Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, January 06, 1905, Sweiter Theil., Image 14

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    Merkenloses Gut.
Roman von warte Bernhard.
(14. Fortsetzung)
»Da ist-da ist —« begann der
ZU net endlich stockend, und es
war, als fiele ihm jedes einzige Wort
nur mühsam von den Lippen, ,,bei
essen Rodes also —da im Haus ver
rt ein Mädchen, eine gute Freundin
von dieser Elly oder wie sie sonst heißt,
und derentwegen ist es — derentwegen
usw« ich; daß du sie zusammen ein
laust —« —
»Wie heißt das junge Mädchen?«
fragte Kitty gespannt.
«Hanna Piotrorosky.«
·Ach!« rief der Baumeister, sich
vollends aufrichtend, »ist das die, die
du an jenem Rode’schen Gesellschafts
abend Melusine getauft hast?«
«Scheußliches Klatschnest, das
anze München!« Mit unwilligem
achdruck stellte Prosestor Cotta das
schillernde Gläschen aus das Bord
brett zurück. »Getauft! Jst mir nicht
eingefallen! Sie hat so aus-gesehen . .
sie-iist—-die einzige gewesen, die nicht in
solch geschmacklosem uniformirten Ge
häuse gesteckt hat, sondern in einem
in freien Falten fließenden Kleid —
und das hab’ ich ausgesprochen, dum
merweisel Wenn das gleich kolportirt
wirdj Woher hast du denn das?«
»Nu, friß mich nicht gleich auf,
Wills« lachte Richard gemüthlich.
»Der lleine Maxi Rode hat mir’s er
zählt-der verehrt dich ja blindwii
thig, dem ist jedes Wort hochwichtig,
was dir vom Munde geht —'«
»Der kleine Maxi ist ein altes
Waschweih mitsammt seiner Vereh
rungtWenn er den Schnabel zu nichts
Besserem austhut —«
»Ach, nun laßt doch den Maxi!«
ries die junge Frau interessirt dazwi
schen. »Das Mädchen ist ja tausend
mal wichtiger! Jst sie denn schön?«
»N:—nein! Das ist zu viel gesagt!«
»Hu-sahe
»Das ist zu wenig gesagt!«
.»Gesiillt dir ihr Wesen besonders
gut?«
»Liebe Kitty, ich hah’ noch kein
Wort mit ihr gesprochen —- ich tenne
sie nicht! Eben dazu sollst du mir
verhelfen! Zu diesen Rades gehen
und mich von all dem dummen, gleich
gültigen und neugierigen Gesindel be
gafsen lassen, das mag ich nicht, das
thu' ich nicht! Hier bei euch läßt sich
das viel zwangloser einrichten!«
»Ja, aber wie soll ich eg- anfangen,
ein wildsremdes Mädchen, das wir
noch nie gesehen haben, Richard und
ich, zu uns ins Haus zu bitten? Jch
kann nicht mal sagen, daß ich Elly
Rade kenne — um wie viel weniger
diese Freundin . . .«
»Ach, einerlei! Das mach’ wie du
willst-Was bleibt dir überlassen! Jhr
Damen seid heillos sindig und geläu
fig aus solche Geschichten, das weiß
ich! « Dir wird schon etwas einsallen
—--th« ein Wille ist, da ist auch ein
s
WFitth sah ihren Gemahl rathlos an.
Dieser zwinterte ihr hinter Willsrieds
Böcken vergnügt und psissig zu, als ob
er sagen wollte: .«Merkst du etwas?
So ganz zum Heirathstandidaten
cheint mir mein Eber Bruder denn
nicht verdorben zu sein . . . woher
sonst mit einem Mal sein Verlangen,
em junges Mädchen kennen zu lernen
—er, der immer be auptet hat, junge
Mädchen seien das adeste, Langwei
lässt, was es auf ottes Welt gebe,
r ihn existirten nur Frauen?
ssitth verstand ihren Mann sehr gut,
aber ihren Schwager verstand sie ganz
W nicht. Jn heimlichem Schuld
hemi tsein senkte sie die Wimpern-—
ihr usspruch fiel ihr ein, daß sie die
Mann siir Die Ehe ausgebe, und
ein so grundsatzloser Mensch sür
M fheiligte Jnsiitut auch viel zu
schiech wäret
Bielleicht aber dachte er an gar
teine«Ehe-wollte nur slirten, sich
amiisiren! Das mußte sie gleich er
gründent
»Ich muß vorerst wissen« —- sie
stellte sich dicht vor den Schwager hin
und feste eine sehr würdevolle Miene
auf —»ob du überhaupt ernste Ab
sichten hast!«
»Ernste Ab ——— um Himmels
willenl« Cotta wehrte mit beiden
Händen ab. »Sieh doch nur nicht
gleich so feierlich und standesamtlich
drein, Kitty, als wenn du den Segen
über mich und meine Zukünftige zu
sprechen hättest! Noch is’s gar keine
Zukünftige und wer weiß, ob es eine
wird! Jch sagte dir ja schon: ich tenne
das Mädchen überhaupt noch nicht,
dazu Eli du mir erst verhelfen!«
»D! wenn sie nun deinen Erwar
tungen nicht entspricht, und du spielst
nur mit ihr und bringst sie ins Ge
eede——entschuldige, lieber Will, aber
da u Zuschte ich mein Haus nicht her
s n.«
zsek redet denn davon? Brauch’
nicht so große Worte, sei nicht so
amatisch. Kind! Jst ja nicht
» daß H ter auf eurer Privat
« « " e te abspielt . . .«
-« »si! hat techti Du nimmst dk
" - ;- u schwer, SchaderlP
«- « zott- ein;
j . er mußte
Eis-zi
, l - tot-it kamen die zwei
Wien immer sieht aus
einander, und es wurde aus der gan
zen Sache, die wahrscheinlich nur ein
schüchterner Ansatz war, nichts! »Wenn
einem ein Mädel von Angesicht gefällt,
und manmiicht’ es kennen lernen Es
das verpflichtet doch noch zu nichts!
An wen soll sich Will denn wenden,
als an uns, wenn es gilt. ihn mit
der jungen Dame zusammenzufiihren?
Das kann alles ganz harmlos eingefü
belt werden, so daß ihr keine Ahnung
kommt, der Will wünsche sie sich näher
anzuschauen! Wir lassen einfach bei
uns tanzen, ich sag’ dem Maxi Rode
gelegentlich, es mangelt uns an jun
gen Mädchen, ob er uns seine Schwe
ster nicht zuführen könnt’ —- man
trifft einander zuvor im Cafe Quil
pold oder im Ratbskeller gemüthlich,
und besagte Freundin ist auch dabei . . .
laß du mich nur machen! Das findet
sich alles!«
»Brav, alter Dick! Du bist mein
Mann! Zeigst Verständniß für die
Situation, sollft schön bedankt sein!«
Der Bildhauer schlug dem Bruder zu
s:immend auf die Schulter. »’s ist ja
die ganze Geschichte noch Zukunfts
musit, und ich besinn’ mich sicher noch
zwanzigmal anders —- ’s ist auch gar
nicht, weil mit dies Möbel so ganz
besonders gefällt —«
»Auch das nicht einmal?«' Kiith
schlug die Hände zusammen. »Ja —
was ist es denn sonst?«
Willfried wurde der Antwort liber
hoben, denn Resi, das Kindsmädchen,
steckte den Kop zur Thiir herein und
meldete in verz gtem Ton:
»Ena« Frau. der Friedel ist gar so
viel ungezogen! Die ganze Stub’n
hat er beim Baden mit Wasser voll
geplantscht — und jetzt niöcht’ er nicht
’naus aus der Wannen und folgt mir
nimmer. Jch tann nichts richten mit
ihm.«
Wie ein Weil war Kitth zur Thür
hinaus. Eine kleine Weile schwiegen
die· Männer.
»Hanna Piotrowsiy!« sagte endlich
der Baumeisier halblaut vor sich hin.
»Kenn’ ich gar nicht! Hab’ den Na
men noch nie gehört vor jenem Melu
sinen-Vergleich!«
»Vielleicht Hanna Schmidt!« be
tonte der Professor.
»Noch schlimmer! Schmidt kann
jeder heißen, was will Schmidt besa
gen? Gar kein Name, bloß ein Laut!
Warum aber hat sie denn die Wahl
zwischen zwei Namen?"
Der Künstler seufzte ungeduldig.
»Das ist eine seltsame Geschichte,
mit der ich mich in meinen Gedanken
schon genug abgebe . . . soll ich sie
dir auch noch haarklein erzählen?
Jch möchte nicht gern, DickieL Du
wirst das nicht übelnehmen; Mißtrauen
ist’s nicht von mir, wir haben ja im
mer alles redlich getheilt, wenn wir
beisammen waren. Nenn’s Bequem
lichkeit — Scheu, was du sonst willst!
Zudem möcht’ ich gern, daß du den
unbefangenen Eindruck empfängst —
ich will wissen, ob du das wahrnimmst,
was ich wahrgenommen hab’ . . . aber
das versteht sich von selbst, ist eigent
lich gar nit anders möglich! Du mußt
nur, wenn du sie stehst, kein Staunen,
keinen Schreck verrathen . . .«
»Lieber Will, sie wird doch kein
Medusenantlih haben!«
»Nein — das hat sie nicht!«
12.
AusHannasTagebuch
Jch habe mich gefürchtet, in letzter
Zeit in dies Buch zu schreiben — ja,
gefürchtet! Ob ich auch ganz genau
weiß, kein Mensch aus Gottes Welt
bekommt C jemals zu sehen, und es
ist alles nur für mich da . vor ntki
selbst schäme und fürchte ich mich! So,
als ob jemand eine schwere Krankheit
hat, von der er weiß, sie hat ihn total
verändert und hat nun Furcht, in den
Spiegel zu sehen» ;
Und wieder kommen Stunden, da
bin ich glücklich, überglücklich, daß ich
das fühlen und empfinden kann, da
komme ich mir so reich vor—gleich
darauf wieder bettelarm! Was das
für wechselvolle Stimmungen in mir
sind! Die habe ich früher nicht ge
kannt — aber bin ich denn auch die
selbe anna noch, die« ich sonst war?
Au dem Ball bei Rodes fing es
an! Gott, ich weiß es ja, ich habe
nichts in meiner Erscheinung, in mei
nem Wesen, was fremde Leute fesseln
oder frappiren könnte, obgleich ich we
der häßlich noch dumm bin —- und daß
ich einem so berühmten Künstler-, der
tausend Schönheiten gesehen und stu
diert hat, irgendwie auffallen könnte,
das kam mir schon nie in den Sinn!
Aber nun hatte ich die neue, aparte
Toilette, auf die ich so stolz war, und
die hatte er denn auch richtig bemerkt
und tte gesagt, ich sähe wie eine
Melu ine aus. Wie mich das glücklich
machte, wie ich mich beherrschen mußte,
nichts von diesem Glück zu zeigen!
Aber das war auch alles, blieb alles
den ganzen Abend hindurch! Jch
wurde i m vorgestellt, wie die anderen,
er hat ch vor mir verneigt wie vor
den« anderen. hat mich sehr scharf und
grinst-d angesehen, wie das sicher
berhaupt seine Art ist, und hat kein
Wort mit «mir gesprochen. Es war
gein kindisch von mir, daß ich da
ran gerechnet hatte, aber ich war ent
feglich enttiiufchtt Ich bin unter
T ränen eingeschlafen, trotzdem ich
eine fehr begehrte Tänzerin war und
viel Beifall fand, nnd trotzdem er we
der ein junger, noch ein schöner Mann
ist, wie Elly ganz richtig sagte. Ich
wurde gar nicht aus mir klug-, und ob
diese Thränen aus verletzter Eitelkeit
flossen... das wäre zu thöricht ge
wesen, ich bin fo fehr auf meiner Hut
davor!
Dann folgte eine ganze Zeit,. in der
nichts geschah, nichts wenigstens,was
. auf W. C. Bezug hattet Jch gab meine
iLeltionen nnd pflegte meine liebe,
! arme Mutti, die wieder einen fo bösen
lslnfall hatte, mit Herzkriimpfen und
Ohnmachtem Es ift geradezu schreck
lich anzufehen -— helfen kann man
nur wenig und möchte es doch fo
fgerni Wodurch Mutti fich dieer be
E fondeks schweren Anfall zugezogen
; hatte, das weiß ich nicht — Papa war
; ganz außer sich, unfer Hausarzt auch.
fund meine liebe Kranke hat sich fehr
flangsam erholt, es wollte gar nicht
l werden! anwifchen habe ich Theater
;befucht, auch ein paar Gefellfchaften,
; Mutti wollte es durchaus haben; am
; liebften aber hab’ ich in meinem Stäb
jchen gesessen und Kunstgefchichte und
fArchäologie gelernt —- wirilich ge
)lernt, so daß ich etwas davon profi
;tirte. Für mein Stundengeld hab’
; ich mir gute Bücher getauft, und im
s mer hatte ich das turiose Gefühl, wenn
s ich so ganz allein für mich adsaß und
lernte und las, daß ich W. C. auf diese
Weise näher käme, ob leich er nichts
l von mir wußte und wi en wollte, und
obgleich ich ihn nie mehr sah. Elly
konnte auch nichts von ihm sagen,.er
ist nicht mehr zu Rodes ins Haus ge
kommen, nurchätaxi hat ihn dann und
wann gefpro , aber Elly erzählte
mir nichts Näheres, und ich hütete
mich wohl, sie zu fragen. Sie ist so
fort mit anzüglichen Redensarten und
mit Neckereien bei der Hand, und in
diesem Fall könnte ich das gar nicht
aushalten —ich glaube, ich schämte
mich todt!
Uebrigens ist Elly nachgerade für
nichts anderes zu haben, als nur für
ihren Oberleutnant. Halbwegs hat
sie Onlel Arthur o. Meding herum
betommen, aber in Ordnung ist die
Sache noch immer nicht. Wie sie so
entzückt von diesem Menschen sein
kann — oder ist es seine Uniform, die
sie so in Elstase versetzt? Mit solch
einem Mann könnte ich getrost auf
einer wüsten Insel zusammen sitzen-—
ich würde ungerührt bleiben!
Vor einigen Tagen war ich mit
Rodes in der Oper, wir sahen »Die
IZauberflöte«, es war wunderschön.
Es war verabredet worden, daß wir
dann noch in den »Vier Jahreszeiten«
soupiren wollten, Rodeg sollten mich
heimhringen, Maxi hate sich mitWonne
dazu angeboten. Jch muß sagen, ich
ging eigentlich ungern —- nicht die
Oper meine ich, die liebe ich sehr . .·
aber diese Zusammenliinfte mit Rodes
sind nicht mein Geschmack. Elly ist bei
solchen Gelegenheiten immer besonders
laut und kotett, zumal wenn Herr v.
Meding nicht dabei ist« Sie wünscht,
aller Blicke auf sich zu ziehen —was
sie spricht, ist für’s Publikum be
stimmt, und Maxi mit seinen Freun
den, die tehren dann auch so recht ab
sichtlich ihre freieste, ungebundenste
Manier heraus. Das alles nenne ich
einfach schlechten Ton, und weil ich
mich oft schon bei derartigen Soupers
unbehaglich gefühlt hatte, so än stigte
ich mich auch diesmal ein wenig vor,
zumal es in der Oper so schön war,
und die köstliche, thaufri che Musik
mich in eine recht gehobene timmung
versetzt hatte. hätte ich wissen tön
nen.
Jn den »Wer ahreszeiten«« war ein
kleiner Salon be tellt worden, den wir
schon des öfteren gehabt haben — und
wie wir über die Schwelle treten, thut
Maxi einen freudigen Ausruf und
stürzt auf einen Herrn los, der beim
Fenster steht — und mir eht der
Schreck durch und durch, ich ab' ihn
gleich auf der Stelle erkannt, obwohl
ei mir fast den Rücken zutehrte.
Natürlich große Freude allerseits
und große Vorstellungscour — ich
mitten darunter. Kaum wagte ich es,
ihn anzusehen, weil ich dachte, er tönne
meine Verwirrung vom Gesicht ab
lesen; er hat ja einen Blick, der alles
sieht! Wie er meinen Namen hörte.
—-«
sagte er nur: »Ich erinnere michs« s
Aber wie er das sagte, und daß er es J
überhaupt sagte, machte mich innerlich i
ganz stolz und froh! Wer bin ich, wer
ist Hanna Piotrowth, daß ein Mann, I
ein Künstler, wie Willfried Cotta, sich
ihrer erinnern sollte?
Als wir uns an die gedeckte Tafel
setzten, war mein Platz zu Anfang
ziemlich weit von dem seinen entfernt,
aber dann —- ich weiß wirklich nicht
j zu sagen, wie es kam —- turzum, es
gab einen kleinen Ausstand, und mit
einem Mal saß ich neben ihm. Mir
zitterten die Kniee, als ich das wahr
" nahm; ich dachte immer nur zwei Ge
danken. Der eine war: was ist das
nur-was ist das nur in dir, daß
du so namenlos aufgeregt bist? Der
zweite: nimm dich mit aller Gewalt
zusammen; damit er um Gottes willen
nicht aznh wie dir zu Muthe iftl
ch offe, letzteres ist mir einiger
ma n lungeni" Durch meine liebe,
lranie utti, in deren Gegenwart ich
mich hundertmal zusammennehmen
muß, better scheinen, wenn ich es nicht
bin, reden müssen, wenn ich lieber
sgweigen möchte —- durch sie also bin
i an Selbstbeherrschung gewöhnt;
an erdem schwatzten und lachten die
an n, Elly an der Spiyh so viel
und zogen ihn derartig in die Unter
haltung hinein, daß mich niemand be
achtete —er auch nicht!
Bis er ßch ganz plötzlich, als gerade
allgemeines Gelächter über einen neuen
Witz aus der »Jugend« war, den
Maxi sehr drollig vortrag, zu mir
herumwendete, mir geradezu in die
Augens ah und halblaut zu mir sagte:
»Nun, mein Fräulein, woran denken
Sie?«
Und ich, ohne eine Setunde zu zö
gern, antwortete ihm:
»Ich denke an Jhr »Gewissen«!«
Es war die Wahrheit, denn eben
hate ich im Geist vor der Statue ge
standen nnd mit den überwältigenden
Eindruck vergegenwärtigt, den sie auf
mich hervorbrachte.
Jhn schien die Antwort aber sehr zu
frappiren, er legte sie sich wohl anders
aus, denn er stutzte und sah mich mit
einem merkwürdigen Blick an — flam
mend lann ich nur sagen, trotzdem ich
den Ausspruch »flammende Augen«
bisher nie leiden konnte, auch nie zus
tressend fand—dann sagte er lang
sam: »An mein Gewissen? Wie kom
men Sie darauf? Achs o« —- sich rasch
besinteiend —- ,,Sie meinen das Bild
wert «
»Natürlich! Was sollte ich sonst
meinen?« gab ich etwas eingeschiichtert
zurück.
»Das hat Jhnen gut gefallen?«
»Nein—das hat mich verfolgt und
gequält und —- und —« ich wußte
nicht zu schildern, wie es mich gepaelt
hattet
»Aber wie kann ein so junges Fräu
lein wie Sie sich schon quälen lassen
von einem plastischen Kunstwertt Jch
möchte fragen: haben Sie überhaupt
schon einGewissen?«
»Schließt denn die Jugend Reue
und Selbstquiilerei aus? Gerade wenn
man jung ist, empfindet man lebhaf
ter, heißer! Orest wird doch auch auf
tsIerll Bühne als junger Mann darge
te t —- «
»Mit dem werden Sie sich hoffent
lich nicht vergleichen wollen!«
Es tam spöttisch heraus und war
wohlverdient, wer hieß mich auch, eine
so überschwengliche Parallele zwischen
mir und einein Muttermörder ziehen?
Jch fühlte, daß ich roth wurde, und
dachte: sage nur vorläufig gar nichts
—es" kommt doch nur wieder eine
Dummheit zustande
Auch wurde mir für’s erste keine
Gelegenheit, weiterzusprechen, denn der
Professor wurde von verschiedenen
Seiten in Anspruch genommen. Maxi
hatte mir erzählt, Cotta tönne sehr
gewandt und beredt sein, wenn er
wolle . .. und vorgestern Abend wollte
er das entscheiden. Sie waren alle
Feuer und Flamme fiir ihn, Ellhs
Mutter sagte ganz laut, er sei ent
zückend, und Elly, die mir gegeniiber
saß, fliisterte ihrem Oberleutnant
hinter ihrem Fächer so deutlich zu, daß
ich jedes Wort verstand: »Jetzt versteh
ich die verrückte polnische Gräfin und
die vielen« anderen Frauen, die so
topflog fiir ihn schwärmen, sehr gut
Wenn der Mensch will, tann er die
Herzen im Sturm nehmen!«
Ganz erschrocken sah ich von der
Seite zu ihm empor —- ionnte er das
Geflüster auch gehört haben? Nein
—er trant gerade Herrn Rodes Cou
sine zu, einer· gescheiten älteren Dame,
die links hinüber saß; aber ich fühlte,
wie sich mein rz bei Ellys Worten
wie in einem rampf zusammenzog.
Mein Gott . .. hatte er denn mein
Herz nicht auch schon im Sturm ge
nommen und hatte noch gar nichts da
zu gethan?
Es dauerte nicht lange, da wandte
er sich doch wieder zu mir.
»So schweigsam, gnädiges Fräu
leinf Sie sind böse auf mich, wie?«
»Ach nein!« versetzte ich tleinlaut.
»Ich weiß ganz gut, daß es eine
Dummheit war, die ich zuvor aus
iptoch.« «
»Ga: keine Dummheit — nur eine
starte Uebertreibungt Aber es ist das
Recht der Jugend, die großen Worte
als ihr spezielles Eigenthum in An
spruch zu nehmen! Sind Sie immer
so tehrlich gegen sich selbst wie eben
e «
»Ich möchte schon —- aber immer
geht es nicht. Man redet sich oft un
bewußt und gegen den eigenen Willen
etwas vor, und hinterher —«
»Ja, ja, tenne ich — kenne ich!.
Au
Aber ich warne Sie: nur nicht zu ;
scharf vorgehen mit der Selbstbeobach
tung und Selbstdiöziplinl Man ver
tiimmert sich damit oft eine ganze
Men ·e Freudent«
rne anze Menge?« warf ich
zweifelnd e n.
»Gewiß! Haben Sie die nicht? Jch
habet«
»Ja — Sie! Sie sind ein großer
Künstler, ein berühmter Mann! Pro
duktiv fein —— schaffen aus dem Vollen
heraus —- Ruhm und Anerkennung
ernten —- frei und ungebunden fein
—- lehen tönnen, wo und wie es Jhnen
gefällt... das ift schon ein reiches
Dafeinl Aber wer von uns Alltags
ntenfchen hat dass Wer ohne ein be
sonderes Talent ift ——«
»Haben Sie keins? Gar leins?«
forschte er.
! »O ja —sie hatt« Ellh mußte die
; letzten Worte gehört haben und mischte
;stch nun in die Unterhaltun . »Glau
jhen Sie ihr nicht, Herr Professor!
lMeine Freundin liebt es, ihr Li t
, unter den Scheffel zu stellen! Sie zeig
net fehr hübsch, hat ein großes n
teresse für die Kunst, treibt ei rig
Archäologie und hat ging ungewöhn
liche Kenntniffe darin. ie tellt aber
fo hohe Anforderun en an ich felbft,
daß fee es verschmä t, Malftunden zu
nehmen, i r Talent ausbilden zu leg
sen, weil re doch nicht Böcklin glet -
tommen kannt«
Jch ärgerte mich im stillen, die an
deren lachten, aber Cotta blieb ernst.
»Wie steht es denn damit?« fragte
er nach einer kleinen Weile.
»Es ist etwas Wahres darunt« gab
ich zu. »Natürlich nicht das mit Böck
lini Aber ich fühle, ich würde nie
etwas wirklich Ungewöhnliches errei
chen — und bloß das Allergewöhn
lichste, das sieisten schon Tausende. . .
warum ich auch noch?«
»Hm! Jch möchte wohl sehen, was
Sie tönnenl Darf ichs«
»Ach, um Gottes willenl« Jch war
bis ins Herz hinein erschrocken. »Es
kann Jhnen keinen Eindruck machen,
und Sie halten sich dann aus Höflich
teit frii verpflichtet, zu loben —«
»Niemals!« Lebhaft verneinte er
mit Hand und Stimme. ,,Wo meine
Kunst ins Spiel kommt, versagt mir
die Höflichkeit ———es sei, gegen wen es
wolle! Wenn ich Jhnen feierlich ver
spreche, ein ganz unbestechlicher Richter
zu sein ——«
(Fortsetzung solgt.)
——«-—
Der Hügel mit dem Apfelbaum
Die Erstiirmuna vder Putilow’schen
Bergluppe in der Schlacht am Schaho
wird, wie wir aus der St. Vetersbur
Akt ZEIUUA ersehen. von einem Au
genzeugen P. Krasinow im Ruiiki Jn
valid wie iolat beschrieben:
»Der Zügel mit dein einzelnen
Apfelbaum fällt steil zum Schabo ab.
Unterhalb des lehmigen Absturzes ist
eine Furt. Das linke Ufer ist sandig,
das rechte steil abfallend, beide sind
mit niedrigem Weidengebiisch bestan
den. Dem Hügel gerade gegenüber
liegt in Gärten und Anlagen versteckt
das Dorf Sachotun. Hier hatte sich
bis ziim Abend eine Abtheilung des
General Nowikow gehalten und hier
versammelten sich die Nysloter, Wil
mansirander und Petrowster zur Ent
scheidungs-Attacke aus deii blutge
träntten Hügel. Beim Einbruch der
Nacht sollte General Piitilow mit dem
17., 18., 19. und 20. Regiment der
5. Ostsibirischen Schützendivisiom mit
Theilen der 22. Jnsanterie-Division
und 24 Bataillonen den Feind er
drücken und den Hügel besessen.
Die Nacht ist hereingebrochen. Wohl
war es erst 7 Uhr Abends, aber das
Licht des Halbmonds versilberte schon
die Erde und zitterte auf den Kräusek
wellen des stillen Flusses-. Da schrit
ten die Schützen in langer dünner
Kette zum Fluß. Boran gingen das
19. und 20. Schützen-Regiinent, ihnen
folgten rechts die Nysloter, Wilman
strander iind Petrowsler.
Kaum waren sie in das durchsichtige
Wäldchen eingetreten, da ertönte nicht
verstummendes Geknatier, und die
Menschen begannen hier und da zu
fallen. Da setzt sich plöylich ein Schütze
schwer zu Boden, zieht hastig einen
Stiefel vom Fuß und beginnt die blu
tigen Fußlappen abzuwicletn . . . »Sit,
sssit, iii!" wer kann alle die Töne der
sausenden Kugeln ausfangen und fest
halten! Zweige fallen, von den Kugeln
abgeschlagen, der Sandboden wird
aufgewirbelt, Menschen stürzen . . .
aber die anderen gehen immer vor
wärts. Sie schleichen durch das nie
drige Gebüsch. und der Mond glänzt
aus den schwankenden Zweigen und
aus den scharf blitzenden Bajonetten.
Sie kriechen das steil absallende User
hinunter und gehen ins Wasser; sie
laufen, sich zu dunklen Massen verei
nigend und wieder zerstreuend, auf
das niedrige sandige Ufer. Hier kann
man, an die steile Böschung des Ber
ges geschmiegt, ein wenig ausruhen.
Die Herzen llopsen und hämmern,
daß einer die Herzschläge des anderen
zu hören glaubt. Jmmer häufiger
fallen Leute, aber man sieht nicht da
rauf. Sie laufen weiter und weiter,
entgegen dem eifrigen Getnatter der
blind drauflos schießenden linten.
Sie laufen zum Bajonettiamp !
»Aus die Batteriel Hur-rat«
Das ist kein hurra. Das ist das
wilde heisere Geschrei von Wesen, die
aufgehört haben, Menschen zu sein.
»Auf die Vatteriet —- Los!——- Halt!
——.hurra!'« schreien die Schützen. Vo
ran ein junger Kapitiim Er ist am
Fuß verwundet, aber er bemerkt es
nicht, und läuft, von seinen Soldaten
gefolgt, den Berg hinab.
—
Wie eine Schaar erschreckter Sper
linge ist die Bedienung der japanischen
Kanonen auseinander gesioben und
nur der Offizier ist auf seinem Posten
geblieben. Von mehreren Bajonnett
stichen durchbohrt liegt er am Boden.
Die Lawine der Schützen wälzt sich
weiter; scharfe Salven folgen den ah
ziehenden Japaner-n.
« Rechts führt der Dherstleutnant des
» Generalstabs Sapolsti in einer grauen
hohen Papacha und ausgetniipftem
»Paletot, das Georgstreuz auf der
Brust, eine Rotte des Petrowstischen
Regiments. Er ist der Chef des Sta
bes dieses Regiments, aber er ist
Georgsritter und die Kampfesluft hat s
ihn gepackt. An der Spitze seiners
Rotte stürzt er auf die andere Bat-l
terie. l
Jlintenschiisse, Salven, Schreien,
Stöhnen, dumpfes Fallen und Ge
trampel —- ein wildes, schweres Ge
töse. Die Japaner fliehen und die
Seit-jähen sehen ihnen immer weiter
na .
»Sieg!« a·gten sich diese gequälte-il
hergen. ,, regi« wiederholten dies
Verwundeten, an den niedrigen frem
den Gebirg efchiihen und den Feld-l
kanonen an hohen Rädern vorbei-I
sehend. »Siegl« murmelten dieSter-«"
tenden, ihren leiten Blick zum fters
nentlaren himmel emporrichtend; und
ihr Tod war still und ruhig.
Sechs unlädirte Feldge chiitze, fürs«
liefchiidigte GebirgssKanonen und ein
Maschinengewehr waren nommen «
Wie lange hat die Atta e gedauertf
Einige Minuten oder Stunden? Wer
ift verwundet, wer todt? Wer tann
das sagen. Da weit hinter der Berg
luppe richten sich die Helden ein und
graben in lautlofer Stille Schanzen.
unt sich auf der genommenen Position
festzusetzen Die Flinten mit den blu
tigen Bajonetten find friedlich zufam
mengeftellt.
Jch ritt beim Niedergang des Mon
des über dies Gefilde des Todes. Die
Sanitiitstruppen arbeiteten im Halb
duntel und es ertönte Stöhnen und
Flehen... Der Mond befchien alle
möglichen Dinge, die am Boden herum
lagen, und mein ängstliches Pferd
fchnaufte und scheute. Das Schießen
hatte noch nicht gänzlich aufgehört und
zuweilen pfiff mir eine einzelne Kugel
iiber den Kopf weg.
Auf dem rechten Ufer des Flusses
un Dorfe Schahotun bemerkte man
schon Anzeichen, daß es ein ernster
Kampf gewesen sei. Auf den koch
gen Straßen des Dorfes lagen die
stöhlernen Stücke japanischer Schran
nells, mit denen der Feind das Dorf
über-schüttet hatte. Hinter dem Dorfe
lag ein todter Chinese, der untere
Theil des Gesichts war ihm abgeris
sen; schrecklich la er da mit dem
scheinbar kleinen opf und den flet
schenden Oberzähnen. Je weiter ich
ritt, desto deutlicher gab sich das
Schlachtfeld zu erkennen. Jm Wäld
chen hinter dern Dorf und bei der
Furt lagen Flinten, Patronentaschen,
Stiefel umher; dort ein blutgeträntter
Lappen, Hemden, in der Verzweiflung
riom Leilie gerissen, noch dunkel vom
frischen Blut, Unisormen... Das
hohe sandige Ufer ist von vielenFüszen
zertrampelt und der Absturz zum
Wasser zeigt die Spuren der herab
geglittenen Soldaten. Ueber-all Un
ordnung;«iiberall Kampf. Das Ge
büsch ist zu Boden gedrückt und der
schläfrige Fluß wälzt seine unschuldi
gen ruhigen Wogen, im Mondlicht
glitzernd, zwischen Leichen hin.
An einem Ufer muß ich absteigen.
Zu Fuß ist es noch furchtbarer, den
stillen Hügel hinabzusteigen Schon
von weitem lentt ein unregelniiisziges
dunkles Beet die Blicke auf sich. Es
scheint als wenn der Mond mit be
sonderer Aufmertsamteit sein mildes
Licht darauf ausgiesze. Jch will nicht
hinsehen — und starre darauf; ich will
nicht weitergehen — und tlettere auf
allen Vieren mit Mühe vorwärts
Oben ist Gras und Kaijan durch den
Kampf von Hunderten niedergetram
drit. Wie schwer, wie grausig ist es
hier!
Jetzt schweift der Blick über die
Blutlachen und die herumliegenden
Sachen weg und hastet auf den Kör
pern der Gefallenen und tann sich
lange nicht losreißen von diesen thea
ren Todten.
Da, dieser junge Wälmanstrander,
in schwarzer Uniform mit blauen
Achseltlappen, liegt aus dem Rücken
am Bergabhang. Die hellt-lauen Au
gen im tiefer liegenden Kopf glänzen
itn Mondlicht und scheinen in weite
Fernen zu starren. Die Linte hat er
zur blutiiberstrdmten Brust gehoben
Mertwiirdig ist diese halbgeösfnete
Hand in ihrer Unbeweglichkeit und
todten Ruhe.... Etwas tiefer liegt
ein alter Reservist des Nyslotischen
Negimentes auf dem Rücken, die Arme
ausgebreitet. Der nächtliche Wind
bewegt seinen Bart und läßt Schat
ten auf seinem Gesicht spielen; es
scheint, als wenn das todte weiße
Gesicht sich bewege. Und da weiter,
wo das unregelmäßige Beet schon von
weitem meine Blicke anzog, lie n
anze Garben von Todten. Die n
loter und Wilmanstrander sind hier,
tvie sie in Reih und Glied ausriickten,
von einer erfolgreichen Salve nieder
gemiiht, in schrecklichen Stellungen
liegengeblieben. Die Augen der mei
sten sind offen, als wenn sie im Mo
ment des Todes den Feind hätten er
kennen wollen, ob er nicht schon er
zitterte und zu flehen beginne. Da
liegen in enier Reihe nicht weniger
als dreißig.
Da sitzt ein Feldioebel, den Kopf
nnnatürlich zurückgeworsen. Ihm zu
üszen liegt ein Soldat aus dem Ge
rcht; seine weißen Hände umklammern
die Flintr. Blaue und rothe Achsel
tlappen in buntem Durcheinander
Die einen haben ihren Kon in die
Erde gesteckt, die anderen hoch empor
gehoben und den Mund ausgerissen.
Etwas zur Seite ein noch qualvolleres
Bild — fiins halbentblößte Leichen
Der tödtlich Verlvundete reißt sich die
Uniform, die Hosen vom Leibe, um
die zerschmetterten Beine,-den durch
schossenenLeib zu verbinden. So ist
einer mit angezogenen, halbentlleide
ten Beinen erstarrt.
Auf dem Gipfel der Bergtuppe, un
ter dem Baume, ist Niemand zu sehen.
Aber aus dem südlichen Abhang liegen
Schützen und Japaner; einige von ih
nen stöhnen noch und murmeln unver
ständliche Worte. Die gelbgezeichne
ten Mühen, die blauen Hosen mit
rothen Lampassen und die weißen
haflbsiiesel tauchen immer» zahlreicher
au .
Der Mond war untergegangen und
dunlle Nacht hatte sich über die Erde
gebreitet, als ich von diesem bit el
»zutilckr»itt —- erschiittett durch den Len
blict eines Schlachtfeldes gleich n
ldem Kampfe, den ich zum erstens-F
vor Augen gehabt hatte.« .