Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, January 17, 1902, Sonntagsblatt, Image 14

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    — -
- I
Der Gerichtstburm g
Hrimiuakssrzätjkung von WIL. Howe.
(2· Fortsetzung)
Johanna senkte wieder den Blick zu
en.
»Die Arme!« sprach sie leise. »Sie
siihlt sich so vereinsamt unter den Leu
ten, von denen sie als bezahlte Mieth
ling betrachtet wird, und ihre nächsten
Blutsverwandten sind ihr fremd« daß
ihr jedes Zeichen wirklicher Theilnahme
die grbßte und auch wohl einzige
Freude bereitet! . . . . Die häuslichen
slichten aber verboten mir ein frühe
res Ausgehen am heutigen Tagek
.Berzeihen Sie mir Cousine!« bat
ich. »Sie müssen ja begreifen, wie wehe
es rnir gethan, die Jugendfreundin
auch heute wieder bei meinem Kommen
u vermissen, und zwar, wie es mir
cheinen mußte, diesmal um einer sehr
trivialen Veranlassung willen. Darun
setzeihungk
Das Herbeiiommen der alten Ebri
Iiue enthob Johanna, indem sie leise
meine Hand drückte, der mündlichen
Antwort. Jene tiindete den Besuch ei
siger alten und auch mir wohlbekann
ten Freunde der Familie an, die schon
heute den neuen Herrn Justitiar be
iißen wollten und welche ihr auf dem
uße folgten. Wir brachten den Abend
In ungetrübtem Frohsinn zu.
Es verstand sich von selbst, daß vor
läufig, bis zu meiner ordentlichen und
festen Einrichtung, die gegenwärtige.
obwohl in ihrem Umfan nåe bescheidene,
aber angenehm wohnli e Behausung
meiner elterlichen Wohlthäter mir ein
trauliches Dabei-n gewährte. Man
hatte sür mich ein freundliches Zimmer
hergerichtet, und ich schlief nach der
war nicht anstrengenden, aber ab
spannenden Reise bis in den hellen,
lichten Tag hinein.
Die alte Christine brachte mir das
I-« III
aus«-«
Jch hatte mit der warteten haus
rnagd stets auf vertrautem Fuße ge
standen und so plauderte ich auch jetzt
mit ihr. Unser Gespräch kam bald auf
Johanna, und die Alte war des Lobes
der Pslegetochter ihrer Herrschaft voll.
is drängte mich hierbei zu der Frage,
woher es komme, daß Johanna noch
frei sei ——· ein Umstand, der seit dem
estrigen Abend allerdings mich höch
·ch desrernden mußte.
-.,O glauben Sie nur nicht, daß ei
unserem lieben riiulein an passender-.
semrbern gefe lt hat, herr Justi
äar,« erhielt ich zur Antwort. »Um
nur Einige zu nennen, da war ein
rBergner ausM., der einzige Sohn
irneö wohlhabenden Kaufmanns, der
zrr seiner eigenen Ausbildung siir das
Geschäft seines Vaters reiste. Er de
iuchte auch den errn Rathsherrn, als
sir noch am arltvlasz wohnten,
lernte unser Fräulein kennen, kam bald
wieder und immer wieder, wurde als
nrkser Gast angesehen und hielt end
lich um Fräuleins Hand an, wobei er
auch einen Brief seines Vaters abgab,
worin dieser schrieb, daß er sich sehr
freuen würde, wenn Fräulein Selbig
seine Schwiegertochter werden wollte,
denn er habe von glaubwiirdigen Per
sonen nur Gutes und Schönes von ihr
gehört. Der junge Herr Berger war
ewiß ein liebenswürdig-get und acht
rer herr; die herrschast sprach ihm
das Wort. und das Fräulein hatte ihn
auch stets gut leiden gemocht. Aber
er erhielt doch von ihr ein Körbchen,
indess aus eine solche Art, daß er nicht
darüber böse sein konnte; und obgleich
er weiß, daß er sich keine Hoffnung aus
Inser Fräulein machen dars, besucht
er uns noch immer in aller Freund
schast, so ost er in diese Geccrc
kommt. Dann war auch der Rent
larnmer - Setretär Werner. der Bru
der von der Gouvernantc, bei der ge
stern unserFräulein zum Geburtstags
besuch war. Nun, daß sie den abgetrie
skn, verdenke ich ihr nicht.
»Der Selretiir ist zwar auch ein
anz ansehnlicher Mann, weiß sich zu
nehmen, hat sein gutes Brot, und
außerdem von seinem Vater noch eine
te Erbschaft zu erwarten —- das
Pist: wenn der Alte seinen beiden-kin
dern, mit denen er gar nicht zu gut
seht, nicht noch durch eine zweite hei
rath, von der gemunlelt wird, einen
Strich durch die Rechnung macht.
ster, ich weiß selbst nicht« woher ei
kommt —- ich kann dem herrn Seku
Sr nun einmal nicht viel Gutes zu
trauen und es geht auch noch andern
Leuten so. Da war es mir und der
chast nun ganz nach dem Sinne,
III Der von unserem Fräulein ohne
sitt com litnente ab wiesen wurde.
Und so ! nnte ich no zwei oder drei
senten, die geworden haben nnd die
Use übte Partie gewesen wirren; aber
hat nun einmal ishr Mpfchen site
, vie die rau Rathsheran sagt,
« sen i Nichts zu niachen.«
« can-schen etwa insgeheim,
M der semhun deZ Deren
, Wie Wahl astrp en haben?'
M I sitt-« va« ist sk
II Eber Ess. tdantr wüßte ei
WILL- MTWNMX
. Iie rian heira
WM —
»Aber aus welchem Grunde denn?«
»Die Eltern, sagt sie, werden bald
dass-Alter erreichen, wo sie der Pflege
von liebender Kindeshand bedürfen.
Sie wollte Z» wo sie so viele glückliche
Jahre verledt. nicht verlassen. Her
mann, der junge Herr, wird gewiß,
wenn die Zeit da ist, eine Gattin wäh
len welche die Pflege der tbeuren El
tern getr. übernehmen würde; aber die
Verhältnisse erforderten es, wie bei
gerrn Bergner, daß er, wenn er einen
»ausftand gründet, seinen Wohnsitz in
einer größeren Handelsfiadt nimmt.
Also, sagt das Fräulein, sind die lie
ben Eltern in ihrem höheren Alter auf
mich angewi en, und ich würde mich
des schreiend en Undantes schuldig
fmachery wenn ich mich ihnen n cht mit
Freuden widmen wollte."
; »Das ist sehr edel gedacht oonhanm
schen. Aber unsere theuren Wohlthä
xter werden hoffentlich noch recht lange
leben, und sie erreicht inzwischen ein
Alter, wo sich dann schwerlich noch eine
passende Partie fiir sie findet. Es trifft
sich nur höchst selten so gut, wie mit
dem Ontel und der Tantr.
»Sie ist nicht reich. Von Denjeni
gen, welchen sie von früher Kindheit an »
als eine leibliche Tochter galt, durfte
sie alle Wohlthaten' annehmen; aber sich ;
solche von einem Anderen gefallen las- I
sen zu müssen, und wäre dieser Andere I
auch der gute hermann, das würde sie
bei ihrem Charakter schwer dedriicken.
Ich bin gewiß, daß sie es dann vorne
hen würde, fremden Leuten um Lohn
zu dienen — ein Gedanke, der mir un
erträglich erscheint Der gute Hermann
wird es zwar mit , reuden sehen, wenn
k-:-- Ele--- L---:--«L hä- «I--I»-kö I-s
ISIIII VIILIlI Uksbdslss Ubs -)USUIDID II
ner Pslegesckktrester vor Mangel und
fremder Abhängigkeit sicher stellen —
was gewiß auch oeschieht,· aber wird
sich Hannchen irr diesem Falle nicht sa
nen, daß ihretwegen Hermann’s und
keiner etwaigen Familie rechtmäßiges
Erbe verkürzt worden?«
»Solche unnütze Gewissensstrubel
sind unserem Fräulein schon zuzu
trauen. Und sehen Sie, here Justi
itiar, ich seibst habe ih: schon diese Ein
kmände gemacht. Aber was antwortete
’ sie daraus ? Das tleine Kapital, welches
sie von ihren seligen Eltern geerbt —
wozu freilich der Rathsherr die vielen
Jahre her alle Zinsen geschlagen hat —
werde dereinst inreichen, meint sie,
um sich in das ospitol zu G. einzu
tausen, wo ihr alles Nöthiqe ewiihrt
wird und sie sich auch noch nu ich ina
chcn kann. Denken Sie sich, err Ju
stitiau unser Fräulein eine hospita
itini«
«Unsinn! Uebrigens wird Hannchen
wohl noch einen anderen Vormund für
die Bewahrung ihrer Freiheit ersinden
müssen; denn nimmer werden die
Pslegeeltern ein solches Opfer von ihr
annehmen. Das müßte ihr in der be
stimmtesten Weise gesagt werden« und
es nimmt mich Wunder, dasz es noch
nicht geschehen ist, denn sicherlich wird
der Onkel und die Tante von Hann
chen’s höchst edelmüthigerAbsicht ebenso
gut unterrichtet sein, wieSie liebeChri
stine.«
« nun, Herr Justitiar, die Herr
scha t mag wohl iiber die Sache ebenso
denken, wie ich und mein Sman
»Und wie denken Sie und Friedrich
darühek?« .
»Ich meine, wenn nur erst Ter
kommt, welcher wirklich der Rechte ist, «
so werden schon die verständigen Vor- «
stellungen der Herrschaft den Sinn des
Fräuleins ändern. Und der Rechte
tommt gewiß einmal! —- Aber da stehe
ich hier und verplaudere die Zeit, und
lasse da Fräulein die Arbeit allein
tauchen! Schönen guten Morgen,
Herr Justitiar!«
Die letzte Rede der Alten erregte mir
Gedanken und Empfindungen die mir
aanz neu waren. Aber nur kurze Zeit
überließ ich mich denselben.
»Damit ist gar nicht zu denten,«
sagte ich kopfschüttelnd zu rnir selbst
und pfiff die Melodie eines fröhlichen
·Kommersliedes, während ich einfache
Toilette machte.
Nachdem ich das Zimmer verlassen,
fand ich Johanna bei geräuschloser und
doch emsiaer höuglichek Thiitigteit,»in
der sie sich durch mein Kommen nicht
stören ließ, die Tante zum Ausgehen
bereit, urn einige Besorgungen in der
Stadt zu machen, und den Onkel mit
der Zeitung auf der dem Garten zuge
tehrten Veranda des hauses. Zu die
sem gesellte ich mich, und wir sprachen
siiber politische Angelegenheiten —
Da Christine und ihr Sohn Fried
rich eine nicht aanz unwichti e Rolle
bei den hier erzählten Ereigni en spie
len, so sei auch ihrer« hier ein wenig
eingehender gedacht.
Ehristine war die erste Magd im
ausstande meines Onkels gewesen.
ie bekleidete diese Stelle treu und red
lich mehrere Jahre lang, bis sie sich
verheirathete Auch dann noch ging
sie tin Düring’schen hause ein un
aus, und als ihr Mann nach kurzer
Ehe stets-, einen dreijäheisen Sohn
hinterlassend trat sie aus suns inei
nes Dersel- irnd en damals reit
ItZIWt erstes in in ihre M
iete See-m erteilt see bald der
ic—
ass ersolgende Tod der iejteren und.
die spätere zweite Heirath ihres Brod
herrn änderte nichts.
Meine Tante wußte die treue und
brauchbare Dienerin zu schätzen. Herrs
Düring nahm sich des kleinen Friedrich -
väterlich an: er ließ ihn bei der Mut-;
ter. und es war seine Absicht, ihn für;
das Comptoir aus-bilden zu lassen, uml
er dann leicht siik dessen spätereszort-:
kommen hätte sorgen können.
Allein der heranwachsende Knabe
zeigte einen so starken, i der That»
unbesreabaren Widerwillen gegen jedes
Beschäftigung, welche rüstige Beide-!
gung in freier Luft ausschlag, daß der«
Onkel seine Absicht aufgeben mußte
und ihn mit der Zustimmung seiner
Mutter zu einem Gärtner in derStadt
in die Lehre gab. Wie seine Mutter
während ihresEhestandes, blieb Fried
rich auch jetzt dem Düring’schen hause
nicht fremd. Sein damalige-z Ver
hältnisz zu mir, dem Altersgenvssem
zu Oermann und Johanna ist dem
Leser bereits bekannt, und das zu der
Lehteren änderte sich auch nicht« als er
die Lehrzeit bestanden und nun, ein
traftvoller junger Mann, als tüchtiger
Gärtnergehilse aus eiaenen Füßen zu
stehen vermochte. So stark, wie sein
Widerwille gegen das Stubensixrn
tvar seine Anhänglichkeit an die ti
rinn'sche Familie und die Zärtlichkeit
für seine alte Mutter. Aus dieser Ur
sache schlug er trotz der drin ndsten
Vorstellungen mehrfach dort ilhafte
Berufunaen nach außerhalb aus und
freute sich, dafr ihn das Los-s vom
Militärdienste befreite, dem er sonst
nicht abgeneigt aewesen wäre
Solche Anhänglichkeit an sein Haus
und die aus derselben hervorgegange
nen dielfachen uneigenniihigen Dienste
zu belohnen,ffand mein wackerer OnkelL
erwunschte Gelegenheit, ais er die
Gartenbesitiuna außerhalb der Stadt
dar dem Seethote erwarb. welche ihm
und seiner Gattin nach einem langen
und tbätigen Leben zum Ruhefitz die
nen sollte. ·
Friedrich erhielt den ziemlich großen
Gatten, welcher an Obst, Gemiisen
und Blumm einen reichen Ertrag ge
währte, gegen die Verpflichtung, fiir
den Bedarf der Brodherrschast an den
Eezeuanissen des Gartens und neben
dem Nüdlichen auch für das Schöne
hinsichtlich des 'etiteren sorgen, ohne
eine weitere Einschcantung zur belie
bigen Nugnießung Ein außer dem
Wohnhause der herrschait auf dem
Grundstücke belegenes Häuschen nebst
Zubehör ward ihm wohnlich hergerich
tet. Nunmehr in einer austömmlis
chen und unabhängigen Stellung,
nahm et auch ein schmuckes junges
Weibchen. Durch underdrdssenen Fleiß
bei großer Geschicklichkeit und gründ
lichen Kenntnissen erwarb er dem ihm
anvertraut-en Garten bald in der gan
an Umgegen einen ausgezeichneten
u.
Ei braucht nicht erwähnt zu wer
den, daß seine jetzige Glückslage, wel
che er der Güte des Herrn Düring
derdantte, seine Anhänglichkeit an die
sen und dessen Familie nicht vermin
derte.—
Jch säumte nicht« die unumgiingli
chen Anstandsdesuche zu machen; der
erste derselsen nalt meinem würdigen
Vorgänger. Der alte Herr sfiihrte mich
in den Thurm am Seethor, welcher,
wie erwähnt, jent wieder der Sitz des
iustizamtes war, zeigte mir alle La
talitiiten desselben, stellte mir das Per
sonal vor, welches aus dein Attuar,
dem Gerichts-dienen der zugleich Ge
fängnißwärter war, dem Boten und
einem jungen Copisten bestand, erbot
sich zu allen, mir hinsichtlich meiner
neuen amtlichen Stellung wünschens
»-»«t-— M214L-:l..---- k4-II3- —-- --
.chlqclt JJUHVLUUHFIJH Hqu est-« un
heim. oen Verhandlungen an oen bis
tu meinem Amtsantritte noch übrigen
Gerichtstagem deren zwei in jeder
Woche angesetzt waren, beizuwohnen
uno erwies mir auch in der Folgezeit
manche onntenHwerthe Gefälligleit.
Von oen übrigen Personen, Dencn
ich in den ersten Tagen nach meiner
Ankunft Besuche abzustatten hatte,
tann ich hier füglich schweigen. —
Onkel uno Tante brachten mir meh
rere Wohnungen in Vorschlag.
Wir haben bei Der Wahl Daraus
Beoachi genommen, oasz Du bald hei
rathen wirst,« sagte oer Erstere, als
diese Frage in Abwesenheit Johanna g
zur Sprache kam »Jn Deinem Alter
und in Deiner Stellung taugt oas
Junggesellenleben nicht mehr Tu hast
doch gewiß schon Eine in Deinem Her
gen bie für Dich paßt uno die nichts
dagegen hätte, Frau Justitiarin ge
nannt zu toeroen?«
ch konnte die aufrichtige Antwort
ert ilen, daß dem nicht so sei. war
hatte ich manche reizende uno lie nö
würdigd junge Dame kennen gelernt,
werth es Strebens nach ihrem Besthe,
und nicht alle diese hatten den jungen
Juristen mit gleichgiltigen Blicken be
trachtet. Aber es hatte wohl an mei
ner Er iehung geleg en, daß Lieben und
eirat n mir zwei durchaus untrenns
are Begriffe waren, so baß der leh
tete dem ersteren erst seinen Jnhalt
Lob Da nun bis oor ganz Kurzem
sitt mich die Möglichkeit der Ehe in;
weiter, ungewisser Ferne gele en, so;
hatte auch die Liebe über en keines
herrschast aewinnen können. »
«Jch besise weder Neigung, noch
Anlagen zum sag est o l«zen, erte
ichebenso aufrichtig im weiteren
lause dieser Verhandlung; »abertch
b heauch keine Beranla ung, mit der
hl der Gefährtin te das Lebe
Rest-W inetlen Unde
unt-e net te oder tn
jener seist de, so Mir-be ich hoch
die Consolidirung meiner Verhältnisse
abwarten, bevor ich ur Hochzeit
schritte;» und darüber m" te leicht ein
Jahr hingehen."
Lehtere Behauptung stellte ich im
Grunde nur aus, um nunmehr mit der
Mittheilunq herausriicken zu können,
daß ich mir bereits das oberste, jetzt
unbenuhte Geschoß des Gerichtsthurs
mes zur Wohnung ersehen.
Aus vier zusammenhängenden
wenn auch nicht eben roßen Zimmern
bestehend, deren Fen er na ebenso
viel Richtungen hinausgingen, ge
währte mir diese Wohnung Alles, was
ich in dieser Hinsicht bedurfte und
liebte: genügenden Raum, die beste
Sicherheit gegen unwilltvmsmene Stö
rung bei meinen Arbeiten und Stu
dien, namentlich Seitens zudringlicher
Parteien: Licht und Lust: eine weite
Ausschau über Feld und Flur, Wiese
und Wald, See und Fluß. Jch konnte
von hier aus im eigentlichen Worts
sinne den ganzen Kreis meiner amtli
chen Wirksamkeit übersehen, sobald ich
nur ein Fernglas von mäßiger Trag
weite zu Hülfe nahm. Jch konnte tecn
besseres Schutzmcttel finden gegen
lästige Petenten. deren Zudringlichkeit;
ich in meinem Amte ausgesetzt war,z
als den alten Melzer, den Gerichtsdieij
ner. welcher als Bewohner des unterenj
Geschosses die Pforte des Thurme-.
bewachte und dessen riistige und ver-;
ständige Ehefrau sich auf meine Lin-H
frage gern bereit erklärt hatte, die:
Milbe meiner Bedienung zu überneh
men
Die Thurmtvohnung also entsprach
so sehr meinen Bedürfnissen, wie mei-;
nem ein wenia zur Romantit hinnei
genden Geschmack daß ich keine ihr
ähnliche in der Stadt zu finden erwar-"
ten durfte und mich förmlich in sie
verliebt harte.
Der Onkel, nachdem er die Raume
besichtigt, stimmte mir bei: Johanna
meinte, ich müsse am besten wissen«
was sich für mich schicke, und wußte;
die ängstlichen Besoranifse der guten
Tante und der alten Christine zu ver-;
scheuchen; mein würdiger Vor ängerj
fand die Jdee, innerhalb der Bauern;
des Schauvlatzes meiner amtlichenj
Thätiateit zu wohnen, bei meinem
ehelosen Stande ganz praktisch; Fried
rich versicherte, dass er an meinerStelle
leine andere Wahl treffen würde. und
um das Urtheil «der anderen Leute
tümmerte ich mich nicht.
So wurden denn die nöthigen
Handwerler bestellt, welche ihre Arbeit
unter der Aussicht und nach den An
gaben meines in solchen Dingen sehr
ersahrenen Onkel-?- schnell sbrdertem
und nach dem Letzteres setzten meine
Tante und Johanna das Wert bisf
zu dessen Vollendung fort. J
Am ersten Tage des Juli wurde ich
durch einen reichsgrii lichen Bevoll
mächtigten und einen ommissiir des
preußischen Ober erichtes, welches in
Iustizsachen die berhoheit des preu
ßischen Staates über die untere Gras
schaft Z. zu vertreten hatte. in feier
licher Weise in mein neues Amt einge
führt, und eine Woche später schon«
konnte ich meinen Einzug in meine
hochgelegene Wohnung halten, deren
Raume die Sorgsamkei: meiner Ver
wandten, zu denen ich auch Johanna
rechnete. zu einem freundlichen Da
heim gestaltet hatte.
Die Bewohner der unteren Graf
schaft Z. waren in der überwieaenden
Mehrzahl sriedfertige Leute. Die Po
lizei ward musterhaft verwaltet.
Schon vor der Mediatisirung war hier
das preusziiche allgemeine Landrecht
eingeführt worden« neben welchem nur
noch einige Gewohnheitsrechte Geltung»
anm hatt-. in welche ich mich mit
Hülfe meines würdigen Vorgängers
in kurzer Zeit hineinarbeitetr. Keine
Sache von größern Wichtigkeit harrte
bei meinem Blmtsantritte der Erledi
gang.
Unter diesen günstigen Umständen
blieb mir viel Zeit übrig, von der ich
einen Theil zu meinem damaligen
Lieblingsstudium verwandte, zu wel
chem mir die tt ·ne, aber auserwählte,
bereitwillia zu meiner Verfügung ge
stellte Bibliothet meines würdigen
Voraängerg. die ausgezeichnetstenGer
manisten umfassend, die willtommenen
Mittel bot.
Es fehlte mir gleich in der ersten
Zeit nicht an passenden Belanntschaf
t.n, besonders unter den jüngeren Be
amten, und ich entzog mich denselben
keineswegs-. Am liebsten jedoch
brachte ich meine Erholungsstunden bei
und mit meinen Verwandten zu.
Aufrichtig sei es hier gesagt: der
Magnet, welcher mich fast täglich, und
wäre es auch nur aus eine Stunde e
wesen, nach der hübschen Garten e
sthung vor dem Seethore hingeg, hieß
Johanna.
Wie anders war sie jetzt aber auch,
nlö in ber Zeit vor sieben fahren!
Der, wenn immerhin milde, o doch
nicht eben anziehenbe Ernst, welcher
das junge Mädchen damals nicht der
ließ, kam jetzt nur noch bei besonderen
Anltåfsen zum Vorschein; ein san ter
Fee inn belebte jebt ihr ganzes e
en und stand ihrer lieblichen Erschei
nung um Entzücken schön. Sie machte
kein hl daraus, das sie mich gern
sah; und indem sie ihre Meinungen
nnd Ansichten iebt den metnigen wil
li unterorbnete, schien sie in mir den
»li irren, erfahreneren Bruder zu ehren,
»der ein unbestreitbarei Recht auf das
Vertrauen der jüngeren Schwester
habe.
In diesem Sinne nahm wohl
such hie tleinen An merkseun ten hin,
die ich the unabl- zrr widmen be
rntibt war. Ich ltse mich nirgend
wohler. ols in ihrer Nähe; misse
kittmmt beaab ich mich Abends zur
I»R«ube, wenn der verwichene Tag mir
lnicht ihren Anblick, nicht den Klang
jihrer Stimme gewährt hatte.
z Nun werden die Leier glauben, daß
ich in Johanna verliebt gewesen. Aber
mit nichten war dies der Fall; oder
doch. io war ich mir dessen weni siens
nicht bewußt. Miialich, daß i da
smalz die Frage, ob ich Johanna liebe,
wenn sie mir von Jemand, oder auch
von mir selbst vorgelegt worden wäre,
unbedenklich mit Ja beantwortet hätte.
Aber Niemand stellte mir diese Frage,
oermuthlich, weil man sie für über
flüssig erachtete: und ich selbst befan
gen in der oben erwähnten, gewiß von
den meisten Menschen als altsräntisch
betrachteten Anschauuno legte mir nur
einmal und gewissermaßen unwillkür
lich die Frage vor, ob ich Johanna hei
rathen möchte. Erschrocken rief ich mir
ein Nein zu. Jch hatte ein Gefühl,
als handle es sich um ein Verbrechen
gegen Johanna, um einen Frevel ge
gen ein Heiliathumt Jch hijtte mich des
Glückes, welches ich in meinem gegen
wärtigen Verhältnisse zu Johanna
fand. für unwiirdig erachtet, wenn ich
mir folebe Frage hätte wiederholt dor
leqen können. Mancher Leser wird dar
über lächeln: aber ich empfand and
dachte damals eben nicht anders — in
Be ug auf Johanna.
ein hier aeschildertes Glück sollte
nur von kurzer Dauer sein. Bevor ich
jedoch die Veranlassung der Störung
desselben mittheilen tann, muß ich von
einem Giftmordproceß erzählen, der
damals in jener Gegend ungemeines
Aussehen erregte, und auf das weichen
meines ganzen Lebens von großem
Einfluß war.
Entsetzung folgt.)
--—-..—.-—-—
Die tut-helfen.
Ein sehr anschauliches Bild von den
Fortschritten des Alkoholismus in der
Normandie entwirft ein Bewohner von
Coutances im »7igaro«. »Die reiche
Ernte von Aepfeln läßt wieder die
Frage des Eigenbrenner Privileaiums
aktuell erscheinen«, schreibt er. .Ueber
all ertönt der Ruf: »Das Land ist in
Gefahr!« Man eröffnet einen wahren
Rreuzzug geaen den Altoholismus
und die Weins und Spritgroszhiindler
protestiren täglich gegen das Gesetz
dont 29. Dezember 1900, das sie mi
nirt; fte verlangen stiirmisch die Besei
tigung des EigenbrennersPrioilegiumH
und haben sich dem in Paris im April
d. J. gebildeten Nationalkomite ange
schlossen, das bereits 117 Shndikate
um sich gruppirt hat. Wie nothwendig
ein schnelles Einschreiten ist, erhellt aus
folgenden Angaben. Seit 1869 ist die
Zahl der Eigenbrenner von 90,869
auf 925910 gestiegen; die Million
wird also nicht mehr lange auf sich
warten lassen. Jn den Dörfern erfekt
die Flasche Aepfelbranntwein, » a
blanche« genannt, den legendärengåinm
trug mit gutem normännischen « ere«,
der in den Liedern so hoch aefeiert
wird. Der Taglöhner erhält dieses
Feuerwasser als Bezahlung und trinkt
es gern; man gewöhnt selbst die Kin
der an dasselbe. Neun Millionen Liter
Branntwein aller Art werden in unse
rem Departemnt allein tonsumirt, was
auf den Kon der Bevölkerung jährlich
die Kleinigkeit von lR Litern ergiebt.
In einer Küstenortschaft mit 1600
Einwohnern zählt man beispielsweise
100 unheilbare und 700 Gewohnheits
irinker, davon ein Drittel im zartesien
Alter, und aus 50055amilien tonsumirt
die Hälfte jede 800 Liter Alcohol jähr
lich. Die Folqe davon ist, daß unsere
Bevölkerung von ei()(l,tt()« Seelen vor
50 Jahren auf Music-) zurückgegangen
ist« Und fie sinlt noch immer weiter.
Unsere Parlamentgrier tiiminern sich
aber nicht darum, dass dass Debatte
ment und die ganze Normandie vom
Altoholismus aufgezehrt miro.«
Of— —
Dte China-sen tu Amerika.
s Der chinesische Gesandte in Wash
ington, Wu Tu Fang, hat gegen das
summarische Verfahren der einfachen
Verlängerung des ChinesensEinwaw
derungsverbotes Protest eingelegt und
bittet darum, daß ein Congresz:«21u·gs
schuf; sich wenigstens die Mühe nehme,
durch Untersuchung festzustellen, ob
denn in der Anwesenheit von Chinesen
in diesem Lande der Bevölkerung wirt
lich der Schaden erwachse, den man
damit verbunden glaubt. Er ivird da
sitr im Eongreß weni Gehör finden,
denn die öffentliche Eteinung ist im
mer noch gegen das Eindringen asia
tischer Elemente in die verschiedenarti
gen Massen des nationalen Schmelz
tiegels. Einen ähnlichen Protest, dem
aber nicht die Form eines solchen ge
geben ist, bringt im Januarheft desj
»Forum« ein moderner Chinese, Satt-J
howe Bang, der ohne seine Absicht mit
einem Wort zu verrathen, eine Cha
rakteristik der chinesischen Einwande
rung und des Chinesen in seiner Jn
dididualität bringt-, die an das Billig
teitsgestihl der Ameritaner appelliren
soll.
Die Schuld an der chinesischen Ein
wanderung trägt, nach dieser Darstel
lung, der Ameritaner selbst. Als die
Central Parisir-Bahn gebaut wurde,
und es an Arbeitskräften fehlte, nur
800 weiße Arbeiter zu haben waren,
wo 10000 gebraucht tout-den« holte
man fix chinesen aus der Provinz
siwangs uns. Eine S ifssladun
nach der anderen wurde n dort na
iSan Fraueiseo gebracht. Die Erbauer
der Dahn fanden ihren Profit dabei.
Der chinese erhielt 35 Dollars die
Woche und mußte sich selber belbftigen,
der weiße Arbeiter hetam 45 Dosarl
und Unterhalt. Als die Bahn fertig
war, wurden die Chinefen, 10,000 an
der Zahl, ihrem Schicksal überlassen.
Sie mochten sehen. wie sie sieh durch
sehlugen Die Rhedergesellschaften aber
setzten die Einiuhr fort. Jede Ladung
brachte ihnen Profit und so überflu
iheten sie mit einer neuen Zuwandei
rang die Pacisictiiste. Gleichzeitig
sehte vom Osten her, oft mit llen
Mitteln der Rettame, geforderte n
wanderung nach Calisornien ein, und
die Folge war, daß die neuen An
tommlinge fiir die Arbeit, die sie zu
unternehmen gedachten, schon Chi
nesen arn Piave fanden. Aus
dem Wettkampf um das tägliche
Brod entstand die »Sand ot«
Agitation, die in dem Schiagwort:
»Fort mit den Chinesen!« gipseltr.
Eine Congreß-Untersuchung vom Jahr
1876 stellte die Zahl der im Lande an
wesenden Chinelen auf 117,331 fest;
seht beträgt dieselbe ungefähr 100,000.
Der Bewegung Folge gehend, verbot
der Eongreß die Einwanderung der
Chinesen und versagte den Anwesen
den das Recht der Naturalisation.
Ohne Arbeit bei dem Bahnhau such
ten die Chinesen andere Beschäftigung,
sie beanügten sich mit der niedrigsten,
die der Weiße nicht thun mochte. Da
her der Chinese als Wäscher. Koch und
haushedienstetr. Seine Fähigkeit ali
Bodenarbeiter erwies er, als einem
Unternehmer die Entwässerung der
Marschen im Delia des Sackamento
und San JoaquinsFlusses übertra
gen wurde und dieser Chinesen an
stellte. Es bitdeten sich tteinere Ge
nossenschaften unter ihnenL die Unter
Contracte annahmen Mit sinniger
Arbeit in sumdsiaer MalariagGegend
wurden siins Millionen Acres Marsch
in Farmen und Gärten verwandelt,
die den Reichthum des Staates um
8289,'700,000 vermehrten. Als pral
tische Verwerther auch des Geringsten
wendeten die Chinesen fich- den Berg
wertdistricten zu, wo sie aus den Ab
sällen der von den Weißen betriebenen
Goldwäschereien noch genug heraus
suchten, sie siir ihre bescheidenen An
sprüche zu bezahlen. Sie zeigten sich
auch schwererr Arbeit gewachsen und
der Weiße iibertrug ihnen, was ihm
selbst zu zeitrauhend oder unbequem
war. Aber sie schienen doch den Er
werb zu bedrohen. Ein Gesetz vom
Jahre 1885 sorderte von jedem Aus
länder, der das Bürgerrecht nicht er
werben tonnie. wenn er dem Mitten
betriebe obliegen wollte, eine Steuer
von vier Dollars den Monat. Dar
aus entstanden viel Streitigkeiten, die
schließlich zu den Unruhen führten, in
welchen der Chinese wie vogelsrei ge
heht und niedergeschossen wurde. Und
doch hatte er im Bergbau den Reich
thum Calisornienö um mehr als zwei
Millionen vermehrt.
Was der Chinese als Farmarbeiter,
als Obst«iichter, besonders im Wein- «
ban, geleistet, wie anstellig er sich in
der Fabritation in verschiedensten
Zweigen aezeigt, führt Sunnhowe
Pang des Weiteren aus, erzählt von
ihrer Fruaalität und der Anhänglich
keit, die sie als Dienstboten aufweisen.
Sie würden, meint er, besser treu-är
digt werden, wenn wir ihnen nicht so
sremd geaeniiberstönden und sie uns,
zwei heteroaene Elemente, die sich, ohne
auch nur einen gemeinsamen Zug, nicht
verstehen. Er nimmt seine Landsleute
auch gegen den Vorwurf geiziger Le
bensweise und schlimmer Laster in
Schutz. Untenntnisr ihrer Eigenart
habe das Vorurtheil erzeugt. Und die
Geschichte von den »Sech5 Compo
nies«, die angeblich vao gemeine Volk
der Chinesen nach einem »Padrone
System« regieren, erklärt er siir eine
Fabel. Es seien aeaenseitiae Hülsss
aesellschasten nach Art der Gilden. die
siir vie Wohlfahrt ihrer Mitglieder
soraen
Der Verfasser hat sich viel Mühe ge
geben, seine Landsleute dem Interesse
des aineritanischen Volkes so nahe als
möglich zu bringen. Aber viel Erfolg
darf er sich davon nicht versprechen.
Das Voriirtlseil ist einmal da. Das
Publikum venlt eben, wie es in Ro
land ver Roßlamm heißt: »Wir lesen
die schönen Verse, wir kaufen das
Pserv doch nicht.« -
— --—--.--— —
Dte amerikanische Textilszuvnstrie.
Der Totaltverth der Produkte ver
Baumwoll - Industrie für das Jahr
1900 tvird nach Zusammenstellun des
Census - Bureaus auf 8336,97 ,882
veranschlagt, eine Zunahme von 25
Nroeent im Vergleich mit dem Jahre
1890. Die Zahl ver Fabrilen ist
1051, eine Zunahme von 16 Procent;
das angelegteCavital bezisserte sich au
M7,240,157, eine Zunahme von 3
Procent; vie Kosten der zur Verwen
duna gelommenen Stosse stellten sich
aus 8176,551,527, eine Zunahme von
14 Procent. Die Zahl ver Arbeiter
stellte sich durchschnittlich aus 30«2,861,
eine Zunahme von 38 Prozent; der
Gesammtlohn bezisserte sich aus ,
384,532, eine Zunahme von 86 ro
eentz die szjahl der salarirten Auge ell
»ten stellte i aus 4996, ihr arnmt
;aehalt beziserte sich aus N, ,129,
eine Zunahme von 117 Procent.
——-————· -.-———-s
Frankreichs Kredit ist« troh seiner
gewalti en Schulvenlast, immer noch
an eze chnet. Am 28. De mber
tout die dreivrozentige Anlei von
M,000,000 one-, nel sur U
un der Ko des Ae ges
Eh na tätigen-now word« mal
Iderzeich .