Unstchtbare Gewalten. Stizze von Philipp Berges-. Jm Honoratiorenstübchen des vor nehmen Gasthofes einer Provinzial stadt saßen spät am Abend noch drei alte Herren gemiithlich beim Weine. f Alle drei waren grau, längst vom» Amt und vom Leben verabschiedet. Der Oberförster a. D. hatte sich äu ßerlich am besten gehalten;"er war auch infolge seines körperlichen Wohlbefin dens stets der gemiithlichste am Stammtisch. Einen- ganz anderen Typus vertrat der Justizrath. Zu geknöpft, aber von militärischer Kor rektheit. Der wirkliche Philosoph der kleinen Runde war der alte einge trocknete Sanitiitbrath fast schon ein A tziger, aber noch von sprühender geitiger Frische und unverwüstlicher Laune. Mit Spannung und, wie es schien, auch mit Staunen hörte man dem tiefernst erzählenden Forftmann u. —- — »Was wissen wir denn, meine Herren?« sagte der Oberförster. »Nichts. Wir sind blind und taub. Glauben Sie mir, es giebt unsicht bare Gewalten, die in das Leben des Menschen eingreifen. Jch kann Jhnen einen Fall aus meiner Bekanntschaft erzählen, von anständigen Leuten ver biirgt. Dummtöpfe sind es nicht. Der eine, mein Freund, war ein Theo loge von Ansehen, der andere, sein Vetter, war Prediger in Massachu setts, und diesem Geistlichen ist die Geschichte passirt. Eines Morgens machteersich auf, um nach New York zu reisen, wo er predigen sollte. Mit seinem Handlöffekchen schritt er durch kie Felder dem Bahnhofe zu. Wie er nun sinnend seines Weges fürbafz zieht, erblickt er auf einmal vor sich eine Frau, die in Gestalt, Haltung, Gang aus«-?- Haar der längst verstorbe nen Mutter glich. Erschreaen war nicht sein Theil. Auch dachte sein Herz an nichts Uebernatiirlickses. Er bemerkte nur eine wunderbare Aehn ltchteit und begann seine Schritte zu beschleunigen, um die Person zu über holen und ihr ins Angesicht zu sehen. Da läßt die Frau einen Brief fallen und unser Freund beeilt sich umso mehr. An der Stelle angekommen, hebt er den Brief auf, wirft einen Blick auf das Cauvert und bleibt, wie vom Donner gerührt, stehen· Der Brief trug seine eigene Adresse in der Hand schrift seiner verstorbenen Mutter! Pest befiel ihn ein jäher Schreck, in einer Noth betete er ein Vaterunser. Da wurde ihm leichter; als er aber die Augen erhob, war die Gestalt jener Frau spurlos verschwunden und auch der Brief, den er eben noch in Händen gehalten, war fort, hatte sich in nichts aufgelöst. Bekümmert setzte der Got tesmann seinen Weg fort. Er meinte nicht anders, als daß er erkrankt sei. Als er am Bahnhof ankam, war der Zug soeben abgefahren, die Hallucina tion hatte ihn gerade lange genug auf-— gehalten, um diese Verspätung herbei zufiihren. Am nächsten Morgen ver kündeten Extrablätter, daß jener Zug, mit dem der Geistliche hätte reisen sol len, verunglückt sei, und daß mehr als fünfzig Menschen dabei ihr Leben ein gebiißt hatten Das, meine Herren, ist das verbürgte Erlebniß jenes Eh renmannes. Jst nun daran zu zwei feln, daß die Erscheinung der Geist seiner seligen Mutter gewesen ist?« »Wer kann’«s wissen? Das Erlebnis; ist übrigens nicht absonderlich!«sagte ter Arzt. »Wenn ihm der Geist seiner Schwiegermutter als Schutzengel er schienen wäre, haha, ja, das hätte ich mir gefallen lassen-« Qer syorsrmann war veieioig1. »Herr Saniiiitsrath, ich gestatte mir die Ve rnerlung, daß ich leine Jagdgeschichte erzählt habe, über die Sie Jhre Witze loslassen lönnten!« Auch der alte Justizrath machte ein ernstes und abweisendes Gesicht. »Mit dem Heiligsten,« sagte er, ,,soll man nicht Scherz treiben.«« Der Arzt sah erstaunt auf. »Auch du, Brutug?« »Jawohl, auch ich, mein lieber Sa nitiitsrath,« sagte der alte Justizrath gravitätisch. »Sie werden, hoffe ich, es troh Jhres Cynismus nicht wagen, mich ohne Weitered der Leichtgläubig leit zu zeihen. Jch bin Jurist. Mein ganzes Leben war eine Schule, Wah res und-Unwahres tennen zu lernen. ch habe folgende Geschichte von einem richtsarzt in Brei-lau, der sie von seinem Kollegen in- Mel persönlich er fahren hatte. Hören Sie zu. Ein Mädchen war Abends irrthiimlich von der Polizei sistirt worden. Trotz des Betheuerns ihrer Ehrenhaftigteit be schloß die Polizei, sie zu inhaftiren. Da öffnete sie sich im Gefängniß die Pulsaderm Sterbend tam sie im Ho spital an, verlangte wimmernd nach ihrem in Berlin bediensteten Bräuti gam, erhielt aber teine Antwort. Ge gen Morgen starb das arme Mädchen. Die Leiche wurde in die Anatomie iiberfiihrt, um hier sezirt zu werden. Als man die Arbeit bereits in Angriff genommen hatte, erschien vor der Thür des Saales der aus Berlin angekom mene Bräutigam. Er raste, geberdete sich wie toll, war nicht zurückzuhalten Was ollte man thun? Man beschloß, tem ermsten den Trost eines Wieder se ne zu gewähren, uniwiaelte den be chiidigien Theil deH«Körvers fest mit Til ern, enternte alle Spuren der Arbet. legte ie Leiche, bis um halse mit einem Tu bedeckt, aqu ein ledernes Ruhebett im liess den Leid ttagenden ein. Dann zog man sich vis kret zurück. Und nun kommt dasMerls würdigste, meine Herren. Die vor der Thiir Stehenden "rten eine Viertel stunde lang ein Ge litster wie von zwei verschiedenen Stimmen und plötzlich stürzte der Bräutigam mit dem Rufe heraus: »Ach, meine Herren, meine Braut ist soeben gestorben!« »Wie?« fragte man bestürzt. »Ja, soeben. Sie bat mit noch Mittheilungen an ihre Mutter aufgetragen.« Und dieser Mensch war nicht verrückt, hatte ein fach mit dem Geiste seiner Braut ver kehrt, der ihm noch einaml das Trug bild des Lebens vorgegaukelt hatte. Sehen Sie, dies ist meine Geschichte und sie ist von einem trefflichen Manne verbürgt. Nach dieser Erzählung schwiegen alle drei Freunde. Oberförster und Justizrath blickten den Arzt erwar tungsvoll an, ganz auf eine boshafte Bemerkung gefaßt, aber auch der Alte schwieg und blickte sinnend zur ange räucherten Decke empor· Endlich öffnete er den Mund und die falschen Zähne schimmerten. »Sie erwarten von mir jent,« sagte er, »ir gend ein abwehrendes Wort. Er sschrecken Sie nicht — es bleibt aus« Was Sie, meine Herren, da erzählt haben, ist mir tiefer zu Herzen gegan gen, als Sie ahnen. Aber, meine Herren, was Sie da berichtet haben, Istammt aus dritter Quelle, hat vor sdsem Forum der Wissenschaft keinens Werth· Sie selbst haben nichts Uner- ; liärliches erlebt. Jn meiner Erinne- » rung aber, Freunde, steh-i wie ein nie verlöfchender Feuerbrand ein eigenes grauenhaftes Erlebniß. Versprechen Sie mir, meine Freunde, das Geheim niß mit ins Grab zu nehmen!« Feierlich, und mit Gesichtern, die vor Erwartung starr wurden, gaben die Alten einander die Hände und der Doktor fuhr fort: »Es ist jetzt zehn Jahre her, meine gute Alte weilte noch unter den Leben den. Meine Praxis hatte ich schon zum größten Theil meinem Sohne übergeben, denn die Beine wollten nicht mehr recht fort, Abends ging ich schon gar nicht mehr aus dem Hause Eines Abends aber zwang man mich. Es war tiefer Winter aus den Stra ßen lag Schnee. Nachts um elf pochte es heftig an die Thür. Es klopfte, wie nur Verzweiflung klopfen kann, laut, ununterbrochen, rücksichtslos. Be stürzt öffne ich das Fenster und blicke hinaus. Da steht ein junger Mensch ohne Kopsbedectung mit nassen, zer zausten haaren, in Hemdsiirmelm aus dem Gesicht jagende Todesangst. Kaum ist der Mensch meiner ansichtig gewor den, da stürzt er auf die Kniee, streckt die gerungenen hände empor und he ginnt mit schluchzender Stimme zu schreien: »Um Gottes Barmherzigkeit willen, helfen Sie, retten Sie, Doktor! Keine Setunde ist zu verlieren. Sie stirbt, um Gotteswillem sie stirbt!« »Ich bin ein alter Mann,« sagte ich, ,,bin gebrechlich. Schonen Sie mich. Arn andern Ende der Straße, nur drei Minuten weit, wohnt ein junger Arzt, eilen Sie, er wird gewiß mit Ihnen gehen!« Da aber springt der Mensch auf und schüttelt seine Fäuste. »Ich lann nicht weitergehen! Sie müssen, müssen tommen oder Sie sind ihr Mörder, nicht ich, nicht ich! So kom men Sie doch, ich will Sie tragen, wenn Sie nicht gehen können!« Nun, meine herren, was soll ich Jhnen sa gen, ich bin Zeit meines Lebens ein Dummiopf gewesen, ein sogenannter Idealist, ich ging· Hastig fuhr ich in den Pelz, steckte das Nothwendigste an Verbandszeug und Instrumenten in die Tasche, fuhr in die Galoschen und trat hinaus. Mein Störenfried faßte mich sofort-kräftig unter den Arm und fort stampften wir ourch Den tiefen Schnee. Jetzt erst lonnte ich mir den Mann genau ansehen. Er war ein Mensch oon vielleicht dreißig Jahren, mit dem Gesicht eines Handwerkers, furchtbar bleich, die glühenden Augen tief im Kopfe liegend, trank, unheim lich. Alle zwei Minuten teuchte er: «Eilen Sie! tsilen Sie!« Es hätte kei nen Zweck gehabt, ihn iiber den Un glücköfall augzufragen Nach etwa zwanzig Minuten gelangten wir in eine Vorstadt und steuerten auf ein großes, altes Haus mit ausgedehntem, gegen die Straße hin durch ein Gitter abgeschlossenen Garten zu. Hier, meine Herren, durchfnhr mich zuerst ein düsterer Schreck. Blitzartig zuclte es durch meinen Sinn, daß dieses Haus schon seit mehreren Jahren un bewohnt, verfallen, stets verschlossen sei. Ja, ich kannte das Gebäude ganz genau, war meiner Sache sicher. Aber zum Nachdenken gab es teine Zeit. Mein Begleiter öffnete die Gitter pforte, wir hasteten durch den ver schneiten Garten« traten von hinten ins Haus sund stiegen die Treppe empor. Tiefes-Schweigen herrschte und schwar zes Dunkel· Kein Tritt ertönte, mein Begleiter ging wie auf Wolken. Mit angezündeten Streichhölzern, die ich, nachdem sie ausgebrannt, auf die stau bige Treppe fallen ließ, leuchtete ich mir bis zum zweiten Stock empor. Hier traten wir in einen großen, fast leeren Raum, in dem eine zerbrochene Betro leumlampe spärlicheg Licht verbreitete. Und dann erblickte ich das erbar mungswiirdigste, was ich je gesehen. Auf der Diele lag ein junges Weib, rings umher breitete sich, wie ein Pur- ! purteppieh, eine furchtbare Blutlachr. Der Schädel der Unglücklichen war ge- - spalten, tlaffte förmlich, die Augen s starrten, bereits gebrochen, nach oben. i Die Aermfte war schon todt. Jch be- s griff, daß der Mann. der sich jedt stöh nend am Boden wand. der Mörder des unglücklichen Geschöpfes sei —- aber ich war ja nicht Richter, kannte das ent setzliche Drama nicht, das diesen reui gen Sünder zu der grauenhasten That etrieben hatte. Nach iur er Unter suchung hatte ich die Gewi heit, daß es zu spät sei. Um den Verzweifeln den nicht zum Selbstmord zu treiben schrieb ich ein Schein- Rezept aus, be fahl ihm, es am Morgen, falls die Frau noch lebe, anfertigen zu lassen, legte das Papier aus den Kaminsims und machte der Leiche zum Ueberflusz noch einen Ber band. Dann schlich ich mich hinaus, zündete auf der Treppe den Rest mei ner Streichhölzer an und gelangte ins Freie. Am nächsten Morgen eilte ich zurück zu dem unheimlichen Haus, um die nöthigen Formalitäten zu erfüllen und den Kerl anzuzeigen, falls er sich nicht etwa aus dem Staube gemacht hatte. Nun, meine Betten, machen Sie sich auf das Aeu erste gefaßt. Jch iam an den Ort meines nächtlichen Abenteuers und fand das Haus ver schlossen, das Schloß am Gitterthor verrostet —- ansscheinend seit langer Zeit nicht mehr geöffnet. Am Thore hing ein Platat, daß das Haus zu verkaufen und nähere Auskunft da und dazu haben sei. Jch fuhr eilend zu dem Manne hin, der mich auslachte, als ich behauptete, in der letzten Nacht in dem Gebäude gewesen zu sein« Jch müsse geträumt haben, das Haus sei seit vier Jahren unbewohnt, feit einem halben Jahre nicht mehr geöffnet wor den. Nun bestand ich darauf, daß man mir Einlaß gewähre. Aber das Schloß war, wie schon erwähnt, verrostet. Ein herbeigeholter Schlosser arbeitete wohl eine Viertelstunde, ehe das Gitter ge sprengt war. Wir traten ein und ich fah mit Grauen meine Fußspuren auf dem Schnee, aber nicht die des ande jren Auch die Hausthüre mußte er brochen werden. Auf der Treppe lagen lmeine weggeworfenen Streichhölzer. s So fchnell meine alten Beine mich tra fgen konnten, stieg ich die Treppe hin auf, öffnete die Thiir zum wohlbe tannten Zimmer und blieb erstarrt suchen wer Maum war ganz leer. Tiefer Staub überall. Keine Spur von Leben. Doch da — großer Gott! —- auf dem Kaminsims etwas Wei ßes — —- —— mein Rezept! Jn die sem Momente begriff ich, daß ich das Opfer eines teuflischen Spiels gewe sen Jch stieß einen Schrei aus und fiel in Ohnmacht. — —- — Seitdem praktizire ich nicht mehr!« Der alte Arzt schwieg. Jm Zim mer toar’ö so- still, daß man fast die Herzen klopfen hörte. Leise pfiff drau ßen der Wind. Ohne noch ein Wort zu sagen, oder einen Blick auf die ent geistigten Gesichter der beiden anderen zu werfen, erhob der Alte sich, bezahlte und zog den Pelz an. »Gute Nacht meine Herren!« Aber an der Thür drehte der Alte sich um, lachte ein stoßweise, höhni sches Lachen und schrie: »Ja, meine Herren, wenn’s aufs Lügen ankommt, will ich Ihnen noch ganz andere Ge schichtchen auftischen. Ein Esel glaubt so was!« Und die Thür flog trachend ins Schloß. —--.--.-——— Ein Jukelidnll im Rittelmeen Genau siidlich von Sardinien, aber nur einige 20 Seemeilen von der tune fischen Küste entfernt, erhebt sich aus den Fluthen des Mittelmeerev der Felsblock der Jnsel Galite, der jetzt zum ersten Mal eine genauere Erkan dung erfahren hat. Er mißt im Gan zen 5 Kilometer in der Länge, 114 in der Brit und steht nicht ganz allein im Meer, sondern ist noch von mehre ren Klippen umgeben, bekannt unter den Namen Galiton, Fauchelle, Les Chiens u. s. w., die aber wegen ihrer Steilheit gänzlich unzuliinglich sind. Auch die Hauptinsel stüer 200 Meter hoch zum Meere ab und bietet einen Zugang nur von Süden her in der Bucht von Egcueil de Pagaue5. Der höchste Punkt der Jnsel erhebt sich 5391 Meter über das Meer und ist nur aus einem höchst schwierigen Felsenpsad zu ersteigen. der mehr einer Treppe alg einem Wege gleicht. Die Jnsel ist nicht ganz öde, sons dern enthält ziemlich umsangreiche zGartenanlagen und Terrassen, wo "Feigenbiiume, Kakieem Oliven, Wein gezogen wird. Die Bewohner, etwa J60 an der Zahl, bauen sogar ein we Jnig Getreide. Als obrigteitlirbe Per sson sungirt ein französischer Fischerei -ausseher, dessen Häuschen fast die ein zige eigentliche Wohnung aus der Jn sel ist. Die übrigen Leute·hausen in Höhlen oder höchst einfachen Hütten. Aus der ganzen Jnsel giebt es über haupt nur zwei Häuser, deren rothe Dächer schon von weitem kenntlich sind· Die Bewohner zahlen keine Steuern und leben vom Fischfang, von ihren Ernten und den Erzeugnissen der Viehzucht. Fische sind sehr zahlreich; außerdem kommen zu gewissen Jah reszeiten Leute aus Sirilien zur Fi: scherei von Langnsten und Korallen. Alterthumgfnnde haben bewiesen, daß die Insel zur pnnischen und römischen Zeit bewohnt gewesen sein muß. —-.--.-.—-.—— Ach tot Gendarm: »Die goldene Uhr da haben Sie auch wohl nicht auf ehrliche Weise erworben?« —-- »Doch, doch, da hab« ich ehrlich meine drei Monate da- » siir abgebrummt.« -———-.«k—-—— Die Ansiiellung der Landfchwind- . ler in Oregon würde fiir die Ansstel- . jung in Vortland eine iehenswerthe. Zugabe bilden. ! Das hohe Thor. Eine Leutnantsgeschichte aus der gu ten alten Zeit.———Von Julia Obst. Srahlender Mondschein lag mit breitem Behagen auf Thürmen und Dächern der alten Hansastadt und lockte unwiderstehlich hinaus in das slutende Zauberlicht. Es war im Anfang der sechziger Jahre als vor der Hauptwache inmit ten der Stadtmauern Danzigs an ei nem ungewöhnlich milden Frühlings abend (Mitfasten stand vor der Thür) reges Leben herrschte. Eine ganze An zahl Offiziere hatte sich zur Gesell schaft des Wachthabenden, eines Leut nant von Kahldem nach Mitternacht eingefunden. Auch ein Kamerad der Landwehr, Herr Schröder, war da runter, den Kahlden mit großer Re serve begrüßte. Doch jener schien nichts davon zu merken, denn sein ganzes Jnteresse galt der Königlichen Post, die in einer halben Stunde etwa durch das gewaltige Wahrzeichen der Stadt, das Hohe Thor hereinrollen mußte, um den von ihm ersehnten Passagier zu bringen. Dieser sollte in Gestalt einer liebreizenden jungen Dame in Begleitung ihres Vaters, des Oberst a. D. von Werthern, als spezieller Gast des Kommandanten und On kels, Generalmajor von Berger, heute eintreffen, um den Ball mitzumachen, der am nächsten Abend in den Räu men des Offizierskasinos stattfinden sollte. Susanne von Werther war den jungen Herren, die ihrer Ankunft mit solchem Interesse entgegensahen, keine Fremde mehr, denn sie hatte im Lauf des vergangenen Winters einige Wo chen in Danzig zugebracht und mit ih ren Cousinen Annemarie und Erna von Berger die gesellschaftlichen Freu den der Saison genossen. Sie hatte sich damals mit dem festen Verspre chen von ihren Tänzern verabschiedet, daß sie bei diesem Balle keinesfalls fehlen würde, und hatte Wort gehal ten. . »Die Post muß bald tommen,« sag te Schröder; er trat ungeduldig von einem Fuß auf den andern und hielt dabei etwas in weißes Papier gewi ; ckeltes sorglich in der Hand. T Dazumal, als noch keine Eisenbahn i nach Danzig führte, war das Eintref sen der Post ein Ereigniß. Argwoh nisch schielte der Wachthabende auf das weiße Etwas, und es stieg siedend heiß in seinen Schläfen empor, wenn er sich ausmalte, daß in einer halben« Stunde, wahrscheinlich sogar direkt vor seinen Augen seiner angebeteten Susanne von diesem Schröder ein Blumenstrauß als Willkommen in die Postkutsche gereicht werden würde. Dreist genug war er ja dazu, und fei ne Courmacherei im verflossenen Win ter war schon mehr ein lebendig ge wordenet Antrag gewesen. Der Zorn auf den selbstbewußten Freier, der, wie er wußte, in den letzten Wochen nur zu oft in der kleinen Kreisstadt gewesen war, wo Susanne mit ihrem etwas bärbeißigen Vater wohnte, die stetig wachsende Eifersucht drohte Kahlden aller Besinnungen zu berau ben, zudem der Nebenbiihler offenbar etwas spöttisch zu ihm hinblickte. Mahnend schlug die Thurmuhr halb Eins und belehrte ihn, daß ihm nicht mehr viel Zeit blieb, sich auf den ver haßten Augenblick vorzubereiten. »Na, nun noch eine halbe Stunde nnd die Post ist hier, Schröder,« ließ sich jetzt die Stimme des Offiziers ver r.ehmen, ,,da hat die liebe Seele Ruhe, nicht wahr?« Alles lachte.. »Die Post kommt doch erst gegen zwei Uhr,« stiefz der Wachthabende herang. »Was sagen Sie da,« FiahldenIZ fuhr Schröder aus. »Ich weiß doch, wann die Post kommt. Etwas Vor ein Uhr trifft die Post ein.« Ein erregteg Dasur und vLjrrgegen erhob sich, und schließlich spitzte sich das Ganze auf eine Wette zwischen den beiden Nebenbuhlern zu, und ein Fiamerad schlug durch. Die Aufregung wuchs, denn es war ausgemacht, auf dein hohen Thor, durch das die Post kommen mußte, gegenüberlag, den Austrag der Wette abzuwarten. Keiner bemerkte, daß Kahlden sei Hnem Burschen heimlich einen Auftrag sgab, woraus sich dieser eiligst mit s grinsendem Gesicht entfernte. ! Die Post mit ihrem so sehnlichst er iwarteten Passagier hatte ihre letzte Station Neustadt erreicht. Die Pfer de wurden gewechselt, und Vater und Tochter benutzten den kurzen Aufent halt, um sich ein wenig in der Mond nacht zu ergehen. Die Tochter, um allerhand süßen Gedanken nachzuhän gen, der Vater, um mit roher Hand in den Zaubergarten ihrer heimlichen Liebe einzubrechen Kurz bevor der gestrenge Oberst seinen Platz Wieder einnahn1, beendete er die eindringliche Standrede mit den Worten: »So ge wiß wir binnen kurzem durch das Hohe Thor in Danzig einfahren, Su sanne, so gewiß erhält morgen Abend Herr Schröder endlich Dein Jawort.« Susanne vermochte nichts zu ant worten, denn« beim ersten Wort wäre sie in Thränen ausgebrochen Stumm nahm sie ihren Platz am Fenster ein und blickte beharrlich hinaus, um so möglichst den finsteren Augen des Va ters zu entgehen. Unaufhaltsam rollte die Postlutsche ihrem Ziel entgegen. Was halfs, daß da draußen alles flimmerte und glänzte, als sei ein Stückchen himmlische Herrlichkeit auf die Erde heruntergesallen, um alle Herzen fröhlich zu machen; der armen Susanne drohte die schöne Gotteswelt zu einem Gefängniß zu werden, das sie mit dem-ungeliebten Manne theilen sollte. So versunken war sie in ihr Herzeleid, daß sie verwirrt auffuhr, als die Postkutsche anhielt. Dort lag Danzig, gerade vor ihnen das Hohe Thor, aber der Wagen stand auf der Brücke, die über den Festung-s graben führte, still und der Postillon begann zu blasen. Doch so eindring lich er blies, so verwundert die Passa giere über das ungewohnte Hindserniß die Köpfe schüttelten,»so sehr der Kon dulteur auch schimpste, das Hohe Thor hielt seine gewaltigen Thürslü gel geschlossen, und die königliche Post mußte geheimnißvolle Mächten, die ihr die Einfahrt wehrten, weichen. Der Wagen wurde mit großer Anstren gung zurückgerollt und schlug eine an dere Richtung ein, auf der er auf gro ßen Umwegen ein minder ungastliches Thor erreichen mußte. · Oberst von Werther saß da, als sei er versteinert nnd nun war er es, der beharrlich das Auge seiner Tochter vermied, die plötzlich wieder mit rosig gefärbten Backen und solch’ leuchten den Augen dasaß, als habe ein lich ter Mondstrahl dort selber Wohnung » genommen. » Das Blasen des Postillons hatte E auf der Hauptstraße große Aufregung hervorgerufen, und die mitleidigen ’ Blicke der Kameraden flogen zu stahl den hin, der mit trotziger Miene ein wenig abseits stand. »Na da ist ja, die Post!« sagte Schröder befriedigt und nestelte schon an dem weißen Papier herum, ,,gleich muß sie aus dem Höhen Thor kom men.« « Man wartete, man fragte, man schüttelte den Kopf, aber keine Post erschien. »Ich habe es 1a gesagt, oie Pofrf kommt gegen zwei, aber es wollte mir i Keiner glauben,« erklärte Kahlden i und hob den hübschen Kon siegesge- ; wiß empor, seine Augen funkelten vor Uebermuth, daß ihm der Streich ge- T lungen war. Er wußte, die Post brauchte zu ihrem Umwege fast drei viertel Stunden. Das rollende Rad der Zeit erdrück te fast den Nebenbuhler, der vor· Un geduld verging, dem Unbegreiflichen nachzuspüren, und den doch sein Wort auf den Platz bannte und die Uebrigen mit ihm. Und als die Postlutsche end lich auf dem Kohlenmarlt erschien und, an der Hauptwache vorbeifah rend, in die Hauptstraße einbog, an der das Postgebäude lag, sprangen alle Offiziere auf und grüßten mit infi delen Gesichtern zu der schönen Su sanne hin, die erröthend dankte. Aber die Augen Schröder’s, dessen Hand die Blumen zu einem Knäuel ballte, be gegneten mit finsterem Blick den zor nigen Augen des alten Oberst, sie wußten es Beide nur zu genau, daß eine tecle Hand ihnen eine derbe Nase gedreht hatte. Es dauerte gar nicht lange, und die Sache wurde ruchbar, trotz der« späten Stunde, aber der Attentäter, der die Thorflijgel hatte fest vernageln lassen, blieb der hohen Obrigkeit noch verbor gen, denn die Kameraden, die sich so fort nach dem Hohen Thor begeben hatten, um der Ursache der Betriebs störung nachzuspüren, hatten über den tollen Streich Kahlden’s, dessen Spitze sich über Alle erkenntlich auf Schröder richtete, so gelacht, daß er es für’5 erste gerathen fand, mit einzustimmen Kahlden blieb also vorläufig Herr der Situation, trotzdem ihn der Dienst auf der Hanptwache festhielt, und er zehrte selig an dem einen Blick, den Susanne ihm auf- der Postlutsche zu geworfen hatte, denn er hatte deutli cher gesprochen, als alle Worte der Liebe. Der Morgen lam uno mir ioni oav goldene Himmelslicht, dac- so strah lend am blauen Himmel stand, daß eg auch das ans Licht der Sonne brachte, was in nächtlich tiefem Dun kel geschehen war. Der Tag war noch nicht alt geworden, als eine Beschwer de bei dein Kommandanten einlies über den königlichen Sekondeleutnant von Kahlden, der sich angemaßt habe, städtischeg Eigenthumzu vergewalti-. gen. Woher die Gestrengen es erfah- i ren blieb ewiges Geheimnisz, aber die i merkliche Kühle, die sich plötzlich im Verkehr die Kameraden mit Herrn Schröder bemerkbar machte, ließ man iheg errathen. s Der Verbrecher wurde vor dasJ An sgesicht deg- Gewaltigen befohlen, der sim Grunde das weichste Herz von der Welt hatte und seine jugendlichen Uns itergebenen mit väterlicher Milde re gierte. Auch hatte in diesem besonde ren Falle Annemarie, die Vertraute Ssrtsannen5, dem Vater allerlei ver rathen von der heiuilichen Liebe, von der Niemand nichts weiß. Und als sie zu dem Schwur deg Onkels kam, be gann der alte Herr so zu lachen, dasz es ihm nur mit Miihe gelang, seinem jovialen Gesicht die in diesem Falle durchaus angebrachten Zornessalten aufzuwingen, als der arme Siinder sich bei ihm meldete. Nachdem der hohe Herr ihm mit sich stetig steigern-dem Zorn sein Verbrechen vorgehalten hatte, schloß er mit den Worten: »So, das wäre meine Mei nung von »der Sache. Was die städti schen Behörden anbetrifst, so werde ich diese Angelegenheit in Jhrem Namen » ordnen, womit sie für Sie abgethan ist. i i Damit Sie aber Zeit zum Nachdenken haben, um si.-) noch einmal las von mir Gesagte in erinnerung zu rufen, diktire ich Jhnen dsrei Tage Stuben arrest« —- Kalylden zuckte zusammen, als der Sprechen-de eine Pause machte und blickte voller Herzensangst den Vorgesetzten an, der unmerklich lächeln-d noch hinzusetzts:: »den Sie morgen antreten werden« Eine Welt von- väterlich-ein Wohl wollen lag in den- treuen Augen des alten Herrn, als er dem jungen Offi zier nach.blickte, der sich mit strahlen-der Miene von ihm verabschiedete »Die Kinder hätten mir ja die Au gen ausgetratzt, wenns heute Abend der slotte Tänzer gefehlt hätte, und Su sannchen ———"nsa, alter Schweige-r, ich glaube, Du knackst doch noch die harte Nuß, und im Grunde mußt Du auch stolz sein, solch forschen Schwie gersohn zu bekommen.« Der (Mitfa.sten-)Ball wurde der glänzendste der ganzen Saison, und als er zu Ende war, mußten- alle, der alte Oberst nicht angenommen, daß Kahlden sich seine Susanne erobert hatte. Als das junge Mädchen dem Vater ,,Gute Nacht'· sagte, fiel sie ihsm zärt lich um den Hals und flüsterte: »Wie gut war es doch, Vater, daß er das Hohe Thoe zunagelni ließ, so hast Du keinen Schwur zu brechen, wenn Du Deine-n glücklichen Kindern den Segen giebst.« Und als der alte Herr in die selig lächelnden Augen seines Kindes sah, drückte er es fest an sich und übernahm es sogar als grimmer Liebes-bote, das erste ärtliche Briefchen von Siusannens Hand dem neuen Sohne selbst zuzu tragen. Dore als Schildermaler. Der berühmte französische Maler Gustav Dore, der besonders durch s( : herrlichen Jllustrationen zur Bibel de tannt ist, übernachtete einst auf einer Fußreise in einem kleinen Gasthaus Savohens. Am nächsten Morgen, als über Nacht eingetretenes Regenwetter ihn am Aufbrechen hinderte, saß er ge langweilt am Fenster. Plötzlich stand er auf und sagte zum Wirth: »Sie haben aber doch ein gar zu scheußliches Schild über der Thür. Jch will Ihnen ein anderes malen, wenn’s Jhnen recht ist. Der Wirth war natürlich hierüber sehr erfreut, besonders als er erfuhr, daß er nichts dafür zu bezahlen brau che. Dore ging nun daran, ein neues Schild zu malen, das einenWagen voll fröhliche-: Reisender zeigte, der vor dem Wirthshause hielt, in dessenThiir zum Empfang bereit der Wirth mit lä: chelndem Antlitz stand. Die Räder des. schräg von hinten gesehenen Wagens erschienen auf Grund der Perspettive natürlich in ovaler Form. Leider währte dieFreude desWirths über sein neues Schild nicht lange, denn gegen Abend erschien der Schrei ner des Dorfes, der auch ein wenig in Farben pfuschte, um seinen SchoPPen zu trinken. Ganz stolz zeigte der Wirth ihm und den anderen Gästen sein neues Schild. . Der Tischler musterte es mit kriti schem Blick; sodann sagte er kopfschüt telnd: »An dem Bild ist ja ein großer Fehler; seht Jhr denn nicht, Gevatter, » daß die Räder nicht rirnd find?« »Da habt Jhr wahrhaftig recht-— s Ohn, Monsieur Dosre, wir sind hier im Dorfe nicht so dumm, wie Sie viel: leicht denken." Lachend suchte Dore zu erklären, warum das Rad oval erscheinen müs se; allein das erzürnte den lunstsinni gen Tischler nur umsomehr. »Ich will Ihnen beweisen, daß Sie nichts oerstehen,« sagte er, ergriff ei nen Zittel und schlug ein-en Kreis, der die Radnabe als Mittelpunkt hatte. »Da sehen Sie,« sagte er triumphi rend, ,,wie ein Rad gemacht werden muß.« »Ja freilich,« riefen die übrigen Gäste, »das ist doch ganz klar, daß ein Rad rund sein niuß.« Der Wirth verlangte nun aus das Bestimmteste, daß Dore die Räder rund male; der aber wollte das natür lich nicht, und als man weiter in ihn drang, nahm er einen Pinsel und machte einen Strich über das ganze Schild. «.Halt!« rief da der Wirth, »das geht denn doch nicht· Sie haben mir mein altes Schild, das noch sehr gut war, verdorben. Haben Sie nun die Güte und bezahlen Sie mir ein neues.« Der biedere Dorsmaler erbot sich, ein neues um zehn Franken —— »aus nahcngweise«, wie er hinzusetzte —zu malen, und mn dem Streit ein Ende zu machen, blieb Dore nichts übrig, als den Beutel zu ziehen. Der Schrei ner erhielt die Bestellung aus ein neues Schild, woraus die Räder natürlich treisrund gemalt werden sollten. Das ganze Dorf aber lachte iiber den ,,seinen Maler«, der nicht einmal ein Rad malen konnte. -— --——-. O-— — Stolz und itölzetu Der Wiener Komiker Wenzel Scholz heirathete in zweiter Ehe eine Beam tentochter Namens Mölzer Diese hatte einen Bruder, der in seinen Mu szestunden Couplets dichtete und ein großer Verehrer seines Schwsagerg Scholz war. Dieser schrieb ihm in’5 Album: »Md·lzer ist wohl stolz Aus seinen Schwager Schatz. Doch Scholz ist noch viel stölzer Aus seinen Schwager Mölzer!«