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About Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918 | View Entire Issue (Jan. 6, 1905)
Yeöraska ItaUtIsZtUnger UUU THUUUW J. P. Windolph, Herausgeber. Grund Island. Nebr« (;. Januar 1905 Hweitcr Tlieil.) Jahrgang 25 No 19. Krieg- und kinienschiff Fehden der Fachleute, Interesse des Laien. Das englische Programm. Lehren des gegenwärtigen Krieges. ein»Jahr vergeht, ohne daß die fuhr-enden Geister in den « Kriegsmarinen sich mit neunt tigen Problemen zu beschäftian ha ben. Eine Fehde zwischen den An sichten der Fachleute folgt der anderen: bald handelt es sich um eine neue Kes selart oder die Turdinenmaschine, bald um das Kaliber der Geschütze oder eine oeränderte Anbringung des Pan rschn es, dann wieder um die Schaf ung e neö Kreuzertyps von extremer Geschwindigkeit So wichtig nun alle diese und ungezählte ähnliche, in je dem Jahr neu auftretenden Punkte für die Entwicklung der Kriegsmarine und die Vervollkomninunq der einzel nen Schiffstypen sind, so läßt sich doch keiner unter ihnen an prinzipieller Be deutung mit der sehr viel älteren Streitfrage vergleichen: »Ok) das Li nienschiff nach wie vor den Kern der Flotten und Geschwader bilden soll, oder ob es nicht durch andere, minder kostspielige und schwerfällige Typen ersetzt werden tann.« Fiir dieses Thema pflegt auch der Laie, der sich auf den übrigen strittigen Gebieten einer vorsichtigen Zurückhal tung des Urtheils befleißigt, das aller-s lebhafteste Interesse an den Tag zu legen, und zwar aus dem naheliegen den Grund, weil an ihr sein Geldwe tel aus das unmittelbarste betheiligt ist. Ein Linienschiff kostet heutzutage an 7 Millionen Dollarc3, bedeutend mehr als jedes andere Krieagschifi. und da ist es selbstvexständlich daß dck Pattlollsmsle Steuerzahler gern wissen möchte, ob es denn durch aus nicht möglich ser, mit billigeren Schiffstypen den Aufgaben des See triegs gerecht zu werden. Um so be rechtigter erscheint dieser Wissensdursi, da bekanntlich bei den Franzosen eine Reihe von angesehenen Fachleuten den Kampf gegen »die Mastodonten des Meeres« schon seit Jahrzehnten mit hartnäckiger Heftialeit und zeitweilig nicht ohne Erfolg bei ihren Landsleu ten betreibt. Die Anhänger der jesunc ecolc stellen der Konzentration der Kraft. wie sie das Linienschiff in höch ster Potenz darstellt, das Prinzip der »Geschwindigleit und Schissszahl« ge genüber; der Umstand, daß sie sich da mit in einen ausgeprägten Gegensatz u den Lehren der Seelriegsgeschichte fowie zu den Anschauungen der füh renden Seemachi, England, stellen, hat nicht verhindert, daß sie zahlreiche An hänger für ihre Ideen gesunden haben, die momentan unter dem Ministerium Pelletan sogar von beherrschendem Einfluss auf die Schiffbaupolitil Frankreichs geworden zu sein scheinen. Auch in Italien besteht zur Ideit die Neigung, bei den LinienMiisfen auf Offensiv- und Defensivkrast bis zu ei nem gewissen Grad zu verzichten zu Gunsten einer größeren Geschwindig teit und eines größeren Attionsra dius, während man in Deutschland, in den Vereinigten Staaten von Ame rika, in Ruleand und Japan sich offi ziell zu dem englischen Programm be iennt. Nur vereinzelte Stimmen wer den in diesen Ländern gelegentlich da gegen laut, darunter kaum eine einzige von Seeossizieren, die in der Lage ge wesen wären, sich durch eigene An schauung ein zutreffendes Bild von der rapiden Entwicklung der taltischen steen in den Manövern und Gesichts ühungen der letzten Jahre zu machen. Immerhin ist es für jedermann von höchstem Interesse, die Ereignisse des gegenwärtigen Seeiriegs daraufhin zu untersuchen, inwieweit sie die Rich tigkeit der bei uns vorherrschenden Ansicht von der überragenden Bedeu tung des Linienschifss für den Aus gang eines Kampfes um die Seeherr schaft bestätigen oder nicht, und bei einer solchen Betrachtung tritt uns denn sogleich die Thatsache mit brei ter Deutlichkeit entgegen, daß die ja panische Flotte, auf deren Schultern die ganze Verantwortung für die Auf nahme und Durchführung der Offen sive lastet, auch nicht einen Moment einenZwetfel darüber hat aufkommen lassen, daß in ihren Augen das Schick sal des Krieges als von dem Schicksal der Linienschiffe abhängig angesehen wird. « Jn dem schon seit 1898 dauernden Wettlauf mit Nußland um die Ge winnung des maritimen Uebergewichts ! wählte das Jnselreich den Augenblick s zum Losschlagem in dem das bis- T lserige Gleichgewicht in Bezug auf die » Linienschiffe sich zu seinen Ungunsten J zu verschieben im Begriff stand. Ja- » pan griff zuerst zum Schwert, aber nicht Wladiwostol, dem reichen, da mals noch ungenügend geschützten Handelsplatz, dessen Ueberrumpelung riesige Beute einzudringen versprach, galt sein erster Schlag, sondern die denltvürdige Nacht vom R. zum 9. Fe bruar sah die auf der Aufzenreede von Port Arthur liegenden Linienschiffe dem wilden Austurm der japanischen Torpedoboote ausgesetzt. Da das Er gebniß des Ueberfalls nur unvolllom men, nämlich nicht die Aufhebung, sondern nur die Schwächung der Krampflrast des russischen Geschma derö war, so begann von diesem Mo ment an die Reihe jener Unterneh mungen gegen Port Arthur, deren ssiel zunächst keineswegs die Ein nahme der Festung, sondern aus schließlich die vollständige Lahmlegung des gegnerischen Gros war. Peschie ßungen durch direktes und indirektes Feuer, Torpedobootsangriffe, Ausle gen von Streuminen und Versenken von Schissen vor der Haseneinsahrt, also alle nur erdenklichen Mittel wer den angewendet, um dieses Ziel zu er reichen. Während der ganzen Periode, in der es noch nicht erreicht ist, solange die Gefahr eines Ausfalls der raffi schen Linienschisse die Verbindung zwischen Japan und dem festländi schen Kriegsschauplay bedroht, ver harrt die vor Kampfesungeduld zit ternde japanische Armee mit Gewehr bei Fuß in den heimatlichen Häscnz nur drei Divisionen werden nachKorea hinübergeschasft, bis endlich am 37 Mai die langer-sehnte Kunde in Tolio eintrifft: »Die Hafeneinfahrt von Port Arthur ist gesperrt, die Linien schisfe können den Hafen nicht mehr verlassen!« Mit einem Schlag bekommt jetzt der Krieg ein anderes Gesicht; in rascher Folge wird eine zweite, eine dritte Armee nach dem Festland hinüberge worsen, aber das Ziel ihrer ersten Operationen ist nicht die nahe Haupt macht Kuropatiins, sondern das räumlich entfernte, siir die Durchfüh runa des Landlriegs belanglose Port Arthur, um durch dessen Einschlie ßung und Beschießung von der Land seite dar- Wert der Bernichtung der russischen Linienschisse zu vollenden. Wenn irgend noch ein Zweifel darüber herrschen könnte, ob die Japaner hier- s in oder in der Besiegnng der feind- s lichen Heere und der Uroverung wei teren Landgebietes den Schwerpunkt » der Kriegfiihrung sehen, so ist er end gültig gelöst durch die bekannte erstel Aufforderung zur Kapitulation an General ctössel, in der den Truppen l freier Abzug zur Vereinigung mit den ; Kameraden im Norden, angeboten, dagegen die bedingungslose Uebergabe J der im Hasen liegenden Schiffe ver-? langt wurde. , Bir- zum heutigen Tag ist gegen die zu Wladitoostol gehörenden russischen Panzerlreuzer nur eine verhältniß mäßig schwache Schiffsdivision zur Beobachtung und Absperrung der Straße von Korea entsendet und auch dann nicht verstärkt worden, als diese Kreuzer die in Japan sehr schmerzlich empfundene Strasfahrt bis vor den Hafen von Yokohama untermmmen hatten. Die seestrategische Auffassung der Japaner liegt also klar vor unsern Augen, und eine einzige Abweichung von ihr könnte nur darin gefunden werden, daß sie bei dem mißgliictten Ausfall der russischen Flotte aus Port Arthur am 10. August nicht die Gele genheit benutzt haben, um ihren Geg nern auf den Leib zu rücken und ihnen den Garaus zu machen, sondern sich nur auf ein Ferngefecht einließen. Bei der Beurtheilung des scheinbar über vorsichtigen Verhaltens der Japaner wird man indessen nicht übersehen dürfen, daß der Erfolg ihnen recht ge geben hat: sie haben die Gegner richtig eingeschätzt, indem die Mehrzahl der russischen Linienschiffe die Mausefalle von Port Arthur von neuem wieder ausgesucht hat. Wer weiß, ob im ent gegengesetzten Fall Admiral Togo nicht dennoch sogleich oder später zum entscheidenden Nahkampf übergegan gen wäre, sofern er es nicht seinen zahlreichen Torpedobooten überlassen wollte, die des Schutzes der leichten Schiffe entbehrenden russischen Li nienschtffe während der mehrtägigen Fahrt nach Wladitvoftok abzuschießen. Die Zurückhaltung des japanischen Admirale in diesem Fall ist also durchaus leine Widerlegung unserer vorherigen Behauptung, sondern eher eine Bestätigung, denn sie entsprang ossensichtig allein der zwingenden Notwendigkeit, die japanischen Linien schisse so sparsam wie nur irgend möglich einzusetzen, damit sie für den Fall des Eintresfens der baltischen Estadre in Ostasien dieser entgegen treten können. Und warum wird diese als eine ernste Drohung angesehen? Doch lediglich deshalb, weil sie der Hauptsache nach aus modernen Li nienschisfen besteht. Wenn statt der letzteren selbst die doppelte Anzahl von Pauzertreuzern die« Auskeise angene ten hätte, so würde das den Japanern nur geringe Sorge bereiten, denn ihre Linienschiffe, die jetzt vor Port Arthur liegen und später vor Wladitvostot liegen werden, können nur wieder durch Linienschisfe von diesem Posten vertrieben werden Und hiermit sind wir bei dem Kern puntt der Frage angelangt. Von der Seeherrschaft über die Gewässer von Niutschivang und Takt Arthur bis hinaus nach Wladiwostol und Sache ltn hängt für Japan wie siir Rußland der Erfolg in dem Kampf um Port Arthur und Korea ganz allein ab. Wenn nun der Kampf um diese See herrschaft auf dem weiten, freien Meer entschieden würde, so wären al lerdings Schiffe von großer Gesichts lraft ziemlich überflüssig, und Kreu zer von großer Geschwindigkeit und Seeausdauer würden die Hauptrolle im Seetrieg spielen. Beim Zusam mentreffen mit den stärkeren Linien schiffen würden sie einfach dem Kampf ausweichen und einen andern Meeres theil aufsuchen, wohin jene ihnen nicht so leicht folgen könnten. Jn Wirklichkeit liegen aber die Dinge ganz anders, und dies pflegen die Widersacher der Linienschiffe meist zu übersehen: da nämlich die Schiffe nicht dauernd die hohe See hatten können, sondern immer wieder von Zeit zu Zeit ihre Häfen auffuchen müssen, so ergibt sich hieraus von selbst und ist auch durch die Lehren der Seetriegsgeschichte hundertfach be stätigt, daß die Zufahrtsstraßen und die Eingänge zu den Häfen des Schwächeren zur See die Brennpunkte fiir die Entscheidung im Seekrieg dar stellen. Jn ihrer Nähe stellt der Stärkere seine Flotten auf, um dem Gegner den Eintritt in das weitere umstrittene Meeresgebiet zu verwehren oder ihm den Rückweg von dort abzuschneiden, und da hier die räumliche Beschränkt heit der zu überwachenden Fläche und die mehr oder minder bestimmt vorge schriebene Anmarschrichtung denWerth auch einer bedeutend überlegenen Ge schwindigkeit des Feindes erheblich heravsetzen, so wird dieser fruher ooer später zum Kampf gezwungen werden. Seine Niederlage ist besiegelt, wenn er den Linienschiffen des Gegners keine gleich tampfstarken Schiffsthpen ent gegenstellen kann. Das Linienfchiff hat eben eine zahlreichere und schwe rere Artillerie und einen vollständige ren und stärkeren Panzerschutz als der modernsie Panzerlreuzer, es wird ihn deshalb mit mathematischer Gewiß heit in Grund und-Boden schießen, wenn dieser seine überlegeneGeschwin digleit nicht ausnutzen tann.«, Die Kreuzerdivision von Wladiwo stok hat somit ganz richtig gehandelt, wenn sie bisher jeden Versuch unter lassen hat, sich Port Arthur zu nä hern; um so mehr aber drängt sich die Frage auf, weshalb die russischen Li nienschisfe in Port Arthnr sich so we nig gerührt haben. Wenn sie, die den Hasen mit seinen Reparaturmöglich leiten und srohlenvorräthen in schü tzender Nähe hinter sich wußten, nur zwei-: oder dreimal in jeder Woche in Schlachtordnung aus-gelaufen wären, so würde dadurch die Ausgabe des Blockadegeschwaders in ganz unüber sehbarein Maß erschwert worden sein. an der andauernden, unbestimmten Erwartung eines ernstlichen Vorsto ßes seitens der Belagerten hätten die japanischen Linienschifse ihre Kessel und Maschinen derartig strapaziren müssen, daß sie heute zum großen Theil nicht mehr voll gebrauche-fähig »wären, von der aufreibenderen Thä J tigkeit der Schiffsbesatzungen ganz zu z schweigen. ; Jndem die russischen Admirale aus I Furcht vor der Minengesahr oder aus s andern unbekannten Gründen ihre J Linienschifse nicht im Sinn einer s thatlräftigen Offensive in der Verthei s digung verwendeten, haben sie dem Gegner verhältnißmäßig leichtesSpiel gelassen; aus keinen Fall aber darf man ihre schwer zu begreifende Unthä tigkeit als einen Beweis dafür anse hen, daß die Linienschifse nicht die s Träger der Entscheidung im Seekrieg s sind. Wer sich nach dem Vorstehenden s hierüber etwa noch im Zweifel befin den sollte, möge sieh die Frage vorle gen: wie wäre wohl der gegenwärtige Krieg verlaufen, wenn nur die Rus sen, aber nicht die Japaner Linien schiffe besäfzent Er wird sich sagen » müssen, daß in diesem Fall die russi schen Schiffe heute wahrscheinlich vor Yokohama und in der Straße von Korea lägen, und daß die auf irgend L eine Weise nach dem Festland hinüber geschafsten japanischen Truppen wegen sder Unsicherheit oder vielmehr der sUnmöglichkeit eines geregelten Nach ! fchubs schon längst von der russischen »Uebermacht -in Korea erdrückt wären. So zeigt uns der ostasiatische Krieg auf das deutlichste, daß die Linien schisssgeschwader unter allen Umstän den den Kern jeder Flotte ausmachen müssen. —- Kapitän zuriSee a. D. von Pustau. W-— Commis: »Ich bitte um eine kleine Gehaltserhöhung.« Chef: ,,Unmöglich — das heißt: Sie wissen doch, daß Zeit Geld ist?« Commis: ,,Ja.« Chef: »Dann dürfen· Sie also in Zukunft eine Stunde länger atbeitenl« Jn der Blindenweit. Die nichtsehenden Kleinen. Schule und Berufsarten.· Glück und Unglück der Blindenehen. Lebenskämpfe. er bekannte Grundsatz, daß der im Kind liegende Thätigkeits drang schon im Vorschulpslich iigen Lebensalter befriedigt und im planvollen Spiel der Entwicklung sei ner geistigen und körperlichen Kräfte dienstbar gemacht werden müsse, sollte vor allem Anwendung finden auf die nichtschenden Kleinen. Sie besonders wenn sie sonst normal Veranlagt sind, hungern nach Beschäftigung, weil ihnen die sichtbare Welt, die dem gieichaltrigen, vollsinnigen Kind tau send bunte Bilder und Eindrücke auf drängt, verschlossen ist. Den engen Kreis der nächsten Umgebung haben die lauschenden Ohren und tastenden Finger nur zu bald durchforscht, zu mal den Fingern, weil sie im Gegen satz zu den aus der Ferne erlennenden Augen auf ihren Entdeckung-steifen leicht allerhand Schaden und Verwir rung anrichten können, oft genug ein gebieterisches Halt zugerufen zu wer den pflegt. Die Welt außer dem Haus aber, die das« blinde Kind wiederum nicht nach Herzenslust ergründen darf, weil es es sie fast nur an des Führers Hand betreten muß, bietet ihm fiir ge wöhnlich nicht viel mehr als ein bun tes Gemisch schwer entwirrbarer Ge hörseinpsindungem die zwar seine Phantasie anregen, feinen Erkennt niß- und Thätigkeitstrieb jedoch nur ungenügend befriedigen. Jch selbst, die seit ihrem dritten Lebensjahr erblindete Schreiberin dieser Zeilen, kann darüber aus eige ner Erfahrung berichten. Obwohl ich das Glück hatte, in einer Umgebung amzuwachsem die mir die Außenwelt nach Möglichkeit aufzuschließen suchte, entsinne ich mich doch, mit vier und fünf Jahren oft höchst unglücklich ge wesen zu sein, weil ich nicht wußte, wag mit mir anfangen. Hätte ich nicht einen klugen Hund besessen, der mich zerstreute und als treuer Spiel gefährte bei mir"augharrte, wenn die zweibeinigen Gefährten davonlieer oder mich neckten, ich müßte jene Zeit, die den meisten Menschen die glück lichste, unberührteste bedeutet, als die trübseligfte meines Lebens bezeichnen. Um nun ein VorschulpflichtigeH blindes Kind vor schlimmen Erfah rungen zu bewahren, sollte man da rauf bedacht sein, seinen Geist und seine Hände nach Kräften zu beschäf tigen, es zu möglichster Selbstbedie thing zu gewöhnen und, wo es irgend angeht, die kleinen Finger durch Frö vels Spiel- und Beschäftigungsme tbode zu üben. Diese ist es nun auch, durch die man heutzutage in jeder gut organisirten Blindenanstalt die Hand geschicklichkeit der neu eintretenden slleinen zu entwickeln versucht. Das geschieht in der Regel in einer Art Vorschulabtheilung, an die sich dann der eigentliche Unterricht angliedert. Dieser hat so ziemlich alle Elementar fächer für den blinden Schüler erobert, manche freilich, z. B. Physik, nur in sehr beschränktem Maß und unter Anwendung eigens ersonnener, zweckvoller Einrichtungen. Zweckvoll vor allem ist die mit den Fingerspitzen taststabre Punktschrift. Ein normal veranlagtes blindes Kind lernt diese einfachen, aus höchstens sechs Punkten bestehenden Schriftzeichen verhältniß mäßig sehr rasch lesen und schreiben, und dank der unausgesetzten Bemüh ungen der verschiedenen Blindenan stalten ist es jetzt auch gelungen, ge nügendes Material an Unterricht-Wü chern für die einzelnen Altersstufen zu beschaffen. Die Zeit, während der sich ver Blinde die Elementaraugbildung an eignet, ist in der Regel wohl die har Inonischfte seines Lebens-. Im Kreis gleichstrebender Schicksals-genossen, in einer Umgebung, die völlig auf feinen Zustand berechnet ist, vergißt er ganz, daß es da draußen noch eine Welt des Sehens und der Sehenden gibt, die mannigfaltiger, leistungsfähiger ist als die seine. Daher ist es eine durch Aus irrige Vorstellung, der man aber noch oft genug begegnen kann, daß in einer Blindenanftalt alles von friih bis Abend auf Moll gestimmt fein müsse, daf-, hier Frohsinn und kindliche Ausgelassenheii keine Stätte finden könnten. Die Blindenfchulen haben die Auf gabe, nicht nur für die Erziehung und den Unterricht, sondern auch für die gewerbliche Ausbildung ihrer Zög linge zu sorgen. Die Handwerke, die in Betracht kommen, sind Klavierftim men, Korbmacherei. Seilerei, Bürsten macherei und Rohrstuhlflechten; in den letzten beiden Fächern pflegen behufs späteren Broterwerbs meist auch die weiblichen Nichtsehenden unterwiesen zu werden. Ferner ist man neuerdings «mit Erfolg bensiiht gewesen, blinde Masseure und Masseurinnen auszu bilden. Es ist-Prinzip, nur jene Berufsw ten in den Lehrplan der Anstalten aufzunehmen, die von den Lichtlosen mit möglichster Selbständigkeit ausge übt werden können. Was diese Selbständigkeit dem Blinden wesentlich erschwert, ist, daß nicht nur er der Welt, sondern die Welt auch ihm völlig fremd gegen übersteht. Bei dem Nichtsehenden tritt dabei eins recht verschärfend hin zu: meist in einem Institut, also »außerhalb seiner Familie erzogen, ? wird er, wenn er nach erlangter Aus « bildung wieder nach Haus zurückkehrt, sich in seinem ganzen Empfinden oft weit von dem der Seinigen entfernt fühlen. Jn engen Verhältnissen wird er, der während seiner Schulzeit einen besseren Ton kennen lernte, zuweilen seelisch schwer leiden, namentlich wenn er, was in der Regel nicht ausbleibt, aus gewisse Hilfeleistungen und Gefäl ligkeiten seiner Umgebung angewiesen ist. Aber auch der aus reichem Haus stammende Blinde ist nicht selten ein Fremdling unter den Seinen. Die in guten Kreisen vielfach herrschende Scheu, Irgendwie aufzufallen oder Mitleid zu erregen, führt leicht dazu, daß das blinde Familienmitglied möglichst im Hintergrund gehalten wird. Eltern und Geschwister vermei den z. B. thunlichst, sich mit ihm auf der Straße sehen zu lassen, und süh ren dadurch eine seinem Charakter eben nicht immer zuträgliche Isoli rung herbei. Um das Verhältniß des Nichtsehen den zur Familie, das hier einmal of fen berührt werden soll, zu kennzeich nen, mag seine Stellung zur Ehe charakterisirt werden. Das; er aus den verschiedensten Gründen bedeu tend seltener als der Bollsinnige dazu gelangt, einen eigenen Herd zu grün den, liegt tlar auf der Hand, dennoch haben in neuester Zeit innerhalb der Blindenwelt die Eheschließungen ent schieden zugenommen. Verhältniszmäßig am wenigsten einwandfrei. besonders wenn die ma terielle Seite geordnet ist, sind jene Ehen, die zwischen nichtsehendenMän nern und oollsinnigen Frauen einge gangen werden. Das sehende Mäd chen, das einem blinden Mann die Hand fürs Leben reicht, muß über eine gewisse Selbstlosigteit und Reife des Charakters Verfügen. Man tann darum die Beobachtung machen, daß in derartigen Eben der weibliche Theil oft älter ist als der männliche. Na mentlich für Blinde, die sich einem wissenschaftlichen oder künstlerischen Beruf widmen, sind solch hingebungs volle, mit Feingefühl und gesundem Verstand ausgerüstete Frauen schon oft ein großer Segen geworden. Ferner kommen Berheirathungen vor, wo der eine Theil blind, der an dere schwachsehend ist, oder es werden auch Ehen zwischen zwei vollständig Nichtsehenden geschlossen. Von rein menschlichem Standpunkt aus ist das durchaus begreiflich. Durch ähnliches oder gleiches Schicksal, oft noch durch gemeinsame Jugenderinnerungen süh len sich derartige Menschen zueinander hingezogen. Dazu mag häufig die instinktive, Befürchtung treten, den Hafen der Ehe sonst wohl ganz zu verfehlen, und so wird der verhängnißvolle Schritt gewagt, der in vielen Fällen aus praktischen Gründen besser nicht ge than werden sollte. Die Existenzfrage ist es, an der nur zu leicht das Glück der Blindenehen scheitert; die solcher Ehe entstammen den Kinder sind in der Regel sehend, denn die Blindheit pflegt nur dann fortzuerbem wenn sie bereits den El Iern angeboren war, nicht aber, wenn sie von ihnen erst im späteren Leben erworben wurde. Den geringsten Prozentsatz der Blindenehen bildet eine Verbindung zwischen einem se henden Mann und einem blinden Mädchen Wie oben gesagt, wird dein Nicht sehenden der Lebenslainpf oft dadurch sehr erschwert, daß die Menschen, mit denen er zu thun hat, häufig nicht wissen, wie sie ihm begegnen, wofiir sie ihn Und seine Leistungen nehmen sol len. So erkundigte sich beispielsweise einst eine Dame, als sie mich zum Sofa geführt hatte, im Ton ernstefter Besorgniß, ob ich auch bestimmt nicht herunterfallen würde, oder ob sie mich lieber festhalten solle. Andere Fra gen, wie die, ob der Blinde wirklich imstande fei, sich selbständig an- Und auszukleidem sich mit irgendetwas Nützlichem zu beschäftigen, sind so all W täglich, daß man schon gar nicht mehr darüber erstaunt, sondern sich eher wundert, wenn sie einmal ganz ans bleiben. Ein weiterer Umstand,X der ,.-dazu beträgt, das Urtheil über den Blinden zu trüben,-ist der, daß viele Vollsin nige geneigt sind, von einem Nicht sehenden, den sie zufällig kennen lern »ten, unbedingt auf alle andern zu schließen. War dieser eine nun un glücklicherweise schwachsmnig, so hal ten sie unwillkürlich jeden dafür; war er nach irgend einer Richtung hin un gewöhnlich begabt, so ist man höchlich erstaunt, wenn seine Schicksalsgenos sen es nicht in gleichem Maß sind. Jn dankenswerthester Weise suchen die Anstalten dem blinden Handwer ker die mannigfachen Schwierigkeiten dadurch zu erleichtern, dadß sie für den Vertrieb seiner Arbeiten Sorge tra gen, also gleichsam die Vermittlung zwischen ihm und dem laufenden Pu blium übernehmen. Jn verschiedenen größeren Städten Deutschlands sind zudiesem Zweck Werkstätten und Ver kaufsftellen errichtet, wo der einzelne Arbeit und Arbeitsmaterial findet. Doch gelingt es auch vielen blinden .Handwerkern, sich selbstständig einen Kundenkreis zu verschaffen und ihn durch eatte Bedienung festzuhalten. Auf dem Gebiet der Kunst ist es fast ausschließlich die Musik, die bier in Frage kommt. Bei der großen Liebe zur Musik, die in den Reihen Nicht sehender herrscht, ist es begreiflich, daß jene, die ein großes Talent in sich füh len oder zu fühlen glauben, deannsch hegen, sich kiinstlerifch auszubilden und mit ihrem Können an die Oeffentlich leit zu treten. Jst dieser Weg schon unter norma len Verhältnissen öfter eher ein Dor nen- als ein Triumphweg, so ist er fur den feinfühligen Nichtsehenden vol lends in der Regel mit de mannig fachsten Enttäuschungen Erniedri gungen verbunden. Au ier sind wie der die am glücklichsten, denen es ge lingt, eine feste Anstellung, z. B. als Organisten, zu erhalten, oder noch bes ser, denen es vergönnt ist, die Musik nur als hole Freundin, als schönen Schmuck ihres Lebens zu betrachten. Es muß nun noch die Frage erörtert werden, ob nnd inwieweit den Blinden die wissenschaftliche Laufbahn offen steht. Die Ausbildung auf diesem Ge biet ist für den des Augenlichtes Be raubten mit wesentlichen Hindernissen verknüpft, und was das wissenschaft liche Studium Lichtloser besonders er schwert und vertbeuert, ist die That sache, daß fast noch keine Lehrbiicher und wissenschaftliche Werke in der Punktschrift im Druck erschienen sind. Der studirende Blinde muß also viel Geld für Vorlesen ausgeben und sich eine erschreckende Anzahl von Büchern in sein Punltshstetn handschriftlich übertragen lassen. Wenn dennoch all diese Schwierig keiten sowohl von bemittelten wie un bemittelten Nichtsehenden mehr als einmal überwunden worden sind, so zeigt dies, über welche Energie, über welche Liebe zur « Sache sie verfügen müssen. Leider nur genügen diese anerken nenswerthen Faktoren meist nicht, das mühsam Erlernte praktisch zu verwer then. Meines Wissen-:- ist es in Deutschland noch keinem wissenschaft lich geblideten Nichtsehenden gelungen, eine angemessene feste Anstellung zu erhalten. Jene Blinden, die darauf angewiesen sind, ihre wissenschaftlichen Kenntnisse in Erwerb umzusetzen, ha ben dies bisher immer noch am besten vrmocht, indem sie als Schriftsteller thätig waren, Vorträge hielten oder Privatstunden ertheilen Noch sind die meisten geneigt, das Hauptunglück des Blinden darin zu erblicken, daß es ihm versagt ist, die vielen Herrlichkeiten der Welt durch den Gesichtssinn wahrzunehmen. Sie empfinden unbewußt im Sinn jener ergreifenden Klage, die Schiller im »Tell« seinem Melchthal in den Mund legt: »L, eine edle Hitnmelsgabe ist Tag- Licht des Auge-J --—— Alle Wesen leben Vom Lichte, jedes glückliche Geschöpf — Tie Pflanze selbst kehrt freudig sich zum Lichte. —--- —— — Sterben ist nichts —- doch leben nnd nicht selten Das- isr ein lingliickIY « Nun, dieses Todtsein fiir das ,,Gd·ttlichfte«, dieer Aus-geschlossen sein vom Licht ist nicht das Schwerste im Leben des von Jugend auf Blin den; für manches aus dieser glänzen den Licht- und Farbenwelt da drau ßen schafft er sich mit Hilfe feiner ge sunden Sinne Surrogatvorftellungen nach anderm ergreift ihn wohl gele gentlich eine leife, aber bald wieder verschwebende Sehnsucht, wie man sie etwa nach Märchenwundern empfin det. Er wird also die Welt des Lich tes und der Farben wenig entbehren, weil er sie nie besessen hat. Dagegen werden sich ihm sein ganzes Leben hindurch die Konsequenzen, die-Hemm nissse schmerzlich fühlbar machen, die sich aus seinem Nichtsehen ergeben: es wird ihm schwerer als andern gelin gen, Fuß zu fassen im biirgerlichen Leben, weil ihm eine beschränkte An zahl von Berufsarten und darunter nicht eben die lohnendsten offen stehen, weil er manche davon nur mit Hilfe fremder Augen ausführen kann, weil er, mit einem Wort, stets mehr oder minder abhängig bleibt von seinen fehenden Mitmenschen. Hier also liegt der Punkt, an dem jene einsetzen müs sen. denen es ernstlich darum zu thun ist, das Los der Blindenwelt zu er leichtern. Anna Pötfch.