Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, April 29, 1904, Zweiter Theil, Image 9

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    Mem-Heu H
WtUUtU-«U zengr UUTU THUUUW ,
J. P. Windolph, Herausgehen Grund Jöland,!1cebr.. 39 Liptil 1004 Weiter shoul) Jahrganq 24 No 3.
W
Trocknende Thränen
Die Nachts-at dunkel nnd siernenleer
Voll leise-n Lappen und Klopfen. —
EI siel der Regen so schwer, so schwer,
Jn so lastenden Tropfen.
Es ist wie ein fchluchzendes Frauenleid
Durch den fchauerndenWalb gegangen.
Da zog lich voll Scheue die Dunkelheit
Ueber vie thränenden Wangen.
Nun aibrnet der Wald in den Tag
- hinein.
Kühlwiirzige Frühlingswonnr. —
k lattert nicht drüben ein Schleierlein
« n der trocknenben Sonne? s—
Frida Schanz.
»W- —
Vas Zanberlied.
Von J. L o r m.
»Wenn Dein ich dent’, dann sinn« ich
oft in träumerischem Gang:
Weiß nicht, was ich von Dir gehofft.
weiß nicht, warum mir bang!
Die begleitenden thtorbe verklangen
leise.
Die junge Frau batte sich aus der
nachliissigen Stellung, in der sie im
blumengeschmüclten Erler geruht, er
hoben; etwas nervös warf sie das
Buch, in dem sie zerstreut geblättert«
ans den FanteuiL und den Perlenvor
bang bei Seite schiebend, der scheinbar
den tflfrter von dein durch die letzten
- Strahlen der Abendsonne vergoldeten
Gemache trennte, trat sie näher. Der
Sänger war bei dein Geräusch der
llirrenden Glas- nnd Bambnsgeyänge
emporgesahrem die Hände glitten
tranmverloren iiber die Tasten, llai
gendr. erinnerunaereiche Altorde schie:
nen den Inhalt der eben gelungenen
Worte nochmals durchleben zu wollen«
dann ein kurzer-, unvermittelte-I Ab
brechen derMelodie wie wen-i er seinen
Gedanken gewaltsam Scinvei,1.cn'ael«ie
tenLoolIte ein jäher tnrzer Schluß.
. txt-»
Our Iujeutue Wsruu tout lllt Ukll
Flügel getreten, der in der Mitte des
mit Geschmack und Luxus reich ausge
statteten Gemaches stand, mit Roten
und Partituren bedeckt, und während
sie die lose, in einem Kthstalltelche
steckenden Blumen in gewoltter Unord
nung malerisch ordnete, fragte sie mit
etwas zitternder Stimme: »Die-«- Lied
Weint Dich an etwas zu erinnern, an
etwa-, das Dich beschäftig und erfüllt,
und diese Erinnerungen sind es, die
ihre Fäden wohl zu jenem Weib
hinüberfpinnen, das wir heute erwar
ten - s dass Du mich zwingst, in mei
nent Hause zu empfangen, an Deiner
Seite zu sehen! M«t es ein unbilliges
Verlangen, wenn ich Dich bitte «
bitte, eJsrancescm mir Deine Bezieh
ungen zu jener Frau zu enthülleni!«
Sie mußte etwas lange die-Antwort
erwarten, die sie erhosfte. Ein langes
Schweigen folgte ihren Worten: eine
jener schicksalsschweren Pausen, die in
ihrer stummen Sprache das Gliiet
zweier Menschen in ihremSchuonx ber:
gen.
Endlich sah Er auf. und ein warmer,
entfchlosfener Bliet streifte das junge
Weib.
»Ja, Du haft ein Anrecht auf meine
Offenheit, Marie; Du mußt die Gei
schichte dieser Frau erfahren und den
kurzen Roman, den sie in meinem, ich
in ihrem Leben gespielt. Diese Däm
merstunde mit ihrem weichen Zauber
ist wie geschaffen zur Beichte, und sie
wird die leisen Zweifel an mich, die
durch Deine Worte zittern, wohl auf
Rinimerwiedersehen verscheuchen.«
Sie hatte sich nach seinen letzten
Worten auf die Chaiselongue gteiten
lassen und san den Kopf in die Hand
stützt, zu ihm hinüber. Der junge
Mann ließ die Feinde von den Tasten
sinken, feine Augen schienen etwas in
der Ferne zu suchen — — ein entschwun-:
denes Glück —- einen zerflossenen
Traum? . . . .
»Es war eine Dännnerstunde wie
diese,« sprach er, »vor wenigen, aber
für mein Leben und meine Stellung
inhaltreichen soraenvollen Jahren. Ich
war ein armer, beinahe unbekannter
Sänger-. Mit wenigen Empfehlungen,
einem Herzen voll reichiter Empfindun
gen und leeren Taschen war ich hier
her-gekommen. Jch lernte das ganze
Elend eines Künstlerlebens und den
ganzen Kampf eines Menschen kennen,
der, sich seiner tiinstlerischen Gaben
bewußt, in redlichem Streben und un
ermüdlicher Arbeit Anerkennung,
Ruhm und Stellung erlämpfen will.
Einer jener Empsehlungen verdantte
ich meine Aufnahme im Hause des
reichen Kunstmäeens Baron Warne
low. Jch sang aus einer Soiree das
damals noch unbekannte »Zauberiied«
und wurde mit einem Schlage bekannt.
Du kennst ja die Vorliebe der Deut
schen siir alles Exotische, dieser ver
dante ich vielleicht die größere Hälfte
meines Erfolges-. Jeder wollte den
interessanten Spanier sehen, jeder die
Wiedeigabe des weichen deutschen Lie
des hören, in der seltsam originellen
Aussprache des Fremdliinders. Jch
beaann Carriere zu machen. Ein Gast
spiel an der Königlichen Oper, das zu
einem sesten Engagement führte, war
die Grundlage meiner seither gesicher
ien Existenz.
Nunmehr sand ich den Muth, e sie
heranzutreten, die mir seit jenem
Abend, an dem ich blaß und klopfen
den herzens im hause ihres Vaters
g ungen, wie ein leuchtender Stern
er chtenen war. Sie hatte mich zu dem
« schaltet-" be leitet, und ihre lieben
dunllen siegen prcchen mir Muth zu,
während sie die Töne meinem Gesange
anschloß, mitempsand, was ich in jene
Worte legte —- Hossen, Sehnen-eine
ganze Welt von Fragen an dic um
schleierte Zulunsi! Und als ich die letz
ten Worte sang: ,,Denn seit dem Tag.
an dem ich schied von ewiger Lieb’ be
zwangen« —- da siel eine Thräne aus
ihre Hände nieder, und diese stumme
Thräne war mir eine größere Anerken
nung als der stürmische Beifall, den ich
erntete. So vergingen Monate, Mo
nat-e voll Glück und Zweifel für mich,
der ich die Gelegenheit herbeisehnte,
endlich die Frage an sie zu richten, die
mich unsagbar glücklich oder elend ma
chen sollte. Endlich war er da, der so
heiß ersehnte, heiß erwünschte Tag! Jch
war nicht mehr der heimathlose Bettler,
ich hatt-: Stellung, Ruhm, eine Hei
niaih! Und alles dieses wollte ich ihr
zu Füßen legen. Jch wußte wohl, eZ
war nur wenig, war ich ihr bot, ihr,
dem verwönhnten Kinde des reichen
Mannes; aber mit meinem Herzen voll
inniger Liebe wollte ich sie in unserem
lleinen bescheidenen Heim glücklicher
machen, als sie es vielleicht dort war,
umgeben von inhaltlosen Menschen und
erdrückt von all dein glänzenden Tand.
Ich sehe sie vor mir, als lägen nichi
Jahre, sondern turze Stunden zwischen
damals und heute. Sie war eben von
eineni Nitt heimgetehrt, als ich ihr ge
meldet wurde, und fröhlich und rosig
tiat sie mir entgegen, den kleinen Män
nerhut aus der Stirn, die Peitsche in
tser dehandschuliten Rechten.
So hatte ich mir allerdings den An
oenblick nicht gedacht, an dem ich ihr
I-.»- .-«-» --«.---kl«- lswkk --------
L Ul- tustle Ilslidhjlhil coslleIslUUIIlell,
meine Zukunft, mein Leben zu Füßen
legen wollte. Aber ich überwand die
Empfindung, die mich schweigen hieß-«
lrider —- und ich sprach.
Nie werde ich den Ausdruck des
Staunens-, der hilflose-n Verlegenheit
vergessen, der sich auf ihrem Antlitz
spiegelte, nie das Schweigen, das mei
nen Worten folgte. Jch war wirklich
trotz meiner 27 Jahre ein Kind, ein
unerfahrenes Kind und bitter büßte ich
n jener Stunde den Madchenglauben
an eine Hiitte und einZerz.
Mit stockendem Athem, erst allmäh
lich freier werdend, dankte sie mir —
tnir klang-Je wie Jrrnie ——- für meinen
,,ebrenden Antrag«. aber sie liebe mich
nicht genug, um entbehren zu lernen,
was ihr zum Leben nothtrsnoig sei,
den Reichthum und den Luxus. Und
dann sei sie doch an eine andere Sphä
re gewiih als die, in welche sie der
Opernsänaer, der ,,stömödiant«, ver
setzen würde.
Jch hatte genug gehört. Die lleine
Neitpeitsche, die während der Aue-ein
undersetzungen von der behandschuhten
Hand sausend durch die Luft ge
schwungen wurde, raubte mir den letz
ten Nest meiner Fassung; ich hatte ver
standen, daß ich als Antusement, zum
Zeitvertreib mäßiger Stunden gedient,
daß ich mich mit meinen ehrlichen Wor
ten ehrlich lächerlich gemacht lsatte, nnd
ich verließ auf immer das anstfreund
IT Z- fa-« i- Iu h-.- »I. IJJJ «- --k
..-.»,. ..-,,...-.-, ».... ..., ...».,.- H«».»..
als eine Dekoration des Solon-Z.
Jch begann damals meine Gaftreis
sen, die mir Gold und ishr-en und -«s
Dich brachten. Ich war geheilt, das
fiihlte ich an der Ruhe, mit der ich die
Vermählung thmans mit dem Grafen
Dano erfuhr. Jch empfand nur Mit
leid mit der Armen, die sich und ihr
Glück diesem Wüftling anvertraute.
Die Kataftrophe blieb nicht aus. Ihr
Vater starb, und wenige Wochen nach
feinem Tode erfuhr man, daß der
Lurus, in tem er gelebt, nur Rausch
golv aewefen fei, die Frucht unsinni
ger Spelulationen, daß er lzur rechten
Zeit geftorben sei, um nicht vorher das
Elend kennen zu lernen, denn er war
mit Schulden überhäuft. Bald, nach
dem der Gatte Vilmas aufs unwider
leglichfte Kenntniß von dem Ruin fei
nes Schwiegervaters erhalten, verließ
er fein Weib, das ihm nichts weite-«
tvar als eine drückende, lostfpielige
Fessel. Das Wenige, wa-: er besaß,
nahm er mit sich nach Monaco als
Eroupier werden wir wohl einft dein
Ehrenmann irgendwo wiedervegegnen,
wenn er fein letztes Goldftiick am arti
nen Tisch verloren haben wird.«
»Und sie?« tlang es leife zu ihm.
»Sie —-- sie ift vor kurzem hierher zu
rückgekehrt, wie ich lehthin erfuhr, und
lebt einfam und zurückgezogen von
allen verlassen. die flch ehemals im
Glanze ihres Goldes gefonnt, an ihrer
Tafel gefchtvelgt haben. Und —-— da
wollte ich Rache nehmen fiir jene Stun
de. in der die kleine Reitpeitfche fo un
barmherzig durch meine tiefempfunde
nen Worte gefanft war. Jch wollte
Rache nehmen als «Kotniidiant«, den
fie damals nicht fitr wilrdig gehalten,
ernft genommen zu werden« und des
halb schrieb ich ihr, ich böte sie. mich
heute gegen Abend in meiner Woh
nung zu besuchen. . . .«
»Und Du glaubst wirklich, daß sie
kommen wird?«
Gewsiß!«
Er hatt-e sich erhoben und gab dem
auf sein Klingeln eintretenden Diener
Befehl, die Lampen zu entzünden.
Ein Hauch unendlicher Wohnlichkeit,
reizvollsten Behagens lag aus den
durch zart gedämpsteg, mattei Licht
erleuchteten Räumen· Die hohen Pal
men« die weichen Teppiche, die künstle
risch geordneten und mit Geschmack und
Kunstsmn gewählen Bilder, Bronzen
und Möbel schienen von dem Glück der
beiden Menschen zu erzählen, deren in
nere Harmonie ihrer Umgebung ihren
ureigenen Sempel ausgedrückt hatte.
Ein Wagen hielt vor dem Hause.
Wenige Minuten später wurde die Er
wartete gemeldet, und auf der Schwelle
erschien, bleich von der Erregung des
Wiedersehens, die noch immer jugend
schsijne Gestalt der Aristotratin.
Die beiden Frauen standen einander
stumm gegenüber, dann trat die Gat
tin des Künstlers an die Eingetretene
heran, und ihr die Hand zum Gruß
entgegenstreckend, sprach sie: »Seinen
Sie willkommen in unserem bescheide
nen Heim, Frau Gräsin. Mein Mann,
der stets mit Vergnügen an das Haus
ihre-Z Vaters zurückdentt, freut sich mit
mir, Jhnen in unseren Wänden einen
Theil jener schönen Stunden zurückzu
erstatten, deren durch nichts getrübte
Erinnerung ein schones Gedenken an
den Beginn seiner Künstlerlaufbahn
- en- e m: 424 -..-s-.. --------- )«
leluch Juki-» thun-H UCUIILLFSUZ
Der junge Mann hatte mit innerer
Bewegung den Worten seiner Frau ge
lauscht. Ja, sie hatte wieder in weib
lichem Empfinden das Rechte getrof
fen und diesem peinlichen Augenblick
des Wiedersehens alles genommen,
was Reuevolles fiir den einen,
Schmerzliches fiir den anderen darin
lag. »Ich habe den Worten meiner
Frau nichts mehr hinzuzufügen, Grä
sin, als dieBitte, in uns Freunde zu
sehen, wahre, echte Freunde, und in
diesem Haufe alles Weh zu vergessene
das die Welt Ihnen bereitet hat·«
Die blasse Frau fah die beiden an,
ihr Blick flog von dem einen zum an
dern, fragend, zweifelnd; dann begeg
nete er den llaren Augen Maria-« und
mit den Worten: »Meine Freunde,
meine Freunde, Dankt'« fiel sie ihr
schluchzend um den Halt-.
Und als nach Stunden innerlter
Aussprache die drei Menschen in trau
lichem Verein den Jnhalt langerJahre
und aller ihrer Qualen und Sorgen
crörtert, bat die Heimathlose: »Und
nun, mein Freund, singen Sie mir
noch einmal jenes Lied, dag Jhren
Ruhm begründete, das ,,Zauverlied«,
das mich zurücke-ersetzen soll in jene
Zeit, da « da ich noch glücklich war!«
Er hatte sich ans Klavier gesetzt,
und mit umfchleierter Stimme begann
er: »Wenn Dein ich dent’, dann sinn’
ich ost in träumerischem Gang; weis;
nicht« warum mir bang! ——----- «
Die junge Frau beobachtete während
des Gesanges durch die halbgesenltcn
Lider die Fremde. Weltentriicit laufch
ten diese den Tönen. Vor ihr versank
die Gegenwart; sie sah ihn vor sich,
den lichterfüllten, glanzvollen Saal,
die blumen-» und juwelengeschmiickten
»musik, vie knurrte-tunc umwier
diese Welt voll tlieichthum nnd iippiaer
Pracht, und inmitten dieser festlichen
Menge sieh selbst und neben sich diesen
Mann, jung, schön, voll heißer Ein
psindungen, nnd wie heute sang er
damals: »Denn seit dein Tag, an dein
ich schied, von ewiger Lieb’ bezwunan,
hör’ ich ach nur Dein Zauberlied — -—
tief in mein Herz gesungen!«
Ja, sie hörte es immer, jenes Lied,
nnd wie damals fielen Thränen bren
nend aus ihre Hände nieder, Thränen
des Schmer·ieg, Thränen ewiger Neues
O hätte sie damals nicht nach dem
Phantom eines eitlen Glückeg gejaatt
An ihrer Seite stand eg, es hatte ihr
die Hand gereicht, die sie in thörichtem
Wahn von sieh gestoßen alle-J wiij
1-na,eschehen, die Jahre namenlosen
Elends ,sie wären nie gewesen, und dass
Glück, das wahre Glück hier war ecz
« es wäre das ihre geworden!
War es denn ans immer versunken-Z- -
Konnte sie nicht versuchen, es wieder
zugewinnen, gleichviel um welchen
Preis ? ! «
Eine heiße Welle stieg ihr vom Her
zen empor, war das Bedauern allein,
war es nicht --- —— ? ? Sie blickte anf,
sie sah sich um in diesem Heim, das
Frieden und Glück athrnete... Nein,
nein, das wollte sie nicht, d a g nicht
—- und thriineniiberströrnt reichte sie
beiden die Hände, und ihre schmerz
zuckenden Lippen sliisterten: »Meine
Schwester — mein Brudert«
W
Unsere Ansicht von den Menschen
hängt davon ab, wie sie uns ansehen.
Unfregende Stunden.
Eine wahre Väeberibeit, erzählt von
Adolf Thicle.
Die jungen Männer hatten denAus
bruch aus dem Gefängniß sorgfältig
vorbereitet. Es war im Jahre 1.834,
als-sie etwa vierzig an der Zahl. in
folge deg blutigen Aufftandes in Lyon
gefangen genommen und in das Ge
fängniß Sainte Pelagie zu Paris ge
bracht worden waren. Ein junger Pa
riser Lustspieldichter war mit einigen
dieser politischen Gefangenen eng be
freundet, und er entwarf den Plan zur
Flucht. Es war dies Etienne Arago,
dessen späteres Leben so wechselvoll
verlief. 1848 zum Direktor der Po
sten ernannt, mußte er im Jahre da
ran nach dem Mißlingen des Auf
standeg im Ausland flüchten, wo er 10
volle Jahre im Exil lebte. Dann tehrte
er nach Paris zurück, wurde Theater
rezensent; 1870 war er eine Zeit lang
Bürgermeister von Seinebabel und
später wurde er Direktor des Lin-em
burg-Ijkuseums. 1892 starb er in sehr
hohem Alter.
Doch nun zu den Flüchtlingen zu
riitkt Die jungen Männer, die im
Allgemeinen manche Freiheit genossen,
legten in einem Gefängnißhof, der ih
nen zur ausschließlichen Benutzung
überlassen war, einen Tunnel an. Sie
hatten in einem Winkel des Hofes ei
nen Haufen Kisten und anderes Ge
riimpel aufgetl)iircnt, nnd hier befand
sich der Eingang zu dem TunneL in
dem stets einige von ihnen arbeiteten.
Die herausgeschaffte Erde wurde ver-—
theilt und iman Im den Fenstern im
Stuben hinausgeworsen. so daß ihr-e
Anhäufung nirgends ausfallen konnte.
Ein sinnreich ein-gerichteter Aufpasser
dienst hielt die Gefangentvärter fern.
Arago hatte die Richtung nnd Länge
des Tnnnelg genau bestimmt, und
zwar stand es fest, daß dieser im Gar
ten eines Hause-J der Rne Copean
münden tviirde.Nach langer miihscliger
Arbeit war nun der Tnnnel fertig ge
stetli, nnd die Stunde des Ausbrnchs
war festgesetzt worden« Es wurde
ausgemacht, daß die Gefangenen, um
»ein ausfallendes Zusammenstriimen zu
verhindern, in einer bestimmten Rei
henfolge in den Tunnnel eintreten und
hindurchtriechen sollten. In der Nähe
des Hauses-, in dessen Garten der Tim
nel miindete. stand eine ganze Anzahl
Wagen bereit, welche die Gefangenen
sofort über ganz Paris zerstreuen
sollten.
Soweit wäre alles in Ordnung ge
wesen« wenn sich nicht noch eine gewal
tige Schwierigkeit geboten hätte: die
Aufgabe, aus dem Hause, zu dem der
Garten gehörte, hinaus zu gelangen.
Letztere-:- gehörte zu den zahlreichen
Hänsern in Paris, die sich von innen
ohne die Hilfe des Portiers nicht öff
nen lassen, vielmehr muß dieser erst
eine in seiner Erdgeschoszwohnung tie
findliche Schnur in Bewegung setzen,
um die Thiir zu öffnen· CI war also
nöthig, diese zur Stunde des Aas
bruchs- offen zu halten« damit der Por
tier nicht Lärm schlagen konnte· Sah
dieser die Gefangenen kommen, schlon
er seine Tliiir und rief zu dem Fenster
hinan-:- tiaitf der Polizei, so kennte das
ganze Unternehmen scheitern.
Da fis-rang nnn wieder tktienne
Arrigo in die Presche.
Am bestimmten Tage nm 11 Uhr
Vormittags sollte der Aus-drum statt
finden. tsz mar- hipq his- «-Jt-it mn ht
Wärter frühstiickten, und bei dem
Frnhfkiict liifzt sich Niemand gern stö
ren.
Bereits eine Viertelstunde vor 11
Uhr beobachtete ein gut aber nicht auf
fallend actleideter, intelligent aussc
bender Iunger Mann das Hang der
Rue isopeaux es war Etienne Arago.
Vorher hatte er Nachricht erhalten,
daß dir Wagen in den Nehenstrafien
vertheilt waren, und nun ging er an
seine Ausgabe.
Da endlich öffnete sich die Hausthiir
und der Portier erschien mit einem
Besen bewaffnet, um die Einsahrt zu
reinigen. Arago schlenderte herbei und
sagte: »Morgen. Sagen Sie einmal,
Herr Hausoerwalter, Sie haben wohl
auch teinen Herrn mit einer griinen
Kravatte hier vorheiionsmen sehen?«
Der Portier verneinte.
»Nichts ist diimmer als warten,«
fuhr der junge Mann fort. »Da soll
ich nun hier in der Straße auf einen
Freund warten, und er kommt nicht.
Der schnurrige Kerl trägt nur griine
Kravattem daran ist er erkenntlich.
Jch muß ihn heute noch sprechen, na
es ist ja noch Zeit!«
Dabei zog er eine goldene Uhr her
vor, was ihm sofort das Vertrauen des
Portiers gewann. Araao stellte sich in
die Einfahrt, so daß diese nicht ge
schlossen werden konnte. Nun mußten
sie doch bald kommen! Zunächst ver
sicherte er dem Portier, er käme ihm
so bekannt hor, ob er nicht aus St.
Denis stamme.
Der Portier erwiderte, er stamme
aui Bersailles, und nun benutte
Yrago die Gelegenheit, ein Gespräch
uber diese Stadt einzuleiten. Der
Portier Portier hörte mit viel Jn
teresse zu; eine derartige Lobpreisung
seiner Vaterstadt behagte ihm.
,,Wo bleiben sie nur?« fragte sich
Araao halb 12 Uhr, als er seine lan
gen geschichtlichen Erturse iiber die Re
sidenz der französischen Könige beendet
hatte. »Heute regnet ek- wohl schwer
lich,« fuhr er fort, stellte allerlei Be
trachtungen über das Wetter an und
tniipfte daran eine amiisante Ge
schichte, die seiner Versicherng nach ei
nein seiner Freunde passirt war. Dieser
hatte von seinem Landbause aus in
Begleitung seines Pudels einen weiten
Spaziergang gemacht. Als er den
Rückweg antreten wollte, lehnte er sei
nen Schirm an einen Baum, und das
gelehrige Thier fah dies als eine Auf
forderung an, den Schirm zu tragen,
wie er dies so oft gethan. Fast zu glei
cher Zeit setzte ein heftiger Regen ein
und der Pudel jagte in wilden Sätzen
davon. Durchnäßt kam sein Herr zu
Hause an nnd fand an der Thüre sei
nen Pudel, der ihm den Schirm prä
sentirte. Dieser Spaß, den Arago in
drastische Worte kleidete, gefiel dein
Wächter des Hauses, und der Erzähler
tniivftc ähnliche Schnurren daran.
Es schlug zwölf und die Frau des
Portiers, ebenfalls mit einem Besen
armirt, nahte, um ihren Gatten zum
Frühstück abzuholem Der gemante
junge Mann behandelte die gute Frau
mit der größten Höflichkeit und ges
wann dadurch ihre Zuneigung, um so
mehr aber, als er in ihr eine Aehnlich
keit mit·einer yornetzinen Dame ent
k--·t, .»,«,·tvs.»
Nut(, Ulc Uc cllscl IUHITLUJ cLJUleccU
riihrenden Geschichte eine Rolle spielte.
Der Erzähler hatte nun Durst re
tonimen, nnd da er steh, um nicht sei
nen Freund zu verpassen, aus der
Straße nicht entfernen konnte, so bat
er die Frau, aus einem unweit gelege
uen Gasthaus eine Flasche Wein zu ho:
len. »Einige Gläser holen Sie doch
auch, so daß ich aus Jhr Wohl trinken
kann? «
Der Partien der eine besondere
Sorte vorschlug, sandte seine Frau
fort, und das Kleeblatt leerte in der
Wohnung d«if,?tasche, wobei das Ehe
paar sich au ie· Bitten des liebens
iviirdiaen Herrn beim Friihstiick nicht
stören ließ. «
So war es glücklich 1 Uhr gewor
den« aber die Flüchtigen zeigten sich
noch immer nicht. Von schrecklichen
Ahnungen gesoltert, machte steh Araao
daran, eine neue Schnurre zu erzählen.
,,(5iner meiner Bekannten,« begann
er, »der Polizeitommissär Durrand——
Sie tennen ihn vielleicht, ein stattlicher
Mann mit gebogener Nase?« Das
Ehepaar verneinte selbstverständlich,
gewann aber Respekt vor dein Herrn,
der mit der Polizei so befreundet war.
Araao er,-zählte nun Kriminalqeschich
ten und füllte so eine neue halbe Stun
de aug. Inzwischen hatte er sich wie
der mit dem lauschenden Ehepaar an
die Einfahrt begeben und ließ diese
von der Wohnung aus öffnen.
,,Eine halbe Stunde warte ich nun
noch aus meinen Freuncssx kommt er
dann nicht, hat er es sich selbst zuzu
schreibui.« Nun begann er das Thema
der ruht-enden Familienaeschichteih die
besonders die Portiergfrau interessir
ten. Gtiictlicherweise hatte er sich be
reits vorher eine Unmasse Geschichten
eingebräat, und sich die Stichworte aei
merkt, so daß er unermüdlich weiter
ihr-sehen konnt
Endlich L Uhr, aber noch zeigte sich
niemand! War der Ausbruch entdeckt
morden-» Aragos Zustand wurde jetzt
krankhaft. Die tollsten Dinge spru
delte er hervor, indes; sein Herz blutete.
Er sah seine Freunde zu lanqjähriaer
Fierterljaft verurtheilt, nnd dabei er
zählte er die lustigsten Geschichten, die
ihm einstelen
Das Ehepaar lachte ans vollem
Halse. aber gegen txt-CI Uhr stiegen dem
sonst so sclnvcrsiilligen Partier doch ge
linde Zweifel an den Absichten oder
dein Meister-zustande des Erzählerg
auf. Dieser versicherte, selten so an
genehme Unterhaltung gesunden zu has
ben, äußerte, er könne hier den aanzen
Nachmittag nm die Ohren schlagen,
nnd produjirtc die stumpfsinniasten
Aeußerungen. Im Stillet1s«so viel
Verstand blieb ihm noch-fürchtete er
jeden Augenblick, daß den Leuten die
Sache nun doch zu viel würde. Dann
hätte ja alles-·- ein Ende! »Aus-halten,
aushalten!« mahnte er sich selbst, und
so schwatzte er weiter.
Die Laae wurde im höchsten Grade
peinlich. »So überdrüssig nun die Leu
te seiner wurden — bald entfernte sich
der Partien bald die Frau-set wich
nicht« Verstohlen sah er nach seiner
Uhr: II Uhr! Es war zum Verriielts
werden! Als er aber eine nene Ge
schichte begann, sagte der Portier mür
risch: »Das haben Sie ja vorliin schon
einmal erzählt!«
Arago sah, das; ihm dicht bevorstand
gewaltsam entfernt zu werden. Da
eine rettende Jdeet Er theilte dem
Portier geheimnisvoll mit, er halte sich
s-»-.-..-.--..-»--... -.- »- , .»
hier so lange anf, um den Verkehr UT ?
Straße zu beobachten, wozu et M
einem Häuserspelnlanten beauftrn sp
sen Geradezu wahnwihtg waren
Ideen uber die Berwerthnng der unt-·
liegenden Häuser, die er jetzt hervor
brachte, aber, »nur aushalteni« Der-,
es hatte gerade 3 Uhr geschlagen-—da
taucht hinten im Garten eine Gestalt
aus, ein Mann über und über mit
Lehni und Erde beschmutzt.
»Sehen Sie dort den alten Manni«
ruft Arago und zeigt dem Portier ei
nen auf der Straße Vorübergehenden.
»Der Mann hat einen Mord aus dem
Gewissen!«
»Was,.einen Mord?« erwidert der
Portier nnd starrt dem friedlichen
den alten Mann nach.
Indessen folgen der ersten unheim
lichen Gestalt mehrere-, jede 8 Schritt
hinter der anderen, alle über und über
beschmutzt Der Portier hört Schritte
nnd dreht sich um, da wird er aber
aueh schon von zwei Männern festge
halten. Arago zieht eine wollene
Kappe aus der Tasche, man stiilpt sie
dem Portier über. Zwei andere
Männer steigen der Verabredung ge
mäß in die Wohnung, und auch das
Haupt der Portiergsrau verschwindet
in einer trinllenen Etappe. Die vier
Mann halten die vor Schreck Gelöbni
ten fest. Weitere vierzig Mann kont
men in acht mal vierzig Sekunden, in
siinf ewig langen Minuten zum Vor
srlxein nnd aewinnen die Straße. »Um
Himmelgwillen«, ruft Arago einem zu,
»wo seid Jhr geblieben?«
»Wir waren unter eine große Stein
platte gekommen und mußten sie um
gehen!« erwiderte einer der Freunde.
Die Einen gehen nnn nach rechts, die
Anderen nach lintg die Straße hinab,
ruhigen Schrittes-, um nicht anfzufal
len, und erreichen glücklich dass Weite.
Die letzten vier, die Entschlossensten,
lassen das Portierpaar aus ihren
Griffe-n, und dröhnend fällt das Thor
hinter ihnen zu.
Der Plan der Flüchtlinge glückte —
wie noch mitgetheilt sei -— sie entkeimen
fast sämnitlich ins Ausland.
Merkwürdigrr Schreckens-glauben
in Tit-et.
Die englische Mission gegen Tibet
hat eine sehr seltsame Wirkung aus die
Ein-gebotenen des Landes gehabt. Es
ist bei den.Tibetanern ein bekanntes
Sprichwort, daß, wenn der Schnee
fall ausbleibt, die Engländer Lhassa
erreichen werden· Die eigentliche Be
deutung dieses Ausspruchs ift wohl,
daß die Engländer am »St Nimmt
leinstage« dahingelangen würden.
Aber ein abergläubisches Volk neigt zu
wörtlicher Auffassung und das jetzige
ausze rgewöhnliche Aus-bleiben von
Schneesällen hat unzweifelhaft tiefen
Eindruck gemacht. Vor kurzem sand
ten einig: tibetanisehe Landleute zu der
Mission, um zu bitt-en, die Engländer
möchten doch erlauben, dafz wenigstens
einen Zoll hoch der Schnee fällt, damit
ihre Saat gerettet würde. Zweifellos
reunruhigt diese andauernde Diirre di:
Tibetaner und erregt zugleich starkes
Uebelwolten gegen die Engländer. Die
,Laniag haben sich bemüht, das Aus
bleiben des Schnnes als durch die Zau
berei der Ersgliinder verursacht hinzu
stellen; besonders die Benutzung des
Heliograpben durch die Engländer ist
als zu diesem unheilvollen Zweck ver
ansiciltet angesehen worden. Da ein
Tag nach dem andern vergeht, während
der Himmel tlar bleibt nnd die Bege
tatien selbst aus den höchsten Pässen
iirer die Berge verdorrt und den
Nachtfrös.eti ausgesetzt ist, so ist die
Ilthaniasie des-I Volkes aufgereizL Al
lerdinasz schwanken die Tibetaner tvie
ei:1ii.a«)e tsorrespondenten versieht rn,
noeh mischen dem Haß, der durch die
Ulntlagen ihrer Priester gegen die »Von
Teufeln unterstützten« weißen Ein
tvanderer vom Süden erregt ist, und
ihrem fast noch stärkeren Wunsch, auf
dein besten Fuß Init einem Volk zu
stehen. dag- sich zu seiner Hülfe selbst
vie Kruste der Natur dienstbar machen
kann.
Aus Anlau.
»Im Orient heirathen schon Jüng
linge von vierzehn Jahren."
»Das ist noch gar nichts-: inDeuisch
land l)at’·3 soaar einmal einen verhei
ratheien Liinjiihrigen gegeben!«
Steine istciegcnlieiy kein Dieb.
Herr izu dem stellesuchenden Die
ner): »Ich sehe, daß Sie trinken, hof
fentlich keinen Branntwein.«
Diener: »Von den vier Herren, bei
denen ich bisher diente, trank keiner
Branntwein.«
Zwiespalt
»Die indische Regierung soll ja dem
(5-rport von Vogelbälgen für Damen
lpiite verboten haben, um dein Massen
nsord Einhalt zu thun.«
Modedanie: »Ja, Gott sei Dank —
leider!«
Nin plinninsievoller Vackiisch.
»Aber Etsch wie konntest Dn dem
zerlumpten Landstrcicker nur Deine
anan Baarschaft schmian
BaslfischI »Ach, Mama, die Löcher
in seinen Stiefeln haben mich so laut
cngeschluchth
Im Geifer des Gesichte-.
Vertheidiger (eines Einbre erö):
»Li«ollia ungerecht ist der meinem lim
tcn gemachte Vorwurf der Arbeits
scheu. Bedenken Sie. meine herren
Geschworenen, die Stärke der eisernen
Kassenihiir, die schlechten Einst-chi
werizeuge, die miserable Beleuchtung
durch eine einzige Kerze, und Sie wer
den sich sagen: dieser Mann scheute
keine Arbeit!«