Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, January 13, 1905, Sweiter Theil., Image 14

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Rerrenloses Gut
Roman von Oäkic Bernhard.
. (15. Fortsetzung)
»Ich wollte antworten: »Sie können
nicht zu mit kommen, um sich
meine Zeichen- und Stizzenmappe an
jusehen«... aber es kam nicht dazu.
»Ich würde Ihnen auch eine Beloh
Iung zum voraus versprechen können!«
fuhr er fort. »Ein-e große Photogra
siire des «Gewissens« —«
»Ach, die habe ich schon!« rief ich
«Wirtlich?« Er rückte ein ganz klein
speni seinen Stuhl zurück und sah
mich onderbar an, wie eine Kuriositiit.
«Wie sind Sie dazu getommen?«
»Maxi hat sie mir verschafft —ich
habe fre mir für mein Stundenhono
rar verschreiben lassen!«
»Ach so! Sie ertheilen Unterricht!
Mssenschastlichen?«
» a.«
» rn?«
»Nicht-nicht so sehr gern!«
»Aber warum geschieht es denn?
Doch nicht des Erwerbes wegen?«
»Zum Theil ja! Jch möchte eigenes,
etbftverdientes Geld haben, mit dem
ch machen kann, was ich will! Und
dann auch der Beschäftigung halber!
Bloß so hinleben, ohne den geringsten
Finden zu stiften, das möchte ich
nicht:q
Er sagte nichts daraus, sah mich
aber unverwandt an, mit einem merk
würdig beharrlichen, eindringlichen
Blick, ganz nachdenklich, ganz konzen
trirt, ich weiß nicht, welchen Ausdruck
ich finden soll, um diesen Blick zu be
zeichnen, saft, als ob er mich mit je
mand vergleichen wollte. . . nein, das
kann nicht zutreffen!
Jch glaube, die Gesellschaft wun
derte sich und nahm es übel, daß der
Professor so viel mit mir sprach, und
jetzt, da ich es mit hinterher überlege,
sent es mich in Erstaunen! Mich be
fremdet es immer, wenn sich jemand
eingehend mit mir beschäftigt . . . und
nun gar er! Ein solcher Mann! Mit
seinem, keinem zu dergleichen von
allen, denen ich bisher begegnet bin!
Un dem Abend aber war ich über nichts
verwundert, ich war wie in einem
Rausch, ich fühlte mich so leicht, so
frei, so ganz iiber mich hinaus-gehoben
—auch war eine Stimme in mir, die
ggtc »Genieße diese Stunden, koste
aus! Sie kehren dir nie wieder, du
wirst lange, lange an ihnen zehren
müssen!«
Er hätte mich noch nach tausend
Dingen fragen können —- alles, alles
hätte ich ihm beantworten mögen,
wichtige und alltägliche Dinge, Per
ontiches und Allgemeines! Wenn es
nicht zu geringfügig war, von dem
reden, was mein Leben bildete, wie
Takt es mir da so sein
Er wollte wissen, welche Bücher über
Archiiologie und Plastik ich lese und
ahl mir zwei neue, deren Titel er
s·s-Init selbst notirte. Er fragte, ob ich
noch andere Kunstsammlungen kenne,
außer denen in München, ob ich es
derßiinde, gut zu sehen, in ein Kunst
M einigermaßen einzudringen —
Md dann erzählte er von Rom, mir
vDsitzvaalleity mit so gedämpfterStim
Ie, ß kein einziger anderer Mensch
et hören tonnte...nur ich, nur ich!
M mich das stolz machte! Wie ich
Mch war! Jch hatte das Gefühl,
er nnd ich, wir hätten nun dies eine
Museum und das könne uns nie
M nehmen! Wenn er von Rom
Ast-on seiner Kunst zu sprechen be
dient, dann lächelt er — und wenn
Bei lächelt, wird er schön!
« Ich weiß gar nicht mehr, mit wem
ich sonst an dem Abend noch geredet
Hase nnd was-ich weiß nicht, was
»ich aß oder trank, ob das Essen gut
M oder nicht . . . die Stunden gehör
ten ihn-, nur ihm, und ich mache mir
M Vorwurf deshalb! Wem das
»zz»: . » al einen vollen, duftenden Ro
- « - uß in den Schooß wirft, der
z« » ihn fassen und sich an seinem
satt trinken-gleichviel, ob er
» nie mehr trinken darf — gleich
, ob er daran stirbt!
So habe ich aetbant
Ellh hat mir beim Abschied ins
Ohr gesagt, ich wäre wunderhübsch,
nnd solche Augen wie meine, die hätte
eben niemand aus der Welt. Jch habe
mich darüber gefreut —- ach — ge
freut! Und zu Hause hab’ ich mir alle
Kerzen angesteckt, mitten in der Nacht,
und hab’ in den Spiegel gesehen. Das
Gesicht sehr weiß, die Haare sehr dun
kel, die Lippen glühend roth und die
Augen groß und mit intensivem
TUTTI leuchtend —das war ich!
ie hatten ihn alle bestürmt, in sein
sMkiet kommen zu dürfen, und er
Eise lachend abgewehrt, es sei nichts
—..hier in München habe er gar
nichts was der Mühe des Hinkommens
Mth sei-ja in Rom! Das sei et
was anderes! Wie sie nicht von ihm
cbließen, hat er endlich gesagt: schön,
sollten kommen, am künftigen
itttoocht Zu mir hat er sich extra
enn wendet und gefragt: »Sie sind
dox auch dabei?« —Jch bin dabei,
nnd wenn alles um mich her in Trüm
mer ginge!
Der tiinstiFe Mittwoch, das ist
itserntorgent ir steht die Zeit still
Dis pahinl Ich will nichts von ihm
t
" haben, nichts erwarten, nichts fordern,
nur ihn sehen —sehen —und reden
hören!
Hat es wirklich lange Jahre gegeben,
da ich nichts von ihm wußte? Jhn
nicht kannte?
Und das habe ich Leben nennen
können? —
Drei Tage später. Nun ist auch
das gewesen, nun gehört auch das der
Vergangenheit an! O, Gegenwart,
einzig schöne, bleib’! Siehe still! Und
du, Zukunft, in deinem dunklen
Schleier, was wirst du mir bringen?
Es ist nicht Vermessenheit von mir,
daß ich so denke, so frage! Jch habe
ein Recht dazu!
Mutti war gar nicht wohl gestern,
und ich fühlte, ich müßte sie doch fra
gen: »soll ich bei dir bleiben?« Hütte
sie ja gesagt... was dann geworden
wäre, das weiß ich nicht!
Aber sie ist so gut, so lieb, sie
merkte es mir wohl an, was dieser
Besuch in eines großen Künstlers Ate
lier mir bedeutete... sie sagte nein
und streichelte mich und sagte, ich solle
mein blaues Kleid anziehen, das stehe
mit so gut zu Gesicht. Das that ich
denn, und wie ich zu ihr ins immer
kam, mich berabschieden, da s nitt sie
mit eigener Hand zwei von den wun
derschönen weißen Theerosen vom
Stock —- Papa hat ihr neulich den
Baum geschenkt —- und steckte sie mir
in den Gürtel — gute, liebste Mutti!
Bei prachtvollem Winter-wettet ta
men toir in die Schwanthalerstraße,
die Sonne schien hell in das lustige,
große Atelier. Es sieht noch ziemlich
unwohnlich aus —- »striislich neu und
stillos,« wie sein Eigenthümer sagt.
Ein paar hübsche Dekorationsstiicke
bot et sich angeschafft- Teppiche. Go
belins, Krüge, aber es will nicht viel
bedeuten, es sieht etwas zusammen
gekauft aus, und er nahm es gar
nicht übel, als ich ihm auf seine Frage,
wie es mir gefiele. ehrlich sagte —im
Gegentheil, er lachte und nickte: »Hu
ragione!« Wenn er etwas recht aus
dem Herzen sagen will, da spricht er
italienisch, das habe ich schon bemerkt. »
Die anderen waren alle sehr entzückt "
von dem Arbeitsraum und konnten
sich in Achs und Ohs und in Ausrufen
der Bewunderung nicht genug thun.
Ich verhielt mich schweigsam und
konnte die Zeit kaum erwarten, da die
Hüllen von den beiden Gestalten, an
denen er arbeitete, fallen sollten; er
muß mir diese meine Ungeduld ange
merlt haben, denn er meinte einmal
halblaut zu mir: »Versprechen Sie sich
nicht zu viel! Das eine Werk ist
schon ziemlich weit vorgeschritten, aber
an dem anderen ist noch nicht viel zu
sehen, und ich weiß nicht, ob es Jhnen
zusagt!«
Jch wollte gern sagen, das könne
ihm doch keinen Eindruck machen, ob
seine Werte mir zusagten oder nicht,
aber ich fand den Muth nicht dazu.
Es sah mir so gewollt aus-, so per
sönlich, so zudringlich. Jch schwieg
also und sah ihn an, aber ich glaube
bestimmt, er wußte, was ich dachte.
Wie wir noch alle herumstanden,
that srch die Thür aus und eine sehr
hübsche blonde Frau kam herein, Got
tas Schwägerin Kitty; ihr Mann
folgte ihr bald, er hat ein angeneh
mes, ge cheites Gesicht, sieht aber set
nem Bruder gar nicht ähnlich und ver
schwindet vollständig neben diesem
der Professor sieht hundertmal bedeu
tender aus! Mir fiel auf, daß dieser
Baumeister Cotta bei meinem Anblick
ganz betroffen aussah, ich bemerkte,
wie er mich später immer wieder von
der Seite fixirte. Unauffällig blickte
ich in den Spiegel: war irgend etwas
an meiner Toilette, an meiner Frisur
nicht in Ordnung? ich konnte nichts
entdecken! Die junge Frau war unbe
fangen, sie benahm sich sehr entgegen
tommend und freundlich gegen mich,
während sie zu Elly eigentlich nur
höflich war. Für ein paar Minuten
ließ sie ihre beiden kleinen Buben ins
Atelier kommen —- ach,- zu süße, her
zige Kinder! Wie er sie hochhob und
mit ihnen scherzte, und wie sie ihn
liebtenl Mir wurde so eigenthiimlich
zu Sinn, als ich das sah, ich kann
fnicht recht schildern, was es war, das
z ich empfand! Neid auf diese Kinder,
daß sie sich so an ihn schmiegen, ihn
herzen und küssen durften — auch
Neid auf ihn, daß die kleinen Ge
schöpfchen so an ihm hingen! Jch hätte
sie selbst haben mögen —ich habe noch
nie zuvor so deutlich empfunden, wie
iiß, wie entzückend es sein muß, Kin
r zu haben! Als ich mich später
über sie beugte und sie fragte, ob sie
mir ein Händchen geben möchten, da
sckelug der älteste tapfer ein, der Kleine
a r sah zu mir empor mit seinen
klaren, sonnigen Kinderaugen und
plötzlich lächelte er, streckte die Anm
chen in die Höhe und ließ sich von mir
aufnehmen und küssen. Jch hielt ihn
fest, fest an mich gedrückt — ich hätte
Iihn gar nicht mehr von mir lafsen
mö n, und jetzt noch fühle ich fein
sam tweiches Gesichtchen an meiner
;Wange!
)« Die Kinder gingen dann bald mit
I ges-e Wärtetin fort, und wir mußten
hzanti und Falerner trinken aus fehr
schonen, alterthümlichen Gläsern, die
T
aus Rom kamen. Die Unterhaltung
war sehr lebhaft, ich hätte am liebsten
tein Wort gesprochen und nur still und
glücklich in mich hineingesonnem aber
das Ehepaar Cotta legte förmlich Be
schlag aus mich, nnd ehe ich mich des-.
sen versah, hatte ich versprechen mits
sen, sie bald einmal zu besuchen —
auch erfolgte eine vorläufige Einla
dung fiir Elly und mich zu einem be
vorstehenden Tanzfest bei Cottas; sie
sagten, sie wären glücklich, zweijunge
Damen wie uns dabei zu haben·
Maxi, den sie schon konnten, wurde
natürlich auch gebeten, er engagirte
mich gleich »aus alle Fälle« zum Me
nuettwalzer und zur Francaise, und
Professor Cotta meinte, wenn ich eine
so begehrte Dame sei, so müsse er sich
das Recht sichern, beim Souper mein
Nachbar zu sein! Ich konnte nicht viel
sagen, das Herz schlug mir bis zum
Halse hinaus.
Endlich und endlich wickelten die
Gebriider Cotta vorsichtig die Hüllen
von den beiden Statuen. Die erste,
fast fertige, nennt sich »Der Hirt« und
stellt einen jungen, fast nackten Knaben
dar, der, halb stehend, halb sisend,
an einem Felsblock lehnt und auf einer
Flöte blast. Aber wie das gemacht ist!
Wie man diesen einfachen Vorgang
mitempsindet —- wie man meint, mit
ten in der warmen, sonnengoldenen,
südlichen Landschast zu sitzen und die
weiche Luft zu fühlen, die des Knaben
Locken fächelt, die Sonne, die ihm die
nackt-en, seinen Glieder küßt — und
die Ruhe, die friedliche Stille rings
um, die so seelenlösend wirttl Man
hört, was er spielt, der «unge Hirt
eine ganz schlichte kleine elodie ist es,
wie heraus-gehört aus der Natur, die
den Spielenden umgibt —- er denkt
nichts anderes, will nichts anderes als
seine Musik, er ist ganz glücklich, ganz
wunschlos, wie er dasitzt und bläst.
Die Züge sind nicht gerade von regel
mäßiger Schönheit — aber so weich
gerundet, so kindlich zart —- auch der
Körper noch so schmächtig —- man
meint zu wissen, wie es bisher dahin
gelebt hat. dies Kind der Berge
unberiihrt vom Hauch der Welt . . . in
großer, wonneboller Einsamkeit!
Alles Anatomische natiirlich pracht
voll beobachtet, kein Zuviel, das Ganze
harmonisch, ohne jede Uebertreihung
—- mit einem Wort: ein großes Kunst
werk — fiir mich in seiner Einfach
heit so ergreifend, daß ich in meinen
Augen Thränen aufsteigen fühlte!
Jch glaube, die anderen waren mehr
oder weniger etwas in Berlegenheit,,
der Figur gegenüber. Sie hatten wohl
etwas anderes erwartet, mehr fürs
Auge, fiir die Phantasie übrig lassend,
etwas, das mehr Effekt hervorbrachte.
Und ich gerade — ich war so glücklich,
daß er das gewollt und es so gelonnt
hatte, so schlicht und groß empfunden,
der Volks- und Kindesfeele abge
lauscht! ’
Geredei wurde natürlich sehr Viel
-—-die Menschen denken doch immer,
daß Stillschweigen unhöflich ist und
daß sie doch etwas sagen müssen.
wenn es denn auch etwas Dummes
iftl Mit Gewalt wollen sie geistreich
sein und den Kunsttenner spielen —
und das geht eben nicht, geht beides
nicht! Begabung, natürliche Begabung
gehört dazu, und zur Kunfttenner
fchaft doch auch schließlich Studium
—- man muß fein Auge geübt, seine
Beobachtung gefchiirft haben!
Frau Rode fragte unter anderem,
was der junge Hirt wohl denke und
empfinde —- sein Schöpfer habe doch
sicherlich viel in ihn hineingelegt!
Cota lachte dazu und sagte: »Der
Ragazzo und ich, wir denken uns beide
gar nixt Er sißt da und läßt’s sich
wohl sein und flötet sich was vor . . . .
keep-«
Beim Anblick der zweiten Figur, die
noch in GipS ist —- alS Tonmodell
existirt sie auch — da lösten sich die
Zungen ganz anders, die Zuschauer
geriethen in Etstase... und etwas
Packendes, Sensationelles geht freilich
auch von dein Machivert aus.
»Rellame!« —- Ein junges Weib in
losem, leichtern, saltigeni Gewande,
das in herrlich freiem Wurf Brust und
Hüften und Kniee umwallt; sie schrei
tet kräftig aus, rasch« rasch will sie
weiter, inan sieht es! Jn der rechten,
schwungvoll erhabenen Hand hält sie
eine Trompete, die sie im nächsten
Augenblick an die Lippen setzen wird;
die Linie ist in der Hüftengegend ge
ballt und halt in der Faust ein ganzes
Bündel von Plataten, Broschüren,
lofen Zetteln. Gleich werden die hal
tenden Finger sich lösen und all die
beduckten und beschriebenen Blätter in
alle vier Winde, in die ganze Welt
streuen. Der Körper ist prachtvoll
modellirt, die ausschreitende Bewegung
von großartiger Plastik, das Gesicht
schön, aber nicht sympathisch: ein üp
piger, sinnlicher Mund, triumphirende,
hartblickende Augen, leichtgeblähte
Nitstern, das ganze Antlitz nichts wie
ein Frohlocken, ein Prahiem da, seht
mich ——. sehtt Gebt acht aus meinen
Triumphzugt Jch torninel Ich bin
eine Großmacht in der Welt —- es ist
niYQ nichts ohne mich zu erreichen!
as ist so au enfiillig, redet so
deutlich zum Be chauer, daß er ei
fassen mußt Und so ab es denn einen
wahren Tumult uni ie Figur herum;
alles ries, deutete, lachte, muthmaßte
durcheinander, und mitten in all dein
Lärm wandte sich der Professor —
netn, ich kann ihn hier nicht bei sei
nem akademischen Titel nennen, ich
kann es nicht —- also wandte er sich
plötzlich an mich und bat um meine,
ja, um ineine persönliche Ansicht über
beide Werke!
Und ich, froh bestürzt wie ich war,
ich hatte wieder dies Gefähl des in
t;iisgehobenteins, wie neulich im
Abendeisen izi den »Vier Jahreszei
ten«; außerdxin —- wenn er etwas
wünscht, dann hat es einfach zu ge
schehen, ich habe keinen eigenenWillen
ihm gegenüber! Also sprach ich alles
aus« was ich dachte, und die Worte
und Wendungen strivmten mir wie von
selbst zu, ich durfte nicht nach ihnen
suchen. Sein Blick ließ nicht eine Mi
nute ab von mir, während ich redete
—- und wenn ich mir jetzt, in der Ein
samkeit meines Zimmers diesen Blick
vergegenwiirtige . . . was lag dain?
Seltsam! Nicht gerade Wohlgefallen
oder — oder —- nun, sprich es nur
aus —- oder Liebe oder... Bewunde
rung . .. woher sollte die ihm siir mich
auch kommen. sondern — sondern
eine Art von schmerzlich-er Zärtlichkeit
—- von Mitleid, wie man es vielleicht
mit einem Kinde haben könnte . .. ach,
ich suche-— ich taste —-ich weiß nicht!
Zu dein, was ich sagte, hat er ein
paarrnal genickt; einmal sprach er
halblaut vor sich hin. »Bravo, Signo
rina!« und als ich ausathmete und
fertig war, meinte er: »Sie haben eine
feine Beobachtung und müssen schon
sehr ernsthafte Studien gemacht
L habenl«
Ach ja, die habe ich gemacht —- aber
daß er das gleich herausfand und an
erkannte. .welch ein Glück fiir mich!
Die fremden Leute kamen dazwi
schen und Rahmen ihn mir für lange
Zeit fort Jch weiß nicht« sie er
schienen mir alle fremd eftern, auch
die, die ich so lange und so gut kenne:
Elly und Onkel Meding und Maxi!
Jch hätte sie alle zusammen —- ja,
auch feinen Bruder und feine Schwä
getin, so liebenswürdig s e auch gegen
mich waren — alle zusammen hätte ich
sie bei den Schultern nehmen und
sacht zum Atelier hinaus-schieben mö
gen, daß bloß er und ich übrig blieben
—und wieder, wenn ich es mir aus
male, ich könnte mit ihm allein fein,
dann schwindelt es mir, wie wenn ich’
vor einem Abgrund stünde!
Ohne daß es die vielen Menschen
—es waren ja über zwanzig im gan
zen, denn Rodes hatten natürlich ihres
»besten Freunde« mitgebracht — be
merkten, sonderte ich mich ab und ging
zu dem Jungen Hirten« zurück; dies
anderen standen alle dichtgeschaart um
die ,,"Rellame herum
Wie ihm gut und still und stim
mungsvoll zu Muth gewesen sein muß,
als er diese Jdee faßte und sie so ver
törpertet Wie alles das, was die Men
schen von ihm sagen, und was ja auch
wahr sein wird: seine ungezügelten
Leidenschaften, sein Spott, sein Lunis
mus —- wie das alles von ihm abge
fallen sein muß, gleich wesenlosem
Plunder, als er dies Wert schuf — so
rein, so teusch, so —so——ich finde
kein anderes Wort: so einfältig schön!
Ja, ja, bewundert nur die »Rellame«!
Sie ist ja eine brillante Leistung, sie
wird berechtigtes Aufsehen erregen und
dem Meister neues Gold und neue
Lorbeeren bringen . . . aber das wahre
und.echte Kunstwert — das ist dies
hier.
Was ich jetzt noch schreiben will. das
geschah so schnell, kam so verblüfsend,
überraschend, daß ich heute bisher wie
eine Träumende ini Hause umherge
gangen bin, mich innerlich immer wie
der fragend: kann es denn sein? Hast
du, Hanna Piotrowsky, das wirklich
erleth ,
Jch merkte, wie jemand leise hinter
Mich trat, und trotzdem ich mich nicht
umwendete, wußte ich sofort, wer es
war. Jch kam nicht dazu, irgend et
was zu bemerken, denn seine Stimme
sagte dicht an meinem Ohr: »Ich habe
meinen Bruder gebeten, die verehrliche
Gesellschaft da drüben fiir ein paar
Minuten zu beschäftigen, er wird das
schon fertig bringen —kann ihnen ja
den sandalenbekleideten linken Fuß der
»Resame'« oder ihre flatternden
Stirnlocken zum Studium empfehlen«
—er lacht-e spöttisch —- »und derwei
ien bin ich hier zu Ihnen herüberge
kommen! Jch M Ihnen nämlich et
was zeigen!«
»Sie? Miti«
Thöricht genug von mir, zu fragen
—aber ich hätte keine weitere Silbe
s herausbekommem
»Ja — ich Jhnent Und zwar Jhnen
ganz allein! Sehen Sie einmal her!
Rasch! Wir müssen uns beeilen!«
inter dem Gestell, auf dem der
»in ge Hirt« stand, befand sich ein
Vorhan , ein schwerer Gobelinteppich.
Den schob er beiseite, und es wurde
ein breites Wandbrett sichtbar, auf
dem verschiedene kleine Figuren und
Büsien aufgestellt waren —- manche
von ihnen ganz fertig, andere kaum
im Umriß zu erkennen —- zwei oder
drei mit Tüchern zugedeikt Von einer
dieser letzteren nahm er schnell die
Hülle uherunter und hielt mir eine kleine
onbuste hin: »Wer ist basi«
Ja... wer war est Jch blieb
sprachlos s-ich sah auf die Wüste-—
auf ihn —- wieder aus die Büste —
tvas sollte —- was konnte ich sagen's
»Amt« fragte er von neuem. »Gut
gelungeni«
Wieder war der gerührte: halb mit
leidige Blick in seinen Augen, den ich
mir nicht zu deuten wußte.
»Seht geut —ja!« immnielte ich;
dann raff ich mich zu ammen, gab
mir innetli einen Ru . Wenn dieser
Mannaus m Gedächtniß eine Bii e
van nnr machte-was that, was
wies dass Eine hohe Ehre war es
für«mich, sicher, denn er ist ein großer,
berühmter Künstler! Aber ob ei sonst
etwas bedeutete? Irgend etwas in
meinem Gesicht mochte ihm auffallend
gewesen sein — ei hatte ihn gereizt,
.-....-.—-»-«-,.· — M- —
es nachzubilden —- zufsllig war es
nicht Elly, ni t ihre Mutter oder
Nichte gewesen« andern gerade ich . . .
etwas Persönliches brauchte darum
keineswegs hineinzuxpielem —- Ich
weiß, daß ich nicht chön bin-daß
ich aber doch manchen gefalle, das weiß
ich auch. Meine ähne, mein Haar
und meine Hände md wohl hübsch-—
fElly lobt immer die Augen so, aber
wenn ich in den Spiegel sehe, sagen
sie mir nichts Besonderes —- es muß
dcr wechselnde Ausdruck thun! Und
Maxi hat schon des öfteren ausgeru
) sen: »Was für ein gutgeschnittenes
Prosil Sie haben!«
Nun —- dies Prosil oder die Augen
oder das Haar —"etwas von dem
I Ganzen lann auch ihm gefallen haben,
,es hat ihm Freude gemacht, das mit
sseinen zaucerhaft geschickten Händen
zu formen, sich vielleicht an meiner
Ueberraschung zu weiden —- aber daß
s er es mir ganz allein zeigen wollte und
diesen Ausdruck im Gesicht trug . . .
Jedenfalls wollte ich nicht zeigen.
wie sehr diese Thatsache mich überwal
f tigte, ich sagte also, man hätte über
, sich selbst und das eigene Gesicht kein
, Urtheil, das hätte ich erst neulich ge
Tmerlt, als alle Welt meine neueste
Photographie vortrefflich fand, und ich
; konnte mich nicht damit befreunden
; und hielt sie für unähnlich —aber bei
Heinem Künstler wie er, dessen spre
»chende Modelliihnlichkeiten allbekannt
wären, da sei ja etwas derartiges
ausgeschlossen —- lurz, ich redete
allerlei und starrte dabei immer ort
auf die lleine Büste, hörte mein rz
laut und stürmisch klopfen und fragte
mich innerlich: was findet er denn an
dir? Was lann er an dir finden?
Und ist es möglich, daß . .. daß . . .
Er ließ inzwischen seine Augen un
ausgeseszt von mir zu der Büste und
wieder zurück wandern — wollte er
prüfen, ob ihm sein Machwerl gelun-»
gen sei? Das ist doch bei einem sol
chen Genie ausgeschlossen!
CFortsetzung solgt.)
Sechzig Jahre.
Von der frühesten Jugend an habe
ich mir immer gewünscht, sechzig Jahre
alt zu sein, weil ich immer gedacht
habe, das müsse das Alter des Frie
dens und der Ruhe sein. Und nun
bin ich noch nicht sechzig Jahre
alt «und finde es noch viel schöner,
als ich es immer gedacht. Jch will
Euch erzählen, wie es ist, damit ihr
Kinder Euch darauf freut, und wißt, :
wenn man ein langes und schweres :
Leben zurückgelegt hat, dann kommt
eine Ruhe, die schon Vorgeschmack von
der Himmelsruhe ist.
Das ist so, als wenn man in lauter
Licht e:ntriite, als singe man eine neue
Kindheit und ein neues Leben an, als
ließe man alles weit hinter sich zurück,
was einem das Leben dunkel gemacht
hat; denn man weiß ja, man wandert
dem Lichte entgegen. Das ist ein Aus
hören von allem Groll und ein Ver
zeihen allen, die einem einmal wehe
gethan haben, denn man denkt, sie
haben wohl nicht gewußt, wie weh sie
gethan, sonst hätten sie es gar nicht
thun können. Manwandelt an denDin
gen vorbei, die einen sonst so sehr
gelockt haben, und die man so gern
besessen hätte, und begehrt sie nicht
mehr, denn man hat gesehen, wie sehr
vergänglich alles ist, und wieviel man
entbehren kann. Das lernt man alles
aus dem Wege, den man das Leben
nennt, und man lernt es nicht immer
gern und nicht immer leicht; die große
Schule vom lieben Gott ist eine ernste
Schule und seine Strasarbeiten sind
viel schwerer und bitterer, als die
man in der Kinderschule macht! Die
Strasarbeiten vom lieben Gott sind
ost ahre lang und nehmen alle unsere
Kra t und all unseren Willen in An
sprach, und lassen uns nicht mehr los
und zu gar keinem Fest und zu gar
keiner Freude kommen, denn wir
müssen manchmal auch die Strasarbei
ten der anderen mit auf uns nehmen,
wenn die schwach sind oder sie nicht
haben ordentlich machen wollen. Und
wenn man dann sechzig Jahre alt
wird, so hat man das Gefühl, daß
man nicht mehr so viel zu lernen hat
auf der Erde, und nicht mehr so viele
Strafarbeiten zu machen hat« sondern
daß man auch einmal ins Licht schauen
und nach den hohen Gedanken fragen
darf, aus denen wir gekommen sind
und in die wir uriicktehren. Sechzig
Jahre ist wie e e Krone aus lauter
Licht und Duft, die einem der liebe
Gott aufs weiße aar ganz leise legt,
und dann freuen ich die andern mit,
daß man so friedlich ist, und daß
man von seinem Frieden ihnen noch
schenken kann, und dann ist es ihnen
wie eine Verheißung, wenn sie sich
abgemüht haben in denschweren Tret
muhlen, in denen sie das Goldkorn der
Pflicht geniahlen haben ihr Leben
lang. Dann kommt das richtige
FeiertagsgefiihL Es liegt ja gar
nicht am Nichtsthun, das Feiertags
gefiihl, sondern an dem Thun, das
uns leichter wird, und dei dein wir
nicht mehr unsere letzten Kräfte ver
brauchen müssen, sondern bei dem wir
ein wenig stillstehen oder sitzen und
uns erinnern können und weiter hin
auöfchauem
Jch denkegar nicht, in Nichtsthun
fu verfallen nach 60 Jahren, sondern
m Gegentheil viel bessere und reifere
Arbeit u leisten, als vorher, wenn mir
der kie e« Gott dazu noch Zeit und
Kraft laßt. Denn ich habe leine
Wünsche mehr, und keinen Groll und
nichts, das die Kräfte und die Flügel
lahmt sondern nur noch den Aufblick
in die ·Hohe, nach dein großen, endli
chen Ziel! Ei giebt nichts mehr, das
J
einen auf der Erde zurückhalt, wenn
man lein Kind hat, das der Sorge
bedarf, man hat das Gefühl, eines
schönen Lebens Sonnenuntergang
recht feierlich machen zu wollen, und
eines schönen Lebens Feierabend allen
zur Freude zu machen, die den schweren
Weg mit einem gewandelt sind und
sich abgemiiht haben an unserer Seite
und oft uns geholfen mit Wort und
That und Zuruf und Blick und sogar
mit dem Vertrauen, das sie uns ge
zeigt hoben. Nun wollen wir ihnen
mit uns den Feierabend schön machen
und ihnen den Frieden bereiten, den
sie mit so viel Aufopferung verdient
haben, und ihnen den Mitgenuß des
Altwerdens verschaffen. Wißt Ihr,
lieben Kinder, das Altwerden ist nur
»darum fiir Euch etwas Fremdes und
Ietwas Ehrwiirdiges, weil Jhr noch
snicht verstehen könnt, daß man sich
sgar nichts mehr wünscht und über gar
lnichts mehr in großer Verzweiflung
»ist, sondern sagt, der liebe Gott hat
:schon manche Noth gewendet, wir ha
ben es oft gesehen, daß er herausge
holfen hat, wenn wir gemeint haben,
es ist alles vorbei, so daß wir Iie
mehr kleingläubig und ängstlich sein
lonnen, sondern in den Hafen oder in
die stille Kammer eintreten, in der die
Wände licht sein müssen, da unsere
Augen mehr Licht bedürfen und das
Lampchen auf unserem Tische hell,
weil wir nicht mehr so gut am Abend
sehen als früher; das thut aber gar
nichts, wir wissen, daß unsere Sinne
und unsere Glieder verbraucht werden
müssen, ja sogar das Herz muß ver
braucht werden und oft auch das Ge
hirn; das ist aber ganz recht so, und
darum, liebenKinder, dentt daran. den
alten Leuten ein helles Stäbchen und
ein helles Lämpchen zu verschaffen und
ihren kleinen Bissen Brod, da sie nicht
mehr viel brauchen; aber das brauchen
sie, um ganz still und friedlich werden
zu können. Ein helles Stäbchen muß
man nun allerdings zuerst im eiaenen
Herzen haben: denn wenn es darin
dunkel aussieht, so hilft die weiheste
Wand nichts und die größte Beleuch
tung nichts und das beste Essen nichts
man wird ein arämliches und unru
sriedenes Alter haben. Aber wenn das
Herzensstiibchen ganz rein acfeat ist
und gar kein Stäubchen darin von der
langen Wanderung und aar kein Hauch
von Groll oder von Nichtverzeihen,
dann wirs es so wunderbar still. als
wäre immer Sonntaa und als läuteten
in einem fort die Festgloclen zu irgend
einer Feier, die man nicht melir tan
zend und singend mitmachen kann. weil
man leine junae Kehle und keine inn
gen Beine mehr hat, aber deren Klang
einen gerade so und noch mehr erfreut,
als in der Jugend, wo man ein heißes
Herz und unersiillie oder unertiillbare
Wünsche in den Jubel hineinträat, der
dann lein rechter Jubel mehr ist Das
Summen einer Biene oder einer Kum
mel ist wie ein Festaelänte im stillen
Stäbchen; das Licht, das durch den
kleinen, weißen Vorhang fällt. ist so
friedlich gedämpft und doch so bell, die
Uhr tickt so anaenehm, die Blume im
Glase oder im Blumenkon dustet so.
und dann hat die Erde uns das aeaes
ben, was sie Schönes geben kann. näm
lich Frieden.
SechzigJahre ist die Grenze, wo das
wirkliche Alter anfängt, wo man sich
erstaunt von den Junan und all die
neuen Erfindunan und Entdeckunaen
erzählen läßt und ihnen die Freude
macht, daß sie fühlen, als wären sie so
sehr viel aescheidter als wir. Seclma
Jahre ist die Grenze, wo man nicht«
mehr so eifrig liest und studirt. sondern
denkt, der liebe Gott hat einein das
Wissen geschenkt, das man aebraucht
hat, nun sollen die andern mehr wissen
und weiter kommen als wir. Wir bät
ten ja in einer anderen Zeit aelebt.
wenn es uns bestimmt aewesen wäre.
zu wissen, was erst die kommenden Ge
schlechter wissen sollen. Wir lernen uns
bescheiden und nicht mebr aieria die
Hand nach neuem Wissen strecken. denn
wir lännen es nicht mebr mit unserem
müden Gehirn erreichen.
Das Ehrtviirdige der weißen Haare
besteht eben in dem Sichbescheiden und
nicht die Grenze überschreiten wollen«
die uns Gott aesteckt hat, sondern rubia
die Flügel falten. bis der Ruf ertönt.
der uns erlaubt, sie zum letzten Fluae
in ihrer ganzenSchwungtraft noch ein
mal auszubreiten, als wären sie nie
verwundet gewesen und labm und matt
und als hätten sie uns immer nur in
die Höhe getragen.
Die schönen, schönen sechzig Jahre!
Ich weiß, sie werden halten. was sie
mir versprochen haben. denn das Leben
hält immer, was es verspricht. wenn
wir es nur recht beiraat haben und
nicht. begehrt, was nicht unser Erbtbeil«
War. .
Gott segnet die sechzig Jahre und
legt seine Hand aufs müde Herr und
läßt es stiller werden, auch von Anasi
macht er es frei, und die Sorgen läßt
er geringer werden, da er uns die arosie
Verantwortuna von den Schultern
nimmt und sagt, dasi wir des Taaes
Last und Sitze hinter uns haben und
Feierabend machen dürkem Die lie
ben, sechzig Jahr-!
Carmen Svlva.
W
In Pittöburf befürchtet man an
geblich eine Koh ennoth, so unglaublich
es klingt. Einen Vortheil hätten dann
die Pittsburger aber doch: sie würden
wenigstens einmal sehen, wie ihre von
Natur so schön gelegene Stadt eigent
lich wirklich aussieht. ,
e- ss- - «
Und wenn die Seele noch o tver
Aus ihren Wunden blutetf: sch
Ost kommt der Trost aus Winsel
Wo man ihn nicht vermuthet. ihm
s