Die wunderdoktorin. Novelle von A. Trinius. Gestein Nachmittag um vier Uhr —- fammtliche Fabritpfeifen der gu ten Stadt Lerchenthal gellten frech . sie echte Straßenjungen in die feier sg cichen Glockenschläge der Uhrthürme von Kirche« Thor, Rathhaus und Bergschloß — da haben sie das bis chen irdische Theil der alten Wunder dottorin Barbara Zimmermann der Erde übergeben. Es war kein-e ..große Leiche«, wie man hätte nach dem Ruf der Alten erwarten dürfen. Der Pfarrer, die Kurrende, die Todten frau, ein Häuflein wackeliger Nachba rinnen aus der Gasse, in der sie ein langes Menschenalter gehaust hatte, waren erschienen. Dazu schluchzende Kintschweiber, die bei keiner Beerdi ttng fehlen, und etwas neugieriges ungvoli. Verwandte folgten dem rge nicht, da die Verhlichene keine hinter-lassen hatte. Wäre es nach Recht und Billigkeit gegangen, fo hät!: viel leicht wohl das hblbe Städtchen der Todten die letzte Ehre aeben müssen, da so viele Hunderte bei ihren Lebzei ten Rath und Hilfe bei ihr gesucht — hatten. Doch ein solches Zugeständ niß der Oeffentlichteit gegenüber er schien ihnen doch etwas undeauem. Es war ein unschönes, runzliges Weibchen gewesen. Etwas Unheim liebes haftete ihm an. Jm dumpfen Mittelalter würde man es zweifellos auf dem Scheiterhaufen in’s Jenseits befördert haben. Mit leis wiegendem Kopf. die halb verschleierten Augen unruhig und lauernd hin und her schweifen lassend, schlurrte die Alte einher, die gekrümmtem welken Hände wie tastend vor sich hinbewegend. Mit ihrem graubiirtigen Mann, einem ehe maligen Pfeifendrechsler, bewohnte sie ganz allein ein schmales, zweiftöcti ges hauschen in einer der langsam aufsteigenden Berggafsen des Städt chens. Jn dem unteren Stübchen ne ben dem hausflur wurden die Kun den empfangen, darüber neben dem Schlafrauni war das Wohnzimmer. Fenfierspiegel beitrichen da die aus und ab, so daß ihr nichts entgehen konnte, was draußen kam und ging. Die Wunderdottorin selbst sa hinter der Gardine. scharf beob .d zuweist eine Tasse lichtbrau nen Kassees im Schoße. Sommer und Winter wurde ein Feuer in dem Stu beuosen unterhalten, in dessen Röhre eine bauchige, braune Kanne ihren Lieblingstrani warm hielt. Kuchen und Kassee bildete die Hauptnahrung des alten Ehepaares dem keine Kin der beschieden gewesen waren. Barbara Zimmermann war nicht sanz ohne Konkurrenz im Städtchen. igab da außerdem noch fiinf Dot toren siir Menschen, einen siir das ciebe Vieh, zweiNaturheilärzte, die nebenbei noch achibare Beamtenstel lungen einnahmen, und endlich ein Schneiderleim das mit heilsamen Kräutern der leidenden Menschheit beisprang, aus den Sternen aber das Geschick Hoffender und Liebender an geblich heraus-las. Barbara Zimmermann aber war allen an Scharsfmn über. Selbst von den Studitten tam ihr teiner an Weisheit nahe. Jhre Diaanosen wa ren einsach von verblüssender Schärfe und Richtigkeit »Sie bat den Teufel im Leibe!« meinten die einen. «Sie ist ein Sonntaastind!« mein ten die anderen. »Wer das ist, der sieht mehr wie wir. Der auclt durch Eisen und Stein und prüft, wie Gott« Der n und Nieren!" ine dritte Partei aber sagte gar nichts. Das war jene, welche die Heil- und Sehertrast der Alten nicht in Anspruch nahm, sondern, kam das Leg-reich ’mal aus diese, still für sich Ja in der That: der Mandat-cito rin Diagnosen wirkten wie Himmels assenbarungem Den meisten aber siel es gar nicht aus, daß sie solche nur im rissen hause stellte, außerhalb aber sur zu Kranken eilte. wenn es sich um A— den Blick, das Befprechen handelte, Infizkn der Hände, Anhauchen un urrneln seltsamer und unver ständlicher Sprüche. Auch war sie ftets bereit, mit gläubigen Seelen sich um Mitternacht an einem Kreuzwege im « nahen Wald einzufinden, wo dann , Ileauntvurzeh Mausezahn und Krö ienaugen eine nicht unbeträchtliche Rolle spielten und tiefftes Schweigen während der feierlichen Handlung, He Grabesverschwiegenheit fpäterhin den Nachbarn gegenüber, eine Haupt hedingun bildete. Das under ihrer Diagnvfen aber , vollzog sich wie folgt: Qiinglinglings Die hausthiit der Bunderdoitorin öffnet sich, und eine freundliche Frau mit Hut und Man E hetritt den ftillen Hausflur, un xchssffiz wohin sie sich hier wenden Ill. Der Klan einer Holzaxt hallt as ihr Ohr. leich daran trottet - M Hofe her der alte Zimmermann , St Siehst zum Gruße das verbliebene Iswpcheu und dienert dem Be u ice du met Guckeda! Wahrhaf de Madame Kummissärt Bitt’ i« Er öffnet die Thin zur Em Jtm I METWWOO 2 taki pre n « give Irr-? åi aewißt Bitt — Hat Se wäin äns FÆ detiith thM « r wt tm et Z W Schürze iiber einen Stuhl i ig und fasiebt leiteten dann f es Qsmmissär hin. »Se tummt « W er dann fart,« ·fe is nur « i- s- Miso-it Ich Gott - M is traut, wohin mer ZEISS-i Dvsdert sticht briebwarm unn nu diese Dundeksltel Nadierlich söhrt das einem in die Knochen! Mir is ’S au nicht ganz get-einst »Seit acht Tagen habe ich Abends einen Schüttelsrost, scgeich Ihnen« .Sähn Se, sähn ! Unn denn so dumm im Koppi GelletF .Ja, der Druck sorttoährendl Und ein Ohrensausen . . . . acht« »Mertroiirdig! Unn sast immer im linken Obr! Nich?« « ch hab’s im rechten.« »Ob« so, im rechten! Kenne das! ’s legte Mal hatt ich’3 au noch im Kreis . . . . ich sah’ Jhnen.« »Mir-licgt’s aus der Brust.« « a, Ia.« » einen rechten Appetit.« «Rich wahr? Unn gerade damals-, da habn mer mit Nachbars zusam men n Schweinchen geschlacht . . . . ach ich ma ’ gar nich dran denken! Na, meine xru ’s wärd doch nichts Aernsthastes beim Schlosserheinrich sei? Se müßt schon längst wieder hier sei.« Weiter spinnt sich der Faden der Unterhaltung ab. Barbara Zimmermann hatte oben im Fenstersmegel die Frau Kommis sär aus ihr aus zusteuern sehen. »Th:obald.« rief sie die Treppe hinunter. »Geichwind, geschwind! ’s kommt jemand! Ae Kandel« Da war der getreue Mann und Helfershelser flugs in den Hof ver schwunden. Di-: Wunderdoltorin aber war sacht aus die Diele ihres Wohn zirnrners niedergeglitten und hatte das eine Ohr fest auf ein Loch ge drückt, das nach unten mitten in der Decke mündete, wo innerhalb eines Sterns ein pausbackiger Engel aus Papiermasse heiter lächelnd an einem bunten Faden niederschwebte. Da lag sie und lauschte und lächelte. Dann erhob sie sich, schlich aus den Strüm Pfen die Stiege hinab, fuhr wieder in die Hausschuhe, bewegte tlingend dte Hausthür und trat dann in die Embsangsstube unten ein. »Ei, guten Tag, Frau Kummissärl Nähmen Se’s nur nich ibel, daß ich Se hab’ so lange warten lassen. Zehn Oeme unn Vanoe mocht mer jetzt ha- « den. ’Z Se ä Elend, wenn mer nicht allen helfen kann, wie mer möchte.« »Gesundheit ist das beste Gut!« be stätigte fromm Herr Theobald Zim mermann. .Nu, Theobald, nu kannst de aber naus geh’. Das is Meibersache, was mer beide zu tun haben!« Die Thür IchloßD sich hinter dem Pseisendrechs er a ..,So so. Bleiben Se nur sitzen Frau Kommissar, bleiben Se nur!« ubr geschwätzig die Wunderdottorin sort «’3 talt draußen, gelie? Da sliegt’s einem nur to an!« So, nun gen Se mal!« Sie fiihlte der Zion am Puls, sie sah ihr starr in die Augen, behorchte den Athern und betlopste behutsam einige Gesichts theile ,.Das Ohrensausen irn rechten Ohr möchte ja noch gehen so merk tviirdig es auch is. gerade im rech en.« Frau Kommissär riß die Augen auf und blickte wie fassungslos der Alten in’s Gesicht. Diese aber ließ sich nicht einschüchtern, sondern fuhr fort, das Ergebniß ihrer wunderbaren Diagnose zu Vertünden. «Se hätten nich sollen erit acht Tage mit diesem Schüttelfrost Abends .. . . dem Stirndruck warten . . . . das is nich gut . . . . das soll mer nich!« Frau Kommissar wollte antworten. Aber wie in Bann und Zauber war sie gelegt. Wie aus einer anderen Welt schönste da dieses alte, unschein bare Weib ihre tiefsten Kenntnisse. Appetit au nur wenig. hm, hin! Aber ärscht müssen wir die Brust schmerzen wegbringen, Frau Kum missiir! Das ig mer ’s Wichtigste.« Frau Kommissär sagte überhaupt nichts mehr Sie fühlte nur das eine, daß sie sich in dieser Stunde mit Haut und Haaren der iibernatiirlichen « Sibylle rerschrieben hatte. Mit einer wahren Demuth vor der- schier unsaß baren Größe menschlicher Weisheit und Ertenntniß nahm sie lebhaft dan kend das Büchschen Salbe wie den Kräuterthee in Empfang, Verhal tungsmaßregeln und Rathschläge dann verließ sie das qeheimnifivollx haus, nicht ohne vorher lautlos un fast schüchtern ein hübsches Stück Geld aus den Tisch niedergelegt zu haben Für die nächsten Wochen aber wirtte te wie ein Apostel, der den Ruhm ei nes Propheten hinaus in die Lande tragt. Von Haus zu haus, von Kränzchen zu Krönzchen rührte sie die Werbetrpmmel zu Ehren der gottbe nadeten Wunderdottorin Barbara immermann. Kaum aber hatte an jenem Ta sich die hausthür hinter ihr gefehlt-I sen, da steckte der ehrenfeste Meisen drechsler a. D. sein saltiges Gesicht psifsig in di Stube hinein. »Was« fragte er insend JDrei Mart hate gegeben . . : mit der Ar neit« »Un osten ?" »Im-Iris Pfennig-» Und dann lachten sie sich beide an Aber ei war nur ein gedämpstes, ganz eigenes Lachen, welches das Echo dej seltsamen hinsei nicht wachrief. « Es blieb also mir recht und billiz das Mckge Mit Treifsichetheik ger Diana-sendet Ansehen der Al ten immer bis rn mnßtem Mr Eran sagte: was heßifeuhykiäcder M ask-»sehr net-IT «w sechs-s sei tttel verfsgen Seht-ign- diese der-sieht ein. III-I UMIXW derbes W intmermann. Da hatte man sicher ch etwas verseblt, oder der Glaube toar nicht kräftig genug gewesen. Als nun aber eines-Tages das men schenfreundliche Ehepaar mittels des o graltischen Hörrohrs sogar zwei Lie nde zum Bunde fu« Leben zu kommengebracht hatte, da durfte die chauen. Ein Ereigniß siir sie und die» Gasse war es jedesmal, wenn die Titel W einer Besprechung hinaus aufs underdottorin noch stolzer unt lich Land zu einem Gutsbesitzer abgeholt wurde. Da slog’s wie Sturmseuer von Haus zu Haus-: «Jemersch, emersch! Schon wie der ne Chaise!« ,,De Wunderdottor’n kann sich gratulirenk ’n pitseines Geschirr!« «Mach’ hin, daß ich’s au ’mal ge sieht'« »Na, da tommt se ja angedilet! Gurt, guctl Scheint ’ne ganz neie Fahne anzuhamm?" Mu, ’S Geschäft wärst doch au Da stand die Alte vor der Haus thiir aus der obersten Steinstuse, dun tel gekleidet, mit Maniille und Kupp but. Sie bob den Kopf und nickte lauernd und auch wieder ftolz die Gasse auf und ab, ob es auch jeder sähe, ob Giebel zu Giebel sich tuschend neige und die Spatzen neugierig die Augen verdrehten. Und dann stieg sie langsam die vier Stufen hinab, nickte feierlich dem Kutscher zu ..... schtoabbs flog der Wagenschlag zu, und hinaus gings in's offene Land. Jahrzehnte waren to dahingegan gen. Sparsam gelebt mit einer wach senden Kundschast sich erfreut! Da war Mart zu Mart geflossen, und die unscheinbare Triibe zwischen den Bet ten beider barg bereits eine hübsche Ersparniß. So manchmal tniete Abends die Alte davor und zählte und zählte. Und eines Tages, als sie wie der mit der Kaiseetasse im Schoße am Fenster saß, da lonnte sie dein mit Reisigholz aus dem Walde heimkeh renden Mitbelfer ihrer segensreichen Thätigteit das freudige lseheiinniß ab UllUlllUllkIL UOH IIUc llllw UckIYUlP dert Mart an den io vielen Tausen den fehlten. »Kriegen mer au noch!« schmunzelte der Alte. »Kriegen mer!« »Mehr noch! Mehr! Theobald! Wenn’s so weiter geht.« Es ging so weiter, noch ein paar Jahre hin. Frühling war wieder ein mal mit Sang und Sonnenschein vom Westen her über die Berge ge kommen. Ein neues Werden ging zitternd durch die Welt. Aus jedem Menschenauge fchien es im geheimen Jubel hervorzubrechem Nur in denen des alten Zimmermann nicht. Der lag drohen auf dem Sopha eingehiillt, hustete und stöhnte. Die Wunder doltorin hatte ihm ein lösendeö Säft chen eingegelcsem Jn der Osenröhre hrodelte start duftender Thee. Unten stampften wieder einmal zwei Braune vor einem Wagen, der die Alte auss Land shvlen sollte. geistlich angethan, war sie an das ager des unruhig sich umherwälzem des Mannes getreten. »Mir Geduld, Alterl Heit Abend ist’s bessert Kannst dich dran der lass’n! Wenn die mer heil zehn Mart gäben — dreimal war ich nun da — dann ha’n mer die Viertausend voll. Du, Theobald, Viertausend!« »Viertausend!« wiederholte der Kranke mechanisch, während seine Au gen wie verständnißlos die Frau an blickten. »Wenn das die Leite wüßten! He hehet So, unn nu sei gescheit trint fleißig Ther! heit« Abend ists besser! Ade!« Sie ichlurrte hinaus. · Der Kranle schen-leihe naochz nndL Icinc Lippcn Mllkmcllclls »Ulckllllls send! Vier tausend! Vier« Er schaute noch immer nach der Stubenthiir mit seinen müden Au gen, als Barbarn Zimmermann gegen Abend in das dämmerige Stäbchen eintrat ,,So! Nu hammer’s zusammen! Biertausend Mart!« Keine Antwort. Jur der starre Blick des Mannes auf sie gerichtet. »Du! Alter! Hörst’s nich? Bier sausend Mart!« Sie zog aus der Tasche ein blinkendes Goldstück und hielt es ihm iriumphirend hin. Dann Jus einmal schien eine furchtbare Er ienniniß über ihn zu kommen. Aus allen dunkeln Ecken und Winkeln rannte es eintiinig, grausig: «heit Abend ist’ö besser!« Das Goldstück entglitt ihrer Hand, sie stürzte zum Sopha und fiel mit einem lauten Schrei dort in die Kniee. «Theobald! Theobald!« Sie fuhr mit bebender band über seine Stirn . . .. kalt, talt!« «Theobald! Wach’ auf! Du du . . . Jch bin’s sa." »Die Wunderdottorin!« schien es ringsum zu höhnen. »Du mußt leben .. . Du sollst noch leben . . . Was soll ich denn ohne dich hier machen? hörst du nichts Du sollst hören Du sollst ausmachen . . . So hör-l doch!« hut und Mantille hatte sie abgeris sen. Dann ergriff sie seine hände und rieb sie in den ihrigen. Sie schleuderte die Decke fort, zerrte das Hemd iiber der Brust auceinander und beugte sich lauschend zum herze-i nie der. Still, ganz still! «Theobald!« wimnrerte sie. »Du dntfß nicht fort Du sollst« . . . Sie flog empor. re Augen trafen die anderen, die in den, starren. Vettmeaiibnsie in Schwer-. , und Beriweiflunz Sie faßte m im sit des Dein-n u M -———-.——O——— schleuderte es sinchend zu Boden. Sie »schiittelte den Todten, als wollte sie ; damit das entflohene Leben noch ein mal zurückrusenz wild raufte sie sich das graue haar. »Wunderdoltorin!« schrie sie aus. «Hahahaha!" Und dann brach sie de wußtlos iiber der Leiche zusammen. Das war an einem Frühlings irbend. Lange hat dann Barbara Zimmermann den heimgegangenen nicht überlebt. Und das war gut siir den Rus ihrer Wundersirma. Mit dem Tode ihres Mannes hatte sie die Dottorei im Hause ausgegeben. Sie sei zu schwach, erklärte sie überall. Das Kuriren ersordere zu viel Kraft, wolle man den rechten und sicheren Blick haben. Sie niiisse sich erst wie der von dem schweren Schlag erholen. So war der Sommer in’s Land gegangen. Alltäglich sah man die Alte droben am Fenster sihen, die Kasseetasse irn Schoße, das runzelige Antlitz noch um einen Schein blässer denn ehemals. Jeden freundlichen Gruß erwiderte sie mechanisch, welt abgewandt. Und als sie eines Tages nicht mehr grüßte und am anderen Morgen noch so eigenthiimlich steis und feierlich am Fenster saß, da stie gen Nachdarsleute hinaus in ihre Stube. Die Kasfeetasse lag zerschellt am Boden. Die Wunderdotiorin aber saß noch immer in ihrem alten KorbstuhL nur ein wenig nach hinten zurückge sunlen. Jbre Augen waren starr hinaus wie in die Ewigteit gerichtet. H-.-—-— In Fesseln und doch frei. Eine wahre Kriminalgeschichte von R u s u g. Dunkel war die Nacht und der Hirn mel hing voll schwerer Wollen. Rauh wehte der Wind und auf Gras und Blättern lagen Regentropfen, der Erd boden war durchweicht und schlammig. Mit durchniißten Kleidern und schlammbedecttenStieseln schleppte sich eilends ein Mann durch das Kornseldz er war schon vollständig erschöpft und tonnte kaum noch weiter. Seit zwei Stunden war er auf der Flucht, es handelte sich für ihn um Leben oder Tod. Mehr als einmal war er genö thigt gewesen, umzulehrem um weiter zu können, trotzdem er wußte, daß jede Minute kostbar war. Denn seine Ver folger waren hinter ihm, und sie konn ten ihn nicht verfehlen; jeder Fußtritt, den er that, hinterließ in dem weichen Boden seine Spuren. Wird es ihm ge lingen? Wird er ihnen entkommen? Oder werden sie ihn fangen nnd am nächsten Baume austniipseni Auf Barmherzigkeit von ihnen hatte er nicht zu hoffen. Wie wenig hatte er sich ein solches Ende träumen lassen, als er vor kurzen zwei Monaten seiner lieben Mutter im fernen then Lebe wohl sagte und ihr« den Abschiedstuß gab! Was hatte er in diesen beiden Mo naten alles durchgemacht! Und nun floh er vor einem wüthenden Mob, der ihn verfolgte, weil man ihn für einen elenden Mörder hielt. Er war tein Mörder-, er wußte es, und einige We nige, die ihn tannten, glaubten es ihm und waren von seiner Unschuld über zeugt. Aber die Geschworenen hatten ihn »schuldig« erllärt, denn alle die Umstandsbejreife hatten gegen ihn ge sprochen. Und alg der Anwalt, den man ihm gegeben hatte, und der zu denen gehörte, die ihn siir unschuldig hielten, rg schließlich durchseyte, daß ihm ein neuer Prozeß bewilligt wurde, weil er Zeugen beibringen wollte, die ein Alibi siir den Verurtheilten nach weisen würden, da hielt die aufgeregte Menge das für eine beabsichtigte Ber eitelung der Justiz und nahm sofort eine drohende Miene an. Jn seiner Zelle lag Gilbett und horte, wie sich draußen vor dem Ge fängniß das Voll zusammenrottete. Das Gebäude konnte keinen Schutz ge währen, es war alt und leicht gebaut. Die Menge war sehr aufgeregt, denn ter Ermordete, David Westford, war ein heliebter junger Mann gewesen, ter mit seiner alten Mutter und sei nen Geschwistern in der Nachbarschaft gelebt hatte; die Familie war aus dem Osten gekommen und hatte dort zu isen Quälern gehört. Sie waren schlichte, fromme und ziemlich wohl habende Leute. An einem Abend war David auf dem Heimwege erschaffen « nnd beraubt worden. und der junge Gilbert war der That verdächtigt worden. Der Prozeß hatte stattgefunden, und da er nth satte nachweisen kön nen, das; erz r it anderswo gewe sen war, und da verschiedene Um stände gegen ihn sprachen, so war er verurtheilt worden. Der Sheriss, der zu denen gehörte, die ihn für unschul dig hielten, und welcher befürchtete, Laß man ihn tynchen werde, hatte ihn nach dem nächsten Month-Gefängniß schicken wollen. Er iibergah ihn lac sesselt seinem Sohne, während er se hst am Plane blieb, um den Moh daran zu verhindern, irrthiimlieh irgend einen anderen Gefangenen zu nehmen und aufzuhängen Als der Moh sah. oaß der Gefangene fort war, machte er sich sofort auf die Verfolgung, und der Sohn des Sheriffi, als er er kannte, daß er mit dem Gefangenen reicht mehr weit kommen könnte, eingeholt in werden« na die ein die Fesseln eh und ließ t lau en. cr stand-te fest an die titsche-D det selben und nahm ihm nur das Ver brechen ah, sich seinem Vater wieder zu ellen nige Minuten hatte Gilbert ge ruht, an die Fenz des Kornfeldes ge lehnt, aber er mußte weiter; in der stillen Nacht hörte er schon in toeiter Ferne die Stimmen seiner Verfolger. Er kletterte iiber die Fenz und tam endlich auf eine feste Straße, aus der man wenigstens seine Fußtritte nicht mehr sehen lonnte. Die Verfolger tonnten dann wenigstens nicht wissen, nach welcher Seite er sich ewendet hatte. Aber was half das? »die wer ten sich trennen und ihn nach beiden Seiten hin verfolgen. Und er itft so erschöpft, daß er nur noch langsam vorwärts lonimt; sie werden ihn bald sanaen. Da sieht et nicht weit von sich, etwa eine Viertelmeile entfernt, ein Licht. Es ist ein Farnihaus ——- wie friedlich und ruhig liegt es dort. Da wohnen Menschen, glückliche Menschen, viel ieicht ein Vater und eine Mutter mit Söhnen und Töchtern. Ob sie ihm wohl helfen werden, wenn er dorthin geht, oder ob der Former ihm die Hunde aus die Fersen hetzen wird? Das Fenster ist das Küchenfenster, und darin sitzt eine ältere Frau mit silbernern Haar und ein junges Mäd chen; die erstere näht, die letztere liest ihr vor ——-- das Feuer im Herde brennt hell. Und beim Schein dieses Feuers erkennt er die beiden Frauen, und zum Tode erschrocken bricht er fast zu— sammen -- das sind die Mutter und die Schwester deg ermordeten West sord. Wie oft hat er sie in den letzten Tagen gesehen, als sie bei den Pro zeßverhandlungen in seiner nächsten Nähe gesessen haben. Tief traurig und gottergeben hatte die Mutter dort zugehöri, und mit bleichem, reinem, feinem Gesicht war die Tochter den Verhandlungen gefolgt; ihre duntlen Augen, die mit langen schweren Wien tern bedeckt waren, hatten ihn so oft prüfend angeschaut Was sollte er thun? s— er toußteeg Liebt Da stand hsg Clnfihkhsn einen Stuhle auf und nahm einen Wasser trug; sie ging zur Thiir und trat her aus. Und es war ihm, als ob eine Stimme in seinem Jnnern sagte: »Sie wird mir helfen!« « »Um Gottes Willen, Miß Westford, helfenSie mir!«« stnß er mit gepreßter Stimme aus und erschreckt, aber schnell gefaßt, fragte das Mädchen: »Wer bist du? —Denn sie sprach »Du« zu ihm, Ivie die Qualer das thun. »Ein Flüchtling bin ich! Mich ver folgt eine wüthende Menge. Sie sind dicht hinter mir-— ich tann nicht wei ter. Jch bin verloren, wenn Sie mir nicht helfen, wenn Sie mich nicht retten!« »Wer bist du?« fragte sie weiter, and mit stockender Stimme, denn das Herz stand ihm fast still dabei vor Angst, antwortete er: »Gilbert Hazles ion.« Das Mädchen stieß einen scharf-en Schreckensruf aus, aber sie faßte ich schnell-in der Ferne sah man jth « die Lichter der Vetfolger aufleuchten. »Ich muß die Mutter fragen.« Sie eilte hinein und er folgte ihr. Mit fliegenden Worten theilte die Tochter der Mutter das Nothwendige mit und diese, eine weißhaari und » ihrwiirdig ausfehende alte Same, sprach zu ihm in fast bitterem, vor murfsoollen Tone: . »Also du haft den Muth, von David Weftfords Mutter Hilfe zu erstehen?« »Warum nicht? Ich habe ihm nie -t-.-D « te-:h- --sr.--i« te. .t.- ----- . ------ I- sos s mu Ist- Ist ' sweiselt aus »So wahr ein Gott im Himmel tebt, ich bin unschuldig an der That, deren man mich beschuldigt. Jch » will es beweisen, wenn meine Freunde kommen — aber das wird zu spät sein, reenn Jhr mir nicht hetft!« »Aber ich kenne dich nicht. Du H sprichst gut — aber thun das nicht auch salle Verbrecher? Du hast einen ehe lichen Prozeß gehabt und deine Un schuld ist nicht erwiesen worden. Wa rurn sollte ich den Mörder meines Sohnes retten?« Fum Tode erschöpft, sank Gilbert tu einen Stuhl. «Jk,r werdet es er fahren, daß ich unschuldig bin, wenn is zu spätist Glaubt es einstweiten, nehmet das Risiko aus Euch. Es wird Euch später weh thun, einen unschul eigen Mann nicht gerettet, sondern ihn in den Tod eschickt zu haben-« »Ernestine,« f thun?« agte die Mutter tief bewegt zu der Tochter, »was sollen wir · Tet sorgen-e Familie-wetle Anstaltsditektot izum Sinkt-check »Hört-ten Sie denn das Eint-reden gar nicht lass-alt' hsiee vorläufig noch nicht« bis mein selieiier soweit iiiP Die Tochter stand in der offenen Thür, drinnen die Mutter mit dem Flüchtling nnd draußen in der Ferne kamen schon die Verfolgu, sie fa ihre Lichter, sie örte schon ihre Stimmen. »Wir mii en uns schnell entsgidem Er ist vielleicht unschuldig Der chiti dige würde nicht in unser hauc, in das Heim Dadid’s, kommen, um ilfe u suchen. Und wenn er ein M«rder ist —- die da hinter ihm her sind, werden anch nichts besseres sein als Mörder, wenn sie die Gerechtigkeit in die eigene Hand nehmen nnd ihn tödten.« ,,Also du iagsl, daß wir ihn retten sollen?« »Ich tann nicht anders,« sprach die Tochter, nnd die Tochter schritt eilends zn dem schweren Schrank, der in der tiefe stand. Dort lagen in einem Ka sten ein Paar Handschellen, die David benutzt hat« als er eine Zeit lang De Paty-S-heriff gewesen war. Sie nahm dieselben und sagte zu Gilbert: »Ich linne dich nicht nnd weiß nicht, was wir von dir vielleicht zu befiir ten haben, wenn die Ver-folget wieder ort sein werden. Willst du dir diese Fes ssln anlegen lassen, dann meinst du es ehrlich und wir werden dich verstecken, und wenn die Verfolger wieder fort sein werden« dann werden wir dich dem Sherisf ausliefern.« Gilkett hielt sofort seine Hände hin Zur Fesselung und nun glaubten ihm die Frauen, nnd die Tochter führte ihn ins obere Stockwerk in ein Zimmer tipen. wo eine Art von Fallthiir im Boden war es war da eine Vertie fung, nur wenige Fuß tief und lang, wo Allerlei aufbewahrt zu werden pflegte. lieber der Fallthiir stand ein Bett. Dieses rückte das Mädchen eilig weg, öffnete die Thiir und der Gefes ielte kroch in die Vertiefung, deren Ihiir sich wieder über ihm schloß. Durch den Breiterboden hindurch hörte ·r, wie die Verfolger ankamen, wie sie sams- nnk SI)-k».««c.:;»-- h..-«t.k..-IJ-.. C ------------------- VI- ISSWIUWISII » » nnd wie der jüngere Bruder des Er mordeten, der von der Mutter unterdeß geweckt worden war und der leine Ah nung von der Anwesenheit des liicht lingg im Hause hatte, den Ver olgern :oiinschte, das; sie des Mörders bald habhaft zrerden möchten. Endlich war die Durchsuchung vol lxndet und die Verfolger zogen unver richteter Sache ab. Bald darauf larn Erneftine heraus nnd befreite den Ge fangenen aus seinem Versteck —- aber sie ließen ihn gefesselt, denn sie wußten jsi noch immer nicht, ob sie ihm trauen konnten, rrsenn sie es auch glaubten. Tie Tochter schirrie den Waaen an und noch gefesselt setzte sich Gilbert zu ihr ..nd sie fuhr mit ihm fort, um ihn dem Eherifs zu übergeben. Noch ehe sie 1ach der Ortschaft lam, sahen sie den Sherifs, der sich mit mehreren Män nern nnd seinem Sohne aufgemacht iiatte, um den Gefangenen zu suchen. Der Sheriff war hocherfreut, den Ge iuchten so bald zu finden. — Ernesiine Iaite demselben, schon ehe der Sherifs herangelornmen war, die Fesseln abge rrmmen, und hatte sich dabei entschul nai, daß ihre Mutter der Vorsicht hal ber diese harte Maßregel habe anwen den müssen —- Ioeiin er nicht wolle, brauche er ja dem Sherisf davon nichts zu sagen. Gilbert wurde nun rom Sherifs sicher nach dem Countyi zesängnifz gebracht. Zwei Monate später fand sein zwei er Prozeß statt und da seine Freunde, Iie zu feinem ersten Prozeß nicht recht zeitig hatten herbeigebracht werden :«onnen, nun erschienen, so wurde sein zllibi nachgewiesen under als unzwei 7elhaft unschuldig freigesprochen. Unter Benen, die ihn nach der Frei Tprechung sogleich beglückwünschten. oaren vor allen Frau Westford und Irre Tochter Ernestine. Bald darauf var Gilbert in dem Hause, in das er Zuerst als Flüchtling und verurtheil .-r Mörder gelommen war, ein gern resehener lieber Gast und es dauerte nicht lange, da war seine Retterin eine Braut. Und die Fesseln, die sie lnn jetzt anlegte, waren noch fe er als Die, mii denen sie ihn in jener f limrns ien aller Nächte gefesselt hatte. Aber r trug sie gern. Schlatter-eis. Prinzipal: »Wenn ich Ihnen siir se ven Fehler, den Sie machen, nur zehn Bfennig von Jhrem Gehalt abziehen vollth da würde nicht viel übrig blei Ien.« Kontorist: »Bei dem Gehalt aller )ings!« F