Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, November 28, 1902, Sonntags-Blatt, Image 11
Ists-! Wie sich unsere cotte verliebte Von Margarete Stadien Unsere Lotte ist die jüngste von siins Geschwisterm der Liebling aller, das Nesthätchem Aber man ones sich des « halle nicht etwa ein überzarteö, ver wöhntes Fegean vorstellen, ganz im Gegenthei . Sie ist- ein großes, zwar schlantes, aber lriistiget Möbel mit ei nem dicken, braunen Desreggerzopf, großen, schwarzbraunen Augen und ei nem tecken Stumvsnäschen im Weiß und Noth ihres hübschen Gesichts. Sie ist immer lustig und immer aus den Beinen, in aller Morgensriihe mit der Mutter in Küche und Milchteller oder mit dem Vater aus den Feldern oder aus der Jagd. Natürlich beherrscht sie das ganze Haus, seit die beidenSchwe stern an Gutsnachbarn verheirathet sind. Den Vater nennt sie »Ches«, zu seinem größten Gaudium, und die Mutter «Kleinchen«. Und wenn dies beiden Brüder, zwei stattliche Garbe leutnants, zum Besuch kommen, heißt es: »Nun sind unsere drei Jungens wieder mal beisammen.« Denn von klein aus hat sich unsere Lotte mehr zu den Jungen wie zu den Mädchen ge halten. Jhre Puppen saßen nothdiirs tig bekleidet alle mit- und durcheinan der im Pubpenwagen, wobei das »Vabn« gewöhnlich die ,,Braut'«'aus dem Zchooße hielt. Lotte aber tobte mit den beiden Brüdern Fritz und Karl und Dbersörster Hausdorss Gustav im Hofe und Garten umher, und die ganze Teckelsamilie schloß sich mit jauchzen dem Gebell an. Wenn die Lotte las oder lernte, that sie das am liebsten in lustiger Höhe. und man mußte noch Gott danken, wenn sie nicht plötzlich aus den Zweigen der großen Linde vor dem Hang-, wo sie sich gern aushielt, aus die Nase siel. Doch diese .,Sturm- und Brautwe riode« ging glücklich vorüber;Fritz nnd Karl kamen nach Lichterselde in die »Kadeltenfabril«, wie Lotte sagte, und Obeissörsters Gustav wurde nach Ber lin aufs Ghmnasium geschickt. Damals hatte Lotte einen halben Tag bitterlich schluchzend aus derLinde zugebracht, dann war sie wieder die Alte, wenn sie auch erlliirtex »Ohne die Junos ist es bloß ein halbes Leben!« Aber auch das ,,halbe Leben« machte ihr unglaublichen Spaß, da sie die sel tene Gabe besaß, Menschen und Thiere mit warmer Zärtlichkeit zu lieben und allen Situationen die heiterste Seite abzugewinnen. Um so mehr mußte es uns ausfallen» daß ne piotzitaz, ohne besonderen Grund, anfing, stiller und gesetzter zu werden, Das frühere mit schweigen dem, aber leidenschaftlichem Haß be handelte Klavier wurde jetzt plötzlich als ,,Lieblingsmöbel« betrachtet, und ihre hübsche Stimme klang, wenn sie uns Abends all die alten Vollslieder sang, die wir so liebten, ordentlich zu Herzen aebend Diese Veränderung datirte seit Helenes undMartbas, ihrer älteren Schwestern, Toppelliochzeii. Was da eigentlich daran schuld mar, läßt sich schwer sagen. Es war eine vergnügte Hochzeit; ich seh-e noch den siattlichen Brautzug durch den som merlichen Bart zur geschmückten, lleii nen Dorftirche wandern. Voran die beiden strahlenden Vrautpaare, dann unsere schmucken Ousarenleutnants mit ihren Damen, den zwei Oderför sterstöchtern, hieraus Gustav in der tleidsamen Unisdrm des Forstreierersp dars mit der schönen Schwester don helene’s Bräutigam Hans Rudhardt, die noch dazu nicht nur iiber den poetis schen Namen ,,Jnes« versiigte, sondern gleichzeitig die seltene Eigenschaft be saß, wienerisch zu sprechen, was ihr in den Augen unserer Jungen einen gro ßen Reiz verlieh. Den Schluß des Zu Z machte Lotte, ein eben »ausqewach ener« reisender 16jähriger Backsisch, mit Georg Heller, dem Bruder von Martbas Bräutigam. Sie sah aller liebst aus im dustigen, weißen Kleid-— dem ersten wirklich langen! —- und ei nem Kränzchen von Moosrosen im Kraushaar, und ich siir meienn Theil fand sie viel schöner als die vielaeprio sene Jnes. Aber eine Großmutter wie ich ist nicht unparteiisch im Urtheil, und da meine beiden Entelsähne sie für »ein geradezu versiilsrerisches Weib« erklärten, —- diesen weltmännischen Ausdruck waren sie dem Berliner Le ben und ibrer Würde schuldig! ——-- und dersicherten, Gustav sei ebenfalls »di Mt weg«. mußte ich mich bescheiden. Und ali sie sagten: »Ne, Großmutter, sei nicht böse, aber von Frauenreizen verstehst Du nicht die Bohne!« schwieg ich in meines Nichts durchbohrendem Gefühl. Aus die unruhvollen Wochen, welche der Hochzeit vorangingen, folgten um so stillere, und wenn ich auch meine Beobachtungen siir mich behielt, so war ich doch überzeugt, die Lotte »batte irgend -etwas«. Nicht etwa, daß sie sauertöpsilch war, o nein!- Aber sie konnte stundenlang bei einer Näharbeit sitzen, auch waren selten einmal ihre gewohnten Schelmenstreiche zu der zeichnen Und als im Winter die Biille kamen, tanzte sie zwar slvtt, versicherte aber ossen: »Weder ist mirs schon, wenn ich nicht zu geben brauche; et ge stillt mir nichtP Dabei wurde ihre Stimme immer schen und wenn sie Sonntags in der i —.-—l 1 Kirche sang, so lauschte nicht nur der alte Kanten ihr Lehrer, und wir, son dern die ganze Gemeinde mit innigem. Entzücken So vergingen zwei Jahre in den üblichen kleinen Leiden und Freuden des Alltagi, die man auf ei nem großen Gut noch mehr empfindet als in der Stadt. »Tagei Arbeit, Abends Gäste, saure Wochen, frohe Feste« stand nicht umsonst in hinz brandarbeit über der Thür unseres Eßzimmer3. Jm eigentlichen Familienleben hatte sich nichts geändert, außer daß beiRud hardts und Hellers die Babies an langten welche Lotte mit Begeisterung hegen und pflegen hals. Hausdorfö waren unsere böusigen Gäste, und wir waren auch oft in der gemüthlichen Qbersöriterei, wo es, seit Gustav als Assessor dort zeitweise thätig war, noch hübscher war als vorher, wenn auch das junge Voll den alten harmlosen Ton aus der Kinderzeit gar nicht so recht wiederfinden lonnte. Aber noch ein anderer war es, der jetzt unseren Kreis häufig ergänzte, und zwar der neue, junge Pfarrer Na mens Neubert. Es war ein lieber, schlichter Mann, der Sonntaas mit verliärtem Gesicht auf Lottes Gesang lauschte und in der Woche endlose Konserenzen über den Kindergottesdienft, den sie leitete, und die von ihr treulich gepflegten Dorfm men mit ihr führte. Natürlich dachte ich mir mein Theil, aber weder mein Sohn noch die Schwiegertochter glaubten meinenPro phezeiungen Bald aber lam, wie Fritz Reuter sagt, ,,de Sal taum Swur«'. Es war ein schöner Sommerabend, und gerade fing es an, dämmerig zu werden. Jch saß mit meinem Strick-. zeug allein in meinem netten Stäbchen auf dem Fenstertritt, von wo ich meine ganze Welt, in der ich jung gewesen und alt geworden war, überschauen konnte: den Garten, den Gutshof und drüben am Walde ein Stück-then Got tesacker. Da klopfte es, und die Lotte kam herein. ,,Grofzmutter,« fing sie an und sah ganz bekümmert aus, »denl Dir, ist das nicht schrecklich? Pastor Neubert hat um mich angehalten! Und Papa ist so unzufrieden, daß ich nicht »Ja« sagen will.« Jch streichelte ihr beruliigend die hei ssen Wangen. »Und warum willst Du denn nicht« Kind? Hast Du ihn nicht gern?« »Nng gern. Großmutter, das ist es ja eben. Es wird mir furchtbar kx —-— . falls-FI, IYIII IN» all ccsulh uUclp llufllg lieben thue ich ihn nicht« nicht mit der »großen Liebe«, weißt Du. — Und Papa sagt, das schadet nichts.« »Ja, Lotte, das ist eine schlimme Sache. Die große Liebe begegnet nicht jeden-« Und dann ist sie nicht immer gliiellich —- und wenn man feinen Er wählten wirtlich betommi, dann hält sie nicht immer vor im Treiben und Sorgen des stllltags.« »Aber ich möchie wenigstens noch daran glauben können, Großinutter,« sagte sie und sah rtich bittend mit den großen, schioarzbJounen Augen an, »und ich tann mir auch nicht denken, daß sie bei mir nicht vorhielte!« Da war ich nun geschlagen, denn das tonnte ich mir auch nicht denken. lind so sagte ich nur: »Wiißtest Du denn einen andern, Lotte«t« Da sagte sie nichts, sondern wurde dunkelrotd, faßte mich um und gab mir einen langen Kuß. »Er will mich aber nicht haben, Großmuttel,« flii sterte sie ganz leise — dann war sie fort. Der arme Pastor Neubert aber be tam in aller Freundschaft den Absage brief, so schonend wie möglich. Sechs Wochen später stand bei uns wieder einmal das Haus aus demKopL und es waren alle Hände voll zu thun zur Jagd, bei welcher Gelegenheit ge wöhnlich viele Gäste kamen. Mariechen, meine Schwiegertochter, und Lotte be reiteten riesige Schüsseln Weißfauer, die Mamsell arbeitete von früh bis spät mit dem Schweinemetzger. und durch das ganze Haus zog ein töstlicher Duft von frischem Kuchen. Fritz und Karl waren gekommen, und noch viel Besuch wurde erwartet, wofiir es viel Arbeit gadt, so daß man wirklich froh war, Abends bei einem Gläschen Wunsch, den die Leutnants genieinsclmstlich mit ihrem alten Freund Gustav gebraut hatten, behag lich beisammensitzen zu können. Es war ein hübsches Bild, an wel chem ich alte Frau meine Freude hatte. Die Dberförsterin und Mariechen sa ßen aus dem Sopha, nnd Flossie, die Teckelmutter, lag auf ihrem Schoon mit den klugen Auqen sinnend von einem zum andern schauend, so daß sie interessirt dem Gespräch zu folgen schien. Der Oberförster und mein Sohn spielten Schach, unt die jungen Leute »machten Unsinn«, und das helle, fröh liche Gelächter hörte nicht auf. Ueber Allem lag der milde Schein eines gro ßen, zum Kerzentronleuchter umgemo delten hirschgerveihs, der so viel freundlicher ist, als das grelle Gluti licht. Auch meines lieben seligen Man nes großes Oelbild war vIl und warm beleuchtet, und er schien mit theilzunehrnen an unserer Freude. »Na. Kinder, fest laßt mal was Ver ntinftiges hdeent« rief mein Sohn und tlapvte das schachbrett su. «Lottet tOICPsflsss Sm—-CI4Osj-.-o-Sia-ss -«-I-s--«-Oo-s-( Mos m sus L— —o-- -— Singen! Mir it's »»liederlich zu Muthe!« — Es ist eine von Lottes guten Eigen schaften, daß sie sich nicht ziert, und so erklang denn bald eines unserer Lieb lingslieder nach dem andern. »Aber jetzt habe ich eine geoße Bitte,« sagte der Obersörster plötzlich, »die heimliche Liebe, Lottchen!« Und dann fing er selbst mit seinem dröh nenden Basz an: »Kein Feuer, leine Kohle —« Lotte behauptete. die Noten ver-legt zu hasben und das Lied nicht ansetzen dig zu wissen —- aber die Brüder brachten es im Triumph herbei, so daß leine Ausrede galt und die liebe, alte Weise durchs Zimmer zog. Jch weiß nicht, ich verstehe ja nichts davon und will gern glauben, daß Schubert und Schumann und Brahms und wie sie alle heißen, viel schönere Sachen ge schrieben haben. Aber wenn sie jetzt so thun, als hätte man früher noch gar nichts gelonnt, das macht mich ordent lich« böse! Die Klugschwöyer hätten nur einmal die Lotte hören sollen, wie sie die »heimliche Liebe« sang! Als sie geendet hatte, seufzte unser Karl »llaftertief«, um mich seines ei genen Ausdrucks zu bedienen, und wie derholte mit unbeschreiblichem Aus druck: »Ach ja-a-a, von der nie-hi-mand nichts tveiß!« Die Mädchen ticherten, Lotte machte ein unglaublich unsbefangenes Gesicht und Oberförsters Gustav hob mit gro ßer Umständlichleit eine Walnuß auf, die ihm entfallen war. Am anderen Tage erschienen die übrigen Gäste,· und das Mittagessen zog sich bis lang in den Abend. Zu späterStunde wurde plötzlich ein Pack chen fiir Lotte abgegeben, und als sie gar nicht damit erschien, trieb mich die Neugier zu ihr hinein. Sie stand mitten in ihrem kleinen niedlichen Mädchenstübchen, das außer Blumen und Kanarienvogel wenig lieberfliissiges enthält, am Tisch und hielt etwas in der Hand, auf das sie mit verllärtemLiicheln herabblielte und das sich bei näherer Prüfung als — ein Pfefferlnchenherz erwies! — »Großmuttel. Dul« sagte sie leise und dann fiel sie mir plötzlich um den Hals und weinte. Aber ich merkte es wohl, diese Thränen thaten ihr nicht weh. Dann gab sie mir das merkwürdige herz in die Hand. Es war ein recht nescbmncklnskä Dink- nrn d» Ninbrbeik dise Ehre zu geben. Jn weißer Zucker schrist aus rothem Untergrund stand das ganze Lied von der »»heimlichen Liebe« darauf, von »Kein Feuer, keine Kohle« bis ,,wie treu ich es mein« und ,,Gusta«v« stand darunter. Jch schuttelte den Kopf, sagte aber kein Wort, um ihr die Freude nicht zu verderben. Lieber Gott« es ist nun ein mal so! Wenn der Geliebte einen Pe tersilienstrauß sendete, um seine Ge fühle zu erklären, so wiirde auch der freudige Gefühle hervorruer und sehr viel geschmackooller fand ich das Herz auch nicht. — Da aber stiirmte jemand die Treppe heraus. immer zwei Stufen aus einmal nehmend, und na türlich war das der Herr Forstassefsor. In der Hand trug er ebenfalls so ein kleines-, roth und weißes Ungeheuer-, .Lotte« unterzeichnet, so viel ich sehen konnte. ; »Lotte, hast Du mir das Psefferlu thenherz geschickt?« hörte ich ihn noch iagen, dann ging ich eilig zu den andesT sen hinüber, denn ich wußte, die Bei-i Den hatten einander viel zu sagend Bleichzeitg aber kam mir blitzartig die Erlenntniß des näheren Zusammen )anges; ich ging also ins Wohnzimmer rnv ,,taufte« mir mein Enkelsöhnchen Karl. »Es ist schade, mein Junge, daß Du keinen Pfeil und Bogen trägst oder »in Paar Flügel,« sagte ich, so sanft ch konnte. »Wie meinst Du das» Großnrutter?« ragte er und versuchte kindlich-lieblich 1uszufehen. »O, nur so,« versetzte ich, «es würde "o gut zu Dir passen! Denn der an )ere Amor zielt doch nicht auf Pfeffer Iuchenherzen, soviel ich weiss.« »Groszmutter, Du bist ein samoser kerlt« sagte er anerkennend »Daß Du so schnell den giitigen Wohlthäter rlannt hast! Natürlich bin ich es, der pas Herrliche vollendet! Kannst Du Dir denken, daß dieser Mensch, der Bustav, bis über die Ohren in Lotte« perliebt ist und trotzdem warten woll e, bis er selbst genug hätte, um eine frau zu ernähren?! Als Forstassefsort »lber zum Glück bin ich auch noch da,« iigte er voll Stolz hinzu, und reckte eine schlanke Gestalt hoch auf. »Die wei Scheusaler find natürlich von nir, und nun wird die Jagd erstSvaß nachen, weil er uns nicht immer die sesten Prachtstiicke vor der Nase weg chieszen wird; Bräutigams treffen nie twast Aber ich muß gehen und den llten vorbereiten.« Währenddessen kamen sie denn auch n, glückselig und verlegen, die beides !iebenden, um mit der Mutter zusam nen, der sie inzwischen gebeichtet bat es, Papas Erlaubniß einzuholen. Na iirlich wurde der »«dritte Sohn des Hauses« gern empfangen, während Ibersttrsters strahlend die erwünschte Schwiegertochter umarmten. Und dann war der allgemeine Jubel fres, und als wir wieder um den all gemeinen Tisch im Wohnzimmer sa ßen, aus toelchem die große Wunsch botvle dampfte, erhob sich der Kantor und sagte: »Ein volles Glas gebührt diesmal der Frau Musita und ganz besonders ihrem Diener, dessen Namen man nicht mehr weiß, der uns die schöne Weise erfand von der ,,heimli chen Liebe«.« Und unter all den Hochrufen, die nun folgten, merkte es Niemand, daß Gustav und Lotte sich ganz ungenirti einen Kuß gaben. Karl abergasz am Klavier und sang aus voller ehle das alte Schnada hUpflt Was braucht denn ein Jägers Ein Jäger braucht nix Als ein schwarzbraunes Mädel, Einen Hund und ’ne Büchs! Der Alte im Bart. Dieser Tage warenes 50 Jahre, seit der »Alle im Bart«, wie die Ber liner den langbärtigen Turnvater Jahn in seinem vorgerückten MUS alter allgemein zu nennen pflegten, gestorben ist. Sein Lebensbild versetzt uns in Zeiten nationaler Begeisterung, in die Mitte der Befreiungstriege, und bietet uns ein Stück deutscher Kultur geschichte. Die Persönlichkeit des po pulären Turnvaters ist wegen der vie len Wunderlichteiten, die ihm persön lich anhafteten, nicht leicht zu ver stehen, und man kommt nur zu leicht in die Gefahr, diesen trefflichen Mann nicht nach Geblihr zu würdigen. »Der Jahn«, wie er sich rnitsftolzem Selbst bewußtsein zu nennen liebte —- er stellte sich nämlich stets knit derselben Redewendung vor: »Ich bin der Jahn« -— offenbart sich uns als Persönlichkeit in seiner Schrift iiber das deutsche Volksthum s— Jahn ift der Erfinder des Wortes ,,Bolisthum« ——, einer Schrift, die trotz aller darin vorkom menden 'lesonderlichteiten fiir jene Zeit von unfchätzbarem nationalen Werth war. Bliicher nannte es das deutsch-Este Wehrbiichlein. Es war das Hohe Lied von der deutschen Einheit, das damals vielfach als romantifche Schwärmerei belacht wurde. Leider bat Jahn aber durch feine vielen per sönlichen Seltsamteiten und Schrullen der guten Sache, der er fein Leben lang mit glühender Begeifterung diente, unbewußt sehr geschadet, um so mehr, als feine Wunderlichleiten mit der Zeit fo sehr alle-s Maß überstie gen, das; sich selbst wohlmeinende Leute von ihm abwendeten, die fiir seine Turnerei, durch die er in ganz Deutschland besonders aber in Berlin . so berühmt geworden ist, mit allem Eifer eintraten. Kurz, Jahn war persönlich ein wun derlicher Kauz. Sein ganzer Lebens gang von der Kindheit bis in’s Grei senalter ist eine Kette von mitunter recht schnurrigen und abenteuerlichen Episoden. Er stammte aus der Prüg nitz, wo er in dem Dorfe Lanz am ’ 11. August 1778 als Sohn des dorti gen Pastors geboren wurde. Auf dem Ghmnasium zu Salztvedel war er der ,,Störer der Schulordnung« und ging auf den ihm ertheilten Rath ab, um in Berlin seinen ersten Einzug zu halten· Hier trat er in das Gymuasium des grauen Klosters ein, aber auch hier lvar er so unverträglich, daß er plötz lich nach kurzem Aufenthalt ohne jeden Abschied Berlin verließ· Seine Klei dungsstücke ließ er vor dem Kottbuser Thor liegen —- sie werden wohl danach gewesen sein —, man glaubte daher, daß er beim Baden verunglückt sei. Bald darauf bezog er die Universität Halle, um Theologie zu studiren, ließ diese aber bald lints liegen und wid mete sich der deutschen Geschichte uno Sprache. Hier trater gegen die ihm oerhaßten Landsmannschaften auf, er wurde in Verruf gethan und lebte in beständigen Raufereien. Wie ein Wil der hauste er in einer Höhle, in den Felsen, die sich bei Giebichenstein un terhalb Halle hinziehen. Die Höhle heißt noch heute »Jahnshöhle«· Er hat sie sich selbst ausgesprengt, er lebte darin einen ganzen Sommer als Ein siedler und ist nur einmal täglich nach dem gegenüberliegenden Dorf Müll lvitz geschwommen. Auch hattte er dort ein Stück Land gepachtet und baute Kartoffeln, welche den haupt sächlichsten Theil seiner Nahrung bil deten. Später besuchte es oie Univer sitäten Jena und Greisswalo. Jn Greifswalds wurde er relegirt, und alle seine Biographien stimmen darin überein, daß sein Leben das eines wüsten Gesellen und sein Abschied recht unriihmlich war. Nachdem er in Mecklenburg als Hauslehrer gewirkt, wollte er an der Universität Göttin gen Vorlesungen halten, aber es wurde nichts daraus. Als der Krieg von 1806 begann, eilte er zum Heere, das sich in Thüringen zusammenzog. Er machte den Feldzug als »freiwilliger Flüchtling« mit. Nach längerem Wan derleben kam er nach Berlin. Er wurde dann Lehrer am Grauen Klo ster· wo er sich wegen seiner Grobheit mit dem Direltor überwarf, und spä ter bei oer Plamann’schen Erziehungs austalt, deren Schüler später Bismarcl lot-rie. Jetzt begann er die Turnerei zu be gründen. Zunächst gingen nur einige Schüler mit ihm in Feld und Wald, dann immer mehr und mehr, bis sich eine Unzahl Knaben zusammenfanden, so daß im Frühjahr 1811 der erste Jurnplatz in der Hasenbaide eröffnet wurde. Damals kamen durch Jahn die Benennungen »Turnkunst«, ,,turnen«, »Turnplatz« auf. Jahn war aber nicht fein-a der Begrllder des Trinken-, gyinnastische Uebungen wurden schon lange vorher les:i·-ben, und der Kam mergsxrichtsrath nnd berühmte Dichter E. Sr. ti. existiert-» der in dem späte ren Jahn’set:en Prozesse Dezernent war, betonte in seinem Bericht aus drücklich: »Mit ist daran nichts als der Nan:e.«« Dennoch ist und bleibt Jahn der Vater rer Turnkunst, wie er sie gestaitet nat. der er den Namen unt den ihr eigi:n:thiimlichen Charakter gegeben hat. Jn den Familien entstand aber ein großer Larm wegen dieser Neuerung, besonhcrs waren die Mütter aufJahn schlecht zu sprechen. Die Jungen zer rissen nämlich bcim Turnen jedesmal die Hosen, so daß die Mütter schließ lich rebellisch wurden. a tamJahn auf einen praltischen Ge anken. Die Knaben trugen enge, tuchene Beinklei der, die stets an Knie plagten. Das war unpraltisch. die Kleidung mußte geändert werden. und nun erfand Jahn die Turnertracht von grauer Leinwand. Das wirtte erst recht wie eine Bombe. Die neue Turnertleidung erregte allgemein unwilliges Kopf schiitteln. Erst später ließ Jsahn sich den Vollbart stehen, den er zu einer unbändigen Länge und Breite wachsen ließ. Das war auch eine unerhörte Neuerung, die ihm so sehr oerdacht wurde, daß er in seinem späteren Prozeß zu seiner Vertheidigung er klärte, daß er den Bart auf ärztlichen Rath als Vorbeugungsmittel gegen eine Drüsentrantheit habe wachsen lasset-. Die neue Kleidung der Tur ner wirtte aber auch sonst reforrnato rifrh. Bis dahin hatte sich unter den Schäfer-n ein Kastengeist und Rang untersthied geltend gemacht, der nun mit der gleichen Kleidung mit einem Schlage nustzörtr. Auch war es von hohem Werth, daß Jahn, der ein so wiistes Vorleben zurückgelegt hatte, nun tei den Turnern auf strengste Zucht und Sitte hielt. Unerbittlich schloß er solche Schüler aus, die in ihren Sitten verdorben waren. Alles Naschwert war verboten. Fiir den Hungrigen stand Brod und Salz in der Nähe, für den Durstigen ein Krug Wasser. Tobak und Branntwein war in Acht und Bann gethan. Das Turnen fand bald trotz aller Bedenken allgemeinen Beifall, wozu die Oeffentlichkeit der Uebungen viel beitrug. Viele Hunderte von Zu schauern jeglichen Standes umgaben stets den Turnplatz. Auch Bliicher beehrte den Turnplatz öfter mit seinem Besuch und pflegte an die Turner An sprachen zu halten, die aber den ran zosenhasser Jahn nicht sehr entz« ckten, weil der alte Haudegen die Turner »Messieurs« anredete. Jahn hatte es Us- -’-:..-.s;.1. --c«... ib- .:(..2.-:-c...·-. »u, usw«-, usw-u »Hu »Ist-konsultiere zur Hauptaufgabe gestellt, in seinen Schülern den Haß gegen die Franzo sen zu erwecken und ihre Begeisterung fiir die Befreiung Deutschlands von fremdem Joch zu entfachen. Jrn Jahre 1810 griindete er eine Verbindung, die in späteren Jahren in sein Leben tief einschneiden sollte. An einem Novemberabend kam in dem »Dufteren Keller« in der Nähe des Kreuzbergs unter Jahns Leitung ein Kreis von Männern zufammen, weihte sich hier der Befreiung Des Va terlandes vom französischen Joch und krriindete dazu den »Deutschen Bund«. Bald darauf gab Jahn die erste An regung zur Gründung der Deutschen Vurschenschaft und gehörte auch zu den Mitbegriindern des Lützow’fchen Frei torp8. Die Erziehung der Jugend verlor er aber dabei nicht aus den Augen. Als er eines Tages am Brandenburger Thor voriiberging — Napoleon hatte bekanntlich die «an dem Thore befindliche Viktoria nach Paris entführt — fragte er einen Knaben, wo die Viktoria wäre, und was er sich dabei dächte. Der Junge antwortete: »Die Viktoria haben die Franzosen nach Paris genommen, und ich denke mir nichts da'bei.« Schwapp, bekam der Junge eine kräf tige Ohrfeige. »Nun denkst Du ein ander Mal dabei,« herrschte er den Jungen an, »daß Du helfen mußt, daß sie von Paris zurücktomme und wieder aufs Brandenburger Thor.« Diese Episode sprach sich sofort in der ganzen Stadt herum, und die Ber liner erklärten Jahn fiir verrückt. Jm Liitzower Freikorps komman dirte er als Hauptmann das dritte Bataillon. Da hat er sich aber recht seltsam benommen. So berichtete Fröbelx ,,Jahn lebt in seiner Konto nirung wie ein kleiner Satrap oder asiatischer Despot, er fährt immer mit vier Pferden, einen Ulanen vor, einen hinten, zwei neben dem Wagen.« Das spielte während des Waffenstillstandes im Juli 1813, wo er im Schlosse zu Schönhausen, dem Geburtsort Bis marcts, kantonirte. Hier wollte er auch zwei Marketenderinnen, die er als Versiihrerinnen seiner Leute ansah, Gassen laufen lassen. Bismarrls Mutter bat mit liebenswiirdiger Be revtsarnkeit um Zurücknahme der Maßregel, Jahn blieb aber unerbitt lich. Bald darauf nahm er feinen Ab schied, den er damit begründete, daß unter den höheren Offizieren viele seien, die ihn nicht zu begreifen wüß ten. Trotz all dieser Wunderlichkeiten wußte man Jahns Verdienste zu schätzen, ja er wurde im Jahre 1817 sogar hoch gefeiert durch die Verleih ung der philosophischen Doktorwiirde, die ihm die Universitäten zu Jena und Kiel zu theil werden lief-Jen. und auch der russische Kaiser zeichnete ihn durch den Wl-adimir-Orden aus. j-— Später erhielt er nachträglich auch das Eiserne Kreuz. Vorher hatte er aber viel Ungemach zu ertragen. Dem Tur nen erstanden mächtige Feinde, die Turnplätze wurden gesperrt und Ahn als »geheimer, hochverrätherischer r bindungen verdächtig« verhaftet und auf die Festung sSpandau gebracht. Jnsbesondere wurde ihm die Grün dung des ,,-Deutschen Bundes« zum Vorwurf gemacht, den man fiir ein hochverrätherisches geheimes Bündnis hielt. Nachdem der Prozeß Jahre lang geschwebt-hatte. wurde Jahn end lich am 15. März 1825 freigesprochen. Eine volle Freiheit wurde ihm aber nicht gewährt. Es wurde ihm die Be dingung auferlegt, dasz ihm der Auf enthalt weder in Berlin und einem Umkreise von zehn Meilen, noch in einer Universitäts- oder Ghmnasial Stadt erlaubt werde, und daß er da, wo er seinen Wohnsitz kiinftig wähle, unter polizeilicher Aufsicht verbleibe. Eine Pension von tausend Thalern wurde ihm belassen. Jsahn wählte nun die Stadt Freiburg an der Un strut zu seinem Aufenthalt, mußte aber später, da er dennoch Verbindun gen mit Gymnasiasten der Nachbar städte unterhalten hatte, nach dem Städtchen Kölleda übersiedeln, swo er sieben Jahre lebte. Bei der Thron besteigung Friedrich Wilhelms des Vierten wurde endlich die über ihn verhängte polizeiliche Einschränkung aufgehoben, und in demselben Jahre erhielt er erst das Eiserne Kreuz· Jahn zog nun wieder nach Freiburg, wo er am 15. Oktober 1852 nach lut zem Krankenlager starb. Jm Jahre 1872 wurde in der Hasenhaide das prächtige Denkmal enthüllt. Die Stadt Berlin aber hat ihn dadurch noch besonders geehrt, daß sie in den Reliefdarstellungen an dem Monu mentalbau des Rathhauses Jahnö - iraftvolle Erscheinung den Gestalten eines Scharnhorst, Gneifenau, Arndt, seichte und Schleiermsacher zugefellen iesz. -.—· Der wahre Erfinder der Steinfels leugnet-Beleuchtung. Allgemein wird angenommen, daß der Schotte William Mutdoch Erfin der der Gasbeleuchtung sei und diese zu Redroth in Corn;vall., wo er wohn te, zuerst im Jahre 1792 ausgeführt habe. So meldet auch ein Geden! e n, i der später an dem Hause, wo er feine erste Gasflamme enzündete, anz bracht worden ist. Jn Wa rheit a c gebührt der Ruhm, dieGas leuchtung erfunden zu haben, dem niederländi schen Chemiker Jan Pieter Mincke las-, der am 2. Dezember 1748 zu Mastricht geboren wurde. Im Jahre 17538s hatte Professor Charles eine kk P IL g — . 12«L »Hu-aus« ru« Unisvxsrussgup gksusu und zum Steiegn gebracht, und dies bewog den Herzog von Arenberg, eine Kommission zusammenzubringen, welche sich mit dem Studium der für Füllung von Luftballons geeigneten Luftarten beschäftigen sollte. Diese Kommission bestand aus drei Profes soren der Löwener Universität, unter denen sich Minckelers befand. Dieser entdeckte, daß aus der Steinkohle eine entzündbare Luftart gewonnen wer den könne, welche durch ihre Leichtig leit einen Ballon zum Steigen bringe. Versuche hiermit wurden zur vollsten Befriedigung im Schloßwerk des Her zogs von Arenberg ausgeführt. Aber auch die Brennbarteit dieses Steintoh lengafes oerswerthete Minckelers, in osem er 1785 seinen Hörsaal mit dem Gase beleuchtete An dieser That sache ist gar nicht zu zweifeln, da sie oon Schülern Des Löwener Professors bezeugt ist, auch hat dieser in feiner 1784 erschienenen Schrift über die brennbare Luft die Thatsache aus drücklich betont und sogar die Reini gung des Gases durch Kalt mitge theilt. Um so merk-würdiger ist es, daß die gerechten Ansprüche dieses Naturforscher-Z an eine der wichtigsten Erfindungen der Neuzeit so gänzlich unbeachtet bleiben konnten, wie es der Fall ist. Erst in den letzten Jahren hat P. Bobsius in Hetogenbusch nach driicklich auf die Verdienste seines Landsmannes Minckelers hingewiesen, und kürzlich ist in Mastricht auf An regung des Bürgermeister-Z ein Comite zusammengetreten, um an dem Ge burtshause des wahren Erfinders der Steinkohlengiastbeleuchtung eine Ge denktafel anzubringen. —--.---—-— Der richtige Berliner-. Der Feldivebel instruirt in Gegen wart des Oberleritnants. Feldwebel: ,,Fiisilker Plempie, Sie sind ja total zerstreut, Ihre Antworten sind ja janz abrupt!« · Leutnant: »Wenn Sie mit Leuten Berlinisch sprechen, so reden Sie we nigstens korrekt; es heißt nicht »ab rupt«, es heißt »abjeruppt!« Bedentlich. Frau (Morgens): »Um zwölf Uhr Fillst Du diese Nacht nach Haufe ge ommen sein?!. . . Das glaube ich nicht!« Mann: »Eriundsige Dich nur . . . das muß die ganze Nachbarschaft ge hört haben!« «- Dcr alte Bekannte. Gast: ,,Hören Se eniol, Wirth, das junge Hähnle, das ich mer das b’ftellt hab, ischt e guter alter Be tannter von mir.« - Wirth: »Wiefo denn?« Gast: »Ja, wisset Se, schon im vorigen Jahr hab’ ich sein Entele bei Jhne gesse."