Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, January 13, 1905, Sweiter Theil., Image 10

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    Frach»
Roman von Hans-s von Zoöektitz.
(14. Fortsetzung) H
Und heute früh, als der Lärm ne- :
benan’begann, wie verstört sah er aus, i
wie todtunglücklich — er, der so recht ;
« IT en war, immer wie ein Sieger ;
i "« Welt zu gehen, hochaufgerich- »
ret, mit, strahlende-n Blick l
Was atte heute der alte Krause der
Hauöhii erin gesagt? Vor ihr hütete
M Dienerschas die Zungen ja nicht.
Die Achseln hatte er gezuckt: »Ja, ja
. Luizchen! Leid kann er einem ja
thun . . . . der junge Herr. So freunty
lich, wie er immer ist. Böse kann man
ihm auch nicht recht sein, und wenn
man selber die paar Sparkröten ver
liert. Aber Schuld hat er alleine —
nie ganze Schuld!«
Schutt-!
Das war ein Wort, das sie einst
auch über den armen Vater oft genug
ehört, das so ost, so weh ins Kinder
« U geschnitten hatte.
Ihr wuchs aus dem Wort nur ein
großes, herzinniges Mitleid heraus —
Was nannten wohl harte Menschen
richt alles Schuld!
Maria trocknete sich die Thränen,
"rich sich den Scheitel glatt und ging
.n Loras Zimmer; in ihrer getäusch
iosen Art —- friiher schalt Fräulein
Schatten bisweilen: ,,Kind, du er
schrickst einen ja immer!« —, so daß
Lora ihr Eintreten nicht gleich be
merkte.
Sie saß mit Hardi zusammen und
redete sanft auf sie ein. Nun wohl
schon eine Stunde lang, wie man zu
einem tranken Kinde spricht. Mit in
niger Theilnahem, ruhig und scheinbar
zuversichtlch. Jmmer wieder die eigene
Sorge zurückdämmend, die Sorge um
ihren Mann. Denn sie allein wußte,
was der in diesen Tagen gelitten und
durchgetiimpft hatte —- wußte, es
gibt nicht nur aus Schlachtfeldern
Helden!
Jetzt blickte sie doch auf und sah
Maria geduldig ander Thür warten.
Wieder mit dem demüthig-lieben Kin
dergesicht, das immer zu sagen schien:
»Ach, sei nicht böse, daß ich da bin «-—«
»Willst du etwas von mir, Maria?«
fragte sie und nickte ihr zu. Aber sie
sah auch sogleich, daß die Kleine wie
der im harten Kampf mit ihrer Scheu
lag, stand auf und trat zu ihr.
»Ja, liebe Lora . . . . ich wollte . .i. .
ich möchte dich fragen . . . . um Erlaub
niß bitten » . . ob ich nicht Willh et
was Frühstück hinunter-bringen dars...«
Ganz mühsam nur hatte sie es her
ausgebracht Aber nun faßte sie im
pulsiv Loras Hand: ,,Krause kam eben 1
wieder herauf. Willh nimmt gar nichts ;
und da meinte ich, liebe, gute i
Lota. . . .« !
«Du wirst stören, Maria« s
»Nein, ganz gewiß nicht, liebe Lora i
. . . . ganz gewiß nicht!'« ?
Etwas so Rührendes, Kindliches s
lag in ihrer Bitte, und die feuchten!
Wiegen blickten so flehend, daß Lora
visit ·nein'« sagen konnte. Aber sie
wunderte sich doch, daß die Kleine ihre
rohe Schiiehternheit bis zu dem Ent
liiß überwunden hatte. Sinnend
ah« sie Maria an, streichelte ihr die
beifieu Wangen. in die schon wieder
das Blut emportvallte: »Geh nur . . . .
und . . . . grüße Win von mir.«
Es dauerte unten eine Weile, bis
das «herein« erklang.
Als dann Maria mit ihrem Tablett
chen eintrat, sah sie Willy, die Stirn
in beiden Händen, am Schreibtisch
sihew Er blickte auch gar nicht aus —
sast als habe er sein »Herein« schon
vergessen.
Sie ordnete ein paar Sachen auf
dem Mitteltisch, und ihre Hände zitter
ten so, daß plötzlich ein Glas klirrte.
Da schral sie zusammen und blieb re
gungslos stehen.
»Was soll’S denn?« Er wandte sich
halb um. Aber er beachteie gar nicht,
daß sie es war. »Nimm den Kram
nur wieder fort —«
Wieder stand sie ein paar Sekunden
anz still. Sie mußte sich erst Muth
assen, ihn anzusprechem -
Dann trat sie doch einen Schritt
näher, bat mit ihrem süßen Stimm
chen: »Ach, Willy .. . . einen recht schö
nen Gruß von Loka, und du möchtest ;
doch etwas nehmen bitte T
bitte . . . .«
Als Loras Name fiel, wars er plötz
lich den Kopf hoch. I
»Sie schickt dich?'« « r
»Ja . . . . und . . . . das heißt, Willy
ich möchte dich auch recht, recht sehr bit
ten . . . . nur ein kleines Brötchen . . . . «
Fh mal . . . ." .
Gott, das war ein Kind! Ein alber
ms Kind! Wozu sie die wohl herunter
Ichietten . . . . zu ihm! Heute! ’
Aber er blickte doch aus, und wie er
ihr ist Gesicht sah· übertam ihn et
Miste Währung. Sie hatte die klei
set Hände vor der Brust zusammen
" — , hielt den Raps ein wenig ge
M schaute ihn mit den großen
» , so Seltsam an — ganz meet
» H zittre-Mich nnd Fingsilich nnd
» M strich eigener tiefer Empfin
« . M Mk
Dank schön, Maria,« sagte er
freundlich. »Ich kann aber wirklich
nichts essen."
»Nun wird sie gehen,« dachte er.
Doch sie blieb stehen und bat wieder:
»Nu: ein wenig, Willh . . . . und ein
Glas Wein . . . .«
Er schritt ein Paarmal durchs Zim
mer. Dabei blickte er zufällig in den
großen Spiegel des Garderobenschran
kes. Die alte Korrektheit erwachte in
ihm; er schob die Krawatte zurecht.
»Ich seh’ wohl ganz unordentlich aus,
Maria.
»Nur elend... abgespannt, Willy.
Aber, bitte, nimm doch ein Brötchen.«
Sie hatte plötzlich den Teller vom
Tisch genommen und hielt ihn hin.
Und halb um sie los zu werden« halb
um ihr einen Gefallen zu thun, nahm
er eine halbe SemmeL Schnell hatte
sie auch ein Glas Portwein einge
schentt und ihm gereicht.
»Gutes Kind! Dank’ schön!« Er aß
wirklich und trank ein Glas Wein und
noch eins, wunderte sich, daß er die
Bissen herunterwiirgen konnte, und
griff dann ch zu dem zweiten halben
Brot. Da l chelte sie ein wenig. Es
war nur wie ein kleines Aufleuchlen,
aber er bemerkte es doch: sie freute sich.
Nun war er fertig. Sie räumte die
Sachen- geräuschlos zusammen. Er
stand dicht neben ihr —
,,Das war recht von dir, daß du
selbst heruntertamst, Heimchen.«
So hatte er sie noch nie genannt.
Das Blut schoß ihr ins Gesicht. Aber
sie nahm sich tapfer zusammen: »Kann
ich dir nicht noch irgend etwas besor
gen, Willy . . .'«
»Nein, nein! Nur einen schönen
Dank an Lora.« Dabei nahm er ihre
Hand, hielt sie einen Augenblick und
fügte schon wieder unter anderm Ein
druck hinzu: »Das sind schwere Tage,
Heimchen .. .«
Sie nickte ein paarinal schnell hin
tereinander. Es war so ihre Art, wenn
sie innerlich sehr erregt war und nicht
gleich ein richtiges Wort finden konnte·
Dann sagte sie: »Ja schwere
Tage. Aber als ich so sehr unaliicklich
war, am allerungliicklichsten, da sandte
der gute Gott mir Onkel Ebrrhard.
Siehst du, Willi . . . und ich denke, sür
dich werden auch wieder gute, srohe
Tage kommen . . . . recht bald . . . und
darum will ich den lieben Gott bit
ten . . . .··
Ohne ihn anzusehen, sprach sie es.
Ganz leise, als sei es ein Wagniß.
Und gleich huschte sie schnell hinaus.
Einen Augenblick stand er noch sin
nend. Jn seiner Seele zitterte etwas
nach, dessen er sich nicht recht bewußt
,werden konnte. Eine stille Rührung
— das Empfindem ob wohl die Für
bitte solch’ unschuldigen Kindes sieg
haste Kraft hat? — Dann setzte er sich
an seinen Schreibtisch. Aber er starrte
nicht mehr wie ein Verzweifelter auf
dessen griine Fläche. Er griss zum Te
lephon und bat den Prokuristen zu sich.
Und als der eintrat, sagte er: «Lieber
Her Tiger, wenn Sie Zeit haben —
ich » lgern auch mit Ihnen einmal
die Bethiitnisse bei der Prometheu3
gesesschasi durchsprechen ....'«
Fünfzehntes Kapitel.
Am Freitag. Abend war Konrad
Salefter nicht gekommen. Nur eine
Karte sandte er durch seinen Burschen
mit der augenscheinlich in höchster Auf
regung geschriebenen Zeile: »Warte
nicht aus mich. Jch muß zu meiner un
glücklichen Mutter.«
Bernhardine war zuerst fassungs
los, wie betäubt gewesen, unzugänglich
jedem Zuspruch.
Nun, am Morgen, als sie ins Früh
stückszimmer trat, erschien sie Lora
völlig verwandelt. Sie saß blaß, über
nächtig aus, die Augen waren schwer
geröthet, aber sie ging ausgespien-Haup
tes, sprach ruhig. Und in ihrerns Ton
war eine weiche, anschmiegende Herz
lichleit, die Lora wohlthuend an frü
here ferne Tage erinnerte.
Nur wenige Minuten saßen sie zu
sammen. Dann stand Hardi auf, legte
ihren Arm um Loras Nacken und sag
te: »Ich will jetzt zu meiner Schwie
germutter.«
»Das ist recht! Das freut mich,
Hardii Jch begleite dich ——·«
Es kam Lora aus dem herzem Sie
glaubte damit nicht nur eine Pflicht
gegen Bernhardine zu erfüllen; sie
hatte fiir Frau Salester immer Sym
pathie empfunden und wollte ihr das
gerade jetzt gern zeigen.
Sie fuhren mit der elektrischenBahn
hinaus nach dem urfiirftendamm.
An der Uhlandftraße stiegen sie aus.
Als sie so nebeneinander die letzte
Strecke gingen, fühlten sie sich wieder,
ohne es auszusprechen, ganz als die
Freundinnen von ehedem. -
Das Gartenthor der Baldinschen
Van stand offen. Lora blickte hinein
und da unwillkürlich daran: hier
hast du illy nach Jahren zum ersten
Viele wieder gesehen . . . . hätte er dies
»He-us dochnie betreten . . ..
z Eisen blick blieb sie stehen.
Wind da sah die kleine Verta- Das l
Kind tanerte aus der Rasenfliiche hin
ter den Fliederbüschen, hatte ein paar
Puppen neben sich. einen Karten —,
aber es spielte nicht, sondern starrte
mit gesenktem Köpfchen vor sich hin.
Das goldblonde Haar hing wirr um
das Gesicht. ·
tat«
Die Kleine schlug, wie erschreckt, die
Augen aus.
»Herta s-— liebe Herial«
- Lora hatte ein paar Schritte in den
Garten gethan. Und nun sprang das
Kind auf, lief auf sie zu, umtlammerte
mit beiden Armen ihre Kniee, drückte
den Kopf gegen ihr Kleid — alles
ohne einen Laut. Aber die zierliche
Gestalt bebte wie ein Espenblatt.
Sanft strich Lora über die Locken.
Jn ihrem herzen war ein leiser Bor
wurf: »trots allem, was auf dir lag
in diesen Bgem du hättest an dies
arme Kind denlen müssen.«
Sie beugte sich über die Kleine:
»Sieh mich an, Verta!«
Das Kind hob das Köpfchen. Aber
nur aus einen Moment, dann barg es
das Gesicht gleich wieder zwischen den
Kleiderfalten, und die dünnen Werm
chen llammerten sich noch fester.
»Ein paar Minuten nur« Hardi. Jch
habe auch hier eine Pflicht zu erfül
en."
Lora löste sich sanft, ging mit der
Kleinen einige Schritte seitwärts zur
nächsten Bank. »Komm, Herta ——- setz’
dich. Und nun sei lieb und verständig,
wie du immer gewesen bist. Ich bin
ja bei dir ....«
Herta nickte. Und dann griff sie
wieder mit beiden Händen nach Lotas
Arm.
»Wo ist denn Mademoiselle?«
»Fort —- fort —«
»Und die Dienstboten? Wer hat
denn für dich gesorgt?«
Unter Thränen r sich die Ant
wort los-: »Alle sinth —- gestern.
Fremde Männer-, T Lora, haben
alles durchsucht und verschlossen. Nur
die alte Köchin ist noch da. Weil sie
ihren Lohn noch nicht hat. sagt sie.
Und . . . und . . . Mama taugte
nichts . . . und der Papa sei ein Be- »
träger-» .sagtsie. . .undich. . .
mich würden die Schutzmänner holen
Fnd in ein Loch stecken . . . sagt
ie. . .«
Schluchzen erstickte alles andere.
Bis die Kleine dann wieder die Arme
fest um Lora schlang: ,»Tante Lora . .
nimm mich doch mit . . . ich fürchte
mich.
Es war ein so großes-, inniges
Mitleid in der jungen Frau Anders
noch als früher —- sie fühlte das selbst
an der Wärme des Empfindens
etwas von mütterlicher Sorge mochz
darin liegen. Ein unwiderstehlicher
Drang: »Du darfst dies liebe Ge
schöpfchen nicht verlassen . sie ist
dir wie von Gott überantwortet.
Und während sie zärtlich auf das
Kind einsprach, sann sie, was zu thun
sei Jn aller Ergriffenheit mit all
ihrer ruhigen Ueberlegung -——
Und dann sagte fie: »Wirst du
hier wohl ein Viertelstündchen sitzen
bleiben, Herin? Jch habe nur einen
Ganxin der Nachbarschaft, ich komme
gleich wieder zu dir; hier hast du
meine Hand daraqu Nun glaubst
du’s doch, nicht wahr?«
«Du kommst auch ganz, ganz gewiß
wieder, Tante Lokal«
Wie herzbewegend ängstlich das
klang! Und diese bittenden, thtänen
schweren Augen!
»Ganz gewiß —-«
Einen Kuß noch — und ein Zurück
winken —
»Berzeihe, Hardil Aber ich konnte
das Kind nicht berlassen.«
Bernhardine nickte. Und während
sie weitergingen, faßte sie nach Loras
Hand, in der stummen Bitte: »Du bist
zu allen Menschen gut —- nun bleib es
auch mir in meiner Noth!«
Die Billa Salester lag tiefer im
Garten als die Baldins e. Ein klei
neres, einfacher-es Gebäu e, irn Grün
halb versteckt. heute sah es fast aus,
als seien die Besifer verreist. Die
Vorhänge fest ver lossen, im Erdge
xchvß die Rolljalouien heruntergelas
en.
» . . . er ist nicht hier . . .'« Hardi
Pauchte es wie einen einzigen Weh
aut.
Aber da öffnete sich die Hausthür.
Konrad Salester trat iiber dieSchwel
le. Jn bürgerlicher Kleidung —- in
der Hand einen Brief.
Er zuckte zusammen, als er die bei
den dicht vor sich sah. Ueber sein
Gesicht strömte das Blut. Er zog den
Hut — aber gleich darauf legte er die
Hand vor die Augen . . .
»Ich wollte zu dir . . .« sagte er
tonlos. «
Da hing sie auch schon an seinem
Halse, barg das Antlitz an seiner
Brust
Einen Augenblick hielten sie sich fest
umschlungen. Dann löste er sich,
sanft, aber mit bewußter Bestimmt
heit. Nur ihre beiden Hände nahm
er in die seinen. »Ich wollte zu dir,
Hardi . . .« wiederholte er. »Nun
danle ich dir, daß du gekommen bist.
Ich rnuß ja die Augen der Menschen
scheuen. ich und meine Mutter .
wir sind geächtet.
»Konrad!« rief hardi verzweifelt
»Konrad!«
.wir sind geächtet.
Sies schüttelte den Kopf, als-« ver
stünde sie ihn nicht. Und wie unt sei
nen Gedanken eine andere Richtung
zu geben, bat sie: Eos uns zu dei
ner lieben Mutter . . .
Fa schien es, als bemerke er jeht
eesL gra. Ei wetterlenchiete wieder
iiber sein sössenes Gesicht . T
Schmerz und Scham . . .· Sie trat
schnell heran und drückte ihm schwei
gend die Hand.
Dann wandte er sich und schritt den
halbduntlen Flur entlang, schnell,
l,ochausgerichtet aber Lora sah wie
die kräftige Gestalt schütterte in müh
sam belämpstem Schluchzen
Er stieß die Thitr zu einem Hinter-:
zimmer aus; »Mutter. . .«
Frau Salester kniete über ein Kiss
serchen gebeugt am Boden. Ein paar
Habseligleiten, das Einsachste, was sie
gesunden hatte, lagen daneben.
Langsam richtete sie sich aus. Und
wie sie Hardi sah, schlug sie die Hände
vor das Gesicht. Es war tiese. tiefe
Stille im Zimmer. Nur das schwere
Athmen der vier Menschen.
Hardi hatte Frau Salester um
armt, zog ihr die Hände vom unharm
. ten Antlitz, streichelte ihr kindlich die
schmalen Wangen blickte zärtlich in
die Augen, die leine Thränen mehr zu
baben schienen. Die Greisin war die
Frau geworden in vierundzwanzig
Stunden
Und dann war sie es, die zuerst
sprach. Und ihre ersten Worte galten
ihrem Manne —
»Er war nicht schlecht,« sagte sie
mit leiser, bebender Stimme. »Er
war auch nicht geldgierig, wie . . .
der andere. Er war nur so maßlos
ehrgeizig . . .« Und sie sah dabei
von dem einen zum andern, als slehe
sie um ein Wort, um eine Miene nur
der Zustimmung. Aber Hardi und
Lora standen mit ties gesenkten Köp
fen, und als sie in Konrad’s Antlitz
blickte, das wie versteint war, bedeckte
ge wieder das Gesicht mit den Hän
n.
.in
(
(
i
1
Lora trat an ihre Seite, umfing
sie, führte sie zum Sofa, drückte sie
sanft nieder, setzte sich neben sie und
sprach mit ihrer tiefen wohltlingenden
Stimme, sich gewaltsam zur Beherr
schung zwingend: »Wir sollen nnd
wollen nicht richten. Wir sind hier,
um Jhnen zu zeigen, wie
lieb Sie uns bleiben werden
..... was da auch immer kommen
möge. Wir verstehen all Jhr Leid.
Wir möchten Ihnen gern mittragen
helfen ....— Jhnen und Konrad!
Niemand, das glauben Sie mir, wird
Ihnen beiden anrechnen, was gesche
hen ist. Fassen Sie Muth ——— Gott
vertrauen, liebe gnädige Frau —·'
Konrad hatte bisher regungslos an
der Wand gelehnt, dicht neben der
Thür; den Blick starr geradeaus ge
richtet, als wolle er aller Augen aug
weichem die Lippen fest zusammenge
preßt. Jn der Hand hielt er immer
noch den Brief — einen weißen Um
schlag im Dienstformat.
Nun trat Konrad Salefter plötzlich
vor und bis an den Mitteltisch. Es
Twar, als triebe ihn ein überftarler
Entschluß. Er sah auch jetzt niemand
an, und in seinem Gesicht toechfelten
jäh die Farben. Aber er sprach mit
scheinbarer Ruhe. Es klang hart,
was er sagte . . . eisern . . .
»Gniidige F au, ich danke Jhnen
herzlich, innig "r Jhre Troftworte.
»Auch im Namen von Mutter. Und
Jhnen und Vernhardine für Jhr
; Kommen. Es ist edel und ift großher
Izig. Aber wir, Mutter und ich, dür
fen uns keinen Selbsttäufchungen hin
sgebem wenn wir den Kampf um ein
Fneues Dasein aufnehmen wollen. Wir
; bleiben mit ewigem Makel behaftet . .
fund wenn man dem Schimpf auch
iMitleid beimischt . . . er wird nicht
leichter . . . vielleicht könnte ich ge
rade das Mitleid am wenigsten ertra
T Am —·«
» Er schöpfte tief Athem, und er preß- !
; re die Rechte auf die Brust, als schmer
ze ihn da etwas-.
i »Wir müssen alle Fäden zuschnei
i den, die rückwärts führen ——- müssen!
! Hier ist mein Abfchiedsgefuch —- Seine
lMajeftät iann keinen Offizier ge
s brauchen, dessen Ehre befleckt ift. Jch
wollte den Brief soeben zur Poft brin
gen . . . und dann zu dir kommen,
Hardil Das ift das . . . Schwerste.
. . . ch wollte dir noch einmal dan
ken, rdi . . . und dann . . . dann
wollte ich dir . . . und ich thue es
jetzt hier . . . dein Wort zurückgeben
: . . und Abschied nehmen . . . für
immer . . .«
Erst bei den letzten Worten schwank
te feine Stimme. Schwer ftiitzte er
sich mit beiden Händen auf den.Tifch.
Er Bitte noch immer nicht aufgese
hen icht gesehen, daß Hardi lang
fam näher gekommen war, mit hocher
hobenem Kopf, so ftolz und sicher
aufgerichtet, als fei fie plötzlich gewach
fen. Jn ihren Augen standen Thrä
nen, aber fie lächelte.
Und nun legte sie ihre Hände auf
feine Schultern und fa te leidenschaft
lich: «Konrad . . . sie mich an . . .
du kannst kein Mitleid vertragen!
Aber meine Liebe, Konrad, die wirft
du doch nicht zurückftofzenl Und wenn
du es thust, ich lasse dich nicht! Gehft
du mit Mutter weit weg, übesz Meer
—- ich gehe mit dirl Ueberall hin,.
Konradi« «
Er war usammengezuckt, als er
den Druck igrer Hände fühlte. Das
Abfchiedssgefuch glitt auf die Tisch
platte. pr wandte sich, fah ihr in die
Augen. Ein Aufleuchten flog über
fein Gesicht, ein Sonnenstrahl Doch
gleich wurden feine Ziige wieder hart.
»Ich danke dir, Hardil Vieltaufend
mal danke ich dir. Aber du kennst die
Welt nicht. Das, was an uns haftet,
eht mit uni. Das werden wir nicht
os . . . und drum müssen wir's al
lein ira en, Mutter und ich. Das ist
nichts f r dich, Hardi . . . solch ein
, . .
»Los! Gott bewahr’ dich davor!
Schande und Noth, lommks hoch
harte Arbeitl Gottlob . . . vielleicht
auch Arbeit!« »
Er wollte sanst ihre Hände losen.
Doch die hielten fest.
Jhre Augen leuchteten —
»Jhr habt mich als Kind einge
schäßt, und ihr hattet wohl recht. Aber
nun nicht mehr. Jetzt bin ich start.
Neißt mich in Stücke, ich weiche nicht!
Du willst mich aus Mitleid freigeben
— nun, das Mitleid tann auch ich
nicht ertragen. Das Mitleid ist
schlimmer als Schimpf! Jch halte zu
dir —- ich gehöre zu dir! Wenn du
mich fortstößt, so krieche ich dir nach!
Jch folge dir -— bis an’s Ende der
Welt! Es sei denn, Konrad, geliebter
Connh, daß du mir in die Augen se
hen kannst und sagen: Jch liebe dich
nicht —«
Und plötzlich reckte sie sich, mit einem
Jubellaut, und umtlammerte ihn, zog
seinen Kopf zu sich herab, küßte ihn
— wieder und wieder —
,,Conny . . . Connh! Du großer
Thor! Siehst du . . . das tannst du
nicht sag-en . . . du hast mich ja viel
zu lieb! Und alles andre . . . alles
. . . alles . . . das ist ja Asche und
Staub! Das bleibt ties unter uns!
Mutter-then . . . komm! Hab theil
an unsrer Liebe! Denn wir siegen —
Konradi Jch weiß es! Wir siegen-«
SechzehntesKapiteL
Der Schnitter Krach möhte weiter.
Gerechte und Ungerechte traf der
scharfe Stahl seiner Sense, Schuldige
und Unschuldige, Verführer und Ver
sührte, Betrüger und Betrogrne. Rei
che machte er arm, Fleißige arbeitslos,
Arme brodlos.
Durch alle Kulturländer Europas
zog er seine Straßen. Ueberallbin, wo
die Produktion dem Bedarf zu weit
vorausgeeilt war, wo die Spekulation
künstliche Wer-the geschaffen hatte, traf
sein weitausholender Arm. Was
nicht ganz gesichert und ganz gesestet
stand, das stürzte· Aber im Sturz
riß manch Schwindelbau auch die klei
neren Häuser neben sich nieder, die in
ehrlicher Arbeit aufgerichtet waren. -
Denn der panische Schrecken, der vor
dem unerbittlichenSchnitter einberflog,
läbmte auch die gesunde Unterneh
mungslust, ließ jedwede Tbätigleit -
stocken, unterband das Vertrauen« ver
nichtete den Credit.
Nur sehr wenige hatten das Heran
nahen des Umschwungs der mitth
schastlichen Conjunttur rechtzeitig be
merkt, die Uebersiillung des Welt
marttes, die politischen Schwieriateiten
in Südafrita und Ostasien richtig ein
geschätzt. Nur ganz vereinzelte Stim
men hatten rechtzeitig gewarnt. So
jäh kam der Rückfchlag, daß er die
Mehrzahl unvorbereitet traf. Unvor
bereitet die Großen in neu geplanten,
immer weiter ausgespannten Unterneh
mungen; unvorbereitet den wohlhaben
den Mittelstand in den Anlagen seines
Capitals, das der Staat nnd die
Kommunen durch die Herabsetzung des
Zinsfußes ihrer Anlehen den schein
bar ertragreicheren Jndustrievapieren
zugetrieben hatten; unvorbereitet die
Arbeiter-, die da glaubten, der Aus
schwung alles Gewerbes müsse ewige
Dauer haben und ihnen immer höhern
Löhne sicherih
Nur wen ge hatten rechtzeitig den
unvermeidlichen Niedergang vorausge
teben. Aber noch weniaere sahen. als
er nun hereingebrochen war, mit
ruhigem weitem Blick in die Zukunft.
Sehr wenige erkannten klar, daß ur
alter Erfahrung gemäß, das mitth
schaftliche Leben der Völker in ewigen
Wellenbewegungen dahinströmt, dasz
einer Periode des Aufschwunas un
weigerlich eine solche der Ebbe folgt
und daß sie wieder von einer dritten
steigenden Flut abgeliist wird. Ganz
vereinzelt waren in der ungeheueren
Masse der Muthlosen diejenigen, die
da fühlten, daß heute, in unsrer Zeit
gesteigerter Verkehrsthlitigkeit, schnel
leren Pulsschlages, auch Fluth und
Ebbe in kürzeren Zwischenräumen auf
einander folgen müssen, die Gegensätze
sich schneller ausgleichen, die Ueber
giinge sich leichter vollziehen — zum
öscn, aber auch zum Guten —- —— —
Zu diesen wenigen gehörte Eberhard
Möller-Sieghard.
Er hatte das Ringen mit beschwer
temHerzen aufgenommen. Aber mit
ten im Kampf um die Existenz und
um die Ehre seiner alten Firma wuch
jsen ihm Vertrauen und Kraft.
s Er wußte freilich: die Schwingen
; waren nicht ganz sein eigen.
l Denn es kamen auch ihm düstere
Augenblicke, in denen er verzagen woll
te. Aber wenn dann sein junges
Weib neben ihn trat, ihm die Hand
drückte, ihm in die Augen sah, dann
schwanden Sorgen und Zagen.- An
der Freude und an dem Stolz. mit
dem sie aus seine rettende Tbätigkeit
Iblickte, richtete auch er sich immer wie
sder auf. Tag fiir Tag in der schwer
; sten ersten Zeit, in der sein Haus noch
l in allen Grundsggen zitterte.
« Jn allen Grundfugen Denn es
! war durch Willy mitten hineinnerissen
Iin den unheimliche-r Strudel, in dem
’ die tvagehalsigen Gründungen von Sa
lester und Baldin untertauchten, in den
öffentlichen, in Deutschland fast bei
giellosen Skandal beider Conkurse.
eispiellos selbst in diesen Tagen all
emeinen Schreckens:«inan zählte jetzt
schon aus, daß ·an den Baldinschen Un
ternehmungen riber hundert Millionen,
an der Salesterschen Bank an achtzig
Millionen verloren gehen würden —
Dee Geheimrath kam von einer
Sitzung des Gläubigerausschufses.
jäm Treppenhaus traf er auf Exzellenz
, raben, der langsam die Treppe hin
f
unievstiez »Ich war bei dir —- wollte
dich spr en, lieber Möller.« «
Sie d ckien sich die Hände, sahenK
ch m die Augen, nnd beide fanden
il
wohl, baß sie nicht jänger geworden
waren in diesen Tagen. Auch der alle
Kriegsmann hatte ja, wie er sich aus
drückte: » das verfl— Mausen nicht
. lassen iönnen.«
»Wenn du Zeit hast« Graban, komm
mit hinauf. Scheut mir eine halbe
. Stunde.'« Und dann —- mii einer un
gewohnten Hast: »Warst du im Mill
iärlabinetili'«
»Ja —- naiiirlichl Aber, lieber
Möller —- aber!" Das Sprechen
während des Treppensieigens wurde
ihm schwer. Aber der andre faßte ibn
fest am Arm und bac« wie angstvoll:
,,Schlechte Nachrichten, Graban?«
,,N . . . ein? Es ist noch nickt-s ent
schieden. Komm nur.« »
Lora wollte Das Zimmer verlassen,
als beide einiraien. Doch ihr Mann
hielt sie zurück: »Bleib, bitte! Wir
haben keine Geheimnisse vor dir.«
»Ja also, gnädige Frau ich h0b’
gethan, was ich lonnte. Man hai·1a
noch immer so seine kleinen Verbin
dungen, wenn man auch lanaii zum»
alten Eisen geworfen ist. Dei eine
Abtheilungschef — «n Namen «nenn
ich lieber nicht — war mal »Ad1ut«ant
bei mir und ist mir ein klein bissel
verpflichtet. «Da hab’ ich also hinge
horcht. Aber, mir scheint’s, als ob«
die Ansichten imKabinett selbst schwan
ken. Na, das thun sie ja neuerdings
häufiger. So der gerade, feste Kurs,
wie wir ihn lichten, der . . . aber
will mir den Mund nicht verbrennen.
Und dann . . . es ift ja auch ’ne ganz
ver-maledeite Geschichte —- dan Der
arme Kerl! Denken Sie sich ihn mal,
Gnädigste, so im Offizierkorvs! Da
spricht denn mal einer frisch von»der
Leber weg, meint gar nichts Boses
mein Gott, irgend ein Wort uber
einen Schwindler — und der Bedau
ernswerthe muß das anhören . · .«
,,Exzellenz, ich denke zu hoch vorn
Takte vreuszischerOffiziere, als daß ich
das für möglich halten könnte ——-« »
»Ja doch tausendmal ja. gna
dige Frau. Aber die Möglichkeit
bleibt. Und überhaupt . » ich glaube,
selbst unser milder alter Alleranädigg
ster Herr hätte taum das Abschiedng
such nicht bewilligt«
Der Geheimrath stöhnte: »Das sind
doch schlechte Nachrichten, Graban.«
»N ein, lieber Möller. Das nicht
gerade. Dein armer Schwiegersohn
hat außerdem eine ganz vorzügliche
Qualifikation man verliert solchen
Offiiier ungern. Man hat ja auch
»Na-mein Mitleid mit ihm, heszlicheo
Mitleid . . .« «».
Gottsetzung folgt—)
—--·-.-—-—
i
i Das Sprachrohr Neumond
Als die erste Telegraphenlinie in
Nordamerika durch die Gefilde der
Jndianer gezogen wurde, begegnete
das Unternehmen auf Seite der Ein
geborenen anfangs einem heftigen Wi
derstand. Da iam der leitende Juge
nieiir, um den Beschiidigungen, na
mentlich dem Umreißen der Stangen
und Abschneiden der Drähte, vorzu
beugen, auf den guten Gedanken, sich
den Aberglauben der Jndianer dienst
bar zu machen. Zu diesem Zwecke rich
tete er nach Vollendung der Linie von
Fort Kearneh bis Fort Lavannie, die
gegen 500 Meilen von einander ent
fernt sind, es so ein, daß sich der
Häuptling der Ampohoes an dem glei
chen Tage in Fort Kearneh einfand, an
dem der Häuptling der Sioux das
Fort Laranni besuchte. «
Nachdem sich die Beamten aus beiden
Stationen durch Signale überzeugt
hatten, daß jeder von sihnen einen
häuptling neben sich stehen hatte, frag
te der Jngenieur zu Fort Kearney den
Arapohoehäuptling, ob er nicht Lust
habe, ein wenig mit seinem Freunde,
dem Siouxhäuptling, in Fort Laranni
zu plaudem Der Jndianer stellte
eine Frage und sein entfernter Freund,
der Sioux, antwortete. Dann wurde
die Unterhaltung lebhaft, und Fragen
und Antworten flogen hin und her.
Natürlich waren beide Häuptlinge au
ßer sich vor Erstaunen; aber sie forsch
ten nicht nach einer Erklärung des
Wunders-, sondern nahmen die Ver
sicherung des Telegraphisten aui beiden
Forts, daß derTelegraph das»-Sprach
rohr Manitous, des großen Geistes,«
sei, mit gläubigem Vertrauen aus.
Zum Schluß ließ man die beiden
Häuptlinge sich gegenseitig eint-adm,
sich aus der Hälfte des Weges zwi
schen beiden Forts zu tressen. Die
Häuptlinge ritten jeder 250 Meilen.
trasen und über-zeugten sich nun durch
persönliche Aussprache, daß es mit der
Unterredung, die sie in einer Entfer
nung von 500 Meilen miteinander ge
habt hatten, seine volle Richtigkeit ha
be. Alsbald wurde die wunderbare
Mär vom »Sprachrohr Manitou5",
dem Telegraphen, unter allen India
nerstämmen bekannt. Dies hatte zur
Folge, daß von da ab Telegraphens
stangen, Drähte, Apparate sowie Sta
tionen in den Augen der Jndianer site
heilig gehalten wurden und unberührt
Tbliebem
Frau Chadwick will die »Geschichte
ihres Lebens-« veröffentlichem »Soll
und kein Haben« wäre ein schöner Ti
tel dasur. »
M li· II
O, streute jeder in das Leben «
Des andern eine Blume ""nur,
Dann wurde manche Rohenspur s.
Dies Dasein freundlich been-liest