Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, November 21, 1902, Sonntags-Blatt, Image 11

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    Ins dem Englischen des NichardStill
man Powell von Maximis
t i a n K. R o he.
Un jenem Maiabenv, als der Zug
wie gewöhnlich ein-en kurzen hatt
machte, der den Fahrgästen gestatten
sollte, einen kleinen Abendimbiß zu sich
zu nehmen, enthielt er drei der übel
elaunteften, gelangweiltesten und ver
gertsten Passagiere, die wohl jetin
Schlafwagen aus der Strecke Grand
JunctionWenver mit sich führte.
Während voller sechs Stunden waren
wir mit der Geschwindigkeit einer
Schnecke in entsetzlich hiigeligern Ter-,
tatn bergauf und sab geklettert, und
diese Art der Jortbewegung hatte uns
nachgerade in cinde Raserei versehn
Unser aanzers orrath an Anetdoten
war schon erschöpft, die Zeitungen vom
Anfang bis zum Ende vurchgelefen;
wir hatten schon Cigarren ausge
tauscht, turzuni, Alles war geschehen,
was geschehen konnte, um die Lang
weile todtzuschlagen. nur Whist hatten
wir noch nicht gespielt. Zwar war ein
Spielchen zu Dreien von uns versucht
worden, aber so ging es nicht, um alle
Weit nicht« und der Schafsner, den wir
als vierten Mann beizuziehen versuch
ten, wie's unser Anstnnen turzerhand
mit dem Bernerten ab, daß er das
Kartenspiel zu erlernen in seinem Le
ben leider nie Gelegenheit gehabt habe
Gift und Galle sammette sich ob un
seres Mißgeschick-z in unseren Herzen
an, und melancholisch starrten wir
bald in die Lichter des Wagens, bald
auch durch die Fenster hinaus in die
dämmernde Landschaft. Bei jedem
Halt schauten wir erwartungsvoll nach
den Thüren des Waagons —- viel
leicht würden neue Fabraäste ankam-:
men. Aber es schien, als ob svir allein
bleiben sollten, allein die ganze end
lose Strecke
Wer beschreibt aber unser Entzücken,
als wir in Hiab Hat nach der Ein
nahme eines miserablen ?lbendeffens,
in den Wagen zurücttehrend aus
einein der Polster einen Koffer mit
darüberaseleatsem Uebcrzieher vorfan
den. Wir hatten taum Zeit, uns ein
--..—-..-..-.- »W
ander zu diesem freudigen Glück zu
begliickwiinschen, als auch schon der
Besitzer der Gegenstände in der Thiir
ersichen. Bei seinem Anblick schwan; i
den allerdings unsere Hoffnungen wie- ;
der dahin. Der Mann hatte sicher in
seinem Leben noch teine Karte in der
Hand gehabt. Das war ver echte Pra
dinzler, groß, breitschulterig, mit wet
t----t--2.»J--s Ehe-»Ist- ans-Es soan
fchlecht gekleidet, aber mit langen wir
ren haarem
Der Neuangelornmene grüßte uns
flüchtig und machte sichs in einer Ecke
bequem. Ein Blick der Enttäufchung
streifte, von dem reichen Mühlenbesitzer
aus St. Paul ausgehend, den Hut
händler aus Philadelphia, und dieser
wiederum blickte allen Troste-s bar zu
mir herüber.
Lange Zeit herrschte Schweigen,
dann aber unterbrach der Mühlen
besiher plötzlich die Stille.
»Wie ich hörte, hat man letzte Woche
in Kansas wieder einmal einen Zug
überfallen. Diesem Unfug dürfte doch
endlich einmal ein Ende bereitet wer
den, es ift höchste Zeit. Hier in dieser
Gegend foll neulich auch ein ballt-eleg
ter Zug ausgeraubt worden fein, den
len Sie doch — ein vollbesetzter Zug!
und meinen Sie, auch nur die geringste
Spur hätte man von den Räubern
ausfindig machen tönnen? Nicht ein
einziger derPasfagiere hatt-. den Muth,
auch nur einen Schuß auf die Ban
diten abzugeben«
Der Neuangelomrnene nahm feine
Cigarre aus dem Mund.
»Ich den-le balt," mischte er sich ein,
»es wird im Zuge Niemand gewesen
fein, der eine Waffe bei sich führte.«
»J Gott bewahre. Jch wollte wet
ten, daß mehr als die Hälfte der Pas
fagiere mit Nevalvern versehen war.«
«Jtch mächte die Wette halten,« er
widerte der Fremde, »wenn nur irgend
welche Möglichkeit vorhanden wäre, die
Sache zu pritfen. Nehmen Sie doch
’mal an. Wie wir hier beieinander
sihem ich darf sicher annehmen, alle
mitgereifte Mute, glauben Sie, daß
Eintesr von uns eine Schußivaffe bei sich
a «
Der Mann von high Hat blickte uns
fragend an.
Ich fchiittelte mein haupt, ebenso
der Mühlenbesiher und desgleichen der
Hutbändler.
»Na alfo, sehen Sie,« fuhr der
Andere fort, »so wie es uns geht, fo
geht es Allen —- Alten«
Er fehle feine Cigarre wieder in
Brand.
Dann traf fein Blick unseren imvro
visirten Kartentifch einen aufgeftellten
Koffer.
« »Wie ich sehe-. haben die Herren ge
spielt?«
»Ja, wir machten den fchüchternen
Versuch, eine Partie zu entrcren,« gab
ich zur Antwort.
»Und haben Sie keine Luft, weiter
zufpielen?«
Der Mühlenbesiher und der Dut
hiindler fuhren hinter den zZeitungen
hervor, hinter die sie sich na unserem
kurzen Discours neuerdings vergra
ben hatten
,,herr, spielen Sie Karten und
welche Spiele können Stei«
»Well, Sieben hoch, Kasinm Tem
pel, Bank, Dorn Mora, Poler.«
Der Mühlenbefihee verfchwandtvies
der hinter feinem Blatt mit einem
IIqu des Abfcheui im Gesichte.
.Sa en Sie, können Sie Whtsi
spielen «
«Whist —- o ’a! Das heißt, ich habe
es wenigstens iriiher ab und zu ge
spielt.«
««Nun. dann könnten wir ja ein
Sprelchen vrobiren.«
Der Müh-lenbesitzer warf erregt seine
Zeitung von sich.
·Wenige Minuten später waren schon
die Karten gegeben.
Der Mann von High Hat und der
Mühlenbesißer waren Partner. Aus
des Letzteren Gesicht konnte ich ersehen,
daß er sich nicht- allzu viel von seinem
Mitspieler versprach. Doch bald sollten
wir Alle auf das Angenehmste ent
tiiuscht werden. Schon am Ende des
dritten Spieles wußten wir, daß wir
in dein Neuangekommenen einen Spie
ler vor uns hatten, dem Keiner von
uns auch nur im Entferntesten das
Wasser reichen konnte.
Bald darauf ertönte der langgezo
aene Pfisf der Lokomotive, und der
Huthändler wollte wissen, welcher
Station wir uns näherten.
,,Colfa,«t klärte ihn der Mann von
High Hat Hauf, »der Zug hält hier
fünf Minuten, um Wasser einzu
nehmen.«
Wir waren gerade daran, ein Spiel
zu beenden, und als die letzte Karte
auflag, stand die Partie vier zu vier.
»Nun, meine Herren,« sagte der
Fremde, »das entscheidet’s ja, Und
wenn Niemand von Jhnen etwas ein
zuwenden hat, möchte ich die Wagaon
thiire etwas öffnen, um frische Luft
einzulassen.«
. Er stand auf, ging nach rückwärts
und wir sahen ihn die bintere Thüre
öffnen. Als er zurückkam, warf er
seine Ciaarre von sich und hob siir den
Huthändler ab«
Die Karten wurden von Neuem ge
geben. Dann fühlten wir, wie der
Zug sein Tempo verlangsamte, um m
die Station einzusahren. Wir hörten
die Schritte des Schassners, der die
Plattsorm verließ, um abzuspringen.
Jch hob soeben, sehr befriedigt, vier
hohe Trümpfe aus« Der Mühlenbe
sitzer kam zum Aug-spielen- Nachdem
ich meine Karten zusammengestecit
hatte, schaute ich zu ihm hinüber, um
ihn zu verständian, daß er beginnen
könne. Dieser aber starrte unbeweg
lichen Auan und mit zusammenge
lnifienen Livven zu dein Manne von
High Hat hinüber. Der Huthänoler
war noch mit seinen Karten beschaf
tiqt. Ich wandte mich um und folgte
des Mühlenbesitzers Blick.
Was ich sah, ließ mir das Blut er
starren.
Der Mann aus High Hat sasz weit
rnriirhelebnt auf feinem Sitte Und
hieli die Mündungen zweier Revoloer
auf uns gerichtet· Den Hut hatte er
: tief im Genick sitzen, so daß er einen
wilden, verwegenen Eindruck machte.
Der Outbänvler ließ seine Karten sin
ken, auch er hatte die Situation erfaßt.
an der Ferne vernahm manStimmen
gewirr und das »Puff Pusf« der ra
stenden Lotomotive.
Der Huthändler machte eine nervöse
Bewegung und sofort richtete sich einer
der Revolver auf ihn
Das brach die unheimliche Stille.
»Meine Herren," begann der Mann
von Higii Hat, »wie fEie sehen, befin
den Sie sich in einer üiercus peinlichen
Lage, aber ein gut Theil des Unange
nehmen wird sofort schwinden, wenn
Zie sich willig und geborsam meinen
Befehlen fügen. Der Herr zu meiner
Linien wird die Güte haben, den Jn
halt seiner Taschen hier auf den Tisch
zu legen, fein Nachbar wird ersucht,
oies ebenfalls zu thun, und ebenso
wird der here mir zur Rechten han
deln. Alle zu gleicher Zeit!——Bitte!«
Dieses »Bitte« war nicht mißzuver
stehen und veranlaßte uns momentan,
unsere Hände in unsere Taschen zu
versenken. Als des Fremden Befehle
ausgeführt waren, lagen auf«dem Kof
fer vor uns drei Bieftaschen, ein Hau
fen Kleingeld, drei goldene Uhren nnd
zwei silberne Zündhvlzschachteln.
Weitere Befehle fügten der Kollet
tion noch zwei große wundervolle Dia
mant-Brusttnöpfe aus des Mühlen
besißers Hemd zu, während der Hut
händler und ich noch drei Ringe und
eine Diamant-Busennadel beizusteuern
hatten.
»Meine Herren, sollten sich irgend
welche Papiere persönlichen Werthes
in Ihren Brieftaschen befinden, so
bitte ich Sie, sich dieselben anzueig
nen·«
,,Ftönnte ich vielleicht etwa fünfzig
von den blauen Scheinen in meiner
Tasche, die für mich von großem per
sönlichen Werth sind, zuriickerhalten?«
sagte der Huthändler in einem Anflug
von Galgenhumor.
»Bedaure, nein,« war die höfliche
Antwort, »und nun, nseine herren,
bitte, verhalten Sie sich vollständig
ruhig.«
Der Mann aus High Hat legte einen
der Revolver auf sein Knie und be
nüßte die freigewordene Hand dazu,
seine Taschen mit unseren Sachen zu
füllen. Dabei blieb sein Blick starr
auf uns gerichtet.
Er ntochte mir wohl am Gesichte ab
sehen, daß mir plötzlich der Gedante
an den elektrischen Klingeltnopf, der
sich neben meinem Ellenbogen befand,
durch den Kopf fuhr. Sofort richtete
sich seine Waffe gegen meine Brust.
»Es ist völlig nutzlos, meinBerrI
wendete er sich an mich. »Kein ensch
befindet sich im Waggon außer uns.
Und nun, meine Herren, nehmen Sie
noch mein Bedauern entgegen über die
unangenehnie Lage, in welche Sie zu
versehen ich leider gezwungen war; ich
’ danke Ihnen vielmals für Ihre über
aus liebenswürdige Unterhaltung und
tfiir hre noch liebenswürdigeren Ge
schen e. Einen Moment bitte ich Sie,
sich noch zu gedulden.«
« »Der Ton der Zugpseise unterbrach
seine Worte und der Train setzte sich
langam in Bewegung.
« ehalten Sie Ihre Sitze, meine
Herren, oder ich will nicht für die
Folgen verantwortlich sein«
Der Mann von High Hat näherte
sich rückwärts gehend der rückwärtigen
Thüre des Wagens, ließ den einen der
Revolver in seine Tasche gleiten, setzte
den Hut zurecht, knüpfte den Rock zu
und wartete an der Thüre, uns scharf
im Auge behaltend. Der Zug tam
mehr und mehr in Lauf, schon hörten
wir den Schasfner auffpringen und
im nächsten Moment mußte er eintre
ten -—— da öffnete der Räuber die Thür,
wünschte uns nochmals höflichst gute
Nacht und draußen war er.
Jn eben diesem Moment trat der
Schaffner ein und ich drückte aus den
Knopf.
«- sss si
1 Als der Zug sich wiederum in Be
wegung setzte, nachdem wir 10 Minu
ten lang fruchtlos uns abgemüht hat
ten, dein Räuber auf die Spur zu som
men, begannen wir die von ihm zurück
gelassenen Gegenstände einer Muste
rung zu unterziehen, den Handioffer
und den Ueberziehen Jn ersterem be
fand sich weiter nichts als ein großes
Stück rothen Sanbsteines, und der
Kaufpreis des lleberziehers mochte
etwa drei Dollars betragen. Unsere
Untersuchung ward durch die Ankunft
des Portiers unterbrochen
»Haben die Herren vielleicht den
Herrn mit den arofzen Diamant
Brustlnövfen bemerkt?«
Jch sah mich um; erst jetzt entdeckte
ich, daß der Mühlenbesitzer verschwun
den war.
Am Boden lag ein aus einem No
tizbuch beransgerissenses Stück Papier,
auf das mit Bleistift in Eile die
Worte geiritzelt waren: »Der Mühlen
besitzer empfiehlt sich mit dem Genue
rnan ans High Hat.« «
»Bei Gott, va sind wir also zwei
Spitzbuben in die Hände aefallenss
»Well,« sagte der Huthändler, »ich
bin nicht —,« aber der Rest seiner
Worte verlor sich im Geräusch des da
hinrollenden Zuges.
-« ----· --————
Romeo.
Unverfängliche Baliongefchichte von
Reinhoid Ortmann.
Er hieß nicht Romeo, sondern
Max. Und er war nicht dem stolzen
Geschlecht der Montecchi entsprossen
sondern der unberühmten Sippe der
Gendelmeher, deren Familiengeschichts
sich schon mit Maxen’g Großvater in
undurchdringliches Dunkel verlor
Auch pflegte er nicht im geschlitzten
Wamms und mit tritotartigen Un
aussprechlichen einher zu gehen, son
dern im schlichten schwarzen Gewande«
das sogar hier und da an den Nähten
schon einig-e bedenklich glänzende Stel
len aufzutveisen hatte. Jm Uebrigen
fah er dem Bilde garnicht so uniihn
lich, das sich schwärmerische Backfische
von dem ritterlichen jungen Montecchi
entwerfen mgen. Denn er war gross
und schlank, hatte ausdruclsvolle
dunlle Augen, ein winziges seidenwei
ches Schnurrbärtchen und einen an
Länge und Fülle weit über das Maaß
des Alltäglichen hinausreichenden
Haarschmuch um den ihn Veronas
goldene Augen aus den Zeichen des
Prinzen Escalus gar wohl hätten be
neiden dürfen. Daß er ein Künstler
war, bedarf nach dieser Personalbe
schreibung laum noch der Erwähnung
Er konnte sich mit Recht so nennen«
denn er hatte die Reifepriifung an der
Königlichen Hochschule für Musik mit
Auszeichnung bestanden.
Er hatte auch Schülerinnen, und
zwar beneidenswerther Weise solche,
die regelmäßig zahlten, so daß die Ge
nugthuung nicht ganz unberechtigt
war, mit der er im Freundeskreise von
seiner »gesicherten Existenz« zu spre
chen liebte. Den Umständen nach hätte
er also mit dem Dasein im Allgemei
nen wie im Besonderen recht wohl zu
frieden sein können, wenn nicht der
dicke Rentier Paul Haberlorn bestän
dig wie eine schwarze Wetterwolle
über diesem friedlichen Künstlerleben
geschwebt hätte.
Die Feindschaft der Eapuletti gegen
die Montecchi war nämlich nur ein
Kinderspiel im Vergleich zu dem
Groll, mit welchem Paul Haberlorn
den unglücklichen Meister verfolgte.
Er hatte einige Ursache dazu, das läßt
sich nicht leugnen. Denn sein Verhäng
nifz hatte ihn vor einem Vierteljahr
die Wohnung beziehen lassen, deren
Borderzimmer unter dem bescheidenen
Heim des lotbeergelrönten Pianisten
lagen.
Mit einem geharnifchten Protest
briese gegen das »unertriigliche Ge
tlimper« hatte die Fehde begonnen«
um sie allgemach bis zu stürmischem
Gegen-die-Decle-Klopfen und bis zur
Anschaffung eines grauenhasten au
tomatisch-en Musikinstrumentes zu ver
frhiirfen, das die entsetzliche Fähigkeit
besaß, eine droben gefpielte Beetho
den sche Sonate fünfzigmal hinterein
ander durch die in Töne gesehte An
lündigung zu unterbrechen:
»Im Grunewald, im Grunewald
ist holzaultion!«
Es wäre ein aufreibender Zustand
Irr-sen auch ohne die dramatische
erwicklung, die ein grausamer Zu
fall in dem nämlichen Augenblick ge
schaffen, wo Max Gendelmeher und
Fräulein Emmy Haberkorn einander
zum erften Mal von Angesicht zu An
gesicht gesehen. Der reizenden Blon
dine mit den Veilchenaugen, den schel
mifchen Wangengrübchen und der
rundlichen Taille war es beschieden,
die Rolle der Julia in dieser Fehde
des Philisterthums gegen die Genia
lität zu spielen.
Doch Max Gendelmeher hatte viele
Stunden zu geben, und Fräulein Em
rnh stand unter ziemlich strenger Auf
sicht. Der holde Liebesfriihling der
Beiden würde also nur recht spärliche
Blüthen getrieben haben, wenn ihnen
nicht ein glückliches Ungefähr die
Möglichkeit gewährt hätte, gewisser
maßen unter den Augen des haßer
füllten Capuletti Haberkorni ganz un
auffällig mit einander zu verkehren.
Dies Ungefähr war der Balken
der im zweiten Stockwerk gelegenen
Habertorn’fchen Wohnung, ein schö
ner, großer, offener Ballen, der mit
seinem reichen Blumenschmuck fast ei
nem seh-wehenden Garten glich. Auf
keinem anderen Balton in der Nach
barfchaft wurden die Blumen so sorg
lich gehegt und gepflegt wie hier. Es
war etwas geradezu Rührendes in
dem liebevollen Eifer, mit welchem
Fräulein Emmy ihre duftenden
Schützlinge begoß und beschnitt, auf
band und stützte. Und da das Haus
glücklicherweise kein Gegenüber hatte,
nahm kein sterblich-es Auge wahr, daß
beinahe immer gleichzeitig mit ihr an
dem darüber gelegenen Fenster im
dritten Stock Herr Max Gendelmeyer
erschien, einen leuchtenden Ab lanz be
glückt-er Liebe auf dem edlen künstler
antlitz. Auch den dünnen Bindfaden,
an dessen Ende etwas viereckiges Wei
ßs herab- und hinaufschtvebte, fah
Niemand außer den Beiden, die es
anging.
Aber man spielt nicht auf die Dauer
ungestraft mit der Gefahr, und ein ge
ringfügiger Zufall wandelt oft das
lieblichste dell in ein düsteres Natur
spiel.
An einem litt-den Herbstabend war
es, um die Zeit, da die Nachtigallen
sich eben reisefertig machen. Die
Dämmerung brach eben erst herein,
aber hinter den Fenstern der Haber
lorn’fchen Wohnung brannten trotz
dem schon die Gasglühlichtsflammem
woraus auf irgend einen festlichen
Anlaß zu schließen war. Es- war die
Stunde da Fräulein Gmmn rum
dritten Mal aus dem Ballon zu er
scheinen pflegte, und mit jener Pünkt
lichleit, die eines der Kennzeichen wah
rer Liebe ist, hatte sich Max Gean
nieher oben an seinem Fenster einge
funden. Eilig tanzte die Schnur mit
dem weißen Briefchen aus der Höhe
des dritten Stockwerks herab, und
Max Gendelmeyer sah, wie Emmys
schlanke Finger den Liebesgruß von
dem kleinen Haken lösten. Aber er
sah auch, daß heute nicht alles war wie
sonst, den-n das blonde Köpfchen da
unten wandte sich nicht zu ihm empor«
sondern es blieb tief gesenkt. Und
auch, als see ihre Antwort an dem Ha
ten befestigt hatte, wartet-e er verge
bens auf den raschen zärtlichen Blick,
der ihm sonst das Signal zum Hier
aufziehen gegeben.
Banger Ahnungen voll mtsaltete er
das Blättchen, und es kostete ihn ei
nige Mühe, bei dem unsicheren Lichte
die offenbar in großer Hast geschrie
benen Zeilen zu entziffern. Aber das
Auge der Liebe ist scharf, und er las:
»Ich bin sehr unglücklich. Der
schreckliche Herr Lehmpfuhl ist heute
bei uns zum Skat, und mein Papa
hat mir auf sehr durchsichtige Weise
zu verstehen gegeben, daß dies Scheu
sal die Absicht hat, um mich anzuhal
ten. Wenn ich Nein sage, wird es ge
wiß eine gräßliche Scene geben. Jch
möchte am liebsten sterben.
Deine arme Emrnh.«
War es ein Wunder, wenn dieser
geschriebene Verzsweislungsschrei dem
Pianisten wie ein Messerstich durch die
Seele fuhr? Er wußte, dasz Herr
Lehmpfuhl ein wohlhabender Mann
und der Inhaber eines blühenden But
tergeschästes im Groß-en war. Was
hatte er nach der Meinung des Herrn
Haberkorn solchen Vorzügen gegen
über in die Wagschale zu werfen?
Drinnen im Wohnzimmer kreischte
der Musikautomat zur Belustigung
des Herrn Lehmpfuhl eben in den
schrillften Tönen sein lieblich-es: »Im
Grunewald, im Grunewald ist Holz
auttion!«· als ein herzzerschneidender
Aufschrei die drei Skatgenossen in jä
hem Schrecken auffahren mchte.
Ohne den Grand mit Dreien, den
er eben angefagt hatte, aus der Hand
zu legen, rannte Capuletti Haberlorn
den anderen voran aus dem Balton
hinaus, um mit weit offenem Munde
in Staunen zu erstarren beim Anblick
des Schauspiels, das sich seinen Bli
cken bot·
Malerisch hingestreckt auf der Ko
tosmatte, die den Fußboden deckte,
lag da die schlanle Gestalt des Romeo
aus dem dritten Stock. Sein-e Augen
waren geschlossen und sein Gesicht be
deckte eine bedenslliche Blässe. Aus ei
ner Wunde seiner edlen Stirn aber
rieselte in spärlichen Tropfen das
Blut.
Und neben ihm auf dem Boden
kniete Fräuleins Emmh, in ihrem hel
len Gewande einem lichten Engel der
Barmherzigkeit gleichend. Mit ihrem
Iaschentiichlein, das feucht war von
den vorher dergossenerz Thriinen, be
tupfte sie die Wunde des Geliebten,
unsd verzweiflungsvoll klang es von
ihren Lippen:
»Er ist todt —- er ist todt -- um
meinetwillen ist er gestorben.«
Der erste unter den Zuschauer-m der
die Sprache wiedergewann, war Herr
August LehmpfuhL Und sein Herz
schien bei Weitem nicht so weich zu
sein wie seine Butter, da er mit allen
Anzeichen seiner lebhaft-en sittlichen
Entriistung sagte:
,,Donnerwetter —- eine hübsche
Sache! Das ist ja gerade wie auf dem
Theater. Der Kerl ist wohl vom him
mel gefallen?«
Das war mehr, als Fräulein Em
my s tödtlich verwundetes Gemüth zu
ertragen vermochte. Mit glühenden
Wangen wandte sie sich um und rief:
»Daß Du es weißt, Papa: dieser
hier ist es, den ich liebe, und dem al
lein ich angehbre im Leben wie im
Tode Wenn er stirbt, so sterbe ich
»auch «
Herr Haberkorn war ein etwas
reizbarer und eigensinniger Mann,
aber durchaus kein grausamer Komö
di-antenvater, und der Jammer seines
einzigen Kindes schnitt ihm in die
Seele. Noch war ihm der Zusammen
hang der Dinge nicht völlig klar; aber
ein beträchtlicher Theil seines alten
Grolls gegen den Klavierklimperer
schwand doch dahin, wie er ihn da blu
tend und so rührend bleich vor sich lie
gen sah. Er äußerte lein Wort des
Unwillens, und seine Stimme zitterte
sogar ein wenig, als er sagte:
»Wir wollen ihn in die Stube tra
gen. Und Elife soll den Doktor holen.
Ganz todt scheint er ja glücklicherweise
noch nicht zu fein.«
Der zweite Staigenosfe griff denn
auch bereitwilligst zu. Herr Lehmprhl
aber machte ein bitterböses Gesicht.
»Ich sage es ja, wie auf dem Thea
ter,« brummte er noch einma dann
zog er mit einem Ruck seine Wie te her
unter wie irnmer, wenn er irgend ei
nen großen Entschluß gefaßt hatte,
und ging ohne Worte des Abschiede-Z
durch das Wohnzimmer auf den Kor
ridor und zur Wohnungsthiir hinaus.
Nachdem Fräulein Eminh erklärt
hatte, daß sie im Leben wie im Ster
ben nie einem Andern angehöre, hatte
er hier ja nichts mehr zu schaffen.
Herr Habertorn aber hatte richtig
vermuthet Mar Gendelmever Romeo
war nicht nur noch lebendig, sondern
er erholte sich sogar zur allgemeinen
Befriedigung überraschend schnell,
nachdem ihm der alte Capuletti ein
Weinglas voll Eognac eingeflößt und
ihm in dem instinktiven Gefühl, dasz
dies ein geeignetes Wiedserbelebungs
mittel für Ahaestijrzte sei, zwei bis
drei Minuten lang sehr energischs den
Rücken geklopft hatte.
»Ich bitte tausendmal um Entschul
digung, wenn ich gestört habe,« war
das Erste, was er sagte· Und diese
Höflichkeit wandelte die angstvolle
Spannung, in der man sich befunden
hatte, in eine harmonische und unge
mein wohlthuende Heiterkeit. Es stellte
sich heraus, daß der Künstler nichts
verstaucht, verrenkt oder gebrochen
hatte, daß die Wunde an der Stirn
nur eine ganz unbedeutende Schram
me war und daß ihn lediglich der
Schreck vorübergehend des Bewußt
seins beraubt hatte.
Elise brauchte überhaupt nicht zum
Arzt zu gehen, und Papa Habertorn
erwies sich gastfreundlich wie ein
Korse, indem er sagte:
,,Bleiben Sie nur in Gottes Namen
hier, bis Sie sich ordentlich ver
schnauft haben. Mit unserem Stat ist
es nun ja ohnedies Essig, nachdem sich
dieser Lehmpfuhl auf eine so unan
ständige Manier aus dem Staube ge
macht hat. Und gerade, wo ich einen
Grand mit Dreien in der Hand hattet
Schneider wäret Jhr geworden! Es
ist gerader schädig.«
»Wenn Sie mir gestatten wollten,
Herr Habertorm statt des weggegange
nen Herrn den dritten Mann zu ma
Mn — —«
Der alte Capulettsi sah den Musiker
mit großen Augen an.
»Was? Nachdem Sie eben erst aus
dem Fenster gefallen sind? Ja, spielen
Sie denn überhaupt Statt-«
,,Einigermsaßen, unsd wenn Sie
nicht zu streng sein wollen ——«
Herr Habertorn schlug ihn auf die
Schulter, als wollte er die Wiederbe
lebungsversuche noch einmal begin
nen.
»Hören Sie, Herr Gendelmeher, das
gefällt mir! Das macht Jhnen nicht
Jeder nach. Emmy — ein frisches
Glas siir unseren Herrn Ra — Re
— na, wie hieß doch der junge Mensch
aus dem italienischen Stück mit dem
Balton — Du weißt doch! Es war
’ne Nachtigall und kein-e Lerche.«
,,Nomeo, Papa!«
»Richtig, Romeo! Wirklich großar
tigse Aehnlichkeit! Bloß daß der mit
seiner Strickleiter von unten herauf
tomm·t, nicht von oben herunter! Und
nun los! —- Also Grand mit Dreien,
Schneider angesagt! Jch spiele selbst
aus ——«
Was ihm msit seinen Sonaten und
Nocturnos nimmermehr gelungen
wäre, das gelang Herrn Max Geadel
meher mit seinem Statt Er spielte sich
in das herz des alten Capuletti hin
ein. Und als sie drei Stunden später
von einander schieden, schieden sie skl
gute Freunde —
Heute spricht man in der habet
lorn’schen Bekanntschaft allgem-it
von der nahe bevorstehenden Berlos
bung. Und es muß wohl etwas Wab
res daran sein, denn man kann di
beiden jungen Leute sehr oft in trauli
chem Gespräch auf Fräulein Gan
Ballon erblicken; nur daß Mich
GendelmeyerMomeo jetzt dem weite
ren Weg über die Treppe vor den
kürzeren durch die Lust den Barth
zu geben pflegt.
Der Kobolden
Humoresle von L. Detre.
Greisbarer Nebel lag auf dem häu
sermeere, als ein sorgfältig gekleidet-«
junger Mann in einer der weniger fro
quentirten Gassen der Residenzstad
unruhig auf und ab ging. Er hats
den Pelztragen seines Winterroclet
aufgeschlagen, so daß nur das schmal
Prosil des Gesichtes sichtbar war. El
wollte nicht erkannt werden.
Mit gespannter Neugierde lugte es
durch den milchweißen Schleier des Ne«
bels auf ein GeschäftslolaL das sitt
auf der anderen Seite der Gasse bo
sand. Aber es gingen noch immer Leut
hinein. Endlich schien der Letzte dat
Lokal verlassen zu haben. Mit hastigel
Schritten eilte er dem Laden zu, ins
dem er zugleich bestrebt war, den in des
Brusttasche seines Rockes versteckten R
volver sich hsandlich zu machen. Schon
war er an der Thüre, als er durch dies
sehend noch einen Kunden erblickt-e.
Mit hochklopsendm Herzen stürzt
er auf die andere Seite des Troittoirt
zurück und verschwand im Meere del
Nebels.
Aber nach wenigen Minuten erschie
ser wieder und begann von enuem di(
unstäte Prata-made Es war ihm heis
geworden, udn er wischte den perlen·
den Schweiß von der heißen Stirne
Wieder lugte er hinüber-, aber die hell
läutende Klingel verrieth ihm, daß da!
beobachtete Geschäftslokal noch imme
n-icht leer war.
Von dem nahen Dorne verkünde
ten acht Schläge, daß der Abend her
angebrochen sei.
«Verdammt,« murmelte der jungs
Mann, »das Geschäft wird bald ge
schlossen, und ich kann noch immer
nicht hinein, all-ein mit dem Alten sein
llm ziehn Uhr muß ich das Geld er
legen. Es ist ein-e Ehrenschuld. Die
Summe ist zwar lleirk, aber ich kam
sie mir nicht anders- beschasfen. Jä»
muß oas weio haben, auch um ve
Preis.«
Der jttnae, elegante Mann ver
langsamte seine Schritte, er versank it
Nachdenken
»Was würde mein gut-er Onkel sa
gsem wen er erführ-e, was ich mit den
oon ihm zum Geschenke erhaltenen Re
volver gethan habe. Er brachte ihn mit
von seiner Amerikareise mit. Mit welck
lieben Worten erklrärte er mir die gro
ßen Vortheile diieser kostbaren Verthei
digungsswafsr. Und nun? Es ist schreck
lich, wohin mich mein Leichtsinn treibt
Was wiirde die Mutter, mein nobel
denkender Vater, was würde Elbira
sagen, wenn sie von meiner That Kun
de erhielten. Von mir, dem reicher
Sprößling der vornehmen Familie!
Aber sie werden, sie dürfen es nicht er
fahren. Niemand darf mich erkennen
niemand auch sehen. Wenn ich mit
dem Alten drinnen nur allein sein
könnte. Einmal drinnen, ziehe icl
schnell den Revolver heraus, in weni
gen Momenten ist es geschehen, dans
stütze ich zur Tbür hinaus, in den al
les verdeckenden, dichten Nebel. Wenn
es nur zu Ende wäret
Wieder klingelt es an der Thüre. Je
mand kam heraus. Der junge Mann
näherte sich der Thüre und blickte in
das Innere des Geschäftslokals. Des
Alte war aallein. Nochmals blickte der
junge Mann nach allen Seiten, ob nie
mand sich nähere. So weit er sehen
konnte, war die Gasse leer. »
Mit hämmernden Schläsen stürzte
er in das GeschäftslokaL und mit ge
preßter Stimme fragt-e er den Pfand
leiher: »Was geben Sie mit
auf den Revolver?«
- -«—-.-.-—
Die höhere Tochter-.
Herr: ,,Also die Stiefel des Geheim
raths Günther waren die letzte Arbeit
Jhres seligen Herrn Vaters?«
Schusterstochter: »Ja, sie waren
gewissermaßen sein Schwanengesang.«
Gurts beraus»
Junge Wittwe: »Ja, Herr Doktor,
nun haeb ich alle die Bäder besucht, die
Sie mir nannten, aber es hat mir noch
immer keins geholfent«
Arzt: »Hm, — dann versuchen Sie
es doch mal mit einer Heiraths-An
nonce.«
Unterscheidungszetchem
Zwei bayerische Fuhrtnechte streiten
sich darüber, wo der Herr in Unisorm,
der eben vorbeigeritten, ein Zahlmeis
ster oder ein Thierarzt gewesen sei.
Den Streit entscheidet ein hinzuge
lommener dritter Berussgenosse mtt
den Worten: »Wenn der Herr wieder
zurücktimmt, Sevvl, nacha gehst hin
und sagst, Du hätt’st Zahnweh. Gibt
a Dir an Ohrfeig’n, »so is a Zahl
meister, kurirt a Di, is a Thierarztl«
Wir haben kein Mittel. um jun zu
bleiben, leider auch keines, um at zu
werden.