Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, January 20, 1905, Sweiter Theil., Image 9

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    —
Vorwärts, nicht zurück!
Blick vorwärts! Schott voll Sehn-en
Mit dem ug’, umflortvon Thränen,
Nicht in hinuth bang zurück
Trauernd um’s verlor’ne Glück!
Vor dir liegen weite Bahnen —
" olge freudig edlen Fahnen,
trebe weiter ohne Rast,
Trägst dann leicht des Lebens Last!
Mägst an freiem Selbstvergesssen
Wahne Grdße nur ermessen!
Kleiner Geist hat sich erhebt,
Weil er sich in Schmerz begräbt.
Wirke, schaffe! Gutes baue!
Jedem Schicksal dich vertraue!
Kannst ja nicht drin untergeh’n,
Bleibst auf ew’gem Grund du steh’n!
Ohne Urlaub.
Novellette von Reinhold Ortmann.
Hertha v. Bünau saß unter den
Händen ihrer Zofe im Frisirmantel
vor dem Spie l. um sich für das auf
sieben Uhr se tgeseyte Diner bei dem
Geheimrath Martius vorbereiten zu
lassen. Sie befand sich in jener rosi
gen Laune, mit der die Erwartung
einer großen Freude den Menschen er
füllt, und immer wieder, während sie
mit ihrer vertrauten Freundin, der
jungen Frau desRittmeisters v. Bern
wald, plauderte, klang ihr helles, per
lendes Lachen durch das Zimmer. Zu
letzt schien ihre ausgelassene Heiterkeit
die Besucherin sogar etwas ungedul
dig zu machen, denn nachdem die
Jungfer das Zimmer verlassen hatte,
sagte sie: «
» ch begreise garnicht, wie die
Aussicht auf dies Diner Dich in so
gute Laune versetzen kann. Jch danke
Gott, daß wir nicht eingeladen sind,
denn ich kenne tein langweiligeres
Haus in ganz Berlin.«
Die junge Wittwe —- sie war es
schon seit drei Jahren, nachdem sie sich
ihres Ehegliickes nur wenige Monate
erfreut hatte ——- gab mit einem aber
maligen Auflachen zuriict:
»Wir-tüch? Jst es so langweilig?
Jch habe das bisher garnicht te
mertt.«
»Vielleicht, weil zufällig immer ein
gewisser Herr Oberleutnant Dein
Tischherr gewesen ist?«
»Ja —- vielleicht eben deshalb, Du
ahnungsvoller Engel! Er ist in der
That ein ganz erträglicher Gesellschaf
ter, dieser gewisse Herr Oberleut
nant.«
»Wenn ich nur wüßte, weshalb Jhr
noch immer zögert, Euch zu verloben.
Herr v. Gotter ist doch ebenso unalx
hiin ig wie Du.«
» an lann sich doch nicht gut ver
loben, bevor einem ein Heirathsantrag
gemacht worden ist. Das ist doch ein
leuchtend, nicht wahr?«
Die Frau Rittmeister machte ein
ungläubiges Gesicht.
»Du willst mich zum besten haben.
Weißt Du denn nicht, daß man Euch
m der Gesellschaft allgemein schon als
Brautpaar ansieht-«
»Ich kann es den Leuten nicht ver
bieten. Aber es ist trotzdem buchstiib
lich so, wie ich Dir sage. Vom Heira
then ist zwischen Herbert und mir noch
mit leiner Silbe die Rede gewesen«
»Dann muß ich Dir doch sagen,
Liebste, daß ich Dich etwas leichtsin
nig finde. Denke nur, in einer wie
unmöglichen Lage Du Dich befinden
würdest, wenn Gotter sich etwa eineg
Tages zurückzöge.«
«Daö war nicht hübsch gesprochen,
Masdat herbert hat, denke ich, noch
niemandem Anlaß gegeben, an seiner
Ehrenhastigteit zu ztveiseln.«
Frau v. Bernwald brauchte daraus
nicht mehr zu antworten, denn eben
trat die Jungfer wieder its-Z Zimmer,
um ihrer Herrin ein Telegramm zu
überwichm Das Gesicht der jungen
Wittwe wurde plötzlich ernst, während
sie ihre Hand danach ausstreclte, und
als fee es erbrochen hatte, war mit
einem Male die strahlende Heiterkeit
aus ihren Au n verschwunden.
»Das ist ab cheulich,'« sagte sie. »Er
kann nicht kommen. Ida-»sich selbst,
was er mir telearaphirt.« —
Keinen Urlaub erhalten. Be
dauere unendlich, Sie heute nicht zu
sehen. Herbert v. Gotter.
»Seht ärgerlich für Dich, mein
Liebling! Und zugleich sehr merlwür
dig. Meinem Vetter Otto, der doch
auch bei den Neustadter Husaren steht,
ist das noch nie passirt.«
»Deine Aeußerungen find so son
derbar, Magda. Es llingt fast, als
hieltest Du mit irgend etwas hinter
dem Berge.«
»O nein! Du weißt, ich gebe gar
nichts aus Klatschgeschichten —— die
Leute reden ja so viel. Aber wenn es
sich um meine beste Freundin han
delt —- —·'«
»Es steckt also doch etwas dahinter?
—- Um Gotteswillem Magd-a, Du
darsst es mir nicht verschweigen.«
»Nun, ich glaube allerdings, Dir
volle Aufrichtigteit schuldig zu sein.
Man sagt also, rr v. Gotter stände
. . » in näheren ziehungen zu einer
Scharespieleriiu«
beriha stand einen Au endlick wie
gelähmt, dann schüttelte Fu energisch
den Kaps.
« »Nein, das ist nicht wahr! Das ist
eine schändliche Verleumdung.«
»Ich sage nicht, dabei wahr ist.
Gewiß erlliirt es sich aus eine ganz
unverssnglickp Weise, daß er dte Da
me zuweilen besucht. era Dertlingt
Yebrasåa
Staats-Zusag» Und Yernld
J. P. Windolph, Herausgeber Grund Island. Nein-» 20 Januar 1905 RwetterThetU Jahrgang 25 No. 21.
»--.- » ,- -s, m— --»
wohnt nämlich in demselben Hause,
und sie hat ihn während der letzten
acht oder zehn Tage dreimal zu dem
Fräulein Nordecl gehen sehen, natür
lich in Civil und jedesmal erst nach
Eintritt der Dunkelheit«
»Und ich wiederhole Dir, es ist nicht
wahrl« rief Hertha, aber das Zucken
ihrer Lippen und die Thränen in ih
ren Augen sprachen nicht gerade für
die Festigteit ihrer Ueberzeugung.
»Wer Tit denn übrigens die Person,
derzuliebe er mich so schändlich hin
tergehen sollte? —— Nordeck? —- Jch
habe den Namen hier in Berlin noch
Enie aus einem Theatekzettel gelesen«
H »Sie tritt auch meines Wissens
; heute zum ersten Mal a-uf.«
« »Heute Abend?«
Die junge Wittwe stand ein paar
.Minuten lang unschliissig, dann lief
sie plötzlich, ohne weiter ein Wort zu
sprechen, zum Schreibtisch, warf ei
nige Zeilen auf einen Briesbogen und
tlingelte stürmisch nach dem Mädchen
» »Was hast Du denn vor, Hertha?
Du wirst ddch keine Dummheiten ma
chen?« .
»Ich habe nur an die Frau Ge
heimrath geschrieben, daß sie mich fiir
heute Abend entschuldigen müsse. —
Da, Eise-besorgen Sie diesen Brief
sofort an seine Adresse. Und ehe Sie
gehen, legen Sie mir noch das graue
ti«ostiim und den Theatermantel zu
recht. Antleiden werde ich mich
selbst.«
Als die Zofe draußen war, wandte
sich Hertha ungestiim an die Be
sucherim
»Sage nichts — ich bitte Dich —
sage kein Wort! Jch weiß schon, wag
ich thue. Wen-n es- wahr ist, daß er
mit dieser Person etwas hat, so ist er
auch sicherlich heute Abend bei ihrem
ersten Auftreten im Theater. Und ich
will mich mit meinen eigenen Augen
davon überzeugen, ob er mich ver
täth.«
Frau Magda kannte ihre eigensin
nige Freundin gut genug, um zu wis
sen, daß es verlorene Liebesmiih sein
würde, sie von ihrem Vorhaben ab
bringen zu wollen, aber die Sache war
ihr ein bischen unbehaglich geworden,
und sie zog es darum vor, sich zu em
psehlen.
Die sjunge Wittwe aber fuhr eine
Stunde später in einer Droschle vor
iem Theater vor und lief-, sich einen
Platz im Hintergrunde der Prosce
niumgloge geben, von wo aus sie einen
ungehinderten Ausblick auf den Zus
fchauerraum hatte, während sie selbst
nicht so leicht gesehen werden konnte.
Sie fand richtig den Namen des Fräu
lein Martha Nordeel aus dem Zettel,
end das Blut drängte sich ihr siedend ]
heiß zum Herzen, als sie unmittelbar
vor dem Aufgehen deg Vorhangs Her
bert v. Gotterg hohe Gestalt durch eine
der hinteren Partetthiiren eintreten 4
fah. Kurz darauf begann die Auf--l
siihrung.
So wenig unparteiische Beurtheiler
auch die Augen der Eifersucht sein
mögen : daß diese junge Schauspie
lerin eines der anmuthigsten und lieb
reizendsten Geschöpfe fei, die sie ge
sehen, konnte sich Hertha doch nicht ver
hehlen. Und je mehr sich der Erfolg,
ten man der schönen und talentvollen
Debiitantin bereitete, im Verlaufe des
Abends bis zu wirklichen Huldigun
gen steigerte, desto tiefer sank die Hoff
nung in dem gequälten Herzen der
sungen Wittwe.
Trotzdem blieb sie bis zum Schluß
der Vorstellung Und dann wartete
sie in einem Winkel des Ganges, bis ;
ihr der Logenschlieszer ihren Mantel
aus der Garderobe geholt hatte. Der ,
«Strom der Besucher hatte sich inzwi- «
IsTben bereits verkaufen, und nur ein
. einzig-er, ein schlanker, hochgewachsener
EMann in dunklem Civilanzuge stand
noch am anderen Ende des menschen
leeren Korridors, wie tvenn er dort
auf jemand wartete.
Da standen sie einander nun unver
muthet Auge in Auge gegenüber, und
in äußerster Bestiirzung kam ihr Name
iiber seine Lippen. Sie aber hatte ihre
Fassung schneller wieder-gewonnen und
vermochte sogar zu lächeln, während
sie sagte
«Jch freue mich, Herr Oberleutnant,
daß man Jhnen den Urlaub nach Ber
lin doch noch bewilligt hat. Für das
Dinet war es wohl inzwischen zu spät
geworden. Aber Sie haben gewiß kei
nen schlechten Tausch gemacht. Dies
Fräulein Notdeck ist wirklich ein rei
zendes Mädchen und eine bezaubernde
Künstlerin.«
Er sah sie ganz starr an.
,. ch bin ohne Urlaub nach Berlin
gefa ren, gnädige Frau,« erwiderte er,
,,mein Tele ramm enthielt keine Un
wahrheit. ch war hier, um ein Zeuge
der Entscheidung zu sein. die an die
sem iOfkbend iiber meine Zukunft gesal
en .«
»Wie feierlich das klingt und wie
Mheimnißvoll Aber ich will nicht so
indistret sein, den Schleier dieses Ge
heimnisses zu lüften. Guten Abend,
Herr von Goter —- und viel Amiise
ment!« ,
,,Gehen Sie nicht so. — Jn welchem
Lichte Ihnen auch meine Handlungs
weise erscheinen mag, eine so spöttische
fAbfertigung habe ich nicht verdient.
I Erlauben Sie mir wenigstens, Jhnen
; dies Fräulein Nordeck vorzustellen, für
Idas Sie ebenso freundlich anerken
’ nende Worte hatten. «
T Hertha maß ihn mit einem hoch
- müthigen Blick.
»Ich bin Jhnen sehr dankbar fiir die
Ehre, die Sie mir da zugedacht haben,
Herr Oberleutnant! Aber ich habe so
wenig Erfahrung im Umgang mit
Damen vom Theater, daß ich lieber
darauf verzichten möchte «
»Auch wenn —- wenn diese Dame
isom Theater meine Schwester ist, gnä
dige Frau?« Er sagte es ganz leise.
»Jhre Schwester?«
,,21llerdingg, —- meine Schwesiser, die «
gegen den Willen ihrer Angehörigeni
zur Bühne gegangen ist, und die ganz
schutzlos sein würde, wenn auch ich ’
mich von ihr lossagen wollte, wie mein
Vater und meine anderen Verwandten
es gethan haben « l
»Mein Gott, welche Ueberraschung! ’
Verzeihen Sie mir, wenn meine
Worte gegen meinen Willen etwas
Kränkendes fiir die junge Dame ent- I
hielten Aber Sie sprachen doch Von !
einer Entscheidung über Ihre »Zu- I
Zur-ift, die an diesem Abend gefallen]
ei
»Und ich sprach die Wahrheit! Sie
kennen die Anschauung unserer Kaste
gut genug, gnädige Frau, um zu wis- "
sen welche Unzuträglichkeiten sich siir
einen Ossizier ergeben müßten, dessen
Schwester öffentlich als Schauspiele
tin auftritt. Da ich Martha nach ih
rem heutigen Erfolg nicht mehr zu
muthen kann, mir zu Liebe aus die
Laufbahn der Bühnenlünstlerin zu
verzichten. so werde ich eben meiner
seits die Konsequenzen der Sachlage
ziehen und morgen meinen Abschied
einreichen.«
Mit leuchtenden Augen sah Hertha
zu ihm auf
»Da-«- wollen Sie thun? Jch gratu
like Ihnen zu Ihrem Entschluß Herr i
von Gotter, denn er ist — o, er ist-«
edel.«
»Er ist ein Gebot der Nothwendigs ·
keit, gnädige Frau, nichts weiter! Und i
er wird mir wahrhaftig schwer gnug, »
denn er kostet mich Viel mehr als eine I(
bunte Unisorm er kostet mich auch M
die Hoffnung aus ein Glück, das den »
ganzen Jnhalt meines Leben-:- augina I
chen sollte.« i
Sie lag es deutlich genug in seinem ;
Gesicht, welche-Z Glück er damit meinte. ·
Eine rasche Antwort schiert sich auf ihre l
Lippen zu drängen, aber in diesem Au «
genblict öffnete sich am Ende des Gan ·
ges das kleine Pförtchen, das in den?
Vithnenrauin führte, und eine zierliche, i
weibliche Gestalt näherte sich den bei- i
den.
Auch unter dem derhiillenden seide i
nen Ropftuch hatte Hertha ihr Gesicht ;
sogleich erkannt, und als Martha
Nordeck beim Anblick der fremden Da !
me, die sie bei ihrem Bruder stehen sah
unwillkürlich zögerte, wandte sie sichi
mit Herzlichteit gegen sie: i
»Ich freue mio Sie zu Jhrem Er ;
folge beglückwünschen zu dürfen mein
Fräulein! Bitte, Herr von Gotter.
stellen Sie mich doch Jhrer Schwester
vor. Jch hoffe, Fräulein Nordeck wird
es der besten Freundin Jhres Bruders
nicht gar zu schwer machen, auch ihre
Freundschaft zu gewinnen.«
Er sah sie zweifelnd an, denn noch
wagte er nicht, an sein Glück zu glau
ben.
»Hertha —— wenn ich Sie recht ver
stände!«
Mit einem Aufleuchten fihrer Augen
reichte sie ihm ihre beiden Hände.
»Ja, ja, wie auch immer Sie es
verstehen, es wird schon das rechte
sein« Glauben Sie nn im Ernst,
Sie thärichter Mann, ß es nur Jhre
Uniform war, die mir an Jhnen ge
fiel?«
.Wie helles Vogelgezwitscher
illang dem alten Logenschließer, der
die Szene beobachtet hatte, ihre
Stimme noch im Ohre nach, als die
drei sich längst entfernt hatten. Und
topfschiittelnd sagte et bei sich selbst,
daß in der Wirklichkeit doch zuweilen
noch wunderlichen Geschichten vorgin
csen, als da hinten auf der Bühne.
»Det is lustig unter PolizeiauF
sicht! Jck laufe, gleich läuft ooch der
Schutzmannt Er kann ja nich wissen,
daß ick mal nich sestohlen habe!«
Alles zu feiner Zeit.
Michel: »A Glück, daß der Mensch
nur zwoa Füaß hat, wenn man ’s
Rheumatische hatt«
Sein-: »Ja, aber wennst an Rausch
hast« dann möchst gern vier Fiiß haben
zum Heimgean «
Des Widerspänstigen Zähmung
: VonMaxFeder.
Der Selretär Dämsel hatte wirklich
ein riesiges Glück. Eine solche hübsche,
nette, kleine Frau zu bekommen, und
dabei so wirthschaftlich und gebildet
—kurz und gut, alle seine Freunde
waren darin einig, wenn ihnen so das
Glück gelöchelt hätte, sie würden eben
falls dem Junggesellenstande Valet
gesagt haben, aber auch nur dann!
Dämsel nahm alle Beglückwünschungen
wie ein Pascha hin, der es von jeher
gewohnt war, stets das Beste zu er
langen.
»Und nun,« sagte sein Kollege und
Jntimus, der Selretär Schlimm, eines
Tages im Bureau, ,,nun kann wohl
Dein Platz in der Stammkneipe an
derweitig besetzt werden?«
,,Weshalb meinst Du?«
»Ach, tieber Freund, da kennst Du
die Frauen schlecht. Du wirst es sehen,
sie erlaubt es Dir nicht, ohne sie in die
Sineipe zu gehen; und noch dazu so
spät bis in die Nachthinein —- nein,
lieber Dämsel, das mußt Du Dir jetzt
aus dem Sinn schlagen.«
« »Hm, hinl« machte Dämsel lächelnd,
aber er fand es unter seiner Würde,
darauf Antwort zu geben. Die That
sollte es lehren, daß er ganz der Mann
sei, sich von keiner Frau der Welt das
Hauptregiment nehmen zu lass-en.
Dieses Gespräch fand acht Tage nach
der Hochzeit statt. Während dieser
Zeit hatte sich Dämsel allerdings nicht
Un Stammlokal gezeigt. Aber an dem
Qbende eines Tages, an welchem Kol
legeÄ Schlimm seine Energie —- so
glaubte Dämsel — in Zweifel gezogen
hatte, ergriff er Hut und Stock und
verabschiedete sich von seinem Weib
chen.
»Wohin denn, lieber Mann-«
»Ich muß wieder einmal in die
Stammtneipe gehen. Was sollen meine
Freunde von mir denken, wen-n ich
bartnäckig fortbleibe?« erwiderte er,
innerlich fest entschlossen, wenn es zum
Yampse kommen sollte, ohne Rücksicht
as Feld zu behaupten. Aber es kam
nich dazu. Die kleine Frau gab ihm
vollständig recht und wünschte ihm
viel Vergnügen. Er ging, wurde von
den Freunden begeistert empfangen,
und blieb, bis die Letzten fortgingen.
Er kam sehr spät nach Hause und
machte sich auf eine lange Strafpre
digt gefaßt. Aber seine Gattin er
freute sich eines guten Schlaf-es, und
bald lag auch Dämsel in Morpheus
Armen. Jin Traume schien ihm
plötzlich seine Nase in’g Unendlich-e zu
wachsen. Dann kamen lzwei Neger
mit großen Bürsten und machten sich
daran, die ganze Nase mit Perlebevv
aer Glanzwickrse glänzend schwarz zu
reiten. Des Morgens hatte er diesen
Traum wieder vergessen, und er freute
sich über die Munterteit und Liebensi
ioiirdigkeit seiner Gattin am stasfee
tische·
Da trat das Dienstmädchen ein und
überreichte der jungen Frau einen
Brief, welchen der Briefträger soeben
von der Stadtpost gebracht hatte.
Beim Lesen desselben flog ein Schat
ten iiber das Angesicht der Frau. Sie
reichte den Brief schweigend ihrem
Gatten. ,,Werthgeschätzte Frau!« las
er, ,,oeriil)eln Sie es einem treuen
Freunde Ihrer selbst und Jhreg Hau
ses nicht, wenn er Sie aus eine ernste
Gefahr aufmerksam macht. Glauben
Sie es mir, wenn ich ihnen versichere,
daß Jhr Herr Gemahl an der —-— —
Trunksucht leidet. Er kann seinen
Stammtisch nicht entbehren, woselbst
er allabendlich mindestens fünfzehn
Glas Bier trinkt. Auch ist er kein
Feind des dauernden Frühscl)oppens.
Die Folgen werden Sie sich selbst vor
stellen können. Hochachtungsvoll Ihr
Schutzengel.«
»Ein netter Schutzengel!« rief
Dämsel wsiithend aus, »ein Berleumi
der ersten Ranges ist es, dem man kei
ne Beachtung schenken darf. Und
was dentst Du darüber, Trudchen?«
»Ich hätte Dir den Brief gar nicht
gezeigt«, sagte die kleine Frau, indem
sie schüchtern die Augen niederschlug,
»aber ich dachte, weil — ——«
»Weil —- — nun, ’raus mit der
Sprache!«
»Ich wurde —- verzeih’, lieber
Heinrich —- von mehreren Seiten auf
»Deine Nase aufmerksam gemacht ——«
»Meine Nase? Das wäret« rief
Dämsel lachend. Dabei warf er un
willkürlich einen Blick in. den großen
WandspiegeL Aber wie erschrak er,
als er wirklich bemerkte, daß dieses
edle Organ im schönsten Sch-arlsach
roth erglänzte.
»Nicht möglich,« stammelte er, und
ich habe nie mehr als acht bis neun
Glas Bier getrunken, und zwei bis
drei beim Frühschoppen — ——— —-«
»Nimm es Dir nicht allzusehr zu
Herzen, Heinrich« sagte Frau Ger
trud sanft, »ich begreise sehr wohl, daß
man sich an etwas gewöhnen kann,
ohn —- —
,,Genug, es soll anders wserden,«
sagte Dämsel und eilte dann mißmu
thig in’s Bureau. lDes Abends ging
er wiederum in die Stammkneipe, hü
tete sich aber wohl, mehr als drei Glas
zu trinken. Nichtsdestoweniger er
ftrahlte am and-ern Morgen die Nase
wiederum in herrlichstem Roth. Däm
sel begann sich immer mehr vom hohe
rischen Bier zu entwöhnen und ließ an
dessen Stelle die Weiße mit mehreren
Kümmeln treten. Aber die Nase
blieb roth, so lange er die Kneipe be
suchte. —
Wie verhielt sich nun eigentlich Ger
strud dazu? War sie sehr unglücklich
iiber jene unliebsame Entdeckung und
l bereute sie, mit Dämsel vor den Altar
getreten zu sein? Sehen wir einmal
zu. Sie saß vor dem Schreibtisch
und schrieb einen Brief, der folgender
l maßen lautete: ,,Geeh«rter Herr!
. Mit Vergnügen habe ich Jhre Annon
ce gelesen, in welcher Sie möglichst
schnelle Heilung der Trunksucht ver
sprechen. Da ich nun einen Bedien
ten habe, der daran leidet, so bitte ich
Sie,— mir Jhren Prospekt, den Sie ja
gratis und sranto versenden, zuzu
schicken Hochachtungsvoll Dämsel,
Secretär lfolat Adresse).«
»Da soll doch gleich —- ——« donner
te Därnsel los, als er beim Kasseetisch
den Prospekt erhielt.
»Was hast Du, Männchen?« fragte
Frau Gertrude mit unschuldiger
Miene.
»Hier sieh, das ist haarsträubend!«
»Die Menschen übertreiben aller
dings ein wenig.«
»Ein wenig, sagst Du? Es ist
geradezu eine Gemeinheit. Wahr
scheinlich ein Schabernack irgend eines
Collegen.« Die junge Frau schwieg
und Dänisel ging mürrisch aus das
Bureau.
Gertrud sah zum Fenster hinaus
und wurde von dem Hausarzt ge
grüßt, welcher dieStraße hinunterkam
Sie bat um eine kleine Unterredung,
deren Folgen diese waren: Nach eini
gen Tagen klagte Dämsel dem Arzte,
daß er seit längerer Zeit an Schnup
fen leide, ob es dagegen kein Mittel
gebe. Der Arzt verhörte ihn ernst
über seine Lebensweise
; »Es ist lein Zweifel,« sagte er
Jschließlich »Ihr Schnuper ist-neh
men Sie es mir nicht übel-eine Fol
ge von — Trunksucht.«
,,Reden Sie im Ernste, Doltor?«
»Sollte ich mir Ihnen gegenüber
solchen Scherz erlauben? Man sieht
e5 Jhnen ja an der Nase an. Uebri
gens können Sie mein-er Distretion
sicher sein.«
»At«er ein Mittel giebt es doch da
gegen?«
»Sie miissen sich eine Zeitlang
gänzlich altoholischer Getränke enthal
ten, « vor allen Dingen des Bie
re5.« —- ———« —
,,.L)eute Abend werde ich einmal zu
Hause bleiben, Gertrud,« sagt-e Däm-»
sel
»O, Du lieber Mann, meinetwillen
willst Du Dir solche Entbehrungen
auferlegen? Das kann ich unmöglich
annehmen? Geh nur, geh.« Aber
trotz aller Einioände blieb Dämsel
wirklich zuHause und machte die über
raschenre Entdeckung, das-, er sich in
Gesellschaft seiner Frau noch einmal
so wohl fühlte, als inmitten derseneibs
freunde. Von nun an blieb er regel
mäßig zu Hause, und selbst, als das
Jncarnat seiner Nase sich ganz plötz
lich verlor und Niemand ihm mehr
den Vorhurf der Trunksucht machen
konnte, verließ er seine Gattin nicht.
Ja, als schließlich die Machinationen
der kleinen Frau an’g Tageslicht ka
men, als sie Nachts die Nase ihres
« Mannes mit rother Schminke einrieb,
big zu der Beeinflussung degDoctor5,
»verzieh ihr Dänisel der guten Sache
s wegen.
W
Trinken und Lebensdauer-.
Daß die »Nichttrinler« durchschnitt
lich länger als die »Trinker« leben, ist
eine alte Behauptung, die bekanntlich
in der Temperenzbewegung weidlich
aus-genützt wird. Eben jetzt macht wie
der eine beziigliche Statistik die Runde.
Aus den Erfahrungen unserer bedeu
tendsten LebensversicherungS-Gesell
schasten werden Zahlen angeführt, de
nen zufolge die völlige Enthaltung von
geistigen Getränken das allersicherste
Mittel zur Verlängerung der Lebens
dauer sein soll. Es sind darnach im
Zeitraum von 36 Jahren aus einer
gegebenen Anzahl von Trinkern und
Nichttrinkern 57,891 der ersteren und
nur 46,956 der letzteren gestorben.
Wobei ausdrücklich bemerkt wird, daß
es hier nur um mäßige Trinker sich
handelt, weil andere zur Versicherung
iiberhaupt nicht ausgenommen werden.
Jm Alter von 40 bis 50 Jahren, das
in der Versicherung als das beste Alter
gilt, starben von Trinkern 10,861 und
von Nichttrinkern 6246, so daß in die
sem Jahrzehnt die Todesfälle unter
den Trinkern um 74 vom Hundert
häufiger als unter den Cnthaltsam
keitsmännern waren. Zwischen 20
und 30 Jahren war der Unterschied
11 o. H.;s zwischen 30 und 40 Jazren
68 v. H.; zwischen 50 und 60 Ja ren
42 v. H» und zwischen 60 und 70
Jahren 19 v. H. Alles in Allem, die
Trinker als Klasse genommen und die
Nichttrinker als Klasse, hätten die letz
teren aus ein um 20 bis 50 Prozent
längeres Leben zu rechnen.
Das erscheint wirklich schlimm und
gefährlich für die Jünger des Gam
brinus und Bacchus-, aber-es scheint
»eben nur so.
Zur Langlebigkeit tragen die ver
schiedensten Ursachen bei. Aber nichts
trägt so viel dazu bei wie ein behag
licher, regelmäßiger und sorgenfreier
Lebenswandel.
Und hierin liegt das Geheimniß der
Langlebigkeit, wenn dabei überhaupt
noch von einem Geheimniß gesprochen
werden kann. Weil die vorliegende
Statistik diese maßgebenden Verhält
nisse unberiicksichtigt läßt, ist ihre Be
weiskraft gleich Null. Um den ver
langten Beweis zu erbringen, genügt
es nicht, einfach alle Trinker mit allen
Nichttrinkern zu vergleichen, sondern
es müßte der Vergleich gezogen werden
zwischen Trinkern und Nichttrinkern
In gleichen Lebnsverhältnissen. Wenn
einmal bewiesen sein wird, daß der
englisch-amerikanische Wasserprediger
länger lebt, als sein deutsch-amerikani
scher Amtsbruder, der ein gelegentli
ches Glas Bier oder Wein nichtver
schmäht; oder der wassertrinkende
Holzhacker länger lebt als der biertrin
tcnde Holzhacker; der wassertrinlende
Kaufmann länger als der weintrin
lende Kaufmann u. s. w. — wenn das
einmal bewiesen wird, dann wird
man’s glauben müssen, daß auch der
mäßige Alkoholgenuß das Leben ver
kürze. Vorläufig ist der Beweis nicht
erbracht, nnd ist nicht zu erbringen.
Der nachweisliche Zusammenhang
zwischen Alkoholgenuß und Kurzlebig
keit ist einfach der, daß eben die Ur
sachen, die zumeist das Leben verkür
zen, zugleich Anreize sind zum Allo
holgenusse. »Es ist ein Spruch von
Alters her: wer Sorgen hat, hat auch
Litör.« Der Aliohol unterdrückt das
.5s)ungergefiihl; er wärmt in der Kälte;
er hilft körperliche Erschöpfung über
winden; er dient als Sorgenbrecher.
Wer in seiner Arbeit bis zur Ueber
miidung sich anstrengen muß, wer den
Unbilden der Witterung ausgesetzt ist,
wer von Kummer und Sorgen geplagt
ist, wer unter ungenügender Ernäh
rung leidet-—all diesen ist der Alto
holgenuß in ganz anderer Weise ein
Bedürfniß, als er es Leuten ist« die
sich in anderen, angenehmeren Verhält
nissen befinden. Das Bedürfniß ist
am stärksten, wo die Lebensbedingun
gen die ungünstigsten find, und ist am
schwächsten, wo die Lebensbedingungen
die günstigsten sind. Deshalb ift die
Sterblichkeit verhältnismäßig größer
unter den Trinkern als sie unter den
Nichttrinkern ist. Die letzteren leben
länger, nicht weil sie nur Wasser trin
ten, sondern weil die wohlhäbigen
Verhältnisse, in denen sich von ihnen
eine verhältnißmäßig größere Anzahl
als von den Anderen befindet, verlän
gernd auf das Leben wirken»Und die
Anderen sind kurzlebiger, nicht weil sie
ihr Glas Wein oder Bier genießen,
sondern sterben durchschnittlich früher,
weil eine verhältnißmäßig größere
Anzahl von ihnen eine anstrengendere,
aufregendere oder auf sonstige Weise
das Leben vertürzende Thätigkeit übt.
Was den übermäßigen Genuß von
Altohol betrifft (wovon in Vorstehen
iem nicht gesprochen ist) so wird des
sen schwere Schädlichkeit von Niemand
in Abrede gestellt. Nur beweist eben die
Schädlichkeit des Uebermaßes nichts
gegen den mäßigen Genuß. Wenn
Alles, wag gemißbraucht werden kann,
nicht mehr gebraucht werden dürfte,
würde die Menschheit sehr bald ausge
siorben sein. Einstweilen ist von allen
Rassen der Menschheit die laulasische
Rasse, unter der der Alkoholgenuß am
verbreitesten ist, noch immer die lang
lebigste Rasse-. Jm Lichte der Wissen
schaft ist der AlkohoL mäßig genossen,
Nahrung und Arznei; und ist Gift,
wenn er genossen wird im Uebermaße.
(Amerika.)
-———-·..-—.
Der stimllprotx
»Herr Fiommerzienrath, unser Kas
sier ist mit der Frau Kommerzienrä
ihin durchgegangen!«
»Wieviel fehlt in der Kassa?«
»Nichtg!«
»So ’ne Gemeinheit!«
Vorbildung
»Also mein Sohn, Du bist der ein
zige im Regiment, der die Kourage
hat, bei mir als Bursche einzutreten.
Sag mal, was bist Du in Deinem Ci
vilberus?«
,,Thierbändiger, Excellenz.«
Schlecht belolmtc Mühe.
Vater: ,,Vorige Woche hab’ ich mei
;nen Jüngsten von 1——10 zählen ge
l lehrt, und gestern, als ich mit ihm vom
Keller heimkomm’, sagt er meiner Al
ten, wie viel Maß ich getrunken hab’!«
Auch ein Ehrenmann.
»Kann man denn mit dem Fungetti
arbeiten?.... Er hat mir einen gro
ßen Austrag gegeben, und ich habe zu
ihm kein rechtes Vertrauen!«
»O, das ist ein Ehrenmann ·durch
und durch! Der ist noch immer tn ver
dritten Instanz freigesprochen wor
den!«