Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, July 25, 1902, Sonntags-Blatt, Image 13

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    Va- Gegenüber.
heimste-te von Albert Roderich.
Wir ssßen in recht trister Stim
mung bei meinem Freunde Melchers,
att, von freudigem »Ah« begrüßt, der
held dieser wunderschönen Geschichte
eintrat, here Jeremias Schergen ein
ganz geiungener Kerl.
Jm Zimmer befanden sich mein
Freund Melchers selbst, sein Schwie
gersohn in spe, here Schwarze, dessen
Braut, die hübsche Minna, und meine
Wenigkeit. Wir drei Herren wollten
nämlich Slat spielen; wir hatten auch
schon angefangen, Siat zu spielen,
aber in dieser Stunde habe ich einen
fürchterlichen Eid geschworen, und alle
Statspieler des bewohnten Erdball-I
werden mir ihn nachschwören« wenn sie
einmal in gleiche Lage kommen sollten:
Rie, nie, niemals spiele ich wieder
Stat mit einem Bräutigam, wenn die
B-, tut dabei sitzt!
herr Schwarze sah immer auf
seine Braut statt auf den Tisch, und
wenn er die Vorderhand hatte oder
geben sollte, dann hatte er ihr gerade
die Vorhand gegeben und sie wollte sie
nicht wieder loslassen, und sie reiste
ihnmit Neelen und Schötern, daß er
uns nur äußerst schwach reizen konnte
und über sein Mauern wurden wir
nun so gerizt, daß Herr Melchers, als
ich durch eine unglaubliche Wimmel
lage des Bräutigams einen wahnsinni
gen Grand ohne vier gewann, die Kur-«
ten hinwarf und aus die Fortsetzung
verzichtetr.
Da trat, von unserem freudigen
»Ah« begrüßt, herr Jeremias Scher
zer ins Zimmer.
Er hatte sich schnell über die uner
quicklichen Verhältnisse unserer tleinen
Gesellschaft orientirt, und bald spru
delte der lustige Quell seiner fröhlichen
Laune über Verstimmung und Aerger
hinweg.
Dr - s- -
»Im, wenn Jql Vormagen-Jan uuuj
nur ’ne simple Jdee vom Statfpielen
hat,« sagte er, »ich denke, seinen Conn
Solo mit zweien wird er doch gewin
nen.« — Dvran tniipfte er nun eine
ganze Masse von spaßhaften Beziehun
gen zwischen Liebe, Ehe und Statfpiel,
so dasz die hübsche Minna ganz begei
stert ausrief: »Aber, lieber Herr
Scherzer, Sie sprechen so entzückend
von der Liebe w Sie miifsen selbst
schon einmal geliebt haebn, und —- Eis
sind doch noch ledig!«——
Da zog etwas wie eine leichte Wolte
iiber Jeremias’ Antlitz, und er sagte
in einem bei ihm ganz ungewohntem
elegischen Tone: «Freilich, ich hab-.
auch einmal geliebt, und, da ich noch
ledig bin —- mnsz es wohl eine un
glückliche Liebe gewesen sein.«
Jeremias stühte seinen Kopf in die
Hand und stierte einen Augenblick vor
sich hin. »Ach«, sagte er dann mit einem
tiefen Seufzer, »das ist eine traurige
Geschichte!« —
Jetzt richtete er sich auf und sagte
mit halblauter Stimme: »Wnen ihr’s
wünscht, meine Freunde, so erzähle
ich euch die traurige Geschichte, und
wäre es nur, um zu sehen, ob meine
alte Herzenwunde endlich ganz ver
narbt ist.«
Und Herr Jeremiais, Scherzer be
gann: »Vo: fast zehn Jahren war’g
— also ungefähr vierundzwanzig
Jahre war ich alt, und war eben hier
ber gezogen, um mir eine Stellung zu
suchen. Jch wohnte in der Marien
straße, drei Treppen hoch, nach hinten
hinaus. Meinem Fenster gegenüber
laa die Paulstraße, durch einen brei
ten hof von mir getrennt· Das ist die
ganze landschaftliche Staffage meiner
traurigen Liebes-geschichte
«Es war an einem Sonnabend und
ich sasz nachdenklich an meinem Fen
ster und starrte mechanische in die jen
seitige Fensterreihr. Plötzlich schnellte
ich empor. Jn einem mir schräge ge
Mniiber liegenden Fenster war ein
iidchentopf ausgetaucht!
»Es war ein entzückender Mädchen
topst Deutlich sah ich blonde, dichte
Locken, zartrothe Wangen, die« den
blendend weißen Teint noch blenden
der erscheinen kieszen — ein großes,
-l
-v
träumerisches Auge s— nein, zwei
große, träumerischeAugen, die schwär
merisch in die Dämmerung blickten.
— Jch starrte, wie meiner Gedanken
nicht mächtig, unauggesetzt nach dem
schönen Mädchenantlitz. Und «leine
Täuschung war es, nein, es war eine
beglückende Gesvißbet —- auch sie sah
unverwandt zu mir herüber.
»Ich ivrang empor —-—- ich wollte —
oh, ich iani erbleichend zurück —- das
liebliche, süße Antlitz war vom Fenster
verichwundent —
»Und nun fasz ich alle Zeit, die ich
iraend zu Haufe verbringen tonnte,
am Fenster und starrte zu ihr hinüber
und hoffte auf ihr Wiederericheinen
Und iait jeden Tag habe ich sie fiir
wenige Augenblicke gesehen; sie blickte
Dann so entsagungsvoll traurig zu
niir hin, daß mir unaussprechlich weh
um’s her-i ward. Sie duldete, sie litt,
, das sagte jede ihrer Mienen —- duldete
und litt sie urn mich? Konnte ich ihr
hilie bringen?
»Ob« wie diese Fragen und Zweifel
mich martertent
»Es war an einem Sonntagnach,
mittag. Ich blickte feit zwei Stunden
unverwandt nach deni Fenster meiner
sehnsuchh Da —- wahrhastig —
das ist fiiet Ihr erster Blick fliegt zu
Ititi da, was ich sehe, auf den ent
Msden blonden Locken sitt ein rei-«
rzen degreife ich diese Botschaft.
te will ausgehen, sie erwartet, mich
auf der Straße zu sehen. Oh, ich
komme, ich werde kommen! Ha, was
ift das? Da taucht pliißlich neben die
sem Engelsgesichte eine abscheuliche
ratze auf. Neben dem Bilde einer
Mai-onna das Konterfei eines bit-its
detgwiitdiaen Weil-est Und wahrhaf
tig —- oh Schmach und Entsetzen! —
Dies bldcksbergwiirdige Weib reißt
meine Madonna vom Fenster hinweg!
»Ich stütze in fiiegender Hast meine
drei Treppen hinunter, ging wie eine
Schildwache dor dem Hause aus rnd
ab, — sie kam nicht. Jch ward unges
duldig, verzagt —- wiithend; —- es
war kein Zweifel — jenes abscheuliche
Weit-, das die Geliebte vom Fenster
zurückgewiesen, hatte sie auch verhin
dert, das Haus zu verlassen. Jch
mußte versuchen, mir Gewißheit zu
verschaffen!
»An dem Hause tlebte ein Zettel:
»Hier ist ein möbiirtes Zimmer zu
vermiethen, dritte Etage.'« —- Ich
faßte einen schnellen Entschluß, klet
terte die defetten drei Treppen hinan
und lam vor eine Thür, an die eine
Visitentarte getiebt war mit der Be
zeichnuna:
»Nofalie Wupper, Putzmacherin.«
»Ich öffnete die Thür, und mir
entgegen trat —- das biockgbergtviir
dige Weid. Es war Frau Rosalie
Wupper.
»Sie fragte mich miirrisch nach mei
nem Begehr, und, als ich ich ihr sagte,
daß ich wegen des möblirten Zim
mers täme, sah sie mich mißtrauisch
von der Seite an und klinkte eine in
einem halt-dunklen Winkel des Cuni
dors befindliche Thür aus« Es war
ein erbärmliches Zimmer.
»Und der Weis-, den die unheim
liche Ftau Rosalie Wupper fiir diese
Rumpelkammer forderte! Aber ich
miethete das Zimmer natürlich trotz
alledem und zahlte der unheimlich-en
Frau einen ganzen Monat Miethe im
Hader Dut! Mit vor Glück pochendem
voraus.
»Vergebens hatte ich während der
langen Unterhaltuna gehofft, einen
anderen Bewohner dieser unfreundli
chen Behausung zu gewahren —- ach,
vielleicht gar die Köngin meiner
Träume selbst! Beim Fortgehen griff
ich zu einer Kriegslist. Jch hatte mir
armertt, aus welcher Zimmerthiire
Frau Wunder gekommen war. Jn
Diesem Zimmer weilte auch höchst
wahrscheinlich der Gegenstand meiner
Sehnsucht. Beim Fortgehen that ich
also. als wenn ich mich in der Thüre
Iscs Ausgangs irrte und wollte schnell
das Zimmer aufreißen —- aber, wie
eine Furie stürzte Frau Wupper auf
mich zu, riß meinen Arm von der
Klinte zurück und schrie halb zornig,
halb ängstlich: »Hier, hier ist der Aus
gang!·« Es war für mich tein Zweifel
mehr vorhanden, daß in diesem Hause
ein düsteres Geheimniß walte, dessen
finstere Schatten auch das Leben mei
ner Liebsten umhüllten.
»Voll triibsinniger Gedanken begab
ich mich zunächst in meine alte Woh
nung zurück und erzählte meiner Wir
thin, daf; ich eine längere Reise anzu
treten beabsichtige. Zu gleicher Zeit
tiindigte ich auf den nächsten Termin
und zog aus. Jch wollte und mußte
Licht in dag unheimliche Dunkel brin
gen« ich wollte und mußie mein then
res Gegenüber sehen, sprechen und,
wenn möglich —- errettenl —- —Vier
.-,ehn Tage und darunter zwei Sonn
tage, hatte ich bei Frau Wnpper ge
wohnt und noch nicht den Schatten
jenes holden Mädchens gesehen, dessen
schmerzlich flehende Blicke mich träu
mend und wachend verfolgten.
»Meine ängstliche Spannung wurde
aber noch um ein Bedeutendes erhöht,
als ich die Bekanntschaft des Herrn
Wupprr, des Gemahlg meiner Wir:
thin, zu machen Gelegenheit fand.
Herr Wtrpper war Arbeiter in einer
chemischen Fabrik, und fein Aeußeres
war durchaus nicht vertrauenerwe
dend.
»Nur durch Zufall war es mir eines
Tages gelungen, ein Gespräch mit ihm
anzulniipfen Jch brachte etwas ge
waltsam die Rede auf Frau Wupper
und fragte mit absichtlicher Plö lich
teit: »Was hat denn eigentlich k« rau
Wut-per in ihrem Zimmer-, Mdaß die
Ihiir immer verlchtonen ins
»Bei dieser unerwarteten Frage
blieb der Mann wie erstarrt stehen,
faßte sich mit sichtlicher Mühe und
itammelte dann: »Im Zimmer —-— bei
meiner Frau —- nichts — gar nichts
—- was geht das jemand anders ani«
—- »Jch glaube eine junge Dame be
merkt zu haben —-« —- »Was?! Bei
meiner Frau!? Unsinn — junge Da
me, lächerlich! Meine Frau hat nie
’ne junae Dame dei sich gehabt —
kennt aar keine junge Dame — so ’n
BlöosinnS Adieu!«
»Aus dem Ton seiner Worte
tlana das schlechte Gewissen herauf-,
und von dem Auaenbkict an war ich
seit überzeugt, daß sich an das Ehe
paar Wupper ein diisteres Geheimniß
knüpfe.
.Zuiiiichst verdoppeln ich meine
Aufmerksamkeit siir den Vorplatz und
die Thür der Frau Wappen Alle
Milde war umsonst —- ich hörte nicht
einen Laut, ich sah nicht den Saum
des Kleides meiner geheimniszvollen
Anaebeteten -
»Ich beschloß, einen etwas gewalt
isameren Versuch zu machen, das ab
scheuliche Röthsel zu lösen.
»Eines Abends, kurz nachdem ihrs
Mann nach ause gekommen ways
verlie Trau upper die Wohnung,
wahrchenlich um Einkiiuse zu ma-«
»-.-,..,.—«—-,-- A.-—.« »W- -«--.-,—--- f .
chen. Jetzt oder nie! —- Jch schlich
leise aus meinem Kimmer über den
Korridor, riß die verhängnisvolle
Tbür aus und trat ohne anzutlopsen
schnell in das Wundersche Zimmer.
Es war nur spärlich erleuchtet. Jch
sah nur den Wunder bei einem gro
Fen Schranke beschäftiat, den er ha
iia hinter sc schloß als ich herein
stiirmte. Jch ah nur eine sonderbare
Bewegun , ich hörte nur ein unheim
liches Ra eln in dem Schranle.
»Im nächsten Augenblicke aber war
schon Herr Wupper aus mich losge
sprungen und fuhr mich barsch an:
»Was wollen Sie?! Was wünschen
Sie?!« Dabei drängte er mich in
bbchst unböslicher Weise aus den Kor
ridor hinaus.
ch stammelte noch einige oage
Ent chuldigungen, als die Thiir schon
vor mir wieder zugeschlossen war
Bald daraus kaum Frau Wupper, und
ich hörte einen lebhaften Disput zwi
schen den beiden Gatten. Wenige Mi
nuten später trat Herr Wupper bei
mir ein und sündigte mir die Woh
nung aus übermorgen, den Ersten.
Also nur noch einen einzigen Tag
blieb miryzur Errettung des geliebten
Wesens ern nächster Gedanke war:
Hole die Polizei! Aber konnte nicht
vielleicht dadurch gerade sie, die so
viele zarte Empfindungen in mir
wachgerusen, am meisten kompromit
tirt werdens
»Ha, da plötzlich ichan der Blitz
eine Jdee in das Chaos meiner wild
durcheinander jagenden Gedanken.
,,Vor allen Dingen Gewißheit, ob
die Geliebte noch am Leben!
»Ich eilte in die Marieustrasze, in
meine frühere Wohnung. Jch meldete
mich bei der Wirtbin ais soeben von
der Reise zurückgekehrt: ich wollte
mein Zimmer wieder beziehen Nach
wenigen Minuten stand ich wieder am.
Fenster und starrte hinüber, nach je-:
ner Stelle, wo sie, die Freundin mei-i
nes Herzens, mir zuerst erichienens
m» ji«-»m- nor.rplilirb Tr- —· meint
......
Athem stockte — da war es wieder,
das entzückende Antliti — und blickte
tu mir herüber — fo flehentlich — so
hilfesuchend —- wie ein elettrischer
Schlag durchfuhr es mich.
»Jetzt keine feige Schonung mehr!
Jn unglaublich kurzer Zeit war ich
um die Sirufzenecke — ich teuchte die
drei Treppen hinauf — jetzt ftand ich
auf dem Korridor der Wiipder’schen
Wohnung —- nur einen einzigen tie
fen Athemzug —- dann reiße ich die
Thür auf — da —- da —- ein fürch
terlicher Knall — oh, Entsetzen —!«
Jeremias Scherzer hatte, wie vom
Schmer e übermannt, feinen Kopf auf
den Tifch gestützt, jetzt erhob er sich
stieren Auges, sagte mit zitternder
Stimme: »Oh, nur einen Augenblick
der Erholung, liebe Freunde,« und
rannte in's Nebenziinmer.
Wir saßen stumm und starr. Die
hübsche Minni war ganz bleich gewor
den und sagte leise vor sich hin: »Der
arme Mann, sie haben seine Geliebte
erfchosseni"
Ich ging langsam in’s Nebenzun
mer. Jeremias Scherzer saf-, in einem
Lehnsessel versunken mit dem Rücken
gegen die Thür. Jch trat leise hinter
ihn Und legte sanft meine Hand auf
» feine Schulter.
; Gleich daraus traten wir wieder
imit tiefernften Gesichtern in’S Zim
imer. Jch führte den noch immer ge
Tbeugien Freund auf seinen Platz zu
T rück, und er begann nach einem tiefen
Seufzer mit leise dibrirenderStimme:
»Ich werde es zu Ende bringen, meine
greundr. —- Also als ich in jenes
immer stürzte, ertönte ein heftiger
Knall — dichter Qualm und ein star
ter Pulverrauch drangen auf mich ein
— fast mechanisch eitte ich zum Fen-s
ster, um dem erstickenden Rauche Ab
zu zu geben. Da plötzlich fühlte ich
eine Riesenfaust in meinem Nacken.
die mich zurückzureißen versuchte. Jch
ariff um mich, irgend einen Stütz
vunit, irgend eine Waffe zu erfassen.
J Mir fiel ein ziemlich schwerer Gegen
« stand in die Hände, mit dem ich um
imich zu schlagen versuchte. Aber mein
i Angreifer, der riesenhafte Herr Wap
! per, ließ mich nicht los. Er schleuderte
; mich mit einem gewaltigen Stoße auf
i h-- Vom-stun- ßivmnä Hob sit-l mit dsm
« oK se gegen die Wand und fühlte zu
gleich einen stechenden Schmerz in der
Hand. Jetzt fiel mein Blick aus den
Gegenstand, den ich alg Waffe ergrif
fen hatte. Jch stieß einen lauten
Schrei aus. Jch hielt das schmachtende
Antlitz meiner schönen Unheiannten
in der Hand. —- —— Es war ein höl
zerner, bemalter — Virgion — und
noch steckte die letzte Arbeit der Frau
Wupper, ein bunter Damenhut, auf
dem blondgelockten Modell!«
»Und Herr Wupper und Frau?«
—- ,,Und der Sehusi?« —- ,,Und der
Pulverrauch?« fraaten wir in etwas
wirrem Drrbrcheinander.
»Genau so habe ich damals auch
gefragt,« fuhr Herr Jeremiag Scher
zer in seiner ganzen wiedergefundenen
Ruhe fort. »Die Antwort auf diese
Frage las ich am folgenden Tage in
der Zeitung. Die betreffende Notiz
lautete also: Die Bewohner des Han
fes No. 17 in der Paulstraße wurden
gestern durch einen glücklichen Zufall
von wahrscheinlich größerem Unglück
bewahrt. Ein Arbeiter einer chemi
schen Fabrik, Namens Wimper, he
nuszte seine freien Stunden dazu,
heimlich Feuerwertstörper zum Ver
taufe herzustellen. Die Explosion eines
glücklicherweise nur aerinaen Quan
tums Präparate setzte die Hausbe
tvohner rechtzeitig von ihrer femme
siihrlichen Nachbarschaft in Kenntniß,
» und die Polizei siftirte sofort die Wei
tersiihrung eines so gefährlichen Ne
l benetwerbszweigesk
Das Stubemnädchem
Erzählung von Jenny Hirsch.
- »Von meinem Freunde, dem Baron
Joon Wentstern!« rief der pensionirte
Major von Mitten, die Ausfchrift des
Briefes lesend, den seine Tochter ihm
neben der Koffeetafse auf den Früh
stückgtisch geleat hatte. Er setzte die
Brille aus die Nase, durchflog den Jn
hat des Schreibens und rief mit lau
ter Stimme: ,,Hurrah, Mädchen!
Freut Euch! Sie tommeni«
»Wer kornth fragten wie aus
einein Munde feine Töchter, die braun
loctige Elifabeth und die blonde Au
guste.
»Baron Ludwig von Weniftern und
sein Sohn Rembert!«
.,Wann kommen ste, Vater?« erkun
digte sich Auguste.
Nächsten Donnerstag. Jhr habt also
viel Zeit, Eure Vorbereitungen zu
treffen.«
»Vorbereitungen!« ftammelten die
Schwestern
»Gewiß!« nickte der Major eifrig,
,,Wenisterns3 wohnen allerdings im
Hotel, wir müssen sie aber Donnerstag
und Freitag zu Mittag und wahr
scheinlich auch zu Abend bei uns haben.
Es muß alles piifein fein.«
Die Gesichter der Mädchen waren
immer betretener aeworden. »Lieber
Vater, Du bedentft nicht,« begann
Auguste —
,,Daß es auf Schloß Breitbach an
ders aussieht, als bei uns,« unter
brach sie der Vater.
»Es ist auch nicht wegen der Woh
nung, die ließe sich schon herrichten,
erwiderte Elifabeth.
»Nun also! Was jammert ihr
denn?« fragte der Major. »Werdet
Jhr einem alten Freund doch ein Mit
tagbrod kochen tonnen·"
»Das könnten wir schon, Vater,
aber —« sagte zögernd Elisabeth und
entschlossen fiel Auguste ein:
»Aber wir haben nichts dazu. Du
hast nicht daran gedacht, daß wir die
letzten Tage des Monats haben.«
Major von Mitten taute an seinem
Schnurrbart und murmelte: »Ver
slucht! Jch habe auch nichts! Aber
was ist zu thun? Rath geschafft muß
werden. Schlachten Weinhänrler u. s.
w. müssen noch einmal borgen.«
»Sie thun es nicht!« erllärte Eli
sabeth seufzend.
»So nehmt meine alten goldenen
Schaumiinzen Und den silbernen Hum
pen und versetzt sie. Wollen sie nächsten
Monat einlösen nnd dann lieber am»
Hungertuche nagen, aber jetzt mußj
alles sehr, sehr nobel sein. Ihr wißti
nicht, was auf dem Spiele steht, Mäd- I
chent Baron Wentstern und ich haben
zusammen in einer Garnison gestan
den. Bei seinem Sohne Rembert war
ich Gevatter, Und wir haben uns das
Wort gegeben, wenn ich heiratbe nnd
eine Tochter bekomme, so sollen sie
uno Rembert ein Paar werden. Es
ist alles so gekommen, wie wir verab
redet. Der brave Wenkstern hält sein
Wort. Er bringt seinen Sohn hierher,
damit er Dich kennan lerne und sich
mit Dir derlobe, Elisabeth!«
Dem hübschen Mädchen stieg die
Gluth in die Wangen.
Er ließ sie gar nicht zu Worte kom
men, sondern sprach mit seiner lauten
volternden Stimme: ,,Ziere Dich doch
richt! Du kommst wie alle Mädchen
Fern unter die Haude. und Rembert
Wentstern ist ein schöner Mann.«
»Lieber Vater, wir wollen die Hum
pen und die Schaumiinzen nehmen
nnd ins Leihbaus tragen, obwohl es
mir ganz schrecklich ist, daß dies um
meinetwillen geschehen soll,« begann
sslisabeth »aber man aibt recht wenia,
und es ist alles sehr theuer. Wir tön
nen von Gliict sagen, wenn wirSpeise
und Getränke für die gelieheneSuni
me erhalten«
»Na, was braucht Jhr denn sonst
noch? Tischzeug und Silber ist doch
oorhanden?« fragte der Vater.
,,Blumen und Honfett aus Her Ta
lett« seltsle Sumle uuu uuqusur
fügte hinzu: »Das ließe sich allenfalls
auch beschaffen, aber uns fehlt die
Bedienung. Wer soll denn anrichten
und bei Tische bedienen? Du würdest
es sehr ungern sehen, wenn eine von
uns vom Tische ausstiinee und hin
ausginge.« «
»Das darf ans teinen Fall gesche
hen!« ries der Major. »Es muß aus
sehen, als hätten wir eine Menge Be
dienung. Nehmt einen Lohndiener,
eine Kochsrau, eine ——«
»Das geht nicht! Das- geht nicht!«
unterbrach ihn Elisabeth
»Mag alles sein« wie es mill,· Rath
aeschafft muß werdens« beharrte der
Major, »und wenn ich selbst den Ta
selrecker spielen soli!«
Ein fröhlicher Anfschrei seiner
Tochter Anaustc antwortete und in die
Hände tlatschend rief das junge Maa
chen: »Ich hab’s, ich hab’s. die Herren
Wienkstexn sollen sich bei uns über
nichts zu betlaaen haben.«
»Was hast Du vor?« fragte der
Vater nnd Auguste jubelte: »Elisabeth
sigutirt allein als Fräulein von Mil
tsen in ihrem besten Staat, nnd ich
aber als das Stubenmädchen Gnste.«
»Als was?« fragten Vater nnd
Schwester gemeinschaftlich.
»Als das Dienstmädchen Gustet«
roter-erholte sie. »Du erzählst Deinem
Freunde mit großem Bedauern, Deine
zweite Tochter Auguste habe zu einer
-,»
erkrankten Freundin reisen miiisen
und sehesi Dich mit ihnen und der
ältesten Tochter zu Tische. Inzwischen
leg-e ich in der Küche an die Speisen
vie letzte Hand, und bediene heiTisch.
Jhr sollt sehen, ich mache meine Sache
vortrefflich.«
»Nein, nein, das darfst Du nicht!'«
rief Elisabeth und auch der Major
schütttelte bedenklich den Kopf.
Auguste aber blieb bei ihrem Plan.
»Ich werde schon wieder als Fräu
lein von Milten zum Vorschein kom
men, wenn es gilt, den Schwager zu
begrüßen,« sagte sie schließlich, und,
die Arme um die Schwester legend,
wirbelte sie sie im Tanzschritt zur
Thiir hinaus.
2.
Ein sehr angenehmer-, verheißungs
voller Bratenduft quoll ven lHerren
von Wenkstern aus Major von Mil
ten’s Wohnung entgegen, als sie am
Donnerstag zur festgesetzten Stunde
die Glocke zogen und ihnen vie Thüre
von einem sehr hübschen, blonden
Mädchen im hellen Kattunlleide ge
öffnet war.
Ehe noch eine Anmeldung erfolgen
konnte, kam ihnen der Major mit
großerHerzlichleit entgegen und führte
sie in das Besuchszimmer, wo er ih
nen eine schöne junge Dame mit brau
nem Haar als seine älteste Tochter
Elisabeth vorstellte. Auf einen fragen
den Blick des älteren Wenkstern siigte
er hinzu, seine jüngere Tochter sei zu
einer erkrankten Freundin nach Ost
preußen gereist.
Nach kurzer Zeit wurde durch das
Stuhenmädchen die Anzeige gemacht,
daß angerichtet sei.
Das Mittagsmahl bestand nur aus
wenigen Gerichten, diese waren aber
erlesen und tadellos gekocht, auch hatte
der Wein eine feine Marte. Die Un
terhaltung war bald sehr angeregt,
wurde aber zumeist von den alten
Herren geführt. Das junge Paar ver
hielt sich ziemlich ichweiaiam und
ward immer einsilbiger, je länger man
bei Tische saß.
Elisabeth glaubte eine eigenartige
Entdeckung zu machen. Des jungen
Wentstern’S Blicke verfolgten unaus
gesetzt das aufwartende Stubenmäd
chen, hingen an ihr, sobald sie ihm die
Schüssel reichte.
Für den nächsten Tag lud der ältere
Herr von Wentstern beim Abschied den
Major zum Frühstück in sein Hotel
und fügte mit vielsagender Miene hin
zu, man könne dabei überlegen, was
man am Abend aemeinschastlich vors
nehmen wolle.
»Er wird morgen Vormittag bei
mir um Dich anhalten und am Abend
feiern wir Verlobung!« rief derMajor
schmunzelnd seiner Tochter zu; sie
aber war anderer Meinung.
I
U·
Am Vormittag des folgenden Ta
ges legte der Major seine Gala-Uni
form und seine Orden an, um sich zu
seinem Freunde zum Frühstück zu be
geben. Er hatte soeben dieHand auf
den Drücker der Korridorthiir gelegt,
als draußen geschellt ward. Er öff
nete, und Baron Ludivig von Weni
stern stand vor ihm·
»Ich habe einen Spaziergang durch
die Stadt gemacht und bin herange:
kommen, um Dich mitzunehmen, alter
Freund,« begann er und stellte die
Frage, ob Fräulein Elisabeth schon
sichtbar sei. Als der Major bejahte,
sagte er, dann wolle er sie doch begrü
ßen, trat ohne Umstände näher, ösfi
nete die Thiir des Wolsnzimmerg und
blieb mit einem Aufschrei der Ver
wunderung auf der Schwelle stehen.
Elisabeth und Auguste von Miltem
denen vom gestrigen Mittagsessen so
viel übrig geblieben war, daß für sie
heute in der Küche nichts zu thun gab,
saßen in gleich einfacher Kleidung
einander gegenüber.
Dem Ruf des Herrn von Wenlstern
antwortet ein gleicher aus zwei Mäd
chenlehlen, beide Schwestern sprangen
empor, alle drei sahen sich mit verdutz:
ten Mienen an, bis hinter ihnen ein
schallendes Gelächter hörbar ward
«Eriappt! Ertavpt!« rief derMaior,
,,da ist es am besten, man beichtet.
Set3’ Dich nieder, alter Freund, ich
will Dir die Geschichte erzählen, lange
hätte sie Dir ja doch nicht verborgen
bleiben lönnen.«
Als Herr von Mentftern die Ge
schichte gehört hatte, nahm er den et
was verlrliifften Maer unter ten Arm
und entfernte sich mit ihm. Unterwegs
gab er ihm die folgende Aufklärung:
Remhert hätte ihm erklärt, Fräulein
Elifabeth von Milten sei eine schöne,
liebenswürdige Dame, er könne sie
aber nie heirathen.
Selbstverständlich habe er nach
Gründen geforfcht, nnd endlich fei
Nembert mit ein-er ganz drolligen Ge
schicht-.- kerausgeriiett Jm Vorigen
Winter sei er von Berlin nach resi
lau gefahren nnd habe im Gent-e zwei
Damen gesehen, eine ältere nnd eine
junge. Letztere habe einen tiefen Ein
dritck auf ihn gemacht. Er hätte aern
ihren Namen gewußt, habe aber nicht
gewagt. sich vorzustellen.
Jn Breslau wär-en sie getrennt wor
den, underft gestern hätte er sie zu
seinem Schreck und sein-er Freude wie
dergesnnden.
»Geftern?« rief der Major verwun
dert.
»Ja gestern, alr- Stuhenmädchm in
Deinem Hauf-IN lachte Wentftrrn,
»aber höre weiter: Die Entdeckung hat
den armen Fierl sehr traurig ge
stimmt, das-.- Mäkchen gefiel ihm noch
weit besser als Las erst-.- Mal, dennoch
.--- W H--.«q-· .
ist ihm nicht von sern der Gedance ge
kommen, daß er e’n Stubenmädches
zur Baronin Weni ern machen könne«
»Und was trinkt« sra te der Mater.
»Ich werde meinem öhncheih fast
fest wahrscheinlich auf seinem Zimmer
Trübsal blast, schleunigst den wahren
Sachverhalt erzählen. Ich hoffe, Du
hast nichts dagegen, daß Du durch die
jüngste, statt durch die älteste Tochter
sein Schwiegervater wirst.«
»Nicht das Geringste!« erwiderte der
Major.
Das Hotel war erreicht. Baron
Wentstern fand Rembert auf dessen
Zimmer und rief ihn mit den Worten
an: »Kon in die Höhe! Jchgebe meine
Einwilliaung zu Deiner Verlobung
mit Deiner aeliebten Guste·«
»Vater! Das ist unmöglichi« rief
erlcert, und der Alte fuhr fort:
,,Nur heißt sie Auguste von Mitten
und ist die jüngste Tochter meines
alten Freimde5.«
4.
Am Abend fand die Verlobung-Il
feier statt und wenige Monate später
ward die Hochzeit aeseiert. Beim Fest
mahl war ein Gutsnachbur Rettilmt6,
ein junger Wittwer, Elisabikthg Tisch
nachbar, und nicht lange darauis fiihrte
er sie als zweite Gattin nnd Mutter
seines Kinde-:- in tein verwaist-«
Heim.
Maim von Milten ist mit tin-«
aezoaen
s-—-—.—-—-- ---
Lohndteneh dann Millionär.
Im Jahre 1792 lebte ein armer
Lohndiener oder ,,Cicerone« in Rom,
der »ewian Stadt«. Er hatte seinen
Stand auf der Piazza di Spagna, wo
ihn die reisenden Englander oder
Künstler ala Führer aufsuchten, denn
er erfreute sieh seiner dewiihrteanseo
lässigteit und Ehrlichkeit halber großer
Beliebtheit Da heirathete der unter
nehmende Frentdensührer die ziemlich
wohlhahende Wittwe eines Sattlerg,
die es nicht mehr zuan, daß der Er
warnte ihres Herzens Zisunreroienne
verrichtete-. Sie setzte ihn vielmehr in
den Stand, nach dem Vordilde der
reichen römischen Bankiers mit Werth
Pavieren zu spekuliren. Das launische
Glück schüttete sein Fiillhorn über den
Mann des Volkes aus, die bescheikene
Summe seines Anlaaekapiials nahm
in kurzer Zeit derart Zu, daß er bald
zu den reichitsxn Männern Rom-; ge
zählt wurde.
Mit diesem Rufe wuchs das Zu
tranen, das man in seine kaufmänni
schen Kenntnisse, in sein unsehlvikkecks
Glück und in seine unentwegte Redlich
keit setzte. Die politisch bewegten Zei
ten machten ihn zum Vertrauensmann
erlanchter Persönlichkeitenx Lätitia
Bonaparte, König Ludwig Bonaparte,
der Prinz Lucian und der Kardinal
Frsch vertrauten ihm groß-: Summen
an. König Karl der Vierte, dein der
bewährt-« Finanzmann wegentlichs
Dienste aeleistet, ernannte i)n zum
Granden von Spanien nnd spiiter,
alS er das große Besitzthum der Esa
milie OdegcalchiBracciano baar er
standen, zum Herzoa oon Braten-no.
Unermiidlich arbeitete der Graside
erster Klasse weiter, indem er das hoch
angesehene Banthanci Torlonia zu
Rom grunjete Ale- der eh:nia«ige
Lohne-Jener im Jahre 1829 starb,
schätzte man sein Rachlaßvermijgen
ohne liegende Giiter ans 40 Millionen
römische Thaler; nur Rothschild noli
fiir reicher als er. Mit den edelsten
Familien Italiens war er ena der
bunden, sein ältester Sohn, der Hei-zog
von Vola, hatte sich mit der Fürstin
Cäsarine von Ssorza und sein jiinaei
rer Sohn mit einer Fürstin Darin
Veriniihli., — Aus dieser historischer
Thatsache isi ersichtlich, daß group
Verniöaensanhäufunaen durch Leute
aus dein Volke ——- roie sie hier Carus-sk
aie, Rockefeller, Morgan u.s.ni. zu
Stande brachten —- auch in früheren
Jahrhunderten stattfanden.
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Ein ,,l,spr«ziges« Mädel!
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Angeklagtcn »Jaivol)l! Den wichtig
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Angeklslgter »Daß Strenge bei mit
am wenigsten nützt.«