Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, October 17, 1902, Sonntags-Blatt, Image 10

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(6. Fortsetzung.)
Es war Herr von Eckhardt. Er
larn von einem Herrendiner bei einem
Vor fetten und war soeben im Be
griffgewesem in dem Cafe gegenüber
der-n Bahnhof noch einen »Es-schlummer
unsch· zu trinken — wie er in seiner
ils-en Art den Herren auseinander
»·f-Zren Sie, liebster Freiherr,"
sagte Küchenhofi »Ja Plauderstiind
chen haben wir auaenblicklich teine
Zeit —- hserr Brate ist ohne Hut und
aletot, wie Sie sehen —- und ich
arantire ihm so wie so schon einen
apitalen Schnupfen Also wenn Sie
rnit einsteigen wollen . ...«
Das geschah dann, und auf der
Fahrt weihte man den Freiherrn in
bitte Ereignisse des heutigen Abends
e .
Johannes warf nur hier Und da ein
Wort ein« denn er war todmüde.
Auch Herr von Eckhardt fand die
Lösung, die dem unerquicklichen Zu
stgnd gegeben worden war, vortreff
i .
»Es bleibt Jhnen nun aber eine sehr
nnangenehme Aufgabe noch zu beer -
tigen — die Abrechnuna mit Wassk
liew. Er wird natürlich alle Hebel in
Bewegung setzen, um die Adresse der
liichtlinge doch noch in Erfahrung zu
ringen, ihnen zu folgen. Sein Jn
teresse für den Krnaten hat doch wohl
einen Rebengrund, will mir scheinen.'·
hatte Johannes die beiden Herren
so weit eingeweiht, so schien es ihm
nun erforderlich, auch vollends die
Karten vor ihnen auszudeckem Schon
tun Martha’s Ruf willen hielt er’s für
angebracht —- da sein eigenes Inter
esse siit sie ja doch schon allenthalben
bemerkt und tommentirt worden war.
»Herr Wassiliew wird endlich ein
sehen müssen,« sagte er in leicht zit
terndem Tone, »daß mir ein größeres ·
Recht zusteht als ihm, dem Hause
Spener dienstbar zu sein —- denn ich
bin — seit Kurzem · . .. nun, Martha
Spener und ich sind verlobt!"
Die beiden Herren hatten diese Ver
rrcnthung schon einmal heimlich gezeu
,einander ausgesprochen. Jhre Ue er
raschung war nun sichtlich eine freu
dige, in die Thatsache von Johannes
Brote selbst, den sie beide hochschiitF
ten« eingeweiht zu werden. Sie gra
tnlcrten herzlichst. Beide erklärten,
anderen Tags bei ihm oorsprechen zu
wollen, um —- aus jeden Fall —- ihm
Ehre Unterstütznna angedeihen zu las
en.
Der Waan hielt schon ein paar
Minuten lang vor dem Hause, als
Johannes endlich ausstieg und sich oon
den beiden Herren verabschiedete
Gleichzeitig war — don der ande
ren Seite her —- ein zweites Gefährt
herangekommen Es war das Land
wägelchen, das die Kirchweihgäste aus
Söllingen zurückbrachte Born Tan
zen erhitzt. iroren die Mädchen nicht
wenig in ihren leichten Fäbnchen und
eilten hasiia in’H haus, dessen Thiir
Johannes ihnen öffnete.
..Ranu, Herr Brate, Sie sind nicht
beim Kranken oben? Und Fräulein
Spener....? Ich hab’ mir schon
Vorwürfe gemacht, daß wir so lange
bleiben. Es ist doch ein bißchen grau
lich siir eine junae Dame, so allein in
einer sonst ganz leeren Wohnung schla
sen gehen zu sollen . . . .«
Wohin-nä- 'kn-H«’n«kso hu- kshsolinvfl
alten Frau Winter nicht sog leich. L5r
ließ erst die beiden Dienstboten voran
aehen Herr Winter, Der ein wenka
angeheitert war, folgte bedächtig.
Vom Haugslur aus bemerkte er einen
Lichtschein oben an der Hostnauer.
,,,Ah here Was tltew hat Licht in
seiner Mansarde!« sagte er. »Er ist
ein zu fleißiger Herr. Sehr — sehr
nett übrigens. Aber so still und ver
schlossen.« Gedämpst rief er noch den
beiden Mädchen, die kicherno bis zum
Giebel gelangt waren nach, sich still
zu Bett zu beaeben, urn den Rassen
nicht zu stören.
,,«Kann ich Sie noch für eine Minute
sprechen?« fragte Johannes die beiden
Alten.
Sie sahen ihn verwundert an, baten
ihn aber einzutreten. Etwas unt
ftändlich machte der ehemalige Mau
rerpolier Licht.
hier lagen noch but und Paletot
des jungen Künstlers, die er in der
Ecke am Fenster zurückgelassen, als die
Aösliche Ankunft des Medizinalraths
artha in so große Aufregung ver
fest hatte.
»Ich habe Ihnen Grüße von Fräu
Spener u überbringen,« begann
gpnha nnes, . ist heute Abend in Go
Us ft del Kranken ahgereist. "
lereiftW entfuhr es dent Paarr.
i ilicht Aber wohin benut«
i hielt es für geboten Was
;lioss wesen eine falsche "hete an
gie sind nach ien abge
· re Spottet soc dort bei einem
' zt in sehnndlung kunnten.
m rief se sofort ab.
ans ttmt fehr pein
ijteintnal von
daß die Mädchen eine reichliche Ad
sindung erhalten Da bitte ich Sie
»also, Frau Winter, da sie die hiesigen
Verhältnisse besser kennen als ich, mir
dieses Geschäft steundlichst abzuneh
men."
Aber gern —- gewiß.. .. nur« ich
bin ja noch ganz perplex, das unser
anädiges Fräulein so ga
hin, na, wenn der arme Evspener
doch nur endlich ganz kur trdt« «
Johannes wollte in der Mhe des
nächsten Tages die altes-: M bitten »
hinauszukommen, um asesT ere zu
erledigen. Jetzt oerabschsiede er sich
bald und ging
Jn der ganzen oberen Wohnung
war’s finster. Man hatte die Gas
slammen ahqedreht, um den Kranken «
durch denLichtschein nicht aufzuwecken,
und ihn im Dunkeln sorttransportirt.
Da Johannes die Räumlichkeiten
kannte, fand er sich leicht in die Vor
derzimrner der Wohnung. Jn Mar
tba’s kleinem Salon machte er Licht
und setzte sich aufs Sosa.
Die körperliche Ruhe, die Stille im
aanzen Hause thaten ihm wohl. An
fangs hörte man noch das Hin und
et der Mädchen in ihrer Kammer,
von unten das aediimpste Murmeln
des alten Ehepaares —- dann ertönte
kein Laut mehr.
gohannes sann nach.
ollte er noch heute Abend eine
Aussprache mit dein Rassen herbei
führen — oder sollte er diesem die
Nacht über im Glauben lassen, daß
das Geschwisterpaar noch unter dem
selben Dache mit ihm weilte?
Er fühlte sich zu matt, um aus der
Stelle zu handeln. Immerhin war
es ja auch möglich, daß Wassiliew wie
der — wie voraesiern Nacht —- oon
selbst sich einsand. Dann war die Ge
legenheit, ihn über die Meinung, die
man von ihm hatte. auszntliiren, noch
güLfYSkFx » .
se L
UUIUUYUW Uscclllvllllllc still U(l
Schlaf. Er fand nicht mehr dieKraft,
sich zu erheben, um die Chaiselongue in
Fuftus Zimmer, auf der er gestern
geruht, aufzufuchen. Matt ließ er sich
zurücksinten und gab sich der Ruhe hin.
Aber er schlief nicht fest ein, trotz
aller Müdigkeit, Jni Geist begleitete
er Martha, deren Schicksal ihn so
maßlos beunruhigte. hre lranihafte
Erregung gab ihm zu iirchten. Wie
sollte sie in diefem iiiserreiziem er
schöpften Zustand mit dem Kranken
fertig werden« dessen pafsider Wider
stand nur durch einen festen, energi
schen Willen zu beseitigen war?
Jmnser wieder schreckte er aus dem
Halt-schlaf, aus feinen erregten Phan
tasien empor.
Er frdr, eine Ertältung meldete
sich bei ihm an, und er litt gleichzeitig
an qualvolleni Durst.
Endlich bezwang er seine Müdigkeit
und erhob sich, um Licht zu machen
und nach der Küche zu geben.
Dabei tani er durch Marthe-»Z
Schlfzirnmer· .
Unwillkijrlich hielt er an der
Schwelle inne.
Es tam ihm wie ein Frevel vor,
hier einzudringen. Und doch packte ihn
gleichzeitig eine heiße Sehnsucht nach
der fernen Geliebten an,«die sein Herz
laut gehen machte.
Da fiel fein Blick aufs Fenster und
gab seinen Gedanken sofort eine neue
Richtung: der Lichtschein, der vorher
aus Wassiliews Zimmer drang, war
»—
noch immer nicht erlotchenl Laß der
Nufse auch jetzt noch bei feiner Arbeit?
Oder hatte er nur Vergessen, das Licht
zu löschen?
Es war kurz nach fünf Uhr. Der
Fleiß dieses Mannes hatte etwas Un
heirnliches, etwas Krankhaftes-.
Johannes durchschritt das Zimmer,
ging in die Küche und fuchte nach ei
nem Glase, um Wasser zu trinken.
Dabei ftiesz er an eine Schachtel, die
auf dem Küchenbord gelegen —- sie fiel
zu Boden. und ihr Jnhalt entleerte
sich über die Kacheln, mit denen die
Küche gepflastert war.
Er hob die Schachtel auf und las
die Aufschrift. Es war ein Schlaf
pulver, das der Medizinalrath ge
legentlich dem Kranken ver-ordnet
hatte. Er entsann sich, daß Martha
ihren Bruder auch heute eine Dosis
davon mit dern Thee gereicht hatte.
So nur war dessen ruhiger Schlaf
während der Ueberfahrt nach dem
Bahnhof zu erklären.
Er wußte selbst nicht, durch welche
Gedankenderbindung er sich plöylich
des Augenblicks entsinnen mußte, in
dem er Martha fo seltsam verstört hier
in der Küche angetroffen hatte, tm
Begriff, den Satnowar für Wasfilieto
hinaufzuschicken.
atte sie vielleicht »auch ihm von dem
un chuldigen Mittel gegeben?
Mit ihrer beifpiellofen Angst, ihrer
krankhaften Erregung wäre es wohl
zu erklären nnd auch zu eatfchnldigen
iesse-n Und doch beunrnhigte es
Er sahen die Lampe wieder in die
d nnd durch-naß die Minore der
V, k- rsu met-« ern m
Ritsends ein Licht, nirgends ein
Zeichen des Lebens — nur vom Gie
bel her das einsame Merkmal des
nächtlichen Fleißei —- der Lichtschein
aus Wasliliew’s Mansarde.
Er isssnete die Thiir zu Justuk
sZimmer. Eine eingeschlossene Kran
kenstubenlust herrschte hier. Das Bett
Zwar noch in demselben ungeordsneten
k Zustand in den es dieWärter durch die
EAusnahine des Kranken gebracht hat
ten.
Johannes setzte die Lampe nieder
und sah sich um.
Aus dem Alloden ragte nur das
’Fuszende der Chaiselongue, aus der er l
gestern Nacht selbst geschlafen, ins
Zimmer herein; eine schwere Portiere
trennte die beiden Räume.
Aber täuschte ihn das Zwielicht das
in dem Anbau herrschte, oder sah er
wirklich dort am Fußende der Chaise
longue.
Er ging hastig daraus zu und schob
die Portiere zur Seite
Ein jäher Schrecken iibersiel ihn. Er
erkannte die Umrisse von Wassrliews
Gestalt.
Der Russe lag unbeweglich da, lang
ausgestreckt aus der Chaiseiongue. Wie
es schien« in tiefem Schlafe.
Unwillen erfaßte den Schwarzwäl
der. Was sucht-e Wassiliew hier? Wer
hatte ihn ermächtigt . ..
Da drohte ihm plötrlich das Blut in
den Adern zu stocken —- das Herz
stillzustehn.
Mit weitausgerissenen Augen starrte
Johannes nach dem guriickgesuntenen
Kopfe des Rassen.
Ein furchtbarer, tlassender Spalt
im halse — geronnenes Blut, das den
Kragen, die Hemdbrust besudelt hatte
— und da die große Blutlache aus dem
Parlett...
Johannes taumelie zurück. Er
holte die Lampe, trug sie, am ganzen
Leibe bebend, herzu und beleuchtete das
grausige Schauspiel
Ja es war Gbariel Wafsrliew.
Oder vielmehr sein entseelter Körper.
Er lag da, als habe ihn im tiefsten
Schlase der Tod überrascht — ein ge
waltsamer Tod, der ihm nicht einmal
Zeit ließ, sich zu wehren auch nur
einen Muskel seines bleichen, tiesern
sten, matten Angesichts zu verziehen
Der Schnitt war mit einem haar
scharsen Instrument ausgeführt wor
den« denn keinerlei Unebenheiten wa
ren an der entsetzlichen Wunde de
mertdar· Fast schien es, als sei der
Kopf vom Rumpfe getrennt. Jeden
falls ging der Schnitt bis auf den
halswirbeL Die Lider waren ge
schlossen, der-Mund war leicht geöff
net —- die Hände lagen aus der Brust.
Grausen, Entsetzen packte Johan
nes an
Er sah sich wirr am.
Lag eine Waffe dabei?
Er durchsuchte flüchtig das Zim
mer, fand nichts. Auch eine weitere
Blutspur war nicht wahrzunehmen.
Johannes sanl endlich auf einen
Stuhl. Er starrte nach der Leiche —
unfiihig sich zu rühren oder einen
Laut aus-zustoßen
Welch aräßliches Verbrechen war
hier geschehen? Welch furchtbares
Geheimniß lag hier vor?
Endlich raffte er fich auf. Sollte
er die Leute herbeirufen? Er näherte
iich noch einmal der unheimlich-In
Stätte und befühlte den Körper
Zu retten war nichts mehr —- die
Leichenstarre schien bereits eingetreten
;u fein.
Eine wahnsinniae Angst, ein
Graxtem das er nie aelannt —- auch
dem natürlichenTode gegenüber nie
empfunden —- trieben ihn fort.
Er stürmte aus dem Zimmer, warf
hinter sich die Thiir ins Schloß und
-:ilte von dannen. ’
In Marthcks Saan riß er das
Feniter aus.
Sollte er Hilfe herbeirufen?
Aber wozu Hilfe? zu retten war
doch nichts mehr!
Er wich vom Fenster wieder zurück
Die kalte Nachtluft machte ihn er
fchauern.
TLas sollk er thun? Es cnußn
Joch Etwas geschehen —- irgend Ei
ivas?!
Hastig nahm er Hut und Paletot
aus und lief über den Korridor. Er
vollte Winters werten, die Mägde —
Iann zur Polizei eilen . »
Aber er stand, von Grauen getrie
ben, vlötzlich vor dein Hause, ohne
weder im Giebel die Leute gerufen,
noch die Bewohner des Parterres her
ausaetlovit zu haben.
Wassilieiv todt —- Sonias Bruder,
der Freund, der Jntimus von kru
stus. dessen ertlärter Liebling, der Be
merber um Martha’s Gunst. um ihre
band, .Wassiliew meuchlinas im
Schlafe überfallen und ermordet!
. . . .Und von weni? ·
Johannes eilte, bebend ani ganzen
Leibe, die Straße entlang.
Er faßte dieses grausige Geschehniß
noch gar nicht!
5. CapiteL
Die Stadt laa noch in tiesem
Schweigen da. Nur vereinzelt rollte
da nnd dort ein Landwägelchen, um
Früh-nackt fahrend, durch die or
— adtstraßen, die Johannes ziellos
durchirrte.
Plöslich sey er sich am westlichen
Thore, dort, wo der haardttoakd be
ginnt In der Villenstraße, dii sich
on besass Si entlang sieht, wohnte
»der-r von It. Zufällig wußte
c.
: et aufs-Heu —"isu h· -
- M d
l Mäuse to- intttiotlen, IF
s Außer dem anei- Mediciustksnz
! war der freiherr der einzige setannte
’der Ges ister, den rnan in den les
ten Wo n empfangen hatte. Seine
Cousme war eine Freundin oon Mar
tha — er selbst besaß ein warmes,
aufrichtiges Interesse fiir das Haus
Spener. Johannes wußte Nieman
den, der mehr als Eckhardt geeignet
wäre, mit ihm zusammen die ersten
einleitenden Schritte in dieser grau
sigen Angelegenheit zu thun
Er durchmaß also rasch die Anla
gen und trat aus das Haus zu. Es
war ein schmuckeö Wohngebäude, in
den oberen Etagen gewiß von reichen
Miethern bewohnt —- man nannte
diesen ganzen Vorstadttheil ja das
»Millionendiertel« —- im Erdgeschoß
befanden sich aber ein paar bescheidene
Geschäftslotalr. Das eine derselben
ward soeben geöffnet —- es war eine
Milch- und Butterhandlung Eine
alte Frau zog die Rollläden aus und
sah sich dann gähnend und verschla
sen um.
Johannes wollte die Frau bitten,
ihm die Dausthiir auszuschließen oder
ihn durch ihr Magazin in's Treppen
haus gelangen zu lassen.
Er zögerte, denn in demselben
Augenblick schlugen Pseisenllang und
Trommelwirbel an sein Ohr: er war
so neroiis, daß er zusammenfuhr.
Die Musik näherte sich: es war ein
militärischer Trupp, der zu einer
Uebung in's Gelände zog.
Johannes blieb an der Haus-wand
stehen und ließ die Soldaten an sich
vorüberziehen. Hier und da streisze
ihn unter den im Laternenlicht blitzen
ben Helmen hervor ein fragend ver
wundert-er Blick.
Auch die Milchhändlerin betrachtete
den frühen Spaziergänger argwöh
nisch von der Seite. Was suchte der
Mann hier? Warum ging er nicht
weiter? Er stand so unbeweglich da
und starrte in’s Leere —- auch lange
noch, nachdem die Soldaten vorbei wa
ten.
Der Gesichtzausdrucl des Bild
schnitzers war in der That immer dü
sterer, immer geguiilter geworden —
sein Auge nahm etwas schier Geister-:
hastes an. Er lonnte sich nicht mehr
enticblieiren um Einlaß in’s baus des
Freiherrn zu bitten: denn wie der
Blitz hatte sein Hirn der jähe Gedanle
durchzuckt, daß Eckhardt ja der Ge
ttilfe des öffentlichen Antlägers war,
Daß fein Amt ihn zwang, die Mitthei
lung iiher ein solches Vortommniß fo
fort auf oem Dienst-arge an seine vor
gesctzte Behörde weitergelangen zu
Lassen.
Was war es nun aber, das ihn da
bei sofort mit einem neuen, nie getann
ten Schauer der Furcht überrieseln
machte?
....Wieder sah er das Bild vor
sich, das ihn schon einmal mit solch
ducnpfer Bangigkeit erfüllt hatte —
das Bild, das sich ihm dargeboten, als
er Martha in der Küche überrascht
hatte, wie sie im Begriff stand, dem
Mädchen den Samoroar einzuhäntsii
gen, den es dem Rassen hinauftragen
sollte· Wieder entsann er sich seines
Verdachts, daß Martha auch dem Ge
träni Waisilierv’s von dem Schlaf
puloer beigemischt haben könnte, durch
das sie die Fortschaffung ihres Bru
derg zu erleichtern gesucht hatte.
Ihre iranlhaste Angst davor, daß
Wassilietv noch in letzter Minute da
zwischentretem den ganzen Plan der
Flucht durchschauen und zerstören
tönönte —- ihre fieberhafte Erreguna
aus dem kurzen Weg ur Bahn, wo
ihre Füße sie kaum mle tragen woll
ten, ihre flehentliche Bitte an ihn, sie
nicht sofort zu begleiten, sondern nach
ihrer Abreise in’3 haus zurückzukeh
ren, dort Alles zu ordnen und ihr
dann erst zu folgen, —- schließltch der
Moment ilkrer Absahrt, wie sie ohn
mächtia zu ammengebrochen war . . .· «
Jäh fuhr er plötzlich aus seinen wir-i
ren Gedanken auf. Die rau, die ihn
mehr und mehr oerängfttgt gemustert
hatte, war näher gekommen, hatte ihn
angerufen.
»Fe, Sie, —- was suchen Sie denn
hier «
Er sah sie verstört an —« entsann
sich, daß er vor der Wohnung des
Staatsanwalt - Stellvertreter-z stand
— ein paar unentschiossene Schritte
nach der hausthiir bin —- dann raffte
er fröstelnd die im kalten Frühwind
flatternden Seitentheile feines noch
immer offenen Paletots zusammen
und eilte über die Villenstrasze weg in
die jenseitigen Anlagen.
Ohne Uebeelegung, ohne Plan lief
er weiter und weiter —- auf den ein
samen, im ersten bleichen Frühlicht lie
genden Fußweaen immer tiefer in den
Haardtwald hinein.
Der Gedanke, der sieh so unmittel
bar ihm aufge wiinat hatte, war ent
sehlieh Er be chleunigte feineSchritte,
als könne er durch diese ast ihm ent
fliehen. Jm Vorwärtselen erhob er
seine eiskalt gewordenen hönde u den
Schliifm an die guckend das mle und
mehr erregte Blut pochte.
Er wollte sieh zwingen, nicht wieder
daran zu denken —- er war ganz ver
zweifelt dariiber, daß die Frausigen
Bilder ihn immer, immer weder zu
beherrschen suchten. Er schloß die Au
gen« preßte wie in einem körperlichen
Kampf mit sich selbst die Zähne zu
sammen .. . ..
Da taumelte er plöhlieh Er war ge
gen eine Bank gestoßen. Erschöpft
nach Luft ringend-. hielt er nun inne.
.stn ich wa sinnt i Warum satse
ich wich von fee xen dee mar
terni Warum Muse ich in eh nicht zu
ruhig-, W, klarer Ueber -
IIUC .
Er ließ sich auf die Bank sinken und
preßte die Händ-e ineinander.
«Liebstet — Einziaet —- Marthat
Berzeih’ mir ums Dirnnrels willen
Das bin ja nicht ich, der das
denkt —, das ift ja eine lranlhaft er
·regte, verbrecherische Phantasie . . . .«
Wieder starrte er vor sich hin —
lange, lange. Er wußte nicht einmal,
ob er diese Worte laut gesprochen, ob
er sie gefliistert oder nur gedacht hatte.
..... Aber auch in der scharfen,
ängstlichen, ernsten Ueberleguna woll
ten die Schreckbilder, die seine Phanta
sie so trankhaft aufreizten und erhitz
ten, nicht weichen. Immer wieder sah
er Martha’s entsenensvolle Angst, ihre
hast« ihre Verzweiflung —, er sah sie
in der Küche der unheimlich stillen
Wohnung denSchlaftrunl bereiten —,
er sah sie die Hand erheben .....
Da hörte er sich selbst laut auf
schreien.
Martba «- die Mörderink
«Barmherziaer Vater im Himmel,«
betete er halblaut. von einem Schluch
zen unterbrochen, das sich aus tiefstem
Herzen heraufzudrängetfsschiem »Mach’
mich doch frei von dem wahnsinniaen
Gedanken — von , dem furchtbaren,
aualvollen Verdacht .. .
Wieder verwirrten sich seine Sinne.
Die Aufregungen der letzten Tage, die
Schlaflosigteit der legten Nächte, die
Erschiitterungen des Erlebten und Ge
schauten «- Alles wirkte zusammen,
um feine bisher so stählernen, lange
sunoen Nerven zu überreizen. Er lam
sich selbst fremd vor in dieser trank
haften Erreauna.
»Nuhe, Ruhe —- Fassung-Samm
lung!« so suchte er sich selbst zu be
sei-wichtigen
Er hatte sich mit einem festen Ruck
erhoben — unvewealich stand er nun
da, in’s entlaubte Gezweig des schwei
genden, von feinen gefiederten Sän
gern länast verlassenen Waldes star
rend.
Und von Neuem zwana er sich zu
logischem Denken, nüchterner, tlarer
Ueberleauna.
Der Zustand des Todten, die Um
aebuna, in der er die Leiche vorgefun
den — Alles sprach dafür, dasz ein
Kampf dem gewaltsamen Ende des
Russen nichLvorausaeganaen war.
Gllllllcl Wllnlcch Dlllic klitscgkli
seiner ursprünglichen Absicht, jeden
sallg im Widerspruch zu seiner dro
hungottigen Aniiindiguna, den Kran
ten im Laufe des Abends ausgesucht,
ohne daß es von ihm oder Martha be
mertt worden war.
Waan aber konnte das gewesen
sein?
Das Stubenmiidchen, das ihm den
Samowar hinausaetraaen, hatte den
Rassen noch ruhig in seiner Mansaroe
angetroffen.
Von diesem Zeitpunkt an aber war
er, Johannes-, mit Martha allein beim
Kranken gewesen. Sie erwähntenWas
silietv droben — Niemand befand sich
sonst im ganzen Haus. Winters wa
ren fort, auch die beiden Dienstmäd
jten —die Wärter trafen erst gegen
sehn Uhr ein.
Während er also mit Martha in
Der Parterrewohnung weilte, in ängst
licher Ungeduld am Fenster verhar
rend, den Augenblick der Flucht her·
beisehnend. mußte sich Gabriel Wofü
tiew heruntergeschtichen haben.
Zu weichem Zweck?
Hatte er von den Fluchtvorbereituns
qen gehört — wollte er Wache halten,
um den Plan zu vereiteln?
Warum war et schon oorgestern
Nacht in die Wohnung heimlichertveise
eingedrungen, trotzdemet Mattha so ,
sest und bestimmtettlört hatte, daß er
nur aus ihre Bitte hin den Kranten
wieder auffuchen würde?
Vom Mädchen hatte Wassilierv ge
hört, daß sein Rebenbuhler in vergan
gener Nacht die Wache bei Justus ge
halten hatte; war er nun gekommen»
um ihn, Mariha’5 heimlich Verlobten,
zur Rede zu stellen?
Wie lanae er am Krantenbett ge
meilt ob Justus gesprochen hatte?
Johannes überlegte Punkt fiir
Punkt, rief sich jeden Moment des
spannunasreichen Abends in’g Ge
dächtniß zurück, entsann sich jeder Ge
spröchswenduna in der theils seligen,
theils bangen Unterredung, die er mit
Martha geführt. während sie lauschend
unten am Fenster standen.
Lautlos, tirchhofähnlich still war es
oben im Krankenzimmer eblieben.
Justus war bald, nachdem i m Mar
tha den Thee gereicht, in dem sich das
vom Medizinalrath früher öfters ver
ordnete Pulver befunden, in tiefen
Schlaf gesunken. So laa er noch da,
als die Wärter kamen, ihn aufnahmen
und forttransportirten. Nicht einmal
der Bahnhoislärm nicht einmal die
Einbettuna im Coupe hatte den Ge
lähmten aufgeweckt.
Also hatte ihn wohl auch Waisiliew
nicht gesprochen — Wassiliew, der ge
tommen war. die Macht bei seinem
hülflosen Schützlina zu halten und auf
dessen durch die Ueberarbeitunlx die
durchwachten Nächte. die man elhaste
Ernährung widerstandsunfäh g ge
wordenen Sinne dann plötzlich das
ihm heimlich gereichte Opiat seine läh
mende Wirkung auszuüben benannt
Ja, so mußte sich der Vorgang ab
gespielt haben —- eine andere Ernä
rung gab ej ni t.
Wenn sie Be de aeabnt hätten, als
sie so slüsternd, voll von hoffnun en
und Cum-liefern da unten am en er
andert, da der ind i rer lsne,
sie sieißg bei einem ert n der
Mansarde mähnten, über ihren uFiltru
ten, dicht am Las-er bei nngl lichen
Geliihmten weilte
Uelch furchtbare Angst muß Mar
tha daher ausgestanden, welch rausas
mer Schreck muß fte übern-alt gt ha
ben, als sie dann, den Wärtern, die
zunächst das Gepiick aus dem Erdge
schoß auf die Straße schafften, vor
auseilend und langsam in die Kran
tenstube eintretend, beim Schein des
aus dem Nebenzirnmer matt herein
ftrahlenden Lampenlichts sich plötzlich
dem Rassen gegenübrsah!
Gabriel Wassiliew schlief — dank
ihrer Vorsicht —- aber vielleicht riihrte
er sich schon, als sie eintrat . . . .
Dem einsam hier im Walde Sin
nenden überlam selbst eine neu-maus
reizende Angst und Erbitterung. Er
fühlte es, daß er den heimtiielischen
Nussen ebenso haßte, als wie Martha
ihn in dieser furchtbaren Selunde des
Schrecks, der Verzweiflung gehaßt ha
ben mußte. Jhn unschädlich machen,
diesen oerhasrten Eharlatan, der sich
mit seinen mustischen Künsten in den
Frieden des hauses einaeschlichen, der
der Zerstörer ihres Glückes war, ihn
zu hindern, von Neuem Unheil zu
stiften . . . .
»Groszer Gott, wohin verirre ich
mich?! stieß Johannes phötzlich aus
gepreßter Kehle aus. Er entse te sich
vor sich selbst· War es mögli , dass
eine Leidenschaft, deren innerster Kern
ein so reines, heiliges Em finden war,
wie die Liebe zweier Men chen, die sich
in herben Prüfunqen gesunden, sich zu
einer solchen Verzerrung hinrei en
lassen lonntei »Bin ich denn im e
arisf, in Gedanken selbst zum Mörder
zu werden?m klagte er sich voll Ver
zweifluna an·
Er sah sich weitausgerifsenen Auges
um. Es war ihm, als miisse sich nach
einer solchen Lästerung, durch die seine
Phantasie, sein Epsinden befleckt war,
irgend Etwas verändert haben. Er
glaubte sich von arinsenden Spukge
stalten umgeben. Das Blut hämmerte
wild erregt gegen seine Schleifen Er
rana nach Luft.
Todtenstille herrschte hier. Nur das
Laub zu seinen Fiiszen raschelte, und
in dem schwarzen Gestrüpp der blat
terlosen Bäume wimmerte der Herbst
roind kläglich.
Grauen erfaßte ihn nun vor eben
dieser Stille und Oede. Scheu sah er
sich um, als folge ihm im Rücken ir
iend etwasllnheimliches —- und er lief
veiter. immer hastiaer
Wenn Martin ihrer Sinne nicht
mehr Meister, in jener Seinnde zur
nachsten Waffe gegriffen und sich mit
Einem einzigen raschen. furchtbaren
Streich ihres Verfolgers entledigt
hätteU
Aus dem Schreibtisch am- Fenster
Der Krankenstube hatte er früher ein
mai ein haarschorfes Papierniesser be
merkt —- er konnte sich nicht entsinnen,
ob es noch dort gelegen, als er das
Verbrechen entdeckte.
Der Schnitt hatte keine Körperkraft
erfordert. Jn einer einzigen Seinnde
var der entsetzliche Stahl durch den
hals gedrungen; Ohne Qual, ohne
TodeslanivL ohne Röcheln war das
Opfer, das die Unaiiickielige da ih
rem Glück, ihrem Frieden bringen zu
müssen geglaubt hatte, in ein anderes
Leben, ins Reich der Schatten hinüber
;egangen.
. Jhrem Giijch ihrem Frie
Ien?! O, in welch’ wahnsinniger
Furcht muß Die Verbiendete vielmehr
zleich nach Der That zurückgewichen
sein! Sie wankte ins Nebenzirnmer
Zurück —- sie löschte bas- Licht —- brach
vielleicht nieder und suchte die Mord
vasse, an der noch das Blut klebte, zu
verbergen.
-Tastenv, tappend in der Finsternisz
tanien da auch schon die beiden hospi
talrviirter. Sie lannien die Räum
lichkeiten,ex:e wußten. wo das Bett
des Laer stand. Jtn Dunkeln hüll
ten sie ihn siir den Transport ein,
nahmen ihn mitsamnrt dem Laken auf
und schasfien ihn aus bern nächsten
Irr--- ...... et--.;-» mu- si- Its-nn
whkzs zun- »s-.-·--.,
und in den Fahrstuhl — ängstlich das
raus bedacht, daß sie den Schlafenden
nicht weilten, daß sie dem Russen nicht
oerriethen, was hier geschah.
Gabriel Wassiliew aber lag wäh
rend dieser nächtlichen Scene schon
entseelt an derselben Stelle, an der
ihn sein Nehenhuhler dann gesunden
— die Transporteure, die vielleicht
den Weg durch den Altoven genom
men hatten, waren dicht an seiner im
Blut schwimmenden Leiche vorüberge
lommen, ohne sie zu sehen, ohne et
was zu ahnen von dem grausigen
Vorgang· «
Kaum hatten sie dann die Wohmdgs
verlassen, als auch schon Martha ih
nen nachstijrzte, die Thür hinter sich
ins Schloß werfend, von Grauen
überwöltigt.
Wankend solgte sie dem Zug —- bis
sie heim Rückwärtshlicken ihn, Johan
nes, sah, den sie bebend vor Angst an
slehte, nicht ins hauö zurückzukehren
»Alldarmherzige Vorsehung,« slehte
Johannes. wieder und wieder verzwei
felnd, »schiitze mich vok Wahnsinn!
Jch sasse es nicht —- ich ertrage es
nicht!"
Dampf brütend hielt er dann wie
der inne. Niemand außer ihm und
Martha hatte im hause geweilt —
ein gewaltsames Eint-ringen von
draußen war aus schlossen ewesen.
Er hatte sich ja se hst allenthal n um
gesehen -— nirgends deutete eine Spur
aus einen anderen Æter hin. —.
- Und aß er selbst hatte das Verdre
ckten entdecken müssen —- dnß er außer
dem Loh-new der in von nichts wi en
konnte, a ee seft geschlafen, sitt te
Justiz der ein e Fuge sein werde·
an den inan sich u, lten habet
Gortsesung MIU "«.«.« «