Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, September 05, 1902, Sonntags-Blatt, Image 10

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Roman von Paul Lskat Höcker
zhlsxssskotzs · wo
Ists-Essigle cis s Its OsOYJI Otpissssssststpss F-. IUPZEIHILLIYikaEHU
»Im-s III-ZE- I-· i Hifgjfs s s sit-usw- stxcks o s o «qu uqu 010132 f.
c. stossws s Its
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Ersteskavitei vvvvvvv
Der blonbe Obertellner des Hotels
Stsgli in Neßlingen trug die Nase
heute womöglich noch höher als sonst;
denn vie proyig und meitauslaaend
auf der Paßhöhe ves walvreichen
Scharfenbergs stehende mächtige Frem
denlaferne war bis auf das letzte Hin
tersiiibchen unterm Dache mit einem
eleganten Pasiantenpuvlirum besetzt.
Die Schulferien hatten erst vor we
nigen Tagen begonnen. Dem recht
kühlen Mai und regenreichen Juni war
eine drückend heiße Sommerperiodse ge
folgt. Der Auszug der Städter aus
der plötzlich ganz unerträglich gewor
denen Häufetenge in vie freie Natur
glich nun einer wahren Flucht. Für
Neßlingen versprach die anbrechenv
Saifon die beste zu werden, die das
ehevem fo stille, fast vergessene, erst
durch den vornehmen Hotelbau in mei
teren Kreisen bekannt gewordene
;Schwar walddorf in ven sechs Jahren
seines Festean überhaupt zu verzeich
nen ehöbt hatte.
’ Die oft von der Bahnftativn Gön
gingen war heute zweimal mit je vier
Beiwagen eingetroffen — und noch
fortgesetzt langten neue Passagiere an.
Der Portier des Hotels Stäin und
die Hausknechte fchrvitzten von der An
strengung des Kofferfchleppen5, die
Kellner. Viert-los und Stubenmädchen
flogen treppauf, trevpaln Bloß George
der Oberkellner. verlor feine blasirte
Ruhe nicht, legte den Aufnahmefuchen
den gegenüber vielmehr eine laws
rniiißge Eleganz und Würde an den
Jag. Er holte immer« wieder «ven
Zimmerpian vor, ver mit unzahiigen
Bleistiftnotizen ovllgekritzelt war, und
berauerre achselzucken«d, auch nicht ein
mal mehr die kleinste Babetabine frei
zu haben, in der man fiir diese sacht
noch ein Bett ausstellen könnte; sogar
der Nauchsalon und einige Gesinde
zimmer seien schon für Fremde einge
räumt. :
Eine semmelblonde, nicht allzu
schmucke und bereits ziemlich »mittel
alterliche« Misz —- daß sie eine Eng
länderin war, oerrieth außer der brei
ten Art ihres gebrochenen Deutsch auch
sofort der entschieden zu kurz gerathene
Touristenrock —- hatte trotz des lebhaf
ten Protestes von seiten Georges ihr
sämmtliches Gepäck aus dem Breat
herausladen lassen, in dem sie mit einer
jüngeren Dame eingetroffen war. Sie
setzte sich mitten im Vestibiil aus einen
ihrer mächtigen Leterkoffer und er
klärte. sie weiche nicht von der Stelle
»Aber liebste Eveline,« suchte ihre
ldeutsche Reisegefähriin, ein-e zarte,
seingliedrige svmvathische Erscheinung
die aufgeregte Misz zu beschwichtigen
»wenn der Mann hier doch versichert
daß kein Platz mehr vorhanden ist und
man uns nicht mehr unterbringen
kann . . «
»Ich haben telegraphirt —- ich uill
sein gebracht unter,« radebrechte die
Englänverin, »sonst ich schreiben an
Bödecker und machen ein Beschwerde!«
Der Oberkellner tramte in einem
Stoß Depefchen, Briese und Positur
ten. »Bedaure unendlich, meine Gus
dige, wenn Ihnen ein abschliigiger Be
scheid nicht mehr rechtzeitig zugegangen
ist — aber Sie hatten gewiß keine ge
naue Adresse angegeben-« Er zog eines
der Formulare hervor. »Miß Eveline
Holstom Fräulein Martha Spener,
Karlsruhe, zwei Zimmer erste Etage,
vorn heraus-« — das war wohl Ihre
Depesche. Ja, meine Damen, als die
einging, war sogar schon die Mehrzahl
der Hinterstiibchen vergeben.«
Der Hoteliere kam ein Ausweg.
Niollsikbs .«-i-H’ä im Gifte-Maus nmä
Platz. Die alte Frau Brate wird ei
nem gewiß einmal einen Gefallen
thun.«
Fräulein Martha Spener war die
Tochter eines höheren badischenStaats
mannes, der vor einigen Jahren seiner
frühoerstorbenen Gattin, der Trägerin
eines alten Adelsnamens, im Tode ge
folgt war. Seitdem führte die junge
Dame einen stillen hausftand mit
ihrem nur um wenige Jahre älteren
Bruder. Justus Spener war künst
lerifch äußerst talentirt; er war Bild
hauer geworden; eine Löwengruppe im
Schloßgarien zu Karlsruhe hatte fei
nen jungen Ruhm begründet. Ein
schwerer Schicksalsschlag —- Juftuö
hatte vorige Weihnachten auf tragische
Weise fein-: Braut verloren —- hatte
den junaen Künstler dann veranlaßt
feinem Atelier den Rücken zu tehren
und Zerstreuung auf Reisen zu suchen.
Während er sich mit seinem Schwager
zusammen auf einer Studienfahrt be
fand, hatte feine Schwester, um sieh
nicht ganz verwaist zu fühlen, die Ena
Muderin als Gesellschafterin und Leh
rerin n sich ins Haus genommen
it das ein wunderliches hausi«
tief Fraulein Speer-er überrascht, als
sie seit der Dotelrvitthin zu der am
Eingang der Dorfftraße gelegenen
scheue gelangten deren hölzerner
ich-Im in einer Unmenge hols
fånisereien verziert war.
die Messen-er Schule ist fast
eine Sehen-DIE it geworden Der
von- etim weiser hat di
«» ist Bis sei-Mut
"· die m sdn da e
Alles noch oiel besser expliziren!" sagte
sie, auf den Hauseingang sit-schreitend
Ein bescheiden getleidetes Mütter
chen, etwas verwachsen, aber nrit klu
gen, gütigen Augen und freundlichem
Antlitz, war un Hausslur erschienen.
Die Hotelwirthin brachte ihr An
liegen vor, aus die beiden Damen wei
send, die noch immer vor dem Hause
aus der Dorfstrasze hielten.
»Besten bade ich selbst noch,« wars
die Hotelwirtbin ein, ,.bloß der Platz
mangelt. Und wenn Sie mir nur ein
Zimmerchen abgeben könnten . . .« ,
»Ei gewiß, wird gemacht, wird ge
macht. Wir nehmen die zweite Gie
belstube —- das Zimmer vorn Johan
nes, sein Atelier. Mein Sohn schläft
dann im ersten Stock, bei seinem Kol
legen auf dem Kanaper. Freilich,
meine Damen. hübsch heiß wird's da
oben sein. Wenn die Sonne so den
lieben langen Tag auf den Holzgiebel
heruntergebrannt bat, dann ists bis
weilen noch urn Mitternacht wie in
einem Backosen. sagt mein Junge. Na.
aber ein Schelm, der mehr giebt, als
er hat«
, Sie setzte sich sofort in Bewegung,
unt die beiden Gäste auf der tnarrens
den Holztreppe zum zweiten Stockwerk
emvorzutiibren.
·Martha Spener sand den ganzen
Zuschnitt dieses Hauses überaus ort
ginell.
»Und was für einen Wandschmucl
wir hier haben!« sagte sie, in dem
»Atelier« angekommen, sich mit leb
bastern Interesse umschauend. »Das
ist ja ganz außerordentlich. All« das
bat Jer Herr Sohn gearbeitet? Und
auf der Gewerbeschule?«
Die Lehrerswittwe seufzte. »Aus der
Schule nicht, nein. Das ist eine Be
stellung siir eine Kunstrnijdeltabrit
Da —- die Aussatzstiicke zum Beispiel
.- Imd di- Erlebnisses tin-d Dis
Bands-retten Er hat’å in seiner freien
Zeit aearbeitet. Das Gela dazu soll’s
ihm ermöglichen, daß er jetzt noch Fu
einem Künstler in die Lehre geht, um
so noch den letzten Schliff zu betont
men. Ja, wenn ich’s so hätte. wie
ich’s möchte... Nun, der Mensch soll
nie unzufrieden fein!«
Martha hielt vor dem Tisch am
Fenster inne, auf dem ein in der Arbeit
begriffenes Wert stand: ein mächtiges
Uhraehöuse, den Straßburger Mün
ster darstellend. »Nein, das dürfen
Sie wahrhaftig nicht. Jch weiß nicht
soll ich mehr die Erfindungsgabe das
Kompositionstalent Ihre-J Sohnes be
wundern,. over den unerhörten Fleis-»
von dem seine Arbeiten da zeugen. Das
fasse ich ja gar nicht, daß ein einzel
»ner Mensch in einem« jungen Leben
mit seiner Hände Arbeit aus dem sprö
den Material eine solche Summe von
ftaunenswerthen Künstlerwerken schaf
fen tann.«
Johannes Brote war in Allem so
ziemlich das Gegentheil seiner Mutter
—- nUr deren dunkle, große, kluge Au
gen besaß er. Er trug ein tutzes,
modisches Wörtchen, sein kaftanien
braunes volles haar war leicht ge
wellt, eine etwas widerspänstige Locke
hing ihm in die Stirn, die er —viel
leicht eine Verlegenheitsbewegung —
immer wieder zurückstrich, während er
sprach.
»Ich stehe ja erst am Anfang mei
ner Laufbahn, gnädiges Fräulein,«
sagte er, gerade in das Zimmer eintre
tend, aäs das so offen gespendete Lob
von M tba’s Linden fiel. Jlnd je
mehr ich uelernt halt-» desto mehr hat-«
ich eingesehen, dan ich noch herzlich
wenia kann und noch viel, ach, sehr diei
zu lernen und zu erringen habe.«
Tie offene, bescheidene Art dies jun-—
aen Künstlers gefiel Martha beim
ersten Blick und wie eine Ahnung über
larn es sie, daß ihr Lebensweg einst
den seinigen treu-ten würde .....
Das Leben und Treiben in dein
start frequentirten Neßlingen war
äußerst munter. Die jungen Leute
trieben viel Sport, spielten Lawnten
nis, machten Ausfahrten, Fußmiirsche,
und Mariha betheiligte sich an vielen
solchen Unternehmungen
Ebensoviel Zeit verlebte sie aber im
Hause des Ortöschulzen Bräntsch, viel
mehr in dessen Garten, in dem sieh bei
gutem Wetter die Lehrergwitiwe uno
ihr Sohn aufzuhalten pflegten, Frau
Brake mit wirthschastlichen Dingen,
Johannes mit einem Modell beschäf
tigt, an dessen Fertigstellung er mit
fröhlich-»in Eifer arbeitete.
Aber seltsam —- berichtete sie in
ihren Brieer an den Bruder harmlos
und getreulich, wie in einein Tages-ach
über Alles, was sie sonst trieb, mit
wem sie zusammentraf, was für Un-.
terhaitungen man vernahm, — über«
die Person dieses jungen Künstlers
und die wahrhaft innige Freundschaft,
die sich zwischen ihnen mit der Zeit
anbahnte. verlor sie kaum ein Wort
Dabei war den Meisten, namentlich
den im hotet wohnenden Damen —
Fraven haben sär solche Wahrneh
ieum einen besonders gessen Blick
—- igxswachsendei Interesse sie den
Fesseln Mann natürlich Jst-Jst Hasse
q e · «- s .
Und je weiter der Saat-er vor
M M feste Ists-Das IM
schattsbsnrsnisz zwischen den beiden
jungen Menschen zu werden.
Wenn Johannes nicht arbeitete. iso
saßen ße vlaudernd in der Seiiblatks
laube kilarnmern die sich un Griechen
des Ortsschulzen befand.
Seht oft blieben sie allein.
Und in solchen Stunden erzählte
Martha dem Freunde manchmal auch
Näheres über ihre Kindheit, ihr El
ternhaus, über das herzliche geschwi
sterliche Verhältnisz, dsas zwischen ihr
und ihrem Bruder Justus bestand
Eine aualvolle Bangigkeit beschlich
sie. Sie mußte an die Braut ihres
Bruders denken. Sonia Wassiliew
war auf der Fahrt von Genf nach
Karlsruhe, wo der aus Nußlanv ein
getroffene Dr. Gabriel Wassiliew sie
bereits erwartete, um die Eintiiuse fiir
die Aussteuer zu kegeln, bei einem
schrecklichen Eisenbahnungliick in der
Nähe von Bein elend um’s Leben ge
kommen. Jn fröhlicher Stimmung
hatte man ihrer Ankunft geharrt, da
traf die Depesche grausigen Inhalts
ern.
Wenn sie dieser traurigen Epoche
Erwähnung that, dann gerieth ihre
Stimme immer ins Schwanken —- und
ven Namen von Sonjas Bruder thes
selben, der gegenwärtig Justus Bru
der auf seiner großen Reise begleitete)
oermochte sie nicht zu nennen. ohne daß
nicht ein gewisses Zittern ihre Gestalt
überlief.
Johannes fragte sie einmal frei
miithig, was es damit fiir eine Be
wandtnis habe.
Es kostete Martha sichtliche Ueber
windung, darüber zu sprechen. Aber
sie schwang sich schließlich doch zu einer
ebenso ogfenen Erklärung
Sie atte Gabriel Waisiliew, sden
Bruder Sonias. erst vierzehn Taae
vor dem qrausigen Ende seiner Schwe
ster kennen gelernt. Er war ein ernster,
oiisterer, grüblerischer Mensch wie die
schöne Sonfa, und ehrgeizig wie diese.
Sonja hatte den Bruder, ver die Urst
liche Praxis seines Vaters in Moslau
mich helf-n Inn niifaenomrnen hatte.
verlassen, um als eine der ersten Schü
lerinnen das Mädchengymnasium in
Karlsruhe zu besuchen. Trotzdem sie
sich während dieser Zeit mit dem
schwärmerisch sie lieben:en jungen
Bildhauer verlobte, bestand sie darauf.
noch einige Semester studiren zu dür
fen. Juftus war ja selbst noch seh-.
jung und eigentlich zu uns·elbstständia.
um schon einen hausstand zu münden
So gab er denn schließlich nach. und
Sonja bezog die Genser Universität
Auf der Herreise zur Hochzeit war sie
dann das Opfer der Eisenbahnlata
ftrophe geworden. Justus hatte sich
oon dem Schlag nicht wieder erholt.
Es kam hinzu, daß der düster veran
lagte Gabriel Wassiliew von Stunb
an einen machtiaen Einfluß aus den
jungen Bildhauer ausübte, ihn mehr
und mehr seinem lünstlerischen Beruf
entzog und ihn fiir seine vom russi
schien Pessimismus beeinflußten Phit o
sodhie n zu interessiren wußte.
»Justu5 hat seit dem Tage, an dem
das Unglück geschehen ist sein Atelier
n: cht wieder betret«:n,'« faate Martha
seufzend. »Sein schönes Talent liest
brach. Und ich fürchte, daß das mo
natelange Beisammensein mit Gabriel
auf seinen zerriitteten Gemüthszustand
nicht heilend einwirlen wird. Was-fil
jetv ist selbst so ein unbestimmter, da
bei sensibler Mensch.
Seine schöngehenve Praxis in Mos
kau hat er aanz ausgegeben. Er ist
sehr klug, strebt großen Zielen nach,
arbeitet an einem medizinisch- philoso
phischen Werk, von dem Justus be
hauptet, baß es noch einmal Epoche
machen werd-. Dennoch kann ich das
Gefühl nicht los werden: seine unglück
liche, selbstauiilerische Veranlagung
wird weder ihm noch seinem Freunde,
meinem Bruder, Segen bringen. Da
bei ist er im Grunde auch ein so wirt
lich empfindender Mensch. Wie Son
jas Tod ihn traf, das war geradezu
erschütternb mit anzusehen. Er war
kein-n wobei-» Ina- nen- Isnninä Ab
sahrt don Genf trankhast errent geme- I
sen. Immer sagte er, er wolle selbsti
hin, sie abholen. Mein Bruder meint ;
er habe den schrecklichen Fall geahnrl
und habe schon vorher Darunter gelit
ten. Aber so leid er mir auch that-—
ich fand ihm gegenüber den rechten
Ton nicht, um ihn en trösten· Und
es verlangte ihn dabei so nach Herz
lichleit — nach einem herzlichen Wort
von mir . . «
Mariha brach ab und erhob sich.
Sie faßte sich nach der Kehle, als ob
sie da einen quälenden Schmerz em
pfände. Eine Zeitlang blieb es nur
zwischen den Beiden still. Johannes
hatte mit voller Antheilnahrne der
schlichten Erzählung gelauscht. Die
letzten Andeutungen versetzten ihn abe
in eine nur schlecht verhehlie Erreguna.
«Gabriel Wassilierv,« sagte er nach
einer aeraumen Weile langsam und
zaghaft, »hat Sie geliebt, Fräulein
Marihak
Es war das erste Mal, daß er’s
wagte, sie bei ihrem Vornamen zu nen
nen. Es berührte sie so tveich wie eine
Liebkosunax denn in seiner melodi
schen. sympathischen Stimme lag so
viel Wärme und Zärtlichkeit
Sie nickte nur stumm.
»Er liebt Sie noch? Er hat tin-.
Jhre band angehaltenW forschte er
weiter
Matiha senszte leise ans. Daan
schiitielte sie den Kopf. »Er hat sich
nur mit seinem Wort offenbart Er
i eine stille. verschw- is W M
ockie Netto-. Eber seine Augen s a
cheu nnd partie-. Es sind sun- it
sssne III-. sahe-e aussen sie schö
Enden, interessant, diese blauen
Qchwärineraugem die einen so lebt-as
ten Kontrast bilden zu der bleichen
Stirn, den schwarzes Wimpern, dein
schwarzen Haar. Sie iiben eine mag
netische Gewalt aus, sagt Justus von
ihnen. Aber ich wei nicht: mir graute
immer vor seinem litt, vor dem gan
zen Menschen überhaupt. Und so tie
fes Erbarmen ich mit seinem Unglück
hatte — ich konnte mich nicht dazu
überwinden, so gut und freundlich
gegen ihn zu sein, wie er es sicher ver
vient.«
Johannes hatte das Haupt aufge
stühtj alt' die sonnige Zuversicht, die
ihn während dieser letzten emsigen Ar
beitszeit beseelt hatte, schien mit einem
Male von ihni gewichen. Er hatte sich
ja offen niemals einaestehen wollen
welch’ kühne, thöricht kühne Zukunfts
vläne im tiessien Grunde seines Her
zens schlummerten: die in ihm anf
flamniende Eifersucht war es nur, die
ihn vors selbst verriethnnd die ihm
zugleich schämend tlar machte, wie
unerreichbar, nnerfiillbar seine gehei
men Hoffnungen waren.
»Wassiliew ——— wiro er wiederkom
men?« sragte er die jung-e Dame nach
einer Pause halblaut und unsicher.
» »Sie sind bereits aus der Heini
reise,« erwiderte Martha, nicht direk.
aus seine Frage antwortend. »Jt1re
letzte Nachricht war aus Stambnl. Sie
können in vierzehn Tagen in Karls
ruhe eintreffen-«
»Und Sie selbst —- werden uns
dann auch verlassen?« fragte er weiter
»Ich werde den hausstand natürlich
schon vorher wieder in Gang bringen.«
»Und Wassiliew?«
Sie seufzte bloß leise auf.
»Er wird nach wie vor um Sie
toerhen?«
»Ich fürchte eö.« Sie fah ihn groß
und ernft an. »Aber er wird jetzt
noch weniger Macht über mich haben.
als dorher.«
Als oh darin ein Zugeständnis
läge, das sie ihm machte, griff er nach
ihrer Hand, die er feft und voll Dani
harleit drückte.
»Und Jhr Bruder — wie steht er
Mqu fragte er dann erregt weiter.
»Der arme, arme Juftusk —- Ach,
es ift ja so erklärlich, daß er sich in
einer Art ohnmöchiiger Verzweiflung
an den einzelnen Menschen festklam
mert, der ihn in irgend etwas, und
sei’g nur tm Namen, in Farbe und
Ausdruck der Augen, an feine jäh da
hingeraffte Braut erinnert. Er hat
einen Theil feiner Zuneigung für die
Todte auf Gabriel übertragen. Er
safzt es daher ftets wie eine fchwere
Kränkung auf, wenn man nur den lei
leften Einwand dagegen erhebt, daß er
sich von feinem Freunde, dem Rassen,
gar fo sehr beherrschen läßt. Von
dessen ftillen Werbungen um mich weifz
Juftus nichts. Eine seltfame Scheu,
eine Art Furcht hielt mich ab, mich
ihm anzuvertrauem Aber mir ahnt, -
dafz ich in dem heoorstehenden Winter
geehwere Kämpfe werde zu heftehen ha:
nlss
Johannes hatte ihre Hand nicht
wieder freigeaeben. Er wußte felbft
nicht« woher er jetzt den Muth nahm,
ihr zu fagen: »Wenn ich doch in Jhrer
Nähe fein tönnte!«
Ein mattes Lächeln huschte iiher
ihre Züge. »Ich möchte es auch — fo
gern!« erwiderte sie leise. .
Es war ftill und tiaulich hier im
Gärtchen. Eine vertraute Stimmung
lag über der Landschaft. Sie gaben
sich Beide dem süßen Ahendfrieden
hin. Dabei fühlten fie, wie diefe
Aussprache sie innerlich mehr und
mehr mit einander verhand.
Endlich entzog Martha dem jungen
Mann ihre Rechte. Sie setzte sich nie
der, spielte zerstreut mit feinem hands
—--l---..- h-- --- Im WEIMIZIJIFA
smcr.szxukk Wi-· u-« »k-» «----.-.-»»-,
iaa, und begann nach einer Weile mit
etwas gediimpster Stimme wie:er:
»Es ist nicht nur Ewig-much der
mich das wünschen läßt, Johannes
Jch meine vielmehr: Sie lönnten auch
meinem Bruder einen großen, unschäd
haren Dienst erweisen, wenn Sie in
Unsere Nähe kämen«
Wie sie das- meine, fragte er stockend
»Es liegt eine solche Schaffens
sreude, solch’ ein sröhlicher, gesunder
Ehrgeiz in Jhnen,'« sagte sie. »Sie
sind eine echte Künstler-natur, die
schasst und ringt, nur der Kunst hal
ber, die sich nur in der emsigsten Thä:
tigteit auszuleben vermag. Justus das
gegen ist trotz seines schönen Talentes
schloss, ja, sast energielos geworden·
iJch meine nun, Jhr Einsluß könnte
ihm da wirklich zum Segen gereichen.
Wenn er Sie bei der Arbeit sähe, Er
solge erringen, von Stufe zu Stufe
höher schreiten sähe, dann würde viel
leicht eine gewisse Beschötnung über
ihn kommen, und er würde sich dazu
zwingen, Ihnen nachzueisern Ja,
das ist’s: ich hin überzeugt, daß es Jhs
nen gelingen würde, den gesährlichen
Einfluß Gabriels. der ihn ganz seiner
Kunst entsrerndet hat, von ihm abzu
wenden.«
Die ossene Anerkennung, das unge
schminite Lob, das siir ihn in den
Worten lag, beschämte ihn ein wenig.
Marthe ließ aber keinen Widerspruch
gelten.
»Sie wer-den mir’i nicht anders
auile en, als es gemeint ist —- denn
wir nd doch gute Freunde geworden
nicht wahr-i« «
.Jch hon- ee.« fiel ek bewegten dek
zens ein, .nein, ich weiß est« »
»Und so lassen Sie mich Jhnen also i
Pilderry wie ich mir’i siir die . u
nnst am liebsten deuten möchte. le
kommen tin September, wenn Profes
ssk Schwester-M der cis dahin ve«
einer gewöhnlichen Sammeneise auch
vieder zutiick sein wird, nach Karls
:ssr. Ihre Arbeit wird ihn —- dessen
bin ich gewiß —- zurn Staunen, zur
sewunderung hinreiszen. Und es ist
keine Frage, dasz er Sie unter seine
Schüler aufnimmt Dann aber sin
Ien in unserem Hause ein Aktien in
)em Sie sich dem Schaffen neuer
Gerte hingeben können. Justug wird
II zunächst eine Art Erleichterung sein,
daß er seinen Arbeitsraum nicht ver
vaist weiß. Dann aber wird er Jn
:eresse fiir Sie und Jbr Schaffen ge
vinnen —- allmiihlich wird Jhr Bei
7piel ihn anregen, und ich bin über
keugt, schließlich wird der alte Arbeits
eifer ganz van selbst iiber ihn kommen.
Wollen Sie also meinen Vorschlag an
iehnien, Johannes?«
Der junge Künstler befand sich wie
n einem Taumel. Er dachte im Au
tenbiiki nur daran, daß er sich also
Don Martha nicht zu trennen brauchte
—- daß er unter ihren Augen weiter-·
chafsen durfte!
»Ich wäre — glückselig, wenn das
Wahrheit, wenn das Wirtlichteit wer
Ien tönntei« sagte er.
Sie hielt ihm ihre Hand hin. »Sie
virauchen blaß einzuschlagem Johan
ies.«
Er nahm ihre Hand und tiißte sie.
,Martha!« fliisterte er in beseligtem
Tone.
Da sich Schritte auf dem Garten
Iies hören ließen, so mußten sie das
Bespräch abbrechen. Sie schieden fiir
heute, aber innerlich schon ganz ge
billigt.
Jn den niichsten Tagen beschäftigte
sie Beide ausschließlich dieses Thema.
Aus Martha’s Augen leuchtete helle
Freude, als sie endlich seine feste Zu
Tags-hatte.
--- s- k. a - - . u
gque norene Irano nor-( orouh
Längere Briefe hatte sie von ihrem
Bruder schon seit Wochen nicht mehr
erhalten, nur immer flüchtige Positur
tengrüßr. Die letzte Nachricht stammte
ins Budavest, und zwar von Gabriels
band. Bestimmte Kunde über die
Abreise von dort aab sie noch nicht.
Martha wußte aber, daß die Beiden
lich noch in Wien und München auf
halten wollten, um von beiden Städten
Jus noch einiae Ausslüge in die schöne
Umgebuna zu unternehmen.
Da erhielt sie endlich ein Tele
rramin aus der Donaustadt, das sie
Inachrichtigte, die Herren würden di
celt durchschrem ohne noch in Bayern
Etation zu machen.
Martha sah sich also veranlaßt, sich
rleichsallg schleuniqst zur Abreise zu
rüsten.
Nach einem etwas schwermiithig ver
brachten Abend dachte Martha noch
lange über sich und den Freund nach.
Sie wußte nicht, ob das nun die Liebe
war, die viel besunqene, die sie be
seelt. So recht freuen ihres Glücks
lonnte sie sich nicht. erner störte sie
Ein Schatten, der im Gedanken an den
Russrn die rosige Stimmung trübte.
So warm ihr herz dem Wiedersehen
mit dem Bruder entgegenschlug, so
grausam bannte ihr davor, seinem
Freunde wieder geneniibertreten zu sol
len. Jhr graute vor seinem so fle
hentlich werbenden, seinem melancho
lischen, ergreifend düsteren Blick!
Ein strahlendheller Tag brach an.
Die Mehrzahl der Gäste des Stäglk
Hotels benutzte den wundervollen Au
gustrnorgen, urn sich im Wald zu er
gehen. Auch die Bekanntschaft ihrer
Damen hatte sich nach herzlichem Ab
schied von Fräulein Spener einer
Gruppe anqeschlossem die eine größere
Partie unternahm.
Das war Martha sehr nach
Wunsch. So konnte sie, ohne den im
mer unangenehmer werdenden Spöt
tereien über Johannes ausgesetzt zu
sein, noch aus ein Viertelstündchen ins
Dorf haschen, um Johannes noch ein
mal Lebewohl zu sagen. » ,
Ihr Gepack desand Iich schon aus
dem Postwagen. Sie hatte alles Ge:
schäftliche abgemacht, auch dem blon
den Gevrge durch ihr stattliches Trink
geld eine letzte respektvolle Verbeugung
abgezwungem Nun wollte sie vom
Dorf aus den Fußweg durch den Wald
nehmen, um die Post dann unten aus
der Chaussee zu erreichen.
Johannes begleitete sie.
Jrn Vertrauen aus dass baldigeWie:
dersehen hatten sie Beide ihre alte
fröhliche Stimmung wierergesunden
Sie sprachen nicht viel, lauschten viel
mehr verträurnt im binschreiten unter
den mächtigen Tannen, deren weitaus
ladende unterste Zweige hoch über ih
ren Köpfen ein dichtschattendert Dach
bildeten, den tausend leisem verwor
renen Stimmen des Walde-.
Arn Kreuzweg trennten sie sich
dann. Ein letzter Blick, ein letzter
händedruck, nur ein paar Worte, die
keinem Anderen etwas gesagt hätten,:
der nicht die innere harmonie kannte,
in der sie sich Beide vereint fühlten.
Dann winkte Martha vern Post
kutscher; der hielt das vorsintfluthlis
che Fuhrwerk an, sie stieg ein, und
bald waren es nur noch ilatternve Ili
cher, die die Grüße tauschten —- die
Augen vermochten die liebgewordenen
Züge des Anderen nicht mehr her
aus uerkennen.
ZU Martha, vvn der langen Fahrt
et as abgespannh aus der Station
eintras, suhr gerade ein Zu ein· Aber
ei war noch nicht der ihre, vndern der
der entgegen esesten Richtung
Wie lebha t war ihreUeberraschung,
als sie in dem einzigen aus einem
Cur « e erster Classe aucsteigenden
Pa agier den jurwn herrn von Eck
hardt erkannte.
Aber er schien sie nicht gleich wie
derzuerkennem Denn als sie in ihrer
uugeuikieuaki sitt ihn zuschnei, kniete
er ne ein paar Seien-den lang wie ver
stört an.
»Ich hörte schon aus Albmiinsach
bei drein Herrn Onkel. daß Sie er
wartet werden,« redete sie den jungen
Mann frisch an, »und daß Sie Nach
richt aus Wien bringen!·
Er hatte seinen hat gezogen, den er
in seltsamer Zerstreung in der Hand
behielt, trotzdem die Sonne mit ihren
sast senkrechte-i Strahlen ihm mörde
risch aufs Haupt brennen mußte.
»Sie hörten schon? Sie kommen so
eben vom Gute, gnädian Fräuleins«
»Nein, ich verabschiedete mich s on
gestern. Aber wag ist Jhneni Sie
machen einen ja ganz ängstlich. Sie
haben meinen Bruder tennen gelernt
— Ein aesptocheni Es geht ihm doch
gut "
Sie hatte die letzten Sätze in wach
sender Angst hervorgestoßen. Der
Referendar athmete schwer auf. Os
senbar suchte er nach passenden Wor
ten.
»So haben Sie also den Brief, den
ich geschrieben, nachdem ich Jhren
Bruder besucht hatte, noch nicht ge
lesen?«
»Man gab mir auch den ersten nicht
tu lesen. Man saate ntir nur...·
Mein Gott. aber Sie spannen-inich
wahrhaftig aus die Folter. Was ist
nur geschehen? Was ist mit meinem
Bruder? Er ist doch nicht —- verun
aliickt? Oder erkrankt? Sprechen
Sie doch nnr! Jch beschwöre Sie!«
»Nun ich habe also, wie gesagt,
Donnerstaa sriih Iehren Herrn Bru
der aus seinem Hotelzimmet ausge
sucht. Er ist, seitdem er sich in Wien
besindet,’noch nicht auggervesen —- hat
sein Zimmer noch nicht verlassen . . . .«
»Aoso ist etwas geschehen? Er lei
det?«
- - »s
»Zum-hours nicht, durchaus nich-,
gnädigeä Fräulein. Er hat seine ge
sunden Glieder, er ißt und trintt mit
Appetit, raucht, spielt Schach mit sei
nem Freunde Wassiliew, der ihm den
ganzen Taa Gesellschaft leistet —- es
fehlt ihm absolut Nichts,«bloß eine ge
wisse Abspannung, eine seltsame Ner
veniibermiidung ist über ihn gekom
men. Jch weiß nicht, bildet er siizs
bloß ein, oder ist es Thatsache: er -
hauptet, nicht hundert Schritt meit
aehen zu können, ohne oom Schwindel
erfaßt zu werden, seine Füße seien zu
schwach, ihn u tragen, sagt er.«
Martha saßte das nicht. Der
Schreck war ihr selbst in die Glieder
gefahren. »Und Wassilierv, —-— was
sagte er über diesen Zustand? hat er
sich Ihnen gegenüber darüber ausge
sprochen? Oder hat er einen Spe
zialarzt lonsultirt?«
»Er hält es nur siir eine vorüber
gehende Nervenasseltion. Der Pa
tient sträubte sich übrigens ganz ener
gisch dagegen, daß Wassrliew einen
fremden Arzt hnizuzog. Er habe zu
Niemandem größeres Vertrauen als
zu seinem Freunde, versichert er.'·
»Und sagten sie etwas Bestimmtes
über ihre Heimreise?« fragte Martha
in größtes Erregung.
, »Sie sind noch nicht schliissig. Was
silietv —- der sich übrigens ausopsert
sitr Jhren Bruder, man muß es ge
stehen — möchte den Patienten noch
gern dazu bringen, daß er sich wenig
stens die schöne Donaustadt ansieht.
Aber Spener ist eigensinnig. Nicht
einmal die Fahrt nach dein Semme
ring wollte er unternehmen. Das
strenge ihn zu sehr an —- das ist seine
stete Redensart. Und dabei hätte er
ja im Ganzen tanm hundert Schritt
zu laufen. Vom hoteltorridor bringt
ihn der List ins Bestibiil, ohne daß
er- die Treppe zu betreten braucht, vom
Portal sührt ihn · der Iialer zum
Bahnhos. Wir haben ihm Beide Al
les gründlich voraestell’t —- vergeblich
Cr ist das reine Kind mit dieser sixen
Idee. Und im Uebriaen staunte ich
über seinen scharfen Mich-seine glän
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JIUUI UICIISUUUHIZUUH syst-. thust-,
loaisches Urtheil. Wir haben viel
über die große Reise aesprochen, die
hinter ihnen liegt. Jhr berr Bruder
hat seine Augen aufgesperrt, dag
muß man sagen. Er hat dabei ein
vssenes Herz siir die Natur. Von
dem Theil Sibirien5, den er gesehen,
ist er ganz entzückt. Man vergißt ost,
daß Sibirien sich iiber alle Zonen er
streckt, denkt gewöhnlich nur anschnee
und Eig, wenn von Sibirien die Rede
ist. Ta war mir’o nun sehr interes
sandt, ihn über den Baitalsee reden zu
hören. Die Natur dort, sagte er, ver
einige die landschaftlichen Schönheiten
des sjordreichen, starren Norweg-n mit
dem alpenaetrönten Tirol und dessen
blurniaen Almen. Und auch seine
Schilderunaen von Land und Leuten
und Bauten u. s. w. waren höchst ans
schier-lich. Er hat ja auch in Masti
lierv einen vortüalichen Führer ges
babt. Der Nrsse ist allerdinssg sehr,
sehr ernst —- sast zu schmerrniithig siir
einess Reisebealeiter, rvie er sein soll
—- dennoch hat er aus mich den denk
bar besten Eindruck gemacht. Und
ich glaube, es wird ihm schon gelingen,
seinen Freund wieder zur Raison zu
bringen«
» Da der Reserendar die tiefe Bewe
;guna sah, in die seine tritbe Botschatt
die iunge Dame versent hatte, wid
’ mete er sich ihr bis zum Abgang ihres
Zuges. Martha ahnte gar nicht, wie
groß dies Opfer toar —- versäumte
er dadurch doch die Post nach Alb
münzach
Gortsehung solat.)
—.s.---—
Shates are hatte unrecht! König
Ihn-arti chlejst iett ruhiger, seitdem
sein Dauvt eine Krone trägt.