Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, June 13, 1902, Sonntags-Blatt, Image 12

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    oooooooooooo
pas verhtkchku im Omnim
Roman von Fortune de Bossgobey
Ists-isten Uebersefung von sich-III TIIL
(«10. Fortsetzung)
Ihre Gedanken flogen nach jenem
Flog auf m Paul sie am vorigen
Taae verl n, und wo sie ihm hatte
schwören müssen, nicht abzureifen,ohne
ihn wiedergesehen zu haben. Sie frag
te sich. was er wohl damit hatte sagen
wollen, ihm anderswo Modell zu sie
hen, als man leise an vie Thür ihres
Zimmers tlopfte.
Sie wandte sich um und murmelte
bleich und zitternd: »Wenn er eg
wäret«
Jn diesem Augenblick drehte sich der
Schlüssel im Schlüsselloch, unv Vi:
Thiir öffnete sich langsam. Es war
nicht Freneusr. Der Besuch war ein:
schwarzgetleioete Dame, vie ziemlich
vornehm und einnehmend aussah.
«Jch sehe, mein liebes Kinv.« be
gann vie Dame uno setzte sich auf ei
nen der Strohstiihle, «an Ihrem Er
staunen, daß Sie mich nicht wiederer
tennen."
.Entschuloigen Sie, Madame, ich
erinnere mich nicht,'« murmelte das
junge Mädchen.
»Ich war gestern ganz nahe bei
Ihnen, und es thut mir weh, Sie an
diese grausamen Augenblicke zu erin
nern; ich war in Jhrer Nähe, als Sie
fiir Jhre verstorbene Schwester bete:
ten.«
Pia zitterte und fah die Frau auf
merksamer an.
»Ich hatte auch auf dem Grabe un
serer theuren Bianta gehetet!«
»Sie konnten sie?«
»Seit zwei Jahren; ich bin oft mit
ihr in Mailand bei Freunden meines
Mannes zusammengetroffen, ver da
mals mit mir in Italien reiste.«
»Sie hat mir nie von Ihnen er
zählt.«
»Es-ebenfalls ebensowenig, wie sie
Ihnen erzählt hat, warum sie nach
Paris getommen warf
L .- - «
»Ur zkly hell Vie, Minimum uuv qai
sie mir gesagt«
»So wissen Sie also» daß Bianta
ihren Vater suchte, der auch der Jhri
ae war?«
»Ja ich wußte eg. «
»Aber Sie wissen nicht, daß sie ihn
durch meineHilse wiedergefunden hat.
«Unsern Vater? wie, sie hat ihn
wiedergesehen, und ich wußte es nicht?
nein, nein das ist unmöalich!«
»Sie hatte mir auch geheim gehal
ten, daß sie eine Schwester hatte. Erst
geftern habe ich durch Zufall erfahren,
wer Sie sind. Jch hatte sie zu einer
braven Frau geschickt, die in der Rue
des Ahhesses ein Hotel aarni hält, und
die gestern Blumen nach dem Kirchhofe
brachte. Was mich anbetrifft, so wuß
te ich nicht, daß sie Abends ausgina,
denn sie tam zu mir nur Morgens
und sprach mit mir nur von Ihrem
Vater. Jhr einziger Gedanke war, ihn
wiederzusehen.«
»Aber hat sie ihn denn nicht wieder
gesehen?«
»Leider nein, und das hat sie ge
tödtet.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»hat man Ihnen nicht erzählt, wie
Ihre Schwefter starb?«
»Man hat mir erzählt, sie wäre
ganz plötzlich gesiorhen.«
»Sie ift vor Kummer gestorben Sie
litt an einer herztrantheit, und e: n
plötzlicher Schmerz hat ihr das Herz
gebrochen. Sie hatte ersahren,« fiiate
Madame Blanchelaine hinzu, »daß ihr
Vater sich weigerte, sie zu empfangen,
daß er sie verleugnete. Auf den fle
henden Brief« den sie ihm geschrieben,
antwortete er in sehr harter Weise.
Das arme Kind hat nicht die Kraft
gehabt, diesen Schlag zu ertragen.«
»O, das isi.entsetzlich," fchluchzie
das junge Mädchen und sant auf einen
Stuhl.
Die Dame erhob sich, trocknete mit
ihrem Batifttafchentuch die Thtiinen,
die iiher Pia’s Gesicht ftrömten, uns
sagte? u ihr in sanftem Tone: »Ver
Wie-n Sie nicht, mein Kind; die
schen sind dergeßlich, und Ihr
Bat-e bat auaentcheinlich einer ersten
Besruna Des Zornes nachgeaebcm
doch sein herz tann sich wandeln, un:
er wird Ihnen nicht verweigerm was
er seiner ältesten Tochter abgeschlaaen ’
hat; er wird anen zu Hilfe kommen.«
»Ich dank-e Ihnen, Madame, doch
ich brauche Niemanden,« murmelte
das junge Mädchen
»Das weiß ich, mein Kind, ich weiss«
Sie sind vernünftig, sparsam, und e-.-"
ist Jhnen gelungen, durch redliche Ak
beit etwas Geld zurückzulegen. Doch
» .. ich sehe in dem Beruf, den Sie
ausüben, keine Garantie siir Ihre Zu
tunst. Sie werden nicht immer schön
bleiben, und wenn Sie das Alter ek
reicht haben, in dem Sie den Künstlern l
nicht mehr als Modell dienen tön
nen . . . . «
- »Ich bin entschlossen, nie wieder
Modell zu stehen. Ich will nach Su- .
biaep zuriicktchten, wo ich geboren bin ;
nnd wo meine Mutter gestorben ist.« »
»Na-h Sapia-se sWerchs settiqmesf
- sammentressenl Wir waren avrti
itsv vor zwei Jahren, mein Mann 1
M ich; dar-als haben wir uns nur
kuts- Zett dort aufgehalten, doch wir
Juden Ihre Berge so reizend, daß
sit entschleiert stup, uns diesenIriihs
M tmt niederzulassen nnd bit Ende
skw Sommers zu bleiben. Warum
M Sie nicht mit uns mittemrnenl
Hören Sie mich an, meine liebe Pia.
Sie ftehen allein auf der Welt, da Ihr
Vater Bianka verstoßen hat und Sie
nicht versuchen wollen, fein Herz zu
rühren."
»Riemals!« derfente Pia lebhaft.
«Nun gut, mir, die ich alles besihe,
um auf Erden glücklich zu sein, fehlt
eins: ich habe kein-e Kinder!... da
habe ich dann daran gedacht, Ihre
Schwester zu adoptiren, und sie· wie
meine Schwester zu lieben . . . mein
Mann theilte meine Ideen...eines
Tages hätten wir sie oekheirathet und
ihr später unser ganzes Vermögen hin
terlaffen. Der Tod hat uns die Bianta
geraubt, doch Sie bleiben uns, und
es hängt nur von Ihnen ah, mir die
Hoffnung wiederzugeben, die ich ver
lor. Pia, meine liebe Pia, wollen Sie
meine Tochter fein?«
« danke Ihnen für Ihre Giite,
Ma ame«, murmelie das junge Mäd
chen, «doch ich habe Ihnen bereits akk
fagt, ich will nach Italien zurückleh
ren.«
»Und ich habe Ihnen doch gefagi«.
daß wir auch dahin gehen, mein Mann
und ich, daß wir die Absicht hohen,
gerade in Ihrer heimath den Sommer -
zuzuhringm Wann wollen Sie ab
reiien, meine liebe Pia?'· I
»Das weiß ich noch nicht«
»Nun, wir werden den Tag wählen,
welcher Ihnen am besten paßt, mein
Kind.«
»Sie find zu gütig, Madame, doch
ich kann Ihnen nicht versprechen, daß:
ich Sie begleiten werde.«
«Weshalb, sind Sie nicht entschlos
fen, Frankreich zu verlassen Z«
«Ia.«
»Nun, aifo ift es doch besser, wenn
es fo bald wie möglich geschieht; he
fonderi, wenn, wie mir eben erklärten,
Sie nicht mehr in den Ateliers Modell
stehen wollen. Wenn Sie hier blies
ben, würden Sie Jhre kleinen Erspar
nisse bald erschöpfen da Sie ia nicht
s mehr arbeiten wollen«
; »Ich werde nicht hier bleiben; es ist
»wohl möglich, daß ich schon moraen
reise; doch ich tann nicht abreisen, be
vor ich nichd mit Jemand gesprochen
habe, der mir Lebewohl sagen will. "
»Ah, es interessirt sich Jemand für
» Sie? Jch möchte diesen Freund len
nen lernen, der Ihnen im Unglück treu
geblieben ist.« I
»So haben Sie also nichts dagegen, (
daß ich ihn um Rath frage?« sagte(
Pia nach kurzem Zogern.
»Ich habe nicht nur nichts dagegen,
sondern ich ersuche Sie sogar dringend
darum, Und wenn Sie mir seinen Na
men und seine Adresse geben wollen,
werde ich ihn aufsuchen, ihm erklären,
was ich für Sie zu thun gedente und
ihn bitten, sich mit mir zu vereinigen,
sum Sie zu veranlassen, meinen Vor-»
s schlag anzunehmen.«
! »Nun, Madame, es ist der Maler,
) der mich gestern nach St. Ouen beglei
» tet hat.«
! »Wie, herr Binoö?« rief die Dante,
«aber das ist doch tein ernsthaft zu
inehmender Künstlerk
l »Es handelt sich nicht mn ihn Ma
l danie; ich spreche von Herrn Paul Fre
neuse.«
» «Jn seinem Atelier haben Sie ja
wohl den Tod Jhrer Schwester ersah
ren und haben seit Jhrer Ankunft in
Paris nur für ihn Modell gestanden?«
« »Wer hat Jhnen das gesagt?«
l fragte Pia.
«Madanie Cornu. —- Und Sie er
warten ihn jetzt?«
»Gewiß.«
»Und wissenSie, daß er sich in näch
fter Zeit verheirathet?"
»Den Freneuse verheirathet sieh-.
sagen Sies« murmelte Pia; «nein, das
ist nicht möglich!«
»Ich versichert Sie, mein Kind, es
ist die reine Wahrheit,« entgegnete
Madame Blanchelaine, »das Ausgebot
ist veröffentlicht und die Trauung
mird am Tage nach der Eröffnunq deg
Saldns ftattsindscn. Herr Freneuse
heirathet Fräulein Marguerite Paulet,
die Tochter eines reichen Haushesitzers.
Aber, was haben Sie denn, mein lie
bes Kind?«
»Nichts, Madame,« erwiderte Pia,
und unterdrückte mühsam das-Schluch
zen, welches sie sast erstickte.
»Ich dachte, Sie sind Herrn Fre
neuse sehr dankbar-, und diese Nach
richt würde Jhnen Vergnügen machen,
doch ich sehe. ich habe mich getöujcht.«
»Ich glaube nicht daran; wenn er
sich verheirathen wollte, hätte er nicht
versprochen, mich zu hesuchen.«
»Mein Gott, liebe Pia, Sie setzen
mich sehr in Verlegenheit; es würde
mir hart werden, Ihnen eine Illusion
zu rauben, und andererseits möchte ich
Sie doch auch nicht einem Maine
unsern, der nur daran denkt, Sie aus
zudeuten . . . ."
»Sprechen Sie, ich bitte Sie dar
um«
»Ich fürchte aber, Sie nicht allein
zu betrüben, sondern auch, Sie zu der
lesem Nun denn, mein liebes Kind,
here Inneuse hat bemerkt...oder
glaubt, bemerkt zu haben . . . kurz und
kut, ser bildet sich ein, Ihnen ein Se
' hl Wulst zu habe-, das. . .«
« »Es-sprechen Sie nur aus, Madame«
" er hat geglaubt, ich liebe ihn?«
» »Sie haben ei ehen gesagt.«
»Es ist wahr. ich liehe ihn!" ,
»Ich hatte es geahnt und segne Gott«
der mir die Jdee eingab, hierher u
kommen, denn vielleicht ifi es noch Zeit,
Sie oor sich selbst zu retten nnd Sie
von einer verhängnisvollen Leiden
» schait zu heilen. Nach der Steue, die
sich im Atelier abspielte, hat ihm Fräu
lein Paulet im Beisein des Herrn Bi
x aos noch eine andere gemacht; sie hat
Z ihrem zukünftigen Gatten verboten.
: noch weiter mit Jhnen zusammen u
tommen. Er ha: ihr gesehm-new Sie
würden nicht mehr den Fuß in sein
; Atelier sehen."
l »Das glaube ich nicht« das wäre sei
[ ner unwiirdigx übrigens habe ich ihn
I gleich am andern Tage wiedergesehen."
F »Weil er ein gro es Interesse daran
? hatte, sich nicht mit; hnen zu entzweien.
Jch errathe seinen Plan, und, seien
Sie aufrichtig. Pia, hat er Jhnen nicht
vorgeschlagen, Sie sollten ihm in ei
nem anderen Atelier Modell ftehen2«
»Von einem anderen Atelier hat er
nicht gesprochen: er hat mich gefragt,
oh ich wohl geneigt wäre, ihm an einem
Orte Modell zu stehen, wo er mit mir
allein sein würde-«
»Und Sie haben angenommen?«
»Nein, noch nicht. ich habe geant
wortet, ich würde weitere Nachricht von
ihm erwarten-«
»Nun, so tann ich Ihnen jagen, er
wird iommen."
»Hierher?« fragte das junge Mäd
chen zitternd.«
»Gewiß."
»Nun, so werde ich ihn nicht erwar
ten,« versetzte Pia.
»Sie haben recht, mein Kind.«' ver
setzte Madame Blancheiaine mit ihrer
ianixseften Stimme, »Herr Ferneuse
darf Sie nicht mehr hier sinden.«
»Ich will fort,« unterbrach das
junge Mädchen, »heute Abend noch will
ich reifen.«
»Heute Abend wäre es vielleicht zu
spät, denn gestern hat er Jhnen seinen
Besuch angeiiindigt. Er wird also
sicher heute kommen. Wenn Ihnen
also daran liegt, ihm augzuweichem so
haben Sie keine Minute zu verlieren.
Sie wissen. mein haus steht Ihnen of
fen Nin M mem- Sie dorthin küh
ren und schwöre Ihnen, daß ich Jbre
Entfchliisse nicht beeinflussen werde.
Sie werden bei mir bleiben, so lange
es anen gefällt: jedenfalls die erfor
derliche Zeit, um die Gegenstände, töd
che sich in diesem Zimmer befinden, ab
bolen, und die Effekten Jbrer armen
Schwester, die sich noch bei Madame
Cornu befinden, zu mir bringen zu
tassen.«
»Wozu?« murmelte Pia.
»Das ist durchaus nöthig, mein lie
bes Kind; Sie können doch die Gegen
stände, die Jbrer Schwester gehört ha
ben, nicht so im Stich lassen. Jch wer
de Madame Eornu benachrichtigen, die
alles zu mir bringen lassen wird.«
»Nun gut, nreineiwegen,« sagte Pia.
»Iiibren Sie mich fort. Madame, ich
bin bereit, Ihnen zu folgen, wenn Sie
mir versprechen, daß ich morgenAbend
Paris verlassen tann.«
»Ich verspreche es anen und werde
ich Sie nicht davon abzuhalten suchen,
allein zu reisen, wenn Sie nicht war
ten wollen, bis wir, mein Mann und
ich, unfere Reisedorbereitungen getrof
fen haben. Doch die Zeit derftreicht;
ich bitte Sie, mein Kind, kommen Sie
ich bitte Sie, kommen Sies«
»Ich bin bereit, Madame,« sagte
Pia und stürzte auf die Ihiir zu, die
Madame Blanchelaine geöffnet hatte·
Sie ließ die Frau vorbeigehen und eil
te, ohne auch nur den Schlüssel abzu
ziehen, die Treppe hinab.
Der Vater Lorenzo rauchte vor der
Thiir seine Pfeife und begrüßte Pia
freundschaftlich, doch er war kein gro
ßerSprecher und fragte auch nicht, wo
hin sie geht«
Madame Blanchelaine war in einem
Fiaier gekommen, der vor der Thiir
wartete, ließ Pia einfteigen, gab dem
Kutscher die Adresse und ließ die Vor
hänge herunter, in dem Augenblick, da
das Pferd dem Quai zulief. Die Vor
sicht war nicht unberechtigt, denn im
selben Augenblick kam ein Wagen aus
der entgegengefehten Richtung heran
gefahren, in dem zwei herren saßen,
und auf dessen Bock man verschiedene
Malerutenstlien bemertte.
Eine Minute später stieg-en die bei
den Männer vor der Tbür di- haufes
Gub.
»Guten Tag, alter Bandit," rief ihm
der eine zu, «ertennft du mich nicht,
edler Freund?«
«Nein,'« derfthe derWirth erstaunt.
»Nun, fo ertenne wenigstens den
Signore Freneufe, den Wohlthäter ei
ner deiner Mietherinnen.«
»Sieh, sieh. Sie sinds-« Herr Fre
neufe,« versetzte Lorenzo lächelnd.
»Ja, ich bin’s, alter Fro Diovolo,«
entgegnete Freneufex »fei fo freundlich
und hilf dem Kutscher die Staffelei
herabnehmen, die auf unserm Fialer
liegt.«
»Sie wollen alfo hier arbeiten?«
fragte der Wirth.
»Ja, Vater Lorenzo,« entgegnete
Freneufe, »ich muß mein Gemälde vol
lenden. Wenn doi Modell nicht zum
Maler kommen will, muß der Maler
zum Modell kommen-«
Ach ja, die Pia,« rief Lorenzo, »s
ift in Trauer, weil ihre Schwester ge
storben ift.«
»Wie geht es ihr denn«t« fragte Fre
neufe. «
»Sie iftnicht krank, err, alter recht
trouri ; vorn Morgen it zum Abend
weint e und ißt nicht«
-
»Pia wird nicht wenig überrascht
kein, wenn sie uns so beladen anriicken
eht.«
»Ja, wenn sie nach Hause iotnmt.«
»Wie, ift sie ausgegangen?«
»Wer fiinf Minuten, nnd es wun
dert mich, daß Sie sie nicht bemerkten;
der Fiater, in dein sie faß, ift an dem
Ihrigen ooriibergefahren.«
»Das ist eigenthiimlich,« meinteFre
neuse, »sie hatte mir doch verspro
chen . . .«
»Sie ist mit einer Dame fortgefah
ren.«
»Wie, sie war nicht allein?«
»Wie sah die Dame denn aus?«
sraate Binos, sich an den Wirth wen
Dens.
»Sie trug ein seidenes Kleid und ei
nen Sammetmantel und ist nicht zum
erstenmal hierher aetommen.«
»Sie lannte Pia also I«
»Das glaube ich nicht: eines Abends
als Pia’s Schwester kam, trat diese
Frau auf mich zu und fragte, zu wem
die Person ginge, die eben in’s Haus
getreten wäre. Jch erwiderte ihr, das
tümmere sie gar nichts, und sie ist
brummend fortgegangen. Doch heute
Morgen wußte sie genau, was sie woll
te, denn sie hat mir den Namen Pia
Astrodi genannt und mir gesagt, man
erwarte sie oben.«
»Sie log offenbar!« rief Freneuse,
..Pia erwartete Niemand als mich."
»Pia hat dir beim Fortgehen nichts
gesagt?« fügte er hinzu, sich an den
Wirth wendend.
»Nein, gar nichts, Herr,« erwiderte
Lorenzo.
»Dann wird Pia also wiederkom
men," meinte Binos. »Sie hat ja ihre
eigenen Sachen, und in solchem Falle
zieht man nicht so ohne weiteres ausk«
»Du-haft recht, gehen wir zu ihr hin
auf und erwarten wir sie,'« sagte Fre
neuse und eilte zur Treppe, welche zu
dem Stäbchen im sechsten Stock führte.
»Nun, wir sind da, das ist die
Hauptsache«, fuhr Binog fort, »und es
fehlt weiter nichts, als das Modell.
Doch horch, man klopft, es wird Lo
renro sein. et ist sa beladen. oasr er
nicht selbst öffnen tann. O, laß dich
nicht stören, ich gehe selbst schon.«
Er ging thatsächlich nach der Thür,
doch es war nicht Vater Lorenzo, den
Binos auf der Treppe sand.
Binos wäre fast aus den Rücken ges
fallen, denn die Person war ein wohl
gelleideterHerr. Er hatte tauin Zeit.
zurückzutreren, um einem Zusammen
stoße augzuweichen und schien sehr
überrascht, als er auf der Schwelle das
börtige Gesicht des Malere- erblickte.
»Verzeihung,« stotterte er, »ich
täusche mich jedenfall5.«
»Wen wünschen Sie zu sprechen?«
rief Binos ihm zu.
»Ich suche ein junges Mädchen, eine
Jtalienerin, die den Berufeines Mo
dells ausübt.«
»So? wie soll sie denn heißen?«
»Pia Aftrodi.«
»Was wollen Sie denn von dieser
Pia Astrodi?«
»Ich habe mit ihr von einer Ange
legenheit zu sprechen, die sie persönlich
interefsirt.«
»Das heißt: Sie bedürfen meiner
nichts das begreife ich. Aber es thut
mir leid, die Kleine ist ausgegangen.«
»Dann werde ich wiedertonimen.«
»Warten Sie, warten Sie doch,«
rief Binos plötzlich. »Mir ist, als hätte
ich Sie schon irgendwo gesehen."
»Das ist schon möglich, mein Herr,
auch ich glaube, Sie schon getroffen zu
haben.·'
»Sie sind nach der Piare Pigalle ge
kommen und haben nach deren Paulet
gefragt.«
»Ja der That, mein herr, und ich
erinnere mich, daß Sie mir auch dort
die Thiir geöffnet haben.«
,Das ist wahr, treten Sie also ein,
here-«
»he, Freneuse, tomm doch einmal
her,'« rief Binos.
Freneuse hatte diesen Dialog mit
angehört und sich geräuschlos genähert.
Sobald er sich zeigte, nahm der Besu
cher feinen but ab und sagte in höf
lichem Tone:
»Mein herr, ich hatte schon einmal
die Ehre, Sie zu sehen, und ich bin
sehr glücklich, Jhnen hier zu begegnen,
denn ich komme gerade von Jhnen.«
»Wenn ich mich nicht irre, so sind
Sie der Notar des Deren Paulet, mein
herr," sagte Ireneusr.
»Sei-i Notar? o nein, ich war der
Notar seines Yeuoderjzherron Franrois
dlllxh ou cui tutzuui tu untreu-zuo
Bains gestorben ist.«
»Ah, ganz recht, Herr Paulet hat
mir von dem Verlust erzählt, ver ihn
betroffen, doch ich habe ihn seit dem
Tage nicht wiedergesehen, da Sie ihn
in meinem Atetier aufgesucht uno . . .«
»Und Sie fragen mich,« fuhr der
Notar fort, »aus welchem Grunde ich
Sie zu sprechen wünschet Es handelt
sich um folgendes . . .«
»Nein, nein, nicht hier!'« ries Binos
und zog oen Besucher in das Zimmer
Der Notar tratsein, ohne sich weiter
bitten zu lassen, denn die Anwesenheit
Freneuse’s beruhigte ihn.
»Mein han« sagte et zu ihm, »ich
heiße Drugeam Sie wissen jedensalls,
saß ich nach Paris getotnmen bin, um
mit deren Paulet von dem Testament
seines Bruders zu s ptechen, wissen aber
jedenfalls nicht« daß er in diesem Te
stament enterht worden ist«
»Das wußte ich in der That nicht,«
murmelte Freneusr.
Gatttetzung folgt.)
Es würde Mancher nicht gelobt
werden. wenn nicht ein Anderer da
durch sesrsert werden sollte.
sssps —
Ein Vienftgeheimniß.
—-7-.
Humor-esse von h. v. Ka m pf.
Der neue Regimentstomrnandenr
Oberst Schubert war ein äußerst lie
benswürdiger Herr, dienstlich wie
außerdienstlich, nur besaß er eine
Schwäche, mit der er feine Untergebe
nen, und vor allen Dingen feine Kom
pagniechefs, fast zur Verzweiflung
brachtes
Er verlangte nämlich von jedem
Hauptmann, daß sich dieser genau um
die Privatverhältnisse feiner Mann
schax betiirnmere; speziell war es aber
die ußbetleidung —— eine für den Jn
santeristen ja allerdings wichtigeFrage
—- die den Oberst am meiften zu inter
essiren schien.
Dieses Interesse verlangte er nun
auch von seinenHauptleuten und lang
weitte diese sehr mit seiner wiederhol
ten Frage: »Trägt der Mann
Strümpfe oder Fnßlapoem Herr
Hauptmann-?
,,Fußlappen, Herr Oberftt" war die
prompte Antwort des geplagten Kom
vagniechefs.
»So, fo ———l)m —- hm. Ganz
recht, fehr einverstanden. Lassen Sie
den Mann mal die Stiefel augziehen.«
Der Mustetier that, wie ihm gehei
ßen — aber o Schrecken, er batie keine
Fußlappen ——fondern Strümpfe an.
»Ich dachte Sie besser informirt
über Jhre Leute, Herr Hauptmann!«
Mit ftrafendem Blick nnd kurzem
Gruß verließ der Oberst den noch ganz
beschämt dastebenden Kompagniechei.
um bald daraus einen Anderen mit
derselben Frage zu beatiietem »Hat der
Mann Strümpfe oder Fußlappen?«
»Striimpfe, Herr Oberst!« antwor
tete dienstfertig und überzeugt der
Kompagniechef
»So, fo, mein Junge; ftriat Dir
Mutter wohl, nicht wahr? Möchte
gern mal sehen -—— ob sie auch sitzen!
Es gibt anf den Märschen immer fo
L viel Fußtrante!« wandte sich der
« Uderst jetzt an den Hauptmann.
»Lassen Sie doch mal den Mann
den Stiefel ausziehen!«
Wieder that der Soldat, wie ihm
geheißen; aber auch hier stimmte die
Aursage dec- Hauptmannes nicht. —
»T-er Mann hat ja Fußlappen!«
brummte der Oberst geärgert. »Wie
ec- scheint, wissen die Herren wenig Be
scheid.'· Durch diesen Vorwurf war
Hauptmann Tonat nicht wenig ärger
lich. Er ließ die Kompagnie abtreten
und begab sich dann zu den Kamera
den seines Bataillong, um ihnen seinen
soeben erkebten Aerger zu erzählen.
Man beschloß, sich beim Frühschop:
pen zu trösten.
Doch auch hier tam bald wieder das
Gespräch aus des Obersten Stellen
pserd, nämlich die Fußbekkeidung
Man berathschlagte hin und her.
Keiner wußte einen Ausweg« den
Wünschen des Obersten gerecht zu
werden.
Der Einzige, der bisher immerGliick
mit einer richtigen Antwort gehabt,
war hauptmann Schulz. Er hatte
sich dadurch die ganze Gunst seines
Regimentskomtnandeurs erworben.
Wie machte er es nur, daß er immer
die richtige Antwort zu geben im
Stande war?
»Das ist doch reiner Zusall.« be
merkte hauptmann von Bock. «Schulz
kann doch gerade so wenig Gedanken
lesen, wie wirs«
»Der Oberst sollte uns ietzt nicht mit
solchen nebensächlichen Dingen lang
weilen —- jeht, einige Tage vor der
Musterung, wo Jeder von uns doch
den Kopf gerade voll genug hat!"
.Bielleicht will er dem General mit
diesem .Fußlappen-Vogel« imponi
ren«, meinte lachend einer der Anwe
senden.
«Wollen’s abwarten und uns nicht
vorher schon ausregen. Jn drsei Tagen
wissen wir mehr als heute!« bemerkte
Hauptmann Dürr.
Die Stimmung besserte sich bald,
der Aerger wurde vergessen,——— das Ge
spräch aus andere Bahnen gelenkt.
Als sich die herrsen vom Frist-schon
pen trennten, um ihre verschiedenen
Gattinnen nicht durch zu langes Aus
blseiben zu erzürnen, dachte schon Kei
ner mehr daran, ob«die Musketiere sei
ner, Kompagnie Fußlappen oder
Strümpfe trugen.
O
Der große Tag der Musterung war
herangekommen Man hatte in Den
letzten Tagen nur putzenbe, fcheuernve,
wafchenre und flickenbe Soldaten in
sen Kafernen gesehen.
Nun aber war alles in bester Ord
nung. Die Helmfpitzem die Knöpfe,
vie Koppelfchlöffer, alles blitzte und
blintte; der General konnte zufrieden
fein. Uno augenfcheinlich war er es
auch, als er mit dem Oberften die
Front des Regicnents entlang schritt.
jeden einzelnen Mustetier oon oben
bis unten mufternv.
Dabei tontrolirte er die Tornifter,
vie Kochgefchirre, die Helme, lief-, fich
hin und wierer die Sohlen der Stiefel
zeigen, fand hier bald etwas zu tadeln,
dort etwas zu loben
»Ja-gen Jhre Leute Strümpfe oder
Fußlappen. here Hauptmann Mer
teni?« fragte der General plötzlich,
als er bei der fechften Kompagnie an
gelangt war.
Wie vom Schlage gerührt stand der
geöngftigte Kompagnier vor dem
Geftrengen. Doch nicht lange dauerte
es, und feine im Augenblick verlorene
Geistesaegenwart lehrte zurück.
Strantnt, die Band an die Miit-e
legend, antwortete er: «Strilnrpse,
Herr Generali«
»So, so. hm hm — m’ te den Sis
bei einzelnen Leuten rnal ehen.«
«3iehen Sie Jhren Stiefel aus,
Mustetier Benl,« befahl der haupt
mann.
Dies-er that, wie ihm geheißen. Er
hatte keine Strümpfe, sondern Fuß
lappen.
»Sie scheinen wenig orientirt zu
sein, here hauptmanni Jch dante sür
weitere Vorstellung,« mit diesen Wor-·
ten wandte sich der General ärgerlich
ab. um die nächsten Kompagnien ge
nauer zu besichtigen.
Hauptmann Mertens stand da, als
hätte man einen Eimer lalten Wassers
plötzlich iiber ihn geschüttet. —- Er
probirte im Geist schon Civil und Ch
linderhut an.
Während er über sein geplagtes Le
ben nachdachte, schritt der General mit
dem Obersten zu den anderen Kom
pagnien.
Wieder dieselben Fragen, — diesel
ben unbestiedigenden Antworten-!
Der General wendete sich zu dem
Obersten.
»Sie scheinen Jhreherren im Dienst
nicht zu sehr anzustrengen, Herr
Oberst. Das muß anders —- total an
ders werden! Ich werde in zwei Tagen
noch einmal dieselbe Besichtigung ab
halten«
»Hu besehlen, Herr General!«
« un möchte ich noch das erst-: Ba
taillon sehen!"
»Z« besehlen, Herr General!«
Schon ganz niedergedrückt, geleitete
der Oberst den Vorgesetzten zu der
ersten Kompagnie.
Seine einzige Hossnung setzte er aus
die erste Kompagnie, aus Hauptmann
Schulz· Der hatte ihn noch nie mit
einer richtigen Antwort im Stich ge
lassen.
Der General beaann seine Muste
rung bei der ersten Kompagnie.
»haben Ihre Leute Fußlappen oder
Strümpse?«
»Verschieden. bete Gen-mit«
H
,So?« Dieser Flügelmann z. B»
was trägt er.2!« —- .,Striimpse, here
General!«
»Miichte mal sehen, mein Junge,
ziehn Sie mat Ihren Stiefel aus.«
wandte sich der General in leutfeligem
Ton an den Soldaten.
Dieser zog sofort seinen rechten
Stiefel aus- und zeigte einen groben,
aber tadetlosen Strumpf.
»Was aber nagt sein Nebenxnann?«
fragte der General weiter.
»Fuszlappen, Herr Generals«
»So, so, Hauptmann Schulz, lassen
Sie den Mann seinen Stiefel aus
ziehen.«
,,Zu Befehl, Herr General!«
Mustetier Schmidi zog seinen lin
ten Stiefel aus und zeigte dem Gene
ral einen sauberen Fußlappen
»Sie wissen gut unter Ihren Leuten
Bescheid, Herr hauptmann!"
Aber, vonNalur mißtrauifch, dachlh
er, der Hauptmann tönnte sich vie bei
den Vorketleute ausgesucht haben,
und suchte sieh nun aus den hinteren
Reihen Mustetiere aus.
Ueberall bekam er die richtige Ant
wort, überall die ihm angegebene Fuß
ileidung zu sehen. Unter freundlichem
Händeschiitteln trennten sich General
und Oberst, um erst am Nachmittage
wieder beim Liebegmahl zusammen zu
« l--.--.
ist«-nur«
Das gesammte Lfiizierstorpg irae
anwesend.
Schutz maroe von oen Hauptleuren
mit Fragen oestiirmt, wie er sich nur
so von jedem Einzelnen oie Fitfzbetleii
onna merten tönnte.
»Nun, so tommen Sie in eine ftillere
Ecke, meine Herren, damit tein Unbe
suater mein Kunststück aussehn-roth
Voll Wissensdrang folgten die Ra
ineraoen dieser Aufforderung.
»So hören Sie oenn,« beaann
Hauptmann Schulz, ,.mein höchst ein
facheg aber prattisches Mittel. Jch
lasse oie Leute auf oen rechten Füßen
Strümpfe, auf oen tinten Fußtarrien
tragen. Habe ich auf die Frage reg
Vorgesetzten nach oer Fußbetleiounq
Strümpfe gesagt, und der Btereffenoe
will sich überzeugen, so lasse ich oen
Soldaten oen rechten Stiefel atte
ziehenx habe ich Fußlappen geantwor
tet, so muß er oen linken ausziehen!
Einfache Sache also!« ——- Zwei Tace
waren vergangen. Der General besich
tigte noch einmal. Mertoiikcia, .oie
aut heute vie Sache ain,1.
,,Sehen Sie, Herr Oberst, Das-, e
zu machen ist, -—-— Daß ich nicht zu oiel
verlange. Jetzt tonnten es die Herren
in zwei Tagen lernen. Spreche Ihnen
übrigens meine volle Zufriedenheit
aus « — bitte, oies auch dein Lffiziergs
torpe zu überrnittetn! Jch oant:!" »
s HO
TroU
s »Seit-n Sie stob, Frau Rath, daß
: Sie zu uns gekommen sind. Jn unsc
Ttrm Sanatotium sterben Sie kornig
stkng nach Ver neuesten wisstsnfchnftsis
chen Methode-«