver
zehrte, er sang auch wahre Loblieder
auf die Kochkunst seiner Frau und
behaup,tete, nie im Leben einen so
schönen Braten gegessen zu haben.
Gleich am nächsten Tage kamen die
drei Freundinnen wieder zusammen,
um das Urtheil zu fällen.
»Ich will mich nicht rühmen,« sagte
Helene in bescheidenem Tone, »aber
wo der Augenschein selbst spricht, ist
es wohl unnöthig, die Verdienste un
serer Erziehung noch im Einzelnen
besonders abwägen zu wollen. Dein
Gatte, Anna, tad«elte, der Minas
schwieg, der meine lobie. Also —«
»Nun meine ich,« fiel Anna ein«
»daß dieses Material zur Begründung
des Urtheilgspruches nicht ausreicht.
Wie unsere Männer sich in Gegenwart
von Fremden betragen, hatte Helene
richtig festgestellt. Aber, liebe Helene,
darf ich Dich fragen, wie sich Dein
Gatte verhielt, als wir am letzten
Sonntag lDein Heim verlassen hat
ten?«
»Nun, wohl nicht anders als- die
(iuren,« lautete die in einem etwas
derlegenen Tone gegebene Antwort.
»Als Ihr fortgegangen waret über
hiiuste er «nich mit Borwiirsen ich
blieb ihm natürlich keine Antwort
schuldig, und alg wir ausgezanlt hat
ten, schloß er sich in sein Zimmer ein.
Seitdem haben wir noch tein Wort
miteinander gesprochenR
».luch mein Mann hat kein Blatt
ror den Mund genommen nahm nun
Man dag- Wort, »aber nach einem
tüchtigen Streite versähnten wir uns
wieder, und jetzt ist Alles in bester
Ordnung.«
»Und wag meinen Mann betrifft,«
sagte nun Anna gelassen, »so bat er
mich, wegen seines Benehmen-s bei
Tische, als wir unter vier Augen wa
ren, um Verzeihung, die ich ihm aber
nicht so rasch gewährte Erst als er
ausging und mir bei seinerWiederkehr
einen Schmud zum Geschenk machte,
lies; ich mich desänftigen«
Etwas neidisch gestanden Mina
und Helene ihrer Freundin Anna den
illreigi zu
Seine Auffassung·
»Hast Du gehört. wie Fräulein He
lene neulich sagte, die qanze Stadt
liege ihr zu Füßen Glaubst Du
dsgigksp »Ja« —- »Wieso?«
»Nun, sie wohnt ja in der vierten
Einge«
ältste-gedeutet
Richter: »Wie kamen Sie, Herr
Zeuge, mit dem Angeklagten Zusam
men?« -—— Zeuge: »Er suchte in der
Zeitung einen Sozius zur Ausbeutung
einer Entdeckung und — —- die Ent
sbeckung war ich.«
) Ungalnnt.
! Richter: »Wie elt find Sie?« —
Dame: ,,leer, Herr Präsident, wissen
Sie denn nicht, daß eine Dame iknmer
so alt ist, wie sie aussiehiW —- Rich
sten »Für so alt hätte ich Sie nicht
s gehalten!«