Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, September 05, 1902, Sonntags-Blatt, Image 11

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    EineReise in den Thüringer
wald.
Humor-esse von FelicitaSNofe.
Am allerschönsten war es doch, wenn
Onkel Professor zu uns lam. So deut
lich sehe ich noch das haaere Männchen
vor mir, mit dem faltigen Gesicht, den
gätigen Augen und des lieben, zer
streuten Lächeln. Er wohnte draußen
-oor dem Thor in einem kleinen. reden
umrantten Hause, aber jeder-Jahr kam
er auf vier Wochen zu uns und jedes
Jahr oerwechselte er uns alle mitein
ander. Mit Johann si er an, dem
er die Hand beinahe a schüttelte in
der Meinung, meinen Vater vor sich
zu haben; mich fragte er reaelmäfzia:
»Warst Du nicht ein Knabe?« und
Dorette begrüßte er mit oäterlichem
Kusse auf der Stirn und redete sie
mit: »Liebe Paula'« an, worauf sich
ihm Dorette erröthend entwand und
sagte: »J Herr Professor, wo wer«o’
ich mir unterstehen, die Frau Oberst
zu feint«
Nach dem Mittagessen nnd dem
Mittaafchläfchen aina dann das Er
Zählen los, und wie erzählte Onkel
Professor! Die halbe Welt hatte er
durchstreift und von jedem Lande ein
großes, dickes Buch geschrieben; lein
Wunder-, daß es fiir mich um nichts
Schöneres gab, als still neben i m zu
sitzen und seinen anschaulichen Schil
derungen zu lauschen. Waren die
Eltern einmal ausaebctem dann setzte
er sich wohl auch des Abends mit mir
in die Diener-stude, in der ein Mannes-,
uraltes Sofa stand: »mit versteinertm
Kalbhaaren qepflastert«, wie Bruder
Erich sich ausdrückte. Es saß sich aber
sehr aemitthlich darauf, und jeder
durfte sich von Ontel Professor eine
Geschichte augditten, -- Johann ver
langte »Was von die Zchwarzen«,
Dort-tin »Um-: Einwian und ich:
»Was recht Blittiaes.« Und dann ainas
los. Jm Nu deiandskn wir uns im
schwarzen Erdttkeil, Johann suchtelte
trieaerijch mit den Armen in der Luft
—- dei, wie herrlich Onkel erzählte! Er
war ja »mittenorin« gewesen« so und
so oft stalpiert worden-, wovon er ar
wiß ferne ».3ckltreutdeii"" hast-, —
kurz, »wir sperrten Mund und Nase
auf. Dann tam das »Zinniae" fiir
Dorette; Onkel sprach über das »Lie
besleben und Werden« der anderen
Völker nnd jedesmal war Dorette fest
entschlossen, nach ,,Driiben« zu gehen:
»Da krieg’ ich auch noch Einen ad«
meinte fie si-eaesaetvif3, und dann bet
telte ich: »Bitte, nun wag Blattan
und sofort hielten wir ein Mittagessen
mit den Kannihalen, bis es Dorette
sterbensiibel wurde und ich mich nicht
mehr getraute auch nur in die nächste
dunkle Ecke zu gucken. Jedenfalls wa
ren wir fiir Onkel das dankbarste
Publikum, denn Vater schmunzseltes
bloß, wenn Onkel von seinen Reisen
erzählte, auch Muttchen hatte immer
so ein leifes, eigenthiimliches Lächeln
um den Mund, ja Erich, mein ums
sechs Jahre älterer Bruder lachte On
kel direkt ins Gesicht und das empörte ;
mich.
»Du Frechdachs!« sagte ich mehr
aufrichtig als höflich.
»Du Dummerjahn!« war die
freundliche Erwiederung. «Merlft Du
denn nicht, wie Onkel Professor Dich
anschlt?«
»Anfohlt?« fragte ich, ganz starr
vor Ueberraschung
»Na freilich Kerlchen —- Onlel ist
ja nie über seine Stube hinausgetom
men —- Ontel reift blon theoretisch,
all die schönen Schilderungen hat er
aus Bächern —- der würde weit tum
men mit seiner entsetzlichen Zerstam
heit. Einmal,«ganz früherzda ist er
eines schönen Tages loäaereiitz —
hurrseh, das is ’ne tolle Geschichte ge
wesen. Bis aus die Haut hat man
ihn ausgepliindert und schließlich noch
als Vaaabunden in Arrest gefleckt
Seitdem hat er’s Reisen derfchworen,
hockt iider feinen Büchern und ist fest
davon überzeugt, alles qensau wie in
Wirklichkeit zu erleden.«
hi. PGJJJ inan mit «M«ifvnffefif«
Jch war wiithend, ganz außer mir.
Und als Onkel an demselben Abend
wieder eine anfchauliche Schilderung
von Schottland entwarf, vom herrli
chen Hochland, da verzog ich keine
Miene, saß wie ein Stock da, un«o
schoß grimmige Blicke hinüber zum la
chenden Vater, zur liebenswürdiq lä
chelnden Mutter und zum laut jubeln
den Bruder.
»Bist Du nicht wohl, Kerlchen?«
fragte mich Ont:l.
»Mir fehlt nichts-'s gab ich unwirsch
zur Antwort.
»Na, freut Dich denn die schöne
Welt nicht?«
»Nein!«
«Gefällt Dir Schottland nicht« das
herrliche Schottlano?«
,,Nein!"
»Warum denn nicht?«
»Weil Du garnicht dort warftt«
Eine verlegsene Pause entstand.
,Kerlch:n, geh’ ins Bett!« rieth mein
Vater.
Onkel zoa mich liebevoll an sich.
»Unser Kerlchen liebt gewiß die hei
tnath mehr, als fremde Länder« iaate
er, ,,wurte nur, morgen erzähle ich Dir
vom lieben, schönen Thüringen, von
den rauschend-n Tonnen, von den
klar-en Waldbächen, von den Felsen
mit ihren Burgen, und im Thale die
Saale ——- vom stillen Schwarzathab D
sie ruhts sich va io traut neben der
lauft murmelnden Schivarza —- wie
rsllmti lich da so schön, bis —- bei
mein Kerlchen bis die Wildlchrveine
Dich onst-strecken vie schwarzen, vor
Eigen, die durch das Unterholz bre
chen — unaufhaltsam — wild —"
»Warst Du dort?« sragte ich athem
los —- er sprach so voll Feuer und Be
geåsterunz daß er mich ganz mit fort
rc . — —
»Natürlich war ich dort —- —— das
heißt -— — (er rieb sich verlegen lä
chelnd das Kinn) — das heißt H- siehst
Du Kerlchen — so ganz in Wirklichkeit
nicht —- aber ich durchlebe alles genau
so, als wenn ich —- bm -— ja ——- «
»Dann will ich nichts hören, nichts!«
schrie ich aufgebracht.
Jch riß mich von ihm los, rannte
zur Thiir hinaus und schmetterte sie
ins Schloß. Oben in meinem Zim
merchen wars ich mich auf mein Feld
brtt so energisch, daß es auf seinen
leichten Rollen gleich ein gutes Stiicl
in die Stube hinein lies. Da laa ich
nun, arollend mit aller Welt. am mei
sten aber mit dem guten Onkel Pro
fessor, Der mir doch so sehr lieb war..
Nun saß er unten und ließ sich zum
Narren halten, —- denn ich hörte ja
Erichs schallendes Lachen bis hier her
auf. O wie konnte der Onkel nur so
sein! Warum reiste er nicht in die Welt
hinein, es gab ja so viele nette Schaff
ner, die ihn zurechtweisen konnten,
war doch selbst ich — das kleine Kerl
chen —- fchon ganz weit allein arreisi,
und war ich auch mit verschundenem
Knie, ausgerenkter Schulter und einer
tlassenden Wunde am Hinterlovi
heimgekommen, edle Theile waren nicht
verletzt worden«
Jetzt sagte man sich unten »gute
Nacht«, dann aina Onkel lanasamen
Schrittes die Treppe hinauf und betrat
sein Zimmer, das neben dem meiniaen
lag. Mit einem Satz war ich vom
Feldbett herunter, und zur Thiir hin
aus, dann klopfte ich energifch an On
leis-»Einhe.
»Wer va
»Kerlchen!«
,,Ei vier Tausend!« Die Tbiir wurde
schnell geöffnet und so recht verlegen
stand das gute alte Onlelchen vor mir.
»Willst Du mir gute Nacht sagen, mein
liebes Kerlchen? Bist Du mir nicht
mebr böse, kleine WildkatzeZ Sieh, wir
haben da unten noch so viel Schönes
erlebt: ich durfte die lieben Deinen
nach Italien führen » wo ich vor
zwei Jahren so viel schönes sah —- —«
,,Onkelchen,« sagte ich bittend, und
saßte seine Hand, »ich sollte Dir noch
’n großen Herzenswunsch von mir sa
gen — Du wolltest mir doch ’ne mäch
tige Puppe schenken -—- aber sieh’ vier
unszoanzia Bahn-s hab’ ich schon und
das ist am Eno’ genug --— aber nun
hab’ ich einen’Niesen1vunsch!«
»Hi, hi. das«tväre — nur zu, lieb’
Kerlchen!«
»Onlelchen —- Du mußt mit mir
verreisen, — Du mußt»
Onkel suhr bestürzt zurück. »Wer —
reisen?«
,,Ja,« —- sagte ich sebr energisch —
»zuerst mal in den Thüringer Wald —
bitte —- bitte, liebes Onlelchen —- und
dann nach Schottland, nnd dann so
Iveiter.«
»Kerrrlchen!«
»Onlelchen, hab’ keine Angst, ich be
schiitze Dicht«
»Mein Kerlchen, Du denkst Dir das
so leicht — ach Gott —- die vielen
Züge, das Hin und Her, die aroben
Schassner --s— nichts Ordentliches zu
essen -—«
»Ja mir sind Schassner immer sehr
nett, ich bin schon erster Klasse gefah
ren mit ’n Billett zweiter —-— und das
Essen packt uns Muttchen ein und
wenn’S alle ist, geh’n wir im Hotel
,,Taseltodt« essen«.
Onkel hatte noch viele Gegengriinde,
aber ich übertrumpste alle siegreich.
lAm andern Morgen wurde der Plan
den Eltern vorgelegt. Muttchen jam
merte auch noch etwas-, aber Vater ent
schied zuletzt: »Las3 sie reisen, Kerlchen
ist nicht so dumm, wie sie aussieht, sie
strieat den Onkel schon zurecht — na,
i---.L Und« n« Hei-J Ennanssnh Ists-J III-,
iriick, lassen wir sie ausllinaeln.«
«Phl)ts,k)!« sagte ich blos.
Donnerstag war’s, ein strahlend fon- "
niger Tan, ziemlich heis-» doch im Tini
ringerwald wiirde es ja schon kühl
werden. Mit Ermahnunaen »bis oben
hin« vollgepfropft, stand ich adschied
nehmend vor den Eltern. Der echt
thüringifche ,,;’5res2,tober«, oon Mutt
chens liebevoller Hand gepackt, stand
neben mir und lächelte mich an.
,,.5terlchen, daß Du immer bei On
kel bleibst«, schärfte Vater mir noch
ein, »zu Zweien trägt sich alles leich
ter.« -—— »Ja, Papa!« — »Und streck
nie die Zunge raus; wenn der Zug
’n Ruck gibt, beißt Du sie Dir ab·« —
,,tlnd tomin nicht unter die Wild
schiveine!« ermahnte Erich.
Endlich, endlich —- waren swir aus
demBahnnos. Begleitung hatte ich mir
strengstens verbeten, wir wollten von
Anfang an alles allein machen. Onkel
nahm die Fadrkarten. »Warum dast
Du dritter genommen?« fragte ich
naseriiinpfend, »ich fahre nie dritter«.
»Weil ich das Stehen in der Vierten
nicht lanae aushalten tann,« entgeg
nete Onkel, und ich schwieg etwas ver
blitsft.
»Na, macht nichts«, sagte ich und
wandte inich freundlich an den nächsten
Schaffner:
»Wollen Sie, bitte, meinen Onkel
und mich in die erste Klasse seyen?«
»Gewiß, gewsz.«·sagte er diensteif
rig, und riß ein Kupee auf, dessen rotde
Oammetpolstet uns freundlich einlu
den. Wir machtenes uns bequem.
»Kerlchen, mit Dir reist es sich
prachtvoll,« sagte Onkel Professor an
ertennend. Langsam sthe sich der Zug
in Bewegung und dann erschien der
Schassner wieder am Fenster und ver
langte unsere Fahrtarten. ·
Hub, wie veränderte sich plötzlich sein
freundliches Gesicht! »Sie haben ja
»Dritter«!« schrie er Onkel an. Weiter
raste der Zug. Onlels Entschuldigun
gen verschlang das Gerassel des Wa
gens, der Schafsner schimpste, ich auch;
tm zuletzt hörte ich nur noch: »Rose
weise Kröte, —- niichste Haltestelle —
raus — nachbezahlen.«
Und richtig — als der Zug hielt,
umstand uns gassendes, neugieriges
Publilnm, Onkel mußte tief in seine
Börse greifen, und dann wurden wir
in die dritte Klasse gestopft, wo schon
sechs Menschen drin war-en. sich trat
sofort einer Bauerfrau auf den Fuß,
was sie mit einem ärgerlichen: »Dum
me Schniegan5« quittirte, und als ich
mich nicht weiter entschuldigte, rief sie
den Mitreisenren zu: ,,Een eenziges
Hihnerauge hab ich man, un uss dies
eenzige muß sich das Knettelchen ben
bratsche«. Oh, wie sie alle lachten, die
entsetzlichen Menschen! Onkel Profes
sor schien schon ganz hinfällig zu sein,
seine Nachbarin führte einen Steintops
Thüringer Käse mit sich. »Wenn Sie’s
nich paßt, stecken Sie’n Kopp zum Fen
ster nauå,« jagte sie zu Onkel, »nur
nich so de Nase gerimpst, als ob Sie
der Ferscht von Rudolstaot wären.«
Jch streichelte liebevoll Onlelchens
Rockiirn:el. »Es wird schon noch besser
werden. in Weimar steige-n wir um,«
tröstete ich ihn leise, und er lächelte mir
dankbar zu.
»Siation Weimar!« Oh, das Ge
dränge auf demBabnhosel »Halte Dich
nur an meinem Kleide fest,« ries ich
Ontel zu, was die Umstehenden wieder
zu lautem Lachen veranlaßte. Wir
steuerten nun der anderen Seite des
Bahnhoses zu, wo der Zug nachGösch
witz stehen sollte. Aus einmal riß sich
Onkel von mir los und lief auf einen
großen Herrn zu, der mit einem
Dienstmann verhandelte »Himmsel,
da ist ja mein Freund Miiller!« rief er.
,,Miiller, Mücken altes Hans-S« Er
umarmte den groszen Herren, der dar
über sehr unwirsch schiene.
,,.Kerlchen, laus einstweilen nach dem
Znae und beleae «;Blät3e,« rief mir On
kel zu, »ich komme gleich, wir haben
20 Minuten Zeit.«
So ging ich denn mit der großen
Menge und kam mir sehr wichtig vor.
Jch stiea in ein Kupee das die Auf
fchrift »Frauen« trug; eH erhöhte mein
Selbstbewußtsein, hUte mal als
»Frau« zu gelten. Zwei alte Damen
saßen drin, die Eine half mir sehr lieb
reich, während mich die Andere miß
trauisch ansah. »Wo willst Du sdenn
hin?« fragte ste, »Nati) dem Thüringer «
Wald. « — »Auf wie lange?« — »Drei
Tage « —- »Jst das alles-, was Du bei
Dir haft?« fragte sie und zeigte aus
das »Futterkörbchen« »Mir noch n
anel«, gab ich zur Antwort, »ich muß
auf ihn auspassen, aber er spricht noch
mit Dem alten Müller.« —- Die eine
Dame lächelte, die andere schrie aber’
gleich: »Ein Mann?
ins Damenkupeei«—
wird Jhnen schon gefallen«, tröstete
ich, »der ist so sanft uno erzählt schöne
Räubergeschichten « —- »Nichts oa!«
rief mein Gegenüber-, ,,gl-eich steiast Du .
Jch wollte i
in einen andern Wagenc
schon die Zunge herausstrecken, behielt
sie aber, Vaters Ermahnunan einge
denk, lieber im Munde und dann kam
der Schafsner und schloß die Thiir
»Hier kommt aber noch n Onkel rein«
rief ich ihm zu.-— »Dann mufz er sich
beeilen, der Zug geht gleich ab « —
»Jch will ihn lieber holen«, saate ich,
und kletterte mit Hilfe ver netten Da
me ans dem Kutten
Ein Mann hier «
—».lch, Onkel -
Weit und breit tein Onkel zu sehen;
ich lief denselben Weg, den ich vorhin
gegangen, wieder zurück — hui, da
pfiff mein Zug, auch schon und fuhr
schnöde davon. »Mein Kober, mein
Kober!« schrie ich und ftiirite dem Zug
nach, aber er entschwand schnell aenuki
meinen Blicken. Jch staindfte mit nein
Fuß auf und rief abwechselnd nach
Onkel und dem ,,Fiober«, dann lief ich
nach dem Bahnhofsgehiiude und stiirm
in den Wartesaal· Da --— saf; mein
Onkel so recht behaglich, sein Notiz«
buch vor sich, in das er Einieichnnnaen
machte, und mit seinem zerstreutesten
Läkheln blickte er aus, als ich ihn an
rie .
»Sieh, sieh, das Kerlchen,« sagte er
ruhig, »ja wo kommst Du denn der's«
»anel — aber Onkel —- der Zug
Lst weg — unser Zug und der »Ro
er«.«
»Was sprichst Du da?« sagte Onkel,
— er war augenblicklich mit seinen
Gedanken weit, weit weg, »sieh mal
Kerlchen, ich muß mir da noch schnell
ein paar Notizen machen, —- behauptet
da dieser Mensch, der Professor Mül
ler: Thüringen sei, nachdem es im 5.
Jahrhundert Königreich gewesen, im
mer von Herzögen verwaltet worden,
während es doch feststeht, dafz es seit
Pipins Zeiten unter Grafen stand und
erst 849 wieder-J
»Ach laß doch die dummen Herzöge
und Grafen«, rief ich, »der Zug ist
weg und all unser schönes Essen sitzt
drin!" Onkel faßte nach seiner Stirn
»Ach so —- hm, fa —« sagte er, und
steckte seufzend sein Notizbuch ein —,
»ja was machen wir denn da?"
»Gebt noch ein Zug ganz schnell nach
Rudolstadt?« fragte ich eine freund
liche dicke Frau, die am Biiffet stand.
»denn Abend um halb 6,« war die
niederschmetternde Antwort, »aber die
herrschaften können sich ia Weimar
ansehene Schillern und Gethen un de
Ferschtengrust«. Damit verschwand
sie. ,,Ontel, ich habe furchtbaren Hun
«er«, sagte ich. »Ei, ei, lieb Kerlchen,
i nur, iß«, sagte Ontel und zeigte
auf das Büsfet, das mit einladenden
winzig kleinen Brödchen bestellt war;
und ich ließ mir’s nicht zweimal sagen,
ich nahm eines nach dem anderen her
unter und wurde immer hungriger, je
mehr ich beriilgte. Onkel Professvk
nahm wieder sein Rotizbuch vor Und
cergasz mich vollständig
Die feinen Cadiar- und Mich-sera
chen machten mich aber auch tüchtig
Durstig, und da halfen die biibfchen
Flaschen aus, die neben zierlichen,
kleinen Gläschen standen; ich probirte
eine nach der anderen, o wie stark und
iiiß war der Wein, mancher brannte
aber wie Feuer. Mir wurde plötzlich
sonderbar zu Muthe. Eine ungeheure
Lustigkeit erfaßte mich, ich sprang in
dem leeren Wartesaal über Tische und
Stühle, bis die freundliche Frau Wir
tbin erschien und sich sebr unfreundlich
den »Schkandal« berbat. Onkel Pro
fessor schrieb und schrieb .
Mit einem Mal schrie die Wirtbin
laut auf. »Was ist denn das?« Sie
zeigte auf das bedenklich leere Biiffet
und auf die angebrochenen Flaschen.
»D——D-—Das—ha——ba——
habe —- i i ich —- ge — gessen«, stot
terte ich, denn mir war die Zunge
plötzlich soschwerunddieWirthin konnte
ich gar nicht genau erkennen, die
schwankte so und sal) aus wie zwei
Wirthinnen.
»Herr Du meine Gitel« brach sie
nun los und stellte sich vor meinen Onk
tel hin, ,,wie kann mer änn nur so a
Kind ohne Aufsicht lasse? Alle die
Bredchen hat's neingeleiert; fufzehn
war’ns mindestens, und en Schwips
hats auch von die vielen Schniipse;
gleich gehste har Du Unglückswurm!«
zub mehrte mich unter ihren derben
Händen. »Ich will nach Hause,« rief
ich, »oh, ich will nach Hause! Onkel,
ich muß gewiß sterben, oh, wie schlecht
ist mir!«
. Onkel sah mich ganz kläglich an.
»Werde rnir blos nicht krank, lieb
Kerlchen«, sagte er zärtlich und strei
chelte mein blasses, kaltes Gesicht; dann
bezahlte er in Bausch und Bogen 15
Butterbrote und sieben Liguöre und
brachte mich an die frische Luft. Hier
wurde es mir aber nicht besser; glü
hend heiß brannte die Julisonne auf
uns- nieder, die Häuser tanzten aus
und ab; ich klammerte mich an Onkel.
,,Ftomm, wir gehen wieder auf den
Bsahnsteig«, sagte er liebreich, »da weht
eine schöne Zuglust, da wird Dir schon
besser werden«
Nun wanderten wir auf dem men
schenleeren Gange aus und ab und ge
nossen abwechselnd Juligluth und
Zugliift. »Sieh mal Kerlchen«, sagte
Onkel plötzlich, »da steht ja unser Zug »
nach Göschwitz schon; geht er auch erst
heute Abend -ab, so könnten wir uns
doch geiniithlich hineinsetzem eine Lo
komotive ist auch noch nicht davor,
passiren lann uns also nichts.« Jchz
ließ mich willig nach dem Zuge schlep- .
pen, ich fiihlte mich so krank, so müde
und zerschlagen. »Das giebt sich al
les,« sagte Onkel Professor, »las; uns
nur erst in Rudolstaot sein —- ob das
schöne, schöne Schloß, die Heidens
burg, die wird dem Kerlchen gefallen
— und Volkstedt mit seinen Porzellan- :
fabriten und oem Haufe, wo unser
i
i
Schiller so viel Schönes schuf-s«
Ach ja, ich freute mich schon recht auf
die Weiterreise, mir wurde schon woh
ler zu Muthe als ich im Kupee saß,
mit den Gedanken an die kühlen Tan
nenwälder. Hier war ja die Hitze schier
erdriickend —- Ontel zog sorglich die
dunklen Vorhänge vor das Fenster,
nun war es so oämmerig im stillen
kleinen-Raum. Onkels sanfte Stimme
erzählte so schön —- Gott sei Dant,
nun wurde ja auch die Lolornotioe vor ;
den Zug gespannt und tein böser
Schassner störte unsere herrliche Fahrt.
——--—--...»..--—.—-—.—-.—...—
Hei, wie der Zug durch Thüringens
liebliche Gefilde jagte, toir waren ja
wie der Blitz in Göschivitz und die
Wartezeit dort verging wie im Ftuge
beim Anschauen der uralten Lobesa
burg. Das Umsteigen in den Rudol
städter Zug ging so glatt von statten,
der freundliche, liebe Echassner setzte
uns obne weiteres in die erste Klasse,
und ich muscbelte mich so recht being
lich in die weichen SaurmeipolsteL Ach
und wie schön war dann später Rudol
stadt mit seinem Anger nnd dem grü
;nen «Dainrn«, wie prachtooll schmeck
; ten die Rostbratioiirste, und wie staun
t te ich die Heideclgbnrg an. Meine Be
lwunderung gesiel auch dem Fürsten
Günther so gut, sonst hätte er doch dem
lOnkel und mir nicht seine herrliche
Equipage zur Verfügung gestellt, mit
den reich gekleideten Dienern darauf,
und den vier toblschxvarzen Rappen.
die irr Silbergeschirr gingen. Und mit
diesen Rappen fuhren wir nach
Schwarzburg und im sausenden Ga
lopp den Trippstein hinauf, daß wir
beinahe aus dem Wagen gepurzelt wä
ren. Nun erst hielten die feurigen
Rosse, und da lag es vor uns im Som
mersonnenschein, Schwarzburg, die
Perle Thüringens. Ganz im An
schauen versunken standen wir da,
aber —- bui, da brach es hervor aus
dem Unterbolz, unaufhaltsam, ein
Rudel Wildschweine, borstig und
schrecklich, sauste an uns vorüber, und
huit hatte sich das alte Onkelchen aus
das größte geschwungen und galan
pirte mit ihm davon. Jch ertvischte
gerade non-· das letzte, aber cis jagte
wie der B««.e mit mir durch den Wald
und stieß'entsetzliche Töne aus, hui,
wie es grunzte und schnarchte. »Ou
kel«, schrie ich, ,,Onke"l!« Bums, rann
ten wir gegen einen mächtigen Baum
W
stamm, ich war ganz betäubt, rieb mir
dgslugem —- was war das? Wo war
l e
Jn einem dämmerigen, fast dunklen
Raume lag ich auf dem Boden und
neben mir saß Onkel Professor und
schlief und schnarchte.
»Oui« wach aufs-, rief is; ängstlich·
»Onkel, wir sind aar nicht im Thürin
ger Wald — oh, lieber Onkel, wo sind
wir?« :
Erst murmelt-e er etwas tlnverständ- ,
lich«:s, reckte sich, dehnte ficht »Kerrrrl- z
chen, was schreist Du?« fragte er gäh
nend. i
»Lnkelchen, es ist Alles so sonder
bar, -—— wo find wir nur?«
Onkel erhob sich fchwerfällia und ta
stete nach dein Fenster, ressen Vor
hänge er zurückfchob. Etwas heller
wurde es in dem Raum, aber dämme
rig blieb es trotzdem.
«Merkwiirdig, merktviirdig", sagte
Onkel kopfschüttelnd Und ich kletterte
auf die Bank und schaute über feine
Schulter durch das Fenster. Da war
ein mächtiger Raum, durch den lauter
Schienen liefen und viele Eisenbahn
tvagen standen darin.
»Ach, Onkelchen, liebes Onkelchen,
wo sind wir?«
Onkel fah nach feiner Uhr und schüt
telte wieder den Kopf. Dann öffnete
er mit Mühe die Thitr —- unseres Ku
pees —- und wir kletterten hinaus.
Wir befanden uns in einem großen
Eisenbahnschuppen. durch hohe Glas
fenstier fiel mattes Licht in den Raum.
,,Onkelchsen, ach Onkelchen!«
Wir faßten Uns wie zwei bange
Kinder an den Händen und stolperten
über die Schienen nach der hohen
Pforte. Sie war verschlossen. Und
nun erhoben wir gemeinsam unser-e
Stimme: »Leute, Leute, kommt!
Helft Unst«
Gan-i Apis-n- nnnm mir fifmn im Ya
—
men Schritte und ein rasselnder
Schlüsselbund kündete Erlösung. »Alle
guten Geister loben Got den Herrn«,
ries das kleine Männchen, welch-es uns
öffnete; »ne, da hört doch alles usi,
machen Se geene Sachen, da gann
eener ja de »Grebibse« kriegen, wo
gommen Se än här?«
Fragen und Antworten flogen hin
und her-die Thatsache blieb bestehen.
Wir waren in einen Rangirzug gestie
gen und gestern Mittag einfach in den
Schuppen geschoben worden« worin wir
bis jetzt geschlafen hatten, —- drei Uhr
Morgen war es!
Onkel nahm plötzlich sehr energisch
seine Börse aus der Tasche und drückte
dann dem Manne einen blanken Tha
ler in die Hand. »Reden Sie nicht
weiter drüber, lieber Mann, —- schon
gut, schon gut, —- man muß auch so
was durchgemacht haben — Studien
halber —- adieu!«
»Kerlchen!«
»Onkelchen ?»«
,,Ker1chen, wär’ es nicht besser-, —
wir — wir führen wieder nach Hauses
Mir ist —- gar nicht wohl —«.
»Wie Du meinst. Onkelchen!«
»Und nicht wahr. Kerlchen — wozu
da unniitz driiber schwatzen —«
»Ontelchen, ich sage keiner Katze
-«
Was-.
Um die Friihstiickszeit kamen wir zu
Hause an. Papa, Muttchen und Erich
fielen beinahe auf den Rücken.
»Warum seid Ihr nicht länger ge
blieben?«
»Es —, es, —- es war zu heiß,
Papa!«
,,«a, lieber Schlieoen, es war zu
heiß!«
»Na, habt Jhr Euch denn veraniiat
gemacht?« , ..
Riosin N.1ha!«
«Riesig, lieber Zchlieben!«
»Wie weit seid Ihr Denn gekom
rrien?«
,,Bis ——— ob —- bis —- bis —— —«
»Seid Ihr komischc Leute! So
sprecht doch! Hast Du dsenn werth
stens Will-schwebte gesehen, Fierlcl)en3«
»’ne Masse, Papa, ’ne Llltasse.«
Papa lachte laut und anbaltenb.
»Nu, Kinder, etwas- ist faul im Staate
Dänemark, die Tblirinqerwalopartie
hat Euch sehr artqeqriffVM Dorette
machen Eie mal schnell »ein warmes
Frühstück zurecht, für unsere ,,k)ohen
Reiscnbcn!«
——---——--·-.-————·
Aunkxionsswclüsth
Ef« «
»Dürfie ich wohl Jhr Schirmhcrr
werden?«
,,,,Aber Sie sehen doch, daß ich schon
unter fremdem Protectorate stehe —
das wäre ja dreifache Controlle!««
Ein Stoiken
Fräulein: »So, Sie wollen gar
nicht heirathen?« — Herr: »Nein,
Fräulein, ich schwärme für den ewigen
Frieden!«
—h
Eine Wundertat
Allen an Lähmungserscheinnns
gen Leidenden empfehle ich meine
neue suggestive Heilmethode, sdurä
die bereits Hunderte den Gebrau
ihrer Gliedmaßen wiedererlangten.
G. Tripp t e, Naturarzt und
Hypnotiseur.
Auf dieses vielversprechende, in ’
Berliner Blättern erscheinende Inse
rat meldete sich eines Tages bei dem
Wunderdottor Trippte ein baumlan
ger Mensch von herkulis m Körper
bau. Der Patient erzähte, er habe
vor einigen Tagen in einem Restau
rant der Hasenheide dem Tanzvergnii
gen gehuldidt und sei mit einigen—
Gästen, die ihm die Gunst einer hüb
schen Köchin mißgönnten, in eine
Schlägerei gerathen. Bei dem sich nun
entspinnenden Eifersuchts - Diama,
das mit Bierseideln und Stühlen zu
Ende gespielt wurde, habe er endlich
das Seinige gethan, müsse sich wohl
aber etwas übernommen haben, denn
seitdem könne er den rechten Arm nicht
mehr in die Höhe heben.
Der Wunderdoltor erklärte sofort,
das sei gar nicht schlimm. Er habe
durch seine berüht te Suggestions
methode schon in vie schwerer-en Fäl
len sofortige Heilung erzielt. Und in
der That war die Wirkung seiner Kur
diesmal eine so schlagende, daß die
Angelegenheit sogar noch ein Nachspiel
vor Gericht hatte.
Der damalige Patient des Wunder
doltors erscheint in der Person des·
Biertutschers Karl Mantel unter der
Anklage der Bedrohung und Miß
handlung vor dem Schöffengericht.
Vors.: Es wird Ihnen zur Last
gelegt, am 7. April d. J. den Natur
arzt Trippte unter der Androhung,
ihn niederzuschlagen, durch einen hef
tigen Schlag in’s Gesicht körperlich
mißhandelt zu haben, so daß Trippke
etwa eine Woche lang mit einer ent
Ilcucllukll Geschwulst uryuslcr »du-»
Was haben Sie auf die Anklage zu
erwidern?
Der Angeklagte erzählt nun, wie er
auf das Juserat des Trippke diesen
ronsultirt habe, und schildert den Ver
lauf der Heilsitzung, deren schlagend-er
Erfolg selbst die Erwartungen des
Wundermannes übertraf, wie folgt:
»Sie können also den rechten Arm
nich bewejen," sagte Herr Trippke.
..Det kurir icl Ihnen aus-m Handje
lenk; blos missen Sie Vertrauen zu
mir haben. Nehmen Sie mal in die
sem Sessel Platz, verhalten Sie sich
janz ruhig und kieken Sie mir dabei
fortwährend in’t Ooje.«
Natierlirh war ick mächtig neijierig
und setzte mir janz mäuschenftill hin,
indem ick den Kurpfuscher scharf an
tieke. Nachdem er mir durch Blicke und
allerhand Jeberden in den jewinschten
Zustand versetzt hat, fängt er dann
los mit de Willenssujeftion.
»Sind Sie Soldat jewesen?«
»Jawoll, bei die Maikäfer. Det is
aber schon fimf Jahr her.«
»Und Sie waren einer von die
Stärtsten in die Compajnie?«
»Stimmt. Jck jlobe jar, Sie ken
nen mir?«
·,,Na, icl war doch Jhr Unteroffi
zier!«
»Wat Sie fajen? Js et denn men
schenmöjlich. Ja, nu kommen Sie mir
ooch bekannt dor.« Jck jlodte näm
lich wirklich, er wäre et, wat wohl
von die Sujeftion herkam.
»Sehen Sie, ick habe Ihnen doch
die ersten Jriffe und Bewejungen bet
jebrath Von mir haben Sie sojar
det Jehen jelernt; die Mutter hat et
Ihnen falsch jelernt. So wat verjifzt
man nich so leicht. ,W.ir wollen jleich . .
mal fehen.« Dadruff brillt er mit
Donnerstimme: »Rechtet Bein hebt!
So schön! — Linket Bein hebt! Jut!
« Linken Arm hebt! Bravo! — Rech
ten Arm hebt! — Aber Sie heben ja
wieder det rechte Bein?«-—»Stimmt,«
saje ick, »den rechten Arm kann ick
doch nich heb-Ink« -— »Rechten Arm
heb:!« schreit er mir wieder an. —
x——- .-:.c-I«
«(1LU«UI lu- Illus.
Nu brillt er mir so fimf bis sieb
zrhnmale janz laut in De Ohren:
»sttechten Arm hebt!«, et jing aber
heim besten Willen nich. »Dann kann
ick Ihnen freilich im Oojenblick nich
helfen,« bemerkt er znjuterietzt. »Die
jnte Wirkung kommt hoffentlich nach.
For meine amtlichen Bemühungen be
komme ick ZU Mark. Darf ict bit
ten?«
»Wat, Sie nnoerfchämter Kerl, 20
Mark? Warten Sie mal. Sie ollet
jämmerliche-; Jestelle von -Quacksalber.
Jck schmier Ihnen jleich Erne, bat Sie
lang hinschlajen!«
Weis-, der Henker, wie et zujing, ick
konnte wirklich meinen rechten Arm
wieder heben nno habe ihm damit
Gene verionnken, die Otto Vellmann
hiesi.
Obwohl der als Zeuge oernommene
Wunderboktor versichert, der Ange
klagte abe ihn todtschlagen wollen,
nimmt as Gericht nur die Mißhand
lnng siir erwiesen an und erkennt
gegen Mankel auf 20 Mark Geld
strafe. -
WH—
Das genügt.
» A.: »Ich wüßte gar nicht, daß Sie
» meine Frau kennen.« — B.: »O doch,
sehr genau!« — A.: Woher denn? Ha
ben Sie sie vorher gesehen?« — B.:
»Das nicht, aber wir haben ein Dienst
mädchen, das früher bei Jhnen war.««
Glosse.
Wenn Wohlthuri wirklich Zinsen
trägt, wie wenig Zinsen hat dann ein
——Zakfnarzt zu erhoffen.