Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, March 28, 1902, Sonntags-Blatt., Image 11

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    Jutta’5 Ostern.
Von B. H e r w i.
Die letzten Worte der Iorrnel »die
der Tod Euch scheidet« — sie hallren
noch in der schmuctlosen, tleinen Dorf
tircho und in den bewegten herze-i
nach, die Ringe wurden gewechselt, der
SeFen gesprochen, die schöne junge
Braut, jetzt die glückliche Gattin des
stattLTchen Lavinia-L nahm gerührt die
Glückwiinsche in Empfang.
Jutta Rattenhorm die liebsteFreun
din der Neuderrniihlten, schob die Fai
ten des weißen, dustiaen Brautschlei
ers zutiirt und umarmte die weinenoe
junge Frau in tiefer Veweaung.
»Wie stimmungsooll das Alles ist,«
sa ten die Anderen, »man wird wirt
lirg ganz erarissen . . . aher haht Jhr
je die lalte Juttajo erregt geseheni«
Ein warmer ertembertag war’S.
Die goldig blinkende Sonne schien
leuchtend aus die hohen Kirchensenster
und warf einen hellen Strahl auf das
dunkle Christus - Auserstehungsbit»,4
das über dem Altar hing. Frische
Lauhaewinde schmückten die heilige
Stätte, sonst waren die Wände kahl
weiß, und doch, wer achtete heute da
rauft
Ja, die Leute hatten recht, es war
ehr stimmungsvoll, und vielleicht be
ionders dadurch, daß sich viel einfache
Strandhewcihner in den hochzeitlichen
Kreis gemischt hatten.
Eine feine Trauung in ihrer beschei
denen Kirche, wer hätte sich das neh
men lassen, nicht hinzulommsent Ver-:
lohungen unter den Badegäsien tamen
ja häufig vor, aber daß die Heirath so
schnell folgte« wie hier bei der jugend
lichen Braut und dem Kapitän, das
war selten. Er nahm sie "a auch heut
noch mit hinaus aus iein großes
Schiff, in die weite Welt. Darum
war gewiß auch die hübsche junge
Dame, die Freundin, so bewegt.
Der Pfarrer hatte wunderschön ge
sprochen, ja, der verstand’s noch besser,
als sein Vater, der so lange dort sei
nen Schutzhesohlenen aepredigi hatte.
Sie wußten ea, dieser Felix Hellmuth,
dieser junge Mann mit den ernst bli
ckenden Augen, mit der warmen, über
sseespnfvn Stimws fri- fsi Milh II
trösten verstand, der fühlte mit ilziiiem
der work-! ihnen helfen in jeder oth
und Gefahr« nicht mit Donnerworten
sie zurückfchreclem nur mit Geboten
der Gottes- und der Menschenliebe sie
zum Guten führen. Beim Hochzeits
mnhl saß Jntla an der Seite des jun
gen Pfarrers.
Er toar ihr längst belanni.
Bei einer tief erfchiitternden, lirch
lichen Feier —- es galt die Leichen er
trunl«:ner « ifcher einzufegnen —- hatle
sie ihn gehort, bei einem Befuch in den
iirrn ichen Hütten der derlassenen Wei
ber ihn wiedergesehen. Sie hatte Geld
und Liebesga en aller Art gebracht,
war aber doch eilig dovongeeilt, als er
kam. Auf Spaziergiiikgen hatte sie
dann feinen Gruß empfangen.
Oftrnals führte er eine alte, fympa
thifch blickende Frau, die voll Stolz zu
dem Sohne emporbiiclte
Seine Mutter! Sein einziges
Glüell Sein Beftesl
So sprach er von ihr.
Man mußte es. daß er das Pfarr
omt an der nordöftlichen, im Winter
fo öden, verlassen-en Strondgemeinde
nur der Mutter zu Liebe übernommen.
Sie war dort glücklich gewefen, alt ge
worden und ivunfchlos, wie sie sagte
. . . .tvnnfchlog in der That, nachdem
ihr der Sohn das Opfer gebracht
Juita fproch mit ihm von der Mut
ter, die sie vorher in der Kirche gesehen.
»Sie oerfiiumt es nie, zu lominen,«
fagle er, «mag Leid oder Freud’ die
Urfache fein, die Gute bot mir auch
gefagt, daß Sie, mein Fräulein, am
Sonnmg häufig hinkamen, ich habe
Sie nie gefehen.«
Julien-Z fonft bleiche Wangen färb
ten sich glühend roth
Kein Wunder war's, daß er sie nicht
erblickt, im einfachen Gewande faß sie
siets in den hinteren Reihen, nach dem
su-«J-:L:--fs- k--t-I-r-«.-k D- c-c-..-fl L
WUSILVUIIIIIUL Uksswsbulss slc UWHLIC,
wie sie getommen, ohne sieh je Rechen
chaft zu geben, was sie denn eigentlich
n die Kirche geführt, sie —- die daheim
in der großen Stadt kaum an Feierta
gen den Weg zur Erbauung gefunden.
»Ich könnte Sie um diese Mut:er
liebe beneiden,« lentte sie das Gespräch
ab, »ich habe nieineJltutter nie gekannt,
sie starb bei meiner (sielnirt.«
Da nahm er ihre Hand und driiette
sie mit inniaem MitgesiihL
Jutta’s Herz klopfte heftig; die.
kluge, gewandte Weltdame war keines
Wortes mächtig.
Die Tafel war iiinaft aufgehoben,
das junge Ehepaar ha: te seine gemein
same Lehenssahrt angetretem die Gäste
waren nach allen Richtungen ausein
ander gegangen.
Leise murmelten die Wellen am
Strande, plätschernd schlugen sie den
Takt zu der alten Melodei.
Die Villa. tn der der reiche Rauf
mann Kaltenhorn wohnte, lag dicht an
der Sz,
Jutta stand am offenen Fenster und
starrte hinaus ans das stille, weite
Meer.
Sie wollte die Erinnerung an die
ver-lebten Stunden bannen, sie schüt
telte heftig die dunklen Löckehen von der
weisen Stirn
.. . . Was ist s denn wettet, was
ta ’s denn weiter feint« slitsterte sie
var ch hin. . »W- itert Lächerticht
Eine Episodh eine Strandidylle wei
m. ichcto I o«
Ihr Je iühcte trog alledem noch den
H , —- , , » v
innigen Druck der sesten Manne-hand,
sie hbrte unverwandt die riese, wohl
lautende Stimme: « . . . bis der Tod
uns scheidet. . .«
Die Saison war zu Ende.
Ein sriiher, rauher herbst hatte hef
tigenSturm gebracht, ein langer, trau
riger Winter stand den armenStrand
bewohnern bevor.
Jutta hatte eine Summe Geldes irn
Namen des Vaters dem Prediger brin
gen wollen«
Er war nicht daheim, nur seine
Mutter, die alte Frau hellmuth
Jhr Felix sei nicht zu hause, er
wäre über Land gefahren, das würde
aber eine große Freude siir ihn sein
. . . das viele Geld siir die Armen
. . . er habe ihr so ost von dem Fräu
lein erzählt, das heißt, anfangs mehr, ;
jeht ist letzter Zeit weniger, und seit der I
schönen Hochzeit sei er überhaupt viel:
stiller gewesen; aber etwas Unangeneh- I
mes könne es doch nicht sein, das ihm s
passirt wäre, onst hätte er es ihr ge- «
sagt, er sagte ihr ja sonst auch Alles . .
Die alten treuen Mutteraugen hat- ’
ten dabei so warm geblickt, und die
lnöchernen, welken Hände hatten liebe
voll die feine Rechte des Mädchens ge
streichklt, das so merkwürdig still war,
und das sich beim Abschied, wie einer
Eingebung folgend, über diese knöcher
nen Hände beugte und sie lijßte. Dann
war sie schnell durch den schön gepfleg
ten Psarrgarten geeilt, in dem die letz
ten gelben Dijonrosen noch dem heran
nahenden Frost Trotz boten.
Am anderen Tage, lan ehe Kalten
borns abgereist, war Felix Hellmath
gelommem um seinen Dank zu saaen.
»Meine Mutter läßt Sie grüßen,
mein Fräulein, Sie waren so gut zu
der alten Frau, ich dante Jhnen.«
»Hat sie Ihnen von mir gesprochen,
Herr Pfarrer? Ja? Und was hat sie
gesagt?«
Felix ward verlegen. .
»Das kann ich Ihnen nicht wiederer
.zöhlen.«
»War es etwas so Eigenthüinli
ches?«
»Ja, Fräulein, es war sehr eigen
thümlich.«
Yllllll fchlvlcch koche
Der Ba:er trat hinzu und forderte
ten Prediger auf, sie in der Stadt zu
besuchen.
Jutta sagte kein Wort.
.Felix Hellmuth verbeugte sich und
ging.
Jutta Kaltenborn hatte anscheinend
den ganzen Winter hindurch keine Zeit,
an den Besuch des Pfarrers oder viel
mehr an fein Nichttommen zu denken,
oder ihn gar zu vermissen.
Saison - Vergnügungen aller Art
hatten das schöne, reiche Mädchen ganz
in den Strudel gezogen, daß sie kaum
zur Besinnung kam.
Balle, Schlittenfahrten, Concerte,
Theater, Zerstreuungen aller Art wech
selten ab.
Jutta durfte nirgends fehlen, leine
war so beliebt, so umworben wie sie«
mancher Freier war schon heimge
schickt. Leichteg Gefallen hatte sie wohl
an dem und jenem gefunden, aber im
mer« wenn die entscheidende Stunde
lam, wenn eine beg-:hrliche Männer
hand sich nach ihr ausstrectte, und Lie
besworte ihr Ohr trafen . . . . dann
fühlte sie jenen warmen, noch unver
gessenen Druck wieder, dann hörte sie
wie aus weiter Ferne ». . . bis der
Tod uns scheidet.«
Sie galt fiir tolett, für gefühllos,
fiir kalt.
»Ja, ja, Papa, es wird so sein, wie
die Leute sagen, ich glaube selbst, ich
habe ein talteg Herz.«
»Du, mein Rind, ein kaltes Herz,
das glaube ein Anderer, ich tenne Dich
zu gut, Deine Empfindungen liegen,
Dir wohl selbst unbekannt, tief verbor
gen, faft eingesargt, kommen Dir viel
leicht in sentimentalen Stunden erstor
ben vor . . . warte nur, der,Lenz der
Liebe wird alles erlösen und neues Lea
ben. neues Glück hrinaen.«
So war der Winter vergangen, ein
langer, hattet Win:er, der viel Frost
und Elend gebracht hatte, aber auch
viel Erbarmen und Menschenliebe, die
den Hungrigen gespeist md den Frie
renden geiviirmt hatte. Schnee und
Eis waren geschmolzen, heilige Winde
hatten den alten Spender der Kälte
endlich doch zum Lande hinausgesegt,
die milde Sonne löste jetzt die letzten
eisiaen Ueberbleibsel, die durfte der
liebliche Lenz nicht mehr finden.
Und er bereitete sich zum Kommen
vor, der ewig neu Ivilltommene herr
liche Lenz. Sein Machtwort »Es wer
de« war ihm schon voranaeeilt, man
fühlte den berannahenden Zauber,
letzte, seuchte Spuren wurden von den
sonnigen Strahlen ausgetiiszt, neue
Keime aus der Erde gelockt, überall der
Winterschlas abgeschiittelt, die Auser
stehungssreude brach jubelnd durch.
Sie erklang aus dem Chor der Vö
gel, die ihr Morgenlied in die Liifte
schmetterien, jedes grüne Hälmchen,
das so lange unter der Schnes decte ver
borgen war, reckte sich bisher ht lauf, die
ersten Blattlnospen erschlossen sich der
sehnlich erwarteten Frühlingsluft . . .
Ostern, Ostern, das Fest der Freude,
der Wiedererstehung war gelo Ismen.
That aus die Fenster, thut aus die
Herzen, neue hassnlmg komd-M altes
Leid verschwindet, saltet die- hande,
rüstet Ench, die Feiertage sind da . . .
Ja, schmiickt Eure Zimmer und weh
ret ni t dem neuen hoffen, schmlieü
Eure either enit ersten ’Ftiidlinass
blüthen und laßt ver Erinnerung ihr
Recht
Erinnerung und Hoffnung, zwei
Blumen aus einem Siamme, mit Flor
umwunden und mit grünen Ranken.
Der trübe Erinnerung-Stag, der stille
Charfreitag ist vorüber . . . die Her
zen sind doppelt empfänglich für Freu-«
de und Glück.
Jutta will in alter, lieber Gewohn
heit das Grab der nie griannten Mut
ter schmücken. Sie eilt zum Gärtner,
iauft Vtumen, Anemonen,Schneeglöck
chen, die blaue Scylla, die dunklen
Veilchen.
Die Leute sind so beschäftigt, viel
Kränze und Gewinde sind fortzuschi
cken.
»Alles hinaus an den Strand, wo
sie doch jetzt nichts haben . . .« plan
-dert die Berkäuferin . . . »meiii Gott,
es waren ja auch so viele Menschen
draußen im Sommer, die den Pfarrer
Hellmuth verehren, und nun . . . der
plötzliche Tod . . .«
»Wer?« sreit Jutta, sie faßt das
Mädchen an der Hand und sieht ihm
starr in die Augen . . . »wer ist todt?«
»Nun, die Frau Pfarrer Hellmuih,
die Mutter des Predigers, mit der
nächsten Post müssen die Kränze hi
naus, am Nachmittag ist die Beerdi
gung . . . nein, aber gnädiges Fräu
lein, wie Sie mich auch erschreckt ha
ben.«
Jutta hält sich mühsam. Jhr war,
als schwanke der Boden, als verdun
telie sich die Sonne . . . jetzt zog ein
Gefühl der Erleichterung durch ihre
Brust.
»Nicht er, Gottlob, nicht er . . . aber
doch, welch schweres Leid für ihn . . .
sein einziges Glück, sein höchstes Gut
dahin, seine Mutter . . .«
Der Gedanke verläßt sie nicht.
Sie fährt zum-Kirchhof und schmückt
das Grab ihrer Mutter Wie mecha
jnisch nimmt sie die eine Hälfte der ge
iauften Blumen dazu, die andere legt
,sie zur Seite.
i Dann sinkt sie in die Knie, birgt den
Kopf in die dustenben Blüthen und
schluchzt herzbrechend:
. »Mutter, Mut: er, die Du Dein ar
Jmes Kind nie hast mit milder Hand
führen dürfen, höre mich, Dir willf
IW lqll IILU(, II,II, Iqll usIU sblllkcl all
dern . . . uD er liebt mich wieder, ich
weiß es, ich wollt' es nur nicht verste
hen, mein Herz war wie todt, aber nun
»ist es erwacht, ich muß zu ihm, er soll
es wissen, er soll nicht so einsam am
Grabe stehen, nicht wahr, geliebteMut
ter, dort ist mein Platz . . . an feiner
Seite. .
In der kahlen Trauerweide iiber
dem Hügel flötet die Amsel . . . ,,3u
ihm« . . . »Hu ihm« . . . tlingt’s nicht
so?
Die alten, dürren Aeste sind vom
letzten Sturm derbogen, geknickt; fort
mit euch, fort mit allem, was morsch
und todt, neuer Frühling ist da; rinne«
du Bächlein, vom Eise befreit, rinnet
ihr Thränen und bringt dem Herzen
Erlösung, dem Herzen, das in Selbst
sucht und Vorurtheil den Winterschlaf
geschlafen
Und wenn er auch jetzt kein Glück
empfinden kann, Trost will sie ihm
bringen und Zuversicht, daß er nicht
»allein sei!. . .
» Jn schnellem Fuhren eilt sie dem I
Stranddorf entgegen, sie nicht denl
Kindern zu, die verwundert am Wege
stehen und dem eleganten Wagen nach- I
sehen, und freut sich an den fleißige-is
Frauen, die fiir den morgigen Feiertag S
ihre Häuschen säubern und schmücken,
die Gartenwege reinigen . . . sie em
pfindet jetzt fremdes Leid ebenso wie
fremde Freude. . . Fremdes Leid. Jst
es nicht auch ihr eigenes?
Die Trauerglocten sind verstummt.
Die Leidtraaenden haben den Friedhof s
Verlassen. Nur der oerlassene Sohn
steht noch am Hügel
ES scheint dem Einsamen, der eben
H- Aimmsr erhob-n hpn Nlick an blon
i
den . . . ein Trugbild glaubt er zu se
shen . . . aber nein, schon eilt die
schlanke Mädchengeftalt mit dIn Blu
men in den Armen, an den Gräbern
vorbei, ihm entgegen, schon ist sie an
seiner Seite und streckt ihm wortlos
die Hand entgegen . . . sie hat nicht
dariiber nachgedacht, was sie ihm sagen
will . . . weinend steht sie da·
»Jntta, Du!« ruft er und breitet ihr
die Arme entgegen.
»Ich tdnnte Dich heut’ nicht allein
lassen, ich mußte zu Dir . . .«
Sie fühlt sich von ihm umschlungen,
schwere Tropfen rollen ihm die Wan
gen herab in den blonden Bart.
Endlich entwindet sie sich ihm und
legt liebevoll die Blüthen aufs Grab.
»Wie wenig bin ich im Vergleich zu
der, die da schlummert,« spricht sie in
nig, »habe Geduld mit mir Felix.«
»Sie hat es gewußt,« flüstert er, »sie
hat es mir damals gesagt.«
Fragend schaut Jutta zu ihm empor.
»Wenn ich Dir dies Mädchen mit
meinem Segen erringen könnte, dann
möchte ich sterben . . · aber weißt Du,
Felix, ich glaube, sie liebt Dich auch,«
so sprach sie zu mir.
Ja, das hatte er ihr damals unmög
- lich sagen können.
« »Und hier gestehe ich's Dir, daß sie
Recht hatte,« erwiderte Jutta, »und
Du, Du willst mich lieben?«
»Bist der Tod uns scheidet, Jutta.·
Wie diese Worte ihr wohlthaten.
Dann gingen sie schweigend heim,
die See entlang.
Da brauste und todte es noch imi
———--.- Ho-» Urk« -:-,-- f
letzten Winter-kampf, noch vermochte «
der belebende Wind die leyten Eisstitcke
nicht in s offene Meer zurückzutreiben,
denn an die See kommt der Frühling
immer später . . . man merkte es auch
im Psfarrgartem wo kaum ein Gras
bälmchen zu erblicken war; aber in die
Herzen war er eingekehrt und hatte
Balsam fiir die Wunde gebracht und
Hoffnung für die Zukunft, fiir die ge
meinsame.
»Ich muß heim,« sagte sie, »mein
Vater wartet, aber komme bald, daß
wir s ihm sagen.«
Dann ein inniger Händedruck ein
Mchiedsroort
Sie stand aufrecht im Wagen und
sah lange zurück, bis das Haus ihren
Blicken entschwunden war.
Von den Thürmen klang schon der
feirrliche Ton der Glocken. Sie läute
ten das Fest ein, den Tag der Aufer
stehung, Ostern.
ROHR
Luna-ach
Der Theaterlrititer der »Magdebur
per Zeitung« frischt die folgende launi
ge Erinnerung auf:
Bei Gelegenheit der Erwähnung Jo
hann Nestroys sei anläßlich des noch
immer unvertoiistlichen ,,Lumpaci Va
(—,ebundus« ein Detail erzählt, das nach
zwei Richtungen interessant ift. Er
stens wird ein Blick auf Bühnendich
tcriHonorare in der ersten Hälfte des
vorigen Jahrhunderts lehrreich wiklem
und dann wird dadurch wieder einmal
die absolute Unmöglichkeit confiatirt,
Erfolg oder Nichterfalg eines Bühnen
toerteH im Voraus zu prophezeien. Als
Nestroy, der bei Director Carl, dem
Begründer des nach ihm benannten
Theaters, als Komiter engagirt war,
dem Chef, der als ,,Staberl« so große
Erfolge erzielte, den ,,Lumpaci-Vaga
bundus« einreichte, sagte Carl 48
Stunden später zu dem verdutztenDich
ter: »Mein lieber Nestroy. da bab’ns
Jhna a’mal ord'tli verhau«n. Dös laßt
sie unser Publikum denn doch net g’sal
l’n.« --- Nestroy nahm eine herausfor
lsernde Miene an, da sagte Lurl ein
lcntend: »Mir müss’n halt noch a paar
lichterln aufsetz’n.« —- ,,Gut,« sagte
Nestroy, »ich tverd’ noch a Scen’ eini
schreib’n,« und schrieb in einem Vor
mittrm die uklomiirlie Priestern-, Di
rettor Carl war« immer noch voll stei
fel und traute sich hinter dem Ohre·
»Meinen’z ni t,« fragte er Nestroy,
»Daß ’s uns auslach’n?« -—-- ,,J moans
net, aber wann’s den ,,Lumpace" net
aufführ’n, so werf i Jhna den Con
tratt vor die Füß, die mi tret’n woll’n.«
— Carl, der nicht umsonst in Wien
»der tluge Carl-Kerl« hieß, übersah
rasch die Situation, lachte »schneider
liaft«, wie Neftroh später erzählte, und
sagte: »Ja, wann’«s glei mit ’n grob’n
G’fchiitz aufahfr’n, nachher capitulir’
ich!« Das Stück wurde aufgeführt
und erzielte einen beispiellosen Erfolg
Die Briefscene wurde bejubelt wie eine
»Bravourarie und mußte wiederholt
werden, ein bis dahin unerhörter Fall.
Nestroh erhielt das ein- fiir allemal
vereinbarte ,,Einrechnungshonorar«,
sodann von jeder 20. Vorstellung den
fünften Theil der Einnahme nach Ab
zug der Kosten. Er wird wohl an 600
Gulden damit errungen haben, und die
Anderen meinten: »Ja, der is halt a
glücklicher Dichteri« Castelli, Kaiser,
Elmar, Langer, lauter erfolgreiche
Wiener Possendichter, lebten und star
ben in beschränteften Verhältnissen
Erst O. F. Berg erhielt Tantiemen
und wurde reich. Direktor Carl aber
kaufte sich durch die Einnahmen des
,,Lumpact - Bagabundus« in Hietzing
bei Wien Haus an Haus in der Stra
ße, die er im Sommer bewohnte. Als
die ganze Straße sein Eigenthum war,
wurde sie von der Gemeinde Hietzing
auf seinen Wunsch »Lumpacigasse«
benannt — - eine Benennung, die sie
noch heute führt.
—s---——-. - —
A b g e w in l t.
A ,
i
i
(
i
»Weißt Du, Fritz, ich verkomme its
dieser Stadttqu Mir fehlt das Grün
Per Bäume, der Wald mit den gefieder
ken Sängerin ——«
»Aber, liebes Kind, das haft Du doch
lllles auf Deinem neuen Hut!«
Aus der Kafetnr.
Feld-when »Warum ist die Flagge
heute auf Halbmast gesetzt.«
Rekrut Dumzig: »Ich weiß es
nicht.«
Feldwebel: »Den-te darüber nach,
ich frage noch ’mal.«
Nekrut Dumzig (nachdem ihm vom
Hinter-traun etwas zugeflüftert wur
de): »Herr Feldwebei. der Strick hat
Nicht gereicht« · ’
—
W « Jmi Jahzokii.
Nobellettc von E. F- a h r o w.
Durch das hohe, breite Fenster des
Atelierg strömte helles WinterlichL
herein. Es leuchtete in alle Winkel des !
geräumigen Gemachs und spiegelte sich I
in den metallenen und gläsernen Jn
strumenten, die aus den Tischen herum
standen und lagen. Schließlich kam
die Sonne selbst um die Ecke und schoß
Strahlenbiindel von göttlichem Glanz
in die lleine irdische Werkstätte und
zwischen die beiden Männer, welche
dort arbeiteten.
Der ältere von beiden, ein kleiner
bronzesarbener Südländer mit er
grauendem Haar, sprang aus. Alle
seine Bewegungen waren hastig und
niervös, und auch sein feingeschnitte
nes, dunkles Gesicht mit der Adler
nase und den blitzsenden Augen war
voll vibrirender Bewegung.
»Jnsernale Sonne!« stieß er hervor,
während er aus das Fenster zustürzte
und einen Vorhang herabließ.
Der andere, jünger, blond und ganz
deutsch aussehend, hob aus einen Au
genblick seinen Kopf von der Spiritus
flamme, iiber die er irgend eine Glas
röshre hielt und lächelte ein wenig:
»Na, Spretto,« sagte er, »nun
schimpse mir nicht auf die Sonne!
Du liebst sie ja außerdem selbst!«
»Alles zu seiner .Reit,« murmelte
Spretto, indem er zu seinem Tisch-u
riictlehrte. — »Ucbrigens liebe ich
überhaupt nichts.«
DerBlonde lächelte wieder, er wußte
es ja besser. War er nicht selbst das
lebendige Beispiel dafür, wie ties und
großmiithig Spretto lieben konnte? —
Hatte er nicht ihm, dem zwanzig Jahre
jüngeren Freunde, geradezu das Leben
gerettet? Denn sicherlich wäre er,
Fritz Brandt« zu Grunde gegangen
in jener elenden, kalten Dachlamrner,
wo er verlassen und halb verhungert
lag, wenn nicht Luiai Spretto, der ihn
von den Elektricitätgwerlen her kannte
und ihn seit einigen Tagen vermißt
hatte —-- wenn dieser italienische Werk
führer ihn nicht ausgesucht, ihm ge
holfen und schließlich ihn ganz bei sich
aufgenommen hätte.
Das war nun schon siins Jahre her.
In all dieser Zeit war nie ein
Schatten zwischen sie gefallen, hatte
ihre ungewöhnliche«F«reu-ndschast sich
zu einem Bevensoeourjnijz herausge
bildet.
Luigi hatte Fritz eingeweiht in die
kleinen und großen Erfindungen, die
er fortwährend für die Fabrik lieferte.
Denn von ihm, dem wortkargen, miß
trauischen und verschlossenen Neapoli
taner gingen die meisten der Verbesse
rungen und Neuheiten aug, denen die
großen Fabrilen, sür die er arbeitete,
ihre führende Stellung verdankten.
Fritz war kein Erfinder, aber ein
äußerst sorgfältiger praktischer Ar
; beiter.
« Er bewunderte seinen bäterlichen
Freund, er liebte ihn, und er hätte aus
jedes eigene Glück gern verzichtet, wenn
er jenen damit hätte beschenken kön
nen. Allein Luigi brauchte nichts,
wünschte nichts, oermißte nichts. —
Vor langen Jahren war ihm seine ge
liebte Frau gestorben, und mit ihr
hatte er alle Lebensluft eingesargLEr
wollte nur noch«arbeiten, darin lag
allein Befriedigung für ihn.
Eine lange Weile hatte er seht an
seinem Messinggewinde her-umgearbei
tet, da legte er es mit einem tiefen
Seufzer der Befriedigung aus den
Tisch
,,;’friti!« sagte er ganz gelassen.
«J(1?«
»Der Apparat ist sertig.«
Fritz sprang auf und lief zu dem
anderen hin.
»Wahrhaftig? Bist du sicher,
Spretto? Zeig einmal her!«
»Ich bin so sicher, daß wir morgen
zehntausend Mark in baarem Gelde
in der Tasche haben werden. lieber
niorgen reisen wir ab —- nach Na
poli!«
Und nun erklärte er dem jüngeren
seinen kunstvollen Apparat, an dem
er Jahr undyTag gearbeitet und siir
den ihm die jfaorit so viel werd ver
sprochen hatte.
Fritz hörte zu, seine guten, blauen
Augen strahlten.
»Wind-It Minos-P rief er einmal
iiber das andere· »Du bist eben ein
Genie-. Sprettok Und du willst mich
ernstlich mit nach Italien nehmen?
Willst so viel mehr ausgeben, als
nöthig? Fahre doch allein hin; ich
schäme mich ja schon, so viel von dir
anzunehmen«
,,Rleiner!« sagte Luigi zu dem ihn
um Haupteslänge Ueberragenden, ,,ist
der ein Freund, der nicht alles gern
mit dem Freunde theilt?«
»Ich bin aber immer nur der Neh
mende.«
»O, Possen! Du giebst mir deine
Gesellschaft, du bist mir wie ein Sohn,
ist das nichts? —- Und außerdem
brauche ich dich ja als Gehilfen — nie
.mand versteht meine Zeichnungen und
Ideen so auszuführen, wie du. —
Alseo sind wir immer quitt, verstehst
du «
»Ja, ja, ich verstehe schon! Mit dir
kann man nicht streiten. —-— Aber höre,
Luigi, ich finde, du hast dir zu wenig
fiir diese Erfindung versprechen las
sen. — Sie muß mehr werth sein«
denn neulich Abend sagte mir jemand,
daß die B’schen Elettticitätswerkesiir
dieselbe Erfindung das Doppelte ge
boten haben. Das wird freilich ge
logen sein —«
.So2 Von wem weißt du ess«
»Jentins sagtees mir. Er bot mir
eine anständige Judasstemenh Ilinterne
ich ihm Andeutunaen machen wollte,
die ihm den Schlußstein zu seinem
Gebäude ermöglichten.«
sehSpretto fuhr aus, aschfajzl im Ge
i t. «
fråUnd du? Was hast du geantwor
tet «
»Ich habe ihn aus dem Fenster ge
worfen.«
Die Antwort kam so ruhig, und
Frihens Augen zwinkerten so lustig
dzau, daß Luigi sich seines-abscheu
lichen, blitzschnell ausgetauchten Ver
dachts schämte.
»Aus dem Fenster geworfen? Jm
.Rothen Adler?« fragte er unsicher.
»Na ja doch! Das Lokal liegt doch ,
Parterre, da konnte er sich das Genick
ja nicht brechen. So ein Lump!«
»Warum hast du mir das nicht er
iziihlt?«
: »Ist es etwa eine Heldenthat? Dich
Ehätte die Geschicht-e bloß aufgeregt,
und ich wußte doch, dasz du gerade
»vor dem letzten Pünktchen ftandest.—
Jenkins behauptete übrigens, aucher
habe die Sache ’raug —wird natür
lich Schwindel sein. Aber auf alle
;Fälle rathe ich dir, gleich heut« damit
lzur Direktion zu gehen. Wer zuerst
) kommt, mahlt zuers
! »Heute ist Sonntag, da ist niemand
jzu sprech-en. Morgen früh gehe ich
shin.-- — Nun komm, jetzt wollen wir
teinen Spaziergang machen. Was hast
idu 6fiir den Nachmittag vor?«
i »Hm —— Luise vielleicht ———«
s Der philosophische Spretto zuckte
die Achseln. Wenn Fritz durchaus die
Liebschaft mit dieser Puppe nicht las
sen wollte, mochte er doch durch Scha
osen klug werden. Ah, die Weiber, die
Weiber! Nur eine war anders gewesen
—- seine Concetta. ———
Am nächsten Vormittag stand Luigi
;in dem Vorzimmer des Dsirektors.
T Seinen kunstvollen Apparat in der
»Hand, wartete er, bis die Thin sich
austhat und die würdige Gestalt des
alten Herrn sich zeigte.
»Nun, Sprettos Was bringen Sie
mir?«
t »Hier, Herr Direktor—endlich bin
sich fertig mit meinem Apparat. Jch
J wollte mir die zehntausend —- ——«
’ Plötzlich hielt er inne. Ein erstaun
! ter und abwehrender Ausdruck im Ge
ichr oes Direktor-d nekz ryn vernun
men·
»Aber-, lieber Spretto —- es thut
mir ja furchtbar leid —aber ich muß
—— muß Ihnen sagen, daß Jhnen ein
i Anderer zuvorgekommen ist —«
Leichensahl starrte der Erfinder ihn
an:
»Was —— ich verstehe nicht —-—was
meinen Sie?-««
»Gott —Sie müssen das nicht so
schwer nehmen, lieber Spretto——aber
natürlich haben sich doch noch mehr
Leute über diese Sache den Kon zer
borchen. Und gestern Nachmittag, in
meiner Privatwohnung, brachte man
mir den Apparat —ansgezeich-net er
dacht übrigens —alles, was recht ist
—- die V’schen Werke haben nun das
Nachsehen ———««
»Der Name!« stieß Spretto heraus,
,,tvie heißt der Mann?«
»Eigentlich sollte ichs noch nicht
sagen —- aber Sie machen ja keinen
Gebrauch davon —- ein getvisser Jen
link-—
«Ah!« keuchte Spretto, »also doch!'«
Eine purpurne Welle färbte sein
Gesicht, seine Augen rollten, er sal)
schrecklich aus.
Ohne noch ein Wort zu erwidern,
stürzte er hinaus-. Draußen prallte
er fast mit Fritz zusammen Bei seinem
Anblick verlor er sein klares Bewußt
sein. Seine Hand fuhr in die Brust
tische —im nächsten Augenblick blitzte
etwas auf — ein-e winzige Messer
ktinge fuhr in die Brust des Wehr
losen —lautlog stürzte Fritz Brandt
zusammen.
,,Persido!« knirschte Luiai. »Wa
rum mußtest du mich verrathenl«
Fritz öffnete noch einmal seine
blauen Atmen Er lächelte. Es war
ein entsetzliches, giitigeg Lächeln, das
Luigi bis ing innerste Mart drang.
»Sprsetio,« sagte er leise, »du bist
immer zurascht —--Jeuting glaubt, er
hat unseren Apparat ersundenl Aber
er irrt sich. Zeig-e dem Direktor unser
Gewinde — wir leisten die zehnfache
straft damit -- dieser Jenting war
gestern Nachmittag beim Direktor --—
ich war bei Luise —-—srage sie - eben
erst hört e —— ich von der Sache —— o
tsg war aus. — —- —— —- —— —
Nur nnch so lange lebte Spretio,
um sich oon der Wahrheit der letzten
Augiagen seines Fritz zu überzeugen.
Dann schoß er sich todt.
—————-——«Os
Ein riesiges Denkmal.
Außergewöhnlich groß wird das
Ruhmegdentmal der deutschen Befrei
ung, das Völlerschlacht- Denkmal bei
Leipzig. Die Grundfläche des Denk
mals nimmt einen Raum von 6900
Q.-Mtr. und der sich davor ausbrei
tende See eine Fläche von 9500 Q.
Mir. ein. Der zur ganzen Anlage des
Denlnials von der Stadt Leipzig ko
stenlos zur Verfügung gestellte Platz
mißt (:4,000 Q.-Mt.; auf ihm erheben
sich monumentale, mit Eichen bevflanz
te, bis zu 25 Mir. hohe Erdwälle, die
dreiseitig um den Denkmalsbau herum
führen. Würdig der großen Ihaten
von 1813 soll das Ruhmeömal des
deutschen Volkes erstehen Die Bau
trsten allein sind auf drei- Millionen
Mart veranschlagt.