Nebraska Staats-Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1901-1918, December 27, 1901, Sonntags-Blatt, Image 10

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    » · ,
sinnst-!
M Julius Havemanin
-—....-..-.
We ist es her, da griff mir das
zum ersten Malex an’s Herz.
s-« ward ich härter; aber noch
weckt es in mir etwas wie fas
kosei Schaut-tin wenn ich mich
» m sieinen Sinn ver-sente.
ss - s.
Ich war jung, —- Siudent nach dem
Ess- Semester und ging den Rhein
:- «tskkf·
In Oberwesel hatte ich zu Abend ge
- en und von dort noch das Stück
chs nach Sankt Gpnr hinunter
acht
n einem kleinen Gasthaufc eines
innern. seitab in einer engen Ne
gaßa lehrte ich ein. Jn der Gast
M standen drei lange nackte Tische
d an den Längsseiten glattgesessenc
rnie mit hoben steifen Lehnen. Eine
« cschirmtc Lampe hing darüber.
F tlemmte mich zwischen Bank und
, wars RänzeL Stock und Hut ab
ieiteäte Wein. Den brachte mir
großes, stattliches Mädchen mit
ffern Blondhaar und von prächti
Wuchs. Neugierig betrachtete ich
Das Mädchen setzte sich Mit einem .
wollenenStricksttumpf neben mich, «
g- wir sprachen von der Welt. Die L
duhr tickte dazu eintönig Wir Z
» en ganz allein. Die Alten waren J
H in den Weinbergen. L
Leni hieß sie.
Zuerst hatten ihre großen gratuan
II en forschend und ganz rege aus
gebückt Sie zeigte eine gewisse
» hast rn ihrer Sorge und Muhtvaitung
w mich, die mir unendlich wohlthat.
I käme, wie lange ich die Erde schon be
Ists-e
Student nach dem ersten Se :nester!
. Sie wurde gleichmiithig und ruhig
’ ähre Bewegungen düntten mich stille
- te schien ietzt auch nichts anderes er
- , werter zu haben
Mich machte das gar, nicht sroh.
— tät-in ersten Male war ich-· unzufrieden,
If udent zu sein, da ich ihre Strickna
Un so gleichgiltig tiappern hörte. Wir
In auch nun noch mit einander;
aber ich meinte, ich hätte etwas verlo
ren. wars zuvor dagewesen war. Das
späte ich wieder-haben Jcii stichelte
- ich reiz te sie, forscht e, aber sie ward
nsicht wieder neugieri Es war als
Zsei eine Oeffnung ver uscht wie di· fes
« Mädchen deren gewiß »Im unzählige
. - te verhufchen sehen. Und unter der
i- im Lichtlegel zeichnete steh ihr
s Gesicht ergehungsvoll und,
aller Worte, die der Mun»
Ich so verschwiegen ab daß ich vor
seit alle Müdigkeit vergaß und
i ernst erzählte und vertraute wie
grasen Schwe er.
« »Was hat sie nur '«dachte ich, wenn
Dir beide still waren. »Was hat sie,
III-H sie so stumpf ergeben ists«
7 Später kamen Gäste, Bürger der
-W. Sie neckten sich mit der Leni,
Ue in die Verhältnisse eines Jeden
Meiht war, als gehökten sie alle
·-·- keiner Familie; aber es war ein ge
Wer Respekt eine starke Werthschätz
sing in ihren Neckereiem die hier und
Da wie heimliche Verehrung anmu
desenderå ein dicker Schlöchterrnei
, der in schmutziger Schürze seinen
« chova Traubenrnosi traul, war
dann fragte sie, was ich sei woher ich k
f
I
!
.
—-.« .
- recht väterlich zu dem großen schinucten !
L . Mädchen Er nahm ihre Hand stei: ;
schen seine gewaltigen Tatzen und er- J
L klärte, wenn Leni nicht den besten ;
Mann von der Welt betänie, pfiff-J er i
aus die ganze Wirthscdasr im Himmel, «
wo die Ehen geschlossen würden i
Jch empfand sofort einen eiserfiicti s
t- stigen Grimm auf den Dicken. Leni j
·« aber lachte srisch herang: »Ach! Was ;
T brauch denn ich noch ’n Mann. Jch hab« I
l
i
t
ja ein Dutzend große Kinder hier sitzen,
von denen Sie dar- dictste sind.«
Da lachte ich Und nickte beruhigte
«,T Eber meinem Nänzei ein, bis Leni mich
Es Mippte und mich mit einer Küchen- '
— Jampe nach oben brachte, als wäre auch E
ich ihrer Kinder eins, dem sie das Bett
» « eiten mußte. I
« Im nächsten Morgen stiea ich aufs
Ruine hinaus. Der Tag nan
Herrlich. Urn die riesigen Mauern-sie :
- « es ganz still und sonnig. Die
Schmetterlinqu und Insekten waren '
fort, eingesponnen und in Schlaf s
unten, wie die Getreuen Inn I
frischem das schläft und aus den j
en wartet. Ein Seidenglitzern i
pimienschleiern lag über den (
betten und den dichten Ranteii- T
Men von Brombeeren, Epheu
Mematis, die die Gräben um die
sälltrn
M im Thale den Bach heraus
14Iwczsmn ein Reiter. Er sah ganz
us tpiestcink Zinåsoldat und hatte
zw, ar es erd.
"« fis irgendwo in einem roman
« sicwbiisch, dachte nach, ob
» oder Ihrs-ten wären, die
« II DIE-en hängen-retten der
« ausgesungen waren, und
- ’ M Wäsch- sch mich
? fah dnrch diese erstaunt nach dem Mäd
; Zienv hinüber. daj da f- regnngiloi
an
rneinte sie fah älter aus
O in den blonden Haaren freilich
iwanea nur jene silbernen Spinnenfcis
Iden. die der Vollsmund »Zuwider
E«sornnier nennt Jn dem liihlw Lüft
. chen schlängelteu fie sich fein und leise
z und glitzerndz aber sie hatten etwas zu
I ihr Hinzugehörige5, als sei die herbst
liche Natur sich bewußt geworden. rnit
« dies-ern Mädchen zn harmoniren so daß
Z sie an dasselbe ihre Attribute nicht
I ohne Bedeutung heftete.
S Und die weiße Sonne machte alles
! offenbar Feine kleine Fältchen, die
kam Abend unsichtbar gewesen waren
! spannen sich urn die Augen. Die schöne
shoheitsvolle Gestalt zeigte von der
PKehle hinab zur Taille nicht jene volle
Linie der Jugend, und ihre Hände die
vertrampften Hände-—- EZ giebt
- ja keine Hände, die leiblich früher al
tern als ein Gesicht; aber nirgends al
tert die Seele so sichtlich wie in den
Händen. Diese Hände hatten in ih
rer keineswegs arisiotratischen weichen
Gestaltung das ganze Hoffnungslose
eines Kindes, das sich mit dein Tod
und dein erinnerungslosen Nichts fast
schon abzufinden vermochte. und aus
das die feuchte graue Klarheit der Au
gen wie ein Woltenhimmel traurig
herabsah. Sie waren ganz herbst
durchseelt.
Mich ergriff eine so tiefe Wehmuth,
dafz ich es laurn beachten-. wie mein -
Notizbuch rnir vom Schooße glitt und
in die Ranken hinabsiel, die es faft
ohne Gerafchel bis in den Schutt der
Tiefe hinabgleiten ließen. Verzagt,
fcheu, mich nur zu rühren, saß ich an :
meiner Mauer. i
Und da bemerkte ich, wie Leni lang- ? .
sam den Kops schüttelte, als sagte sie
zu sich: »Nein! Nein! Nein! Wie ist das E
nur möglich?!« —- Jhre Augen sahen i .
so starr nach dem Fleck, aus dem der J ;
Reiter vorhin geritten war, daß ich II
mir, auch wenn er jetzt nicht verschwun- .
den gewesen wäre, hätte klar darüber
werden müssen, sie sähe ihn gewiß
nicht.
Dann lehnie sie die Schläfe an die
iiihle Mauer, von der bei der Berüh
rung leise Mörtel abbröckelte. Ihre
Lippen ösfneten sich, als spräche sie et
was, während die weit offenen Augen
so seucht und glanzvoll wurden, als 1
ginge eine Mittagssonne hinter Ne
beln variiber. Und da war es, daß sie
die ver-zweifelten Worte wie aus einem
Erinnern heraus fliifterte: »Nic! i—
Niemals! —- Niemals!«
Jch verstand sie tlar durch das Son
nenschwcigm. Sie schien sie selber hö- «
ten tu wollen.
»Don-! Des-! emi, voche dachte ich
und senkte dazu den Kopf. Unwilltiir
lich drückte ich die Schulter näher an ·.
jene Mauer, als vermittle sie die Ver
bindung mit ihr. Ich wußte damals :
die Deutung siit die ganze Stimmung, «
die über diesem Mädchenleben webie,
gewiß nicht; aber das «Doch, doch!« «
klang in mir —- mchr wie ein Protest ;
meiner Jugend als ein Trost —- noch
einmal an, als ich ihr die Hand zurn
Abschied gab, so daß sie bei dem star
ken Druck verwundert, beinahe ein
bischen widerstrebend, stukte —
Seitdern habe ich Viele leiden sehen
wie sie, habe viele Augen so ins Land
starren sehen, wie die ihren. Jch sah,
daß das ganze Leben voll ist von sol
chem Leid, und daß gerade die Zärt
lichiten und Reichsten einmal mit hei- L
W
szem Schrecken und in tiefster Hoff
nungstosigteit flüstern: »Nic-! Nie-:
male-! ——-« Niemals-F « Es ist nicht
anders. Der tiefste Wunsch sinkt un
ter diesen Worten zu Grabe. Dann
ist es Herbst.
Jch bin nach Sankt Goar noch ost
mals getorninen Die Leni ist längst
nicht mehr. Sie ist einmal mit einem
Nachen gegen den Lurleyselsen hin
übergefahren. Das Boot tenterte an
den Klippen, sagte man mir. Sie war
sonst nicht romantisch veranlagt, des
sen bin ich sicher. Aber man erzählte
mir, sie sei zuletzt immer schweigsamer
geworden. Nur am Geschäft noch hatte
sie ein Freude.
Aufdem kleinen Friedhof unter dem
Nheinsels fand ich ihr Grab unter ei
nem Gerante wilder rosaweiszer Rosen.
Jhre Mutter pflegt diese Rosen, be
aieszt und beschneidet fre. Es sind die
schönsten auf dem Friedhof- Jch
pflückte mir eine und habe die ver
trockneten Blätter noch heute. Sie ist
mir wie ein Symbol in der Schatztaw
mer meiner Erfahrungen Wenn mir
das Leben zu schwer werden will, dente
ich an jenen Morgen auf dem Rhein
fels, und ich höre dann von daheraus
lautlos aus tausend und obertausend
beklemmten Herzen die heißen Worte
in den Herst hinauszitterm »Ric-! —
Riemalst —- Niemals!«
s Mir fällt auch jene verwellte Rose
ein, und ich weiß, ei tragen Unzählige
ein Leid, viel schwerer als das Leben.
- — -—«-—..-—-... «
Uniåbertvinbltcher Abscheu.
Der Sjtssselmeyer hat im seiner
M zu seinem Geburtstag ihr Por
ieim« luststkkspmkeishhätw W
er —
Westen Pset at er es
Skizze von Elfe Krafft.
W
EO war um die dritte Nachmittags
stunde.
Goldenrr herbstfoiinenfehein um
siiumte die Fenster des Hofpitals. Jrn
leichten Winde neigte sieh das letzte
braune Buichtvert der Bäume gegen vie
Kranlenfiile und wurde durch das zit
ternde Licht auf den hellen Fußboden
in unruhigen Schattenbildern wiederge
gehen.
Anna lag ganz still.
Jn den Betten in her Nachbarschaft
der Kranten hob sich hier und da ein
Arm, nm die Decke wieder sorgsam iiin
den Körper zu ziehen, und iehnfiichtige
Blicke hafteten an der Thür des Saa
les, als ob da in nächster Minute ein
liebes. wohlbekannte-Z Antlih auftauchen
müßte.
Anna rührte sich nicht.
Das war immer fo, wenn die Be
fuchszeit für Angehörige ver Kranken
gekommen war. Die ganzen letzten
Wochen hatte sie Dann in ihren Kissen .
getegen, stumm, gequält, mit angstvoll »
zufammengepreßten Händen. Nur ihre
Augen sprachen, und die heißen, sehn
fiichtigen Blicke verfolgten die Men- ;
schen, die da auf den Fußspihen um- «
hergingen und sich zärtlich, theitnahnis- «
voll über ihre Kranten neigten.
An ihr Bett tam niemand. Ihre
band ergriff niemand in oiefer langen
Schmerzenszeit Der Stuhl vor ihrem
Laaer htieh leer, -- alle, alle Tage.
Dicht neben ihr lag teit drei Wochen ’
eine junge Fran. Sie hatte eine Opera- .
tion hinter sich. und allmählich tehrtei
der Rosenfchiminer neuer Gesundheit
nieder in das blasse, schmal gewordene «
Antlitz.
Wje die-lächelte. irrenn diellhrdüber !
)en Biairpseanzen rrucsen an oer wand
Die dritte Nachmittagsstunde am Be
uchstage zeigte. Wie die verschämt das
):onde, diinne Haar aus der Stirne
trich und unruhig an der schmucklos sen
Leinenjacke herumzupftr. Glei gleich
oiirde ein Mann zu ihr an as Bett
reten. würde sich über sie beugen, zärt
ich, trösten-d und stillbewegt vor lauter
Dankbarkeit über die glücklich deriauiene
Dperation seines Weibes die bxassen -
Lippen Kissen
Auch der Junge war stets dabei das
i:cnde, tleine dicke FritzeL das seiner
i
.Marnma« immer so schrecklich viel zu ;
srzädlen hatte. Ganz fest hielten die s
Rinderiinger die so lange schmerzlich
demißte Mutterlsand.
Wie see dann lächelte« die junge Frau.
Anna biß die Zähne aufeinander,
oenn sie das sah. So gliictiich aussehen
Birnen hier unter Leid und Schmerzen,
— — ach so glücklich aussehen tönnen.
Und drüben das alte Mütterchen am
kenster Die ganze Decke hatten ihr die
Kinder voll Blumen gestreut, wenn der
segochstag gekommen tpar
neben das junge, tauin sechzehn- «
ährige Ding sasz sogar aufrecht In
irren Kissen. wenn die Eltern bei ihr
Zaudern Und sie sprach und lachte, od
zleich sie am Vormittaa noch stöhnend
Das Gesicht in den Betten vergraben
fpatie. Weintrauben und Aepfel, Kon
7ett und Kuchen lagen aus dem tiernen -
Tischchen da drüben.
Annas Platz neben den-. Wasserglase
var immer leer.
Heute sah es to sonderbar festlich aus
w KrantensaaL
Die Schwestern hatt-en ein frisch-ge
olijitetes Häuschen iiber dern Scheitel
l
.. - .-......-.-·....-.-.-. -.·.--.·«.- -...- —
A-.
LnD die Lichtsclxiuen Sonntag-Kleider an. ;
Arn LtorrnLttage läuteten dir Glocken, T
..E Anna Jus kurzem Zchuniziier ein ·
Jota-schreckt war. «
Sie lonnte sich das nicht erllaren.-: ·
IS war doch Mittwoch war Joch nur!
in schlichter einsackei Novembertag in E
per Woctt ?
Mit den Augen wintte sie die Wär- «
erin an ihr Bett s
»Warum läuten die G ocken heute
Schrrester Martha 7' i
»Weil Bußtcig ist, Fräulesn Anna.
Busztag siir alle Menschen, die, ihrer?
Sünden eingedenk, beten und ein neues
ein besseres Leben beginnen wollen« k
Da- Mädchen antwortete nicht Nur
:e Decke zog sie ein wenig böoer hinauf
ilnd dann- .aa sie ganz in sich zusam- :
nierigedueti und zog den tranten, ver
bundenen Fuß vorsichtig oon den kai
ien, eisernen ctäben der Bettstelte fort
Ern F: o. jeln hatte ihren Leib durch
schüttelt. Die Augen sie en ihr zu unt
rer Kopf rvar ihr so seltsam schwer von
allem Klingen, dao draußen doni Kirch -
tburni ber durch die Lust schwirrte. "
Sie hatte die Glocken so nahe gehabt ’
in ihrem Stäbchen unterm Dach. Doch
niemals hatte sie nach ihnen gel.)isri,«i
wenn an Sonn- und Feiertagen die
ehernen Rufe zu ihr hinausdrangen.
Da war sie ja sroh gewesen, die Arbeit
iii der Fabrik siir einen ganzen Tag ver
ge en zu können und irgendwo hinaus
zu iüchten mit den reundtniien in den .
Wald oder aus die ounigen Fett-er vor
Beriini Thore-n I
Ihrer Wirth-i und Stubengenosim
der dürren, Mmlosen Waschsrau
S te, rief sie noch ein lachen-des
iirtiet, und dami, beidi —- —
Juki der Wind vie vier Treppen
Immer Immer drei Stufen aus
einig-»l, immer, New die lichten, lustig
Smamtleidei is
i- lt
M denhaslkfwwztutchdengr
XENIEN-unsi
M S mal iebße
RI- OII M M Atti-END II
l
i
Aus dem W Keserfensier :
drang ein suerendez schnurrendet Ton?
zu ihr heraus.
Ueber den ärgerte sich Anna. wenn
sie auf die Straße trat. ;
Konnte denn der verwachsen-! Schnei- E
der da unten nicht am Sonntag wenig- s
stens seine Itshmasschine in Ruhe lass ,
sen! Wie ein Zwerg saß er über die
dankten Flicken geneigt und reihte eine ;
Naht In seiner Arbeit an die andere.
Mehr aus Muthwillen als aus Höf- «
lichteit rief sie ihm ein lachendes »Gu- «
E ier Morgen an seinen Fenstervtad zu.
s Dann sah er anf. Dunkelroth im
« Gesicht ein oertegenes Zinsen um den
Mund. ;
»Er-ten Morgen. Frauiein Annae :
Wollen Sie wieder hinaus ins Grüne,
— —- wieder nach Schlachtensee heute-W ,
Sie nictte Sie malte ihm oft mit
grausamer Deutlichkeit jedes Vergnü
gen der gemeinsamen Landpartie mit
ilren Kolleginnem Sie erzählte auch -
von den netten herren, mit denen sie am
Abend tanzte. und von den tamptonges .
schmückten Kremsern oder überfüllten
Cisendahneouprsz in denen sie eng an
einandergedriickt heimwärts fahren
müßten.
Er sah sie fortwährend an, während
sie sprach. Und einmal, ja einmal hatte
e: sogar seine Arbeit zur Seite gescho
ben und war ganz nahe an das Fenster
getreten, vor dem sie stand.
»Kann ich mal mitkommen, Fräulein
Anna? Ach, nehmen Sie mich roch ein
etnzigstes Mal mit! Jch tann auch tan
zen, möchte doch so gern mal mit Ihnen
tanzen, »s- ---- Fräulein«
Wie sie da geiacht, wie sie da die
Hände vor Entsetzen zusamt-ungeschm
gen hatte.
»Mit dem Pnckei, Herr JentichZ Uh
jeh. — —— dsa wüßt« ich ja jar nich. wie «
id« mir dran festhalten solltet Ner, das 1
können Se aber wirklich nich von mir H l
virlangen!« ;
Und immer noch lachend war iie wei- T
den-Landr- wsitsr irr den list-Meissners ,
iiitkenden Sommertag.
Kamen dann später die Freundinnen
zu ihr. denen sie diese seine Geschichte
erzädit hatte, diinzeiten sie sedesmai
ipottiustig in das Kellersenster vor der J
Hausthüre hinein.
«Wollen wir nich zusammen tanzen, I
Heer Jentschi
Er sah nicht mehr auf. Ei erwiderte
auch den Gruß Annas nicht mehr. wenn
sie vorüberging
Einmai nur traf sie ihn zu fpöiei :
Abendsiunde aus dem Hose.
Er hatte sich ganz in eine Ecke ge
drückt, als sie vorbeischritt.
Kurz drehte sie sich um« ais ihr Name
geruer wurde.
hell und groß leuchteten seine Augen
in der Dunkelheit zu ihr hinüber.
»Sie sollen mir nich so quälen«, stieß
er hervor. »Sie sollen nich mehr in
mein Fenster hineinrusenL Die janze
Nachbarschast verspottet mir, Fesuiein
Anna.«
Sie lachte sorglos.
»Jeh'n Se doch wech dons Fenster.
Was seyen Se sich denn immer direkte
mang so dicht an die Straße hin ?«
Er athmete schwer
«Jch kann ja sonst nichts sehn, —- —
nichts sehn dei meine Arbeit!«
«
-
i
os- - so-—
p
L-·--- i-(
Sie sah nicht die Qual in seinen s t
Blicken. nicht das Zacken um die schmo
1en, blossen Lippen. Sie hatte ihm schon
wieder halb den Rücken zugeweht
!
«No. wenn Sie da ootne sitzen, müs- i t
sen Se sich auch nich wundern, wenn wir
lochen, Herr Jentsch. Des sieht doch «
puin aug, immer so’n Jebirge vor Au
geni«
Und su hatte sie ihn stehen lassen und
i
l
l
war Leicktfiifzig itire vier Treppen ern- i
pcrgefticgerr j
Arn nachsten Sonntag kleidete sie sich "
mit besonderer Sorgfalt an. Als sie
dann in ihrem weißen Kleide an dem
Keiterfenster vorüberging, schaute sie
nicht einmal hinein zu dem Manne, dem
jahrelang ier Gruß gegolten. liin ver
tröurntes Lächeln war in iltrent Gesicht,
als sie durch die Straßen eilte.
heute warteten die Freundinnen nicht »
am Bahnhosi heute stand ern anderer
ver derSteintreppe am Automaten, b aue
Aug-en und helle-. gelocktes Haar unter
rem Cylinden eine goldene Uhrtette am
Sie-a und einen suntelnoen Ring am
Finger.
Schon von weitern nickte er ilyr ent
geaen.
Jung hold reizend talp sie aus.
Arn Mittag irn Walde aß sie nicht ·
reselir die- troclenen Stalle n irn Papier
aus der Kleidertersche, die ihr Fing-;
Schritte daheim stets mitgab. Da fasz
sie im Restaurant neben »ihrn« und Z
steilte wie eine Prinzessin am get-eilten «
Tisch und trank Wein und war gliicklich, z
glücklich wie nie zuvor im Leben -
Jm Dämmerschein-, mitten unter den -
Tannen nnd Iarnen schritt sie dann an
feiner Seite.
Er hatte den Arm um sie gelegt
fragte ob sie ein schöneres Zimmer da- «
ben wolle, ein geöketeh hellem, das er
selber siir sie ausfnchen wtiwe
Sie nieste lächelnd. Sie war ihm ja
le gut, so gut, fett et sie damals von der
hLcktttiitpetrtie die an die hausthiir getettet
e.
» G wurde duniier itn Walde, einfa
MI.
Sie schmiegte sich dicht an seine
Schulter ging langsamen immer lang
samer iibee das Moos am Boden
Da lt er sie fes-, reiner-rette sie wollte
sie til en.
Sie kritan ihn, war er
ei getee
tkwnäsi »Mer
M MIIMWMMHO
.- -... - —,.
.-. -- ,- -,-----.-k.,-«-s...—-«-»
thigen Freundinnen begreifen können.
Sie war ja noch so jung-—- — to tun .
Mit einem lehten uek befreite i
ihre Ende und ftiesz ihn zuritch Und
dann ites sie, stoiperte, siek und lag mit
gebrochenem Faß auf der Erde-.
Seine Zärtlichkeit war wie sortgiebla
ten. Zwar hob er sie auf, trug sie zur
nahen Bahnstation und ordnete auch
ihre Ueberfiihrung in das Krankenhaus
an; doch hatde sie ihn niemals wiederge
sehen seit jenem Tage
« Als ihr der Arzt eines Morgens die
Nachricht brachte, daß das Bein siir
immer gelähmt bleibe, hatte sie weder ge
tlagt noch geweint. Auch an den Mann,
dem sie entflohen war, dachte sie selten.
Eine Sehnsucht war in ihr aufge
wacht, neu. fremd, unverständlich
Zuerst hatte sie aus die Freundinnen
gewartet, wenn sie von Schmerzen ge
quält in ihren Kissen lag. Dann glaubte
sie, Frau Schellte wiedersehen zu mits
sen. einen kurzen Augenblick nur die
weite, zerwaichene Hand in der ihren zu
siihlenx oder Nachbars Lenchen würde
vielleicht kommen. der sie oftmals die
hübschen, bunten Puppensiietrn aus der
Fabrik mitgebracht hatte ——· oder Wert
rreisters Iris drüben. mit dem sie
Sonntags oft auf dem Tempeihofer
Felde die Drachen hatte steigen lassen·
Alle waren doch gut zu ihr gewesen,
betten mit ihr gelacht, gescherzt, als sie
roch gesund und übermitthig war.
Dachte jetzt niemand an ihre Verlassen
tit. ihre Einsamkeit und Schmerzen
hier in dem großen, kahlen Kranken
saais
Niemand hatte sie iteb, niemand
ragte nach ihr, sehnte sich nach ihr.
Horch, --- da läuteten die Glocken
itrn wieder.
»Bußtag ist heute«, hatte Schwester
Ulartha gesagt. »Bus;tag siir alle Men
chen, die. ihrer Sünden eingedent, de
en und ein neues, ein besseres Leben de
;innen wollen.«
Das Mädchen hob jäh den Kopi.
Warum tagte die Schwester so etwas
:1 ihr? War sie eine SünderinI Hain
ie denn jemals etwas Unrechtes genan
Ter Kopf sank wieder ,3uriick.
h
Zum ersten Mal, seit sie darnieder
ag, ialz fie in Gedanken das Kellersem
irr vor sich, an dein sie täglich in
Fchelndeen Spott vorübergeschritten.
Das war auch etn Neid-sieh ver daran
.-sß, unermüdlich sieißig ooin Morgen
is izum Abend. Ein Paar Augen se
en sie an. siebenri. bettelnd sorinlich
mi ein liebes, freundliches theilneiis
indes Wort.
Sie hatte Einenan gesunden, nie
iiats in edier Nächstenliebe iein schwe
er Loos zu verschönen versucht. Uns
ie hatte ihn sogar herzios oerbiihnts
Var das teine Sünde-? —- —
Unruikig wars sich das Mädchen bin
.nd her. Sie wußte plöhiickk warum sie
er liebe Gott atso strafte, verstand, wa
iirn sie an ihrem eigenen Körper ersah
en sollte. wie web solch Gebrechen thin.
Heute ist Bahn-ji« hatte Schwester
Marthe gesagt. Anna oachie nach.
lis Kind hatte sie das Vaterunser aug
oendig getonnt. Jn den letzten Jahren
oaren ihr die Worte gar nicht mehr in
sen Sinn gekommen. Ob fie sie noch
anntr?
Als Schwester Martin ovriibergetieri
vrllte, bannten sie ein Paar glänzende,
ieiisende Augen.
Sie biieb stehen.
»Nun -—— thut der Fuß wieder sehr
oeh?«
Das Mädchen schütteite den Kopf.
»Ich —«— ich tann’s Vaterunser nichi
—- nicht mehr! Wollen —- wollen
Eie —«
Die Schwester nickir.
Leise, freundlich betete sie dein Mäd
hen vor.
Jedes Wort sprach Anna nam. uu
ie »Amen« gesagt hatte, lächelte sie.
Jn dem gelben Dämmerlicht, pag
est im Saale war, stand ein Mann
m der Thür, scheu, und-halten« oen
Rücken gebeugt wie unter einer schweren
Last.
Schwester Martha trat itrn entgegen
rnd schüttelte den Kopf.
»Die Besuchizeit ist längst vorüber',
agte sie adtvehrend.
Er stand unbeweglich Die Finger
Jiejten ein winziges Veilchensträuszchen
rmtlamrnert.
»Ich -—- «- ich hab’ so lange gewar
et draußen. --- —--- bis, bis die andern
gingen. Js, -— s— is Fräulein Anna
s·och —- — ——« er stockte, er war voll
ständig verwirrt.
Der Schwester wurde es eigen urna
herz. Das war der erste Besuch siir
das blasse Mädchen da drüben. Nein,
—- —-- den tonnte sie nicht sammt-eisen
Sie trat zur Seite und veutete nach
dem Bett hinüber, an dem sie soeben das
Vaterunser gesprochen.
Langsam, mit unsicheren Schritten
ging der Mann daraus zu
Anna hatte die hand ausgestreckt
Sie weinte. als sie das vertraute Gesicht
ah.
Er hielt die Fing-er um seine paar
blauen Bäumen gepreßt.
»Ich. — — ieh hat« witttich nich je
tvush dass — — daß Sie trant waren,
Fräulein Anna«, entschuldigte er sich.
»der-te, —- —-— heute erst erzählte mir's«
Frau Schritte, bei die ihr Ortes ierorns g
inen is damals. The-ki, —- — thut’i«- «
sehr weh. das Wint«
Sie sehsttelte den Kaps.
»Im nicht mehr«, sagte sie leise.
Ein Mienen war in ihr, ein Schüt
teln. c, tote sie sich schämte, — —
schändet
Er legtedie Veilchen vor sie hin.
Ru. —- —- nu wirW bald wieder .
Braten Kommt ·-- kommt jervisr ,
— J » --- —
sirenge Kälte nach fokn warmen Som
mer. Meinen Se denn, — meinen Se
denn wieNr in de Fabrit zu tönnenP
Sie guckte die Achseln.
»Mein Bein bleibt steif. Schnell gehn
wer’ ich niemals mehr können, sagt der
Dotior.«
Er stotterte immer mehr. Sein Hut
wanderte oon einer Hand in die andere.
»Mei » — meine Schwester hat ’ne
Putzstube in de Prenzlauer Allee. Se,
— — se wollte schon immer jemand ba
ben, der. —-- der sie helfen thut ins Je
ichiift Nu. —- ——- nu hab' ich ihr erzählt,
und, - - und wenn —- wenn Sie wollen,
—— schlafen könnten Se auch bei —- bei
meine Schwester« — Er verstummte
lkl ckLt
Sie hatte plötzl ich seine Band genom
men und schluchzend gegen die Lippen
gepreßt
»O Sie — s-— Sie—— —- ich bin ja
so böse, so böse gewesen!«
Er hielt ihre Finger feil. Seine
Blicke strahlten
»Auf —- — dan ich denn wieder
lummen?«
Sie nickte freudig.
Als er zur Thiir ging, fah sie ilnn
staunend, mit weit geöffneten Augen
nach.
War denn das wirklich der kleine, ver
wachsene Schneider? Stolz, frei hoch
aufgerichtet schritt er dahin.
Anna lächelte unter Thriinen in sich
hinein. Ein feiner Veilchenduft um
webte sie.
Nein, nein, sie wollte nicht mehr ster
ten. Leben wollte sie, leben —- — -——
Als Schwester Mnrtba am Abend die
Reihen der Betten entlang schritt, lag
das Mädchen mit geiaiteten Händen.
Voriichtig nahm sie die Blumen von
riet Decke und stellte sie in das Wasser
nlng neben die Zchiasendr.
»Dann irenl sie sich morgen früh,
trenn ittr Tischchen n: cht leer ist«, dachte
sit lächelnd.
Ein Roman aus dem
L« e be n. Die von grau Dom S
ljiounce in Palerlon N. J» eingeleite
te Scheidunastloge gegen ihren Gatten
Jesse T Mounce bat ein Geheimniß
Infgelliirt, das das Verfchwinden der
ffrau und ihres Bräutigams August L.
Reese, eines Zoll-Jnspettors in New
Dort, seit Frühjahr umgab. Reese
Hatte in Haledon bei Paterson ein hüb
icheg Haus eingerichtet und nach der
Trauung trat das Paar eine Hoch
zeitgreiie nach dem Süden an, lehrte
iber nicht zurück, und jetzt stellt sich her
ang, daß die Frau in Broollhn und
lieese in New Yorl wohnt. Frau
Nounre war eine gelernte Kranken
)slegerin und heirathete vor zehn Jah
ren Mounre in Broollhnz von da zog
Das Paar nach Passaic und dann nach
!liston. Eines Tages verschwand der
Mann und ließ einen Brief zurück, wo
rin er der Frau mittheilte, daß er nicht
nehr zurückkehren werde. Um dieselbe
Zeit verschwand auch ein junges Mäd
hen, das das traute Kind des Ehepaa
res gepflegt hatte, und Frau Mounce
vidmete sieh wieder ihrem Berufe. Vor
einem Jahre erfuhr sie von einem An
svalt in Cinrinnati. daß « Zounce bei
rinem Trollen-llnsall in dieser Stadt
umgetommen sei und er vor seinem
Tode einige liiseiten dem Anwalt zur
Uebermiiteluna an die Frau übergeben
hatte. Die Essetten tamen in den Be
sitz der Frau und dieselbe hielt ihren
Gatten für todt. Als im letzten April
Reese, den sie gepflegt, als er am Ner
oensieber darniederlag, der Pslegerin
herz und Hand anbot, nahm sie an
und Richter Keyes vollzog die Trau
ung. Die hochzeitsreise wurde ange
treten und in Jersey City tauste Ru
fe die Billete siir eine Fahrt nakh Wash
ington un Dcpor der Pennsylvania
Bahn. Als Frau Reese in dem Watte-L
saal allein war, sah sie zu ihrem Er
staunen den todtgeglaublen Mounre
nach einem nach dem Westen bestimm
ten Zuge tausen; ehe sie dem Mann
folgen tonnte, hatte der Bahnbediensie
te die Thür, die nach dem Perron
führt« geschlossen, und selbst ein her
beigeeilter Polizist lonnte den abfuh
renden Zug nicht aushalten. Als Reese
seine Frau sand, war sie einer Ohn
macht nahe. Man berieth sich und larn
zu dem Entschlusse, daß die Frau eine
Scheidungsilage einleiten und bis zur
Scheidung das Paar getrennt leben
müsse. Reese suhr allein nach dem
Süden und die Frau widmete sich zum
dritten Male dem Berufe einer Kran
tenpslegerin. Die Scheidungsllage
wird binnen Kurzem zur Verhandlung
lomrnen.
» Die Entdeckung eines
Mörder-, der sich 27 Jahre lang
der irdischen Gerechtigkeit entzogen hat«
scheint tm Kreise Osthaoelland gelun
gen zu sein. Jm herbst 1874 wurde
die Botensrau Albrecht aus Retzow aus
ossener Landstraße aus gräßliche Weise
ermordet und beraubt. Es wurden da
mals mehrere der That verdächtige
Personen in Untersuchungjhast genom
men. wegen Mangels an Beweisen
mußten sie wieder entlassen werden.
Das Verbrechen blieb daher bis heute
ungesiihnt. Nun ist ein handele-wann
in der Gegend von Mauer-, der seht 70
Jahre alt ist, von einem Nachbar bei
der Behörde als der Mörder angezeigt
worden. Der Meldung usalge, ist der
handelsmann in einem ireit von sei
nern eigenen Sahn als der Thiiter be
sichtigt worden. Thatsache ist, »daß
’ener handelsmann s. Z. wegen des
pedes in Untersuchung war. Die Be
hörde hat nähere Ermittelungen einge
eitet.