Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, December 09, 1904, Zweiter Theil, Image 14

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Herrenloses Gut
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Roman von Oäkie Beknbäkd.
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Ei
(10. FortsehungJ
Man erzählte sich auch in Mün
chen. die exzentrische polnische Gräfin,
die Jugendliebe des berühmten Bild
hauers, sei ihm, wie schon früher oft,
s-: auch ’ t von Rom nach München nach
säi , um in seiner Nähe zu sein.
n man auch jetzt an lein zärtliches
Verhältniss Cottas mit der Gräfin
glaubte — jedenfalls war er der Mann
nicht« der sich für anderer Leute Hei
tathiprojelte brauchen ließ.
Diese Gedanken hatte Frau Dota,
wähnend sie an ihrem Klöppellissen
ß. Sie war während der letzten
ve oussallend gealtert, man sah es,
das ein schweres Leiden ihre Gesund
heit untergraben hatte. Das reiche
Blondhaar war ganz ergraut, die ro
sige. rische völlig geschwunden. Aus
dem ahlen Gesicht mit den erschlafften
Zügen blickten nur noch die blauen
ugen sanft und freundlich wie ein
M in die Welt. Der Arzt hielt
- IrrtuPiotrowslh unter strenger Kon
olle. sie durfte fast nichts mehr im
. haushalt besorgen und hatte sich da
- ran gewöhnen müssen, Hanna als
»Minsster des Jnnern'«, wie sie das
Kante anzustellen. Das junge Mäd
n umgab die leidende Mutter mit
der treuesten Fürsorge, was Frau
Dom um so gerührter und dankbarer
anerkannte, als sie wohl mßte, daß
es hanna Ueberwindung kostete. sich
häuslichen Obliegenheiten zu widmen
— hätte sie ungehindert thun dürfen,
was ihr gefiel, sie würde sich von
früh bis spät theoretischen sowie pral
tischen Kunststudien hingegeben haben.
Die brave Theres, jetzt bereits mehr
als els Jahre im Hause, öffnete sacht
. die Thür.
»Es ist jemand da, gnä Frau...
ZE
mKJsdy
-ä- --I-I---ö- M--s
IOIII tout-weitaus I- sp- I-« ou-, »Is
eben mcht Person sagen, aber auch
nicht Dame! Sauder gekleidet und
sehr ein gutes Gesicht — und will
nichts haben —ich mein’, ’s ist nim
mer so was von verschärnte Armuth,
bemalt-W Will gnä Frau sprechen,
ut sich so sehr, daß gnä Frau allein
heim sitzen, denn zuerst hat s durch
aus nur Sie wollen zu sprechen be
kommen —·«
. »Schon gut, Theres!« Frau Dora
that ihre Klöppelei beiseite. »Bring’
sie mir denn hierher —- ich möchte nicht
gern in den Salon hinüber —«
»Du meine Güte —tvas soll sie im
Salon mit den neuen seinen Sosas
und Sihens Das that sie bloß geni
ren! Nein nein. ich hol’ sie für gnä
Frau daher ins Wohnzimmer —kön
neu sich fest auf mich verlassen! Auch
mch unserer Fräul’n Hanna hat sie
Mr t, und ’s ist völlig so g’tvesen,
als den ihr die Thränen kommen
sollen —«
»Wir werden ja hören, was sie
täuscht Jst’s denn schon eine alte
Don-L«
«Je nun-— was heißt alt?« There-J
siegst zweifelnd den Kopf hin und
her. »So die Mitte der sechzig wirdss
haben. vielleicht auch noch was mehr,
aber alletVeil noch gut zuwege und
brav g’riistet!«
— Nach dieser Personalbeschreibung
zog sich Theres zuriicl und lehrte nach
kurzer Frist mit einem unscheinbar
und dunkel gekleideten weiblichen We
mzuriich das in der That ein Mit
ing zwischen Dame und Frau aus
dem Bock darstellte, mehr aber ent
Lchieden von letzterer an sich hatte. Das
Ue bleigraue Haar war glatt an den
Schleifen zurückgesirichen, das Gesicht
hatte eine frische, gesunde Farbe, einen
Ieicht-n Flaum aus der Oberlippe, sehr
dee braune Augen; alles in
allem ein charakteristischeg und auch
etn gutes Gesicht
NR Piotrowsky hatte sich erhoben
L-- w--—L L-- J-- -- VII-L ös
IIU hist-I US Obst-usw« kuqu »Ist-new
entgegen.
»Guten Tag. Bitte, ietzen Sie sich
Zu mir-womit kann ich Jhnen die
geni«
»Frau Piotrowsty?« fragte die
Fremde leise.
»Das ist mein Name!«
R Frau holte tief und zitternd
sthenn sie sprach vorerst nicht weiter.
Sie fah hinter Theres her die ein
senkg zöZernd das Zimmer verließ, da
He vor eugier brannte, zu erfahren,
Ins diese Fremde mit ihrer Gnädigen
Es reden haben könnte. Erst als die
— htir sich hinter der Magd geschlossen
nnd man annehmen durfte, daß
in ihre Küche zurückgekehrt sei,
nd die Frau die Sprache wieder.
j« »Wir fsind hier ganz bestimmt al
. Leitf« ragte sie mit gedömpfter
« Stimme, vorsichtig nach rechts mp
sinkt Umschau haltend. »Es ift wir -
: G niemand weiter da, ats nur wir
Use-N
s, »Dei- -—· nimmst-F entgegnete
E Heu Wwwity befremdet und rückte
T- Weibes mit ihrem Stuhl ein
.- M Mitk.
W Frau diirfen sich nichters
M —- ader was ich zu fragen
— s f habe, das ist fiir keine
j- -. - ästimiert« fuhr die
, Dein , verwischen Mund
- « N Frau werd-en dass
« » « eher-. Das Mädchen
G sehst des das junge Fräu
lein nicht zu Hause ist-und das ist
mir besonders lieb!«
«Wollen Sie mir nicht endlich
sagen —«
» wohl, gleich! Jch bin bloß ein
biß aufgeregt, und auch das wer
den gnädige Frau verstehen und ver
zeihen, wenn Sie alles wissen. Mein
Name ist Erdmann — Frau Alwine
Erdmann, Wittwe schon seit mehr als
dreißig Jahren —- Kinder hab' ich
keine; zwei kleine Mädchen hatten wir,
die sind uns aber ganz klein gestorben.
Mein Mann ist ein Beamter gewesen
bei der Steuer; wie er mir nun aber
so früh starb da war meine Pension
so erbärmlich klein, daß ich davon nie
und nimmer hätte leben können, und
Vermögen hatten wir keins, weder er
noch ich. Rüstig und gesund war ich
auch und geschickt mit der Nadel und
in allen Handarbeiten bewandert —
da dachte ich denn: du nimmst eben in
Gottes Namen eine Stelle an bei Herr
schaften, zur Hilfe im Haushalt, Ver
tretung der Hausfrau, auch gelegent
lich zur Krankenpslege, wenn’s nicht
gar zu schwer ist . .. aber Kinder
müssen dabei sein! Ohne Kinder thu’
ich es nicht... denn gnädige Frau
müssen wissen: Kinder sind mein gan
zes Leben, und ich hab’ mir damals,
wie ich meine kleinen Mädchen hab’
hergeben müssen, die Augen bald blind
geweint, und ihren Tod konnt’ ich nie
mals vergessen und verschmerzen!"
Noch jetzt trübten sich die lebhaften.
dunkeln Augen der Frau, in Gedanken
an das langvergangene Leid.
»Die ersten Jahre wollt’ es mir
ins-Ist »Es -ss’IJ-- II O-«c -;«I-4 -»0 «
.....,. ....,. ,........, ..., ...., .«..» g-. -...
Mag auch zum Theil an mir gelegen
haben — die Herrschaften zu denen
ich kam, und ich, wir paßten eben nicht
zueinander. und ich hatte drei, vier
Stellen, wo es mir gar nicht gefiel.
Aber dann fand sich etwas siir mich,
bei einem hohen Beamten, in meiner
Vaterstadt — ich bin aus K. in Nord
deutschland. gnädige Frau —- vier
Kinder waren im Hau e, die Dame
war sehr zart, sie konnte den haus
ftand nicht mit den Dienstboten allein
bewältigen, sie war aus vornehmer
Familie, von Adel, sehr verwöhnt, sie
kannte nur ein Leben mit großen Mit
teln-kurz, für mich gab es genug
und übergenug zu thun!'·
Frau Piotrowsky war unruhig ge
worden, sowie Frau Erdmann den
Namen der norddeutschen Stadt aus
gesprochen hatte. Umsonst sagte sie
sich das werde ein Zufall sein, das
könne nichts bedeuten . . . ihr herz
begann angstvoll zu pochen und die
Stirn wurde ihr feucht.
»Die Herrschaften waren sehr gut zu
mir-ich hatte freilich viel zu arbei
ten, denn die Dame verstand eigentlich
von praktischen Dingen nichts, und alle
Welt übervortheilte sie und nutzte ihre
Freigebigkeit aus... aber wie war
man mir dankbar! Wie wurde ich ge
halten in dern Hause! Unser Herr-—j
sie sagten ja hinterher alle, er hat über
seine Verhältnisse gelebt und der Frau .
jeden Willen gethan und immer hochl
hinaus gewollt — wahr ist es, er hat :
der Gniidigen nichts können abschlagen
und hat selbst das gute Leben geliebt
—es mußte alles im Hause aufs
feinste und schönste sein, die Kinder
wie die Prinzen und Prinzessinnen ge
kleidet, und fiir seine Gemahlin war
ihm vollends nichts kostbar genug! Da
bei ist sie ganz arm gewesen, er hat sie
aus Liebe geheirathet und hat noch
ihre Brüder, zwei foiziere, unter
stützt. Mir ist später mancherlei aus
gefallen, was mich hätte stutzig machen
müssen — hoch her ging es immer, das
Geld spielte keine Rolle, und die hohen
Rechnungen, die einsieer die gingen
—-:fö--Q ---f--«-k-ll -.--:! -I
IIISIICSIIJ IIILIDUYOI IIIUU · · UULI
damals, du lieber Gott, ich war so
dankbar für die gute Stelle die ich ge
funden hatte; der Herr und die Gerä
dige waren so lieb und freundlich zu
mir, ich konnte es mir nicht besser
wünschen, und wie die herrschaften
sahen, ich war zuverlässig und verstand
mein Amt, da gingen sie unbekümmert -
in Gesellschaften, in Theater und Kon« ;
zerte und überließen mir die Kinder
ganz allein. Ach — und die Kin-«
der . . .
Aus tiefster Seele aihmete die Frau
auf Wieder kam der feuchte Glanz
in ihre Aug en.
»Ich hab’ vorher und nachher doch
in meinem Leben so viele Kinder ge
sehen, aber mich will bedünten, solch«
prächtigh liebe, begabte wie die gibt es
gar teine mehr! Und hingen an mir
und waren mir folgsam und gut! All
ihre Spiele mußt’ ich theilen und mit
den großeren die Arbeiten, wir haben
uns so schön arniisirt die vielen vielen
Winterabende, wenn wir allein rnit
einander waren, haben Theater aufge
fii ri und gekocht und rnit Soldaten
un Puppen gespielt, die Zeit ist uns
niemals lang geworden! Zwei Kinder
chen, von denen eins bald starb wnrs
den noch geboren, während ich dort trn
harrte Dar, denn jahrelang bin tch bei
S werde l W wi -
III-Ja mit DIE-L rsählunsg
lte to
Mchsoxkätte Frau P
»Jch... nein... ich... fahrenSie
nur zotti«
«t un also —- die lehten Jahre hab’
ich merken müssen. daß die Verhält
nisse bei meiner Herrschaft nicht mehr
glatt waren. Jch will nicht davon
reden, wie oft ich hab' auf mein Ge
halt warten müssen . . . schließlich hab’
ich es ja immer bekommen. und die
Dienstboten erhielten es ja auch —
aber die Kinder wuchsen heran und
iosteten mehr, ein-e große, sehr schöne
theure Wohnung war bezogen worden,
die Gnädige war kurz nach der Geburt
des vorletzten Kindes sehr irant gewor
den, sie wurde ein paar Jahre hinter-.
einander in ein Bad geschickt und nahm
die älteste Tochter mit. Das lustige
Leben in unserem Hause ging weiter
seinen Gang, die schönen Toiletten für
die Gnädige wurden bis aus Wien
und Paris verschrieben. und die Leute
steckten die Köpfe zusammen und tu
schelten sich in die Ohren, wo das
alles herkomme, denn unser Herr war
nicht ausgerückt in seinem Amt und
sein Gehalt war dasselbe geblieben.
Jch sah und hörte allmählich vieles,
was mich sehr besorgt stimmte denn
vor mir nahmen die Herrschaften sich
kaum noch in acht mit Litean vol
lends vie Kinder erzählten mir alles!
Unser Herr hatte einen sehr guten
Freund, der für wohlhabend galt, und
ich weiß, der hat ihm ein paarmal ge
holfen, aber er hat selbst Kinder ge
habt und hat wohl auch zuletzt gedacht,
es ist doch alles wie in den Brunnen
geworfen, und er sieht von dem seini
aen niemals mehr etwas wieder. Der
Herr hat zuweilen sorgenvoll und fin
ster aus-gesehen —- aber ans lange ist
,das niemals gewesen, er hat immer
gewollt, daß seine Frau nur um Got
tes willen nichts mertt —- und sie hat
es auch nicht gethan — wie gesagt,
von Geld und Geldeswerth hat sie
keine Ahnung gehabt.
! »So sind die Jahre vergangen —
! unser ältestes Fräulein war schon acht
I zehn und bat Välle besucht — das-L
F Kleinste war vor kurzem geboren, ein
jganz reizendes Püppchen, das Spiel
; zeug vom ganzen Haus. Da hab’ ich
keinen Brief bekommen von hier aus
: München, wo meine einzige Schwester
I verheirathet war; ihr Mann war ihr
» ganz plötzlich gestorben. und sie selbst
s war von Gram und Aufregung schwer
» trank geworden —- siinder hatten sie
s keine, und die Leute, die mit ihr ins
l Hause wohnten schrieben an mich, ob
f ich nicht kommen wolle, sie pflegen, sie
s rufe Tag und Nacht nach mir.
s »Natürlich, gnädige Frau, bin ich
; gefahren, ich hatte mir Vorwürfe ge
; macht, wenn es nicht geschehen wäre,
» und die herrschaften haben mir selbst
. noch zugeredet. Hätt« ich aber gewußt,
was während meiner Abwesenheit ge
schehen wiirde —- wer weiß, ob ich mich
. zu der Reise entschlossen hätte! Es hat
wohl alles so kommen müssen, wie es
J kam —wer kann auch sagen, ob mein
"Dableiben von Nutzen gewesen wäre!
»Ich bin lange in München geblie
ben, es war fiir mich eine sehr weite
Reise, und die Schwester fand ich ster
benskrank, so daß ich mich ihr wirk
lich sehr nühlich erweisen konnte. An
fangs bekam ich oft Nachricht aus K
—-die kleine Frida schrieb und mein
Fräulein Hildegard, einmal auch die
gnädige Frau, und die jungen herren
schrieben mir spaßige Karten. Na
türlich antwortete ich immer wenn
auch nur turz, denn ich hatte viel zu
thun mit Wirthschast und Kranken-—
pflege. Da blieben mit einem Mal
die Briese aus. Jch machte mir aller
lciGedankem es könnte aus der Post
etwas verloren gegangen sein, oder je
mand wäre krank geworden . .. nun,
cllzulange durfte ich mir den Kopf
nicht zerbrechen! Eine gute Bekannte
aus K. schrieb mir einen Brief und
schickte mir ein Zeitungsblatt aus K»
oa stand alles drin zu lesen... daß
eine große Geldunterschlagung statt-«
gefunden hätte und viele, viele Schul
den da gewesen seien . .. und darum
hätten sie alle beschlossen, zu sterben,
und man habe sie sämmtlich todt in
ils-ten Betten gesunden . . meinen guten
O-- s--L L:- XII-H-- C--.- ....-h Lä- -
ssrwssss uns- UIL Ist-»sle Utuu IUU Ill- "
lieben, lieben Kinder —- alle — alle —
lsis auf das Kleinste! Das hat in sei
nen Wiegenbettchen gelegen, sanft und
fest schlafend, und die Milchflafche« in
die ihm sein Vater das Gift hinein
gethan hatte, die hat auf der Erde ge:
legen, und das Kind ist am Leben ge
blieben!«
rau Alwine Erdmann zog ihr
T cheniuch hervor und trocknete sich
die überquellenden Augen« Ihr gegen
über saß Frau Dora stumm und starr
nnd hielt das Haupt gesenkt wie eine
Schuldbewußir.
«Wie mir zu Muthe gewesen ist,«
fuhr die Erzählerin mit einem bangen
Ausathmen fort, »und was ich gelitten
hab' damit will ich gnädige Frau
schon lieber nicht bebelligen — was
hülf es auch, das zu schildern? Mei
ner Kranken durft’ ich nichts lagen, die
lag gerade damals so schwach nnd
hilflos da, wie ein kleines Kind . . .
so muss ich mein großes Leid ganz
fiir mich und im Verlchwiegenen tra
gen-denn ein großes Leid ist es ge
k wesen! Wenn man abre hindurch
« Freud’ und Sorgen m t einer Familie
» theilt und pfle die-Linden wenn sie
s traut sind, un weiß von allem, was
! vorkommt, dann wii st man in so eine
isamilie hinein. Wie bat mi meine
gute rlchaft gejammert. ob e zehn
mal sinnig gewesen ist und hat
nicht recht ge ndeltt Aber nnn erft
die Kinde-et ch, e! Wenn ich beut«
M so v en Jahren, an e
zu , nnd leb« sie im ft
sm- Men dentl var wir. ein
m
ums andere, und muß mir vorhalten.
daß sie lo — fv haben ums Leben
kommen müssen — um ihr junges«
verheißungsvolles Leben —«
Wieder eine Pause. — Zudringlich
laut tönten von der Straße her die
bellen Schlittenglocken in das still(
Zimmer-.
»Wie ich endlich Und endlich bin
nach Hause gekommen da ist's schon
Spätherbst gewesen —- im März war
ich fortgegangen — ich war viel länger
in München geblieben, als ich gedacht
hatte. Was sollte ich auch jetzt da
heim? Statt meiner schönen, blühen
den Herrschaft, die ich alle in Gesund
hcir und Wohlsein verlassen hatte.
fand ich jetzt nur echs Gräber neben
einander auf ein entlegenen Fried
hcf, und die Bitten und Buchw, die
rings umherstanden, die streuten ihre
gelben und rothen Blätter darauf
Meine Thränen sind dicht und heiß
dazwischen gefallen, das lann ich wohl
sagen —ungezählte bittere Thriinenl
— Jch hab’ mir eine neue Stelle suchen
müssen und bin auch zu braven herr
schaften gekommen, aber das wird die
gnädige frau nicht interessiren, das
tann bei eit’ bleiben. Jch bab’ mir
alle Mühe gegeben, mein Herz nicht
an die neuen Kinder zu hängen, denn
wer lann sagen, welches Schicksal die
einmal fpiiter haben würden? Und
ich lonnte und tonnte meine frühere
Herrschaft nicht vergessen, immer und
immer hab’ ich mir den Kopf zergrii
belt, warum das alles hat so kommen
müssen. und ich fand leine Erklärung
dafür! Jn der Nacht hab’ ich fort
und fort von den Kindern geträumt,
wie wir zusammen gelernt und ge
spielt hoben. und alles war so schön
und fröhlich . . . . dann mit einem
Mal bin ich erwacht und hab’ mich
auf die Wirtiichleit und auf die sechs
Gräber draußen beim Friedhof beson
nen und habf schluchzen und weinen
müssen, daß ich dachte, mir geht das
Herz entzwei. — Dies alles erzähl’ ich
der gnädigen Frau absichtlich, denn
dadurch sollen gnädige Frau einsehen,
daß es sich für mich von selbst ver
stand, mich um das kleine, einzig
übriggebliebene Kindchen zu beküm
mern; ich mußte wissen, was aus ihm
geworden war und wer sich feiner an
genommen hatte. Nahe Verwandte
hat meine Herrschaft teine gehabt, so
viel ich weiß —- und ich dachte da
mals: ioenn man das Kindchen ins
Findelhaus oder in eine Waisenanftalt
gethan hat . . .da laß ich es nicht —
nein, de laß ich es nicht« und wenn
mir tausend Menschen erzählen, wie
gut es dort aufgehoben ist! Jch hött’
es zu mir genommen und mein biß
chen Armuth redlichmit ihm getheilt
——— das war ich dein Andenken an das
Haus schuldig, in dem ich so viele
glückliche Jahre verlebt hab’. Aber
ich bin nicht dazu·’gekominen, meinen
Vorsatz auszuführen, denn man hat
mir erzählt, ein kinderloses Ehepaar
hätte die Kleine an Kindes Statt an
genommen und sei mit ihr nach Dort
mund im Westfiikischen verzogen.
Darüber sind nun Jahre vergangen
und abermals Jahre . . . vergessen
hab’ ich meine herrschaft nicht können,
und ich for-de es auch nicht lernen, so
lange mir nie Augen offen stehen. ch
bin so allein aus der Welt —- au er
der Schwester in München hatt’ ich
keinen, der zu mir gehört, und sie hat
wohl oft gebeten, ich soll zu ihr ziehen,
weil sie hier ein kleines Haus besaß
und nicht gut fort konnte —- aber ich
hab-« lieber in meiner alten Heimath
bleiben und arbeiten wollen, so lange
ich eben noch arbeiten konnte. An das
Kind hab’ ich tausend- und tausend
mal gedacht, ich hab’ mich aber nicht
Jetraut, an die fremden Herrschaften
nach Dortmund zu schreiben und zu
fragen, wie es der Kleinen geht. Was
wär’ das auch für ein Brief gewor
den. too ich doch alles und alles hätt«
auseinanderseßen müssen —- und sehr
gewandt mit der Feder bin ich nie ge
wesen! Einmal, Vielleicht zehn oder
en Jahre nnd-s her, da hav- ich zufal
lig in einem fremden Haus gehört, die
herrschaften, deren Namen ich mir
natürlich gut gemerkt hatte, wären
von Dorttnund fort und nach Mün
chen verzogen . . . aber weiter erfuhr
ich auch nichts, bloß, daß das Kind
ani Leben sei. — Und jetzt, gnädige
Frau, verzeihen Sie mir schon, iit
meine lange Geschichte endlich aus
Mir ist die Schwester hier in Mün
chen gestorben« —— die Erzählerin
blickte auf ihre Trauertleidung herab
—- »und ich hab’ müssen herkommen,
den Nachlaß in Empfang nehmen,
denn ich bin die einzige Erbin; das
häuschen gehört mir, auch der lleine
Garten, draußen in Schwabing, und
weil ich nun gut zu leben hab' und
mir die wenigen Bekannten in der al
ten heimath gestorben oder fortge
zogen sind, so bin ich eben fiir meine
lehte Lebenszeit hierher nach München
übergesiedelt und will auch hier neben
der Schwester auf dein itidlichenIried
hof beerdigt werden, denn vorn Ber
brennen halt’ ich nicht-! Wie ich erst
nach all beni vielen Laufen und
Schveiben und den Terminen vornGes
rächt zur Besinnung gekommen bin.
da if» inein erstes gewesen« mich nach
deren Jngenteue Piatrotvslh zu er
kundigen, ob er noch hier arn Ort
wohnt mit seiner Frau Gemahlin und
M Fräulein Tochter —- und tch
heil-' erfahren: ja —- und nun tat-W
ich gnädix Frau wcht inständigst bit
ten: wesen mir erlauben. das Kind,
michvpchssfmmukmpkpci
W
i
ten und geliebt habe, gleich den ande
ren. die alle, alle nicht mehr sind, wie
dersehen zu dürfen — die einzige, die
übrig geblieben ist von der großen,
glücklichen Familie —- die letzte und
einzige!«
Die Frau hielt wiederum ihr Tuch
an die Augen und weinte still hinein.
Auch Frau Dora fühlte es heiß und
schwer auf ihre im Schoß gefalteten
Hände niedertropfen, zugleich aber
warf sie angitvolle Blicke nach der
Thür. .wenn nur um Gottes wil
len Hanna jetzt noch nicht zurückiiiinel
»Liebe Frau Erdmann« —- sie legte
der weinenden Frau den Arm um die
Schulter und streichelte sie sacht —
»ich habe so viel Mitgesiibl, so viel
Theilnahme für Sie, und wenn ich
nichts davon verrieth, so war es ein
mal; weil ich Sie nicht unterbrechen
wollte — Sie sollten ruhig alles fa
gen, was Sie auf dem Herzen hatten
—- und dann, weil ich mir ja denken
konnte —- nein, weil ich wußte, um
was Sie mich bitten würden . . . und,
sehen Sie, ich lann Ihnen die Bitte
nicht gewähren!«
Die Frau fuhr auf und ließ ihr
Tuch sinken.
»Wenigstens nicht so, wie Sie sich
das wünschen und denlen! Nein,
nein, es geht nicht, es darf nicht sein
—- in keinem Fall! Jch danke nur
Gott, daß Hanna nicht daheim ist,
daß Sie sie nicht unvorbereitet sehen
lonntenl Sie hätten sich vielleicht
verrathen, Jbre Bewegung nicht un
terdrücken können, und das würde
möglicherweise all die Vorsicht und
Sorgfalt, die wir, ich und mein
Mam:·, seit langen Jahren geübt ha
« bot-I sit-ist« mach-n Sonn-I msib
Kind ist!«
»Sie — sie weiß es nicht«-P
Entsetzung folgt.)
Innöbrucker Schreckeuitage.
Ueberdie Studentenunruhen in
Jnnsbruch die durch Eröffnung der
italienischen Fakultät hervorgeruer
wurden, liegt nunmehr der ausführ
liche Bericht eines Augenzeugen vor.
Das Tiroler Tageblatt schreibt am 4.
November: »Als sich gestern Vormit
tag die Eröffnung der italienischen
Rechtsfalultät so ruhig vollzog, ahnte
niemand die furchtbaren Austritte, die
sich an dem Abend dieses Tages in
unserer Stadt abspielen sollten, die
blutigen Szenen, die ein junges Men
schenleben tosteten.
Die weischen Studenten hatten sich
im Gasthof zum »Weißen Kreuz« in
der Herzog-Friedrichitrafze zu einer
»Siegesfeier« versammelt, zu der mit
dem Abendzuge auch einige italienische
Studenten aus Wien eintrasen. Als
sich die Kunde davon in der Stadt ver
breitete, eilten einige deutsche Studen
ten, taurn 20 bis-JO, in die Altstadt.
Da traten die Welschen, weit über 100
an der Ahl, gegen halb 11 Uhr aus
die Stra und stellten sich in Meter
reihen unter dern östlichen Laubengang
vor dem Gasthofe bis zur Stiftgasse
auf. Die Polizei, die inzwischen in
großer Zahl herbeigeeilt war, versuchte
einen Zusammenstoß zu verhindern.
Da wurden aber die Deutschen von
den welschen Eindringlingen heraus
fordernd mit italienischen Schimpf
worten bedacht. was zur Folge hatte,
daß sich an der Stistgasse ein Hand
gemenge entspann.
Noch ahnte niemand etwas Böses
da blitzten unversehens aus der ganzen
Front der welschen Studentenschaft
zahllose Revolverschiisse auf. Alle
waren durch diese unerhörte That er
schreckt, doch glaubte man, es seien
bloß blinde Schüsse gewesen. Aber nur
einen Augenblick, dann wurde allen
die furchtbare Wahrheit klar; neun
Personen waren durch die blindlings
abgegebenen Schüsse verletzt worden.
Die Welschen hatten fo toll daraus
losgeschossetn daß sie nicht nur Wach
leute und Deutsche. sondern auch ihre
·eigenen Landsleute verwundet hatten.
Die Verwundeten wurden zum
Rathhause geschafft und aus der Poli
zeiwache verbunden; einige von ihnen
mußten gleich ins Krankenhaus ge
schafft werden.
Nun bemächtigte sich der Deutschen
eine furchtbare Wuth und sie drangen,
rnit Stöcken und anderen Instrumen
ten bewassnet, auf die wetschenSchand
buben ein« denen es mit Mühe gelang,
sich ins »Weiße Kreuz« zurückzurettem
während eine größere Zahl im Gasthof
»Rose« Unierschlupf suchte. Die Po
lizei drang nach und beschlagnahnite
eine große Zahl von Revolvern. Jn
zwischrn hatte sich die Nachricht von
der neuesten Schand-that der Welschen
mit Blitzesschnelle durch die Stadt ver
breitet und aus allen Gasthiiuiern und
Kasseehiiuiern ftrömten die Deutschen
in hellen hauer zur Verzug-Friedrich
Straße, wo nun der Sturm auf das
»Weiße Kreuz« begann. Jn kurzer Zeit
war tein einziges Fenster mehr ganz,
unaufhörlich flogen Steine in die er
teuchteten Räume; schließlich wurde
auch an der Schwein-ne des «Weißen
Kreuzes« der Laden erbrochen und die
Spiegelscheibe zertrümmert Der
Polizei gelang es noch im letzten Au
enblich die Deutschen ain Eindrinaen
n den Gasthof zu hindern.
Da erschien der Bürgermeister in
Begleitung feines Sohnes und mehre
rer Gemeinderäthr. Nur rnit Nähe
verrn te er die tobende Menge r
einen u nblick ur Ruhe zu brrnaem
Er te. da er alles thun werde,
M in einen Kräften siehe. Er werde
alle welschen Studenten in den beiden
Gastbiiusern verhaften, die Nacht durch
in Polizeigewabrsam halten und am
nächsten Tage dem Landes-gereicht über
stellen lassen. Wuthschreie übertönten
seine Worte. Immer erregter tvurde
die Menge immer zahlreicher sausten
die Steine gegen die nster, bis es
schließlich den beruhrgenden Worten
des Bürgermeisters gelang, die Mknge
zur theilweise-i Freigabe der Landen
zu bewegen.
» Die Polizei, die von Magiftrats
rath Neuner und Jnspettor Ertl ge
führt wurde, versuchte nun zwischen
halblundl Uhr die im »Weißen
Kreuz« eingeschlossenen Jtaliener in
kleinen Trupps unter starter Bedeck
ung in den Polizeiarreft abzufiihren.
weimal wurde dies mit drei bis vier
talienern gewagt, doch kaum traten
die Welfchen, jeder von allen Seiten
von Wachleuten umgeben, aus die
Straße, als sich die Menge wie wahn
sinnig auf sie stürzte und sie zu lyns
chen suchte. Jn wilder Eile stürmten
die Wachleute mit den Arreftanten in
der Mitte durch die MariasTheresiem
straße zum Rathhause. Es war ihnen
unmöglich. die Welschen vor den zahl
losen Steinwitrfen und den hageldicht
berniedersausenden Stockbieben zu
schützen, die nicht nur die ei tlichen
Empfänger verwundeten, son rn auch
die eslortirenden Wachleute in Mitlei
denschaft zogen. Es war für die Wel
fchen buchftäblich ein Rennen rtm’s
Leben. Diese Erfahrungen veranlaß
ten die Polizei, es bei den beiden
Transpotten bewenden und die übri
cffen Welschen in den Gasthöfen einge
chlossen zu halten. Darauf wurde das
Zerstörungswert am Gasthof zur Rose
aufgenommen und so gründlich durch
geführt, daß an der Front nichts mehr
ganz blieb.
Plötzlich erschienen mehrere Statt
haltereibeamte, Feldmarschallleutnant
v. Hosser und Platztommandant
Oberstleutnant Czerny mit mehreren
Ossizieren Sogleich verbreitete sich
das Gerücht, daß Militiir erscheinen
werde, und richtig kamen gegen Exil
Uhr durch die Hosgasse eine Kompag
nie Kaiserjiiger und bald darauf eine
Kompagnie Jnfanterie. Das Militär
das gegen den ausdrücklichen Protest
des Bürgermeisters, aus Veranlassung
der Statthalterei, herbeigerusen wor
den tvar, sperrte mit ausgepslanztem
Bajonett die HrzogsFriedrichstraße
beim Case Katzung ab. Zuerst wur
den die Kaiser«äger mit Hochrusen
empfangen, die ich aber bald in Ah
zugsruse und Pseisen verwandelten.
als man sah, dasz viele Welsche unter
den vornan stehenden Kaiserjägern sich
befanden.
Bürgermeister Greil bemerkte zu
Feldmarschallleutnant von Hosser:
»Wenn wir das Militär ausmarschiren
lassen, haben wir eine Schlacht!«,wo
raus dieser erwiderte: »Aber ich meine
ia nur, die Leute mit Ruhe zurück
drängen." Aus die Antwort des Bür
germeisters: »Das haben wir schon
seit zwei Stunden versucht, die Leute
sind aber voll Wuthz Sie diirsen auch
nicht glauben, daß es lauter Studen
ten sind,« bemerkte Feldmarschallleuti
nant v. Hossen «Wenn Sie die Leute
nicht mehr zurückzudrängen vermögen,
haben Sie sehr wenig Einfluß, Herr
Bürgermeisan«
Die Polizei begann nun, die Herzog
Friedrichstraße zu räumen und hatte
die nach Tausenden lziihlende Menge,
die über das Erscheinen des Militiirs
höchst erbittert war schon bis zur
Stistgasse zurückgedrängt, als in ihrem
Rücken plötzlich Signale und Kom
mandos erschallten und das Militiir
gegen 214 Uhr im Schritt vorriickte.
Dicht neben den vorriictenden Truppen
»stehende Personen wollen beobachtet
I haben, daß die deutschen Soldaten die
lAttion ziemlich harmlos, sogar humo
lristisch aussasztem während die wel
ischen buchstiiblich zähnesletschend in
voller Wuih aus die Demonstranten
losstiirztem
I Als-die Truppen aus der Herzog
IFriedrtchstraße heraus-traten, gingen
J «ie· mit gesiilltern Pajonett im Sturm
imrur nach drei Sekten vor: in den
Marttgraben, in die Maria-Theresien
straße und in den Burggraben. Die
«Menge sloh unter Schmährusen aus
das Militär in wilder Hast vor den
E drohenden Bajonetten, da ereignete sich
Jettoas Entsetzliches: der jugendliche
Kunstmaler August Pezzey vermochte
den im Burggraben hinter ihm herstiirs
menden Soldaten nicht schnell genug
. zu entrinnen und erhielt ton rückwärts
ieinen Stich in die Brust, daß das
s Baionett vorne heraus-sprang Der
sStosz hatte das Herz durchbohrt und ·
, augenblicklich den Tod deis hossnun s
lvollen jungen Mannes herbeigesii t.
’ Nun war Ruhe in der Mi des
JSchauplatzes dieser Schreckens zehen.
HDas Militiir, das weit in die Maria
E TheresrewStraße und in die Museum
- Straße hineingedrungen wur« zog zunr
JEingang der herzog-Friedrich-Strasze
zurück und sperrte dort mit drei Linien
;Marttgraben, Bur graben und Ma
lriagTherestensStra ab. Jn den
ziidrigen Straßen weilten aber noch
i lange. obwohl es Zllhr dorsiiber war,
; zahlreiche-Gruppen ausgeesegt und
Zentriistet die blutigen Ereignisse der
jNacht besprechend. anroiseljsen waren
szahlreiche Deutsche in die ltiebeneggs
sStrahe stürmt und alten dort
ssiirnnitli nster des alultiitkkei
böudes 1er rtirnrnert gen 3 hr
f wurden dann die italienischen Studen
»ten von dein ganzen Polizist«-u dot
durch das Militiir htndur ins aths
)haus und durch das rittgeshor
Hins Landesgericht adgettesert rn lb
sUhr rückte das Ri itär Itelxser ·