Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, January 13, 1905, Sweiter Theil., Image 14
Rerrenloses Gut Roman von Oäkic Bernhard. . (15. Fortsetzung) »Ich wollte antworten: »Sie können nicht zu mit kommen, um sich meine Zeichen- und Stizzenmappe an jusehen«... aber es kam nicht dazu. »Ich würde Ihnen auch eine Beloh Iung zum voraus versprechen können!« fuhr er fort. »Ein-e große Photogra siire des «Gewissens« —« »Ach, die habe ich schon!« rief ich «Wirtlich?« Er rückte ein ganz klein speni seinen Stuhl zurück und sah mich onderbar an, wie eine Kuriositiit. «Wie sind Sie dazu getommen?« »Maxi hat sie mir verschafft —ich habe fre mir für mein Stundenhono rar verschreiben lassen!« »Ach so! Sie ertheilen Unterricht! Mssenschastlichen?« » a.« » rn?« »Nicht-nicht so sehr gern!« »Aber warum geschieht es denn? Doch nicht des Erwerbes wegen?« »Zum Theil ja! Jch möchte eigenes, etbftverdientes Geld haben, mit dem ch machen kann, was ich will! Und dann auch der Beschäftigung halber! Bloß so hinleben, ohne den geringsten Finden zu stiften, das möchte ich nicht:q Er sagte nichts daraus, sah mich aber unverwandt an, mit einem merk würdig beharrlichen, eindringlichen Blick, ganz nachdenklich, ganz konzen trirt, ich weiß nicht, welchen Ausdruck ich finden soll, um diesen Blick zu be zeichnen, saft, als ob er mich mit je mand vergleichen wollte. . . nein, das kann nicht zutreffen! Jch glaube, die Gesellschaft wun derte sich und nahm es übel, daß der Professor so viel mit mir sprach, und jetzt, da ich es mit hinterher überlege, sent es mich in Erstaunen! Mich be fremdet es immer, wenn sich jemand eingehend mit mir beschäftigt . . . und nun gar er! Ein solcher Mann! Mit seinem, keinem zu dergleichen von allen, denen ich bisher begegnet bin! Un dem Abend aber war ich über nichts verwundert, ich war wie in einem Rausch, ich fühlte mich so leicht, so frei, so ganz iiber mich hinaus-gehoben —auch war eine Stimme in mir, die ggtc »Genieße diese Stunden, koste aus! Sie kehren dir nie wieder, du wirst lange, lange an ihnen zehren müssen!« Er hätte mich noch nach tausend Dingen fragen können —- alles, alles hätte ich ihm beantworten mögen, wichtige und alltägliche Dinge, Per ontiches und Allgemeines! Wenn es nicht zu geringfügig war, von dem reden, was mein Leben bildete, wie Takt es mir da so sein Er wollte wissen, welche Bücher über Archiiologie und Plastik ich lese und ahl mir zwei neue, deren Titel er s·s-Init selbst notirte. Er fragte, ob ich noch andere Kunstsammlungen kenne, außer denen in München, ob ich es derßiinde, gut zu sehen, in ein Kunst M einigermaßen einzudringen — Md dann erzählte er von Rom, mir vDsitzvaalleity mit so gedämpfterStim Ie, ß kein einziger anderer Mensch et hören tonnte...nur ich, nur ich! M mich das stolz machte! Wie ich Mch war! Jch hatte das Gefühl, er nnd ich, wir hätten nun dies eine Museum und das könne uns nie M nehmen! Wenn er von Rom Ast-on seiner Kunst zu sprechen be dient, dann lächelt er — und wenn Bei lächelt, wird er schön! « Ich weiß gar nicht mehr, mit wem ich sonst an dem Abend noch geredet Hase nnd was-ich weiß nicht, was »ich aß oder trank, ob das Essen gut M oder nicht . . . die Stunden gehör ten ihn-, nur ihm, und ich mache mir M Vorwurf deshalb! Wem das »zz»: . » al einen vollen, duftenden Ro - « - uß in den Schooß wirft, der z« » ihn fassen und sich an seinem satt trinken-gleichviel, ob er » nie mehr trinken darf — gleich , ob er daran stirbt! So habe ich aetbant Ellh hat mir beim Abschied ins Ohr gesagt, ich wäre wunderhübsch, nnd solche Augen wie meine, die hätte eben niemand aus der Welt. Jch habe mich darüber gefreut —- ach — ge freut! Und zu Hause hab’ ich mir alle Kerzen angesteckt, mitten in der Nacht, und hab’ in den Spiegel gesehen. Das Gesicht sehr weiß, die Haare sehr dun kel, die Lippen glühend roth und die Augen groß und mit intensivem TUTTI leuchtend —das war ich! ie hatten ihn alle bestürmt, in sein sMkiet kommen zu dürfen, und er Eise lachend abgewehrt, es sei nichts —..hier in München habe er gar nichts was der Mühe des Hinkommens Mth sei-ja in Rom! Das sei et was anderes! Wie sie nicht von ihm cbließen, hat er endlich gesagt: schön, sollten kommen, am künftigen itttoocht Zu mir hat er sich extra enn wendet und gefragt: »Sie sind dox auch dabei?« —Jch bin dabei, nnd wenn alles um mich her in Trüm mer ginge! Der tiinstiFe Mittwoch, das ist itserntorgent ir steht die Zeit still Dis pahinl Ich will nichts von ihm t " haben, nichts erwarten, nichts fordern, nur ihn sehen —sehen —und reden hören! Hat es wirklich lange Jahre gegeben, da ich nichts von ihm wußte? Jhn nicht kannte? Und das habe ich Leben nennen können? — Drei Tage später. Nun ist auch das gewesen, nun gehört auch das der Vergangenheit an! O, Gegenwart, einzig schöne, bleib’! Siehe still! Und du, Zukunft, in deinem dunklen Schleier, was wirst du mir bringen? Es ist nicht Vermessenheit von mir, daß ich so denke, so frage! Jch habe ein Recht dazu! Mutti war gar nicht wohl gestern, und ich fühlte, ich müßte sie doch fra gen: »soll ich bei dir bleiben?« Hütte sie ja gesagt... was dann geworden wäre, das weiß ich nicht! Aber sie ist so gut, so lieb, sie merkte es mir wohl an, was dieser Besuch in eines großen Künstlers Ate lier mir bedeutete... sie sagte nein und streichelte mich und sagte, ich solle mein blaues Kleid anziehen, das stehe mit so gut zu Gesicht. Das that ich denn, und wie ich zu ihr ins immer kam, mich berabschieden, da s nitt sie mit eigener Hand zwei von den wun derschönen weißen Theerosen vom Stock —- Papa hat ihr neulich den Baum geschenkt —- und steckte sie mir in den Gürtel — gute, liebste Mutti! Bei prachtvollem Winter-wettet ta men toir in die Schwanthalerstraße, die Sonne schien hell in das lustige, große Atelier. Es sieht noch ziemlich unwohnlich aus —- »striislich neu und stillos,« wie sein Eigenthümer sagt. Ein paar hübsche Dekorationsstiicke bot et sich angeschafft- Teppiche. Go belins, Krüge, aber es will nicht viel bedeuten, es sieht etwas zusammen gekauft aus, und er nahm es gar nicht übel, als ich ihm auf seine Frage, wie es mir gefiele. ehrlich sagte —im Gegentheil, er lachte und nickte: »Hu ragione!« Wenn er etwas recht aus dem Herzen sagen will, da spricht er italienisch, das habe ich schon bemerkt. » Die anderen waren alle sehr entzückt " von dem Arbeitsraum und konnten sich in Achs und Ohs und in Ausrufen der Bewunderung nicht genug thun. Ich verhielt mich schweigsam und konnte die Zeit kaum erwarten, da die Hüllen von den beiden Gestalten, an denen er arbeitete, fallen sollten; er muß mir diese meine Ungeduld ange merlt haben, denn er meinte einmal halblaut zu mir: »Versprechen Sie sich nicht zu viel! Das eine Werk ist schon ziemlich weit vorgeschritten, aber an dem anderen ist noch nicht viel zu sehen, und ich weiß nicht, ob es Jhnen zusagt!« Jch wollte gern sagen, das könne ihm doch keinen Eindruck machen, ob seine Werte mir zusagten oder nicht, aber ich fand den Muth nicht dazu. Es sah mir so gewollt aus-, so per sönlich, so zudringlich. Jch schwieg also und sah ihn an, aber ich glaube bestimmt, er wußte, was ich dachte. Wie wir noch alle herumstanden, that srch die Thür aus und eine sehr hübsche blonde Frau kam herein, Got tas Schwägerin Kitty; ihr Mann folgte ihr bald, er hat ein angeneh mes, ge cheites Gesicht, sieht aber set nem Bruder gar nicht ähnlich und ver schwindet vollständig neben diesem der Professor sieht hundertmal bedeu tender aus! Mir fiel auf, daß dieser Baumeister Cotta bei meinem Anblick ganz betroffen aussah, ich bemerkte, wie er mich später immer wieder von der Seite fixirte. Unauffällig blickte ich in den Spiegel: war irgend etwas an meiner Toilette, an meiner Frisur nicht in Ordnung? ich konnte nichts entdecken! Die junge Frau war unbe fangen, sie benahm sich sehr entgegen tommend und freundlich gegen mich, während sie zu Elly eigentlich nur höflich war. Für ein paar Minuten ließ sie ihre beiden kleinen Buben ins Atelier kommen —- ach,- zu süße, her zige Kinder! Wie er sie hochhob und mit ihnen scherzte, und wie sie ihn liebtenl Mir wurde so eigenthiimlich zu Sinn, als ich das sah, ich kann fnicht recht schildern, was es war, das z ich empfand! Neid auf diese Kinder, daß sie sich so an ihn schmiegen, ihn herzen und küssen durften — auch Neid auf ihn, daß die kleinen Ge schöpfchen so an ihm hingen! Jch hätte sie selbst haben mögen —ich habe noch nie zuvor so deutlich empfunden, wie iiß, wie entzückend es sein muß, Kin r zu haben! Als ich mich später über sie beugte und sie fragte, ob sie mir ein Händchen geben möchten, da sckelug der älteste tapfer ein, der Kleine a r sah zu mir empor mit seinen klaren, sonnigen Kinderaugen und plötzlich lächelte er, streckte die Anm chen in die Höhe und ließ sich von mir aufnehmen und küssen. Jch hielt ihn fest, fest an mich gedrückt — ich hätte Iihn gar nicht mehr von mir lafsen mö n, und jetzt noch fühle ich fein sam tweiches Gesichtchen an meiner ;Wange! )« Die Kinder gingen dann bald mit I ges-e Wärtetin fort, und wir mußten hzanti und Falerner trinken aus fehr schonen, alterthümlichen Gläsern, die T aus Rom kamen. Die Unterhaltung war sehr lebhaft, ich hätte am liebsten tein Wort gesprochen und nur still und glücklich in mich hineingesonnem aber das Ehepaar Cotta legte förmlich Be schlag aus mich, nnd ehe ich mich des-. sen versah, hatte ich versprechen mits sen, sie bald einmal zu besuchen — auch erfolgte eine vorläufige Einla dung fiir Elly und mich zu einem be vorstehenden Tanzfest bei Cottas; sie sagten, sie wären glücklich, zweijunge Damen wie uns dabei zu haben· Maxi, den sie schon konnten, wurde natürlich auch gebeten, er engagirte mich gleich »aus alle Fälle« zum Me nuettwalzer und zur Francaise, und Professor Cotta meinte, wenn ich eine so begehrte Dame sei, so müsse er sich das Recht sichern, beim Souper mein Nachbar zu sein! Ich konnte nicht viel sagen, das Herz schlug mir bis zum Halse hinaus. Endlich und endlich wickelten die Gebriider Cotta vorsichtig die Hüllen von den beiden Statuen. Die erste, fast fertige, nennt sich »Der Hirt« und stellt einen jungen, fast nackten Knaben dar, der, halb stehend, halb sisend, an einem Felsblock lehnt und auf einer Flöte blast. Aber wie das gemacht ist! Wie man diesen einfachen Vorgang mitempsindet —- wie man meint, mit ten in der warmen, sonnengoldenen, südlichen Landschast zu sitzen und die weiche Luft zu fühlen, die des Knaben Locken fächelt, die Sonne, die ihm die nackt-en, seinen Glieder küßt — und die Ruhe, die friedliche Stille rings um, die so seelenlösend wirttl Man hört, was er spielt, der «unge Hirt eine ganz schlichte kleine elodie ist es, wie heraus-gehört aus der Natur, die den Spielenden umgibt —- er denkt nichts anderes, will nichts anderes als seine Musik, er ist ganz glücklich, ganz wunschlos, wie er dasitzt und bläst. Die Züge sind nicht gerade von regel mäßiger Schönheit — aber so weich gerundet, so kindlich zart —- auch der Körper noch so schmächtig —- man meint zu wissen, wie es bisher dahin gelebt hat. dies Kind der Berge unberiihrt vom Hauch der Welt . . . in großer, wonneboller Einsamkeit! Alles Anatomische natiirlich pracht voll beobachtet, kein Zuviel, das Ganze harmonisch, ohne jede Uebertreihung —- mit einem Wort: ein großes Kunst werk — fiir mich in seiner Einfach heit so ergreifend, daß ich in meinen Augen Thränen aufsteigen fühlte! Jch glaube, die anderen waren mehr oder weniger etwas in Berlegenheit,, der Figur gegenüber. Sie hatten wohl etwas anderes erwartet, mehr fürs Auge, fiir die Phantasie übrig lassend, etwas, das mehr Effekt hervorbrachte. Und ich gerade — ich war so glücklich, daß er das gewollt und es so gelonnt hatte, so schlicht und groß empfunden, der Volks- und Kindesfeele abge lauscht! ’ Geredei wurde natürlich sehr Viel -—-die Menschen denken doch immer, daß Stillschweigen unhöflich ist und daß sie doch etwas sagen müssen. wenn es denn auch etwas Dummes iftl Mit Gewalt wollen sie geistreich sein und den Kunsttenner spielen — und das geht eben nicht, geht beides nicht! Begabung, natürliche Begabung gehört dazu, und zur Kunfttenner fchaft doch auch schließlich Studium —- man muß fein Auge geübt, seine Beobachtung gefchiirft haben! Frau Rode fragte unter anderem, was der junge Hirt wohl denke und empfinde —- sein Schöpfer habe doch sicherlich viel in ihn hineingelegt! Cota lachte dazu und sagte: »Der Ragazzo und ich, wir denken uns beide gar nixt Er sißt da und läßt’s sich wohl sein und flötet sich was vor . . . . keep-« Beim Anblick der zweiten Figur, die noch in GipS ist —- alS Tonmodell existirt sie auch — da lösten sich die Zungen ganz anders, die Zuschauer geriethen in Etstase... und etwas Packendes, Sensationelles geht freilich auch von dein Machivert aus. »Rellame!« —- Ein junges Weib in losem, leichtern, saltigeni Gewande, das in herrlich freiem Wurf Brust und Hüften und Kniee umwallt; sie schrei tet kräftig aus, rasch« rasch will sie weiter, inan sieht es! Jn der rechten, schwungvoll erhabenen Hand hält sie eine Trompete, die sie im nächsten Augenblick an die Lippen setzen wird; die Linie ist in der Hüftengegend ge ballt und halt in der Faust ein ganzes Bündel von Plataten, Broschüren, lofen Zetteln. Gleich werden die hal tenden Finger sich lösen und all die beduckten und beschriebenen Blätter in alle vier Winde, in die ganze Welt streuen. Der Körper ist prachtvoll modellirt, die ausschreitende Bewegung von großartiger Plastik, das Gesicht schön, aber nicht sympathisch: ein üp piger, sinnlicher Mund, triumphirende, hartblickende Augen, leichtgeblähte Nitstern, das ganze Antlitz nichts wie ein Frohlocken, ein Prahiem da, seht mich ——. sehtt Gebt acht aus meinen Triumphzugt Jch torninel Ich bin eine Großmacht in der Welt —- es ist niYQ nichts ohne mich zu erreichen! as ist so au enfiillig, redet so deutlich zum Be chauer, daß er ei fassen mußt Und so ab es denn einen wahren Tumult uni ie Figur herum; alles ries, deutete, lachte, muthmaßte durcheinander, und mitten in all dein Lärm wandte sich der Professor — netn, ich kann ihn hier nicht bei sei nem akademischen Titel nennen, ich kann es nicht —- also wandte er sich plötzlich an mich und bat um meine, ja, um ineine persönliche Ansicht über beide Werke! Und ich, froh bestürzt wie ich war, ich hatte wieder dies Gefähl des in t;iisgehobenteins, wie neulich im Abendeisen izi den »Vier Jahreszei ten«; außerdxin —- wenn er etwas wünscht, dann hat es einfach zu ge schehen, ich habe keinen eigenenWillen ihm gegenüber! Also sprach ich alles aus« was ich dachte, und die Worte und Wendungen strivmten mir wie von selbst zu, ich durfte nicht nach ihnen suchen. Sein Blick ließ nicht eine Mi nute ab von mir, während ich redete —- und wenn ich mir jetzt, in der Ein samkeit meines Zimmers diesen Blick vergegenwiirtige . . . was lag dain? Seltsam! Nicht gerade Wohlgefallen oder — oder —- nun, sprich es nur aus —- oder Liebe oder... Bewunde rung . .. woher sollte die ihm siir mich auch kommen. sondern — sondern eine Art von schmerzlich-er Zärtlichkeit —- von Mitleid, wie man es vielleicht mit einem Kinde haben könnte . .. ach, ich suche-— ich taste —-ich weiß nicht! Zu dein, was ich sagte, hat er ein paarrnal genickt; einmal sprach er halblaut vor sich hin. »Bravo, Signo rina!« und als ich ausathmete und fertig war, meinte er: »Sie haben eine feine Beobachtung und müssen schon sehr ernsthafte Studien gemacht L habenl« Ach ja, die habe ich gemacht —- aber daß er das gleich herausfand und an erkannte. .welch ein Glück fiir mich! Die fremden Leute kamen dazwi schen und Rahmen ihn mir für lange Zeit fort Jch weiß nicht« sie er schienen mir alle fremd eftern, auch die, die ich so lange und so gut kenne: Elly und Onkel Meding und Maxi! Jch hätte sie alle zusammen —- ja, auch feinen Bruder und feine Schwä getin, so liebenswürdig s e auch gegen mich waren — alle zusammen hätte ich sie bei den Schultern nehmen und sacht zum Atelier hinaus-schieben mö gen, daß bloß er und ich übrig blieben —und wieder, wenn ich es mir aus male, ich könnte mit ihm allein fein, dann schwindelt es mir, wie wenn ich’ vor einem Abgrund stünde! Ohne daß es die vielen Menschen —es waren ja über zwanzig im gan zen, denn Rodes hatten natürlich ihres »besten Freunde« mitgebracht — be merkten, sonderte ich mich ab und ging zu dem Jungen Hirten« zurück; dies anderen standen alle dichtgeschaart um die ,,"Rellame herum Wie ihm gut und still und stim mungsvoll zu Muth gewesen sein muß, als er diese Jdee faßte und sie so ver törpertet Wie alles das, was die Men schen von ihm sagen, und was ja auch wahr sein wird: seine ungezügelten Leidenschaften, sein Spott, sein Lunis mus —- wie das alles von ihm abge fallen sein muß, gleich wesenlosem Plunder, als er dies Wert schuf — so rein, so teusch, so —so——ich finde kein anderes Wort: so einfältig schön! Ja, ja, bewundert nur die »Rellame«! Sie ist ja eine brillante Leistung, sie wird berechtigtes Aufsehen erregen und dem Meister neues Gold und neue Lorbeeren bringen . . . aber das wahre und.echte Kunstwert — das ist dies hier. Was ich jetzt noch schreiben will. das geschah so schnell, kam so verblüfsend, überraschend, daß ich heute bisher wie eine Träumende ini Hause umherge gangen bin, mich innerlich immer wie der fragend: kann es denn sein? Hast du, Hanna Piotrowsky, das wirklich erleth , Jch merkte, wie jemand leise hinter Mich trat, und trotzdem ich mich nicht umwendete, wußte ich sofort, wer es war. Jch kam nicht dazu, irgend et was zu bemerken, denn seine Stimme sagte dicht an meinem Ohr: »Ich habe meinen Bruder gebeten, die verehrliche Gesellschaft da drüben fiir ein paar Minuten zu beschäftigen, er wird das schon fertig bringen —kann ihnen ja den sandalenbekleideten linken Fuß der »Resame'« oder ihre flatternden Stirnlocken zum Studium empfehlen« —er lacht-e spöttisch —- »und derwei ien bin ich hier zu Ihnen herüberge kommen! Jch M Ihnen nämlich et was zeigen!« »Sie? Miti« Thöricht genug von mir, zu fragen —aber ich hätte keine weitere Silbe s herausbekommem »Ja — ich Jhnent Und zwar Jhnen ganz allein! Sehen Sie einmal her! Rasch! Wir müssen uns beeilen!« inter dem Gestell, auf dem der »in ge Hirt« stand, befand sich ein Vorhan , ein schwerer Gobelinteppich. Den schob er beiseite, und es wurde ein breites Wandbrett sichtbar, auf dem verschiedene kleine Figuren und Büsien aufgestellt waren —- manche von ihnen ganz fertig, andere kaum im Umriß zu erkennen —- zwei oder drei mit Tüchern zugedeikt Von einer dieser letzteren nahm er schnell die Hülle uherunter und hielt mir eine kleine onbuste hin: »Wer ist basi« Ja... wer war est Jch blieb sprachlos s-ich sah auf die Wüste-— auf ihn —- wieder aus die Büste — tvas sollte —- was konnte ich sagen's »Amt« fragte er von neuem. »Gut gelungeni« Wieder war der gerührte: halb mit leidige Blick in seinen Augen, den ich mir nicht zu deuten wußte. »Seht geut —ja!« immnielte ich; dann raff ich mich zu ammen, gab mir innetli einen Ru . Wenn dieser Mannaus m Gedächtniß eine Bii e van nnr machte-was that, was wies dass Eine hohe Ehre war es für«mich, sicher, denn er ist ein großer, berühmter Künstler! Aber ob ei sonst etwas bedeutete? Irgend etwas in meinem Gesicht mochte ihm auffallend gewesen sein — ei hatte ihn gereizt, .-....-.—-»-«-,.· — M- — es nachzubilden —- zufsllig war es nicht Elly, ni t ihre Mutter oder Nichte gewesen« andern gerade ich . . . etwas Persönliches brauchte darum keineswegs hineinzuxpielem —- Ich weiß, daß ich nicht chön bin-daß ich aber doch manchen gefalle, das weiß ich auch. Meine ähne, mein Haar und meine Hände md wohl hübsch-— fElly lobt immer die Augen so, aber wenn ich in den Spiegel sehe, sagen sie mir nichts Besonderes —- es muß dcr wechselnde Ausdruck thun! Und Maxi hat schon des öfteren ausgeru ) sen: »Was für ein gutgeschnittenes Prosil Sie haben!« Nun —- dies Prosil oder die Augen oder das Haar —"etwas von dem I Ganzen lann auch ihm gefallen haben, ,es hat ihm Freude gemacht, das mit sseinen zaucerhaft geschickten Händen zu formen, sich vielleicht an meiner Ueberraschung zu weiden —- aber daß s er es mir ganz allein zeigen wollte und diesen Ausdruck im Gesicht trug . . . Jedenfalls wollte ich nicht zeigen. wie sehr diese Thatsache mich überwal f tigte, ich sagte also, man hätte über , sich selbst und das eigene Gesicht kein , Urtheil, das hätte ich erst neulich ge Tmerlt, als alle Welt meine neueste Photographie vortrefflich fand, und ich ; konnte mich nicht damit befreunden ; und hielt sie für unähnlich —aber bei Heinem Künstler wie er, dessen spre »chende Modelliihnlichkeiten allbekannt wären, da sei ja etwas derartiges ausgeschlossen —- lurz, ich redete allerlei und starrte dabei immer ort auf die lleine Büste, hörte mein rz laut und stürmisch klopfen und fragte mich innerlich: was findet er denn an dir? Was lann er an dir finden? Und ist es möglich, daß . .. daß . . . Er ließ inzwischen seine Augen un ausgeseszt von mir zu der Büste und wieder zurück wandern — wollte er prüfen, ob ihm sein Machwerl gelun-» gen sei? Das ist doch bei einem sol chen Genie ausgeschlossen! CFortsetzung solgt.) Sechzig Jahre. Von der frühesten Jugend an habe ich mir immer gewünscht, sechzig Jahre alt zu sein, weil ich immer gedacht habe, das müsse das Alter des Frie dens und der Ruhe sein. Und nun bin ich noch nicht sechzig Jahre alt «und finde es noch viel schöner, als ich es immer gedacht. Jch will Euch erzählen, wie es ist, damit ihr Kinder Euch darauf freut, und wißt, : wenn man ein langes und schweres : Leben zurückgelegt hat, dann kommt eine Ruhe, die schon Vorgeschmack von der Himmelsruhe ist. Das ist so, als wenn man in lauter Licht e:ntriite, als singe man eine neue Kindheit und ein neues Leben an, als ließe man alles weit hinter sich zurück, was einem das Leben dunkel gemacht hat; denn man weiß ja, man wandert dem Lichte entgegen. Das ist ein Aus hören von allem Groll und ein Ver zeihen allen, die einem einmal wehe gethan haben, denn man denkt, sie haben wohl nicht gewußt, wie weh sie gethan, sonst hätten sie es gar nicht thun können. Manwandelt an denDin gen vorbei, die einen sonst so sehr gelockt haben, und die man so gern besessen hätte, und begehrt sie nicht mehr, denn man hat gesehen, wie sehr vergänglich alles ist, und wieviel man entbehren kann. Das lernt man alles aus dem Wege, den man das Leben nennt, und man lernt es nicht immer gern und nicht immer leicht; die große Schule vom lieben Gott ist eine ernste Schule und seine Strasarbeiten sind viel schwerer und bitterer, als die man in der Kinderschule macht! Die Strasarbeiten vom lieben Gott sind ost ahre lang und nehmen alle unsere Kra t und all unseren Willen in An sprach, und lassen uns nicht mehr los und zu gar keinem Fest und zu gar keiner Freude kommen, denn wir müssen manchmal auch die Strasarbei ten der anderen mit auf uns nehmen, wenn die schwach sind oder sie nicht haben ordentlich machen wollen. Und wenn man dann sechzig Jahre alt wird, so hat man das Gefühl, daß man nicht mehr so viel zu lernen hat auf der Erde, und nicht mehr so viele Strafarbeiten zu machen hat« sondern daß man auch einmal ins Licht schauen und nach den hohen Gedanken fragen darf, aus denen wir gekommen sind und in die wir uriicktehren. Sechzig Jahre ist wie e e Krone aus lauter Licht und Duft, die einem der liebe Gott aufs weiße aar ganz leise legt, und dann freuen ich die andern mit, daß man so friedlich ist, und daß man von seinem Frieden ihnen noch schenken kann, und dann ist es ihnen wie eine Verheißung, wenn sie sich abgemüht haben in denschweren Tret muhlen, in denen sie das Goldkorn der Pflicht geniahlen haben ihr Leben lang. Dann kommt das richtige FeiertagsgefiihL Es liegt ja gar nicht am Nichtsthun, das Feiertags gefiihl, sondern an dem Thun, das uns leichter wird, und dei dein wir nicht mehr unsere letzten Kräfte ver brauchen müssen, sondern bei dem wir ein wenig stillstehen oder sitzen und uns erinnern können und weiter hin auöfchauem Jch denkegar nicht, in Nichtsthun fu verfallen nach 60 Jahren, sondern m Gegentheil viel bessere und reifere Arbeit u leisten, als vorher, wenn mir der kie e« Gott dazu noch Zeit und Kraft laßt. Denn ich habe leine Wünsche mehr, und keinen Groll und nichts, das die Kräfte und die Flügel lahmt sondern nur noch den Aufblick in die ·Hohe, nach dein großen, endli chen Ziel! Ei giebt nichts mehr, das J einen auf der Erde zurückhalt, wenn man lein Kind hat, das der Sorge bedarf, man hat das Gefühl, eines schönen Lebens Sonnenuntergang recht feierlich machen zu wollen, und eines schönen Lebens Feierabend allen zur Freude zu machen, die den schweren Weg mit einem gewandelt sind und sich abgemiiht haben an unserer Seite und oft uns geholfen mit Wort und That und Zuruf und Blick und sogar mit dem Vertrauen, das sie uns ge zeigt hoben. Nun wollen wir ihnen mit uns den Feierabend schön machen und ihnen den Frieden bereiten, den sie mit so viel Aufopferung verdient haben, und ihnen den Mitgenuß des Altwerdens verschaffen. Wißt Ihr, lieben Kinder, das Altwerden ist nur »darum fiir Euch etwas Fremdes und Ietwas Ehrwiirdiges, weil Jhr noch snicht verstehen könnt, daß man sich sgar nichts mehr wünscht und über gar lnichts mehr in großer Verzweiflung »ist, sondern sagt, der liebe Gott hat :schon manche Noth gewendet, wir ha ben es oft gesehen, daß er herausge holfen hat, wenn wir gemeint haben, es ist alles vorbei, so daß wir Iie mehr kleingläubig und ängstlich sein lonnen, sondern in den Hafen oder in die stille Kammer eintreten, in der die Wände licht sein müssen, da unsere Augen mehr Licht bedürfen und das Lampchen auf unserem Tische hell, weil wir nicht mehr so gut am Abend sehen als früher; das thut aber gar nichts, wir wissen, daß unsere Sinne und unsere Glieder verbraucht werden müssen, ja sogar das Herz muß ver braucht werden und oft auch das Ge hirn; das ist aber ganz recht so, und darum, liebenKinder, dentt daran. den alten Leuten ein helles Stäbchen und ein helles Lämpchen zu verschaffen und ihren kleinen Bissen Brod, da sie nicht mehr viel brauchen; aber das brauchen sie, um ganz still und friedlich werden zu können. Ein helles Stäbchen muß man nun allerdings zuerst im eiaenen Herzen haben: denn wenn es darin dunkel aussieht, so hilft die weiheste Wand nichts und die größte Beleuch tung nichts und das beste Essen nichts man wird ein arämliches und unru sriedenes Alter haben. Aber wenn das Herzensstiibchen ganz rein acfeat ist und gar kein Stäubchen darin von der langen Wanderung und aar kein Hauch von Groll oder von Nichtverzeihen, dann wirs es so wunderbar still. als wäre immer Sonntaa und als läuteten in einem fort die Festgloclen zu irgend einer Feier, die man nicht melir tan zend und singend mitmachen kann. weil man leine junae Kehle und keine inn gen Beine mehr hat, aber deren Klang einen gerade so und noch mehr erfreut, als in der Jugend, wo man ein heißes Herz und unersiillie oder unertiillbare Wünsche in den Jubel hineinträat, der dann lein rechter Jubel mehr ist Das Summen einer Biene oder einer Kum mel ist wie ein Festaelänte im stillen Stäbchen; das Licht, das durch den kleinen, weißen Vorhang fällt. ist so friedlich gedämpft und doch so bell, die Uhr tickt so anaenehm, die Blume im Glase oder im Blumenkon dustet so. und dann hat die Erde uns das aeaes ben, was sie Schönes geben kann. näm lich Frieden. SechzigJahre ist die Grenze, wo das wirkliche Alter anfängt, wo man sich erstaunt von den Junan und all die neuen Erfindunan und Entdeckunaen erzählen läßt und ihnen die Freude macht, daß sie fühlen, als wären sie so sehr viel aescheidter als wir. Seclma Jahre ist die Grenze, wo man nicht« mehr so eifrig liest und studirt. sondern denkt, der liebe Gott hat einein das Wissen geschenkt, das man aebraucht hat, nun sollen die andern mehr wissen und weiter kommen als wir. Wir bät ten ja in einer anderen Zeit aelebt. wenn es uns bestimmt aewesen wäre. zu wissen, was erst die kommenden Ge schlechter wissen sollen. Wir lernen uns bescheiden und nicht mebr aieria die Hand nach neuem Wissen strecken. denn wir lännen es nicht mebr mit unserem müden Gehirn erreichen. Das Ehrtviirdige der weißen Haare besteht eben in dem Sichbescheiden und nicht die Grenze überschreiten wollen« die uns Gott aesteckt hat, sondern rubia die Flügel falten. bis der Ruf ertönt. der uns erlaubt, sie zum letzten Fluae in ihrer ganzenSchwungtraft noch ein mal auszubreiten, als wären sie nie verwundet gewesen und labm und matt und als hätten sie uns immer nur in die Höhe getragen. Die schönen, schönen sechzig Jahre! Ich weiß, sie werden halten. was sie mir versprochen haben. denn das Leben hält immer, was es verspricht. wenn wir es nur recht beiraat haben und nicht. begehrt, was nicht unser Erbtbeil« War. . Gott segnet die sechzig Jahre und legt seine Hand aufs müde Herr und läßt es stiller werden, auch von Anasi macht er es frei, und die Sorgen läßt er geringer werden, da er uns die arosie Verantwortuna von den Schultern nimmt und sagt, dasi wir des Taaes Last und Sitze hinter uns haben und Feierabend machen dürkem Die lie ben, sechzig Jahr-! Carmen Svlva. W In Pittöburf befürchtet man an geblich eine Koh ennoth, so unglaublich es klingt. Einen Vortheil hätten dann die Pittsburger aber doch: sie würden wenigstens einmal sehen, wie ihre von Natur so schön gelegene Stadt eigent lich wirklich aussieht. , e- ss- - « Und wenn die Seele noch o tver Aus ihren Wunden blutetf: sch Ost kommt der Trost aus Winsel Wo man ihn nicht vermuthet. ihm s