Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, January 16, 1903, Sonntags-Blatt, Image 10

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Roman von Paul Oscat Höcker.
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(19. Fortsetzung)
In wachsender Spannung waren
die beiden Uteterfuchunggbeamten der
Mbe des Staatsanwalts gefolgt.
Bischhusen warf dem Kommissar
einen gewissermaßen triumphirenden
slick zu; dann sagte er zu Dierstä:
ter: «Sie sehen uns, Herr Staatsan
dalt, schon beinale als Gläubige der
Lehre Wassiliews!«
«.aniefern? Sie meinen doch nicht
im Ema, daß dektki Taschenspieler
kunststsiicken Glauben beigemessen sei?
Or. Dierstattek dreisei- vie Braun
aus und begann ein paar Absätze vor
ulesen. »Es steht ja fest, daß Dieser
usse ein Mann von allgemeiner Bil
dung, daß er auch kein vertnöcherter
Gelehrter war. Aber ich weiß nicht
ich weiß nicht —- fobald diese Herren
iiber das Reale hinaus-vollem dann
verlieren sie sich immer gleich allzuhoch
in'die Wellen. Und die Rassen, die
Slawsen überhaupt, haben nun einmal
use so den Zug zum Mysiischen in
sich. Sie wollen an Hellfeher glau
ben, an Gedankenlefer, an Humans
mus, Suggestiom was weiß ich!«
Der Untersuchungs-richtet hatte die
Aufzeichnungen bis zur letzten Silbe
mit peinlicher Aufmerksamkeit gelesen.
»Ein-es scheint zunächst daraus mit
iiemlicher Gewißheit hervorzugehen —
ein Punkt, den ich selbst schon gerade
gestern erneut in Erwägung gezogen
habe: daß Wassiliew nicht erst nach
elf Uhr, wie die gerichtklichk Darf-tel
--— c!-I-.- -..-- — —
k-«
sung Ulpsjcx aussuquh Hausker Ins-u
acht Uhr zwölf Minuten feine Man
sarde verlassen hat —- uno zwar ohne
dahin wieder zurückzukehren.«
»Wie stimmt das aber damit, daß
bei Wassiliew um elf Uhr noch Licht
brannte? Und wer hat es später aus
Egelöichtk
Wischhusen berichtete, was er hier
iiher festgestellt hatte.
»Und es ist dennoch unmöglich!«
rief der Staatsanwalt »Sie haben
doch die Wärtcr gleichfalls gehört. Als
die um zehn Uhr oen Lahmen aus dem
Zimmer heraustransportirtem stieß
der eine der Krankentriiaer an die
Chaiselongue an, und zwar so heftig,
daß selbst Spener sich rührte, der doch
eine kräftigere Portion des Schlasmit
trls bekommen hatte als derRusse. Da
würde Wafsiliew also doch wohl gleich
falls aufgewacht sein.«
»Wassiliew war in dern Augenblick,
als Justus Spener zur Bahnftation
transportirt wurde, bereits todt. Die
Träger nahmen den Weg durch den
Alkoven — an seiner Leiche vorbei !«
»Sie sagen das —- mit solcher Be
stimmtheit?«
»Ich habe einen unumftößlichen Be
weis dafür, daß der Tod Wassiliew’s
eingetreten sein muß, solange Justus
Spener noch in der Wohnung weilte.'«
»Das wird mir immer räthfelvoller.
Sie bringen also den unglücklichen
Lahm:n, der sich nicht rühren konnte
—- denn den romantischen Phantasien
dieses Herrn Rassen da über die nächt
liche Wanderung Spener’s können wir
doch keinen Glauben beimessen — in
irgend eine Beziehung zu dieserMord
sachek
»Den Staatsanwalt, wir haben die
Waffe gefunden, mit der der Rasse
hinaemordet worden ist. Hier ist sie.
hier ist auch das Tuch auf dem sie lag.
und das gleich dem Messer mit Blut
bespritzt ist. Das Blut ist bereit-Z un
tersucht worden. Hier das Gutachtenck
des Gerichtschemikers.«
Dierstäiier war aufs Höchste über- J
rascht. Er prüfte Alles gewissenhaft, »
geliieih dann in steigende Erregung
Und wo haben Sie das Zeug gesun- ;
sen? Das sollte uns bei dem Lokal- i
termin entgangen sein?« s
»Vielleicht gerade deswegen, weil »
Sie annabmen daß die That erst nach
der Abreise der Speners erfolgt sein
müsse. Wir fanden diese Objekte inj
der Truhe, um deren Auslieferung die ;
Schwester des angeblich Gelähmten
bat. Diese Truhe war äußerlich gänz
lich unbeschädigt Der Sachverständige
meint auch, daß ihre Oeffnung mii
einem Rachschiüssel ausgeschlossen sei. 4
Staates-i aber nur einen Original
schl el —- und den hat Jusius Spe
leer noch niemals aus der Hand gege
ben —- er trägt ihn Tag und Nacht
auf der Brust «
Dem Staatsanwalt perlte ein leich- »
ier Schweiß auf der Stirn. »Besten
Sie, mir ist viel schon vorgekommen, I
Idee eine so seltsame, räthselhaste An- »
E ceqenheiL .Also mußte die That
isetichtig zwischen der Herabtunfi
. ssilietvöhe und der Abfahrt der Spe- !
Im qesche hen seit-T«
Ewian acht Uhr zwölf Minuten s
«- nnd zehn Uhr Abends
in. So gewinn dass-a mit einem ;
- ein gen anderes sicht! ..»’
r dem Glauben schenken
« , give-di Fräutein Spener
L; set-K leich von Anfana
Iie es s ni gänzlich un ein
M einend-h angegeben haben
in . sen-r ar unter Etd
rschasten in
M in
Wooooooioono nooooooeme
Wifchhufen nickte. »Und dennoch ist
die Schuldlosigteit des JohanneöBrate
erwiesen!« fagie er ernst und fest.
Eine geraume Weile herrschte tieer
Schweigen Endlich versetzte Dr.
Dierftiitter, der sich am Tisch niederge
lassen hatte, düfter und gedankenvoll
in Wassiliew’s Aufzeichnungen star
reno:
»Unter diesen Umständen freilich ift
der Alidideweis Brate’s erbracht. Ader
vor tvelch’ neues, übernatürliches
Räthfel sind wir nun gestellt . . »t«
Der Untersuchungsrichter atlItnete
tief auf. »Wenn wir Gläudiae der
Lehre Wafsilieto’s werden wollten —
xoenigstens in diesem Falle, in dem es
nach Allem ja keinen Zweifel mehr
giebt —- fo verlöre das Rätdfel den
letzten Rest der Unlösbarleit.«
Dierftätter seufzte. «Veredetefter
Herr Landgerichtsrath, Sie könnten
sich wirklich mit dem Gedanken ver
traut machen, daß Juftus Spener die
That begangen hat? Daß er, den wir
Alle für gelähmt, seit Monaten fiir
unfähig auch nur eine Hand zu rühren
gehalten haben, fich selbständig von
feinem Lager erhoben, die Trade ge
öffnet, den Mord ausgeführt und die
Waffe wieder an der alten Stelle der
borgen hat-ek«
Wifchhufen wies auf den Passug in
der Darstellung des Rassen, die die
erfie Wanderung Spener’s schilderte.
»Ich habe auch keinen Grund, an
d» Nichiinbit disk-I- Nemnbo Mani
lieu-? zu zweifeln. Der Russe war ein
ernster Gelehrter, der Ton, in dem er
über seine Experimente berichtet, ist
maßvoll und sachlich ....«
»Aber welche Veranlassung sollte
Spener gehabt haben, seinem Herrn
und Meister an’s Leben zu wollen?«
Der Untersuchungsrichter guckte die
Achsel. »Dariiber könnte uns Nie
mand Auskunft »geben, als der Thä
ter selbst, wenn er überhaupt weiß,
was er im Zustand der Hypnose be
gangen hat«
Es fanden noch lange. hitzige De
batten statt. Deren Beschluß bildeten
Dierstiitter’s Worte:
»Das wird ein heilloseä Aussehen in
unserer lieben Residenz aeben. Die An
klage gegen den unglücklichen Brate
lasse ich unter diesen Umständen sal
len. Er muß ja Entseßliches ausge
standen haben.'«
»Und Sie werden ihn sosort aus
freien Fuß setzen? Es« wäre ja aller- ;
dings eine Grausamkeit, ihn auch nur .
eine Stunde länger als unbedingt nö- s
thig festzuhalten.«
Dr. Dierstätter ließ sich vomAcnts
diener Hut und Pelz bringen. »Kom
men Sie, Herr Landgerichtsratb, wir
wollen ihm gemeinsam die Nachricht
bringen. Das ist das Mindeste, was
man ihm schuldet, daß man einen
schweren Jrrthum der Justiz freimu
thig eingesteht Er ist ja ein Mann
von Bildung, wird kennen, daß unse
rerseits lein böser Wille oorlao. Der
arme, unglückliche Kerl —- der Erbar
mungswiirdige!«
Jn solcher Aufregung hatten die
Collegen Dr. Dieritätter’s den befahr
ten Beamten noch nie gesehen alö wie
in diesem Augenblick, da er, von
Wischbusen begleitet, die Fahrt zum
Untersuchungsgefängniß antrat.
s f !
Nach wochenlanger Kerlerhaft J
der Freiheit wiedergegeben! s
Johannes Brate brach in keinen
Taumel der Freude aus, aber er ver
schmäbte es auch, sich in bitteren An
llagen gegen seine Verfolger zu er
gehen
Kalt und ruhig lagen feine Hände
in denen der beiden Beamten, die ihm
die Kunde seiner Erlösung brachten,
ihm ergriffenen Herzens Glück wünsch
ten zu dieser unerwarteten Wendung.
Aber als er dann im Wagen saß,
dessen Berschlag er trotz der Winter
tälte hatte öffnen lassen, athrnete er in
tiefen Zügen die tlare Morgenluft ein,
seine zitternden Hände fanden sich in
einander, und frei und tief bewegt er
hob er den Blick gen Himmel.
Dr. Dierftätter setzte voraus, daß
der Freigelassene die nächste Gelegen- »
heit benußen werde, um nach Genf zu
gelangen. Da brachte er nun eine
dringende Bitte vor.
Die weitere Erforschung des That
bestandes erforderte es, daß er sich
selbst dahin verfügte, urn Justuö Spe
ner zu vernehmen. Es erschien ihm
daher dringend wünschenswerth daß
Brate durch tein Telegramnr etwa
Martha iiber die Wendung, die das
gegen ihn eingeleitete Verfahren ge
nommen hatte, orientirte. Jn seiner
Glückseligkeit über die Freilassung des
Bräutigams würde sie vielleicht dem
Bruder mehr verrathen haben, als
der nun noch folgenden schwierigen
Untersuchung dienlich war.
Johannes willigteauch hierin.
So trat er denn noch fast in dersel
Lben Stunde, da sich die Pforte des Un
färbte-Lin zgtgauånislzeshthter grub-e
n , e a r na m
sähen an. s .
Unser dem Staatsanwalt begleitete
is- npch der ElerielstsarthI Kreisthfd
ins Crit-ein, der auf J dringlche
Wische ErsuchenDierstätter’t«-« hin
sich gleichsalls sosort reisefertig ge
macht hatte.
So sehnsuchtshang das setz des
Freigelassenen in der Erwartung des
Wiedersehens mit Martha schlug —
die Qual der langen Reise kam Jos
hannes diesmal nicht so grausam zum
Bewußtsein, denn seine Gedanken
wurden gezwungen, eine andere Nich
tung zu nehmen
Erregte Debatten sanden niimltchs
unterwegs im Coupe zwischen seinen
beiden Begleitern statt. Dierstiitter
hatte dem Gerichtsarzt das Wert
Wassiliew’s eingehiindigt, das der
Mediziner in- größter «Spannung
durchslog. Nachdan er auch das sen
sationelle Kapitel iiber die »hypnoti
schen Experimente mit Gesunden und z
Kranian sowie den tageduchartigenJ
Anhang durchstudirt hatte, reichte er
dem Bildschniyer das Manuskript und «
erklärte dem Staatsanwalt daß er in
vielen Punkten die Ansichten des rus
sischen Collegen theile, und dasz er auch
verschiedene Werke von deutschen
Aetztern besonders hervorragenden
Bshchiatern, kenne, die aus demselben
Boden stünden wie Wassiliew wenn
gleich sie die letzten Consequenzen, die
der Rasse ziehe, nicht so gemeingiiltig
hingestellt wissen wollten.
Dierstötter hatte ein solches Urtheil
nicht erwartet. »den — daß Sie den
»modernen Schwindel« gleichfalls
mitmachen, liebster Doktor, das ver
bliisst mich. Wenn diese Lehrsiihe
wahr wären, ei, dann müßte einem ja
ein wahres Grauen vor allen Nerven
iirzten nnd dergleichen antommeni«
Daraus ging der Streit lange hin
und her. Grimm sprach in dessen Ber
laus ein Wort aus, das auch dem
mehr und mehr erregt, gespannt,
schließlich erschüttert lesenden, dazwi
schen immer wieder athemlos zuhö
renden Johannes Braie viel zu denken
gab:
»Ja gewisser hinsicht, meine Her
ren, ist jeder Arzt ein wenig Hut-noti
seur. Vielen Leidenden, und nicht nur
den Nervenleiden, suggerirt schon die
Nähe des Arztes, seine Stimme, iein
Blick eine Erleichterung. Die einzige"
Voraussetzung zur Wirksamkeit die
ser leichtesten Art des vanotismus
ist das Vorhandensein des Vertrauenö
— des Glaubens an die Rettung, die
der Arzt bringt. Und dieselbe Art der
Suggestion können Sie doch auch in
Jhrem eigenen Berufe konftatiren:
beim Verhör eines Angeklagten. Die
Festigkeit Jhres Blickes, die Macht
Jhrer Persönlichkeit ist es da. die ei
nen anfangs ganz siegessicher und kalt
bliitig Leugnenden plötzlich zufam
menbrechen machi, sodaß er zu Kreuze
kriecht und demüthig gesteht. Freilich
ist die Anwendung eines wirklichen
bhpnotischen Verfahrens den Richtern
untersagt, woraus iSie am besten er
kennen mögen· daß der Gesedgeber in
gewissem Sinne selbst zu den «Gläu
bigen« dieser noch ziemlich jungen
Wissenschaft gehört.«
Dierstötter zuckte die Achsel. «Jn
meiner langen Praxis ist dies der
erste Fall diefer Art. Und wenn ich
wirklich daran glauben soll, daß Ju
stus Spener die That begangen hat,
daß der Mann, der monatelang für
gelähmt dagelegen, laum eine Bewe
gung ohne fremde hülfe ausgeführt
hat, thatsiichlich plötzlich ausgestanden
ist, um Wassiliew zu überfallen und
hinzumorden. so würde ich eben an
nehmen müssen, daß er bis dahin ein
Siniulant schlimmster Sorte war.'«
«Der Meinung bin ich durchaus
nicht. So wie mir Küchenhoss über
den Fall berichtet hat, lag allerdings
teine wirkliche Lähmung vor. Einem
Menschen, der weder Arme noch Beine
hat, kann auch der genialste, mächtigste
buvnotiieur nicht betet-len. m schrei
ben oder spazieren zu laufen —- und
ebenfoweniq einem Patienten, dessen
Nerven und Muskeln und Gelenke
oolltommen gelähmt sind. Anders ver
chält sichs-H mit Spener Der Mann
war körperlich gesund; er glau bte
nur nicht an feine Gesundheit, er hatte
nicht die Willenstrait sich zu
rühren, sich zu erheben· Er war also
wie geschaffen zusn Werkzeug eines
thnotiseurs. Fustus Spener Je-—
horchte dem Nu en willenlos, ja. er
ward das willfährige Medium urn
Wafsiliew’s Befehle auszuführen,
selbst wenn sie eine KraftleisiumL eine
Muskel- und Nervenspannuna erstr
derten, die der Kranke auf-erhalt- der
Hypnofe sich selbst nie und nimmer
zugemuthet hätte.« v
Ganz erschöpft schwieg der Arzt.
Johannes war in seiner Lettiire, in
deren Pausen er immer aufgeregter
den Ausführungen des Mediziners ge
folgt war, bis zum Anhang gekom
men. Als nun Dierstätter, noch im
mer steptisch, fragte, ob der Kreis
physilus demnach auch an die wahr
heitsgemäße Darstellung jenes ersten
hhpnotifchen Experiments des Rufsen
mit seinem Medium —- zwei Nächte
dor der That —- glaubte, fuhr Jo
hannes schreckhaft empor.
i Mit einem Male entfann et sich fe
ner im Verlauf der lturmbewegten
Zeit schon fast wieder bergessenen
nächtlichen Schrecken-freue, über die
ihm Martha kurz vor ihrer Abreise
berichtet hatte.
Jn steberha ter Aufregung sagte er
seinen beiden egleitern, was er da
rüber wußte, verschwieg auch nicht
da er fowohlali Martha den Rassen
sel st sur diesen unheimlichen Ein
dringling gehalten hatte.
Es entstund ein lange s hinnnd r,
bis Dierftätter sich en lich zufrien
gab. Während Grimm Leute«-se
sägt mit einem gewissen Triumph-ie
l entge nachm, sagte der Staats
anwalt a selzuelend
—
, - -.»..-.--.. »w
.Gut. Also ich will anen soweit
entgegenkommen, will zu eben. daß
Spener in dieser ersten acht dem
Willen Wassilienks gehorcht lieben
mag, so wunderlich es mir erscheinen
will. Aber wollen Sie mich denn
glauben machen, daß dieser unheim
liche Rasse seinem Medium an jenem
zweiten Abend in der Hypnose befoh
len bat» ihm selbst den Gar-aus zu
machen, ibm selbst den Kopf vom
Rumpf zu trennen mit jenem einzigen
furchtbaren Streich?«
Man war schon müde und abge
fpannt von den hitzigen Debatten·
Den ganzen Tag über hatte man im
engen Coupe gesessen, nur zu den
Mahlzeiten den Speisetvagen des
Durchgangszuges ausgesucht. Seit
Stunden herrschte tiefe Nacht drau
ßen. Die flackernde Beleuchtung im
Coupe, die die Lettiire der engbe
schriebenen Bogen erfchtverte, hatte die
Augen der Reisenden ermüdet. Nach
dem stürmifchen Wortgefecht war ein
Stillstand eingetreten. Die Männer
hatten die Köpfe in die Polster zu
rückgelehnt, und ihre Blicke folgten den
von Zeit zu Zeit links an dem endlich
erreichten Genfer See aufblitzenden
Lichterreihen, die das Gestade beglei
teten.
Eine lange Pause war der faft
trotzigen Frage Dierftiitter’s gefolgt.
Der Kreispbysilus starrte wieder
in die auf der Reifedecke vor ihm aus
gebreiteten Monuftriptseiten, deren
Zeilen ihm zu derschroimmen schienen.
Schließlich sagte er tief aufutbmend:
»Wenn der Befehl des Rufsen, der
sein willfiihriges Medium zum M
der machte, es nun auf das Leben ei
Enes Anderen abgesehen hätte?«
: »Auf das Leben — eines Anderen?«
Jfragten seine beiden Begleiter-.
I »E·inu war dem Manne im Wege
l ----- i- ----- rx». .e.... ..-s. h-»
... »..«...,... ..,... ....- .....
rFreundz der zwischen ihm und der
Geliebten stand!« Grimm sah den
, ihm gegenübersitzenden JohanneLBrale
»voll an. »Sie waren sein Feind,
hetr Brate —- sein Todseind, den er
aus dem Wege räumen wollte!«
Das Einsehen der Bremse, das ver
störtte Riitteln und Nattern des Zu
ges, das schrille Zeichen der Dampf
;pseise, das die Lotomotive gab, über
stönte die Ausruse der beiden Mitrei
: senden.
Man suhr in die Bahnhosshalle ein
-—— der Zug hielt — man war am
» Ziel-e.
; O I f
Während der Wagen vom Bahnhos
lCornavin aus den Weg über die
»Rhonebrijcke und durch die Nichtbe
sschneitenBoulevards zu dem gar-ten
reichen Atvehiigel empor nahm, sprach
der Staatsanwalt seinen beiden Rei
segefährten ein paar dringende Wün
sche aus.
Danach sollte Johannes bei der An
tunst im Saaatorium sich noch nicht
zeigen, sondern sich so lange gedulden,
bis man Martha vom Kranken isolirt
und über die neuesten Vorgänge unter
richtet hatte.
Trotzdem der Abend schon ziemlich
Zweit vorgerückt war, tras man in der
Van Monrepos aber eine ziemliche
Unruhe an.
Dr. Mathieu war soeben von einem
Kranienbesuch in der Dependance zu
rückgekehrt und hatte ersahren, daß
Fräulein Sueneiz der Schwester tei
nes»Sorgentindeö«, wie er den schwer
leidenden Bildhauer nannte, ein Un
fall zugestoßen sei.
Die drei Herren traten, vom Con
cierge eingelassen, gerade in's Besti
biil, als die Pflegerin, die der ohn
miichtig gewordenen jungen Dame oen
ersten Beistand geleistet hatte, dann
aber durch den herbeigerusenen Assis
stenzarzt erseht worden war, dem An
Innälsilav in Zier-v knonscfefivn Mut-.
tersprache Bericht erstattete. Dr. Ma
thieu sah sich kaum nach den neuen
Antömmlinaen um, sondern entlediate
sich in der tleinen Garderobe neben
der Conciergen-Loae rasch seines Pa
letots und der Galoschen· Dabei
fragte er die Pfleaerin über die nähr
ren Umstände aus.
»Der Freiherr von Eckhardt war
; also wieder da s— der Herr ausKatM
’ ruhe?«
Die Pslegerin wußte den Namen
nur deshalb so genau, weil der Herr
! gestern und heute schon zu verschiede
Inen Malen vorgesprochen hatte.
»Und daß mir dadurch nun auch
die Ruhe der Kranken gestört wird!«
rief der Doktor ungeduldi . »hat
Spener etwas von dem nsall ak
hörW Natürlich hat’5 eine-große Aus
requna gegeben? Man hört ja jedes
Wort in dem Nebenzimmer, bei diesen
dünnen holzmänden.»«
»Den- Spener hat sich nicht gerührt.
Jch glaube, er hat geschlafen. Fräu
lein Martha hat mehrmals nach ihm
gesehen.«
»Und was wurde denn zwischen den
Beiden verhandelt?«
»Ich kann’3 nicht sa en; die herr
schasten sprachen deuts .«
Jetzt trat Dr. Mathieu heraus, um
sich hastig -hinaus«uversiiaen. Dabei
erbliate er die drei fremden Herren.
»Sie sehen mich selbst in heller Ver
zweiflung — ich muß Sie bitten, sich
zu gedulden —« ich kann in dieser Se
kunde Jhnen dein Gehör schenken . . .«
Der Staatsanwalt stellte sich hastig
vor und sprach mit dem Anstaltileiter
ein paar Worte.
«Urn’s immelt willen — ich be
schwöre S , verursachen Sie mir utn
diese späte Ubendstunde keine neue
Störung. Es sind ein paar Nerven
keeenke un aus, die absoluter Ruhe
bedlle n. uch Spenet schläft und
. cchtin von den Vorgänan in seiner
Nachbarschaft glücklicherweise nichts
gehört zu haben.«
.,Jch vernahm soeben. daß derr von
Eckhcrrdt im hause mitti«
»Ja —- ja —- das ift’s ia eben. Er
muß wohl Fräulein Spener eine Rach
richt von großer Bedeutung gebracht
haben... sie ist ohnmächtig zusam
mengebrochsen . . .« .
Das verringerte nun leineswegs die
Aufregung und Spannung Brates.
Er mußte sich aber.gleich den Anderen
noch in Geduld fassen. Da alle Zim
mer besett waren, drang Mathieu in
die Fremden, sieh einstweilen in den
sonst ais Operationssaal dienenden
tleinen Salon zu verfügen. Er wollte
nur rasch nach Fräulein Spener sehen
—- und, wenn es anging, sie und den
Freiherrn ihnen sosort selbst zuführen.
Unter dem Beistand des Afsittenz
arztes war Martha rasch wieder zu
sich gekommen. Als sie aus ihrer
Ohnmacht erwachte, vermochte sie sich
aber nicht sogleich der Vorgänge zu
entsinnen. Erst als sie Eckhardt er
blickte und die Manuskriptblätter ge
wahrte, die ihr ein solch furchtbares
Geheimnis-i verrathen hatten, gewann
sie die Fühlung mit der letzten Ver
gangenheit wieder.
»Es ist —- tchon Alles wieder —
gut!« sagte sie zu dein soeben einge
tretenen Mathieu aus dessen zragr.
Dann erhob sie schreckhaft die Stirn
me: »Aber Justus —- er wird doch
nicht erwacht sein..·? Jch war to
entsetzt, so überwältigt — ich dachte
gar nicht mehr an seine Nähe!n
Mathieu stand bereits an der Thür
und iauschte. »Er schläft. Fester als
sonst sogar. Es ist Alles ganz still.«
»Ich hatte die Wärterin beauftraat,
mit e- sogreich zu meidet-, fang ek sich l
ruhm« sagte Martha made und sie-s
quält.
Der Anstaltsleiter hatte inzwischen
ein paar Sätze im Flüsterton zum
Freiherrn gesprochen. Was er sagte
schien den Referendar in höchste Auf
reguna zu versetzen.
»W-) sind die Herrens« fragte er ha
stig, aber ebenso leise.
»Sie sind in den kleinen Saal zur
Linken einaetretn· Die Begeanuna
darf hier aber unter keinen Umständen
stattfinden. Spener wiirde zweifel:
los erwachen.«
»Lassen Sie mich machen," saate
Eckhardt, »ich verspreche Ihnen, das;
Fräulein Spener ruhig bleiben 1vird.«
Er näherte sich Martha und fraate
sie, ob sie sich kräftia genua fühle ihm
zu folaew Dierstätter befinde sich un
ten, der inzwischen die Aufzeichnunaen
Wassiliews wohl gleichfalls gelesen
habe und hergekommen sei, um mit ihr
Rücksprache zu nehmen.
»Und ——— — Justu5?« fragte Mar
tha voll Angst.
werben Sie keine Sorg-, man wird
ihn siir heute in Ruhe lassen und auch
morgen in fchonenoster Weise vorne
heu. Der Unglückliche dürfte ia kaum
eine Ahnung haben... Aber um
nichts vorzeitig zu verrathen, müssen
Sie mir sofort von hier folgen. Dr.
Mathieu fürchtet, daß wir Ihren Bru
.der ausweeken.«
Willig ftiihte sich Martha auf Eck
hardt’s Arm und ließ sich hinabgelei
leiten. Der Assistenzarzt leistete ihr,
da sie sich noch matt in den Füßen
fühlte, von der anderen Seite Unter
stützung. Mathieu aber eilte voraus,
um die Herren solange im kleinen
Saal zurückzuhalten, bis Martha die
Thür pasfirt hatte.
Aus der Treppe traf er die Pflege
rin lm Gespräch mit dem Coneierge,
die höchst interessirt die seltsamen Vor
gänge besprachen. Unwirsch mahnte
Mathieu die Schwester an ihre Pflicht
Sie solle zunächst einmal nach Herrn
Spener sehen, der von der Unruhe im
C-»2 :-.—Ik--- III-.- ---.--.4 t
azuus ist«-U-y-q-s· Fuss-. ItsuuuHi »I.
Jn der Loge dek- Concierge mußte
Martha erft Plan nehmen« bevor Ma
tbieu den Staatsanwalt herüberrief.
All diefe Vorbereitungen erhöhten nur
ihre Spannung.
hätte sie nun vollends eine Ahnung
gehabt, daß im Veftibül, unweit der
Stelle, an der er fchon früher einmal
in armfeligem Gewand, ein verfolgter
Flüchtling, in graufarnfter Herzens
noth geharrt hatte ——— dafr dort Jo
hannes Brate bloß des Wintes ge
wärtig war, den ihm Dierftätter geben
wollte, um sich in ihre Arme zu ftürs
zen . . .!
Mathieu blieb, an der Treppe an
gelangt, für ein paar Setunden er-·
fchöpft flehen. Er verwünschte den
Ta , an dem er dieer Karlsruher
ou genommen hatte. Der seltsame
Krantheitsfall hatte ihn damals in
terefftrt —- irgend ein sichtbar-er Er
folg war der etettrifchen Kur, die er
mit ihm vorgenommen, aber nicht zu
zufchreibetn Die mannigfachen Auf
regungen und Störungen, die ihm
durch den fenfationellen Procefk, in den
die Geschwister Spener fo unfeliger
weife hineinverftrickt worden waren,
Ilonnten aber nur dem Nenommee des
Oaufes Monrepos schaden.
Mit dem Kreiöphnsitui, der unge
duldig feinen beiden Begleitern gefolgt
war, und der fich dem Colleaen por
ftellte, hatte er nun eine kurze Unter
haltung über Spener’i Leiden.
Dr. Grimm war aber noch aar nicht
dazu gekommen, über den eigentlichen
Grund feiner Anwesenheit irgend et
was verlauten zu lassen. als man in
der oberen Etage eine Thür aufreifzen
und mit haftigen Schriten Jemand
zur Treppe kommen hörte.
»Was giebM denn fchoa wiedert«
rief Mathieu gediirnpft.
Ei war die Pflegerin. Auf fran
zösifs rtef sie dem Anftattsleiter pu:
« onsieur —- das Zimmer Num
mer elf ist leer —- Monsieur Spe
ner...«
«·,.He, reden Sie — was wollen
Die —«
»Er ist fort!... Das Zimmer ist
leer, has Bett verlassen!«
»Mein Himmel —«aber das ist ja
nnmiiglichl... Spener, der sich nicht
rühren kann?«
»So wahr ich hier ftehr!« sagte dir
Iran stin, die von dem ausgestande
nen Schreck am ganzen Leib zitterte.
fSchlnß splgt.)
CI- Journaltstenseetsh
Aus Paris wird geschrieben: Nen
lich Abean ging ein schlanler, hochge
wachsener herr ans den Boulevards
spazieren, tadellos angezogen, bis aus
eine lleine Absonderlichteit; neben der
Ehrenlegion, deren Rosette in seinem
Knopfloch prangte, trug er nämlich
eine blanke Stahltette um den hals,
an der zwei hölzerne Miniatursiibel
chen befestigt waren. Schon musterten
ihn die Vorübergehean mit miß
ttauischen Blicken, als er turz ent
schlossen aus einen Schutzmann zutrat
und ihm die Frage verlegte-. »Wi) ist
der König von Italien?« Wer in
Paris nach dem König von Italien
sragt, kann nur ein Anarchift oder ein
Tollhiiusler sein, dachte der scharfsin
nige Schuh-nann, und mit anerken
Mnswerther Geistesgegentvart ant
wortete er: nKommen Sie nur mit,
ich werde Ihnen den König zeigen.«
Der Fragesteller ging an der Seite des
Schuhmanns und antwortete in der
unbefangensten Weise auf die Frage,
was er denn eigentlich von dem König
wolle: »Ich wollte ihn bitten, die Hum
berts auszuliesern, die sich in seinem
Lande an einem mir del-unten Ju
fluchtsorte befinden-«
Der Schutzmann durch diese Ant
wort in seiner Annahme es niit ei
nem Uebergeschnappten zu thun zu ha
ben, nur noch bestärkt, führte den
Mann auf das Polizeidepot vor den
wachdadenden Commissär »Wie hei
ßen Sie,« beginnt dieser die Untern
dung. »Napoleon," lautete die zu
versichtliche Antwort. --s »Und Sie
wohnen?' — Auf Sanct hel.«ena —
»Welche Straße und Hausnummer?«
——»Jst n- cht nöthig! Sankt Helena
turzweg genügt. So adressirte Briefes
sind noch immer richtig an mich abge
liefert worden.« —- Auch der Herr
Commissär war nun völlig »in-sue
tliirt«. Er versprach dem Herrn, idn
sofort zum König von Italien führen
zu lassen, und eine halbe Stunde dor
auf befand sich der Eingelieferte in der
»Jnfirmerie du Depot«, der Kranken
stsation der Polizeipröfectur.
Dort kam es nun zum dritten und
letzten Verhör, jedoch nicht vor einem
Polizeibeamten, sondern vor dem An
staltsarzL Und dieser stellte denn
durch einige Kreuz-i und Querfragen
sotvie durch seine überlegene medicini
sche Schulung fest, daß der neue Na
poleon durchaus nicht verrückt, sondern
vielmehr bei sehr gesundenSinnen und
Mitarbeiter eines Pariser Blnties sei,
der sich unter dem Deckmantel gebeu
chelten Wahnsinns in ein Pariser Ir
renhaus einschmuggeln wollte, um sich
von der Behandlung der dortigen
Kranken persönlich zu überzeu n
Das ist ihm nun leider nicht gengolt,
und überdies wird er nächstens noch
wegen Verhöhnung der Behörden vor
Gericht zu erscheinen haben.
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Parlameutottfcher dannen
Das »New WienerJournal" dring:
wieder eine An hl Rede- Entgleisun
gen österreichis r Abgeordnetrr. Als
hssi mal-Is- mZIIgnK su- m-» tin-je
s» F-- ssq ------ - I-·-- ko
deutschen Abgeordneten das Parla
mentghaus am Franzensking verlie
ßen, rief ihnen derReoner nach: »Blei
den Sie hier« meine herren; was ich
zu besprechen habe, geht gerade Sie an,
denn es handelt sich um Dir galirischen
Schtoeine.« —— Jrn schlesischen Latw
tage meinte ein Abgeordneten »Das
Gesetz begünstigt auch hier wird r die
Großgrunobesitzen denn oiese si des,
die von oer Klauenseuche atn meisten
gefährdet sind.« —- Der österreichische
Abgeordnete Schnabel rief die Staats
gewalt zum Schutze ver Schwachen
gegen die arlen mit oer Begründung
a:n »damit sie nicht ausgexressen wer
den wie oie großen Rau sische«. —
Jn "ven österreichischen »Bliittern siir
Stenogeaphie« finden sich folgende
aus neuester Zeit stammende parla
mentarische Revebliithent »Wir schö
pfen neue hossnung siir die bedrängt
Bevölkerung aus dem warmen Munde,
mit oern oer Minister über ihre Lage
gesprochen han« — »Der herr Vor
revner hat sogar in den harmlosen
Tauben, deren Zucht nach meinem An
trage gefördert werden soll, ein Haar
gesun«oen.« —- »Die « iegel- und Pila
1stersteine, die die ttheilnelfkner da
mals gegen vie Fenster gechleuoert
haben, wollen oie herren heute uns in
oie Schuhe schietben.«
die-weh
Dorch de Weilt-en Sie mei Grotten
M to gern irr deli esietd
Wenn de wieder Müt- ek fallen, O
-- Oeern Te » das to meine Feetk
Ste, da dre are ich von n uzcledlinqh
ZWEITEN W «- iww »
n « n sue-e nm un n
hemmt-manc- soret de Brust
Wenn- dami lchttcte to un buntes
sinnst-«- "g« sw- ;
unen u n k«
Us san goldnen Schterunenwcr .
Un ich ruf von euer IW
un von Bestand Witw
TFM sitt- tin-·- MW