Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, December 09, 1904, Zweiter Theil, Image 9
Unser-en Söhnen. Wenn trii auch die Wellen branden An einen illen, öden Strand, Das schön e doch von allen Landen Jst das geliebte Vaterland. Ob du aus hätten aus Palästen Dich wendest in die Welt hinaus, Von allen Häusern doch am besten Jst das geliebte Vaterhaus. Und sehnst du dich im Jugendseuer Dass Liebe trag’ dich himmelwärts, Du findest nie ein Herz, das treuer, Als das geliebte Vaterherz. Jhr siebtingssohm Stizze von Frieda Schanz. »Mein bester Sohn! Mein bestes Kind!« Wie strahlten die thränentriiben Augen der alten Frau in Wehmuths glück. wenn sie so sprach! Es war der Jüngste ihrer drei Jun gen, der schon seit langer Zeit weit entfernte, den sie so rühmte. Als Elf jähriger war er nach ihrer brutalen Mißhandlung seines trunkenen Vaters aus und davon gegangen; des Vaters Bruder, der Heizer war aus einem Auswandererschisi, hatte ihn mit in die serne Welt genommen. Nicht müde wurde die alte Flickerin zu erzählen, wie der Junge vor dem Weggehen, von dem teiner etwas ge ahnt, um sie herum geschlichen;’ aus dem Schlaf erwachend habe sie ihn schluchzen hören, und früh sei er ihr nachgelaufen, als sie aus Arbeit ging, udn habe dann-nicht gewußt was er sagen sour, auser: »Du, Mutter —" ach Mutter-—!«« Und dabei habe er sie geküßt· Den Zettel, auf dem er ihr Lebe wohl gesagt, hob sie sich wie ein Heilig thum auf. Er wollte etwas Qrdentli ches werden und später wiederkommen und ihr aus aller Noth helfen, ver sprach er darin Das war nun zwanzig Jahre her· Aber an die Einlösung dieses Verspre « chens glaubte sie fest. Der ferne Sohn hatte ihr wenig geschrieben in der lan gen Zeit. Ein paar Karten, ein paar bunte Neujahrsgriißr. Ja, wenig nur! Aber es war alles so gut, was er schrieb. Jhr armes Herz konnte sich satt trinken daran. Und wie hatte es sich vollgefogen an dem Gedanken, daß da in weiter Ferne Einer sei, der sie lieb habe, der gut mit ihr sei. Der Muttersohn, der Herzenssohm war ihr dieser Eine, der Trost über all das große, schwere Mutterleidt Sie hatte ihre Kinder so gern brav erziehen wollen, die arme Frau, und hatte so großen Kummer an ihnen er lebt· Sie waren nicht gut zu ihr, keines der drei, an keinem hatte sie Freude erlebt, auf keines konnte sie stolz sein. Ungeweinte Thriinen erstick ten ihr immer fast die Stimme, wenn sie von ihren Kindern sprach. Sie hatte alles fiir sie gethan, hatte auf geathmet nach ihres rohen. arbeits scheuen Mannes Tod« weil sie meinte, nun könne sie durch ihrer Hände Ar beit die Kinder zu braven Menschen erziehen ohne Zank und Streit, ohne schlechtes Vorbild. Sie waren alle drei noch klein« als der Vater starb, die bei den Jungen, die ihr geblieben nachdem der Anton ins Weite gegangen und ihr kleines Mädel, das hübsche Ding· Wie hat sie gearbeitet —- in unserem Haus nud in vielen anderen, als rech tes Faltotum mit der Nabel und am Kochherd, mit der Scheuerbiirste und dem Bügeleisent Frau Witte, das war die Hülfe in allen Röthent Und sie machte alles möglich. Als die Kinder klein waren, lief sie sich fast die Füße wund zwischen den fremden Häusern und ihrem Inhaqu niemals haben die Kinder Noth gelitten, sie waren sauber und satt, so oft man sie sah. Aber sie hatte es schwer mit ihnen. Manchen Seufzer totteten sieihr schon in jungen Jahren. Der eine ihrer Jungen war ein unverbesserllcher He rumtreiber; er schwönzie die Schule; er log; bei einem Diebstahl in einem Delikatessengeschäft haben sie ihn dann einmal erwischt. Von da an war er gebrandmartt vor den anderen. Wie sie für ihn gezittert hat und um ihn get-anat, ryn ermahnt. ihn angetteyn —er schien zum Taugenichts geboren! Das Mutterherz zuckte und blutete, wenn die Rede auf ihn tam. Es waren ern paar dunkle Puntte in seinem Le ben, an die sie schaudernd dachte. Zu letzt arbeitete er in einer Fabrit; «- — aber er hatte des Vaters Neigung zum Trunk geerbt; sie zitterte, wenn fein Schritt auf der Treppe ihrer klei nen sauberen Armenwohnung hörbar ward. Vor dem Kommen des Zweiten zit terte sie nicht, er kam nicht zu ihr. Er schämte sich der armen Mutter, hatte ein Mädchen mit Geld geheirathet, hatte ein tleines Weingeschöst in einem seinen StadttbeiL sparte und schaffte und tam vorwärts unter Drangen und Sorgen und Klagen; siir die Mutter wenigstens hatte er nur Klagen. wenn die alte Frau ihm je einmal in den Weg tarn oder er ihr. Von tiefer Kränkung war das Herz der Armen voll nach jedem Wiederseben Ach- tvai können Kinder einem herzeleid antbuni Die Marthe-! Auch die! Das war ihr wie ein Tode-stoß. Das hübsche, aeweckte und anstellige Töchterchen war ihr ganfer Stolz. Sie iekt es so sauber, so bank, lehrte es rdnung nnd Fleiß, predigte ihm Einfachheit, Rechtlichteit nnd Anstand. Und die Meine schien ihr Ebenbild zu Yeöraslia Staats- Anzeiger Und THEralIL J. P. Windalph, Herausgehen Grund Island, Nebr« 9. Tk;. 1904 (Zweitcr Tlicil.) Jahrgang 2:) Na. 1.3. ( l ( i werden an Tüchtigkeit; freundlich und lieb und bescheiden war sie dabei, — der Mutter Hoffnung und Freude Wie wichtig hatte es die Frau, als die Martha ein esegnet wurde! Jeden Sonntag ging te mit ihr zur Kirche in der Vorbereitungszeit. Fürs ganze Leben sollte diese Zeit Grund legen zu Frömmigkeit und reinem Wandel. Sie arbeitete sich die Finger wund in diesen Wochen. Vom Anständigsten und Besten sollte die Martha alles haben, solide feste Sachen, guteWäsche, ein schwarzes Kleid, das sie lange tra gen tönnte, feine, schöne Schuhe, ein gutes Gesangbuch, das fürs Leben hielt. Und noch etwas Extraes sollte es sein. Sie hatte damals gerade so schwe ren, tiefen Kummer um den Anton, den Taugenichts. So recht tief und fest wollte sie der Martha die Bedeu tung ihres ChristenthumsGelübdes ins Her prägen. Zu allen übrigen Gaben kaufte sie ein schönes Silbertreuz, das in getriebener Arbeit die Wortes ,,.Habe Gott vor Augen und im Herzen!« trug. Das gab sie ihr mit dem Ge sangbuch am Einsegnungstag Die occur-irrt Meutrer-volle Ipcullj Ilc Dust-L Und das Marthchen hörte sie schlach zend an, gelobte Bravheit und Tu gend. Das Kreuzlein hat sie dabei geküßt! —- ’ Ach, dieses Silberlreuz, zu welchem Schmerzenstreuz ist es ber Mutter geworden! Kaum ein Jahr später s- -- ! Das Marthchen wuchs so rasch he ran, bliihte aus wie eine Rose, ward schön über Nacht — Und so putzsitchtig und zerstreut ward sie auf einmal. Sie war Lehr niädchen in einern Geschäft; hatte einen weiten Weg, war viel aus der Straße. Ehe die Mutter sich’s versah war die Martha eine andere, eine Fremde. Wie hat die Mutter sie angefleht in ihrer Todesangst! Aber das Mädchen war nicht zu halten« Von Vergnüaung zu Vergnügung ging's rnit lustigen Freundinnen und Freunden. Nun schalt die Mutter, schalt Stun den lang, halbe Nächte lang, nachdem sie sich miid und matt gewartet hatte, aus ihr vergnügungssüchtiges, ausge sloaenes Kind. Sie sagte nicht viel zu ihrerVertbeidigun die Martha! Was sie schließlich zu sagen hatte, trug sie der-i silbernen Konsirrnationstreuze au . Dass lag, als die Mutter eines Abends von der Arbeit lam, iiber dem Gesangbuch, mitten auf dem großen leeren Tisch. Und die Avmmobe, in der Martha ihre Habseligleiten verwahrt, stand offen und war leer. Der Klei derschran«t, der die beiden guten Klei der des Mädchens barg, war leer. Welche Leere! Fort! «- Verloren! — « Das hat lange gedauert« bis die Frau -— wenigstens scheinbar, äußer lich -— das überwand, bis sie sich so weit von dem Schlage erholte, daß sie weiterleben mochte, weiterschassen. Die Schande drückte sie so ties nieder. An teinem seiner Kinder Freude und Ehre zu erleben, wenn man so viel aus Ehre hielt, so gern, so gern brave Men: schen groß gezogen hättet Tief, bis zu Boden war die Frau gebeugt. Aber ein Halt war in ihrer Seele. Unter ihren Vieren war noch ein gutes Kind! Der ferne Sohn, der Weitentsernte, der, den der Vater un gerecht geschlagen, der sie so weich und zärtlich zum Abschied geruht, beriin mer weich und zärtlich war, der ihr ein paar Briese geschrieben aus ferner Welt, die sie wie Heiligthiinier hielt ihr guter Sohnspihrkbestes sindsz »der ...-4 sur-Un uuu Iqs Ost-Ist- Ivtu us uns-tu Unaussprechlichen Herzeleid Sie wußte nicht, wo er augenblicklich war; er hatte vor Jahren geschrieben, daß er gute Arbeit habe; wenn er reich sei, wolle er heimkehren und ihr gute Tage bereiten. Zu dem lintfernten sliichteten ihre Gedanken nun. Jhr gebrochener Stolz richtete sich an ihm aus. Wehmiithig war g, wenn sie von den anderen Kindern schweigend von die sein erzählte, die frühesten Muttererin nerungen ausgrub, sich jedes kleinen Zugs erinnerte, der. dieses Kindes Bravheit und Herzensgiite bewies. Ihr bestes Kind, s-- welche Wohlthat war der Gedanke iiir sie! Und schließlich kam wirklich die größte Wohlthat von diesem Weitents sernten. Keine Reichthümer, kein Erdenglück! Aber das Beste, was man haben kann in so abgrundtieseln Herzeleid, — ein sehr rascher Tod« Die Mutter starb an dem unerwar teten Wiedersehen mit dein Abgott ihrer Gedanken. An einein Herzschlag starb sie still, in der Nacht. Am Tage vorher war der heimge kehrte plötzlich in ihre Stube getreten. Sie war am Nachmittag des Tages noch bei uns. uin eine versprochene Ar beit abzusagen. So etwas Verstörtes, Todttrauriges, Zeebrochenes hab« ich nie gesehen! Sie erzählte uns, welche Ueberraschung sie gehabt, aber als wir nach Näher-ern fragten, brach sie in Thränen aus, in so heißes, haltloses, jammervolles Weinen. »War er nicht gut zu Ihnen? Geht’s ihm nicht gut?« srugen wir sie beküm mert. Sie schüttelte nur mit dem Kopf. Ein Schauer iiberlief sie, ein Ent setzen. Welch ein Wiedersehen mag das ge wesen sein! — Es hat ihr so rasch das Herz gebro chen, das war noch ein großes Glück, eine große Wohlthati Wie hätte sie leben sollen, ganz ver armt, ganz entiiiuscht, mit dem Wis sen .das3 auch ihr Bester kein Guter war. Heinrichs Pech. Humoresle von Reinhold Ort mann Als Herr Heinrich Waltemath sichs aus einem Eckplatz des Schnellzuges, der ihn der Reichshauptstadt zuführen sollte, nach Möglichleii bequem ge macht hatte, zog er still lächelnd eine Fnbnhvssknhßss «IIR Zin- qdcb ZU III-n a77W -l-,-, --------- Betrachtung er sich mit innigem Beha gen vertiefte. Es war gewissermaßen ein Vorgeschmack des ihn erwartenden Glückes, den er damit genoß. Denn nur, um das auf diesem Bilde dar e stellte weibliche Wesen endlich von OF gesicht zu Angesicht zu sehen, fuhr er ja nach Berlin. Jhr Jnneres, das heißt ihren Charakter und ihr Seelen lehen, tannte er bereits ganz genau. Jn einem halben Dutzend sehr aus führlicher nnd sehr gefühlvoller Briefe hatte sie ihn darüber so eingehend unterrichtet als es auf dem Wege postlagernder Korrespondenz nur im mer möglich ist. Das gegenseitige Wohlgefallen hatte sich mit jedem weiteren Briefe gestei gert, Und vor acht Tagen war es zum Austausch der Photographien gekom men, wobei Heinrich Waltemath selbst seine tiihnsten Erwartungen weit liber troffen sah. Denn wenn auch seine Korrespondentim die ihm ihren Namen noch immer nicht verrathen hatte des Lebens erste Maienbliithe bereits hin ter sich haben mochte, so war sie doch mit ihrem feingeschnittenen Gesicht und ihren träumerischen dunklen Au- · gen gerader eine Schönheit. Und die Vorstellung, den Rest seines Lebens-— weges an der Seite dieses holden We sens zurücklegen zu dürfen, gewann fiir Heinrich Waltemuth bei der Be trachtung des -- nach der Versicherung der Dargestellten »sehr unvortheilhaf ten« -—- Porträts einen so unwider stehlichen Reiz, daß er seine schöne Unbekannte mit wendender Post be schwor, ihm endlich eine persönliche Zusammentnnft zu bewilligen· Und die hochsinnige Dame war nicht uner bittlich gewesen. Zwar hatte sie noch immer den Schleier nicht geliiftet, der ihm ihren Namen und ihren Stand verhüllte; aber sie hatte ihm fiir den iibernächsten Abend Punkt 9 Uhr ein Rendezvous in einer genau bezeichneten kleinen Berliner Konditorei zugestan den. Vermuthlich hätte Heinrich die ganze Fahrt mit der Betrachtung des Bilde-J zugebracht, wenn nicht auf der nächsten Station ein dicker, ältlieher Herr zn ihm ins Coupe gestiegen wäre, der ihn sofort in der neugierig zudringlichen Art jener Leute fixirte, die nothwendig mit jedem Reisegenossen sofort ein Gespräch anknüpfen müssen. Heinrich tmnltomntb schob »Ur-s ssin thun-a No: sitzthum hastig wieder in die Tasche und ergab sich in sein Geschick. Der Conne gefährte erwies sich übrigens bald als ein gar nicht so übler Gesellschaften Er stellte sich als der Rentier Wilhelm Pining aus Neuenhagen vor und er zählte offenherzig, daß er in einer Pro zeßangelegenheit nach Berlin fahle, wo er seit mehr als dreißig Jahren nicht mehr gewesen sei. »Man wird am Ende seine liebe Noth haben, sich zu orientiren. Wissen Sie in Berlin Bescheid mein Herr?« fragte er. ,,Einigermaszen. Und wenn ich Ih nen mit irgend einer Auskunft dienen tann - -———-" »Man hat mir da ein Hotel Garni empfohlen ---- in der s- s ja, wie hiesz doch die Straße gleich? »- Warten Sie — ich habe die Adresse in meinem Por teseuille.« Etwas umständlich brachte er seine Briestasche »zum Vorschein. Und als er sie öffnete, sah Heinrich Waltennth die iZipfel einiger bräunlichen Papiere rauslugen, die sein geübtes Auge sogleich als Tausendmarkscheine er kannte. »Nehmen Sie sich nur in acht, daß Jhnen Jhr Portefeuille nicht gestohlen wird,« sagte er wohlmeinend, »die Berliner Taschendiebe sind sehr ge schickt.« Er hatte inzwischen die gesuchte Adresse gefunden, und an die Aus kunft, die ihm sein Reisegefährte be reitwillig ertheilt-, knüpfte sich eine lebhafte Unterhaltung, in deren Ver lan die beiden Herren recht gut mit einander bekannt wurden. »Wenn es Jhnen recht ist, werden wir nach der Ankunft zunächst irgend wo zusammen speisen,« schlug Herr Pining vor. »Wenn ich jemandem be gegne, der mir gefällt, habe ich immer das Bedürfniß, die neue Bekanntschaft mit einem Glase Wein zu begiefzen.« Da Heinrich Waltemath auch lieber zu zweien als allein speiste, und da ihm nach der um 6 Uhr erfolgenden Ankunft immer noch volle drei Stun ,den bis zu seinem Rendezvous blieben, willigte er ohne Bedenken ein. Heinrich Waltemath war überrascht, als ein Blick auf die Uhr ihn belehrte, daß es bereits acht vorüber war und er begann, sich zum Aufbruch vorzube reiten. Da ihm Herr Pining vorher eine von seinen importirten Cigarren angeboten hatte, wollte er sich revan chiren und griff in die Tasche seines neben ihm hängenden Ueberziehers. Aber was er daraus zum Vorschein brachte, war nicht sein Cigarrenetui, sondern eine Brieftasche, deren Dasein ihn um so mehr überraschen mußte als er sich nicht erinnerte, sie je zuvor gesehen zu haben. Er wollte seiner Ver wunderung Ausdruct geben; doch ehe ck auch lllll clll clllzlgcs Moll yallc vorbringen können, fuhr sein Gegen über wie eleltrisirt vom Stuhle empor und streckte iiber den Tisch hinweg die Hand nach der Brieftasche aus. »Er-haben Sie, mein Herr —— das ist ein verdammt schlechter Witz. Wie kommen Sie zu meinem Portefeuille?« »Ja, das möchte ich Sie fragen. Wenn dies wirllich Jhr Portefeuille ist, so miissen Sie selbst es in meinen Ueberzieher gesteckt haben.« »Jch?— das ist doch nicht Jhr Ernst. Und da der Spaß nun wohl ein Ende hat, geben Sie mir vielleicht auch die drei Tausendmartscheine zu rück, die sich vorhin in der Briestasche besanden.« »Herr ——das ist eine Unverschämt heit! Jch wiederhole, daß ich nichts mit Ihrem Portefeuille zu schaffen hatte, und daß ich nicht weiß, wie es in mei sen Ueberroct gelommen ist. « s »So? ——— Sie wissen es nicht? s Und Sie haben also auch keine Ah nung, wo meine dreitausend Mart ge blieben sind? — Nun, dann werden wir wohl aus einer anderen Tonart mit einander reden müssen. Kellner — einen SchutzmannL Dieser Herr ist ein Taschendieb und hat mich bestohlen.« Heinrich Waltemath sprang auf und wiirde seinem Reisegefährten zu Leibe gegangen sein, wenn er nicht durch die herzuspringenden Kellner daran ver hindert worden wäre. Es gab einen gewaltigen Tumult, bis der von Herrn Pining stürtnisch verlangte Schutz mann erschien und die Streitenden aussorderte ihm behqu Feststellung des Thatbestandes zur Polizeiwache zu folgen. Und all« seines Sträubens und Wetterns ungeachte wurde der bedau erngwerthe Herr Waltemath nacy der Polizeiwache geschleppt Da erst tam ihm mit voller zilarheit zum Bewußt sein, in eine wie trittsche Situation er ohne alles Verschulden gerathen war. Daß die Briestasche wirklich das Eigenthum des Herrn Wilhelm Pining sei, tonnte ebensowenig einem Zweifel unterliegen, als er die Thatsache in Abrede zu stellen vermochte, daß sie sich in seinen lleberrocl verirrt habe. Auch gestand er unumwunden zu, vor hin etwds von dem Vorhandensein oinimsr Janiendnmrlsrfwine mahmex nommen zu haben. Und darüber, daß er unter diesen Umständen einiger maßen verdächtig erscheinen mußte, durfte er selber sich keiner Täuschung hingeben. Es half ihm nichts, daß er sich durch allerlei Briefschaften nnd Papiere zu legitimiren versuchte, zähnelnirschend mußte er es geschehen lassen, dafz man ihn einer sehr ein gehenden Leibesvisitation unterzog und dafz man ihn auch dann noch nicht siir gerechtfertigt ansah, als tei ner der gesuchten Tausendmartfcheine gefunden wurde. «Vielleicht hat er sie verschluckt!« schrie Herr Pining. »Man muß ihm etwas eingehen. Und man darf ihn keinen Moment aus den Augen lassen. Wo und wie auch immer die Bantno: ten zum Vorschein lommen mögen, ihre Jdentität wird sich immer feststellen lassen. Jch habe die Nummern hier in meinem Notizbuche.« Zwar unterblieb einstweilen die An wendung des von Herrn Pining vor geschlagenen Mittels; aber von einer Entlassung des Verdachtigen war teine Rede. Und als der anwesende Krimi naltommissär noch einmal die bei ihm vorgefundenen Gegenstände durch mufterte, tam plötzlich ein Ausruf der Ueberraschung von seinen Lippen. «Wollen Sie mir nicht gefälligst sagen, mein Bester in welchen Bezieh ungen Sie zu dieser Dame stehen und wo?sich dieselbe augenblicklich besik det « « Es war die Photographie der schö nen Unbekannten, die ihn zu dieser Frage veranlaßt hatte. Und als Hein rich Waltemath in flammender Ent riistung erwiderte, das Eine ginge die Polizei ebensowenig an wie das An dere, meinte der Beamte gelassen: »Nun, wir werden es auch ohne Jhr Geständnis; erfahren. Aber Sie werden sich nicht wundern dürfen, wenn wir jetzt keinerlei Umstände mehr mit Ih nen machen· Jch kenne nämlich diese Photographie sehr genau. Sie nimmt unter der Rubrik »Hochstaplerinnen« einen bevorzugten Platz im Verbrecherk album ein, und wir sind eben jetzt aus der Suche nach dem Original.« »Das ist ein Jrrthum!« protestirte der in seinen heiligsten Empfindungen Verletzte »Ich kenne den Namen der Dame nicht; aber ich weiß, daß sie eine sehr distinguirte Persönlichkeit ist. Sie können sich selbst davon überzeugen; denn das Original dieses Bildes be findet sich augenblicklich in der F... schen Konditorei am S.-Platz, um mich zu erwarten.« Es war ihm halb gegen seinen Wil len entfahren. under hätte das rasche Wort gerne zurückgenommen, wenn es noch möglich gewesen wäre. Das eigen thiiinliche Lächeln des Commissärs wollte ith gar nicht gefallen. Noch wenige-« stunk-» HIHU IV U,«1, UUU cl bie ganze Nacht als Polizeigefangener verbringen mußte. Er hatte sich diesen Abend in Berlin wahrlich ganz anders vorgestellt. Und wenn Verwünschun gen die Kraft hätten zu tödten, würde Herr Pining den kommenden Morgen schwerlich erlebt haben. Dieser Morgen aber zeigte dem be dauernswerthen Opfer ein ganz ande res Gesicht. Er wurde demselben Com missär vorgefiihrt, der ihn gestern Abend so schlecht behandelt hatte, und er wurde von dem Beamten mit aus gesuchter Höflichteit empfangen. »Der glücklichste Zufall von der Welt hat Ihre Schuldlosigteit noch in der verwichenen Nacht erwiesen, mein Herr! Jm Besitz eines beriichtiaten Taschendiebe5, den man auf frischer That am Bahnhofe verbastete, wurden unter Anderem drei Tausendmari scheine vorgefunden, deren Nummern mit den von Jhrem bestohlenen Reife gefiihrten ausgezeichneten überein stimmten. Und der Spitzbube bequemte sich zu dem Geständniß, daß er die entwendete Briestasche, nachdem er sie ihres Geldinhaltg beraubt, dem er: sten besten Reifenden in den Ueber-— zieher Maltizirt habe, um sich des ge: fährlichen Corpus delicti zu entledigen. Jhr Mißgeschiick ist in hohem Maße be dauerlich, aber Sie dürfen nicht uns dasiir verantwortlich machen.« »Und die Dame in der F...schen ConditoreiZ Man hat sie doch hoffent lich nicht ebenfalls belästigt?« »Sie sitzt seit gestern Abend hinter Schloß und Riegel, und wir sind Ih nen siir den freundlichen Fingerzeig zu besonderem Dante verpflichtet. Es war wirklich die, welche wir seit Wochen suchten. Eine abgefeiinte Hochstapleg rin die eS besonders aus reiche Eim bel auc- ber Provinz abgesehen hatte.« Heinrich Waltematls sagte kein Wort mehr. Alser er drückte dem Polizei tFomniissijr mit einer fiir diesen sehr iilserraschenden Wärme die Hand. llnd als er eine Stunde später den heimath lichen Gefilden wieder entgegenfuhr, sagte er sich in feines Herzens Stille, dafz er bei allem Pech doch eigentlich noch recht viel Glück gehabt habe. Anonhme Correspondenzen mit ein samcn, distinguirten Damen aber hat er seitdem nie mehr geführt. »Oh Cin Panzerschiss von Ietzt-. Von einem Vorläufer unserer jetzi gen Panzertolossr. die demnach keines: tvegg eine moderne Erfindung sind, wird man mit Interesse lesen, wenn man hört, daß die Johanniterritter die Erbauer des ersten Panzerfchiffes wa ren. Boin, der Historiograph des Or dens, hat darüber folgende Aufzeieh nungen hinterlassen: Karl der Fünfte armirte 15520 ein Geschwader, welches, unter dem Kommando des berühmten Andreas Doria stehend, zu einer Erde dition gegen Tunig ausgesandt wurde Dafz die Erpedition mit der Eroberung von Tunis endete«, dazu hat nicht wenig das von den Johanniterrittern in Nizza erbaute und demannte Schiff ,,Santa Anna« teigetragen ngiihrte acht Kanonen, hatte 300 Mann Bei satzung und war nach damaligen Bei griffen wahrhaft prachtvoll ausgestat tet. So war unter den Schiffsräumen eine Kapelle zur allgemeinen Andacht, ein Salon fiir fremde Besucher und auch für die Magenfrage war ausrei chend gesorgt, denn eine eigene Bäckerei an Bord lieferte täglich frisches Brod. Das Merkwürdigste aber war der mit mächtigen kupfernen Nägeln befestigte starke Bleipanzer, der das Schiff, das ost in der heissesten Aktion war, er solgretch gegen die setndltchen Unget schuhte Eine Abbildung des meis wiirdtgen Fahrzeuges befindet sich unter den Fressen des Palastes der Johanniterritter in Rom. NO— Mittelpunkte. Als Till Eulenspiegel sein Doktor exarnen an der Prager Universität machte, fragte ihn einer der Professo ren: ,,Wo ist der Mittelpunkt der Er de?« »Hier wo ich stehe,« antwortete Till mit Entschlossenheit, »und wenn es Jhro Gnaden nicht glauben, dann belieben geneigtest selbst nachzumes sen.« Der alte Witz ist nicht mehr tref send; man mißt jetzt nach. Kürzlich hat man- in Spremberg einen Denk stein errichtet aus einem Punkte, den der Geograph Matzat als den geo graphischen Mittelpunkt des Deutschen Reiches bezeichnet hat. Jn dem be kannten, vom Berliner Architettenver ein heraus-gegebenen Prachtwerk »Ver lin und seine Bauten« hat ein Archi tekt seinen Zirkel zur Hand genom men und heraus-gemessen und gerech net, daß Berlin eigentlich von Rechts wegen der Mittelpunkt von Europa ist« Er argumentirt nämlich so: Ein um Berlin gezogener Kreis von etwa 1750 Kilometer Riadius schneidet nur die äußersten Spitzen und Ausläuser Eu ropas ab: die iberische Halbinsel jen seits des Ebro, das nördlichse Drittel von Siandinavien, Grie chenland, Sizilien und das nörd liche und östliche Gebiet Ruszlands jenseits Uleaborg, Moskau und Char tow. Innerhalb dieses europiiischen Kreises wird die große Zone, welche Berlin umgibt, markirt durch die Orte Ftönigsberg, Warschau, Wien, Mün chen, Stuttgart, Karlsruhe und Aa chen, der Kreis zieht sich über die von Berlin fast gleich weit entfernten Orte: Paris. Dover, Christiania, Stock holm Rims- Vrnhn Gent Noli-s und Mailand. Ein dritter geht in gleichen Verhältnissen über Dublin, Bularest, Bordeaux und Neapel. Braun erklärte diese Angaben für geometrisch richtig, da aber von dem großen Kreis, welchen der architektonische Geometer um Ber lin gezogen hat, die öftliche Hälfte, verglichen mit der westlichen, sich in einem sehr zurückgebliebenen Zustande befindet, so kann wohl von einem geo metrischen, aber nicht von einem kul turellen oder dhnamilfchen Mittelpunkt die Rede sein. W Eine Belaejörjrång ohne Ge n e. Es sind uun gerade sechzig Jahre her, daß Liszt —- der Vater von Co sima Wagner — nach Paris kam, um sich wieder ein neues Stück Welt zu erobern. Die Gräfin Saint Paul gibt in ihren Erinnerungen aus zwei Jahrhunderten« folgende Schlderung über das Debüt des berühmten Mei sters in einem vornehmen Hause: »Er setzte sich an’s Instrument und sah eine Zeit lang nach der Gesellschaft oder vielmehr —- er ließ sich sehen. Aber schon rollt und grollt plötzlich ein wil des Gewitter aus der Gegend des Flü gels hervor, schon donnert und tobt es in der Ecke — schon sind die ersten Saiten gesprungen. Als wollte er die Anderen beruhigen, ging Liszt nun schnell zu einem ganz sanften Piano über. Aber eg dauerte nicht lange und plötzlich schien es über ihn zu kommen, als wäre dies-e Nachgiebigteit Feigheit. Die estung mußte sich ergeben »s- be dingungslos ergeben. Und nun be gann die Belagerung mit einer Hef tigteit ohne Gleichen. Jch glaubte das Zischen nnd Pfeier der Kugeln, das Donnern der Kanonen, das Kleinge wehrfeuer, mit der man durch die Bre sche drang, zu hören nnd dazwischen das Jammern der Verwundeten, das Stöhnen derSterbenden. Endlich aber, der Thurm war in die Luft geflogen! I Man blickte nach mir, man lachte, man schien mir stumme Vorwürfe zu ma chen. Hatte der Meister meinen Angst rus gehört? Jch weiß es nicht. Aber Wenige Minuten — oder waren es nur Sekunden? —-— nachdem der Pulver ihurm in die Lust geflogen war, wäh rend die zersprungenen Saiten noch murrten uno brummten, stand der Be lagerer schon neben der Dame des Hauses und ich hörte, wie er sich ent- . schuldigste »Er besinde sich heute nicht ganz wohl, deshalb sei er so —- schwach gewesen« Im Coupe. Herr: »M«v"chten Sie wohl die Güte baden. mich an’-Z Fenster seyen zu las sen, ich bin nämlich nervös!« Reisender: »O das viele Hinaus schauen macht Sie noch nervöser.« Ein kleine-v Mißverständnisse. Strotuvittwers zu seinem Bekann ten): »Nächst·e Woche kommt meine Frau von ihrer Vadereise zurück, nun« sind die schönen Tage von Aranjuez vorüber!« «Alsv in Aranjuez ist Ihre Frau?« Boobaste Kritik. Schriftsteller: »Herr Redakteur-, wenn die Novelle etwa zu lang sein sollte, so könnte ich sie liirzen.« Redakteur: »Ja, aber wenn Sie die Novelle zu kurz machen wollten, wie nothwendig, so bliebe ja nichts von ihr übrig.«