Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, January 06, 1905, Sweiter Theil., Image 12

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    W
Die Obdnktioin
—
sin- vcrinnerung von Ludwig
« Ehodziesner.
Es war vor zwanzig Jahren im
herbst.
Da sasz in der Amtsstube des könig
lichen Amtsgerichts zu Schwachenha
gen der alte Rath Humhert an seinem
langen, mit grünem Tuche ausgeschla
äenen Tische und ihm gegenüber sein
eserendarius, der sich noch in den
liäterwochen des Referendariats be
an .
Die ältesten und dicksten Aktenstücke
waren diesem jungen Juristen gerade
die liebsten, weil er mit solcher ehr
würdigen Bürde unter dem Arm
sicherlich einen tiefen Eindruck auf die
jungen Damen des Städtchens machen
mußte.
Beide arbeiteten eifrig ihr Dezernat.
Nur hin und wieder blickte der Refe
rendar voll Sehnsucht auf das gegen
über liegende Haus« ob sich die blau
äugige Hedwix des stattlichen Posthal
get-; rosiges öchterlein, nicht sehen
re .
Sein Bemühen war jedoch vergeb
lich; das Mädchen hatte heute entweder
keine Zeit oder keine Lust, mit der Ju
stiz schmachtende Blicke zu tauschen.
Es war bereits spät am Nachmit
tage, als der Gerichtsdiener in das
Zimmer trat und dem Herrn Rath
einen dicken Eilbrief der königlichen
Staatsanwaltschast überreichte. Der
Gerichtsbote Wacker, oder, wie er sich
gern nennen hörte, der »Herr Nun
tius«, trug eine suchsige Perriicke und
einen kriegerischen Schnurrbart von
ähnlicher Farbe. Auf der unteren
"lste der kräftigen, zart gerötheten
ase ruhte eine Hornbrille mit großen
runden Gläsern, über die Wacker be
ständig hinweg sah.
Unter diesem strengen Aeutzeren
barg sich aber ein weiches, menschen
freundliches Herz. Wacker schloß auf
dem Korridor in einer Woche mehr
Vergleiche, als mancher Schiedsmann
in einem ganzen Jahre. Die Einge
weihten nannten ihn deshalb den Frie
densengeL Fragte ihn ein Verurtheil
der vertraulich, ob es denn gegen das
Erkenntniß kein Rechtsmittel gäbe, so
erwiderte er: »Jawohl, die Berufung,
aber sie hilft nichts.«
. »Wacker!« sagte der Rath, nachdem
er den Brief gelesen hatte. »Bestellen
Sie uns beim Fuhrmann Wenzel fiir
morgen Früh um Sieben den Zwei
spiinnerz dann gehen Sie zum Physi
kus, sowie zum Kreiswundarzt und
laden die Herren zur Obduktion einer
Kindesleiche auf morgen Vormittag
neun Uhr in’s Schulzenamt zu Fried
ri sdorf.«
ls der Bote sich entfernt hatte, be
merkte der Rath kurz:
«Verdacht des Kindesmordes gegen
die Tagelöhner Krenz’schen Eheleute.
Leichenschau und, wenn nöthig, Lei
chenöffnung Sehen Sie sieh, Herr
Kollege, bei dieser Gelegenheit die Pa
ragraphen 87 und 92 und 157 der
Sttafprozeßordnung an!«
Der Rath Humbert war das Muster
eines altpreußischen Richters, aufrecht
und selbstbewußt nach oben, freundlich
und hilfsbereit nach unten. Deshalb
erfreute er sich auch hoher Achtung und
unbegrenzten Vertrauens. Von weit
nnd breit kamen die Landleute, beson
ders Wittwen und Waisen, um sich bei
dem »Heru! Obervorrnund«, wie sie
ihn nannten, Rath zu holen.
Er wurde gefragt, ob die Bertha den
Wilhelm heirathen, der Fritz Stell
rnacher werden, ob eine neue Kuh an
gschaffh das alte Pferd verkauft wer
n sollte. Niemand verfcheuchte er
durch Unnahbarkeit,— Alle und Alles
hörte er geduldig an. So stiftete er rei
chen Segen. Die Leute wären für ihn
dnrckfs Feuer gegangen. Nur Eins
war den biederen Landbewohnern an
diesem geraden, klaren Manne unver
’ndlich, sein Name. ,-,Humbert«, so
Ist-v fie- »schtift he sich, und »Mus
btr« nennt er sich.« Das erschien
ihrem einfachen Sinn zwiefpaltig.
Die Nachricht von der bevorstehen
den Obduktion hatte sich durch den
Fuhrmann schnell im ganzen Städt
chen verbreitet.
Als der Referendar zum Abendessen
in? Hotel »zum Prinz von Preußen«
»M. wurde er von allen Seiten um
nähere Auskunft über den Kindes
wrd bestürmt. Obwohl er selbst nicht
Use-l wußte, hüllte er sich, fogar dem
Herrn Posthalter gegenüber, vornehm
in den Mantel des Amtsgeheimnisses.
«Bedauere sehr, meine Herren; darf
Mit nichts verrathen."
Er trug, der Bedeutung des Augen
blicks entsprechend, ein ernstes, nach
denkliches Wesen zur Schau und ge
wann durch sein Verhalten einen
eigenartigen Nimbus. Man beobachtete
ihn von allen Tischem flüsterte und
warf sich vielfagende Blicke zu. Als
er frühzeitig nach Hause ging, beeil
ten sich alle Gäste, ihm ein volltönendes
»Guten Abend, Herr Referendar!«
nachzurufem Nur der dicke Herr Post
helter brummte mit Onkel Bräsig:
,.Windhund!« Armee Referendariusl
Du hast, ohne es zu ahnen, den Vater
Dein-et angebeteten Hedwig tüchtig vor
den Kopf gestoßen. Die Obduktion
hat zwar Dein Ansehen, nicht aber
Deine Liebesträume gefördert.
Am anderen Tage fuhren sie mit
Im titchtigen Rappen die holprige
tnße dahin! Es war frisch, die
sorgeulnft röihete die Wangen und
M die Menschen froh.
Dei-W satte der haser ge
wtt tra ten lustig und mel
Wlnssen mit den langmähnigen
Köpfen. Ab und u fcheuchten sie die
Wespen und Horni en mit den buscht
gen Schwanzen. Johann, der Knecht
war noch fchlaftrunden Er gahnte
laut und streckte sich. Er war erst vor
Kurzem von den Achtundvierzigern
aus Kiistrin entlassen worden und trug
noch voll Stolz die Soldatenmiiße.
Halbwiichsige Burschen mit Körben
und Spaten standen lachend und litt
mend unter den breitäftigen, alten
Aepfelbäumen am Wege und vrobirten
trotz des Wächters in der Strohhütte
die saftigen Goldparmänen, sich des
Unrechts ihres Thuns kaum bewußt.
Auf den Feldern ringsum war
Groß und Klein mit dem Ausmachen
der Kartoffeln beschäftigt, der Haupt
nahrung aller Derer, denen jeder neue
Tag von Neuem die Sorge um das
tägliche Brot bringt.
Kinder schichteten das braune Kar
toffeltraut zu großen Haufen, zünde
ten es an und warfen Erdäpfel zum
Noften hinein. Lustig prasselten die
Flammen gleich Freudenfeuern über
den reichen Erntesegen, und der Wind
wirbelte die grauen Rauchwolken über
die von der Herbstsonne veranldeten
Fluren.
Der junge, lebhafte Referendar
kürzie den langen Weg durch Studen
tengeschichten, lustige und auch trau
rege.
Der abgelliirte Alte mit den schnee
weißen Haaren und den klugen dunk
len Augen hörte sinnend zu und dachte
an seine eigene, längst entschwundene
gend. Er gedachte der Zeit. da das
litck ihm lächelte und die Frauen ihm
hold waren, da das Leben noch nicht
die schwellende Hoffnung getrübt, das
wilde Wollen gebändigt hatte.
Am Eingang des Dorfes wurden sie
von dem Gemeindevorfteher empfangen
und stiegen ab. Im Nu waren sie von
Menschen umringt. Mühsam bahnten
der Schulze und der Gemeiwediener.
der zugleich Nachtwächter war-. den
Weg zum Thatorte. Wie Bienen um
schwärmten die Dörfler das kleine,
aus Lehmstalen erbaute Häuschen, zu
dem von der Straße einige ausgetre
tene, von Feldsteinen roh gefügtc Stu
fen emporfiihrten. Auf dem schadhaf
ten, vom Regen geschwärzten Schin
deldach wuchs üppig das Moos-. Die
kleinen Fenster-scheiden schillerten grün
lich-blau und wurden hier und da
durch braunes Diitenpavier ersetzt.
An jeder Seite des ungepfiasterten
Flut-es befand sich eine Wohnung, be
stehend aus Stube und Kammer.
Rechts wohnth der Tagelöhner
zerenz. ·
Der Gemeindevorsteher öffnete die
Thür. Eine schöne weiße Ziege be
grüßte die Gäste mit Schnuvpern und
mit Meckern. Es war ein äußerst
ärmliches, aber ziemlich sauberes
Stäbchen. Die Dielen waren frisch ge
scheuert und mit Sand bestreut.
Vor dem braunen. rissigen Kachel
ofen stand eine Bank aus Fichtenholz.
Dort saß ein Mann von vielleicht
fünf-: oder sechsunddreißig Jahren
mit dunkelblondem, strupviaem Voll
bart, den Kopf auf beide Arme ge
stützt. Er trug eine graue Warvjacke,
blaue Leinenhosen und lange Scheit
stiefel, deren Erhaltung, wie aus den
vielen Flicken ersichtlich, dem Dorf
schuster schon manche schwere Sorge
bereitet haben mußte·
Neben ihm saß sein Weib im schwar
zen Umschlagetuch, blaß, friiitr.lnd,
übernächtigt, mit vermeinten Augen.
Die harte Feldarbeit und die vielen
Kindbetten hatten sie vor der Zeit alt
gemacht.
Fünf Kinder hatten die schwarzen
Männer auf den Gottesacker hinaus
getragen, ihr sechstes lag starr unten
im Kartoffelteller.
Der Rath verlangte die Leiche zu
sehen.
Schwerfällig erhob sich der Mann,
öffnete die Klappe im Fußboden und
stie die Leiter hinab. Der Rath, der
Re erendar und· der Schulze folgten
ihm. Die ledten Beiden hatten aber
in dem engen, dumpfen. vom Geruch
fauliger Kartoffeln erfüllten Raume
keinen Pla und blieben deshalb auf
der Leiter ben.
Jn einem Backtroge lag das vier
jährige Miidchen, ein Bild der Verklä
rung. Ein Kranz weißer After-n
schmückte das blonde Haar, ein
Strauß mrnortellen lag zwischen den
zarten, el enbeinfarbigen Händchen, ein
verwafchenes helles Kattunkleidchen
umschlo den kleinen Leib.
Dur eine Lute fielen einigeStrah
len dfr Morgenfonne in den dunklen
Keller und küßten zum Abschiede leise,
z leise die Stirn des Kindes, dem
te nicht mehr leuchten sollten.
Von oben her tönte das Schluchsen
der Mutter. Sonst unterbrach kein
Laut die majeftätifche Ruhe des To
des-.
Der Rath eröffnete dem Tagelöh
ner, daß er des Morde-z an seinem
Kinde beschuldigt sei.
Der Mann blieb völlig ruhig. Nur
den Kopf ließ er ein wenig hängen.
Er gab keine Antwort.
Als ihm aber weiter gesagt wurde,
daß das Kind zur Feststellung der To
desursache von den Getichtsärzten un
tersucht werden müßte, da fuhr er auf,
trat einen Schritt zurück, bückte sich
schnell und griff nach der am Boden
liegenden Axt.
»Ich lasse mein Kind nicht zuschnei
den! Wehe dem, der mir mein Kind
aneiihrtl ch schlage ihn todt wie ei
nen tollen und!«
So kam es grollend und donnernd
aus dem Munde des Mannes.
Mit.wildem Blick und zerzausiem
hast, die blinkende Axt um Schlagen
erhoben, den rechten Fu weit vorge
streckt, in» furchtbarer Erte ung am
ganzen Körper bebend, so and der
—
Vater als Wächter neben der Leiche
feines Kindes, jeden Augenblick bereit,
feine Drohung zu verwirklichen
lle waren wie versteinert, starr
dor« Entfehem selbst das wimmernde
Wer da oben war verstummt.
War es der Schmerz des unglück
lichen Vaters, war es die Angst des
ertappten Berbvechers, was aus die
sen derstörten Zügen sprach?
Der alte Rath legte feine große.
schwere Hand auf die Schulter des ra
senden Mannes, blickte ihm ruhig in
die irren Au en und sprach sanft:
,,Bester! uch ich bin Vater, Groß
vater, auch mir starben Kinder, En
kel. Jch thue Eurem Kinde nichts.
Macht Euch nicht noch unglücklicher,
als Jhr es ohnehin schon seid! Denkt
an Euere arme Frau! Jch muß meine
Pflicht erfüllen.«
Der Tagelöhner ließ den erhobenen
Arm sinken, er warf die Axt weg, ein
Zucken durchlief seinen ganzen Körper,
er fiel auf die Kniee und verhüllte
fein Gesicht mit beiden Händen.
Auf einen Wink des Rath-s nnhkn
der Nachtwächter behutsam die Kin
desleiche und trug sie in einem kleinen
Waschlorbe fort.
Da kein anderer Ort zur Verfü
gung stand, wurde die Obduttton in
der Schule vorgenommen. Die Kna
ben und Mädchen räumten freudig das
Zimmer und besetzten sofort voll bren
nender Neugier die Fenster von außen.
Sie wurden aber bald von dem Nacht
wächter vertrieben, der den Platz um
die Schule freihielt. Manch’ verwe
gener Junge durchbrach jedoch die
Blockade und sah schnell hinter dem
Rücken des Wächters durch das Fen
ster. Er wurde bei seiner Rückkehr
durch das brausende Hurrah seiner
Kameraden für seine Tapferkeit be
lohnt.
Drinnen walteten die Gerichtsiirzte
ihres schweren Amtes.
Das Kind wurde enttleidet und
sorgsam untersucht. Aeußere Zeichen
einer Verletzung wies die Leiche nicht
auf. Das wollte aber nichts sagen,
weil nach der Anzeige der Witwe. die
auf der anderen Seite des Flures
wohnte und alle Vorgänge in des Ta
gelöhners Wohnung genau verfolgen
konnte, das Kind verhungert sein soll
te. Die Eltern hätten es seit Wochen
eingeschlossen und ihm zuerst nur spär
lich, in den letzten Tagen aber über
haupt teine Nahrung mehr gereicht.
Für die Richtigkeit dieser Angaben
sprach der Umstand, daß das Kind
vollkommen abgemagert und das Fett
polster gänzlich geschwunden war.
Die Aerzte thaten ihr Wert. Die
Besichtigung der Brusthöhle ergab mit
Sicherheit, daß das kleine Mädchen an
tubertulöser Lungenschwindsucht ge
storben war. Die Phthisis. der furcht
bare Würgengeh der in den Häusern
der Armen umgeht, hatte auch dieses
Opfer gefordert.
Alle athmeten befreit auf.
Die unglücklichen Tagelöhnerleute
waren zu Unrecht verdächtigt und hat
ten zu ihrem schweren Schmerz noch
schlimmeren Schimpf zu tragen.
Jetzt- galt es, die Spuren der Oh
dultion möglichst zu verwischen, da
mit den armen Eltern der Anblick der
furchtbaren Schnitte und Nähte er
spart und das Bild ihres Kindes rein
erhalten blieb. Den liebevollen Be
mühungen des geschickten Wundarztes
gelang auch das. —
Den Körper deckte das Gewand, das
Köpfchen wurde mit dem Asterntranz
so sauber hergerichtet, daß es unbe
rührt, ja fast schöner als zuvor er
schien. Jn jedes Ohr steckte der Arzt
ein Flöckchen rosa Watte, deren Schein
das Gesicht frischer färbte. Das Kind
schien in tiefem, friedlichem Schlum
mer zu ruhen.
Der Referendar hatte das Obhut
tionsprototoll nach dem Dittat des
Kreisphysitus beendet, als der Nacht
wächter meldete, der Arbeiter Kreuz
warte draußen mit dem Sorge. Der
Rath ließ ihn eintreten.
Der Mann war nicht wiederzuerten
nen. Er ha!te sich gewaschen. ge
tiimmt und seinen Sonntagsrock mit
der blanken Kriegsdentmiinze von
1870-——71 angezogen, denselben Rock,
in welchem er vor zwölf Jahren sein
Weib zur Trauung in die Kirche ge
fiihrt tie
Er ah lange aus sein Kind, drehte
die schwarze Tuchrniihe mit dem Le
derfchirm in seiner Hand, und Theti
nen, wohlthuende, befreiende Thriinen
rollten ihm langsam über die Wangen
Er fuhr sich mit dem Aermel iiker die
Augen und blickte voll Dankbarkeit auf
den alten Rath, ·der ihm ernst und
schweigend gegenüberstand.
Dann wurde er verantwortlich ver
nommen. Er erklärte auf die Beschw
«digung:
i »Meine Fkau ist etwas schwkchnch.
Unsere Kleinen hatten ihre Arr. «Sie
starben früh, eins nach dem andern.
Mit dem Mariechen gina es besser.
Aber im letzten Jahr, da fing sie an
zu husten und zu husten.
Sie war so still und artig und hat
te treue blaue Augen. Darum hatte
die Nachbarin sie auch gern und füt
terte sie. Aber die Kleine konnte das
Schwarzbrod mit Pflaumenmuß nicht
vertragen. Wir baten die Nachbarin,
sie möchte dem Kinde nichts mehr zu
essen geben, es betätne ihm schlecht.
Sie that es aber heimlich doch. Das
Kind hatte von dem Pflaumenrnuß je
desmal einen schmuhigen Mund. Nun
ließen wir die Kleine nicht mehr zu
ihr, und wenn wir auf Arbeit gin
gen, verschlossen wir unsere Stube nnd
nahmen den Schlüss« mit. Da wur
de sie aber sehr böse. Stande-l hat sie
gema t und getobt und gespitzt, sie
wäre och kein Dieb, vor ihr brauche
man nicht die Thüren zu sinkeßem
T
wenn nur andere Leute so ehrlich wä- s
ren wie re. Ueberall im Dorfe hat sie ;
uns deri tschi. Wir hätten die ande- ;
ten Kinder alle um die Ecke gebracht, Y
und mit dem Mariechen würde es wohl (
auch bald so weit seine Wir gaben
dem Kinde nichts zu essen, und seit-i
dem es von ihr nichts mehr bekäme,
müßte es hungern.
Aber das ist nicht wahr.
Als es mit dem Mariechen immer
schlechter wurde, hat meine Frau eins
Oberbeti und den großen iupfernem
Kessel von meiner Mutter verkauft«
Für das Geld haben wis die Ziege an- !
, geschafft, weil Ziegenmilch gegen den’
Husten gut sein sollte. Auch Leber
thran haben wir ihr gegeben; es hat
aber alles nichts geholfen. Das Ma
riechen wurde immer schwächer; sie
konnte nicht mehr sitzen. Am Freitagi
Abend, so in der Schlummerstunde, ist »
sie eingeschlafen.« »
»Haben Sie denn gar keinen Arztj
kommen lassen?« fragte der Rath. H
»Im Frühjahr, wie der Husten an- !
fng und das Kind unruhig schlief«
habe ich es eines Sonntags aus den!
Arm genommen und bin mit ihm dies
zwei Meilen nach der Stadt zum Dol- I
ior gegangen. Aber die Herren sind
schwer zu treffen. Sie waren alle beide
sort über Land.
Es ist so tbeuer, wenn der Herr
Doktor den weiten Weg zu uns auf
Bestellung kommt, und wir sind so
-arm!
Freilich, «als wir uns verheiratheten,
waren wir ja gut im Stande. Meine
Frau war Stubenmiidchen bei der
gnädigen Frau auf dem Schlosse und
hatte schöne Sachen, auch ein Stück
Geld. Aber die Wochentosten, die
Tauf- und Sterbegebiihren, die Dok
tor- und Adothekerrechnungen haben
uns immer mehr zurückgebrachi. Jch
konnte trotz aller Arbeit mir schließlich
keine neue Jacke mehr kaufen. Meine
Frau mußte einen Flick auf den ande
ren nähen, daß ich aussah wie ein
Plunder. Aber das hätte alles sein
können, wenn uns nur das Kind nicht
genommen wäre. Jetzt aber —«
Der Tagelöhner schwieg. die Ber
nehmung war beendet· Seine Aus
sage wurde vorgelesen und von ihm
unterschrieben.
Der Rath ertheilte ihm die zur Be
erdigung erforderliche schriftliche Ge
nehmigung.
Darauf nahm Kreuz den kleinen
braunangestrichenen Sarg unter den
Arm, grüßte lintisch und entfernte sich
mit der Leiche feines Kindes-.
Die Menge da draußen hatte sich
längst verlaufen. Der Hunger hatte
die Neugier besiegt; sie saßen alle um
den Mittagstisch
Einsam wandelte der Mann die stil
le Dorfstrafze, über welche Spinnen
unermüdlich ihre silbernen Herbslfiiden i
spannen, Fäden, fein und zart wie der
Lebensfaden des Menschen. .
Nur sein Schatten folgte ian, zu
dringlich wie die Noth, dunkel wie die »
Sorge.
Hunde als Fischmeuter. s
Es ist nicht agllemein bekannt. daß i
manche Fischer wohldressirte Hunde
unmittelbar beim Fischfang als Gehil
fen benutzen. Besonders vielfach ist
dies an den öden Gestaden des fernenf
Theiles von Labrador, welcher zu eNu- !
fundland gehört, der Fall. «
hier läßt sich eine ganze Anzahl Ka
beljau - Fischer von dressirten Hun-!
den unterstützen. Diese Fischer ziehen, »
sobald sie fühlen, daß ein Kabeljau an- H
gebissen hat, so wunderbar schnell ihres
lange Leine ein, daß der Fisch fast ganz ;
leblos an die Oberfläche des Wassers;
kommt. Aber eine andere Sache ist es, ;
ihn in das Boot zu bringen, wenn es’
ein schweres Thier ist! Harpunen und
Landungsnetze giebt es bei diesen Fi
schern nicht« und der Versuch, den Fisch
an der Leine in das Boot zu heben,
schlägt oft fehl; ist der Fisch groß und
nur leicht angehackt, so reißt bei einem
solchen Bersuch der Daten aus dem
Maule los. Doch immer wie todt aus
sehend, treibt dann der Kabelsau me
chanisch vom Boote weg, — aber nur
für einen Augenblick; denn der Fischer
hund, oft ohne auf ein Signal zu war- l
ten, springt über das Boot in die See,
schwimmt auf den Fisch zu und packt
ihn. Schnell genug kommt der Nabel
jau wieder zum Bewußtsein, und dann
giebt es einen lefhaften Kampf zwischen
ihm und dem hunde. Dieser läßt aber
fast nie los, bis er ihn in das Boot ge
bracht hat.
Mitunter werden dieselben hunde
auch als Einbringer verwendet, wenn
ihr Herr vom Gestade aus einesRobbe
geschossen hat. Es sind keine gewöhn
lichen Neusundländer - hunde, sondern
sie gleichen start den Eskimo - Hunden
und sind oft von ganz wölfischen Mo
nteren. Sie werden schlecht gesiittert
Jund schlecht behandelt.
Sie kennt ihren Mann
Gaiiin (des Rechnungsrathes zum
Amisdienek): »Ist mein Mann du«-«
Amisdienen »Ja, drin auf seinem
Bureau.« -
Gattin: »Dann wecken Sie ihn.«
Schon versehn
Miethfmnt «Können Sie mit nicht
sagen, wieviel Uhr es ist, Herr Dot
taki«
Student: »Nein, vor einer Stunde
häti' ich es Ihnen noch sagen können."
« Unter Hishi-mein
Utsula: »Und ist Dir Dein Feuer
werier treu?«
Marie: ,Das will ich glauben, seit
acht Tagen geb’ ich ihm blos kaltes
Nachimahl und er ist nicht bsö.«
Ver adgerissener Kne ps.
Ein-esse Geschichte von Nur-sit
haweL
Als Herr Albert Stockner um zwei
Uhr ans dem mte ging, bege ete
ihm ein sehr un - genebmes Ma ur.
Beim Zuknöpsen des Ueberziebers
passirie es ihm, daß ihm einer der
Knopse in der Hand blieb. Und un
glUckseligek Weise gerade der Mittel
kUVPf- Wer Herrn Stoclners Allma
tesse in skkidungsangekgenheüen
kennt,tvird zugeben, daß aus ihn ein
solches Ereigniß geradezu nieder
schmetternd wirken mußte. Er ver
suchte erst mit den übrig gebliebenen
Knöpsen das Kleidungsstiicl zu schlie
ßen, was aber einen seht unangeneh
men Effekt hervorbrachte Denn der
Ueberzieher war bereits drei Jahre
alt, und während dieser drei Jahre
hatte Herr Stockner beträchtlich an
Leibessiille zugenommen. Ueber sei
nem Bäuchlein klaffte der Ueberzieher
in läcknrtiaxr TBesse ausrinander.
Nun ward das Kleidungsstiick wieder
vollständig ausgeknöpst, wodurch aber,
wie Herr Stockner annahm, Jeder
mann schon aus hundert Schritte Ent
fernung den Schaden bemerken mußte,
denn von dem lichten Tuche des Ueber
ziehers hob sich der schwarze Zwirm
stummel, an dein früher der Knopf« ge
prangt hatte, sehr deutlich ab. Zudem
wehte ein unangenehmer, kalter Wind.
Wenn Stockner an einer Straßenecke
vorüberging, mußte er den Uebeezieher
mit- beiden Händen auf der Brust fest
halten. Es schien, als ob der kalte
Boreas ihm das dedastirte Meinungs
stiick direlt vom Leibe reißen wollte.
Im nächsten Moment aber ward
Herrn Stockner der Hut vom Kopfe
gerissen und wirbelte lustig über .die
ganze Straßenbreite hinüber. Empört
strebte Herr Stockner dem Flüchtling
nach. Dabei hielt er die Arme Verlan
gend nach vorn ausgestreckt. Die Sei
tentheile des Ueberziehers flatterten
wie Fledermausflügel in die Höhe.
Der Hut rollte lustig über das Pfla
ster, durcheilte die lleinen Pfützen, die
der vormittägige Regen zurückgelassen
hatte, und lief dann zwischen die Beine
der Passanten am gegenüberliegenden
Trottoir. Herr Stockner athemlos,
mit wehenden Flügelnsihm nach. End
lich gelang es einem Passanten, den
Flüchtling festzuhalten, indem er mit
seinem Spazierstock nach ihm schlug
und ihn dann nach mehreren vergeb
lichen Versuchen sestbohrie.
Dankend nahm Herr Stockner aus
den Händen des lächelnden alten Herrn
den Entflohenen entgegen. Am lieb
sten hätte er den infamen ( ckel nach
wienerischer Art »um d’ Erd g’haut«,
so erbärmlich sah er aus. Ueber und
über mit Koth bedeckt, außerdem mit
einem unreparirbaren Bug versehen,
den ihm der Stock des freundlichen al
ten Herrn beigebracht hatte.
Herr Stockner hätte heulen tännen
vor Muth An dem nächsten Einwan
nerstandplatz bestieg er einen Wagen
und fuhr nach Hause.
Das Dienstmädchen öffnete ihm.
Jhr »Kiisz d’ Hand, gnä’ Herr!« ward
keiner Antwort gewürdigt, dafür flog
der Hut des »gnä’ Herrn« mit Behe
menz in eine Ecke. Das Mädchen
wollte beim Ausziehen des Ueberqie
hers helfen, sie ward höchst ungnädig
abgelehnt und lehrte weinend in die
Küche zurück.
»Ja —- wag ist’s denn?« fragte ver
wundert Frau Stoclner. Aber der
Gemahl ging an ihr vorüber und wür
digte sie keines Blickes.
»Jnsame Schlamperei!« war das
erste Wort, das Herrn Stocknerkz
Munde entsuhr.
»Was??" fragte ernst und ruhig
Frau Stockner.
»Jnfame Schlamperei, faacich,'«
war seine Antwort. Dabei fuhr er mit
dem Löffel in die Suppe, um im näch
sten Moment mit dem sündhaftenAuss
rufe »Himmel Herrgott, Sai« .ent!«
den Löffel wegzuschleudern. Herr
Stockner hatte sich in unangenehmster
Weise mit der heißen Suppe den
Mund verbrannt.
Zornentbrannt stand er auf.
»Hu blöd —- das ist eine Sauwirth
scha t,« schrie er wüthend. Frau Stock
ner verlangte jetzt kategorisch zu wis
sen, worüber ihr Gemahl so aufge
bracht sei. Darauf fragte Herr Stock
ner im beleidigendsten Tone, ob die
Frau denn keine· Augen habe, ob sie
idenn nicht sehe, wie es jeden Tag mit
idem Hauswesen um ein Bedeutendes
zurückgehe, wie jede-Ordnung längst
geschwunden sei! Er kündigte an, daß
er durchaus nicht gewillt sei. sich von
seiner leichtsinnigen Frau mit in’s
i Verderben reißen zu lassen.
i Frau Stockner forderte ihren Ge
mahl auf das Beftimmtefte auf, ihr zu
sagen, ob er verrückt fei. Stockner
schlug eine höhnifche Lache auf und ver
sicherte mit bitterm Worten, daß,
wenn die Mitglieder seiner Familie
nur den zehnten Theil fo viel Ver
stand und Vernunft befäßen, wie er,
solche Dinge nicht pafsiren würden.
Der Spettatel wurde immer ärger,
fchließlich riff Frau Stockner zu
ihrem bewä rteften KampfmitteL Sie
fing heftig zu weinen an und nannte
sich fchluchzend und händeringend die
unglücklichfte Frau auf Gottes Erd
boden. Das Dienstmädchen kam herein
und fragte nach den weiteren Befehlen
des gnädt en Herrn. Der gnädige Herr
erklärte, iefei eine geradezu pyrami
dale Gans und er verzichte auf ihre
Dienste. "Er gehe jetzt in das nächst
hefte Wirthslotah da fei er vor den
Aer ernissen, die.das Glück des hei
mat lichen Zerdes mitführe, wenig
ftens sicher. Ieber wolle er Roßwiirftel
L
Iin Frieden, als einen a an im Un
rieden essen, erwerbe von iner
amtlie an urüchzm dies ei er
ts u g.
einer Ge un
Und et ging auch wirklich. Er riß
den neuen Uebersieher aus dem Ka en,
er hob den Zylinder aus der Scha tel,
er entnahm der «Feuersicheren« eine
horrende Summe und eilte fort. Bei
der Thür drehte er sich nochmals um
und deutete mit düsterer Miene an,
daß heute noch etwas Furchtbares
geschehen werde.
Das Dienstmädchen tam in diesem
Moment aus der Küche heraus. Sie
verzichte auf ihre vierzehn Tage, er
klärte sie-bei einem Menschen, der
seine Frau und verschiedene andere
weibliche Wesen so schlecht behandle,
bleibe sie nicht. Herr Stockner em
pfahl ihr dringend den Blocksberg als
nächstes ReisezieL
Er ging in ein Wirthshaus. Aber
auch dort behagte es ihm nicht. Die
Speisen waren schlecht, nur das Bier
errang seinen Beifall. Er trani hastig
einige Krügel und ließ sich dann noch
zwei Viertel Wein geben. Der Alto
hol übte ieine besonders erhebende
Wirkung. Stockner ward nur noch
düsterer gestimmt. Er beklagte sein
furchtbares Schicksal und nahm sig
vor, vor zwei Uhr Nachts nicht na
Hause zu gehen. Vom Wirthshaus
weg ging er in ein Kasseehaus, trank
dort zwei Schwarze mit Rum gespritzt
und ließ sich außerdem mehrere Gläser
Cognac geben. Da ihm etwas warm
im Kopfe geworden war, so ging er
spazieren. Um fünf Uhr begegnete er
einem Bekannten, der ihn einlud, mit
ihm in das Griechenwirthshaus zu
gehen. Stockner folgte mit Freuden.
Beim dritten Krügel deutete er an,
daß ihm das Leben zur Last geworden
sei; wenn er nur an das Daheim
denke, werde ihm schon übel. Der
Freund rühmie die Vorzüge des freien
Junggesellenleben5, das ihn so ziem
lich vor den niedertråichtigen Schika
nen der Frauen bewahre. Stockner
ward immer düsterer und düsterer ge
stimmt.
L
Gegen sechs Uhr begann er heftige
Symptome eines Magenlrampses zu
spüren. Jn einem Kasseehaus trank
er einen Bittern. Auf den Bittern
ward ihm erst recht übel. Er ging
heim —- miihselig — Schritt für
Schritt wantte er durch die Straßen
—er war zu Tode froh, als er endlich
seine Wohnung erreicht hatte.
Da ward ihm eine neue Ueber
raschung zutheiL Die Schwiegermut
ter war gekommen, als Sutturs von
der Frau Gemahlin herbeigerufen.
Die Schwiegermutter bat sofort um
Aufklärung über die Dinge, die da
vorgingen. Stockner streckte blos ab
wehrend die Hände aus-, ging in das
Schlaszimmer undl egte sich nieder. Er
war schwer trank. Sein Zustand wur
de dadurch nicht besser, daß die alte
Frau ihm in das Schlafzimmer nach
eilte, ihre dringenden Bitten um Auf
klärung wiederholte nnd die Frau Ge
mahlin mit von Schluchzen erstickter
Stimme seine Unthaten erzählte·
Es war ihm schlecht — aber schon
sehr schlecht. Mit gsesalteten Händen
bat er um Ruhe.
Der Frau ward bange, als sie in
das verhärmte, bleiche Gesicht sah. Die
Feindseligieiten wurden vertagt —
aber nur, um nach der Genesung des
Gemahls wieder aufs Neue ausgenom
men zu werden, wie die Schwieger
mutter versicherte. Herr Stockner be
lant talte Umfchliige auf den Kopf und
Kamillenthee in den Magen. Den Ka
rnillenthee bereitete die Schwiegermu
ma selbst, ja sie ließ durch das Dienst
mädchen von ihrer Wohnung ein
Fläschen Mariazellertropfsen bringen,
jenes Lebenselixir, das der Schwieger
mutter schon in den oerztreifelisten
Fällen Hilfe, zum mindesten aber Lin
derung ihrer Leiden gebracht hatte.
Als Stockner sah, wie die beiden so
tiefgetriinlten Frauen sich um ihn alle
Mühe gaben, zog tiese Reue iEin sein
herz. Jn Gedanken bat er seiner
Frau jedes böse Wort ab, das er ihr
heute gesagt hatte. Zum Sprechen
war er zu schwach -— im Schädel
hatte er ein Gefühl, als ob seine Ge
hirnmasse die beengenden Knochenbili
len sprengen wolle.
Endlich schlief er ein. Es war ein
unruhiger Schlaf. Fortwährend lief
er seinem Hute nach oder er bemühte
sich vergeblich, einen Knopf an seinen
Ueberzieher anzuniihen. Der Knopf
riß immer wieder ab.
Auch der nächste Vormittag war noch
sehr schmerzvolL Erst gegen Abend
konnte Stockner aufstehen. Die Frau
bereitete ihm russischen Ther. Ein
wohliges Gefühl kommende-e Gesun
dung ergriff ihn. Geriihrt küßte er die
hand seiner guten Frau. Da kam die
Schwiegermutter. Sie wollte wieder
mit dem Verhör beginnen, aber die
Frau winkte ab. Jn einer halben
Stunde fing Stockner selbst zu erzählen
an und wies den abgerissenen Knopf
vor. Mit scheuen Blicken betrachteten
die Frauen den Unheilstiftet.
Am nächsten Geburtstage bekam
Herr Stockner von seiner Frau ein son
derbares Geschenk. Einen wunderziec
lichen kleinen Polster, mitw eifzern At
las überzogen. Jm Mittelpunkt dieses
Polsters war der unselige Ueberziehr
knon aufgeniiht. Trotzdem war Herr
Stockner nicht böse. Als ihm die Frau
das Geschenk überreichte, küßte er ihr
demüthig die Hand und versprach, der
stummen Mahnung dieses Geschenkes
sein Leben lang zu folyen