Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, January 30, 1903, Sonntags-Blatt, Image 10

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Der falsche und der wahre Erd-.
; Von M. Mczonnell Bodkin. Autorisirte U berWuna aus dem Gnaiischen von
« Matgaxelhe sxacovk
f· Ho· sCio · I« us- st- YOZZJHEIH
vsfvvsfvsW - ""
(
VIII-c
sxgs -"I«-«.s-’s"g’x
sxiswi
( · .-I"«
(
. « (Schluß.) «
szie gute Kittn verließ mich an je
ner- Ubend. und bis die neue Warte
rin kam, sollte Frau Caruth meine
Pflege übernehmen Zur Nach:zeit
betrat fee das viiftere Krankenzimmer,
Zog ein Bündel unter ihrem Mantel
hervor und machte sich an der Wiege
zu schaffen. Ich schloß die Augen,
tm reicht zu sehen, wie sie die Kleider
der beiden Kinder vertauschte Wie
ein iinfterer Schatten glitt sie zur
Thiire hinaus. und ich hörte ein Kind
Jchseiern Das schnitt mir ins Herz
gleich einem Messer: mein Knabe flehte
mich an, ihn zu retten; aber alle LI:
benitraft war von mir gewichen, ich
fühlte mich iterbensrnatt und fürchtete
mich doch entietzlich vor dem Tode.
»Als ich wieder zu klarem Bie.::.ßt
fein erwachte, schien der helle Tga ins
·rnmer. ch ahnte nicht« daß inzwi:
then ein onat vergangen war. Der
Arzt sprach mit meinem Manne, def
ien Blick auf mir ruhte.
»,Jhre Frau ist jetzt außer Ciriak-es
sagte er. ,An ihrer Erhaltung bade
Ich übri ns nie grzweifeltz aber daß
sder Kniee lebt, ist ein wahres Dun
der.’ Man bracht-e ihn mir ans Bett;
er war frisch und rosig und ich
schwelgte in seinem Anblick.
-«Stellen Sie sich vor. Der-a, daß
ich Frau Caruih und ihren verruch en
Plan gänzlich vergessen hatte und mir
einbildetz es sei mein eigenes Kind
Belche Thorheit, an Den untriiglichen
Instinkt der Muter zu glauben! Ich
tiebte den Sohn jener abscheulichen
Frau mit allen Fasern meines Her
ns. Als mir vie Erinnerung lang
arn zurückkehrte, brachte mich Ver Ge
danke faft urn den Verstand, aber an
Mein-er Liebe änderte das nichts.
»Man sagte mir, Frau Earuth sei
spurlos verschwunden Nach zwei Jah
ren kehrte sie jeouch ins Dorf zurück
nnd brachte ein-en kleinen Knaan mit
—- meinen und Noverichs Sohn, den
wahren Erben von Dunscombe, den
ich feiner Rechte beraubt hatte.
«·Seitksem fühie ich mich unau5
fprechlich elend in dem Bewußtsein
was ich für eine unnatürliche Mutter
bin. Aber ich tonnte unt- iann ten
Knaben, den ich Lieb-, nicht für mei
nen Sohn hingeben, Der meinem Her
zen fremd ist.
»Frau Caruth war das wohl zu
- frieden. Jch gab ihr von Zeit zu Zeit
Gelb, und weiter verlangte sie nichts.
Aber der Knabe, mein armer unglück
iicher Sohn, ist auf böse Wege gera
then. heute kam sie, um mir zu sa
«gen. man habe ihn auf einem Dieb
fisahl ertappt und festgenommen. Jch
müsse dafür sorgen,--oaß fein Vater
ihre auf dem Gefängniß befreite, sonst
würde-Fee alles verrathen.
- »O, ich bin das elendeste Wesen un
ser der Sonne. Helfen Sie mir,
Dorai Was fange ich nun an?«
»Es-n müssen die Wahrheit geste
, »Das kann ich nicht. Wie sollte ich
« es wagen! Es brächte Roderich um,
wenne r erfiibre, daß sein Sohn ein
Dieb ist. Jch weiß wohl, wie grau
fam und sündhaft es ist, daß ich mein
eigenes Kind hasse und einem andern
an seiner Statt meine Liebe zuwende.
Doch es läßt sich nicht ändern. Wenn
Sie morgen Archibald sehen, werden
Sie mein-e Gefühle begreifen und mich
Mitleid-ein«
»Am artoern Tag kam vom Bahnhof
ein Jagd-wagen am Haus vorgeseh
- ren; ein munterer iraustöpfigevSchul
habe hüpfte heraus, sprang wie ein
( ,Inmrntball die Stufen hinauf und
- is Ulice Aylmers ausgebreiiete Arme.
hebend und erröthend schloß sie ihn
. an ihr herz.
»Wie dir nur« Mutter, fast hätte
ich mein JGliieP oerloren,« rief enl
Toskade «- nnsb on ihr-m Tini-«- bin-«
---,s-- · -- -----
»Es fiel mir von rer Uhrket:e auf Den
Bahnfieig nnd wäre fast aug die
Schienen gerollt. Bitte, vers-Ia re es,
bis man es wies er an der Kette f st
niachen tann.« Damit legt-» er esne
kleine silberne Medaille auf oaHE
Schränlchen, neben csesrn et stand
,,Gui, ich will es an mich nehmen,«
verfehle fie. »Geh jetzt nur auf dein
Zimmer.«
Sobald der Knabe fosii war,
seh-wand alle Freude aus Frau Anl
mers Zügen und sie warf Vor-a einen
stehenden Blick zu, Dem Diese jedoch
Inzwitb
aiSein Glück? Was wollte er da
Itit sagen ?«
Doti- haiie die Medaille in die
Ian genommen und betrachtete sie
M allen Seiten. Sie war alt unid
cis-nun doch konnte man noch eine
»Viel-e Gestalt daran erkennen die
Krone trug und rings von Pünkt
singeben ever vie wie Sterne
gehört auch zu der Geschichte-'
«Dit Schauens nze war
M M weihen Band fest
U MS M Mwnxnødut
- . U
Mist-i
Zigeunerin gegeben habe. Natürlich
glaube ich are sdtchen Zauber nicht,
aber ich dachte, es könne nichts scha
den, wenn der nKade die Medaille an
seiner Uhrtette trüge.«
»He-den Sie auch das Band ausbe
wahrt?« fragte Dora mit einer Erre
gung, die zu der unbedeutenden That
sache in gar keinem Verhältniß stand.
»Jawohl,« derseyte Frau Adlsner
ermundert. »Wollen Sie es seh:n?"»
Und sie schloß eine Schublade ihres
Schreibtisches anf, wo unter andern
Erinnerungszeichen aus Archibalds
frühester Kindheit ein schmaleg weißes
Band lag, das mit einem festen Kno
ten um des Kleinen Hals getniipst ge
wesen und dich-i am Knoten abges
schsnittsen war.
Dora Mnrl nah-m es der Mutter
hastig aus der Hand, legte es neben
des Knaben »Gliick« auf den Tisch und
betrachtet-e beides rnit großer Aufmerl
samteit.
Tann wich plötzlich die Spannung
aus ihren Mienen, und sie wandte sich
mit straälendem Lächeln zu Frau
Animer in.
»Es ist alles in Ordnung,« sagte sie.
»Aber was denn, liebe Baker«-«
fragte Alice erstaunt über die Zuver
sicht in Ton uan Wesen der Freundin,
die sie nicht zu deuten wagte.
»Sie sehen doch, daß das Band nur
einmal zugekniipst und nie wieder ab
genommen wovden ist«-»
»Das ist ganz llar, aber-«
»Nu: Geduld! Ich will Ihnen sa
cren. was das Amt-lett der Zigeunerin
eiaentlich ist: eine geweihte Dents
münze, auf deren Schutz die Katholi
ten fest vertrauen. Kein Wunder-,
daß Frau Caruth sich nicht ertliiren
konnte —«
»O Dara, Sie erschrecken mich. Re
den Sie weiter!«
»Sie werden mich gleich verstehen
Saaten Sie mir nicht, Jhre katho
lische Wärterin habe siir den Knaben
gebetet, noch ehe die Kinder Vertauscht
morden waren? Sie hat ihm die Me
daille um den Hals gebunden, und sie
ist niemals entfernt worden, heoor
Sie das Band zerfchniiren haben.
Können Sie jetzt die frohe Botschaft
errathen?«
»Es ist mein Kind, mein eigenes
Kind!«
Die Worte kamen in gebrochenen
Lauten iiber Frau Ahlrners Lippen.
»Natürlich. Jhr eigenes Kind, liebe
Alire,«' versicherte Dvra mit Bestimmt
heit. «Jhre Mutterliebe hat sich nicht
getäuscht. Frau Caruths Plan ist
leicht zu durchschauern sie hat weder
die Kinder, noch deren Kleider jemals
vertauscht, sonst hätte sie die Denk
miirize bemerken müssen. Sie behielt
ihr eigenes Kind, das- sie gewiß auch
aus ihre Art lieb hatte, und wußte
Ihn-en den Glauben beizubrinaen daß
es das Jhrige sei. Mochte Jhr Sohn
nun leben, oder sterben, so hatte sie
immer die Möglichteit, aus dem Be
trug Rasen zu ziehen.«
Hoffnung und Freude malten sich
in Frau Aylmers Blicken. Und als
setzt Archihalsd lusiiq ins Zimmer ge
stiirmt kam, die Angelrnte in der einen
Hand und feine Balllelle in der an
dern, war er nicht weni-; erstaunt« als
ihn die Mutter heftig an sich riß, so
dass sein Spielzeua auf den Boden
rollte, ihn mit Liebkosungen über
häufte und so sest ans her-z drückte,
als wolle sie ihn nie wieder aus ihren
Armen lassen. »Mein Sohn,« rief sie
dabei, Jesi endlich, endlich gehörst du
mir ganzk
Als Frau Garuih am nächsien
Morgen Aliee wieder zu sehen ver
hangte, wurde sie von Fräulein Dora
Mhrl empfangen. Bei dem Kreuzer-er
hör, das die scharfsinige junge Dame
mit ihre einstellte4 verlor die Beträge
s:
rin bald alle Fassung und gestand ier
Arglist ein. Mit Furcht und Zittern
floh sie aus dem Dorfe und störte fort
an Alice Aylmers Frieden niemals
wieder.
»Sie sind unser guter Engel, Fräu
lein Mvrl,« sagte Herr Aylmer an je
nem Abend, als die drei beisammen
saßen, und Alice lächelte dazu glück
seli , wenn auch unter Thränen.
ie hatte ihrem Gatten alles ge
standen, und nun sie seiner Vergebung
sicher war, kehrte wieder Ruhe in ihre
Seele ein.
»Ja,« wiederholte Roderich Aylmer
mit Nachdruck, »Sie sind unser guter
Engel. Jhnen verdanken wir alles
wiedergefunden Glück. Eine dunkle
Wolke hing über unserm hause und
Sie waren die Sonne, die sie vertrie
ben hat. Nun müssen Sie uns aber
auch gestatten, Ihnen unsre Dankbar
keit zu beweisen und —«
Da unterbrach ihn Dorn mit mun
tere-n Lachen Reden Sie doch nicht
in so poetischen Ausdrückrm here
Anbean sagt-e sie. «Jsch bitte Sie
nur, mich gelegentlich bei Ihren
reunden in eint-seinen denn fest
be meinen Beruf entdeckt und
Dis satte sogleich wach der Dru
nsedame hatte währen-d sie
WWW m Dass-It asbetet Inseker
t
In sauberen klarer Schrift, fast se
deutlich, ais wäre sise gedruckt, waren
darauf die Worte zu lesen:
Fräulein Dorn Myrt,
z Geheimpolizistin.
Vie versteckte Violinr.
»Ich käme gern-e, Sylvia, aber isch
kann nicht«
»Du mußt, Vora!«
»Das ist leicht gesagt. Ich habe
einen dringenden Fall zu bearbeiten,
der bis morgen sertia sein muß. Wo
soll ich die Zeit hernehmen?'
»Du wirft es schon einrichtet-.
Die beiden Mädchen hatten arn
Nachmittag in Doras freundlichem,
kleinem Wohnzimmer behaglich bei
einer Tasse The-e gesessen. Jetzt
sprang Snlvia so hastig auf, daß ihr
seidenes Kleid raschelt-: schelmischc
Grübchen zeigten sich in ihren Wan
gen und ihre Augen ieuchteten. Sie
mußte wohl eine angenehme Ueber
raschung für die Freundin auf dem
Herzen haben, die sie nur noch mit
Mith- zurückhielt.
Dora folgte ihr mit den Blicken.
»böse, Sylvi«a, ich bin zwar Ge
heimpolizistin, aber dein Rathsel kann
ich nicht rathen. Wenn du es etwa in
deinem neunte-bischen seidenen Aerrnet
verbirgst. dann nur heraus damit!——"
Salvia stellte sich in freudiger Er
regung vor sie hin.
»Signor Nicolo Amati wird bei
uns spielen. So, nun weißt vu’s.«
Dora Myrl dachte an teinen Wi
derstand mehr.
Natürlich tomme ich,« sagte sie
lii Ind. «
»Ok) du Zeit haft oder nicht Z«
»Unter allen Umständen!«
Eine solche Gelegenheit hätte sich
auch niemand entgehen lassen, ge
schweige kenn ein Mädchen wie Dara
Myrt, der die Lebens-tun in allen Fin
aeriviten vricketh
Ganz London — das beißt, dac
ganze gebildete und kunsiliebende Pu
blikum London-. war noch immer voll
davon, daß der berühmte Mäcen und
Mtsillenn:r. Lord Mellecent, bei einer
Reise, die er mit seiner Tochter Syl
dia durch Nordiialien machst, in einem
unter Weinlaub verborgenen Dörfchen
am User des Po einen wunderbaren
Violinisten mir einer himmlischen
Geige entdeckt hatte
Der Lord war sofort überieugi ge
wesen, daß die Geige ein Meisterwerk
don Amor-Ein Etradivarius sein müsse,
und der Geiger erwies sich als ein di
retier Nachtomsme don Nicolo Amati.
dessen Namen er trug· Seit Jahrhun
derten hatte sich das kostbare Instru
ment von Generation zu Generation
in der hochbegabten Familie Amati
vererbt und siir die einfachen Dorfs-e
wohner Musik gemacht. Bei Hochzei
ten batie es zum Tanz ausgespielt und
an den Gräbern baie es seine Klage
erschallen lassen. Unter allen Geigern
aber, die je mit dem Bogen seine Sai
ten gerührt haiten, galt der junge Ni
colo siir den ausgezeichnetsteru Er «
wußte seiner wunderbaren Violine
Töne zu entlocken, die lieblicher waren
als das Vogelgezwiischer zur Früh- ’
lingszeit und webmiiibiger als dasi
Siiihnen des herbstrvindeg in den ent
laubten Bäumen.
Lord Mellereni gerieib außer sich«
vor Enigiicken und konnte sich von dem
sonnigen Dörfchen nicht losreißen, bis
es ihm nach einem Monat gelang. den
Geiger sammt seiner Violine nach dem
nebquen London zu entsunken. Man
muntelte sogar, die blauen Augen sei
ner aolohaariaen Tochter anoia seien
bei dieser Eroberung nicht ganz unbe
theiligt gewesen.
Nicolo Amatk hatte seine Kunst
nicht aus theoretischem Wege erlernt.
Die zauberbasten Melodien, die er zu
spielen verstand, wurden ihm nt:r,
wenn man so saaen darf, durch dac
Gehör als Erbtheil übermittelt. Seine
ganze Seele war voll Sang unt-Klang,
und oie Musit entströmte den Saiten
seines Instrumentes mit solcher Leich
tigkeit, wie der Nachtigall ihr Lied aus
der Kehle quillt. Als er nun die Mei:
stertverle der großen Komponisten ten
nen lernte, sah er sich in eine neue
Welt versetzt, die ihm ungeahnete Ge
nüsse bot.
Im Frühling war er nach London
gekommen, uno als man die Antünoi
aung las, oaß er im Anfang des-!
herbstes zum ersten Male ösfentlichi
austreten werde, wurden die Gemüther
von fieberhaster Erwartung erfüllt
So standen die Dinge, als Lord.
Mellecents Tochter ihrer Freundin
Dora Myrl die aufregenoe Nachricht
oertiiridigie, daß der Künstler, noch
vor dem öffentlichen Konzert, bei ei
mmepsanqsabend in ihrem elter
lichen hartse spielen würde
Beide Mädchen waren Schulgesiihn
tinnen gewesen. Die um Brei ahre
ältere Dort-, die sowohl in oer lasse
als aus dem Spielplatz immer die
Erste war, hatte sich der schüchiernen
blondlockiaen Kleinen bei ihrem Ein
tritt in die Schule liebevoll angenom
men und ihr alle Schwierigkeiten aus
dem Weae geräumt. Daraus entstand
allmählich eine innige Freiens-schrein
doch war und blieb Dora siir Syloia
immer eine Respekt-person, und die
Grafentochter schaute mit Auster i
med Liebe zu der Geheimpoliziitin an.
Seit einiger Zeit widmete sie aber auch
zugleich dem wunderbaren Jtialiener
ihre Viel na und Signor Rieolo
Muster sseesin its den segen
Ikctm ZIM CWE ·
buntem Begierde, ihn zu eben
Hist-»D- ei- -:««-.. Werk-« »i:
TO III III-Dis
sich persilnli davon zu ilberzeugeml
ob der neue baott am Kansidimmel
des Beihranchs los-dir sei, den man
ihm streute.
»Ich ten-nie natürlich- seinen Mr
aieichliches Berih,« sagte Sinken als
dbe rste Aufregung der M ver
sloaen war seid sie Wieder rnbiffplah
genommen hatten. »Aus-er m gibt
ei in ganz London aber nur noch wei
Leute, die ihn gehört haben, pa
und seinen alten Lehrer. Alle übrigen
kommen fast um vor Neugier, gerade
wie du« Dara. Und wenn du etwa
glaubst, es wird frch herabsstellem baß
mein Schwan nur eine Gans ist, so
irkst du dich gewaltig. Wir werden
an dem Abend nicht mehr als fünfzig
Personen bei uns-s sehen, obgleich man
mich förmlich bestürmt hat, um Ein
ladung-en zu erhalten. Seit vierzehn
Tagen sehe ich mich genöthigt, verklei
oet umherz"ugehen· sonst wäre ich
nicht mit dem Leben davongekommen.«
In ihrer glückseligen Gemüthsstim
muna plauderte Sylvia immer weiter.
»Monsieur Gallafseau kommt auch.
Nicht wahr, du kennst ihn doch? Er
ist der zweikbeste Violinspieier der
Welt. Bis setzt hält er sich fiir den
ersten Meister, aber er wird seinen
«Jrriham schon inne werden. Nein,
schüttlge nur nicht so ernsthaft den
Kovsz Du hast sa unsern Italieners
noch nicht aehört?«
»Du meinst wohl deinen Italie
ner, Syloia?'·
»Wenn du mir die Worte im Mun
de verdrehst, Dota, nehme ich die Ein
ladung fük Dich zunic. hörst satt
Komm nur sa recht früh. Jetzt muß
ich aber ruhen«
Sie war bei dem Scherz dser Freun
din lieblich erröthet und verließ rasch
das Zimmer-.
Unter-de n fünfzig Einladungen, die
im großen Empfangssaal des Welle
rentschen hauses in der Parlstraße
versammelt waren, herrschte die freu
diaste Spannung; ja sie konnten es
kaum erwarten, bis die Diener, die
mit silbernen Theebrettern getäusch
los zwischen Fden Gästen umher-gingen,
l k---,
i one Erim-gerungen Wut-rege uqu gur
ten. Aus dern leisen Gemurntel oer
Stimmen hörte man immer nur einen
Namen heraus oder allerlei abgerissene
.Sötze wie: »Man sagt, es sei ent
zückan —- Die reinste Sphären
musit!«—— »Die ganze Geige soll aus
einem Stück Holz geschnitzt seints —
»Und er ist noch so jung und ein so
schöner Mann!«—— Er hätte sich gar
nicht von Loro Mellsecent überreden
lassen, nach London zu tornmen. wäre
Syloia nicht gewesen. Aber man sagt,
sie habe alles daran gesetzt.« — »Der
Lord tann aber doch unmöglich seine
Einwilliguna geben« Er ist biet zu
. »Mutzutaae ist nichts un
Jmiiglich Das Genie dringt überall
durch- und zerbricht alle Schrankenf
Unterdesscn sasz Sylvia unbesan en
neben Dora Myrl in. der vorder en
Zuhiirerrei . gegenüber dern Podtum
in dessen- iitle das Vioiinpult aus
dem dunlelrothen Teppich stand. Sie
sah reizend aus in dem weißen Kascky
nrirlceid mit den blauen Bandschlei
sen: steubige Erwartung strahlte aus
ihren Blicken und ihre Wangen glüh
ten wie bie Rosen.
Jetzt entstand eine plößliche Stille
und aller Augen richteten sich aus das
Podiurn, als Lord Mellerent rnit zwei
herren aus einer Seitenthiir trat. Ei
nige der ersten musitalischen Größen
Londons folgten ihnen.
Der berühmte Franzose Gallasseau,
ein großer, breitschulteriger Mann mit
dunkler Gesichtssurbe, schritt lächend
uMellecents Rechten; doch der junge
ualiener zu seiner Linken fesselte vor
zugsmxeise die Blicke der Anwesenden
hätte auch bisher nichts von seinem
Genie vertautet, so wiirbe seine Schön
heit allein die allgemeine Aufmerk
samteit erregt haben. Man glaubte,
eine griechische Göttergestalt zu sehen;
sein blühende-B Gesicht trug wahrhaft
tlassische Züge und aus seinen schwar
zen Augen sprühte feurige Begeiste
runq.
Im Saal war alles todtenstilL nur
auf dem Podium hörte man Stim
mengeslüster. Der aeschmeidige Fran
zose bestand mit höflichen Worten da
raus, seinem junaen Berufe-genossen
den Vortritt zu lassen, und nach eini
gem hin- und Herreden trat Nicolo
Amati vor aus die Estradr.
Eine wunderooll alte Geige, die
beim Kerzenlicht ihre satte, dunkeltothe
Färbung zeigte, schmiegte sich an sein
Kinn Er schien sie nur zu liebte-sen
so leicht war der Grisf, mit dem er sie
hielt. Als er dann mit dem Bogen
über die Saiten strich, lauschte das
Publikum in athemloser Erregung.
Solche Töne waren noch nie erklungen,
seit Orpheus durch die Macht seiner
Musil wilde Thiere gezähmt, Bäume
und Steine bewegt und den grimmen
Beherrscher der Unterwelt erweicht
hatte. Die wahrhaft entzückendem he
rauschenden Klänge nahmen Herzen
und Sinne gesangen. Wechselwll wie
das »Sei-en selbst riesen sie bald Freude
und Liebe, bald Gram und Kummer
wach. Gleich ein-ern Regen pfeife-thi
ger Funken perlten die Roten rasch
und llat hervor, und dann wimmerte,
klagte »der sang die Zaubergeige wie
der in der band des Meisters. Sie
über vonÆZn Melodieen, als
ieallen klang bewahrt, der
jhr rentlorsett worden war, und ivolle
chah ihrer Erinnerung schwelgen
Als die Mk endlich in langen,
schmelzenden Akkorden dahinstarb,
stillten sich aller Augen mit Thranen
nnd eine Welle schienen die Zuhörer
W m Ieise den himmlischen Mön
lanschesn Dann brach der set
sall ,Eher nicht wild und hättet-ists
sondern gewapr mit ehrfurchtsv
ler Sehen wie ans tiefbewegte-r her
zen loininend.
Amati deedeugte sich deutend und
Dorn flüstertu «Sein Spiel hat ihn
Mk- getiit sieh nur den feuchten
Glanz in fe msiich «
Sylvia erwiderte tein Dort. sit ists
regungslos de nnd ihre Aug-en Euch-!
teten wie verklärt . »
Jeßt erhob fich ein Gemurmel im
Saal.
Gallgufeaus Namen wurde gerufen
nber ohne besondere Wärme Doch des
Frau-Hofe wollte auf nichts eingehen;
er weigerte sich zu spielen. ,,,Nein
nein« sagte er und zog feine breiten
Schultern in die Höhe »Ich will den
Zauber nicht brechen. Der Besiegtt
grith den Siegen« fügte er hinzu, in-·
dem er fich lächelnd dor Amaii ver
neigte, »doch möchten Sie mich gewiß
nicht öffentlich an ihren Triumphioa
gen leiten, mon anii. Wenn ich Jhnen
allein vorfpielen und Ihrer Geige zu
hören diirfte, wiirde ich es als eine
Gunst betrachten. Ader das ist viel
leicht zu viel verlangt."
Ehe noch Lord Mellecent Einwen
dungen erheben konnte, erwiderte
Amati höflich und in fließendem Eng
lisch, das im Munde des Italieners
einen besonderen Wiohllaut gewann:
»Sie find allzu bescheiden. Monsieur
Gallasseau. Es wird mir eine Ehre
fein, wenn Sie mich morgen um zwölf
Uhr in meiner Wodnunq auffuchen
wollen. Jch stehe dgann sammt meiner
Violine aanz zu Ihren Dienstenf
Gallasseau dankte ihm verdi ndlictx
und ohne eine Spur den Neid. Die
meiften Zuhörer hatten sich erhoben
und entfernten sich getäufchlos ais
ftiinden sie noch Unter dem Zauder
dann der Musil.
»Don, du dieidft!« fliifterte Stil
via der Freundin Zu. ,.Amati ver
dsringt den Abend bei uns und wird
--«I- m«l-- k-;-7--o Ätn- misses ist-.
III-s ssssqs ------- .,-7- ·»-u- .D
Betannte we«.«rden
.Es ist nicht mein Verdienst, Sig
norina, " sagte der Italieners im Laufe
des Abends zu Der-a Mhrl die taum
Worte ians,d um ihr Entzücken iider
seine Kunst auszusprechen. »Ich spiele
nicht; meine Geige thut es. Sie ist
voller Melodieen die nisr schlafen, bis
mein Bogenstrich sie weckt. "
»Ein wunderbares Jnstrumentt«
fiel jetzt Lord Melleceni ein, der sich
die Gelegenheit, fein Steckenpferd zu
reiten, nicht en gehen lassen wollte.
»Sie wissen doch,« fuhr er zu Dorn
gewandt fort, »daß es ein Meister
wert voi Stradivarius ist; dessen eige
ne Handschrift biirgt uns dafür Er
selbst hat die ,Violine seinem Posten,
dem Sohne seines Lehrers Nicolo
Amati. geschentt Zweihundert Jahre
lang haben Mitglieder der Familie
Amati auf der Geige gespielt und ihr
Ton ist heute nach zauberhafter als an
dem Tage, da sie aus des Meisters
band hervorgina. Keine Bioline in
der ganzen Welt läßt sich mit dieser
vergleichen. Sehen Sie nur die
Schnecke an, wie sauber, scharf und fein
sie geschnitzt iftt Wie anmuthig ist die
Biegung des Halses, wie schön ge
schweist der Reionanzbodem Und erst
der Firnis, dieser wunderbare Firnis,
dessen Bereitung fiir die heutige Welt
ein unerforichtes Geheimnis-, ist — er
äküht von innen heraus wie Drachen
ut«
Mellecent hielt die Violine gegen das
Do Ae « ssss II - «I-Oe·s hssoszÄD Its-isle- i
vix-» ais-s »u, Its-ask »s--I-»s·7s .-»
wie duntelrother Wein in ileetenloser
Schönheit; nur an den Stellen, welche
die Hand zahlloser Geiger während der
langen Reihe von Jahren beriihrt hat
te, schimmerte die ilnterlaae von gold
aelbem Firniß durch das abgenutzte
hellere Noth hindurch.
Dora, die überall Bescheid wußte,
verstand sich auch aus Violinen und
konnte den Werth des herrlichen Jn
struments gebiihrend würdigen. Die
ganze Nacht hindurch klang die Musit
ihr noch im Ohr und in der Seele fort;
auch den Tag über mischte sie sich in
alle ahre Gedanken, und störte sie bei
der Bearbeitung des drin enden Falls,
den sie gerade unter den gänden hatte.
Da tamen rasche Schritte die Treppe
heraus, und ohne anzutldpsen, stürmte
Shloia ins Zimmer. Dora hatte sich
mit ihrem Drehstuhl umgewandt und
sah Nicolo Amatis schönes Gesicht mit
trostlosem Ausdrucke hinter dem hastig
erregten Mädchen auftauchen. Sobald
Sylvia zu Athem getommen war, er
griff sie das Wort: »Nicht wahr,
Dara, du wirst sie wieder finden! Jch
habe es dem Signore versprochen.
Seine Violine, weißt du —- sie ist gr
stohlen —- derschwunden —- aber du
findest sie gewiß.«
»Wenn ich tann,« war Toras ruhige
Antwort. Sie preßte die Lippen zu
sammen und in ihren klaren, grauen
Augen blitzte es seltsam aus. »Vo:
allem muß ich die näheren Umstände
erfahren. Beruhige dich, Shlvia, und
nimm Platz. Setzen Sie sich Signor
Amati. Nun erzählen Sie mir, wie
das zugegangen ist.'«
Amatis Bericht über seinen Verlust
wurde häufig von Shldiai theilneh
menden Ausrusungen unterbrochen.
Viel hatte er nicht mitzutheilen. Mon
sieur Gallasseau war statt um zwölf
Uhr, wie sie verabredet hatten, schon um
Eis gekommen
Als er mit seinem Violiniasten in·
einer Droschte vorsuhr, und man ihm
sagte, Signor Amaii sei aus e angen,
war er enttiinxchn Zuerst beschloß er,
zu warten, ga aber iese Absicht gleich
wieder aus. Schon nach eint n Mi
nuten Ianr er, den Biolinta en noch
immer aus dein Ann, die Treppe her
unter und uhr art.
Man t lte ei Amati mit, ais er
tun Zwölf Uhr nach Hause sein« Gleich
W
darauf wollte er seine Seine out dem
Kasten nehmen, aber sie toee ser
sehwunden. Natürlich fuhr er sofort
»auch der etwa wei Meilen entfernten
Wohnung des rqnzosen Juli ich .
dort ontnnt,« erzählte Amati miter,
»Wie man mit, Monsieur wohne im
vierten Stock. Arn Eingang fand ich
den Thürhiiten
»Kann ich Monsieur Gallasseau
sprechen?« fragte ich. «
»Werkstatt hat strengen Befehl e
qksbem daß man ihn aus teinen all
storen soll.’
»Halt-n Sie die Güte, ihm meine
Kurte zu bringen.’
»Der Mann ging mit der Karte zum
FtlhtsiUIZL Und während er dort einen
Augenltlnt warten mußte, lief ich un
bemertt vorbei und dir steile Treppe
hinaus.«
,,Vr«.1vo!« murmelte Dorn leise.
»Ich öffnete die Thüre des Wohn
zinimsers im vierten Stock —- doch es
war leer. To hörte ich iider mir Gei
gentöne — das war meine Biolinr.
Rasch stieg ich weiter. —- Die Klänge
wurden lauter und voller. O, er ver
steht zu spielen, dieser Monsieur Gal
lasseau. Ich driicltc auf die Klintex
die Thüre war verschlossen. Als ich
heftig klopfte, hörte die Musil sofort
aus; ich vernahm Schritte im Zimmer
und ein Metallgellingel, dar-auf öff
nete sich die Thüre nnd Monsieur Gal
lasseau stand lächelnd aus derschtvelle.
»O, Signor Amati,’ sagte er, ,tvie
freue ich mich. Sie zu sehen.’ Indem
tatn der Thürhüter herauf, doch er
schielte ihn zornig Lott. ,Jch war
ebn in Ihrem Hause,' erklärte er mir
dann, Jan-o Sie aber nicht. Haben
Sie sich in der Stunde geirrt, over
liegt die Schuld an mir? Dann muß
ich Sie freilich sehr um Entschuldi
gung bitten.’
»Ich stand einen Augenblick roie
oerduth da über seine Frechheit. Dann
Klznratir ich los: ,Jch tgmme, urn meine
- .. L-(-.- Lä- - Z- —:- «-tc-’-I-s
UIUIIlIL du VUCLII, UIIs VII ssllc Ilclsssqss
haben.’
»Er reichte mir mit berwunderter
Miene seine eigene eGiae hin, die aus
dem Tisch lag. ,Wenn Sie spielen
wollen —— sie steht Ihnen zu Diensten.
Doch ist Jhr Instrument natürlich viel
schäner.’
»Meine Geige ist mir gestohlen
worden, Monsieur.’
Mortsehuna solgt.)
-- --«-·-.——-—-——s
Die Utsentchatt vors Ohr-.
Ein aufmerksamer englischer Beob
achter, der zahlreiche Ohren seiner
Landslenie geprüft hat, ist zu der
überraschenren Feststellung gekommen.
daß das Ohr während der letztenJahr
zehnte des Lebens weiter wächst und
daß es bis zu dem Tode damit nicht
aufhört. Wenn man sich die Mühe
giebt, seine Aufmerksamkeit in einer
Menge aus die Ohren zu richten, so
wird man bemerken, daß die älteren
Personen viel größere Ohren haben
als sdie jungen; eine Frau, die im Alter
oon zwanzig Jahren kleine Ohren hat,
wird bei vierzig Jahren Ohren von
mittlerer Größe und bei sechzig recht
ansehnliche Ohren haben. Warum die
Ohren das ganze Leben hindurch
wachsen, während dies bei der Nase
nicht der Fall ist« das ist ein Geheim
nisz. Auch mehrere andere Bemer
kungen bezüglich der Ohren sind sehr
interessant. Die Gestalt der Ohren
wird durch Vererbung übertragen
Jedes Ohr pflanzt sich sozusagen mit
geringen Veränderungen vom Vater
aus den Sohn, von Generation zu Ge
neration sort. Gelehrte, die über die
Verbrecher Forschungen angestellt ha
ben, behaupten, daß diese ganz beson
ders gebildete Ohren haben, die ein
Sachverständiger ohne Mühe heraus
sinoen kann. Es giebt schließlich
wahrscheinlich teinen Menschen in der
Welt, der ein Paar vollkommen gleich
gebildeter Ohren hätte. Bei den mei
sten Menschen sind die Ohren merklich
von einander verschieden, und zwar
nicht nur in ihrerGestalt, sondern auch
I- »so-- Eli-Zick- .h" Its-II Co Its-»s
ifichi"i;ivk"kik·ii·k"kk A?i·«fik""-i·pz;i;.
» .«——-.—.-.«
Tod in der Literatur-.
Zur guten alten Biedermeierzeil en
deten Luftspiele, sowie gvoße und lleine
Erzählungen und Stirzen meift mit
einer Verlobung ooer Hochzeit. Unfer
heutiges Schriftstellergefchiechi findet
diesensehluß langweilig und abgestan
den uno caprizirt sich darauf, ohne
jede Poånte zu schreiben. Viele greifen
jedoch statt des sieus ex macliina
zum Ausbilsfsmiltsel des Todes-. Von
fünfzig Slizzen uno Novelletten, die
der Feuilleion-Nevaltion einer Zei
tung zugingem endeien einige vierzig
mit dem Tode, was sehr oft Gelegen
heil zu einem ftimmungsoollen Ab
schluß bildete. Sie fteköen wie die Flie
gen dahin, auf hohen Bergen und in
tiefen Thäletn, im Bett, am gebroche
nen beizen, an ganz unmöglichen
Krankheiten, an Gift, am Revoloer,
am langsamen sich zu Tode Seufzen,
aber sie sterben unaufhaltsam, imm
fm, unerbittlich, im Keller. Auf dem
Schiff, in·oer einsamen Studirftube,
im»Walo, im Sumpf uno auf andekm
Mai-W die noch viel unappeiillichek
sind· Eine· große Todesfehnfuchi scheika
demnach zu den Herzen unserer moder
nen Schtlitsisllet zu schlummern.
O—
» Dskin hat es der gewöhnlich-Sterb
Fschs Doch gut. Prinzefsinnen tönnen
ihm nicht durchorennetn
O i i
file mai ifi eigentlich der Rnllpnnli
en sinke-ein chersrostetm wenn's
both belt nois darunter gehn -