Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, January 22, 1904, Zweiter Theil, Image 9

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    —
Müh-e sei fest uns ein,
Fu « Je o JUFFMEF
kriege rnu ·u-n ei’n,
Zwist-seufzen Tannenbebent
i
Alle Farben löschten aus,
Still und ftumsm wart-I in der Runde,
Nur der Nordivind klagt um’s Haus
Seine heis'te Sterbelunde.
Asber unsre Wangen gl·üh’n,
em- Hersz rückt fest zusammen:
o en ineinander fprsüh’n
Wie zwei heim-lich heiße Flammen
Draußen weiße Winternacht,
Flocken-frieden, Wettertosen —
Drimien —- rothe Putpurprachi:
Du unsd ich umranlt von Rosen!
Das Gesicht des Lebens.
Novelle von Max Treu.
Mein alter, guter Freund- Ernst
Landets hatte alle Anlage zum »ewigen
Studenten«. Seit fünfzehn Senieftern
schon ftudirte er Medizin, ohne iuft
mehr zu wissen, als er im ersten Sei
mester auch schon gewußt hatte. Fiir
ihn lag das Leben im weiten, nimmer
verlöfchenden Sonnenglanz der Bur
fchenherrlichteit, und er war nicht ge
willt, diesem heiteren Glanze Valet zu
sagen. ·
Von petuniären Standpunkt aug,
der so manchen Anderen zum möglichst
raschen Aofchluß des Stuoiume
zwingt, tonnte Ernst sich das wohl lei
sten. Er hatte Glück gehabt vom ersten
lauten Schrei an, den er in diefe Welt
hinein that. Sein Vater locir ein rei
cher Fabritbesitzer, ein gutmüthiger,
seinem einzigen Sohne in abgöttifcher
Liebe zugethaner Herr-, der leinen an
deren Wunsch hatte, als seinen Jungen
vergnügt und zufrieden zu sehen. Der
Monatäwechfel war diefem so reichlich
«bemessen. dati der iunae Student trottl
seines flotten Lebens niemals Schul
den zu machen t-rauchte. Daß Ernst
schon aus diesem sehr reellen Grunde
eine große Zahl von Freunden hatte,.
brauche ich kaum besonders zu erwäh
nen.
Aber auch- sonst mußte man dem
Ernst gut sein. Eine treuere, ehrlichere
Seele gab es nicht. Es lag tein Falsch
rn ihm, und wer ihm nur einmal in
das frische, narbenbedeckte Gesicht ge:
schen hatte, der fühlte sich zu ihm hin
gezogen zu dauernder Freundschaft;
mit einem Wort, Ernst war das alle:
eit rathende und thaten-re Faltotum
fein-er Freunde.
Ernst war das «tzt schon siinszehn
Semester lang. « un weiß ich nicht,
wie es geschehen war, aber eines schönen
T s mitten im Semester besuchte
eni einmal .Ernst’ö Vater, dem be
kannt .var, daß ich mit seinem Sohne
in herzlicher Freundschaft war.
Verwandte nnd Bekannte schienen
bei ihm vorsirllig geworden zu sein.
daß es nun fiir seinen Jungen doch
höchste Zeit würde, sich auch einmal
die ernste Seite des akademischen Le
bens-, nämlich das Studium, gründlich
anzusehen, und daß doch auch einmal
die Stunde kommen müsse, in der
Ernst nach bestandenem Examen die
Alma Mater verließe, um irgendwo
als praktischer Arzt zu Nutz unt-From
men der leiden-den Menschheit ein eh
renvoll-es Staatsbiirgerdasein zu füh
ren.
Und dabei sollte ich ihm helfen.
Jch sagte natürlich mit Freuden zu
und nahm mir den guten Ernst bei
Gelegenheit gründlich vor.
Höre mal,« sagte ich, »ich meine,
es wäre an der Zeit, daß du die Liicten
in deinem Wissen jedt auszufüllen be
ginnen Mirdest!«
Er lachte.
»Den dir mein alter herr den Kopf
warm gem-acht?«
»Gewiß, er ist bei mir gewesen« —
das sag’ ich ganz offen. Und er hat recht
mit dem, was er sagt und wünscht.«
Als-, sum Teufel dazu ist noch im
mer . it!«
»Vielleicht auch nicht mehr. Siehst
tu, mein guter Junge, dir ist’s im
Leben immer gut gegangen, du hast
stets nur seine heitere Seite gesehen,
aber das wirkliche Gesicht des Lebens
hast du noch nisckit ertannt.«
Er horchte aus.
»Das Gesicht des Lebens-? Wie
meinst du denn das?«
»Vin! Ich glaube in- der That, daß
du noch gar nicht weißt, wie ernst das
Gesicht des Lebens ist, das zuweilen
»nur gar sehe on das Medusenantlitz
erinnert.«
»Ach« laß mich mit der Medusa zu
skieden!« sagten, nnd lachend drehte
er sich ein paarnial aus dein Absatz
um.
Ich legte ihm ernst die Hand auf die
Schulter. (
«Vielleicht tomtnt doch noch einmal«
die Stunde. wo du gezwungen bist, ins
das Gesicht des Lebens zu schauen.;
Wst du dann nicht bereuen, dassl
du ei nicht schon srtiher gethan hast.«;
Enrsi war eine Reihe von Tagen;
nach dieser Unterredung ziemlich nach- i
deutlich- Jch sah ihn wiederholt in das j
Kolleg gehet-, aber diese Wandlung
hielt nicht an. Nach etwa zwei Wochen
schon war er wieder der Alte. l
Eines Tages tras ich Ernst Vormit- ’
tagj typischen elf und zwsls Uhr aus
Ver hauptstrasze unserer Musenstadt
«Wohin willst du?« swgte ich.
Juni-neun Und nachher einen
ZFgchoppen machen. Kommst du
m i
l
Yes-rasäa
Staats-s Zurzejger Und Yerold
J P Windolph, Herausgehen Grund Jstaud,Neb1-., 22.1m.1904 (-;wectet711etl) Jahrgang 24 No zl
»Ein wenig spazieren gehen, ja.
Zuelttn Frühschoppen habe ich keine
»Alter Streber!«
»Ich danke sür das Kompliment
Ich wollte, du könntest dir es selbst
endlich einmal nisachen.««
»Daß ich ein Narr wäret Mir ge
stillt mein Leben ganz gut-na, und
wenn ich auch lein Examen mache, so
bin ich doch meines Vaters einziger
Sohn, und für sden ist schon so viel
da, dasz er auch als unexaminirter
Staatsbiirger behaglich leben tann.«
»Ist das ivirllich dein Ernssi?«
»Warum denn nicht? Meinst du,
baß nur die Leute mit alademischem
Cramen brauchbare Staatsbiirger ge
ben?«
»Das gerade nicht! Aber das meine
ich, »daß, wenn einer einmal angefangen
hat zu studiren, er auch vor seinem
Gewissen seinen Angehörigen und der
übrigen Welt verpflichtet ist, sein Stu
dium zu Ende zu bringen«
»Du bist ein Moralprebiger,« wars
er unsmuthig ein.
Und ärgerlich schleuderte er seine
ncch brennende Cigarre in weitem Bo
gen von sich weg.
bltätnd nun lam ein surchtbarerAugen
i .
Ich sah, wie die Cigarre funken
sprühend ans oas Pferd ein-er gerade
vor einem Hause haltenden Equipage
niedersauste unsd »das Thier an den
Ohren s.ras. Jn demselben Moment
hob sei sscki bnkb auf M- Sinkt-bän
riß mit einem jähen Ruck den Wagen
vorwärts, schlug mit den Vorderhufen
wild vor sich hin unsb stürzte dann
zitternd und leuchend in Die Kniee.
Aus mehreren Kehlen erschallte ein
entsehensvoller Schrei.
Einen Augenblick standen wir beibe,
Ernst und ich, starr wie gelähmt aus
demselben Fleck.
Dann aber löste sich die Starrheit.
Unter dem zusammengestiirzten
Pferd lag blutend unsb ivicnmernd ein
tteines Mädchen.
»Einem Arzt! Einen Arzt! schrie
alles durcheinander.
Da kam Leben in Ernst.
Jm Nu stand er drüben neben dem
Wagen Er riß das Pferd in die höhe,
und unbekümmert darum, daß ihn
selbst ein wuchtiger husschlag in die
Seite traf, zog er das stöhnende tleine
Wesen hervor.
Es bluteie start aus Brust- und
Kobswnndem
«Einen Arzt!« rief auch Ernst.
»Dicht nebenan wohnt einer,« ant
wortete eine Stimme.
Im Fing nahm Ernst pas Kind aus
die Arme und trug es hinüber zum
Arzt.
Vergebliches Bemühen. Der Arzt
war nicht zu Hause. Ein zweiter
ebenfalls- nicht. Sanitätsivachen oder
dergleichen aber gabes Idamali- in der
tieinen Universitätsstadt noch nicht.
»- n die Klinil dann-i« riei ich
Ernt zu, der mit- seiner blutenden
Last in dem Hausslur der Arztwoh
nung stand.
»Mein Gott, bis« dahin verblutet
sich sa- das Kindl« schrie er entsetzt,
und furchtbare Angst sprach aus sei:
neu Zügen.
,,nann-fr du denn dem kleinen We
fen nich-i einen Nothverdand anlegen?«
fragte ich. »Im Sprechzimtner des
Arztes werden toir doch alles Nöihige
finden, und man wird eg- uns gern zur
Verfügung stellen. Kannst dsu denn
das nicht« Ernft?«
Wie geiltesabcvsefend schüttelte er mit
dem Kopfe.
»Ist-? Nein. Das habe ich —
noch nicht gelernt, in fünfzehn Seme
ftern noch nicht gelernt!«
»Dann zuritliniil Schnell, fchnell!«
Ein Wagen war zur Stelle. Ernst
prefzte fein Taschentuch auf die Stirn
wunde des Kindes-, und dann ging
es in- fchneller Fahrt zur Universitäts
llitrilt, die weit draußen rar den Tho
ren lag.
Jn das leise Wimmern des Kindes
aber mischte lich das fchrnerzvolleStöds
nen eines todternften Manne-, meines
Freundes.
Endlich, endlich waren wir drau
ßen. Mir fliegender Eile fprangErnft
die Stufen hinauf zum Bersbandfaall
wo er das Lin-d dem Arzte du szur
übergab.
»Ein Un-fall?« fragte dieser.
« a, und ich trage die Schuld da
ran , antwortete Ernft diisfter.
Der Arzt untersuchte das Kind.
«Mein Gott«, faate er dann, »wa!
denn niemand da, der einen Nachtm
dand anlegen tonntei Das arme«
schwache Ding geht gu Grunde an dem
Bluiverluft.«
Emst schmierte zufammen.
Ein prüfenter Blick aus den Augen
des Arztes fiel auf ihn
»Sie find doch selbst Mediziner«
here Laut-nich f te er. »Kvnnten
Sie den nicht feld . wenn kein Arzt
aufgui den war« —
, Er M. Miide und matt, todt
blassen Antlitzes war Ernst auf einen
Stuhl gesunten
— ich" —- stammelte er.
»Nein, ich iownte gar nichts!«
Der Arzt schüttelte den Kopf.
Das Kind wurde verbunden und
dann von den Kranltenwärtern hinaus
meinen Krankensaal getragen.
Wir gingen. Ernst sprach kein
Wort·
Gegen Abend dieses Tages lam er
zu mir
»Komm!« sagte er.
»Wohin?«
»Wohin sonlst als szur stlinit. Ich
will wissen, wie es dem Kinde geht«
Ich begleitete ihn
»Wie geht es der Kleinen?« fragte
Erntst, und Scheu, Angst nnd Desorg
niß klangen aus seinen Worten.
Der Arzt war tiesernst.
»Sie kommen zu spät meine Her
ren« ,entgegnete er »Die Kleine ist
vor einer halben Stunde gestorben.
Sie hat den starken Blut-verlust nicht
ertragen können. Ein Nothverband
hätte sie gerettet, da die Verletzungen
selbst nicht zu schwertv wIaren
Starr unsd groß schaute Ernst den
Redensden an.
»Todt ist sie?« fragte er dann, und
seine Stimme klang ganz tonl-os.
»Und ein Noth-erkrank) hätte sie retten
tönnen?«
»Gewiß. Daß Sie das aber auch
nicht machen konnten-, Herr Kollege!«
Ueber Ernsts Gesicht zuckte es -hin,
gend verabschiedeten wir uns.
» Draußen im Kotridor stand eine
ärmlich gekleidete, bitter weinende
Frau die zwei Krankenschwesterns zu
trösten versuchten.
« Es swar mein einziges Kind-'s
schluchzte fie, »und so lieh und brav
war sie! Reinen Kummer machte sie
uns« —
Jetzt wollte aber auch mir das Herz
fast brechen.
Ernst war an die Frau herangetre
ten-. Er reichte ihr die Hand·
»Kann ich Ihnen helfen?« fragte er.
Sie sah ihn starr an«.
»Sin«d Sie der Herr, der« —
Erntst nickte.
«Jch bin es, der die Cigarre fortz
geworfen hat.·« ’
»O, Sie! Sie wissen nicht, wag
Sie mir sgethan haben -— einer armen
Wittwe nahmen Sie die Freude ihres
Lebendi«
Er neigte gebrochen das Haupt.
»Ich stomme morgen zu Jhns:n,«
sagte er. »Wir wollen rann manches
miteinander besprechen-. Bis dahin
behüte Sie Gott!« ·
Er bot ihr die Hand. Langsam
und Zögernd legte sie die ilJre hinein.
Wir gingen. Draußen vor der gro
ßen Pforte fragte ich ihn:
»Wohin gehst du jetzt, Ern-st?«
»Noch Haufe zu meinen Biichern.«
»Willst du arbeiten?«
»Ja, denn ich habe sdas Gesicht des
Lebens gesehen, und ich weiß jetzt, dass,
mir nur in ehrlicher Arbeit das
Grauen- vor diesem Medusenantlitz
bannen und bezwingen lönn·en:.«
»Ich drückte ihm herzlich die Hand.
Aus dem stud. cereoig. wurde ein
fleißiger stud. med» der heute längst
ein tüchtiner unso gesuchter Arzt in
einer deutschen Großstadt geworden
ist. Der Mutter des! unglücklichen
Kindes- aber geht allmonatlich eine be
trächtliche Geldsumme mit einem
Briefe zu, der jedes-mal unterschriehen
ist: »Ein ehrlicher Arbeiter-« Sie
weiß es wohl, von- wem die Sendung
tommt.
' aber er sprach ekein- Wcrt, und schwei- I
I
f-———«—
Aluch ein Besuch bei Goethe.
Humokeske von Adolf Hö:icekt.!
Madame Pusle sitzt in ihrem hübsch i
und niedlich eingerichteten Wohnzim i
mer und liest das ,,Berlin-:r Intelli-l
genzblatt«.
Sie ist eine runde frische Vierzige
rin, lleni von Statut mit rothen,!
settglänzeuven Wangen und üppigemI
Kinn. Um ihren vollen Hals windet E
sich eine Florallenlette und die dicken
Ohrläppchen schmücken lawye, tropfens
artige Ohrgehänge von hellem, durch
sichtiaens Bernstein. Jhr Gotte war
Schlöchter und hatte ihr ein hübsches
Vermögen hinterlassen, von dessen
Zinsen sie bequem leben konnte. Jhr
Juni-e besuchte das alte graue Ghin
nusium zu Berlin, war aber im Ler
nen etwas zurückgeblieben-, weshalb sie
sich einschloß, ihm Nachhilsestunden
ertheilen zu lassen.
Frau Pustle ist mit ihrer täglichen
Leltiire noch nicht zu Ende, als es an
ihre Thiir klopft. Herr Julius Kraus
baur tritt ein und verneigt sich vor der
luaelrunden Schlächterin tiefer als
gebräuchlich Er ist ein hübscher jun
aek Mann von beitiiiusig 18 Jahren,
dem Geist und Bildung aus den Au
gen leuchten. Sein Aeußereö trägt in
Hinsicht gewissermaßen seinen Namen.
Er hat kohlschwarze, geträuselte
Haare, die muthwillig sein hübsches
Gesicht umrahmen, ist groß und
schlank gewachsen und verbindet mit
einnehmenden Allüren ein Selbstbe
wußtsein, das nicht ganz frei von
Stolz ist, wie man dies häufig bei be
gabten jungen Männern findet. Lei
der ist er sehr arni und auf Stunden
geben angewiesen, daher auch das tiefe
Kompliment vor der Frau Puste.
»Sie sinsd also der neue Lehrer, der
mir vom Herrn Professor Hesinz ein
vsohlen wurde?« sprachnach den er
sten einleitenden Worten die Flei
schersfrau unso musterte dabei Kraus
haar von oben bis unten mit kriti
schem Blick.
»J!aioohl, Frau Puste,« antwortete
der junge Manti, »der bin ich. Mein
Name ist Kra"ushaar.«
»Nun, ioat wollen- Sie denn für die
Stunde haben?«
,,Füns Silbergroschen, Madame.«
st»Wat? Fünf SilberjroschenZ Dat
i vie·l.«
»Es ist der übliche Preis, der in
Berlin für Privatstunden bezahlt
wird-«
»Nu, da leg’ ich lieber noch enen
Silberjroschen orusf, dann betomme
ich enen mit "«21ugenjjliisern.«
»Frau Pufte,« erwiderte Kraus
haar, nur mit Mühe das Lachen un
terdrückeno, »wenn es sich nur darum
handelt, so werden wir sicher handel
ein5.« Mit diesen Worten zog er ein
Lederfutteral aus der Tasche, ent
nahm ihm eine silberne Brille und
setzte sie aus die Nase. »So, Ma
dame,« sprach er sdazu lachend, ,,jet3t
haben Sie einen Jnstrusltor mit Au
gengläsern uns mit silbernen noch da
zu. Jch bitte demnach uni sechs Sil:
bergroschen für die Stirn-re und gleich
zeitig um Angabe der Zeit und Tage,
an denen ich Iie Stunden ertheiieii
soll.«
Frau Puste ertlärte sich damit ein-:
verstanden. Es gefiel ihr aus-nehmend
aut, daß der junge Mann die titzliche
’Lluaengl’cisersrage so gut und prompt
gelöst habe, denn es schien ihr etwas
Neues -u sein, daß man Brillen auch
mit sich in der Tasche herumtragen
könne und offenbar lebte sie in dem
Wahn, gelehrte Leute kämen gleich mit
Brillen auf der Nase zur Welt.
Die erste Stunde, die sich um die
lateinische Sprache drehte, ließ Frau
Pufte talt; auch die zweite und dritte,
die dein Rechnen und der Geographie
gewidmet waren, dagegen interessirte
fie sich für die vierte Stunde, in der
die deutsche Sprache mit tlassischen
Musterbeispieleii behandelt wurde,
außerordentlich Unt- alg ihr Sohn
anfing zu lesen: »Sei mir gegrüßt, du
Berg mit rein röthlich strahlendeii
Gipfel,« sal, Frau Puste eine neue
Welt vor sich erstehen. Sie hielt den
Athein an una- lauschte den Worten
wie einein Evangelium, und nicht
minder lauschte sie den ertläreneen
Bemerkungen Kraughaare, die dieser
beisiigte und einflocht. Als das Ge
dicht durchgenomnien war, fraate sie
den baut-lehren wer denn Das ,,scheene
Jedicht« verfaßt hätte.
Dieser gab zerstreut zur Antwort
—- ,,Goethe«.
Kaum war den Lippen Kraughaarg
dieses Wort entstohem als er natür
lich den Jrrthum ertannte. Was sollte
er nun thun? Sich verbessern-? Un
möalich· Er hätte sich damit eine
Blöße gegeben, die ganz seltsam ge
deutet werden konnte. Daß Kraus
baar wußte, wer der Dichter sei, dar
über besteht nicht der leiseste Zweifel.
Er war in Gedanken oder hatte sich
verfvrochen, er war im Geiste vielleicht
beim Präparircn eines Goethe’schen
Gedicht-«- stir eine andere Leiions
stunsde.
Aber das Wörtchen war einmal
her-aus« unwiederbringlich gesprochen
und er konnte es nicht mehr zurückneh
men, wenn er anders seiner Gelehr
samkeit und Würde als Hauslehrer
nicht einen argen Stoß versetzen woll
te. Er ließ sie daher in dem Glan
ben. Die Frau- Puste hatte tein
schlechtes Gedächtniß, und es ereignete
sieh in ren deutschen Stunden noch ös
ter, daß sie zuKraushaar sagte: »Neh
men Se doch wierer emal mit Fritzen i
dat scheene Jedicht von Joethe durch.(
Sie wissen schon: (
Sei mir jejriißt, du Berg mit dein’
röthlich strahlenden Jipsel,
Seia mir Sonne jejriißt, die ihn so
lieblich bescheint.'«
i si- «
Asus der Madame Pusle ist ein
vollendeterSehönaeist geworden. Nicht
allein an den Goethe’scl;en, auch an
den Schiller’schen Gedichten sand sie
großen Gefallen.
Eines Tages rückte sie mit dem
Wunsche heraus, sämmtliche Gedichte
Goethes und Schillerz zu besitzen und
kennen zu lernen. Sie händigte daher
Herrn Kraushaar zwei Thaler einJ
unid bat ihn, ihr fiir dieses Geld dies
beiden Bände zu besorgen.
Herr Kraushaar saß unleugbar in
der Vatiche Was sollte er thun? Jetzt
noch nach so langer Zeit seinen Fehler
und seinen Jrrthum einzugestehen,
das ging schlechterdinsgs nicht mehr.
Er sann daher aus ein anderes Aus
tunstsmsittel und es dauerte gar nicht
lange, so hatte er es gefunden. «Er
kaufte die beiden Bände in dem glei
chen Format der sogenannten Stutt
garter KlltasssistwAusgaben und ging
damit zur Buchbinderei. Dort ließ er
die Titel aus den Büchern heraus
schneiden und vertauschte sie gegensei
tig, so daß die Gedichte Schillers das
Titelblatt der Goethe’schen Gedichte
und die Goethes—jene der Schillerschen
erhielten-. Ueber Nacht beschwerte und
preßte er die Bände noch tüchtig mit
einem schweren bleierneanabatskasten
und schritt dann des andern Tags
tvohligemuth nach der Wohnung der
Madame Poste, wo er sie ihr feierlich
übergab.
Diese that sehr erfreut und das
erste war, sogleich den ,,Spaz«iergang«
ihrIH Lieblingsdichters Goethe auszu
schlagen, den sie auch richtig aus Seite
95 sano und dessen erste Strophen sie
auch gleich in der dazu gehörian
Stellung und nöthigen Emphase her
sagte.
sssrau Pufre sururc nch m iyrer
neuen Spbäre glücklich. Sie lernte
eine Menge Goeth:«’scher undSchiller’
scher Gerichte mit vieler Mühe und
großem Fleiße sauswendia und protzte
mit ihren tlassifchen Zitaten bei den
Nachbarinnen in so auffallenderWeise
herum daß diesen angst und bange
wurde. Besonders zu Goethe fühlte
sie sich hingezogen, aber iauch vor
Schiller hatte sie große Hochachtung.
Es ist daher nicht verwunderlich, daß
in ihr cser Gedanke aufstieg, die beiden
Dichter-.Heroen von Angesicht zu An
gesicht zu schauen und persönlich ten
nen zu lernen.
Mit Schiller war dieses allerdings
nicht mehr möglich, denn er ruhte be
reits in dem tiihlen Schooße der Erde.
Aber Goethe, den sie wegen ihres
»St«aziergange5« so sehr verehrte,
Seine Excellenz, der Weimar’sche Mi
nistet und große Dichter-, lebte noch.
Da Madame Pufle Geld genug be- J
saß, um sich auch einmal etwas anse- J
reg anzusehen »als die Herrlichkeiten
Berling, so entschloß sie sich, Weimar
aufzusuchen und Dem Dichterfiirsten
ihre Aufwartung zu machen.
Il· sk It
Vor Frau Pufte liegt die leuchten
de Vracbt der Frühlings-welt. Rosige
Blüthen, Licht und Düftewehensz mit
griinem Wsipfel dunkel verschleiert der
Wald und im Busche ertönt das siiße
Lieds der Nachtigall.
Trotzdem Frau Pufke reich war, so
warf sie Doch nichts zum Fenster hin
aus-; sie war, wie alle vernünftigen
Leute, sparsam. Gewiß wäre ein eig.
ner Reissetvagen bequemer und vor
theilhafter für sie gewesen, aber sie zog
den billig-neu Postwagen vor. Die
Vorbereitungen zur Reise waren bald
getroffen. Außer einem Reisekleid
nahm sie noch ihr schwarzes, schwer
seioeneg Vochzengrieio inn, um wog
lichst würdig vor dem großen Mann
zu erscheinen.
Heute sitzt sie in der.fchwerfälligen
Post«lutfche, den Bansd der Go-:tshe’fck7en
Gedichte in der Hand. Wenn sie ein
galanter Reisegefährte fragte, was sie
da für ein interessantes Buch lefe, dann
warf sie sich in die Brurst und erwiderte
stolz und mit Hochgefühl: ,,Det sind die
scheinen Jedischte von- dem jroßen Dich
ter Jsoethe Zu dem fahre ick jetzt und
befuche ihm.«
Sie freute sich dann- gewaltig, treu-n
sie ein bewunsoernder Blick ihres Nach
barn streifte.
Die Reise ginu gut von statten und
am vierten Tage kam sie in Weimar an.
Es dämmerte bereits. Sie begab sich
in das nächistgelegene Gassthaus »Zu:
goldenen Sonne« und zog noch an dem-,
selben Abend bei dem Gafts.virtl)e Er
tundigungen eins, tvie sie wohl am be
ftens Gelegenheit finden würde, den
Dichter zu sehen und wenn möglich zu
sprechen
Der Gasstwirtb schien- aber ein Sten
tiler zu sein. Bei aller Freundlichkeit
feines Wesens-, mit »der er sich bereit er
klärte. der Frau Pufle in ihrem Vor
haben behilflich zu fein, glaubten ihr
doch nicht verhehlen zu dürfen, daß die
Sache durchaus nicht so einfach fei, als
sie wohl denken mochte.
»Nanu.« meinte Frau Pufle und sah
dabei bedeutunsgsvoll auf ihre dicken
trotlcen Hände, die mit Ringen und
Edelgestein förmlich infiru tirt waren,
,,Joethe ift en großer Dichter, aber
egentlich doch ooch nur en Mensch."
i »Wohl, wohl, Madame,« versetzte der
Wirth, »aber ein außerordentlicher
Mensch und bei solchen ist es schwer .
Doch, wir wollen das Be e hos -.«
Am anderen Tage ve sgte
Puste nach dem Hause Sr.
wurde aber nicht vor-gelassen
daß eine Frau aus Berlin bei i
»Biirger, dem die Hasusortmung Seiner
i Excellenz ganz genau bekannt war-.
Als daher Madame Pufle ins »das Zim
mer trat und sich der Gastwirth herthr - "·
erkundigte, ob sie den großen Dichter I
gesprochen hätte, antwortete sie kurz: «
,,Nee, abjewiiesen.«
Jetzt näherte sich ihr der bereits er
wähnte Gast und sprach sie folgender
maß-en an: ,,Madnme, bei Goethe kom
men Sie so leicht nicht bot. Da können
Sie noch hundertmal hin-gehen. Folgen
Sie meinem Rath: schleichen Sie sich
in das Haus und gehen Sie dann die
Haupttrcppe hin-aus, sobald em- Wage-n
ror der Thiir hält, was Nachmittags
um halb 4 Uhr regelmäßig der Fallifi.
Auf dem. oberen Absatz wenden Sie
links eine DoppelSckatue sehen, dahin
ter verstecken Sie sich und warten, bis
Goethe »aus der Thür tritt, auf deren
Schwelle das Wort »Saloe« steht. Er
liebt -der.1lecchen Huldigungen und Sie
werden ganz gewiß freundlich aufge
nommen·«
Frau Pnfte befolgt pünktlich die ihr
von dem freundlichen Gaste gegebenen
Anweisungen und steht am nächsten
Tage zur festgesetzten Stunde hinter
der Statue. Mit pochenidem Herzen
wartet sie auf die Ankunft des Dich
ter5.
Da geht die Thük auf und Goethe
erscheint in seiner vollen imponirenden
Größe, den Hut in der rechten Hand,
mit der er gleichzeitig noch den Zipfel
seines linken IJtantelflügels hält. An
seinem blenlcend weißen Halstuch
schimmert ein großer Atnethyst und sein
rolleg Haar umgibt in wellenartigen
VIII-n Evino Ilsfsissfw Stirn «IIF kos
muthig begab sie sich wieder in- t J »
Gastshaus zurück. Dort tte unterdes
sen der Wirth seinen "sten« erzeigt-,
gestiegen sei, die etgens nach miae
Sei-IMMEN- M Goethe zu sprechen und .
,unter diesen befand sich eins Weimarep z
( .. .
HVMW sp . , H M »
-------------------- , »w. »so
Ernst, Größe und Hoheit thronen.
Wie Frau Psusle des Dichters an
sichtig wird, tritt- sie sogleich ausihrem
Versteck hervor und redet ihn mit den-«
Worten an: »Bist ick end-lich so jliicklich,
den jroszen Dichter vor mich zu sehen?«
Verwundert sieht sich Goethe um
unto srägt: »Kennen Sie mich, Ma
dLM?-s
,,Jott, wer sollte Ihnen nich kennen?
Fest jemauert ins der Erde sieht die
Form aus Lehm j-eör-an«nt!«
Goethe lacht und erwidert: »Es
sreut mich, daß Sie meine Werke so
gut ten-ten. Adieu, Ma'dame!«
Die ästhetische Fleischerssrau sank
fast in Ohnmacht, als sie dem fremden,
freundlichen Herrn im Gasthause ihren
Besuch erzählte und von ihm hören
mußte, toie schmählich sie sich blamirt
habe. Sie schwor hoch unsd theuer,
Rache zu nehmen an dem schwarzen
Kraughxiar und dessen noch schlmärzerer
Seele und verließ in höchster Eile das
deutsche Athen.
—————.-.—-——
Kanonen-fund in China.
Jn Tsinatingtschou, einer der bedeu
tendsten Handclgstädte Schantungs,
hat ein Mitarbeiter der in Tsmgtau
erscheinenden Deutsch - Asiatischcn
Watte sechs eiserne Kanonen gesunden,
die 1640 gegossen wurden. Sie sind 2
Meter lang und haben ein Kaliber von
’ 15 Centimeter. Ein merkwürdiger
Schmuck ist auf ihnen, ein Kreuz in ei
ner streigverzierung und ein Spruch
l band, welches die lateinischen Buchsta
i om S. M. R. A, R. O. B. trägt. Der
Mitarbeiter der Deutsch - Asiatischen
Watte sieht darin die Ansangsbnchsta
ben von Sancta Maria Regina Ange
lorutn Retrude Onia Vella und ver
muthet in den Geschützen Nachbildun
gen der Kanonen, welche der berühmte
Pater Adam Schall aus Köln siir den
letzten Kaiser der Ming-Dhnastie zur
.. « -·Ipp
Vertheidigung Pelings goß. Die Le
sung der Buchstaben hui große Wahr
scheinlichkeit in sich. Daß der Text
mit dem Wunsch auf Abschaffunq der
Kriege schließt, sieht bei einem Kriegs
werlzeug auf den ersten Blick wunder
lich »aus, aber ähnliche Dinge kommen
in der Uniformgeschichte auch sonst
dor. So trug ein Reichskontingent
des 18. Jahrhunderts auf seinen Fah
nen den Spruch: »Da nobig pacein
in diebus nostrig«, was nicht über
mäßig heldenhaft klingt.
-
Naiver Schluß.
Jsiinqeker Bruder: ,,-Otio, wo haft
Du den-n die Schmarte imGestrltt (her?«
Otto: .,,Dun1mer Kerl, dass ist ja
ein Schniiß!«
Jünaerer Bruder: »So, wo bist Du
kenn dann hinaus-geschmissen wor
Den?«
Macht der Gewohnheit
»Sie, wer mag wohl der Herr da
drüben sein, der hat den ganzen Abend
noch kein Wort gesprochen?«
,,Dös is a Landtags-Abgeordneten
der red’t am Tag auch nix!«
Mermis-.
Okerförfter: »Dein Schulze hab’
ich aber neulich die Wahrheit gesagt!«
» »Könmsens Sie ja gar nichis!"
Berechtigte Frage. .
Winile: »Ich wast in England und
babe sehr viel in adeligen Häusexn ver
kehrt.«
Van Attila-: »So? Na, wie gehks
,
dmn Mitten- ametilaniichm Makel-c
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